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Bodmer_Publication

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Ethnie etc.) geschuldet, sondern der ordnenden Hand des Künstlers; sie ist im

Ganzen den Dingen äusserlich. In den klassischen Veduten, wie wir sie vor allem

in Vignetten finden, verdankt sie sich dem Blick, der von einem sorgfältig ausgesuchten

Punkt ausgeht und nach Möglichkeit mit Rahmenbildung arbeitet: links

ein Baum, rechts eine Anhöhe, oder dergleichen. (Vgl. etwa Vignette II.) Ziel ist

hier, eine organische Einheit der Landschaft abzubilden, und man darf spekulieren,

dass die verfliessende ovale Form der Vignetten – ein in der ersten Hälfte des

19. Jahrhunderts beliebtes Verfahren – diesen Effekt stützt. Die Komposition wird

als ‹Domesti kation› der Landschaft erkennbar und soll als solche erkennbar

werden. Man sieht immer wieder Pastorales, die Landschaft trägt nicht umsonst

Zeichen von Landwirtschaft. Aber es findet sich auch Pittoreskes, mit dem der

betrachtende Blick sich etwas anverwandelt, was befremdlich und damit nicht

von sich aus ‹schön› ist. (So in Tableau 5.)

In all diesen Fällen kommuniziert das Bild durch seine Ästhetik, dass und wie

der menschliche Intellekt wissend den dargestellten Gegenstand beherrscht.

Es kann aber auch kommunizieren, dass der Intellekt an seine Grenzen kommt.

3. Das Sublime

Humboldt ist nicht so naiv zu glauben, dass man dem vollständigen Verständnis

der Natur inzwischen auch nur nahegekommen sei. Für ihn wäre solch ein

Verständnis vielmehr im Grunde undenkbar, weil Natur Veränderung ist: An einer

Stelle greift er auf Goethes Metamorphosebegriff zurück (21 – 22); und derselbe

Begriff bewahrt ihn davor, das Fortschrittspostulat in eine lineare Geschichte einmünden

zu lassen, die den Gang der Geschichte mit der Gegenwart abschliessen

würde. Noch die fortgeschrittenste Wissenschaft versteht bei ihm die Welt nur im

konkreten Horizont eines umfassenderen Nicht-Verstehens. Sie versteht, dass sie

nicht ganz versteht, und sie bezieht den letzten, grössten Genuss gerade daraus.

Diese Grenzerfahrung wird gemeinhin mit dem primär ästhetischen Begriff des

Sublimen, des Erhabenen gefasst, und genau mit diesem Begriff schlägt Humboldt

sich implizit und explizit herum. Explizit tut er es, wenn er ihn (neben dem des

Malerischen, des Pittoresken, mit dem er bei ihm unklar verschwimmt) mehrfach

in entscheidender Position als Validierung des Erkenntnisgenusses verwendet und

wenn ihn das zur Auseinandersetzung mit Burkes Definition des Sublimen zwingt. 20

Implizit schlägt er sich damit herum, wenn er von der Leistung fremder Kulturen,

die für ihn auf früherer Kulturstufe stehen, spricht. Wissen erscheint bei ihnen in

Form «dumpfer Ahndungen und unvollständiger Inductionen» (5), assoziiert mit

einem Staunen, das in die Nähe des Sublimen führt. 21 Es hat darum hohen Wert,

aber es muss bei Humboldt zugleich im Gang der Geschichte überwunden werden:

Kulturen gehen in anderen auf, werden von anderen im einen oder anderen Sinn

besiegt. Da ist ein Konflikt angelegt, von dem später zu reden sein wird.

Auch beim Sublimen geht es wieder um Einheit, nun aber letztlich um die

A ll-Einheit der Natur an sich. Sublim sind in der Kunst deshalb in erster Linie

Landschaften, die in ihrer überwältigenden Einheit nicht mehr als ‹gemacht›, sondern

als ‹erfahren› wirken sollen – so sehr da auch tatsächlich komponiert und

(z. B. beim Licht) manipuliert wird. Die Fremdartigkeit der Landschaft begünstigt

diese Perspektive oder scheint sie nachgerade zu fordern, und die Neue Welt hat

sich in ihrer Fremdheit gerade im 19. Jahrhundert als Ort des Sublimen angeboten.

Eine solche Darstellung verleiht dem Ort ideologischen Wert, und Bodmer wird in

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