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AUSGABE <strong>18</strong><br />

30. April <strong>2022</strong><br />

EUROPEAN MAGAZINE AWA R D WINNER <strong>2022</strong> POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />

FITNESS<br />

BEWEG<br />

DICH!<br />

Die besten Tipps von<br />

Deutschlands bekanntestem<br />

Sportmediziner<br />

Dr. Müller-Wohlfahrt<br />

DAS PUTIN-<br />

DILEMMA<br />

Zwei Bundeskanzler und ihr<br />

Russland-Problem<br />

WIRTSCHAFT<br />

Undercover bei<br />

Lieferando<br />

MEDIZIN<br />

Merck-CEO Belén Garijo<br />

über die Zukunft von mRNA<br />

REISE<br />

Wo Zeus und Athene<br />

Urlaub machen


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focus-shop.de<br />

JETZT<br />

E-PAPER LESEN:


WENIGER IST LEER<br />

Anne Wizorek<br />

über Hungersnöte<br />

nah und fern<br />

30. April <strong>2022</strong> | #25<br />

Seite 5<br />

VOR DER COHABITATION?<br />

Sabine Russ-Sattar<br />

über die nächste<br />

französische Wahl<br />

Seite 6<br />

Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch<br />

EDITORIAL<br />

Die hohe Inflation und ein Plädoyer<br />

für Steuersenkungen<br />

Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />

Foto: Peter Rigaud/<strong>FOCUS</strong>-Magazin<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

für die von Olaf Scholz am 27. Februar<br />

im Bundestag ausgerufene „Zeitenwende“<br />

gab es eine gute, ja zwingende Be -<br />

gründung: den Überfall Putins auf die<br />

Ukraine. Und deshalb brauchte der Kanzler<br />

nur drei Tage, bis er den Bürgern und<br />

der ganzen Welt die dramatischen Konsequenzen<br />

erklärte – bis hin zur „Wiederbewaffnung“<br />

der Bundeswehr mittels<br />

eines Sondervermögens von 100 Milliarden<br />

Euro sowie dem Versprechen, künftig<br />

jedes Jahr mehr als zwei Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts für die Truppe im<br />

Haushalt aufzuwenden.<br />

Für die am vergangenen<br />

Dienstag vollzogene Panzerwende<br />

– also die reichlich<br />

späte Zusage, auch schwere<br />

Waffen an die Ukraine zu liefern<br />

– liegen die Dinge nicht<br />

so einfach. Denn bis vor wenigen<br />

Tagen hatte der Kanzler<br />

seine ablehnende Haltung<br />

zu Panzerlieferungen mit<br />

der Gefahr eines Atomkriegs<br />

begründet und seine Verantwortung<br />

dafür betont, dass<br />

Deutschland nicht Kriegspartei<br />

werden dürfe. Da stellt<br />

sich die Frage, ob der Kanzler<br />

– aus welchen Gründen auch<br />

immer – dieses Risiko jetzt<br />

doch einzugehen bereit ist<br />

oder ob dieses Risiko nur vorgeschoben<br />

war. Deshalb ist es nicht überraschend,<br />

dass Scholz die Panzerwende von seiner<br />

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht<br />

verkünden ließ und er selbst dazu<br />

schwieg.<br />

Auch die Beratungen im Bundestag<br />

über das 100-Milliarden-Paket für die<br />

Bundeswehr begannen am Mittwoch<br />

ohne einen Redebeitrag des Kanzlers.<br />

Für beides gibt es einen gewichtigen<br />

Grund, der aber den Nachteil hat, dass<br />

man ihn schlecht öffentlich benennen<br />

kann: die tiefe Spaltung der Kanzler -<br />

partei in Fragen von Krieg, Bewaffnung<br />

und Waffenlieferungen. Kein Geringerer<br />

als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich<br />

DER HAUPTSTADTBRIEF<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR<br />

<strong>FOCUS</strong><br />

ABONNENTEN<br />

Der<br />

Verriss<br />

Oder: Was vom Koalitionsvertrag<br />

übrig bleibt<br />

Von Andreas Rinke Seite 2<br />

Jetzt jede Woche im Heft<br />

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Analysen zur Politik<br />

hatte bereits wenige Wochen nach der<br />

Zeitenwende-Rede von Scholz im Bundestag<br />

erklärt: „Die SPD ist nach wie vor<br />

der Auffassung, dass zur Kriegsverhinderung<br />

mehr gehört als immer größere<br />

Rüstungsausgaben. Und schon gar nicht<br />

gehört dazu, nachfolgenden Generationen<br />

vorzuschreiben, wie hoch diese Ausgaben<br />

zu sein haben.“ Am Dienstag kritisierte<br />

der Fraktionschef eine „massive<br />

militaristische Schlagseite“ der Debatte.<br />

Dicker kann man die Fragezeichen<br />

hinter die Ankündigungen des eigenen<br />

Kanzlers zur Stärkung der Bundeswehr<br />

nicht malen! Scholz muss sich nun die<br />

Frage stellen, ob er diesen massiven Konflikt<br />

in der eigenen Partei –<br />

nicht zuletzt durch Schweigen<br />

und Zögern – überdecken<br />

will oder ob er ihn nicht doch<br />

auskämpfen muss. Für nicht<br />

wenige Genossen gilt, dass<br />

man Frieden nur mit weniger<br />

Waffen schaffen kann. Sie<br />

empfinden die Zeitenwende-<br />

Politik des eigenen Kanzlers<br />

als genauso falsch wie seinerzeit<br />

die Agenda-Politik Gerhard<br />

Schröders.<br />

Diese Woche hätte sich aber<br />

für Scholz noch aus einem<br />

anderen Grund eine ausführliche<br />

Kommunikation mit dem<br />

Bürger angeboten. Am Mittwoch<br />

verkündete Wirtschaftsminister<br />

Robert Habeck die neue Inflationsprognose<br />

der Bundesregierung für<br />

<strong>2022</strong>. Sie liegt mit 6,1 Prozent so hoch wie<br />

zuletzt vor vier Jahrzehnten. Die Wachstumsprognose<br />

musste ein weiteres Mal<br />

eingedampft werden – auf gerade noch<br />

2,2 Prozent. Doch auch dazu hörten Parlamentarier<br />

und Bürger vom Kanzler –<br />

nichts!<br />

Nun könnte man einwenden, dafür<br />

habe das Kabinett ja am selben Tag ein<br />

Entlastungspaket unter anderem mit<br />

einer Einmalzahlung von 300 Euro für<br />

alle Erwerbstätigen und einem deutlichen<br />

Tankpreis-Rabatt für drei Monate<br />

auf den Weg gebracht. Doch damit verteilt<br />

die Ampel Heftpflaster an Bürger<br />

und Wirtschaft, von einem systematischen<br />

Gegensteuern oder gar einer Therapie<br />

kann nicht die Rede sein.<br />

Die neue Vorsitzende der Mittelstandsund<br />

Wirtschaftsunion, Gitta Connemann,<br />

erinnerte kürzlich daran, wie eine an -<br />

gemessene Reaktion auszusehen hätte:<br />

Finanzminister Christian Lindner müsste<br />

in erster Linie die Einkommensteuer an<br />

die dramatisch veränderte Geldentwertung<br />

anpassen, also deutlich senken.<br />

Doch der Staat und auch Lindner verhielten<br />

sich „wie ein Gutsherr, der Almosen<br />

verteilt“. Da ist etwas dran, denn eine<br />

Senkung des Einkommensteuertarifs<br />

käme erheblich teurer als die jetzt be -<br />

schlossene Einmalzahlung.<br />

Doch die Bürger und vor allem die Leistungsträger<br />

haben nach meiner Überzeugung<br />

einen Anspruch darauf, dass<br />

der Staat, der jahrelang Rekordsteuereinnahmen<br />

verbuchte, sie steuerlich systematisch<br />

entlastet für die enorme Inflation.<br />

Es ist doch ein schlechter Witz, dass<br />

der aktuelle Einkommensteuertarif auf<br />

einer Inflationsprognose von 1,17 Prozent<br />

aus dem Jahr 2020 beruht. Gerade<br />

ein Finanzminister, der zugleich Vorsitzender<br />

der Steuersenkungspartei FDP<br />

ist, sollte aus innerer Überzeugung hier<br />

tätig werden. In der Vergangenheit sind<br />

Wolfgang Schäuble und auch ein gewisser<br />

Olaf Scholz so verfahren. Da hatten<br />

wir aber nur eine Mini-Inflation, deren<br />

Ausgleich den Finanzminister so gut<br />

wie nichts gekostet hat. Jetzt geht es um<br />

zweistellige Milliardenbeträge für Bürger<br />

und Wirtschaft. Ich finde: Steuergerechtigkeit<br />

darf keine Frage des Preises sein!<br />

Was den Kanzler betrifft, so können wir<br />

nach knapp fünf Monaten ein erstes<br />

Scholz-Gesetz formulieren: Je größer<br />

und gefährlicher ein Problem ist, desto<br />

eiserner schweigt er.<br />

Herzlich Ihr<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong> 3


Materiell<br />

Gerhard Schröder<br />

verteidigt seine<br />

Geschäftemacherei<br />

mit Wladimir Putin<br />

Seite 22<br />

Existenziell<br />

Die fragwürdigen<br />

Arbeitsbedingungen<br />

der Food-<br />

Lieferdienste<br />

Seite 48<br />

Individuell<br />

Merck-Chefin<br />

Belén Garijo<br />

und ihre Ideen<br />

für die Zukunft<br />

der Medizin<br />

Seite 70<br />

Sonnenhell<br />

Segeln vor der<br />

Küste von Rhodos:<br />

Griechenland<br />

ist das<br />

Trendreiseziel<br />

der Saison<br />

Seite 94<br />

Sensationell<br />

Elizabeth Moss verleiht in<br />

der Serie „Shining Girls“<br />

einer Schattenwelt Glanz<br />

Seite 78<br />

Pfeilschnell: der rasende „Doc“ Müller-Wohlfahrt Seite 60<br />

4 <strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong>


INHALT NR. <strong>18</strong> | 30. APRIL <strong>2022</strong><br />

Titelthema<br />

Wissen<br />

60 Mensch, beweg dich!<br />

Der Sportarzt Hans-Wilhelm<br />

Müller-Wohlfahrt erklärt seine Medizin<br />

66 Von den Profis profitieren<br />

Zerrung, Prellung, Blasen: Müller-<br />

Wohlfahrts Tipps gegen häufige Blessuren<br />

Titel: Imago, Johannes Arlt/laif, ddp, Shutterstock/Composing Focus Magazin<br />

28 Der Ungreifbare<br />

Wie Bundeskanzler Olaf Scholz<br />

Deutschland in der Ukraine-Frage ins<br />

internationale Abseits laviert<br />

34 „Schwäche provoziert Putin nur“<br />

Der polnische Europa-Abgeordnete<br />

Radoslaw Sikorski kritisiert die lasche<br />

Haltung der Bundesregierung hart<br />

Agenda<br />

22 Blutsbrüder<br />

Gerhard Schröders größtes Problem ist nicht<br />

der Kreml-Chef, sondern er ist es selbst.<br />

Analyse einer verhängnisvollen Affäre<br />

Politik<br />

36 Hoch im Norden<br />

Was steckt hinter den Erfolgen von CDU-<br />

Ministerpräsident Daniel Günther in<br />

Schleswig-Holstein? Eine Erkundungstour<br />

39 Datenstrudel<br />

Wie die EU Digitalkonzerne regulieren will<br />

70 Die Zukunft der mRNA<br />

Corinne Flick spricht mit der spanischen<br />

Ärztin und Merck-Chefin Belén Garijo<br />

73 Leben aus dem All<br />

Meteoriten lieferten alle DNA-Bausteine<br />

Kultur<br />

74 Piano King<br />

Sofiane Pamart vermarktet sich so<br />

virtuos wie kein anderer Klassikkünstler<br />

78 Die Zwielichtige<br />

Elizabeth Moss spielt mit Vorliebe komplizierte<br />

Rollen – auch in „Shining Girls“<br />

82 Von Aufstand und Anstand<br />

Unsere Filme, Bücher, Alben der Woche<br />

84 Wie lange hält der Hass?<br />

Der ukrainische Schriftsteller Andrej<br />

Kurkow über die Kinder des Krieges<br />

Leben<br />

94 Und die Götter lächeln wieder<br />

Griechenland rüstet sich für ein grandioses<br />

Comeback als Traum-Urlaubsziel<br />

JETZT<br />

E-PAPER LESEN:<br />

Fotos: LAETITIA VANCON/The New York Times/Redux/laif, Jan Philip Welchering für <strong>FOCUS</strong>-Magazin,<br />

BerndHartung/Agentur Focus, imago images/ZUMA Press, imago/MIS<br />

40 Das schwierige fünfte Gebot<br />

Der Militärbischof Bernhard Felmberg und<br />

die Frage, wann Menschen töten dürfen<br />

44 Für eine Handvoll Bitcoins<br />

Gier und Gewalt gehören in El Salvador zum<br />

Alltag. Reise in ein Land, das durch<br />

Kryptowährungen ganz den Halt verliert<br />

Wirtschaft<br />

48 Burger und Prekariat<br />

Unser Reporter verdingte sich als<br />

Lieferando-Radkurier. Einsicht in eine<br />

Branche, in der gebuckelt und getreten wird<br />

54 Wiederauferstehung<br />

Wie grün ist die Kreislaufwirtschaft?<br />

58 Gefährlicher Größenwahn<br />

Warum Elon Musks Twitter-Übernahme<br />

das Schlimmste befürchten lässt<br />

59 Geldmarkt<br />

100 „Immer zuerst zuschlagen“<br />

Bestsellerautor Maxim Leo erforscht<br />

toxische Männlichkeit<br />

102 Spielzeugauto<br />

Das Citymobil Toyota Aygo X<br />

104 Spektakel für die Ewigkeit<br />

Fotograf Neil Leifer über seine Bilder<br />

vom Boxkampf Ali vs. Foreman 1974<br />

108 Think Pink<br />

Ottolenghi kombiniert Fisch und Rhabarber<br />

Rubriken<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von<br />

Jan Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

10 Fotos der Woche<br />

16 Grafik der Woche<br />

Waffenlieferungen<br />

<strong>18</strong> Menschen<br />

72 Wir müssen reden<br />

80 Bestseller<br />

80 Impressum<br />

83 Mein Salon<br />

110 Die Einflussreichen<br />

112 Leserbriefe<br />

113 Nachrufe<br />

113 Servicenummern<br />

114 Tagebuch<br />

Alle <strong>FOCUS</strong>-Titel<br />

to go.<br />

focus-shop.de<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von Jan<br />

Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

8 Fotos der Woche<br />

16 Grafik der Woche<br />

<strong>18</strong> Menschen<br />

48 Leserbriefe<br />

Rubriken<br />

90 Salon<br />

95 Buch & Welt<br />

96 Kultur-Macher<br />

102 Bestseller<br />

124 Die Einflussreichen<br />

128 Nachrufe/ Namen<br />

129 Impressum<br />

130 Tagebuch<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong> 5


POLITIK<br />

BLINDBLIND<br />

Packt er das?<br />

Im Wahlkampf präsentierte<br />

sich Olaf Scholz, 63, als<br />

führungsstarker Macher.<br />

Im fünften Monat seiner<br />

Kanzlerschaft vermissen<br />

jedoch viele bei ihm<br />

genau das: Führung<br />

28 <strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong>


TITEL<br />

Der Ungreifbare<br />

Einst war das Schweigen seine Stärke, jetzt ist es seine<br />

größte Schwäche. Olaf Scholz scheitert daran, den<br />

Deutschen seine Politik zu erklären. Wieso kündigt er<br />

eine Zeitenwende an und laviert dann rum? Annäherung<br />

an einen Mann, der seine Rolle nicht gefunden hat<br />

TEXT VON MARC ETZOLD, JAN-PHILIPP HEIN, REINHARD KECK,<br />

SEBASTIAN MOLL UND MARCEL WOLLSCHEID<br />

Foto: Andreas Chudowski/laif<br />

29


WISSEN<br />

Extrem feinfühlig<br />

Mit seinen Händen ertastete<br />

der Orthopäde mehr<br />

als 40 000 Verletzungen<br />

von Profisportlern<br />

Die Weisheit der Hände<br />

Deutschlands bekanntester Sportarzt gibt sein Wissen weiter:<br />

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Meister der manuellen Diagnose, erklärt<br />

Laien seine Medizin. Sein wichtigster Ratschlag ist zugleich sein einfachster<br />

TEXT VON BERNHARD BORGEEST FOTOS VON FLORIAN GENEROTZKY<br />

60<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong>


BLINDBLIND<br />

FITNESS<br />

Ewig jugendlich<br />

Müller-Wohlfahrt, 79,<br />

hält sich selbst vor<br />

allem mit Joggen fit. Der<br />

Blick aus seiner Praxis<br />

geht auf den Marienhof in<br />

Münchens Innenstadt<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong><br />

61


WISSEN<br />

Wegen Russlands Überfall auf die Ukraine<br />

rücken viele andere Krisen in den Hintergrund.<br />

Etwa die Corona-Pandemie,<br />

die nur durch die Entwicklung eines<br />

mRNA-Impfstoffs gegen das Coronavirus<br />

effektiv bekämpft werden konnte.<br />

Dieser Umstand ist Anlass für Convoco-Gründerin Corinne<br />

Flick, die spanische Medizinerin Belén Garijo in ihren Podcast<br />

einzuladen. Seit Mai 2021 ist sie Vorstandsvorsitzende<br />

des Pharmakonzerns Merck in Darmstadt und<br />

damit die erste Frau, die allein einen Dax-Konzern<br />

führt. Mit der Übernahme der US-Biopharma-Firma<br />

Exelead wird Merck sein Geschäft mit der mRNA-<br />

Technologie ausbauen. Exelead ist unter anderem<br />

auf Lipid-Nanopartikel spezialisiert, eine Schlüsselkomponente<br />

für mRNA-Therapeutika. Das Gespräch<br />

darüber und die Grenzen maßgeschneiderter<br />

Präzisionsmedizin<br />

geben wir in Auszügen wieder:<br />

Die globale Zusammenarbeit bei<br />

der Entwicklung eines Covid-19-<br />

Impfstoffs war einer der Lichtblicke<br />

der Pandemie. Zerstört<br />

der Krieg in der Ukraine nun die<br />

Hoffnung auf eine Fortführung<br />

dieser globalen Kooperation?<br />

Die beispiellose Zusammenarbeit,<br />

die wir als Reaktion auf<br />

Covid-19 gesehen haben, war<br />

beeindruckend. Unternehmen,<br />

Regierungen, Behörden, die Wissenschaft<br />

und natürlich die Zivilgesellschaft<br />

haben wirkungsvoll<br />

gezeigt, dass wir erfolgreicher<br />

sind, wenn wir zusammenarbeiten.<br />

Natürlich ist der Krieg in der<br />

Ukraine eine andere Situation als<br />

die Pandemie. Aber unser Fokus<br />

hat sich nicht geändert: Wir müssen<br />

sicherstellen, dass Patienten,<br />

die auf unsere Medikamente angewiesen sind, weiterhin<br />

Zugang zu diesen haben. Angesichts der starken Reaktion,<br />

die wir überall gesehen haben, bin ich sehr zuversichtlich,<br />

dass die globale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen<br />

Stakeholdern funktioniert. Das wird sich auszahlen.<br />

Wie wichtig ist diese Region für die Entwicklung der Medizin?<br />

Wir sind ein globaler Player. Wenn wir Innovationen entwickeln,<br />

tun wir das nicht in einem einzigen Land. Wir sind für<br />

die Entwicklung unserer Medikamente in mehreren Ländern<br />

aktiv, weil wir Vielfalt brauchen.<br />

Zum Beispiel sind wir auf diverse<br />

Bevölkerungsgruppen für unsere<br />

klinischen Studien angewiesen.<br />

Russland und die Ukraine sind<br />

Länder, in denen viele unserer klinischen<br />

Entwicklungsprogramme<br />

laufen. Unsere Aufgabe ist jetzt,<br />

die Kontinuität dieser klinischen<br />

Studien sicherzustellen. Die dortigen<br />

Patientinnen und Patienten<br />

haben sich schließlich zum Wohle<br />

der Innovation bereit erklärt, an<br />

INTERVIEW VON CORINNE M. FLICK<br />

Wo liegt<br />

die Zukunft<br />

für mRNA?<br />

Die Gründerin der Convoco-Stiftung<br />

spricht regelmäßig mit Vertretern aus<br />

Politik, Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Kultur. Diese Woche mit der<br />

spanischen Ärztin und Merck-Chefin<br />

Belén Garijo<br />

Was ist CONVOCO?<br />

Die Convoco-Stiftung bietet unterschiedliche<br />

Plattformen, die einen freien und interdisziplinären<br />

Gedankenaustausch zu gesellschaftlich<br />

relevanten Fragen ermöglichen und die Debatte<br />

beflügeln: Es gibt Lectures in Berlin und<br />

London, eine Konferenz (das<br />

Convoco-Forum) in Salzburg. Im Convoco-Podcast<br />

spricht Corinne Flick, Gründerin und Vorstand der Stiftung,<br />

alle zwei Wochen mit wichtigen Vertretern der Gesellschaft.<br />

Das aktuelle Gespräch lässt sich hier hören:<br />

diesen Studien teilzunehmen. Wir können es uns nicht erlauben,<br />

diese Bemühungen aufgrund der neuen Situation zu verlieren.<br />

Daher tun wir alles, was in unserer Macht steht, um diese klinischen<br />

Entwicklungsprogramme auf verantwortungsvolle Weise<br />

fortzusetzen, beispielsweise indem wir Nachbarländer zur Unterstützung<br />

der Evaluierungen nutzen. Angesichts der Lage in der<br />

Ukraine und in Russland ist das eine große Herausforderung.<br />

mRNA-Impfstoffe haben in der Corona-Pandemie bedeutende<br />

Fortschritte gemacht. Wo liegt die Zukunft für mRNA?<br />

Mehrere Unternehmen arbeiten bereits seit mehr als<br />

zwanzig Jahren an mRNA-Technologie. Jetzt konnten<br />

wir endlich beweisen, dass mit dieser Technologie Impfstoffe<br />

hergestellt werden können. Die breite Öffentlichkeit<br />

unterschätzt stark, was hinter der Entwicklung<br />

eines Impfstoffes gegen Covid-19 steckt. Das ist das<br />

Ergebnis langjähriger Forschung, hoher Ressourcen und<br />

vieler Wissenschaftler, die an diesen<br />

Erfolg geglaubt haben. mRNA<br />

bietet nun eine potenzielle Blaupause<br />

für andere Impfstoffe sowie<br />

für die Entwicklung von Medikamenten.<br />

Das betrifft ein breites<br />

Spektrum von Krankheiten,<br />

einschließlich Krebs und Autoimmunerkrankungen,<br />

bei denen der<br />

ungedeckte medizinische Bedarf<br />

sehr hoch ist. Viele Studien laufen<br />

bereits, um neue Impfstoffe und<br />

innovative therapeutische Ansätze<br />

zur Behandlung chronischer<br />

Krankheiten zu entwickeln. Wir<br />

sind sehr zuversichtlich, dass wir<br />

in diesem Bereich Fortschritte<br />

sehen werden.<br />

Präzisionsmedizin, also die maßgeschneiderte<br />

medizinische Versorgung<br />

für den Einzelnen, soll die<br />

Gesundheitsversorgung der Zukunft<br />

werden. Was ist Ihre Meinung dazu?<br />

Die Präzisionsmedizin hat immenses<br />

Potenzial. Stellen Sie sich<br />

vor, dass wir die Behandlung einer Patientin auf deren genetisches<br />

Profil abstimmen können. Wir arbeiten seit vielen Jahren<br />

an der Präzisionsmedizin und waren eines der ersten Unternehmen,<br />

das eine personalisierte Medizin für die Behandlung<br />

von Darmkrebs kommerzialisierte. Technologien wie künstliche<br />

Intelligenz werden die Art und Weise, wie wir Patienten diagnostizieren<br />

und behandeln, neu gestalten. Das Problem ist, dass<br />

die traditionellen Gesundheitssysteme nach einem Einheitskonzept<br />

arbeiten. Um personalisierte Medizin verfügbar zu machen,<br />

muss sie in die gesamte Wertschöpfungskette<br />

integriert werden.<br />

Stakeholder in der Gesundheitsbranche<br />

und Regierungen<br />

müssen neue Strategien zur Kostenerstattung<br />

identifizieren, die<br />

den Zugang zu diesen innovativen<br />

Medikamenten maximieren. Wir<br />

leben in einer Ära der Genomik,<br />

in der neue therapeutische Technologien<br />

den Wirkungsgrad medizinischer<br />

Behandlungen dramatisch<br />

verbessern können. Gleich-<br />

70 <strong>FOCUS</strong> <strong>18</strong>/<strong>2022</strong>

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