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Spectrum_01_2022

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DOSSIER

Text und Illustration Mara Lynette Wehofsky

Geschminkte (unter) Masken

Das Beauty-Business boomt, obwohl Schminke noch immer

ein ambivalentes Thema ist. Aber wie sieht es mit

der Maske unter der Maske aus?

«Ich stehe auf weniger geschminkte Frauen»

ist ein Spruch, der nicht nur so vor

Sexismus trieft, sondern auch darstellt,

was viele Menschen von Schminke halten:

Dezentes Make-Up ist professionell und

feministisch, aber wer sich stark schminkt,

hat etwas zu verbergen. Trotz diesem Vorurteil

wurde 2019 der Umsatz der gesamten

Beauty-Branche auf 500 Milliarden Dollar

geschätzt, Tendenz steigend.

Schönheit kommt von innen, oder?

Nach einer weltweiten Umfrage von «Statista»

aus dem Jahr 2019 kommt bei der

Frage, welche Merkmale für die Schönheit

einer Frau besonders wichtig sind, das Gesicht

erst auf Platz sechs. Wichtiger sind

der Humor, das Selbstvertrauen, die Intelligenz,

die Würde und die Freundlichkeit.

Das Hautbild kommt erst auf Platz zehn und

Make-Up erst auf Platz achtzehn. Schönheit

kommt also wirklich von innen, oder?

Eine repräsentative Studie des Werbesenders

QVC hat 2017 jedoch herausgefunden,

dass 74 Prozent der deutschen Frauen

Schminke benutzen, um damit besser auszusehen.

Obwohl unser Gesicht in Sachen

Attraktivität nicht das allerwichtigste ist,

schminken sich also doch die Mehrheit der

Frauen.

Schminke wird oft als eine Art Maske beschrieben:

Laut Duden steht das Wort

«Schminke» für ein «kosmetisches Mittel

[…], das besonders für die […] Verschönerung

oder (besonders in der Schauspielkunst)

Veränderung des Aussehens benutzt

wird». Mit Schminke können wir unser Gesicht

verändern, und vielleicht auch eine

Maske aufsetzen.

Die Biologie der Attraktivität

Mehrere wissenschaftliche Studien belegen,

dass das äußere Erscheinungsbild meist das

erste ist, welches wir in Sachen Attraktivität

beurteilen. Charaktereigenschaften

können eben nicht auf den ersten Blick erkannt

werden. Prof. Dr. Haag-Wackernagel,

Professor für Biologie an der Universität

Basel, schreibt in seinem Artikel Die Biologie

der Attraktivität darüber, dass die Wahrnehmung

von Attraktivität dazu dient, bei

der Partner*innensuche die beste Wahl zu

treffen. Er sagt, um Nachwuchs mit optimalen

Eigenschaften zu zeugen, suchen wir

meist unterbewusst nach Genen, welche

sich möglichst erfolgreich kombinieren lassen:

«Ein breites Lächeln, grosse Augen und

hervortretende Wangenknochen wirken bei

beiden Geschlechtern anziehend.» Ausserdem

sind ein grosser Augenabstand, eine

grosse Augenbrauenhöhe und dicke Unterlippen

vor allem bei Frauen begehrte Merkmale.

Das symmetrische Gesicht bewerten

viele als attraktiv. Die Forschung vermutet,

dass eine hohe Symmetrie eine stabile embryonale

Entwicklung widerspiegelt, die auf

einer starken Resistenz gegen Krankheiten

beruht.

«Ein breites Lächeln, grosse

Augen und hervortretende

Wangenknochen wirken bei

beiden Geschlechtern anziehend.»

Prof. Dr. Haag-Wackernagel

Unsere Gesellschaft bevorzugt Menschen,

die ihren Schönheitsidealen entsprechen.

Als schön wahrgenommene Studierende

erreichen im Durchschnitt höhere akademische

Grade. Bei Bewerbungen kann

Schönheit sogar wichtiger sein als Fachkompetenz.

Schöne Kinder werden weniger

hart bestraft, und auch vor Gericht erhalten

attraktive Menschen geringere Strafen. In

der Werbung treten vor allem attraktive

Menschen auf, und auch in sozialen Medien

wie Instagram wird viel Wert auf äußere

Schönheit gelegt. 2021 deckte das Wall

Street Journal einen Skandal auf, bei dem

Facebook kritische Dokumente unter Verschluss

hielt. Diese gaben preis, dass eins

von drei Mädchen als Teenager durch die

Nutzung von Instagram ein schlechteres

Selbstbild entwickelt hatte.

Das Verlangen danach, bestimmten Schönheitsidealen

oder Merkmalen zu entsprechen,

mag biologisch in uns verankert sein,

wird jedoch durch die Gesellschaft verstärkt.

Wir «maskieren» uns, um größere

Chancen auf Fortpflanzung zu erhalten und

besser behandelt zu werden.

Die Debatte um die Schminke

Produkte aufzutragen, um besser auszusehen

war schon vor Jahrtausenden beliebt:

Schon die alten Ägypter*innen schmückten

angeblich ihre Gesichter, um ihren Gottheiten

ähnlicher zu werden. Doch wie eine Gesellschaft

Schminke bewertete, unterschied

sich je nach historischem Kontext stark. Im

19. Jahrhundert standen Prostituierte oder

dekadente Adelige den «selbstredend ungeschminkten

mütterlichen Frauen aus dem

Volk» entgegen. Schminke konnte ein Symbol

für Reichtum sein, wie es unter anderem

Barbara Vinken in ihrem Buch Angezogen –

das Geheimnis der Mode beschreibt. Schminke

stand jedoch nicht nur für materielles,

sondern auch für sexuelles Kapital.

Doch manchmal war es gerade umgekehrt:

Je weniger Schminke «benötigt» wurde, desto

natürlich attraktiver wurde eine Frau vor

anderen wahrgenommen. Schminke wird

also ambivalent bewertet. Sie kann einer

Frau gesellschaftliche Vorteile verschaffen

oder ihr Macht über ihren Körper verleihen.

In der ersten feministischen Welle des

frühen 20. Jahrhunderts galt das Tragen

von rotem Lippenstift als Symbol für weibliche

Emanzipation von diktierten Normen.

Gleichzeitig steht die Schminke unter dem

Verdacht, die Frau auf ihre Attraktivität zu

reduzieren. Da lautet das Argument: Wer

sich schminkt, müsse ein Problem mit dem

eigenen Aussehen haben, und wer sich Feminist*in

nennt, sollte die Finger von Make-

Up lassen.

20 spectrum 02.22

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