flip-Joker_2022-04
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THEATER KULTUR JOKER 7
Und alles wird wie früher
Peter Carp inszeniert am Theater Freiburg Robert Seethalers „Der Trafikant““
Stefanie Mrachacz,
Henry Meyer, Antonis
Antoniadis
Foto: Britt Schilling
Wien ist eine so durch und
durch literarische Stadt, dass
man die konkreten Orte, an denen
Robert Seethalers Roman
„Der Trafikant“ spielt, nicht
bereist haben muss, um sie zu
kennen: die Gassen, die kleinen
Läden, die Plätze, der Prater.
Ödön von Horváth hat all diese
Orte in seinen Dramen beschrieben.
Doch anders als Seethaler
war Horváth hellsichtig, was die
Zukunft Österreichs und was
den Nationalsozialismus betraf,
Seethaler konnte es einfach
besser wissen. „Der Trafikant“
erschien 2012 und wurde zum
Bestseller. Dass Franz Huchel,
der Trafikantenlehrling, Sigmund
Freud kennenlernt, bevor
dieser im Sommer 1938 aus
Wien flieht, dürfte einiges zum
Erfolg dieses Romans beigetragen
haben. Der Psychoanalytiker
mag uns alle durchschaut
haben, aber seine Zigarren holt
er eben doch selbst. Und überhaupt:
rauchte der nicht wie ein
Schlot?
Peter Carps Inszenierung für
das Große Haus beginnt mit
einem Donnerschlag, da ist es
noch dunkel und die einsetzende
Musik lässt nichts Gutes
ahnen. Der Preininger wurde
beim Baden im Gewitter vom
Blitz getroffen, jetzt liegt er da,
umringt von den Bewohnern
des Ortes. Franz‘ Mutter (Stefanie
Mrachacz) hat noch andere
Gründe, ihm nachzutrauern. Mit
ihm enden die regelmäßigen finanziellen
Zuwendungen, der
Junge braucht ein Auskommen
und da sie auch einmal etwas
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mit Otto Trsnjek (Henry Meyer)
hatte, wird Franz (Antonis Antoniadis)
dessen Lehrling. Peter
Carp und die Bühnenbildnerin
Bettina Meyer haben den Text
(Bearbeitung: Stefanie Carp)
auf effiziente Weise klug in Szene
gesetzt. Drei Riesenskulpturen
bestimmen die Bühne, die
eigentlich Guckkastenbühnen
sind, was zusammen mit der
Drehbühne die Theatermaschinerie
schnurren lässt. Die Trafik
sieht ein bisschen wie die Fantasie
eines Spielzeugladens aus
und Freuds Behandlungszimmer
ist mit Holzintarsien ausgekleidet,
die an Rohrschachtest,
wenn nicht gar gleich an Vulven
erinnern und auch die berühmte
Decke, die über seiner Couch
lag, wurde adaptiert. Das wirkt
wie ein etwas kleinlicher Realismus,
ist es auch irgendwie, doch
zugleich markiert es den Statur
pro ante, je mehr die nationalsozialistische
Ideologie um sich
greift, desto kahler und weißer
werden die Wände. Freud bleibt
irgendwann nur noch das Bett.
Franz Huchel (Antonis Antoniadis)
ist ein Tor, wie er seit dem
Mittelalter die deutschsprachige
Literatur bevölkert. Nur bleibt er
nicht neutral, dazu ist er zu empathisch.
Wie ein tapsiger Heranwachsender
streicht er durch
das Wien kurz vor und nach dem
Anschluss, sucht die junge Böhmin
Anezka (Laura Friedmann),
in die er nicht so glücklich
verliebt ist. Freud, dem Hartmut
Stanke einen sonoren Ton
verleiht, ist ihm ein Ratgeber,
Trsnjek ein väterlicher Freund,
der ihn nicht nur in die Kunst
des Zeitungslesens einweiht,
sondern auch Haltung gewinnen
lässt. All die Hauptfiguren haben
das Herz am rechten Fleck,
was sie für eine Bühnenadaption
doch sehr eindimensional wirken
lässt. Die Nebenrollen wiederum
illustrieren den Zeitgeist.
In diesem Panoptikum sticht vor
allem Holger Kunkel als Conferencier
Raum hervor, der in viel
Flitter, rot geschmückten Lippen
und drei schwarzen Locken
den Hitler und kleine widerständige
Lieder zum Besten gibt.
Im Laufe der zweieinhalbstündigen
Inszenierung nimmt
die Geschichte ihren bekannten
Lauf. Heute, da wir im Austrofaschismus
und dem angeschlossenen
Österreich Russland
sehen, ein Land, dass seine
Nachbarn mit einem grausamen
Invasionskrieg überzogen hat
und auch die Feinde im Inneren
bekämpft, wirkt vieles wohlfeil.
Und Carps „Trafikant“ ist
an Botschaften wie „Der Erste
Weltkrieg war nur der Anfang“
und „Irgendwann wird sich der
Hitler beruhigt haben und alles
wird wie früher“ reich. Das
klingt banal, aber zumindest mit
dieser Hilflosigkeit kann man
sich derzeit jedenfalls identifizieren.
Weitere Vorstellungen: 27.
April und 14. Mai, 19.30 Uhr, 22.
Mai, 18 Uhr im Großen Haus
des Theater Freiburg.
Annette Hoffmann