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B1|A40 THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD

DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE 2014 EINE AUSSTELLUNG IM STADTRAUM DER A40 VON DUISBURG BIS DORTMUND 14.06.2014 – 07.09.2014 MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE URBANE KÜNSTE RUHR (HG.) WIENAND

DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE 2014
EINE AUSSTELLUNG IM STADTRAUM DER A40 VON DUISBURG BIS DORTMUND
14.06.2014 – 07.09.2014

MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE
URBANE KÜNSTE RUHR
(HG.)

WIENAND

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Wohngebiete und aktiv genutzte Lebensräume führt 2 , typologisch fassbar<br />

zu machen. Stark fokussierte Zentrumslagen wie versteckte Soziobiotope,<br />

Gewerbeagglomerationen mit Autobahnanschluss und zerteilte<br />

Stadtviertel, Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ und subkulturelle<br />

Schnittstellen wie auch heterogenste Mischgebiete stellen unterschiedlichste<br />

Anforderungen an diejenigen, die in und mit ihnen leben.<br />

In diesen Situationen, für die Planung und Politik bis heute kaum<br />

Lösungsvorschläge zu bieten haben, feiern die unkonventionellen Methoden<br />

derer, die unmittelbar mit dem Bau der A40 konfrontiert wurden,<br />

mehr und mehr Erfolge. Eigenwillige Formen der Raumaneignung<br />

und der kreative Umgang der Bewohner mit den schwierigen Lebenssituationen<br />

entlang der A40 sind dort erfolgreich, wo das politische<br />

und ökonomische Interesse gegen Null sinkt. In Eigenregie entstehen<br />

innovative Soziobiotope zwischen individuellem Gestaltungswillen und<br />

sozialer Gemeinschaft, Arbeitssituationen zwischen kontextbezogener<br />

Raumnutzung, neuen Ökonomien und alternativen Produktionsformen<br />

sowie subversiv-produktive Orte mit eigener Kulturgeschichte. Ob Biobauer<br />

oder Gänsezucht, Bikertreff oder Tanzverein, Filmclub oder Tunermeeting,<br />

Fischfarm oder Imkerei, Wagenplatz oder Siedlerverein –<br />

die Strategien und Taktiken der Menschen formieren sich zu komplexen<br />

Landschaften zwischen bürgerlich-anarchischer Selbstbestimmung,<br />

subversiver Subkultur und pragmatischer Nutzung des Raums.<br />

Die Künstler stellten in Interaktion mit dieser Landschaft, ihren Protagonisten,<br />

der Stadtplanung und den Anwohnern Fragen nach der<br />

Genese dieser Formen: Wie und mit welchen Mitteln und Strategien<br />

transformieren die Anlieger der Ränder der A40 diese zerschlagenen<br />

Räume, um sie wieder nutzbar zu machen, sich rückanzueignen und als<br />

Lebensraum zu reorganisieren? Welche Schlüsse lassen sich für Planung<br />

und Politik daraus ziehen? Können diese Strategien übertragbare<br />

Direktiven für den Umgang mit anderen prekären Stadträumen liefern?<br />

Kann Kunst produktive Perspektiven für solche Räume aufzeigen? Wie<br />

hoch ist die Durchlässigkeit zwischen Hoch- und Alltagskultur, und können<br />

diese voneinander profitieren?<br />

Verschiedene Formate führten im Projekt durch diesen komplexen<br />

Raum. Künstlerische Arbeiten verbanden sich mit lokalen Ideen und<br />

den Projekten der Menschen vor Ort. Bauernhof und Schrebergarten,<br />

Tunertreff und Autobahnkirche, Tanzsportverein und SM-Studio wurden<br />

zu gleichwertigen Teilen des Projekts. Wanderwege, Führungen<br />

und Bustouren verknüpften die unterschiedlichen Elemente zu einer<br />

sinnfälligen Choreografie zwischen Landschaft, Kunst und Alltagskultur.<br />

Vorträge und Symposien, Theaterstücke und Konzerte, Picknicke<br />

und kulinarische Genüsse bildeten ein Programm, das die Ausstellung<br />

begleitete. Wer anhielt und ausstieg, fand eine Landschaft, die sich tagtäglich<br />

neu erfindet – eigen, einfallsreich und widerständig.<br />

LEARNING FROM A40 Bei der Suche nach Antworten auf die künstlerischen<br />

Fragen spielten die spezifischen Qualitäten dieses Raums wie die<br />

latente Unsichtbarkeit der Ränder, die hier in einzigartiger Weise durch<br />

die Autobahn von der Peripherie mitten ins Zentrum getragen werden,<br />

eine wichtige Rolle. Das Entstehen eines beinahe rechtsfreien Raums<br />

im Schatten der Autobahn bedingt ein markantes Desinteresse von Politik,<br />

Planung und Ökonomie an diesem, in dessen Folge solche Räume<br />

den Bürgern nahezu in Eigenregie überlassen werden. Dass vor dem<br />

Hintergrund selbstverantwortlichen Handelns nicht blanke Anarchie,<br />

sondern Konfliktfähigkeit und Aushandlungswillen entstehen, ist eine<br />

der entscheidenden Erkenntnisse des Projekts <strong>B1|A40</strong> und verweist auf<br />

eine Renaissance von sozialer Kompetenz in solchen heterogenen Landschaften.<br />

Der amerikanische Landschaftsforscher John Brinckerhoff Jackson<br />

beschreibt die Bedingungen, Strategien und Verhältnisse einer solchen<br />

Landschaft, die er als vernakulär bezeichnet: „[...] Mobilität und Wandel<br />

sind die Schlüssel zur vernakulären Landschaft, aber eher unfreiwillig<br />

und widerstrebend. Sie sind nicht Ausdruck von Ruhelosigkeit und Suche<br />

nach Verbesserung, sondern vielmehr von einer nicht enden wollenden,<br />

geduldigen Anpassung an die Umstände. Viel zu oft geht diese<br />

Anpassung auf willkürliche Entscheidungen der Mächtigen zurück. Aber<br />

ebenso spielen natürliche Bedingungen, Ignoranz, das blinde Vertrauen<br />

in lokale Konventionen und die Abwesenheit langfristiger Ziele eine Rolle:<br />

das Fehlen dessen also, was wir zukünftiges historisches Bewusstsein<br />

nennen würden [...].“ 3 Das Fehlen der langfristigen Perspektive<br />

scheint bei aller Produktivität eine ambivalente Eigenart dieses Raums<br />

zu sein, die einerseits Handlungsfähigkeit generiert, andererseits die<br />

Zukunftsfähigkeit der Entwürfe anzweifelt. Diese Situation fragt auch<br />

nach den Besitzverhältnissen, die in der vernakulären Landschaft<br />

meist zu Ungunsten ihrer Nutzer verlaufen, und nach den mit ihnen verknüpften<br />

Handlungsmöglichkeiten. Michel de Certeau unterscheidet in<br />

seinem Text Kunst des Handelns 4 dabei zwischen Strategie und Taktik,<br />

die er mit dem Besitz von Raum und der reinen Handlungsoption verknüpft.<br />

Während der Besitz (von Raum) strategisches, ökonomisches<br />

und zukunftsorientiertes Haushalten erlaubt, muss der Besitzlose oder<br />

Schwache anhand von Taktiken, Listen und Finten „unaufhörlich aus den<br />

Kräften Nutzen ziehen, die ihm fremd sind“ 5 . Während im strategischen<br />

Sinne „das Eigene ein Sieg des Ortes über die Zeit“ ist, hat „die Taktik<br />

[des Besitzlosen] nur den Ort des Anderen“ 6 .<br />

Die Konzentration auf das Handeln und die Ausübung einer Praxis jenseits<br />

einer zielorientierten, auf Akkumulation von Werten bedachten<br />

ökonomischen Produktion stehen unter diesen Bedingungen im Vordergrund.<br />

Gegenüber einem oft diffamierten Leben „von der Hand in den<br />

Mund“ stellt sich die Frage nach einer Kultur des Handelns, die aufgrund<br />

der Bedingungen des Raums ausschließlich dem Moment des „Sich-<br />

Ereignens“ verpflichtet ist und sich mit einer Kultur des Raums 7 konfrontiert<br />

sieht, die im Ruhrgebiet besonders den Strategien der montanindustriellen<br />

Produktion, aber im weiteren Sinne eben der akkumulativ<br />

und repräsentativ organisierten Ökonomie unserer Gesellschaft entspringt.<br />

Wo andernorts die zumindest symbolische Teilhabe an Hab und<br />

Gut, Ökonomie und Ort politisch an Wert gewonnen hat, zeigt sich im<br />

Ruhrgebiet ein anderes Bild. Hier, wo die Divergenz zwischen dem Besitz<br />

(und den Besitzern) von Raum und den (besitzlosen) Arbeitern (die<br />

allein ihre Arbeitskraft besitzen und in der Lohnarbeit veräußern) immer<br />

besonders groß war, dominiert weiterhin der auch architektonische<br />

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