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THEATER KULTUR JOKER 3

Anja Schweitzer und Gioia

Osthoff in „Am Ende Licht“

Foto: Britt Schilling

Christine (Anja Schweitzer)

steht in rosa Jogginghosen

und einem blauen Wollmantel

zwischen Wänden, die nach

falschem Marmor aussehen.

Was man sich halt so überwirft,

wenn man im nächsten

Supermarkt eine Flasche Wodka

kaufen will. Der Wollmantel

ist ein Geschenk ihres Mannes

und gibt ein bisschen Haltung.

Die letzten Monate hätte man

sie als trocken bezeichnen können,

doch dann hatte der Mann

eine Affäre und jedes der Kinder

sein ganz eigenes Problem.

Dass Christine jetzt zwischen

den Gängen von niemandem

bemerkt wird, ist zumindest

eigenartig. Tatsächlich jedoch

ist sie tot, an einer Hirnblutung

gestorben, gerade als sie

die Flasche Alkohol aus dem

Regal greifen wollte. Christine

wechselt von der ersten in die

dritte Person. Ab jetzt spricht

sie nicht mehr, es wird über sie

gesprochen.

Das englische Drama kennt

sich aus mit Geistern. Mehr

noch, der Autor Simon Stephens

kennt sich mit dem Ort aus, an

dem „Am Ende Licht“ spielt.

Er wurde 1971 in Stockport,

Greater Manchester, geboren.

Es war eine der ersten Städte,

die mit der Textilindustrie für

Im Moment des Todes

Peter Carp inszeniert am Theater Freiburg das englische

Englands Wohlstand sorgten,

Friedrich Engels besuchte den

Ort Mitte des 19. Jahrhunderts

und gab ihm ein eher schlechtes

Zeugnis. Nach der deutschen

Erstaufführung am Schauspiel

Stuttgart im letzten November

hat das Drama nun auch Peter

Carp am Theater Freiburg

inszeniert. Man kann es nachvollziehen,

es ist ein Ensemblestück,

und der Tod nun einmal

der kleinste gemeinsame Nenner

zwischen uns allen. Doch

dieser Rührfaktor, gepaart mit

wirklich viel Elend, kann einem

Sozialdrama „Am Ende Licht“

im Laufe der zweieinhalb Stunden

etwas sauer aufstoßen.

Dass Christine von nun ab

schweigt, ist ein leeres Versprechen.

Sie will noch einmal

nach dem Rechten sehen – dass

Alkohol die Empathiefähigkeit

mindert, geschenkt. Sie

besucht ihre Kinder und ihren

Gatten, der während sie stirbt,

einen Dreier mit seiner Geliebten

(Angelika Falkenhan) und

deren Freundin Emma (Laura

Angelina Palacios) hat. Bernard

(der mit dem Mantel) ist verkörpert

von Michael Witte, unter

allen erbärmlichen Würstchen

das erbärmlichste. Ewig hungrig,

im schlecht sitzenden Anzug

und gelber Krawatte hält er

aus lauter Nervosität die Frauen

aus und gibt ihnen sogar Geld.

Stephens‘ Stück ist englisches

Sozialdrama pur, das kaum etwas

auslässt, doch obwohl „Am

Ende Licht“ in der durchaus

prekären Mittelklasse spielt,

ist manches „absolut zauberhaft“

und ein alternder Mann

ein „Frechdachs“. Da fragt

man sich schon, ob Stephens

in Stockport wirklich so genau

zugehört hat oder ob es an der

Übersetzung liegt.

Kaspar Zwimpfers Bühnenbild

schafft durch die eingezogenen

Wände im Kleinen Haus

die Illusion von Simultaneität.

Christine taucht bei jedem Familienmitglied

in Schlüsselszenen

auf, etwa bei ihrem Sohn

Steven (Raban Bieling), der mit

einem Nervenzusammenbruch

um die Gunst seines Liebhabers

(als Upperclass-Schnösel:

Thieß Brammer) buhlt. Einzig

bei ihrer jüngsten Tochter zeigt

sie sich als sie selbst. Vielleicht

ist das Päckchen von Ashe

(Gioia Osthoff) auch einfach

zu groß: die alleinerziehende

Mutter ist mit dem Kind überfordert,

der Vater (Tim Al-Windawe),

ein Junkie, nicht einmal

bereit, 20 Pfund in der Woche

zu zahlen, seine Mutter jedoch

würde der jungen Mutter das

Kind gerne abkaufen. Das soziale

und emotionale Elend

kannibalisiert sich, das einzelne

Schicksal bleibt flach und ist

Teil eines größeren Dramas: der

Familie.

Weitere Vorstellung: 3. April,

Kleines Haus, Theater Freiburg.

Annette Hoffmann

Eine flügelzarte Freundschaftsgeschichte

„Der Papierflieger“ gespielt von dem Figurentheater Vagabündel

Eine Geschichte für Kinder

über Einsamkeit im Alter – das

ist alles andere als Mainstream.

Doch Luise aus dem 2015 erschienenen,

mit dem Leipziger

Lesekompass prämierten Bilderbuch

„Der Besuch“ ist keine

fidele Oma, sondern so traurig

und allein, dass sie nicht mehr

aus dem Haus kann: Sie hat

Angst, vor Spinnen, vor Menschen

und Bäumen… Bis der

Wind einen Papierflieger durch

ihr offenes Fenster wirbelt – und

wenig später seinen Besitzer

Max, der Pipi muss und Hunger

hat.

Die vielfach ausgezeichnete

Autorin und Illustratorin Antje

Damm setzt das in ihrem zum

Markenzeichen gewordenen

Stil wortwörtlich in Szene: Aus

bemalter Pappe baut sie dreidimensionale

Kulissen, die sie

raffiniert ausleuchtet und abfotografiert.

– Eine Steilvorlage

für das Freiburger Figurentheater

Vagabündel, hat Ute Wange

doch schon in ihren letzten Produktionen

Papier immer wieder

so bezaubernd wie facettenreich

bespielt. Drei Anläufe brauchte

es, jetzt feierte die Bilderbuch-

Adaption „Der Papierflieger“

endlich Premiere vor jungem

Publikum im Vorderhaus (Regie:

Vanessa Valk).

Die Bühne (Ute Wange, Stefan

Christ) zeigt eine graue Werkstatt

mit kleinem Sprossenfenster:

Große Kartons stapeln

sich zu Türmen, dazwischen

ein Stehpult mit Stempeln und

Telefon. „Frau Schöne, Endkontrolle“,

stellt sich die Frau (Ute

Wange) im Arbeitskittel vor.

Ihr Kollege Herr Max (Stefan

Christ) bringt nun Paket nach

Paket herein, jedes wird geprüft,

gestempelt oder auch mal wegen

Gefahrengut oder Artenschutz

geöffnet. Spannende Grüße aus

der weiten Welt! Dann gibt’s

da noch eines ohne Nummer:

Ratsch macht der Cutter, der

Karton klappt auf und zeigt eine

Miniaturwelt: Bibliothek, Lampe,

Sessel – dazwischen eingeklemmt

kauert Luise als Stabfigur.

Ein magischer Moment

– auch weil nun die Geschichte

endlich losgeht. Als Einstieg ist

die Werkstatt-Rahmenhandlung

im Vergleich zum Hauptteil

nämlich ziemlich lang geraten.

Die Kinder im Publikum sind

trotzdem ganz dabei. Licht an,

Licht aus, Licht an, dazu monotones

Ticketacke – so erzählen

die beiden Spieler eindrücklich

von Luises Alltagseinerlei. Zu

lange schon ist sie allein bei Tag

und Nacht. Doch mit Max kommen

die Farben: Rote Haare,

Ringelpulli, quicklebendig und

null Berührungsängste, so wickelt

er die alte Luise um den

Finger. Erst spielen die beiden

Verstecken, dann präsentiert

Ex-Opernsängerin Luise zittrig

und wunderschön ihr Lieblingslied.

Immer schneller wächst das

Regenbogenlicht über die grauen

Hochhausfassaden, in die

sich die Kartons verwandelt haben.

– Jede Menge bezauberndkreativer

Regie-Ideen, pointiertes

Schau- und Figurenspiel

– vor allem aber eine flügelzarte

Freundschaftsgeschichte fürs

Herz…

Vagabündel gastiert mit seinen

Stücken in Theatern, Kindergärten,

Schulen, Jugendhäusern,

Bibliotheken. Anfragen an

Ute Wange,Tel. 0761/48 99 653

6; wange@figurentheater-vagabuendel.de

Marion Klötzer

Foto: Sylvain Gripoix

5 - 8 Mai 2022

FREIBURGER SCHÜLER

JAZZHAUS-ORCHESTER

THE JAKOB MANZ PROJECT

DANIEL ERDMANN'S

VELVET REVOLUTION

ADAM BEN EZRA

BZ-Ticket · reservix.de · forumjazz.de

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