11.09.2023 Views

Bodmer_Publication

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

Damit ergibt sich auch der Ansatz zur Lösung eines Problems, das bei Wied und

Humboldt ungelöst bleibt. Bei beiden steht neben einer relativistischen Sicht der

verschiedenen Kulturen eine hierarchische, Kulturen haben zwar ihren Eigenwert,

aber ihnen wird grösserer oder geringerer Wert zugeschrieben.

Bei Humboldt erscheint das Problem systematischer als bei Wied, weil Kosmos

auf einer Geschichte des Fortschritts des Wissens gegründet ist: «In diesen beiden

Epochen der Weltansicht, dem ersten Erwachen des Bewußtseins der Völker und

dem endlichen, gleichzeitigen Anbau aller Zweige der Cultur, spiegeln sich zwei

Arten des Genusses ab» (4 – 5), und im Zuge der Geschichte treten deswegen «klare

Erkenntniß und Begrenzung» an die Stelle der bereits zitierten «dumpfen Ahndungen

und unvollständigen Inductionen». (5) Wie oben gezeigt, sind diese «dumpfen

Ahndungen» als sublime Erfahrungen der überwältigenden Grösse der Natur

Humboldt durchaus teuer, und wenn er Geschichte im Sinne der Goetheschen

Metamorphose versteht, bleibt Früheres im Späteren aufgehoben. Andererseits ist

ihm die Überwindung des Früheren Naturgesetz, und die politischen Implikationen

nimmt er in Kauf: So sind die Kulturen der Tropen, weil sie in «Bewunderung

und dumpfe[m] Erstaunen» gefangen bleiben (14 – 15), für den Fortschritt zum

«Naturgenuß, der aus Ideen entspringt» darauf angewiesen, dass sich im Kolonialismus

Kolonien und Mutterländer wechselseitig befruchten. (15) Der Kolonialismus

erscheint hier in idealistischer Verzerrung oder als idealistisches Wunschbild:

als freier Austausch, der angesichts des postulierten kulturellen Gefälles sicher

nicht egalitär gesehen wird, aber doch als essenziell frei von Ausbeutung und vielleicht

sogar von Gewalt.

Das heisst, dass bei Humboldt eine egalitäre Sicht angelegt ist, wenn bei ihm

der Fortschritt des Wissens in den Fähigkeiten des menschlichen Geistes an sich

gegründet ist. Zugleich legt fortschreitendes Wissen für ihn Hierarchien frei,

z wischen der eigenen Kultur und der fremden sowie zwischen Niveaus der

e igenen. Denn den Differenzen werden Wertungen zugeteilt, es bilden sich Urteile

und Vorurteile heraus, in einem diffizilen Spiel mit Ein- und Ausschluss, Akzeptanz

und Zurückweisung. Eine Tendenz zum Elitären ist schliesslich unübersehbar.

Der Gestus der Nobilitierung aber konterkariert bei Bodmer und Wied die

einfache kulturgeschichtliche Hierarchie zwischen weisser und indigener Kultur,

von der beide ohne Zweifel auch ausgehen, indem zugleich eine Begegnung mit

dem Fremden stattfindet, die auf Augenhöhe erfolgt.

An dieser Stelle kompliziert sich die politische Wertung letztlich unauflösbar.

Eine solche Historisierung Bodmers versucht, die Leistung seiner Darstellungen

der Plains-Indianer aus ihrem eigenen Kontext heraus zu begreifen, ohne ihre

ideologisch-politischen Verflechtungen zu leugnen, die sie schliesslich für die

Indianer stereotypen des 19. und 20. Jahrhunderts nutzbar machten. 30 Ganz generell

macht damit der Versuch, Bodmer durch Humboldt (bzw. die Humboldts) zu

lesen, auch augenfällig, was z. B. in Edward W. Saids Orientalism am Beispiel des

Westens und des Vorderen Orients immer wieder angesprochen, was aber auch

immer wieder überlesen wird: Dass nämlich die Perspektive der dominanten Seite

(z. B. einer Kolonialmacht) das Fremde zwar immer wieder ideologisch fehlinterpretiert,

zugleich aber oft auch konkretes Wissen von hohem Wert darüber

schafft. Bei Said bleibt das abstrakt, am Beispiel Bodmer/Wied wird es konkret. 31

113

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!