Spectrum_05_2021
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DOSSIER
Text Maria Papantuono
Illustration Emanuel Hänsenberger
He can see in the dark: Die Literatur
des Schauers
Klassische Musik ertönt durch meine Kopfhörer. Ich laufe
durch die Finsternis. Meine Schritte werden schneller,
ich fühle mich verfolgt. Trotz der Paranoia formt sich ein
finsteres Lächeln auf meinen Lippen.
ie Faszination für das Böse, das Düstere,
D Unbekannte oder für die melodramatische
Darstellung des Gewöhnlichen ist ein
uns allen bekanntes Phänomen. Wir können
damit in eine Welt des Unerklärlichen und
der endlosen Fantasie eintauchen. Buchliebhaber*innen
kennen dieses Gefühl besonders
gut. Im Englischen nennt sich das
«escapism», im Deutschen «Eskapismus» oder
auch Realitätsflucht vor dem, was im alltäglichen
Leben ausgehalten wird.
Glücklicherweise erkannten Autor*innen
wie Horace Walpoe die Liebe zum Unerklärlichen
gekoppelt mit einem Wunsch
nach dem Eintauchen in eine andere Welt.
Mit seinem weltbekannten Werk The Castle
of Otranto gilt Walpoe als ein Pionier der
gotischen Literatur, obwohl er den Begriff
«gothic» vermutlich eher als Witz in den
Untertitel schrieb. Die Geschichte ist eine
bizarre Mischung aus Mediävistik und Terror,
geschmückt mit übernatürlichen Elementen
und einem Setting, welches einem
treuen Fan der Schauerliteratur ein Lächeln
ins Gesicht zaubert: Ein altes, gotisches
Schloss, das von irgendeiner Kreatur oder
einem Gespenst heimgesucht wird, mit Türen,
die sich selbst schliessen, Bilder, die sich
von allein bewegen und gruseligen Geheimgängen.
Das Setting als Protagonist
Protagonist in der Schauerliteratur ist, wie
auch beim Werk von Horace Walpoe, das
Setting: Sei es ein verlassenes Schloss, ein
nebliger Friedhof oder eine kaum beleuchtete
Strasse mitten in der Altstadt. Die Umgebung
hat in Büchern der gotischen Literatur
einen eigenen Charakter und gibt die Richtung
an, in welche die Geschichte gehen soll.
Sie soll den Lesenden ein Gefühl der Angst
und des Schreckens, der Melodramatik und
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