Bodmer_Publication
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Zugleich demonstrieren die Porträts immer wieder die ethnologische Präzision,
mit der Bodmer Kleidung und Attribute behandelt – ohne in dieser Hinsicht
qualitativ einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Domänen zu
machen. Quantitativ tut er es schon: Wir haben sehr viel mehr männliche Porträts
als weibliche. Tableau 9, wie viele andere Blätter im Studio komponiert, zeigt eine
der wenigen Frauendarstellungen Bodmers. Die Schönheit der Robe wie der ganzen
Aufmachung der Frau kontrastiert mit der Einfachheit der Kleidung des Kinds
und seinem wirren Haar. Die meisten der von Bodmer Porträtierten richteten sich
so her, dass ihr Status (und ansatzweise der ihrer Gruppe) deutlich erkennbar
wurde. Das Mädchen stellt, wenn man so will, einen Einbruch des Alltags in die
Porträtserie dar, die diesem sonst überwiegend aus dem Weg geht.
Eben dieser Alltag wird aber unter einem anderen Gesichtspunkt wichtig. Der
Prinz weiss, dass die traditionellen indianischen Kulturen einem schnellen Vernichtungsprozess
ausgesetzt sind, darum betreibt er seine Sammeltätigkeit als
urgent ethnography. Bodmers Illustrationen haben so auch Objekte des täglichen
Gebrauchs zu dokumentieren, vom einfachen Werkzeug bis zum persönlichen
bzw. zeremoniellen Schmuck, wie er als Signet der Individualität auch in den
Porträts erscheint. Die Auswahl wird hier begrenzt durch die Begegnungssituation:
Europäische Männer begegneten indianischen Männern. Deshalb gehören
die Gegenstände und Waffen, die Wied sammelt und die Bodmer abbildet, fast
ausschliesslich ins Leben der Männer. (Dies, obwohl sie zum guten Teil von Frauen
hergestellt wurden.)
In den Illustrationen der Objekte zeigen sich zugleich zwei Tendenzen der
Ästhetisierung: Die klassischen Kulturen der Plains waren von einem starken
Selbstdarstellungsdrang der Männer bestimmt; die Gegenstände demonstrierten
immer auch Status, deswegen wurden sie schön gemacht. Ausserdem wird neben
dem Interesse an der breiten Dokumentation der fremden Kulturen mit der Abbildung
immer wieder noch ein zweites Interesse des weissen Beobachters befriedigt:
sich mit dem auseinanderzusetzen, wodurch diese Fremden für die eigene
Kultur interessant und wertvoll erscheinen. Viele Gegenstände haben jedenfalls
für uns auch in diesem Sinne hohen ästhetischen Wert. Dass Bodmer ebenfalls auf
ihn ansprach, veranschaulichen seine Blätter deutlich genug. Und hinter Wieds
genauen Beschreibungen und dem mehrfachen Gebrauch des Adjektivs «schön»
lässt sich dieselbe Reaktion zumindest vermuten.
Solche Tendenzen sind auch in Abbildungen alltäglicher Szenen ansatzweise
greifbar. In welcher Weise Grundbedürfnisse wie Unterkunft, Kleidung, Ernährung
und Fortbewegung befriedigt werden – elementares Interesse jeder Ethnologie –,
das zeigen auch Bodmers Illustrationen. Aber wie der wiedsche Text sind sie selektiv:
Sie stellen Wohnformen der Plains-Indianer wie Tipis und die Lodges der
Mandan dar, die den Reisenden pittoresk erschienen. Sie zeigen die Bisonjagd
(der Männer), aber nicht den Feldbau oder das Sammeln von Beeren und Wurzeln
(der Frauen). Sie zeigen das Pferd, doch weniger bei seinem unspektakulären Gebrauch
als Zugtier als in den (wieder «pittoresken») Momenten der Jagd oder des
freien Umherschweifens. Sie zeigen damit auch den Gegensatz von winterlicher
Armut und sommerlicher Fülle, vor allem aber zeigen sie die Männer in Momenten,
in denen sie ein gutes Bild machen. Die Selbstdarstellung dieser Männer ist
unterschwellig immer wieder ein Thema; in der Wiedergabe der Malerei auf einer
Robe Mato-Topes wird es direkt greifbar.
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