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Bodmer_Publication

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Wied durch den programmatischen Humboldt «lesen» und verstehen kann,

sondern das ganze Unternehmen der Reise in das innere Nord-America, Bodmers

Beitrag dazu mit ganz hohem Stellenwert eingeschlossen.

2. Einheit

Wissen und Genuss finden bei Humboldt in der Erkenntnis einer Einheit und

Ordnung des Betrachteten zusammen. Eine der Fragen, die die «Einleitenden

Betrachtungen» zum Kosmos stellen, ist, «wie der Naturgenuß, verschiedenartig in

seinen inneren Quellen, durch klare Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen

und in die Harmonie der belebenden Kräfte erhöht werden könne.» 15

Der rationalen Erkenntnis des organischen Zusammenhangs alles Seienden wird

damit ein ästhetisch-hedonistischer Wert zugeschrieben, den die «Einleitenden

Betrachtungen» ausfalten und begründen.

Die Begründung dieser Wertsetzung, die Erkenntnis und Ästhetik miteinander

koppelt, gibt Humboldt eher implizit als explizit, aber er stellt sie mit einer kurzen

Bemerkung am Anfang seiner Überlegungen auf eine solide Basis: «Die Natur aber

ist das Reich der Freiheit […]» (4) In der Betrachtung des «Reichs der Freiheit»,

darf man wohl extrapolieren, erfährt sich der Geist, idealistisch und lustvoll

zugleich, als frei, und hinter der hedonistischen Perspektive des Texts öffnet sich

eine Antwort auf die Frage nach dem guten Leben. 16

Wenn die Ordnung der Dinge sichtbar wird, ist das schön. Und wenn Erkennen

und Geniessen so verschmelzen, wird verständich, dass Genauigkeit ästhetische

Qualitäten annimmt – man vergleiche nur einmal die fotografische Aufnahme

einer Ausgrabungsstätte mit deren steingerechter Zeichnung, oder auch Landschaftsaufnahmen

vom oberen Missouri mit Bodmers Blättern. Das Werk der

menschlichen Hand hat jeweils einen Überschuss an Genauigkeit vorzuweisen,

der zugleich ein Überschuss an Schönheit ist. 17

Dass Wissen Genuss bedeutet, heisst also noch lange nicht, es dürfe darum unscharf

werden – im Gegenteil. (Humboldts Kosmos vertritt entsprechend einen

starken methodologischen Empirismus. 18 ) Genaue Bestandsaufnahme ist die

Basis des Wissens wie des ästhetischen Appeals. Bodmers zwei Tableaux mit

« Geräthschaften» (21 und 48) machen das deutlich: Ganz abgesehen vom gekonnten

Arrangement (s.u.) erhält schon das einzelne Objekt eine ästhetische Qualität,

die ihm nicht nur inhärent ist – schliesslich sind diese Gegenstände in sich

schön –, sondern auch Produkt ihrer Darstellung. Vergleichbares gilt für die zwei

Tableaux 34 und 35 mit Abfolgen von Landschaftsformen, wenngleich hier noch

Anderes wirksam wird: Es handelt sich nicht umsonst um pittoreske Formen mit

ganz eigenem Charakter (worüber später zu sprechen sein wird) und um geologische

Formen, in denen die Erdgeschichte und die in ihr wirksamen Kräfte

sichtbar werden.

Kausalität, wie sie in diesen Blättern augenscheinlich wird, hat im Kosmos

einen hohen Stellenwert, und zwar im Zusammenhang mit der Suche nach dem

organischen Ganzen und ihren theoretisch-methodologischen Implikationen.

Das Ganze wird dort erkennbar, wo die Vielfalt der Erscheinungen durch den

Rückgriff auf Ursprünge und Kausalitäten erklärt werden kann. Ganzheit ist d amit,

so scheint es, einerseits substanziell gedacht – das Eine, aus dem Vieles entsteht –,

und andererseits formal – ein allgemeines Gesetz der Kausalität faltet sich aus in

Kausalitäten, die ihrerseits die Vielfalt der Erscheinungen begründen. Das ergibt

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