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Bodmer_Publication

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den USA mindestens so sehr wegen seiner Landschaftsdarstellungen wie wegen

der grossen Indianerporträts geschätzt. Er gehört dort in die Geschichte des

American Sublime. (Vgl. etwa Tableau 40.) Aus europäischer Perspektive steht er

mit seinem Gebrauch des Sublimen neben einer ganzen Reihe von Malern von

See- und Gebirgsszenen, die allesamt eine in ganz weitem Sinn romantische

Sehnsucht nach einer ganzheitlichen Erfahrung der überwältigenden, quasi göttlichen

Macht der Natur haben. In diesem grösseren Kontext kann man durchaus

ansetzen, dass Bodmer auch die Amerikasehnsucht seiner Zeit befriedigt. 22

4. Charakter

Neben dem Begriff der schönen Wissenschaft erscheint bei Wied der des

Charakteristischen – etwa in den Nachträgen zum Brasilienwerk 23 , die nach dem

nordamerikanischen Reisebericht publiziert wurden; das heisst, wir haben hier

ein übergreifendes, anhaltendes Interesse Wieds. Dieser sucht nach charakteristischen

Individuen, und Bodmer wird u. a. mitgenommen, weil ihm zuzutrauen

ist, diese korrekt abzubilden.

Der Begriff des Charakteristischen kehrt in der gesamten Rede des 19. Jahrhunderts

über fremde Völker wieder und ist u.a. geprägt durch Wilhelm von Humboldt,

den Bruder Alexanders. Wilhelms Einfluss auf die Sprachwissenschaft des

19. und 20. Jahrhunderts ist bekannt und lässt sich ganz grob als Fortentwicklung

Herderscher Vorstellungen umschreiben, nach denen sich der Charakter eines

Volkes in seiner Sprache ausdrückt. Daher rührt Wilhelms Einfluss u.a. auf die

amerikanische Ethnolinguistik und auf sprachphilosophische Konzeptionen wie

die Sapir-Whorf-Hypothese, nach welcher sich das Weltbild einer sprachlichen

Gemeinschaft nicht bloss in deren Sprache spiegelt, sondern durch sie geformt ist.

Das heisst, hier verbinden sich Sprache, Kultur und Ethnie zu einer Einheit, die

man als organisch bezeichnen muss. Was dabei wirksam wird, ist eine Konzeption

der «inneren Form», in der sich dieser Organizismus konkretisiert.

Dass Alexander solche Vorstellungen Wilhelms kannte, ist sicher. Eine der Quellen

für das Theorem ist ein Text, der die beiden Brüder miteinander verbindet:

«In his 1812 Essai sur les langues du Nouveau Continent, originally drafted for a

project by his brother Alexander but never published during the author’s life-time,

Wilhelm von Humboldt noted that ‹le monde dans lequel nous vivons est […]

exactement celui dans lequel nous transplante l’idiôme que nous parlons›.» 24

Es ist durchaus möglich, dass Maximilian diesen Text Wilhelms kannte oder durch

Alexander von ihm hörte. Für das hier intendierte Argument ist weder der eine

noch der andere Einfluss notwendig, es reicht vielmehr der Hinweis auf die Denktradition,

die zwei Jahrhunderte wirksam war und einen sinnvollen Kontext für

den Begriff des Charakteristischen bei Wied abgibt. (Dass sie im Übrigen auch

dessen linguistisches Interesse und damit die langen Wortlisten verschiedener

Stammessprachen im Reisewerk erklärt, ist ein willkommenes Nebenprodukt.)

Die Anwendung auf Bodmer muss den Sprung von der Sprache – sowohl als

Objekt wie als Medium der Analyse – zur Malerei machen, die schliesslich mit

Gegen ständen und Oberflächen zu tun hat. «Charakter» muss sich da anders

manifestieren, und er tut es verschieden und in Kombination mit Aspekten, die

bereits zur Sprache gekommen sind. In den ‹didaktischen› Landschaftsformen

wird durch die Genauigkeit der Linie und die ins Expressive hinüberwechselnde

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