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4 KULTUR JOKER Theater

Geburtsstunde für etwas Neues

Julia Klockow feierte mit ihrer zweiten abendfüllenden Produktion „Tuningtime“ Premiere im Südufer

Julia Klockow in „Tuningtime“ Foto: Roman Pawlowski

Güterbahnlinie, Hauptbahnhof,

E-Werk, Dreisam

– dazwischen liegt der

Stühlinger. Ein kunterbunter

Generationen-und Kulturen-

Mix, dazu Gastro, Kultur

und Handwerk in bester Innenstadtnähe

– das bedeutet

Gentrifizierung-Alarm für den

im 19. Jahrhundert gewachsenen

Freiburger Stadtteil,

dessen Bevölkerungsdichte

weit über dem Freiburger

Durchschnitt liegt. „Stücke

von Zuhause“, so der Titel der

Live-Videoinstallation, die

Eindrücke von ganz unterschiedlichen

Menschen, Wohnungen

und deren Geschichten

nicht nur einfängt, sondern

die Projektteilnehmer*innen

auch bei der Erarbeitung von

Performances und Videos begleitete.

(Produktion: Leon

Wierer in Kooperation mit

dem E-Werk, künstlerische

Unterstützung: Lena Schillebeeckx,

Carla Wierer, Hannah

Kindler, Teresa Grebchenko,

Margit Wierer. Technische

Betreuung: Moritz Bross Konzept.

Gefördert durch das Programm

„Kultur trotz Abstand“

vom Ministerium für Wissenschaft,

Forschung und Kunst

Baden-Württemberg und von

der Stadt Freiburg.).

Es sind ein Dutzend mit

wackliger Hanndkamera gefilmter

Besuche in sehr in-

Erstmal gibt es pralles Augenfutter:

Auf der Leinwand

im Freiburger Südufer liegt auf

kariertem Tischtuch ein sattgelbes

Bündel dicker Bananen

in Großaufnahme, zärtlich betastet

von zwei Händen. Die

krallen sich plötzlich mit allen

zehn Fingern durch die Schale,

wühlen im schmatzend-weichen

Fleisch. Dann ein Schnitt und

die Sequenz beginnt nochmal

von vorne. „Tuningtime“, so der

Titel der zweiten, abendfüllenden

Produktion von Julia Klockow;

im letzten Sommer zeigte die

1983 in Berlin geborene Tänzerin

und Choreografin „Vague“ in der

Lokhalle. Dieses Mal steht sie

mit ihrem knapp einstündigen

Solo selbst auf der Bühne – Film

ist dabei ein wichtiger Anknüpfungspunkt

(Förderung: LBBW-

Bank, Kooperation: E-Werk)

Bewegungsstudien, Körperzustände,

Konfrontation – das

alles packt Klockow in ihre konzentrierte

Performance, die so

mutig wie konsequent dem Publikum

einiges abverlangt. Denn

Musik gibt es nicht, der dezente

Beat aus dem Off entpuppt sich

als Zufall aus dem Nachbarhaus

und ist bald wieder verschwunden.

Komplette Stille also – dafür

leuchten Beine durch die samtige

Dunkelheit, eine Frau von hinten,

ihr fließendes Shirt endet knapp

über dem Po. Klockow ist untenrum

– und dann, nach minutenlangem

Abstreifen des Stoffes,

völlig nackt unter dem Fell ihrer

schulterlangen, ins Gesicht gezogenen

Haare. Das hat schon

seine Wirkung: Der Körper wird

schutzlos, aber auch Forschungsobjekt

und bewegte Skulptur. Es

bleibt abstrakt: In Be- und Entschleunigung

geht sie durch den

Raum, vorwärts, rückwärts, in

einer langen Sequenz dreht sie

sich um die Ecke. Dann wieder

gibt es Dynamik mit fliegenden

Haaren, großen Gesten, Wellen-

Armen, Atemstöße. – Getanzte

Stop-Motion, die Sog entwickelt,

in ihren Dekonstruktions-Loops

aber auch Mut zur Länge hat.

Der Tanz, der den eigenen Körper

erforscht und „unter Einbezug

von Geschlechterrollen und

Herkunft, inwieweit wir unsere

Sozialisierung hinter uns lassen

können“, so der Flyer-Text.

Grübelfutter nicht nur für Diskus-Laien

also. Sehr ästhetisch

ist dann der zweite Teil, der an

Aktfotografie der 20er Jahre und

entschleunigte Yoga-Übungen

erinnert und den Körper zum

Kunstobjekt macht: Ein filigranes,

kraftvolles Muskelspiel

mit viel Präzision und Beherrschung,

die Haut als Hülle, die

Bewegungsereignisse sichtbar

werden lässt. Dann eine Störung,

Zuckung und Klockow wirft sich

auf den Boden, wippt nach, wirft

sich wieder und wieder hin. Am

Ende ist ihr Gesicht das erste Mal

an diesem Abend ohne Haarvorhang,

klar blickt sie minutenlang

ins Publikum. Da ist einem dieser

Körper schon vertraut. Auf

der Leinwand cremen sich die

Finger mit Bananenmatsch ein,

stecken dann eine kleine Pflanze

in die süß gefüllte Hülle und

schließen die geplatzte Naht. Geburtsstunde

für etwas Neues…

Marion Klötzer

Menschen und deren Geschichten

Nach zwei Jahren Pandemie will das Cargo Theater mit der Produktion „Stücke von Zuhause“ Kindern und

timer Atmosphäre, mal wird erzählt

und gezeigt, mal getanzt,

gedichtet oder Musik gemacht.

Jede Szene ist anders, ist eine

Mini-Episode mit eigenem inhaltlichen

und künstlerischen

Schwerpunkt, jede trägt einen

Titel. Es beginnt mit „Am laufenden

Band“ auf einem Familien-Küchentisch:

Kaffeetasse,

Salzstreuer, Laptop, Schulbücher,

Feierabendbier, Brettspiel

und vieles mehr ziehen hier im

Laufe eines Tages auf einem

Jugendlichen eine Stimme geben

schwarzen Tischläufer vorbei,

während der Familienvater aus

dem Off kommentiert. Natürlich

dürfen da auch die Feuerwehr-

Sirenen nicht fehlen... Mit dem

Tanz-Solo „Wand schafft Raum“

geht es weiter, wenig später

sind wir zu Gast in der„Kunstim-Kasten“-Werkstatt,

einem

Wohnzimmer-Museum oder

einem Innenhof, bekommen

Holzöfen, Lichtschacht-Farn

oder alte Fensterläden präsentiert.

Traurig und berührend,

weil bald schon Vergangenheit,

sind die Gartengeschichten aus

dem Metzgergrün, verrätselt

die kleinen Theaterszenen auf

dem Sofa oder der kunterbunten

Wolle-Insel. Dazwischen

gibt es Balkan-Straßenmusik

mit Akkordeon und Geige. Das

ist liebevoll und ambitioniert

gemacht, aber mit hundert Minuten

eindeutig zu lang geraten.

Um wirklich einen Spannungsbogen

zu entwickeln, wäre ein

klareres Konzept hilfreich. Im

„Stücke von

Zuhause“

Foto: Cargo Theater

Herbst geht das Projekt dann

in die zweite Runde, auch dafür

werden dann Stühlinger-

Akteur*innen gesucht.

„Stücke von Zuhause: Stühlinger“

online unter: www.cargotheater.de/aktuelle-projekte.php

Für die zweite Runde „Stücke

von Zuhause“ Ende dieses Jahres

können sich ab sofort Kinder

und Jugendliche ab 12 Jahren

melden. Anmeldung unter Tel.

49 761 807136 oder info@cargotheater.de

Marion Klötzer

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