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VISION KULTUR JOKER 19

Zur Zukunft des Kunsthauses „L6“ in Freiburg

In der Lameystraße 6 im

nördlichen Vorort Zähringen

stand einst ein Umspannwerk

der Post. Dann erwarb ein privater

Investor das Objekt. Zum

selben Zeitpunkt gab die Stadt

Freiburg die erste Etage des

‚Schwarzen Klosters‘ auf, wo

sich bis dahin die Städtische

Galerie befand, und veräußerte

für ‚kleines Geld‘ – beileibe

keine ihrer Sternstunden – auch

das Gebäude an der Mehlwaage,

wo seit Jahrzehnten die

Druckwerkstatt Freiburger

Künstler*innen ihre Heimat

hatte (lange Zeit gemeinsam

Wie Kunst nottut

Kommentar: Jochen Ludwig zum Erhalt einer Städtischen Galerie in Freiburg

Zu viel Kunst in der Stadt?

Zu viele Bilder, Skulpturen,

Installationen? Zu viele Orte,

an denen man innehalten, reflektieren,

in die Welt und

in sich selbst hineinschauen

kann? Natürlich kann man der

Meinung sein, dass Freiburg

reich genug an Attraktionen

ist, an kulturellen Highlights.

Da ist das Münster, da sind

die alten Gassen, da ist das

Theater, die Universität, sind

die Chöre und Orchester,

und da ist die Natur drumherum

vom Schwarzwald übers

Markgräflerland bis hin zum

Kaiserstuhl. Und als Zugabe

gibt es sogar noch die Bächle

und die Dreisam-Schwellen,

die an heißen Sommertagen

zur Kühlung dienen. Ja

gewiss:„Freiburg hat, was alle

suchen.“

Der Werbeslogan, der vor

Jahren durch eine Verschiebung

des Kommas um ein

Wort nach hinten, zur medialen

Lachnummer wurde, bezog

sich kaum auf die Bildende

Kunst. Das altehrwürdige

Augustinermuseum führte

damals, trotz aller Anstrengungen

der Beteiligten, ein

Schattendasein; das gerade

mit dem Büro des BBK-Südbaden).

Der BBK zog in den Geiges-Turm

in der Talstraße 66 (T

66) um. Seit 2004 werden die

Räume im „L 6“ bespielt.

Jury-Abstimmung in der Mehlwaage, im Vordergrund: Heinrich

Mutter

Foto: Reinhard Klessinger

Jetzt steht das Ende des Mietverhältnisses

in Zähringen an

(Mitte 2024, so heißt es). Man

könnte meinen, das sei ja noch

fern. Aber wenn Kosten anfielen

für Nachfolgelösungen,

müssten die rechtzeitig ‚verankert‘

sein: Die Beratungen über

den städtischen Doppelhaushalt

2023/24 beginnen bald. Also

gilt es heute (und in nachfolgenden

Berichten) für das Thema

zu sensibilisieren. Im „L 6“

befinden sich: der städtische

Ausstellungsraum, die Künstlerwerkstatt,

zehn Künstlerateliers,

acht Band-Probenräume

im Untergeschoss. Das wird so

künftig nicht zusammenbleiben

(müssen). Musik wird sich

an eigenem Ort konzentrieren,

noch scheint das Umfeld des

Güterbahnhofs nicht ganz aus

der Debatte. Die Ateliers können

tatsächlich an die Peripherie

der Stadt, vielleicht in den

Schildacker. Aber wohin mit

der Städtischen Galerie, die

Die Mehlwaage, Metzgerau 2, um 1900

Foto: Georg Röbcke, Stadtarchiv Freiburg

erst gegründete Museum für

Neue Kunst begann, sich mit

ungewöhnlichen Aktionen in

Szene zu setzen; der traditionsreiche

Kunstverein bediente

sein treues Publikum

mit anspruchsvoller Gegenwartskunst.

Und die Städtische

Galerie? Die befand

sich noch mitten in der Stadt

im „Schwarzen Kloster“ und

verstand sich als Spielstätte

für unterschiedlichste Gruppierungen

und Themenstellungen.

Ihr Programm wurde

über lange Zeit im Rathaus

von Amts wegen verwaltet, ein

eigenes Profil, eine spezifische

Ausrichtung gab es nicht.

Das alles ist lange her. Die

Städtische Galerie gibt es

immer noch. Ihren Platz im

Zentrum musste sie räumen,

sie fand ein neues Zuhause

außerhalb im Nirgendwo, mit

ÖPNV-Anschluss, immerhin.

Und doch hat sie sich über die

Jahre zu einem weithin geschätzten

Ort der Kunst entwickelt.

Die dort präsentierten

Ausstellungen zeigen Arbeiten

heimischer und auswärtiger

Künstlerinnen und Künstler,

aktuelle Positionen, die sich

mit unterschiedlichsten Fragen

zur Autonomie und zur

gesellschaftlichen Relevanz

von Kunst beschäftigen. Das

Jahresprogramm wird von

einer im Kulturamt angesiedelten

Jury verantwortet, man

kann sich bewerben, oberstes

Kriterium ist Qualität. Insofern

ist die Städtische Galerie,

nun aber mit fachlicher Expertise,

nach wie vor ein offener

Raum für alle Möglichkeiten

künstlerischer Äußerungen –

und das ist auch gut so.

Ein Zuviel an Kunst? Eine

verzichtbare Option angesichts

des reichhaltigen Freiburger

Angebots? Überflüssig etwa

neben den Museen und Galerien

in städtischer oder privater

Hand, neben dem Kunstverein,

dem Kulturwerk T66

des BBK oder den inzwischen

immer mal wieder für kurze

Zeit aufploppenden und dann

wieder verschwindenden Off-

Spaces? Natürlich nicht! Freiburg

braucht diese Einrichtung!

Und die Künstlerinnen

und Künstler brauchen dieses

verlässliche, bedingungslose

Angebot der Stadt, aus ihren

Ateliers hinausgehen und uns

zeigen zu können, wie Bilder,

Skulpturen und Installationen

eigentlich ins Zentrum gehört,

und eben der Druckwerkstatt?

Blick zurück: die „Mehlwaage“

Das ehemalige „Stechhäusle“,

ein Barockbau von 1763, in der

Metzgerau 4, sollte Ende der

1960er Jahre (wie die meisten

historischen Gebäude im Umfeld)

abgerissen werden, um

dem Neubau des KG III der

Universität samt Tiefgarage

und Zufahrt Platz zu machen.

Dem Einschreiten der ArGe

Freiburger Stadtbild (1968) ist

es zu verdanken, dass das nicht

den Blick auf die Welt schärfen

und verändern. Wie sehr

Kunst nottut.

Jochen Ludwig

passierte. Einst Schlachthaus,

niemals Mehlwaage (die lag

um die Ecke), dann Eichamt,

zuletzt, wie Eberhard Brügel

erinnert, eine Art „Depot des

Ordnungsamts für Absperrungen

bei Demonstrationen“,

wurden dann kulturelle Nutzungen

diskutiert. Am Ende

setzte sich der BBK-Südbaden

durch, sein Büro, vor allem die

Druckwerkstatt hielten im Mai

1976 Einzug.

Sinnfällig im Quartier,

das seit dem Mittelalter als

„Schneckenvorstadt“ Handwerk

und Handel beherbergte.

Der politische Impuls kam von

der damaligen BBK-Vorsitzenden

Bettina Eichin (die kaum

später auch treibende Kraft

bei der Einrichtung der Villa

Mitscherlich zum städtischen

Atelierhaus gewesen ist). Alle

halfen mit beim Ausmisten

des Altbaus. Der Architekt

Ferdinand Merkenthaler besorgte

die Umbauplanung.

Die Werkstatt wurde kreativer

Magnet, viele Ausstellungen

folgten. Das Projekt sprach

sich herum: Im Oktober 1983

stellten Künstler*innen aus

der Mehlwaage auf Einladung

im Künstlerhaus Stuttgart aus.

Reinhard Klessinger steuert ein

Foto aus seinem Archiv bei und

notiert: „Im Vordergrund sieht

man Heinrich Mutter, der das

wichtigste Gründungsmitglied

der Mehlwaage war.“Es lohnt

zu erinnern – und zugleich für

die Zukunft Sorge zu tragen.

Martin Flashar

Dr. Jochen Ludwig, Jahrgang

1946, Kunsthistoriker, war

Gründungsdirektor des Museums

für Neue Kunst der Stadt

Freiburg und von 1985 bis 2011

dessen Leiter.

Premiumhändler

Südbaden

Konviktstr. 21 - 23

79098 Freiburg

Tel. 0761 37536

www.culinara-freiburg.de

Unikat von Stephan Rambaud, Meilleur Ouvrier de France

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