T-0060 - Die Menschheit überlebt nur, wenn sie zum ..
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Heinz Kappes
„Die Menschheit überlebt nur,
wenn sie zum Über-Leben emporsteigt“
(Humanity will survive only, if she will rise up to an Over-Life)
Volksbildungswerk Freudenstadt/Schwarzwald
Vortrag am 26. 10. 1970
Heinz Kappes: „Die Menschheit überlebt nur, 2 von 11
Die Niederschrift des Vortrags folgt dem gesprochenen Wort. Sämtliche Zitate, soweit als solche
erkennbar, wurden in Anführungszeichen gesetzt und die entsprechende Quellenangabe wenn
möglich als Fußnote hinzugefügt.
Während seiner erzwungenen Emigration hatte Heinz Kappes 1944 das Magnum Opus Sri
Aurobindo´s, das „Life Divine“ in einem Antiquariat in Jerusalem entdeckt. „Der Weg zu einem
‚göttlichen Leben auf der Erde‛ ‚zum Reich Gottes Jesu‛ wurde hier in einer überwältigenden
Schau und Sprache gewiesen. Seit dieser Zeit mußte ich geistig und praktisch im ‚Integralen Yoga‛
leben.“
Der Text ist für den Einzelnen bestimmt (oder in Kopie zur persönlichen Weitergabe an Interessierte)
und darf nicht für kommerzielle Interessen genutzt werden.
„Die Menschheit überlebt nur,
wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“
(Humanity will survive only, if she will rise up to an Over-Life)
Vortrag im Volksbildungswerk Freudenstadt/Schwarzwald am 26. 10. 1970
T-0060
Zu Beginn dieses Jahrhunderts beherrschte die westliche Menschheit ein fast grenzenloser Optimismus.
Je mehr wir uns dem Jahr 2000 nähern, desto unheimlicher stehen die Gefahren vor uns,
die unsere Existenz bedrohen.
Der schwedische Präsident der Welt-Friedens-Forschungs-Institute und Politiker Gunnar Myrdal
zitierte in seiner Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, in
Frankfurt am 28.09.1970 ein Wort, das der bekannte englische Friedenskämpfer und Humanist
Bertrand Russell bei klarem Bewußtsein kurz vor seinem Tod gesagt habe: „Die Menschheit habe
nur eine 50:50 Chance, das Ende dieses 20.Jahrhunderts zu überleben.“
Myrdal stellt auf dem Hintergrund der unerfüllten Charta der Vereinten Nationen die aktuellen Gefahren
dar, u.a.: die Balance des Terrors durch die ABC-Waffen - und die ständig wachsenden
Rüstungsausgaben der großen und kleinen Nationen unter Vernachlässigung des sozialen Lebensstandards,
der Bildung und Kultur -, die fortschreitende Vergiftung unserer Umwelt einschließlich
der Meere -, die zu einer furchtbaren Weltkatastrophe treibende Bevölkerungsexplosion zusammen
mit der Unfähigkeit, den Welthunger zu beseitigen -, die perverse und verrückte Verwendung
technischer Errungenschaften zu destruktiven Zwecken. Er schloß seine Rede:
„Wenn wir uns nicht unserer Voraussicht bedienen und gemeinsame Maßnahmen ergreifen,
diese Katastrophe abzuwenden, werden wir alle zugrunde gehen. Dann gibt es keine Nachwelt!“
Der kürzlich verstorbene Physiker und Nobelpreisträger Max Born sagt in einem Lebensbericht:
„Es scheint mir, daß der Versuch der Natur, auf dieser Erde ein denkendes Wesen hervorzubringen,
gescheitert ist.“ – Den Grund sieht er darin, daß in diesem Wesen tierische Instinkte
mit intellektuellen Kräften so unheilvoll vermischt sind, daß diese Mischung nicht unter Kontrolle
gehalten werden kann. „Das Versuchswesen“ ist auf Selbstzerstörung angelegt. Selbst wenn
die Gattung Mensch sich listig an der Selbstvernichtung durch die A- und H-Bomben vorbeischleichen
sollte, wird das um den Preis der Freiheit und Selbstverantwortlichkeit geschehen.
Es wird in naher Zukunft nur noch riesige Herden von dummen, dumpfen Existenzen geben,
die tyrannische Machtmenschen, mit Hilfe einer wissenschaftlich fundierten Technik, dahin
gängeln, wohin sie sollen. Die Zeit der freien, humanen, verantwortlichen Existenz ist dahin,
und der Grund dafür liegt in der Konstitution des Menschen selbst: in der Fähigkeit einer Minorität
naturwissenschaftlich zu denken, und dadurch die Welt zu verändern.“
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 3 von 11
Als der Prototypus dieser naturwissenschaftlich denkenden Kybernetiker kann man wohl den
Karlsruher Professor Karl Steinbuch bezeichnen, der vor allem mit seinen beiden Büchern „Falsch
programmiert“ und „Programm 2000“ ungeheures Aufsehen erregte. Er ist absolut optimistisch. Er
will: „trotz aller Komplexität der zukünftigen gesellschaftlichen Realität“ die Freiheit mit den besten
Mitteln des menschlichen Denkens planen und sicherstellen. Dazu ist möglicherweise eine ganz
andere Moral notwendig, als sie die tradierte Moral darstellt – eine Moral, die weder eine tradierte
Begründung noch eine metaphysische Rechtfertigung in Anspruch nimmt, die lediglich danach
fragt welche Folgen eine Handlung hat, und wie diese im Sinn des akzeptierten Wertsystems zu
beurteilen ist. („Falsch programmiert“ S. 174)
„Unsere Gesellschaft hat die Möglichkeit, in der Zukunft erfolgreich, friedlich und human zu leben;
sie hat sogar die Chance, wohlhabend und angesehen zu sein; hierzu fehlen uns nicht
Fleiß, Mut und Intelligenz unserer Menschen. Wir dürfen aber nicht auf den Ruinen der Vergangenheit
stecken bleiben, sondern müssen uns der Forderung des Tages stellen und mit
Hoffnung der Zukunft entgegensehen“ (S. 177)
„Der Mensch ist ein Stück Natur, ein Objekt exakt-wissenschaftlicher Forschung. Die vielfältigen
Erfahrungen der Verhaltensforschung und Experimentalpsychologie, der Psychoanalyse,
die das Unbewußte im Menschen nach seinen Gesetzlichkeiten erforscht, die Kybernetik, welche
diese Erfahrungen formal zusammenfaßt und zeigt, daß zur Erklärung geistiger Vorgänge
keine Voraussetzungen gemacht werden müssen, die über die Physik hinausgehen. Das
menschliche Selbst-Verständnis muß ein glaubwürdiges Menschenbild anstreben, das wohl die
folgenden Tatsachen in sich vereinigen muß:
Der Mensch nimmt innerhalb der Welt keine grundsätzlich andere Stellung ein als jedes andere
Lebewesen, aber: trotz dieser bescheidenen Stellung des Menschen engagieren wir uns für die
Erhaltung der menschlichen Kultur...“ (Programm 2000)
Anders der Geisteswissenschaftler Georg Picht, Heidelberg, der in seinen 1968 als Buch („Mut zur
Utopie“) veröffentlichten Heidelberger Radioreden von der Vernunft sagt:
„Die Vernunft vermag nicht mehr, mit dem Licht des Glaubens ihren eigenen Ursprungsbereich
zu durchleuchten. Wir sollen unsere Zukunft produzieren. Aber den Grundakt der Produktion,
nämlich die Konstitution der Vernunft als solcher, hat die Vernunft im Prozeß der Aufklärung
verlernt. Werden die Flammenzeichen der drohenden Weltkatastrophe die Kraft besitzen, die
Blindheit des modernen Denkens zu durchbrechen, und uns jene Verantwortung erkennen zu
lassen, aus der sich durch Offenbarung Gottes Vernunft in der geschichtlichen Stunde konstituiert?“
(S. 142)
„Es ist zwar möglich, aber es ist unwahrscheinlich, daß die Vernichtung des größeren Teiles
der Menschheit und aller bisheriger Formen der Kultur verhütet werden kann. Das Experiment
Mensch wird gescheitert sein, wenn es nicht gelingt, in wenigen Jahrzehnten eine neue politische
Ordnung der gesamten bisherigen Staatenwelt zu errichten -, die Waffensysteme abzubauen
-, die Führung von Kriegen technisch unmöglich zu machen -, im Rahmen einer revolutionären
Neuordnung der Weltwirtschaft eine Neuverteilung des Reichtums der Welt herbeizuführen
-, in kürzester Zeit riesige Bildungssysteme aufzubauen - und durch einschneidende
Konsumverzichte der reichen Länder, die Mittel für den Aufbau der Infrastruktur der technischen
Welt in sämtlichen Erdteilen bereitzustellen. Die Menschheit wird nur überleben, wenn
es gelingt, in planetarischem Ausmaß die Gesamtheit jener Probleme zu lösen, an denen die
hochentwickelten Länder innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften bisher gescheitert sind.“
„Die Zukunft des Menschengeschlechtes hängt davon ab, ob es gelingt, in einem qualitativen
Sprung eine neue Stufe der kollektiven Moral und eine neue Stufe der kollektiven Vernunft zu
erreichen. Wir treten in eine Weltepoche ein, in der jeder einzelne von uns durch Prüfungen
hindurchgehen muß, die alles, was mürbe, faul und brüchig ist, verbrennen - und alles, was wir
für unzerstörbar halten, auf die Probe stellen.— Diesmal ist der Bestand der ganzen Menschheit
bedroht; nur diese äußerste Gefahr kann jenen ungeheuren Wandel des Bewußtseins erzwingen,
der aus der Menschlichkeit des Menschen eine neue Gestalt der geschichtlichen Zukunft
hervorgehen läßt. (Kap.12 „Die Zukunft des Menschen“ bis Seite 154)
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 4 von 11
Zum Abschluß dieser Stimmen aus unserer Zeit noch ein Zitat aus Jean Gebser’s neuestem Buch
„Der unsichtbare Ursprung“ (Walter-Verlag):
„Wir dürfen uns angesichts des grauenhaften Geschehens, das sich heute vor unser aller Augen
weltweit ereignet, nicht dazu hinreißen lassen, in Depression und Verzweiflung zu verfallen.
Damit stärken wir lediglich die Position der „Niedergängler“.— Ihr Unvermögen, den Plan
der geistigen Kräfte zu zerstören, treibt sie in die zerstörende Raserei. Aber die Stille ist stärker
als das Laute und Lärmende.— Der in sich selbst Gesicherte ist stärker als der absichtsvoll eine
materielle Sicherheit Suchende, selbst dann, wenn er von ihm, dem Sicherheits-Sucher, getötet
wird. Jede echte Stärke ist jedweder Form der Gewalt überlegen.— Wir sollten uns bewußt
sein oder uns doch wenigstens bewußt werden, daß geistige Kräfte, vor allem jene durch
Jesus Christus in der Menschheit erweckten Kräfte der Nächstenliebe, der Liebe, uns zu
schützen versuchen. Uns steht eine Kraft zur Seite und wohnt in uns, die dem Niedergang, der
„verschlossenen Innertheit der Welt“ gewachsen ist. Es wäre wahrlich gut, wir beherzigten sie!“
(S. 109/110)
Das sind zwei verschiedene Arten von Warner: die Futurologen und die Propheten. Die Futurologen
gründen ihre Voraussagen auf die mathematische Gewißheit. Die Propheten stehen mit ihrer
Gewißheit im göttlichen Bereich, und arbeiten aus ihm an der Transformation des Menschen, da ja
nur der wirklich erneuerte Mensch jene neuen Verhältnisse erschaffen kann, welche die Futurologen
mit Recht fordern.
Sri Aurobindo ist der erleuchtetste und dynamischste Prophet unserer Epoche. Otto Wolff bezeichnet
ihn in der bei Rowohlt erschienen Taschenbuch-Biographie als:
„einen Helfer und Führer in der Evolution des menschlichen Selbstverständnisses“.
Sri Aurobindo sagt:
„Die Evolution, die wir in dieser Welt sehen, ist ein langsamer und schwieriger Prozeß und
braucht ohne Zweifel gewöhnlich ganze Zeitalter, um bleibende Ergebnisse zu erzielen.
Im Gegensatz dazu ist (jetzt) eine Evolution im Licht, und nicht mehr in der Dunkelheit möglich,
in der das evolvierende Wesen, der Mensch, ein bewußter Teilhaber und Mitarbeiter ist.
Genau das ist es, was hier in der Welt eintreten muß.“
Träger dieser „Evolution im Licht“ ist der Neue Mensch, der in einem geistigen Aufstieg sein Unbewußtes
und Unterbewußtes in das Überbewußte integriert. Er kommt auf den von Sri Aurobindo
erfahrenen und beschriebenen Stufen der „Höheren“, der „Erleuchteten“, der „Intuitiven“ Mentalstruktur,
über das bisher von den größten Geistern erreichte „Übermental“ empor, und erreicht die
Stufe des „Supramentals“. Der wahrhaft geistige (göttliche) Mensch, der supramentale Mensch, ist
jener Über-Mensch („Superman ist Supermind“), der als die neue Mutationsgestalt der Evolution
den Sinn dieser universalen Krise erfüllt.
Sri Aurobindo ist kein Philosoph, kein Theologe, kein spekulativer Intellektualist. Er ist ein Yogin,
ein Praktiker auf dem Weg des Geistes, der mit dem vollen Einsatz seiner ganzen Existenz alle
Yogawege Indiens erprobte und tatsächlich zu dem bisher noch nicht erreichten Gipfel des
„Supermind“ emporgestiegen ist. Er legt in seinen Schriften diese Erfahrungen vor, damit sie durch
experimentellen Nachvollzug auf ihren Wert geprüft werden. Yoga, diese uralte physisch-geistige
Disziplin, ist der Weg zum Einswerden mit dem “Divine“, mit Gott in allen seinen personalen,
a-personalen und trans-personalen Aspekten. Wer Ihn in seinem Innern realisiert, muß!! Ihn auch
in der Welt zu deren Transformation realisieren!
„Wir praktizieren unseren Yoga nicht für uns selbst. Vielmehr ist er für Gott. (The Divine) Sein
Ziel ist, den Willen Gottes in der Welt zu verwirklichen, eine geistige Transformation zu realisieren
sowie eine Natur und ein Leben aus Göttlichem Wesen in die mentale, vitale und physische
Natur und in das Leben der Menschheit hernieder zu bringen. Sein Ziel ist nicht nur
die persönliche Befreiung (durch die Flucht in das Nirvana) oder die persönliche Seligkeit
(das Paradies), sondern das Herabbringen der schöpferischen göttlichen Freude auf die Erde:
Christi „Reich Gottes“, das „Zeitalter der Wahrheit“ des Hinduismus.
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 5 von 11
Dieses “Divine Life“ nennt Sri Aurobindo auch das “Superlife“, das Leben aus dem Göttlichen
Überbewußtsein, das der geistige Übermensch aus dem ihm geoffenbarten und ihn umgestaltenden
Supramental führt.
Sri Aurobindo sagt über dieses Supramental:
„Ich will ein Prinzip innerer Wahrheit, des Lichtes, der Harmonie und des Friedens in das Erdenbewußtsein
einführen. Ich sehe es über mir und weiß, was es ist. Ich fühle es, wie es immer
von oben auf mein Bewußtsein hernieder leuchtet. Darum muß ich es ihm möglich machen,
daß es das ganze Wesen des Menschen in seine ursprüngliche Macht emporhebt,
damit nicht die menschliche Natur immer weiter in einem Halb-Licht und Halb-Dunkel verbleiben
muß. Ich glaube, daß es der endgültige Sinn der Erden-Evolution ist, daß diese Wahrheit
hernieder kommt und hier den Weg zu einer Entfaltung des göttlichen Bewußtseins öffnet.“
Die äußeren Fakten dieses außerordentlichen Lebens eines zeitgenössischen Propheten werden
aus Wort und Bild der erwähnten Biographie sowie aus der Autobiographie ersichtlich, die wir in
der Ersten Nummer unserer unten erwähnten Textsammlung veröffentlichten.
1872 in Kalkutta geboren, von seinem sechsten Lebensjahr bis zum glänzenden Abschluß seiner
Universitätsstudien in Cambridge in England aufgewachsen, von 1893 bis 1910 neben pädagogischer
Tätigkeit der „Prophet des modernen indischen National-Bewußtseins“ (wie ihn der Gouverneur
von Kaschmir, Dr. Karen Singh, in seiner Doktor-Dissertation beschreibt), der Schöpfer jener
Prinzipien, nach denen Gandhi später seinen Kampf um die Befreiung Indiens führte. Sri Aurobindo
wurde durch eine einjährige Untersuchungshaft (die mit einem Freispruch endete) aus seiner
politischen Laufbahn herausgerissen. Wegen der dauernden Verfolgung durch die britische Geheimpolizei,
wich er aufgrund einer inneren Weisung in die damals französische Kolonie Pondicherry
aus, wo er die 40 Jahre von 1910 bis zu seinem Tod 1950 lebte.
Wenn seine gesamten (englisch geschriebenen) Werke in der Jubiläumsausgabe von 1972 vorliegen,
werden es mehr als 25 Bände mit über 14 000 Seiten sein. Darunter sind seine drei Yoga-
Hauptwerke:
“Life Divine“ in philosophischer Sprache,
“The Synthesis of Yoga“ in praktischer Psychologie,
„Savitri“ (24 000 Verse) ein symbolisches Epos: „Die Odyssee der menschlichen Seele“.
Dazu viele kleinere Yogaschriften.
Ferner mehrere Bände von Briefen, in denen er praktische Fragen seiner Schüler beantwortet.
Viele spirituelle Gedichte und symbolische Theaterstücke,
mehrere Werke zur Deutung der Veden, der Upanishaden und der Bhagavadgita,
geistig-politische Bücher:
“The Human Cycle“ (deutsch „Der Zyklus der menschlichen Entwicklung),
“The Ideal of Human Unity“,
“War und Self-Determination“,
neben vielen Artikeln und Broschüren aus seiner Kampfzeit.
Vieles ist in andere Sprachen übersetzt, auch ins Chinesische und Tschechische, wenn es auch
noch nicht gedruckt veröffentlicht werden konnte. Über die in deutsch erschienenen Schriften gibt
der Sri Aurobindo Verlag in Zollikon Auskunft. (Stand 1970)
Die umfassendste Einführung sind die 24 Hefte a 80 Seiten mit ausschließlich Übersetzungen aus
den Werken Sri Aurobindo´s und Äußerungen ´Der Mutter`, jetzt in den sechs Jahresbänden 1964-
1969 unter dem Titel „Integraler Yoga“ erhältlich. Übersetzung und Herausgabe von Heinz Kappes.
Die Lektüre ist ein geistig-physisches Praktikum des „Integralen Yoga“, den man nur in dem Maße
verstehen kann, wie man ihn im Leben verwirklicht. 1
Der Grund-Satz der Bergpredigt Jesu heißt:
1 Diese an verschiedenen Stellen zitierten Yoga-Hefte sind vergriffen. Ihre Herausgabe wurde nach dem
Erscheinen der deutschsprachigen Übersetzungen der Werke Sri Aurobindo´s durch den Verlag Hinder &
Deelmann eingestellt.
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„Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“. (Matth.5/48)
Diese Vollkommenheit ist aber kein idealistisches, ethisches Idealbild, sondern der konkrete Neue
Mensch: die gerade für unsere Evolutionskrise geoffenbarte, uns entgegenkommende Gestalt des
schöpferischen göttlichen Geistes. – „Gott“ und „Geist“: für die Psychologie Sri Aurobindo´s bezeichnen
beide Worte das „Absolute“, das der Mensch je nach der Höhe seines Bewußtseins als
das „Sein“ und als die Kraft des „Werdens“ in einer immer umfassenderen Weise erfährt. In einem
einzigen Satz mit 321 englischen Wörtern hat Sri Aurobindo einmal im “Life Divine“ die vielen polaren
Aspekte des Divine dargestellt, die aber auch jenes Absolute einschließen, das der Atheist
anerkennt.
‛Geist ist das weiße ‛Licht, die Urkraft des Werdens, die aus Gott, dem Sein, in dem stetigen Prozeß
des Erschaffens hervortritt. Sri Aurobindo hat in einer genialen Weise die naturwissenschaftliche
Evolutionstheorie ausgeweitet: Das Absolute Sein wird sich seines Selbst bewußt und tritt so
als ´Wesen` aus der in sich konzentrierten Unendlichkeit in die Endlichkeit hervor. Die alle Energien
umfassende Ur-Energie (eben dieses Licht, das der Erleuchtete real erfährt), der Geist, „involviert“
sich dauernd im Schöpfungsprozeß, also in der Nicht-Bewußtheit des äußersten Aggregatszustands
der Materie. Er wirkt dort als das scheinbar mechanische Naturgesetz der Spannung
zwischen dem negativen und positiven Pol der Kraft. Als das Leben tritt er im Unterbewußtsein des
Instinkts in Pflanze und Tier hervor. Im mentalen Wesen (mens, mind, manas, Mensch, Manu)
erreicht er sein waches Bewußtsein, das aber immer noch eine Unwissenheit ist. Auch die höchste
Form des Mentals, die Vernunft (von: vernehmen) ist involvierter Geist, und nicht der ‛Geist selbst.
Doch besitzt der Mensch (wie alle etwaigen mentalen Wesen im Kosmos) die Fähigkeit, den
„Computer“ der Vernunft nun bewußt vom ‛Geist „programmieren“ zu lassen. Erst mit diesem bewußten
Streben (Aspiration) nach Geist-Bewußtsein kann der Mensch auch Gott (in welchen
Aspekten auch immer) realisieren.
Sri Aurobindo hatte drei datierbare fundamentale Gotteserfahrungen. Die erste geschah, als er
unter Anleitung des Yogi Vishnu Bhaskar Lele, 36 Jahre alt, im Januar 1908 so intensiv meditierte,
daß er schon in drei Tagen die Einung mit dem „trans-personalen Sein“ erlebte. Meister Eckehart
nennt es das „überseiende Sein“ oder den „übergotten Gott“. Sri Aurobindo berichtet darüber in
seiner Autobiographie (in der dritten Person):
„Das Mental wurde still, und auch das ganze Bewußtsein versank in eine absolute Stille.
Während dieses Schweigens erfuhr er die fortdauernde Realisation des undefinierbaren
Brahman, das absolute „ES“, dem gegenüber das ganze Universum als etwas Unreales erschien
– nur dieses „ES“ existierte. Er behielt diese Stille mehrere Monate lang, und sie
verblieb immer in seinem Inneren. Denn als die Aktivität zurückkam, vollzog sich diese nur an
der Oberfläche.“
Dabei ging die turbulente politische Aktivität weiter, und am 19.01.1908 mußte er in Bombay in
einer Massenversammlung zur politischen Lage Indiens sprechen – eine der charismatischsten
politischen Reden, die je von einem Politiker gehalten wurden:
„Doch befand er sich zu keiner Zeit in einem Trance-Zustand. Etwas in ihm sah alles, was
vorging, und handelte nach den Erfordernissen des Augenblicks, ohne daß ein begrifflicher
Gedanke oder eine persönliche Willensanstrengung notwendig war. Seit jener Zeit sind aus
derselben Quelle oberhalb des Gehirn-Mentals zu ihm alle mentalen Betätigungen gekommen:
das Reden, Schreiben, Denken, der Wille und die anderen verwandten Tätigkeiten. Er
war in das spirituelle Mental und in jene Sphäre eingetreten, die er später als das Bewußtsein
des Höheren, Erleuchteten und Intuitiven Mentals bezeichnete. Diese erste Yoga-
Realisation war der wahre Anfang und die Grundlage seines Yoga.“
Die zweite Realisation des Divine erlebte Sri Aurobindo ein Jahr später im Gefängnis von Alipore,
wo er ein volles Jahr in Untersuchungshaft saß. Es war das Ende seiner politischen Aktivität. Er
haderte mit dem Schicksal, bis er (wie er nachher in einer Rede darstellte) den persönlichen Gott
in der Gestalt des Krishna der „Bhagavadgita“ erlebte:
„Es schien mir, als ob Er zu mir redete: „Ich habe dich hierher gebracht. Ich habe ein anderes
Werk für dich zu tun und will dich hier lehren, was du für dich allein nicht lernen konntest, und
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 7 von 11
um dich für Mein Werk zu trainieren. Dann legte er die „Bhagavadgita“ in meine Hände. Seine
Kraft drang in mich hinein. So war ich fähig, die Disziplinen des dreifachen Yoga der Gita
auszuführen.“
Das ist der Karma-Yoga des richtigen Handelns - ohne eigenen Anspruch auf Lohn - als das
Werkzeug Gottes, der allein der Handelnde ist,
der Jnana-Yoga, des richtigen Denkens, des Schauens mit der erleuchteten Vernunft (Buddhi),
der Bhakti-Yoga der universalen Gottes- und Menschenliebe.
So konnte Sri Aurobindo im Gefängnis und vor Gericht die dauernde Gegenwart Gottes in allen
widrigen und förderlichen Umständen realisieren. Seinem persönlichen Gott überantwortete er von
da ab sein Leben.
Darum spielt im Integralen Yoga Sri Aurobindo`s weder die Bindung an einen persönlichen „Guru“
noch die Fixierung auf eine uniforme Methode eine Rolle:
„Gott allein ist dein Guru. Daß Gott selbst es ist, wirst du dann entdecken, wenn das Wissen
zu dir gekommen ist. Dann wirst du dessen innewerden, daß auch die scheinbar geringsten
Umstände in dir und außerhalb von dir durch die unendliche Weisheit bis ins Feinste geplant
und zuwege gebracht worden sind, um den natürlichen Fortschritt deines Yoga zu lenken.“
Erst in Pondicherry, wo Sri Aurobindo während der vier ersten Jahre bis 1914 in strengster Zurückgezogenheit
alle bekannten Yoga-Disziplinen selbst übte, fand er in der dritten Gott-
Realisation das Ziel seines Integralen Yoga, der ja kein Amalgamat der anderen Disziplinen, sondern
„ein ganz neues Abenteuer des Geistes“ ist. Er sagt:
„Diese dritte Realisation des Divine vereinte die beiden Enden der Existenz: Den Geist und
die Materie und harmonisierte sie miteinander. Die meisten Yoga-Disziplinen sind Wege zum
Jenseits, die zwar zum Geist hin-, jedoch letzten Endes vom Leben wegführen. Sri Aurobindo´s
Pfad steigt zwar zum Geist empor, doch kehrt er dann mit allem dort Gewonnenen auf
die Erde zurück, um das Licht, die Macht und die schöpferische Freude des Geistes in das
Leben hernieder zu bringen und dieses zu verwandeln. Die gegenwärtige Existenz des Menschen
auf der Welt ist nach der Schau Sri Aurobindo`s noch ein Leben in der Unwissenheit
auf der Grundlage der Unbewußtheit. Aber selbst in der Finsternis und in der Nichtbewußtheit
der Materie und des Lebens sind die Gegenwart und alle Möglichkeiten des Divine „involviert“.
Darum ist die erschaffene Welt der Schauplatz einer geistigen Evolution, durch die
das Bewußtsein Gottes fortschreitend aus der materiellen Nicht-Bewußtheit befreit und im
ganzen Kosmos manifestiert werden soll. Das Mental ist zwar der höchste Begriff, der bisher
in der Evolution erreicht worden ist, aber es ist nicht das Höchste, dessen die Evolution fähig
ist. Oberhalb des Mentals gibt es das Supramental, ein ewiges Wahrheitsbewußtsein, das
seiner Natur nach das Licht und die Macht des Wahrheitsbewußtseins Gottes ist. In diesem
Wahrheitswissen ist Er Seines Selbst inne und determiniert von dort her die Evolution.“
Das Ziel dieses Yoga ist es, in den vielartigen Prozessen einer dynamischen Meditation des
Supramentals innezuwerden und so bis in die höchsten Bewußtseins-Stufen emporzusteigen.
Doch mag dazu ein einziges Leben nicht ausreichen. In der Gottheit ist die Urseele jedes Individuums
(,Jiva'), die sich in aufsteigender Linie in den vormenschlichen, menschlichen und übermenschlichen
Gestaltungen dieses absoluten individuellen Selbst inkarniert. Bei ihrem Weitergehen
nimmt sie jeweils die Essenz des abgelaufenen Daseins mit sich, vergißt die frühere Rolle
(persona) und wartet in der Stille und im Frieden Gottes auf den neuen Ruf ins Dasein. So geht
kein irdisches Streben nach Vollkommenheit verloren. Unsere Geist-Seele bleibt also als der ,Jiva'
immer im göttlichen Licht, ist aber zugleich auch unser Selbst, das unsere jetzige Evolution lenkt.
Die Seele muß wachsen, Erfahrungen sammeln und eine immer vollkommenere Personalität bilden.
Diese Notwendigkeit regiert die Linie ihrer Evolution. So wird jene Geist-Person entfaltet, die
größer ist als die jeweilige Personalität. Durch die evolutionistische Wiedergeburt wird das Menschenleben
zu einer Stufenfolge des sich entfaltenden Geistes. Die menschliche Seele und der
kosmische Geist erkennen einander. Darum kann es nicht das Ziel eines Integralen Yoga sein, von
der Wiedergeburt zu erlösen (wie es etwa der Buddhismus versucht), sondern die Seele muß
durch ihre individuelle Entwicklung die kosmische Evolution intensivieren. Wenn die Seele aus
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dem Kosmos in das absolute Sein entflieht und sich dort auflöst, überläßt sie die Schöpfung den
Mächten der Vernichtung. Sie muß also den göttlichen Sinn der Schöpfung in einem “Divine Life“,
in einem Leben aus göttlichem Wesen erfüllen.
Das Tier ist ein lebendiges Laboratorium, in dem die Natur sozusagen den Menschen entwickelte.
Der Mensch muß ebenso ein denkendes lebendiges Laboratorium sein, in dem sie mit seiner bewußten
Mitarbeit den „Übermenschen“ erschaffen - oder besser gesagt - Gott offenbaren will.
Das “Divine Life“ ist das “Super-Life“, das „Über- Leben“, in dem die Menschheit überlebt.
Natürlich kalkuliert Sri Aurobindo auch die Möglichkeit ein, daß sich die jetzige Menschheit selbst
vernichtet, so daß - wenn die Erde überhaupt noch Träger des Lebens, des Mentals und einer
Entwicklung zum Supramental sein soll - erst in ungeheuren Zeiträumen das verwirklicht werden
könnte, was uns jetzt als die große Chance angeboten wird. Alle mentalen Wesen, die über die
Ego-Stufe hinauskamen und das Selbst realisierten, die ihre ‛Geist-Seele entfalten konnten, würden
dann als geistige Helfer einer neuen Evolution wiedergeboren werden. In seinem „gläubigen
Realismus“ sagte Martin Luther einmal:
„Selbst wenn ich weiß, daß morgen die Welt untergeht, werde ich heute noch einen Apfelbaum
pflanzen.“
Sri Aurobindo`s Glaube gründet sich aber noch auf ein anderes Ur-Wissen der Menschheit: Der
Lebendige Gott inkarniert sich in jeder Evolutionskrise seiner Schöpfung als das nächst-höhere
Wesen, um die neue Mutation zu stützen und anschaulich, also nachvollziehbar zu machen. So
weiß der Hinduglaube von den Zehn Inkarnationen (Avatare) ,Shivas', von denen der Letzte,
,Kalki', noch nicht erschienen ist. Er wäre wohl der supramentale Übermensch Sri Aurobindo´s. Sri
Aurobindo spricht von drei Inkarnationen Gottes: Krishna, Buddha und Jesus Christus. Sie alle
haben in Wirklichkeit den einzigen Gott-Menschen hinter sich, und verkörpern den von nun ab gültigen
Typus der menschlichen Evolution. Da die Evolution aber nicht gleichmäßig verläuft, wirken
sie gleichzeitig.
Jedenfalls ist Jesu´s Gottesreich der Liebe noch längst nicht realisiert. Es bedarf gerade dieser
neuen Geist-Offenbarung, um so selbst-effektiv zu werden, wie das die Seligpreisungen der Bergpredigt
beschreiben.
Man könnte den Integralen Yoga so zusammenfassen:
Wir sollen unser Bewußtsein für Gott (in allen Seinen Aspekten) öffnen
und immer mehr in dem inneren Bewußtsein leben, -
wir sollen von dort her auf das äußere Leben einwirken, -
das innerlichste Seelische soll in den Vordergrund treten, -
wir sollen durch die Macht der Geist-Seele unser Wesen so läutern
und umwandeln, daß es für die Transformation fähig wird, -
es soll im Einssein mit dem göttlichen Wissen, Willen und der göttlichen Liebe hier wirken, -
durch das entfaltete Yoga-Bewußtsein soll unser Wesen auf allen
Ebenen universalisiert werden.
Es soll bis empor in das Licht-Bewußtsein (das Übermental)
das Eins-sein mit dem „Vater im Himmel“ erreichen, und
jenseits davon durch das supramentale Bewußtsein mit Gott in
direkten Kontakt kommen;
so wird dann das eigene Bewußtsein und die eigene Natur
zu einem Über-Leben supramentalisiert, -
und es wird selbst zum Instrument für die Verwirklichung der
dynamischen göttlichen Wahrheit,
damit dieses transformierende Wahrheits-Bewußtsein in die
Erden-Natur herniederkommt.
Dieser Integrale Yoga kann deshalb nicht zu jenen Verkrampfungen führen, wie wir sie bei manchen
der vielen heute bei uns verbreiteten miteinander konkurrierenden Yoga-Systemen finden,
weil die Vollkommenheit nie in das Bemühen des Menschen allein gestellt ist:
Seinem Glauben (sich angeloben) antwortet immer die göttliche Gnade im Nahekommen des persönlichen
Gottes.
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 9 von 11
Jene geheimnisvolle Formel der Offenbarung, die Moses am Brennenden Busch empfing:
„ICH BIN – ich bin“
Ist diese Selbst-Identifikation Gottes mit dem Menschen in der Gnade, und die des Menschen mit
Gott im Glauben. Wir finden diese Identifikation auch in den „Veden“ und in altägyptischen Texten.
Dadurch wird der ganze Integrale Yoga bestimmt. Was einem Suchenden für die Verwirklichung
seiner individuellen Form des Integralen Yoga aus den Schriften, und dem, durch sie wirkenden
Geist eingeleuchtet ist, darf er nicht zu einer verbindlichen Methode für andere machen. Darum
wird im Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry auch dieser Yoga nicht „gelehrt“. Mit Nachdruck betont
Sri Aurobindo, daß er weder ein Philosoph noch ein Religionsstifter ist; er will nicht der Begründer
einer neuen, indischen Heilslehre oder einer Sekte sein. Sein Integraler Yoga ist so universal,
daß er innerhalb aller Religionen und Weltanschauungen den Weg zu jenen höchsten Höhen
zeigt, auf denen ihre Ideale der Vollkommenheit verwirklicht werden können.
Vergegenwärtigen wir uns noch kurz die Erfahrungen des Höheren Bewußtseins, die Sri Aurobindo
unter der Wirkung des Supramentals gemacht hat:
DAS HÖHERE MENTAL
offenbart sich in dem Maß, wie wir unserem Ich alle Funktionsmöglichkeiten im Denken, Wollen,
Empfinden, in den Triebenergien und im Körper entziehen. Diese Stillegung ist schwer, da zunächst
der Widerstand des Ichs in turbulenten Reaktionen in allen diesen Gebieten auftritt. Wir
werden uns aber immer mehr jener neuen Mitte unseres Wesens bewußt, die wir das Selbst nennen,
da es desselben Wesens wie das SELBST` des Universums, Gott, ist. Dieses Selbst wird nun
zum Einstrahlungspunkt des ‛Lichtes, das alle Erleuchteten real erfahren. Dieses ‛Licht ist der
‛Geist, der das Leben schafft. Um diese Mitte bildet sich das Kraftfeld der ‛Geist-Seele: Sie wirkt
auf die sieben Zentren ein, welche der Tantrische Yoga systematisierte. Deren mittleres ist das
spirituelle Herz, eben dieses Selbst. Im Selbst erfahren wir die Immanenz Gottes.
Beginnend mit dem untersten, dem Sakralzentrum, öffnet nun dieses ‛Licht in aufsteigender Folge
die Zentren, die zum Unterbewußten führen, und die der niederen und höheren Vitalität. Die involvierte
Kraft steigt empor, durch das „Dritte Auge“ hindurch bis über den Scheitel hinaus zum obersten
Zentrum, dem „tausendblättrigen Lotus“. Sie vereinigt sich dort mit dem Göttlichen Überbewußtsein,
das ihr entgegenkommt und eigentlich durch die Macht der Geist-Seele diesen Aufstieg
ermöglichte. Das Bewußtsein der Einung ist das grundlegende Bewußtsein des Integralen Yoga.
Nun ist der Suchende „im Yoga“, d.h. „angejocht“ an den Einen.
Diese Bewußtseinsstufe ist hauptsächlich ein erleuchtetes Denken. Das ist aber kein, die Wahrheit
mittels kritischen Überlegens und der logischen Schlußfolgerungen suchendes Denken, sondern
umgekehrt ein Begreifen der ganzen Wirklichkeit von der Einheit her. Alle Gegensätzlichkeiten im
Bereich der Intelligenz, des Lebens, des Körpers und der Außenwelt offenbaren sich als die komplementären
Entsprechungen, als Pol und Gegenpol, in denen sich die Eine Wahrheit dynamisch
entfaltet. Diese Tatsache leuchtet uns unmittelbar ein, so daß wir den Widerstreit aus einem Bewußtsein
der Einheit unter Wahrung der Unterschiedlichkeiten harmonisieren können.
Diese harmonische Ausgeglichenheit in uns selbst überträgt sich auf unsere Körperlichkeit in der
Überwindung der Krankheiten oder in einem Schutz gegen sie. Nach außen hin werden wir zu
„Friedestiftern“ in dieser so disharmonischen, zerrissenen Welt.
In dem ERLEUCHTETEN MENTAL
wirkt die herabkommende Gnade dynamisch. Das „Dritte Auge“ ist der Sitz des Bewußtseins und
der Willensenergien, in denen dieses ‛Licht wirkt. Dieses ‛Licht zieht das Unterbewußte und Unbewußte
empor, ohne daß es im gewöhnlichen mentalen Bewußtsein fixiert werden muß. Dadurch
werden die dort ruhenden oder rumorenden Energien in schöpferische Energie umgewandelt.
Diese wirkt auf die subtile Substanz ein, die in den anderen Zentren ruht. So bildet mit dieser Substanz
die ‛Geist-Seele den Neuen Menschen, der im Selbst konzipiert und im Höheren Mental geboren
wurde.
Wir werden uns dessen bewußt, daß wir unter einer direkten Führung Gottes stehen, dessen
Organ das Selbst als die Mitte der Geist-Seele ist. Der spirituelle Leib entfaltet innere Sinne, die im
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subtilen Körperbewußtsein zusammengefaßt sind. Das in den Zellen vorhandene latente Bewußtsein
wird erweckt. Wir lernen die Verfügung über das ,Prana', die subtile Lebenskraft, die uns wie
ein Ozean umgibt. Dadurch wird der Körper immer mehr zu einem Instrument des Geistes.
Der Friede wird zu einer Macht, die eine Kommunion der Güte und Sympathie mit allen Menschen
und Wesen herstellt, deren Individualität aber in allen Formen der Gemeinschaft gewahrt bleibt.
DAS INTUITIVE MENTAL
ist mehr als Denken und Schauen; es ist eine innige Berührung der Göttlichen Einheit: Wie eine
Erinnerung an die schon immer gewußte, nun aber blitzartig hervortretende Wahrheit. Die Intuition
kommt ursprünglich aus dem Supramental, dem Wahrheits-Bewußtsein, durch die Vermittlung des
Übermental, des Licht-Bewußtseins.
Es gibt drei Arten der Intuition:
Die Kraft der offenbarenden Wahrheits-Schau,
die Kraft des Eingebens, oder des Hörens der Wahrheit und
die Kraft, die Wahrheit zu fühlen, oder ihre Bedeutung unmittelbar zu erfassen.
Dazu kommt noch die Kraft, unwillkürlich die genauen Beziehungen von einer Wahrheit zu den
anderen Wahrheiten zu unterscheiden.
In der Intuition leuchtet eine Erkenntnis als ein Ganzes ein; der Verstand ist der Beobachter oder
Registrator, der diese Erleuchtungen aufnimmt und in der (nun wirklich konstituierten) Vernunft
verarbeitet.
Die dauernde Einwirkung der Intuition erhöht die Aufnahmefähigkeit für das Wahrheits-Licht, das
mittels der Geist-Seele in alle Funktionen der Mentalität integriert wird.
Doch ist alle Einwirkung noch indirekt, und darum sind die Sendungen des Wahrheits-Lichts noch
entstellt und unvollkommen.
In dem ÜBERMENTAL (Overmind, Lichtbewußtsein)
haben wir die oberste Stufe der „niederen Hemisphäre“ erreicht. Hier sind alle Reste der Ichhaftigkeit
aufgehoben, selbst das Bewußtsein, ein Instrument Gottes zu sein. Das Individuum wird in
seinem Selbst zum Beziehungspunkt des kosmischen Seins. Das kosmische Bewußtsein hat nicht
nur den Zugang zu dem Selbst der anderen irdischen Wesen. Es eröffnet sich der ganze kosmische
Bereich im Makrokosmos wie im Mikrokosmos mit allen seinen Kräften und Wesen.
Sri Aurobindo hat in „Savitri“ in den Erfahrungen des Yogin-Königs Aswapati seine eigenen Erlebnisse
in den finstersten niederen und in den lichtesten höchsten Bereichen berichtet.
Ungesucht offenbaren sich dem Suchenden Kräfte (,Siddhis'), wie wir sie in den höheren „okkulten“
Erfahrungen aller Art mitgeteilt finden. Doch ist jedes absichtsvolle Streben nach diesen Kräften
zu gefahrvoll, weil diese Mächte, die außerhalb der Evolution stehen, den Unbefugten zerstören
werden.
Wir können diese Stufe etwa aus den Jesusworten verstehen, wo er von seinen Worten und Werken
spricht: sie sind nicht mein eigen, sondern sie sind mir gegeben, damit ich mit ihnen das Werk
meines Vaters im Himmel zur Vollendung bringe.
Aus dem Übermental kamen alle großen Errungenschaften der menschlichen Kultur: In der Kunst,
der Religion, der Politik, der Menschenführung, der Naturwissenschaften. In diesem Bewußtsein
standen diejenigen, welche um des von ihnen gebrachten Lichtes willen getötet wurden: sie lebten
hier in der Auferstehung (Unsterblichkeit) als die großen Liebenden.
Am 24. November 1926 hatte Sri Aurobindo diese Stufe erreicht, Er nahm feierlich Abschied von
seinen Schülern, segnete sie und lebte von nun an, nur für ´Die Mutter` und die Sekretäre zugänglich,
in der Konzentration, aus der seine größten Werke stammen. Aber er konnte nun auch mit
seinen starken Yoga-Kräften unmittelbar in die Zeitereignisse, besonders während des Zweiten
Weltkriegs, eingreifen und, wie vielfach bezeugt ist, individuellen Menschen ohne den äußeren
Kontakt als Helfer und Heiler beistehen.
Heinz Kappes: wenn sie zu einem Über-Leben emporsteigt“ 11 von 11
Wenn bisher dieser ganze Aufstieg eigentlich durch das Herniederkommen des Supramentals bewirkt
wurde, so wird jetzt, wenn wir über das Übermental hinauskommen, diese neue Offenbarung
des ‛Geistes direkt wirksam.
Da der Integrale Yoga keine philosophische Spekulation ist, können wir ihn nur in dem Maße verstehen,
wie wir ihn, bis ins Vitale und Physische hinein, verwirklichen. Sri Aurobindo hat mit der
Schwierigkeit gerungen, daß unsere Begriffe bisher nur innerhalb der Grenzen des Mentals entwickelt
wurden, abgesehen von den wenigen höchsten Geist-Offenbarungen in spiritueller Poesie.
DAS SUPRAMENTAL
Eine Fülle von Zitaten seiner Erfahrungen würde in dieser gedrängten Kürze abstrakt wirken. Vergessen
wir nicht, daß das Supramental die Manifestation jener neuen schöpferischen Dynamik des
göttlichen Geistes ist, die, - in welchen Zeiträumen auch immer, - jenen Übermenschen erschafft,
der allein das tun kann, was die Futurologen und Propheten als unumgänglich sehen, wenn die
Menschheit nicht zugrunde gehen soll. Halten wir fest, daß dieses Supramental nun auf der Erde
etabliert, fest gegründet ist! Es wird zunächst nur Einzelne geben, die in mehr oder minder vollkommenem
Grad es aufnehmen und seine transformierende Kraft an sich geschehen lassen.
Sri Aurobindo sagt:
„Stehe auf! Komme über dein Ich hinaus, werde du selbst.
Der Mensch soll mehr sein, als nur der mentale Mensch, der Denker.
Er soll zum Seher des Wissens werden.
Er soll zum Schöpfer und zum Meister über seine Schöpfung werden.
Er soll sich an aller Schönheit und Seligkeit erfreuen.
Er ist vital und sucht nach dem unsterblichen Leben und nach der unendlichen Macht seines
Seins. Er soll das alles finden!
Das Supramental ist die Macht und das Licht des göttlichen Willens und des göttlichen Bewußtseins.
Durch das Supramental hat der Geist sich selbst geschaut und sich in den Welten erschaffen.
Durch den Geist ist er in ihnen und lenkt sie.
Das Supramental ist der Übermensch: Darum fahre empor und über das Mental hinaus!
Übermensch sein heißt: Super-Leben aus dem göttlichen Wesen zu leben, im Göttlichen
Sein zu leben.
Darum: lasse das Bewußtsein, die Seligkeit, den Willen und das Wissen des Geistes von dir
Besitz ergreifen.
Das ist dein „Tabor“, die Verklärung deiner selbst auf dem Berg.
Du sollst Gott als dein Selbst entdecken.
Du sollst Ihn dir in allen Dingen offenbar machen.
Lebe in Seinem Wissen; leuchte in Seinem Licht; handle in Seiner Macht; frohlocke in Seiner
Seligkeit!
Sei selbst jenes Feuer, jene Sonne und jener Ozean. Sei du jene Freude, jene Größe, jene
Schönheit!
Wenn du das auch nur zu einem Teil tust, hast du die ersten Stufen zum Sein des Übermenschen
und des Überlebens erreicht.“
Sri Aurobindo hat unsere Situation in der Evolution mit jener verglichen, als die Hominiden ihren
Aufstieg in das Mental-Bewußtsein, zum Homo sapiens, machen mußten. Gewiß ist das durch die
Inkarnation des ewigen Gott-Menschen erfolgt, „als die Zeit erfüllt war“. Die Mythen berichten uns
darüber.
In der Überlebens-Krise unseres Menschseins ist unsere Zeit erfüllt. Wir müssen entweder untergehen
oder den notwendigen Schritt unserer Evolution zum Überleben tun, und sind dazu nicht nur
gefordert, sondern vielmehr begnadet, weil sich dieses Überleben bereits offenbart hat.
© Else Lehle und Heinz Kappes Freundeskreis
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