Bodmer_Publication
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Bodmer, durch Humboldt gelesen
Hartwig Isernhagen
1. Schöne Wissenschaft?
Die recht spärliche Literatur zu Karl Bodmer operiert vorrangig mit einem
Gegensatz von Kunst und Wissenschaft, von Ästhetik und Erkenntnis, der ihr
erlaubt, die eine Seite Bodmer, die andere Wied zuzuteilen und dann die Frage
nach ihrem Zusammenspiel in den Illustrationen zum Reisebericht zu stellen.
Einzelne Blät ter können so als bessere oder schlechtere Vermittlungen zwischen
den beiden In teressen besprochen werden oder als mehr der einen oder der anderen
Seite zuneigend. 1
Diese Sicht bildet das hierarchische Verhältnis zwischen dem Wissenschaftler
als Auftraggeber und dem Künstler als Auftragnehmer ab. Sie geht davon aus,
dass Kunst und Wissenschaft verschiedene Produktionsformen von Wissen sind.
Deren Arbeitsteiligkeit ist jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts zur kultu rellen
Selbstverständlichkeit geworden. 2 Die moderne Bildforschung sieht beide Seiten
ansatzweise wieder zusammen, indem sie die Erkenntnisfunktion des Bildes analysiert,
weil sie davon überzeugt ist, dass wir (weitgehend) in Bildern denken. 3
Dabei kann sie ihre grundsätzlichen, ahistorischen Interessen mit dem Hinweis
auf Denken und Praxis früherer Perioden historisch unterfüttern.
Aufklärung und Romantik dagegen – die Wied und Bodmer prägenden
Epochen – sahen Wissenschaft und Kunst als Kontinuum des Wissens, in einer
Weise, die uns fremd geworden ist. Auch das sieht die Literatur zu Bodmer an
einzelnen Stellen, und sie zitiert mehrfach mit Alexander von Humboldt den
besten Gewährsmann dafür, nutzt dieses Wissen aber nicht systematisch. 4
So kann es denn geschehen, dass romantisch doch immer wieder als Gegensatz
zu «richtig in der Wiedergabe» eingesetzt wird. 5 Dasselbe Vorurteil steht hinter
der Meinung, Bodmer sei für Wied (der in eine streng empiristische Tradition
gehöre) unter anderem deswegen so wertvoll gewesen, weil er keine Gelegenheit
gehabt habe, «to develop or exercise an artistic vision more in keeping with the
Roman tic artistic and cultural trends of the 1830s.» 6 Das ist schlichtweg falsch:
Schon die Vedute, bei der Bodmer anfängt und in der er es schnell zu gros -
ser Meisterschaft bringt, ist ein Genre, in dem sich didaktische Detailgenauigkeit
mit ästhetischem Reiz programmatisch verbindet, und sie ist gerade in der
Romantik ausserordentlich beliebt.
Eine strikte disziplinäre Arbeitsteiligkeit von Kunst und Wissenschaft für
die Kollaboration zwischen Bodmer und Wied anzusetzen, verbietet sich zudem
aus der Gesamtanlage der beiden grossen wiedschen Werke heraus: Sie kommen
bei de als Reisebeschreibungen daher, als Erfahrungsberichte, in deren Erzählung
hetero gene Interessen einfliessen, zwischen welchen keine vorgegebene Hierarchie
besteht. Gerade in dieser Offenheit für Verschiedenes, und so auch für wissenschaftliche
Erkenntnis und ästhetischen Genuss, liegt der Vorzug des Genres.
Hinweise darauf, dass für Wied Wissenschaft und Ästhetik zusammen gingen,
gibt es durchaus. So setzt er nicht nur ganz selbstverständlich an, dass Wissen,
und hier insbesondere wissenschaftliches, ein hohes Gut ist, sondern er nennt
dessen Erarbeitung «schön». Er spricht etwa vom Fortschritt «des schönen
Studiums der Natur» 7 , also der Naturwissenschaft, «des schönsten der Studien» 8 .
Man darf vermuten, dass diese Formeln sowohl das Sammeln von Informationen
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