flip-Joker_2022-04
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
KUNST KULTUR JOKER 9
Erzähltes Sein
Das Museum für Neue Kunst Freiburg erinnert an Christoph Meckel
Diese Figuren sind auf Krawall
gebürstet, so als könnten
sie nicht an sich halten. Und
damit fängt das menschliche
Verhängnis bereits an. Als
Weltkomödie hat Christoph
Meckel (1935-2020) einmal
sein grafisches Werk bezeichnet.
Seine Figuren handeln,
schaffen Tatsachen, nicht
immer zum Besten aller. Mit
zwei Radierungszyklen und
zehn großformatigen Holzschnitten
gibt das Freiburger
Museum für Neue Kunst im
Haus der Graphischen Sammlung
derzeit einen Einblick in
das Werk des Künstlers, der
vor zwei Jahren in Freiburg
starb. Es sind Neuerwerbungen
für die Sammlung.
Während die Holzschnitte
thematisch frei entstanden
sind – sie greifen jedoch die
Beziehung zum Vater auf, die
Meckel auch literarisch bearbeitete,
stehen die beiden
Zyklen einerseits in Verbindung
zu den Menschenrechten
(1973), andererseits zu
den Kinderrechten (1993/94).
„Christoph Meckel. Mensch-
Sein, Kind-Sein, Ich-Sein“
heißt dann auch die Ausstellung,
für die Jens Burde die
Szenografie geschaffen hat.
Christoph Meckel erzählt
Geschichten zu den knappen
juristischen Texten. Der
Artikel 12 etwa schützt die
Freiheitsphäre des Einzelnen,
insofern das Privatleben, die
Wohnung und der Schriftverkehr
unter staatlichem Schutz
stehen wie auch die Ehre und
der Ruf jedes Einzelnen. Me-
ckels Blatt ist horizontal in
zwei Handlungsebenen unterteilt,
unterbrochen durch
einen Fries, auf dem mehrere
Wählscheiben-Telefone nebeneinander
stehen, überragt
von einer Reihe von Augen und
eingerahmt von zwei Schlüssellöcher.
Im oberen Teil ist eine Figur
zu erkennen, die auf mehrere
Arten gepiesackt wird. Jemand
kitzelt ihn, ein anderer steht auf
Christoph Meckel: „M./Artikel 7“, aus der Mappe: Die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte, 1973
© VG Bild-Kunst Bonn, 2022 Foto: Axel Killian
der Leiter und macht sich
an seinen Ohren zu schaffen.
Im untern Bildfeld
sitzt auf dem Boden vor
der Eingangstür seiner
Wohnung ein gefesselter
Mann, links von ihm liegt
ein Kuscheltier. Die bewaffneten,
uniformierten
Männer dominieren die
Szene. Meckels Stil ist
narrativ. In der Überspitzung
kann man Anleihen
an die 1920er Jahre erkennen,
an den veristischen
Stil eines George Grosz
oder eines Georg Scholz.
Doch auf ihre Weise sind
sie ihrer eigenen Zeit verhaftet.
Zu Artikel 7, der
die Gleichheit vor dem
Gesetz behandelt, fällt
Meckel ein Demonstrationszug
ein, der sich durch
eine Straße schiebt. Im
Hintergrund die Hochhäuser
der Banken, links
die Wohnhäuser der Spießer,
die den gut gelaunten
Zug skeptisch beobachten
oder wütend begleiten.
Ein Demonstrant hält ein
Plakat mit der Aufschrift
„Make Lov (!) not War“ in
die Höhe. Vorne steht ein
hochgerüsteter Polizist
auf einem Motorrad, der
an eine Science-Fiction-
Fantasie erinnert.
Man muss das Wimmelige
dieser Szenen
mögen, das karikierende
und auch Vereinfachende,
das angesichts der Bedeutung
der Menschen- und
Kinderrechte unangemessen
naiv und verspielt wirkt. In
seinen Holzschnitten weicht
die Schraffur und die spezielle
Körnung klaren Linien.
Es sind die frühesten Arbeiten
der Ausstellung „Mensch-
Sein, Kind-Sein, Ich-Sein“.
Und es sind auch die geheimnisvollsten.
Die Figuren, die
hier ihren Auftritt haben,
könnten auch in einem barocken
Theater vorkommen. Da
ist der Tod mit der Sonnenblume
vor einer ovalförmigen
Öffnung ins Helle oder der
Mann mit dem Messer, der
mit seiner dunklen Gestalt
das ganze Blatt dominiert.
Und da ist die Eule, die neben
sich ein Streichinstrument hat.
Alle diese Figuren wirken als
ständen sie für etwas anderes.
Christoph Meckel. Mensch-
Sein, Kind-Sein, Ich-Sein.
Haus der Graphischen Sammlung
des Augustinermuseums.
Dienstag bis Sontag 10 bis 17
Uhr, Freitag 10 bis 19 Uhr.
Bis 19. Juni 2022.
Annette Hoffmann
Bespiegelung der Blicke
Neun Videoinstallationen brechen mit dem Alltag des Basler Messeplatzes
Der Messeplatz Basel ist ein
Ort vielfältiger Begegnungen.
Kultur, Produktaustausch,
Innovation und Vorstellung
treffen aufeinander, in ständiger
gegenseitiger Reflexion.
An diesen Ort tritt das neue
Projekt „Augen-Blick“ der Videocity
Basel. In dieser „Big
Brother“-Situation am öffentlichen
Ort werden bis zum 25.
Mai neun Videos an der Fassade
des Congress Center Basel,
dem sogenannten „eBoard“
gezeigt. Der Alltagstrubel der
Innenstadt wird unterbrochen
oder begleitet, die Arbeiten
fordern heraus, lenken den
Blick auf neue Aspekte einer
Gesellschaft der medialen
Dauerbespiegelung.
Ein Highlight ist das „Surveillance
Chess“ der !Mediengruppe
Bitnik, das die
Bilder einer Überwachungstechnologie
in Schachmuster
verwandelt. Belle Schafirs Video
„What is the color of your
father‘s eyes“ lenkt den Blick
auf Augen, die geschlossen, offen,
versteckt oder eindringend
wirken. Den Blick auf das
ganze Gesicht eines Menschen
lenkt der französische Künstler
Robert Cahen, der mit
„Françoise“ seine Schwester
in Großaufnahme zeigt. Casilda
Sánchez‘ Arbeit „As Inside
as the Eye Can See“ zeigt zwei
Augenpaare in unmittelbarer
Konfrontation. Eine Nahaufnahme,
die ein Kreuzfeuer der
Blicke innerhalb der Basler
Öffentlichkeit provoziert. Im
Hintergrund stets präsent: Das
Rauschen der Großstadt.
Weitere Infos: www.videocity.de
Die !Mediengruppe Bitnik am eBoard des Congress Centers
Foto: Dirk Wetzel