B1|A40 THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD

B1 A40
DIE SCHÖNHEIT
DER GROSSEN STRASSE 2014
THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD
MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE
URBANE KÜNSTE RUHR
WIENAND

B1 A40
DIE SCHÖNHEIT
DER GROSSEN STRASSE 2014
THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD

B1 A40
DIE SCHÖNHEIT
DER GROSSEN STRASSE 2014
THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD
DANICA DAKIĆ
MICHAEL FEHR
MANUEL FRANKE
JEANNE VAN HEESWIJK | MARCEL VAN DER MEIJS | BRITT JÜRGENSEN
LENI HOFFMANN
CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
ALLAN KAPROW
JAKOB KOLDING
ELKE KRASNY
KUNSTREPUBLIK
VOLKER LANG
JOHN MILLER
MY!LAIKA
GABRIELA OBERKOFLER
CHRISTIAN ODZUCK
PERFORMANCE ELECTRICS
MARTIN PFEIFLE | WANDA SEBASTIAN
RAUMLABORBERLIN
CHRISTA REICHER | ILKA MECKLENBRAUCK
AUTOBAHNKIRCHE BOCHUM
LANDSCHAFTSPARK B1|A40
MUSEUM BERGGATE 69
RUHR-CASINO BOCHUM
TUNERMEETING DÜCKERWEG
EINE AUSSTELLUNG IM STADTRAUM DER A40
VON DUISBURG BIS DORTMUND
14.06.2014 – 07.09.2014
MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE
URBANE KÜNSTE RUHR
(HG.)
WIENAND

007
009
022
VORWORT FOREWORD KATJA AßMANN | LUKAS CREPAZ
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN B1|A40 FREE ACTS IN OCCUPIED SPACES
KUNST DES HANDELNS THE PRACTICE OF EVERYDAY LIFE MICHEL DE CERTEAU
MARKUS AMBACH
028
038
044
054
060
DU-KAISERBERG | DIE ZUKUNFT DER LANDSCHAFT | THE FUTURE OF LANDSCAPE
DIE ZUKUNFT DER LANDSCHAFT THE FUTURE OF LANDSCAPE MARKUS AMBACH
DÖRNERHOF DÖRNERHOF KLAUS-DIETER GOGOLL
TRAMPELPFADE JEANNE VAN HEESWIJK | BRITT JÜRGENSEN | MARCEL VAN DER MEIJS VAN HEESWIJK | JÜRGENSEN
ÜBERPLANUNGEN MICHAEL FEHR MICHAEL FEHR
GÄNSEOPER DANICA DAKIĆ SABINE MARIA SCHMIDT
068
070
086
096
102
110
116
124
MH-EICHBAUM | MOMENT UND KONTINUITÄT | MOMENT AND CONTINUITY
MOMENT UND KONTINUITÄT MOMENT AND CONTINUITY MARKUS AMBACH
LANDSCHAFTSPARK B1|A40 WANDERWEGE LANDSCAPE PARK B1|A40 HIKING TRAILS MARKUS AMBACH
EICHBAUMGOLD MARTIN PFEIFLE UND WANDA SEBASTIAN MARKUS AMBACH
BUGGELKRAXE GABRIELA OBERKOFLER MARKUS AMBACH
… FLIEG VOGEL FLIEG … CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER ANNELIE POHLEN
ROMA – EINE EUROPÄISCHE MINDERHEIT! ROMA – A EUROPEAN MINORITY! MERFIN DEMIR
8 ½ CIRCUS SPACE VOLKER LANG VOLKER LANG
VISION, MÄRCHEN ODER ROADMOVIE ... VON DER SCHÖNHEIT DER STADT AN DER GROSSEN STRASSE
VISION, FAIRY TALE OR ROAD MOVIE ... ABOUT THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD ANNELIE POHLEN
136
144
150
156
E-FRILLENDORF | HEIMAT AUTOBAHN | AT HOME ALONG THE AUTOBAHN
HEIMAT AUTOBAHN AT HOME ALONG THE AUTOBAHN MARKUS AMBACH
KLITSCHKO_V KLITSCHKO_W LENI HOFFMANN CHRISTINA IRRGANG
FIXSTERN MANUEL FRANKE CHRISTINA IRRGANG
OHNE TITEL JAKOB KOLDING BARBARA HESS

166
172
178
BO-DÜCKERWEG | DÜCKERWEG RELOADED | DÜCKERWEG RELOADED
DÜCKERWEG RELOADED DÜCKERWEG RELOADED MARKUS AMBACH
TOR DES WESTENS KUNSTREPUBLIK CHRISTINA IRRGANG
DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD IRINA WEISCHEDEL
185
198
208
225
231
240
BO-HAMME | KULTURELLE KREUZUNGEN | CULTURAL JUNCTIONS
KULTURELLE KREUZUNGEN CULTURAL JUNCTIONS MARKUS AMBACH
BERGGATE 69 BERGGATE 69 MARKUS AMBACH
MUSEUM BERGGATE 69 MUSEUM BERGGATE 69 MARKUS AMBACH
INGE BAECKER | EIN INTERVIEW INGE BAECKER | AN INTERVIEW BARBARA KÖNCHES
AUS DER LANDSCHAFT DER EIGENSTÄNDIGKEIT ELKE KRASNY ELKE KRASNY
ÜBER DIE KUNST, DIE STADT UND DIE TÜFTLERMENTALITÄT IM RUHRGEBIET
ON ART, THE CITY, AND THE TINKERER’S MENTALITY IN THE RUHR DISTRICT KATJA AßMANN
247
257
266
272
279
285
DO-SCHÖNAU | REKONSTRUKTION EINER LANDSCHAFT | RECONSTRUCTING A LANDSCAPE
REKONSTRUKTION EINER LANDSCHAFT RECONSTRUCTING A LANDSCAPE MARKUS AMBACH
POLYTOPOS DORTMUND* CHRISTIAN ODZUCK SABINE MARIA SCHMIDT
RUHRBANITÄT RUHRBANITY CHRISTA REICHER | ILKA MECKLENBRAUCK
A FALSE MIRROR JOHN MILLER BARBARA HESS
OFFROAD PERFORMANCE ELECTRICS RENATE PUVOGEL
ALLES KÖNNTE ANDERS SEIN, SOGAR DAS RUHRGEBIET ANYTHING CAN CHANGE, EVEN THE RUHR DISTRICT HARALD WELZER
291
RAUM VS. PRAXIS SPACE VS. PRACTICE
MARKUS AMBACH
299
KÜNSTLERBIOGRAFIEN ARTISTS΄ BIOGRAPHIES

6

GRUSSWORT Wenn im Ruhrgebiet von der großen Straße die Rede ist,
weiß jeder sofort, dass es um die A40 geht. Wenn diese das Stadtbild
bestimmende Bundesautobahn als Schönheit bezeichnet wird, befindet
man sich in einer außergewöhnlichen Kunstausstellung, die vor fast
zehn Jahren ihren Anfang nahm.
B1IA40 Die Schönheit der großen Straße entstand als Projektidee im
Wettbewerb um den Titel Kulturhauptstadt Europas. Die erste Edition
lud Gäste von nah und fern ein, die Orte rechts und links der Autobahn
durch die Augen von Künstlern neu zu entdecken. Fünf Standorte vom
Kreuz Kaiserberg in Duisburg, dem Rhein-Ruhr-Zentrum in Mülheim an
der Ruhr, über den Wasserturm in Essen, den Dückerweg in Bochum
bis zur B1 in Dortmund bildeten im Kulturhauptstadtjahr 2010 den Ausstellungsparcours.
Die zweite Edition 2014 reihte neben den erneut
bespielten Kreuz Kaiserberg und Dückerweg fünf neue Standorte entlang
der A40 auf: den U-Bahnhof am Eichbaum in Mülheim an der Ruhr,
ein durch die Autobahn getrenntes Wohnviertel in Essen-Frillendorf,
ein ehemaliges Galeriegebäude und eine Kirche in Bochum sowie die
Schnettkerbrücke mit Halde in Dortmund, sodass mittlerweile ein Kompendium
von zehn unterschiedlichen Landschaftstypologien erfasst
und künstlerisch karto grafiert werden konnte. Ein Ausstellungsbesuch
war zugleich auch immer Entdeckungstour zu Orten, die man sich kaum
vorstellen kann, Resträume mitten in der Stadt, die erst auf den zweiten
Blick eine Schönheit entfalten.
Die Ausstellung B1IA40 Die Schönheit der großen Straße hat die neue
Kunstorganisation Urbane Künste Ruhr stark geprägt und eine neue Dimension
zur Kunst im öffentlichen Raum im Ruhrgebiet hinzugefügt.
Unser Dank gilt in erster Linie dem Kurator Markus Ambach und seinem
Team. Den Künstlern Danica Dakić, Michael Fehr, Manuel Franke,
Jeanne van Heeswijk / Marcel van der Meijs / Britt Jürgensen, Leni Hoffmann,
Christine und Irene Hohenbüchler, Jakob Kolding, Elke Krasny,
KUNSTrePUBLIK, Volker Lang, John Miller, Gabriela Oberkofler,
Christian Odzuck, Performance Electrics, Martin Pfeifle und Wanda
Sebastian. Aber auch allen beteiligten Anrainern, die dem Ruf des Ruhrgebiets
alle Ehre gemacht und die Kunst offen aufgenommen haben.
Zudem danken wir den Kommunen, die die Kunstausstellung in allen
Belangen unterstützt haben. Und zuletzt danken wir selbstverständlich
den Förderern: der Kunststiftung NRW, der Stiftung Kunstfonds, der
RWE-Stiftung, der Danish Arts Foundation und dem Konsulat der Niederlande.
PREFACE When people in the Ruhr District talk about the grand road,
everyone knows right away that they’re talking about the A40. When this
federal highway, which defines the region’s urban image, is described
as beautiful, then you must be at an unusual art exhibition that began
nearly ten years ago.
B1IA40 The Beauty of the Grand Road started as a project idea in a competition
for the title of European Capital of Culture. The first version invited
guests from near and far to rediscover places to the right and left
of the autobahn through the eyes of artists. Five sites – from the Kreuz
Kaiserberg in Duisburg, the Rhine-Ruhr center in Mülheim an der Ruhr,
and the water tower in Essen, to the Dückerweg in Bochum, and the B1
in Dortmund – formed the exhibition parcours for the European Capital
of Culture in 2010. Besides the Kreuz Kaiserberg and the Dückerweg,
the second edition in 2014 lined up five new sites along the A40: the Eichbaum
subway station in Mülheim an der Ruhr, a residential neighborhood
divided in two by the autobahn in Essen-Frillendorf, a former art
gallery and a church in Bochum, as well as the Schnettker bridge and
the slag heap in Dortmund. So by now, artists have explored and mapped
a compendium of ten different types of landscapes. At the time, every
visit to the exhibition was like a discovery tour of places that are hard to
imagine –resting places in the middle of the city, whose beauty is first
revealed at second glance.
The exhibition B1IA40 The Beauty of the Grand Road strongly influenced
the new arts organization, Urbane Künste Ruhr, and added a new dimension
to public art in the Ruhr District.
Our thanks go first to the curator, Markus Ambach, and his team.
Next, the artists: Danica Dakić, Michael Fehr, Manuel Franke, Jeanne
van Heeswijk / Marcel van der Meijs / Britt Jürgensen, Leni Hoffmann,
Christine and Irene Hohenbüchler, Jakob Kolding, Elke Krasny,
KUNSTrePUBLIK, Volker Lang, John Miller, Gabriela Oberkofler,
Christian Odzuck, Performance Electrics, Martin Pfeifle, and Wanda
Sebastian. And all of the participating neighbors, who have been a credit
to the Ruhr District’s reputation and accepted the art with open arms.
In addition, we would like to thank the communities that supported the
art exhibition in every possible way. And, finally, of course, we thank the
sponsors: the Kunststiftung NRW, the Stiftung Kunstfonds, the RWE-
Stiftung, the Danish Arts Foundation, and the Consulate of the Netherlands.
Lukas Crepaz, Geschäftsführer Kultur Ruhr GmbH
Katja Aßmann, Künstlerische Leitung Urbane Künste Ruhr
Lukas Crepaz, Managing Director, Kultur Ruhr GmbH
Katja Aßmann, Artistic Director, Urbane Künste Ruhr
7

8

B1IA40
FREIES HANDELN
IN BESETZTEN RÄUMEN
Entlang der A40 zwischen Duisburg und Dortmund hat sich im Schatten
der Kernstädte des Ruhrgebiets ein eigenwilliger Stadtraum entwickelt,
den das Projekt B1|A40 Die Schönheit der großen Straße seit
2008 erforscht und beschreibt. 1 Durch in Deutschland einzigartige
Bedingungen entstand im Rahmen des Ausbaus der die Städte verbindenden
Stadt- und Landstraße B1 zur Autobahn A40 ein einzigartiger
Stadt- und Straßenraum. Die montanindustrielle Entwicklung forderte
in den 1950er- und 1960er-Jahren eine zügige Erweiterung der verkehrstechnischen
Infrastruktur, um die produktionsbedingten Güter
schnell zwischen Herstellungs- und Verladestandorten entlang der
Ost-West-Achse durch die Region zu bewegen. Der mit ungewöhnlicher
Härte betriebene Ausbau führte zur bis heute bestehenden prekären
Situation des Ruhrschnellwegs, der mitten durch das Herz der Städte
und der Region verläuft. Dass der Ausbau ohne große Rücksicht auf
die Bewohner und Nutzer dieses Raums betrieben wurde, stellt auch
gesellschaftspolitische Fragen an eine Region, die so lange von den
montanindustriellen Produktionsbedingungen dominiert wurde. Wo in
einem einzigartigen Interessenverbund von Kapital, politischer Führung
und Gewerkschaften immer der Erhalt dieser Industrie im Vordergrund
stand, entwickelten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse auf
besondere Weise. Und dass der Produktion nahezu alles untergeordnet
wurde, zeigt sich entlang der Autobahn weiterhin eindrücklich mit teils
fatalen Konsequenzen.
Auch wenn die räumliche Situation der A40 einzigartig ist und direkte
Vergleiche nur mit anderen postindustriellen Landschaften zu erlauben
scheint, ist doch eines darüber hinaus übertragbar, beispielhaft und zukunftsweisend:
der Umgang der Menschen mit der Landschaft und den
Lebensumständen, denen sie nahezu machtlos gegenüberstanden. Die
Bewohner der Region haben in Interaktion mit verschiedenen, oft prekären
Situationen und Verhältnissen eine herausragende Fähigkeit ent-
wickelt, mit dem Gegebenen produktiv umzugehen und es in ihrem Sinne
zu transformieren. Die Taktiken, Finten und Listen, mit denen sie bis
heute die örtlichen Bruchstücke entlang der A40 und die industriellen
Brachen in nutzbare Lebensräume verwandeln, scheinen im Gegensatz
zu übergeordneten Planungsstrategien fähig, mit den fragmentierten
Strukturen und dem zerfallenden Raum einer postindustriellen Gesellschaft
umzugehen.
DAS PROJEKT Das Projekt B1|A40 Die Schönheit der großen Straße arbeitet
seit 2008 an einer typologischen Beschreibung jener Stadträume
und der Taktiken seiner Bewohner, die sich unter den Bedingungen der
A40 entwickelt haben. In einem interdisziplinären Dialog von Künstlern,
Stadtplanung, Forschern und den Menschen vor Ort geht B1|A40 spezifischen
Fragen dieses Raums und den Antworten durch die Bewohner
nach, um diese durch künstlerische Interventionen sichtbar zu machen,
zu diskutieren und auf einer neuen Ebene zu verknüpfen. So verbinden
die künstlerischen Perspektiven und Kommentare als Blick von außen
die Vorschläge derer, die diese Landschaft als Protagonisten vor
Ort erleben, und setzen sie miteinander in Beziehung. Die erfolgreiche
Darstellung der Arbeitsergebnisse im Jahr 2010 in einer Ausstellung
entlang der A40 im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 führte zu
einer Weiterentwicklung des Projekts, dessen Ergebnisse im Jahr 2014
gezeigt wurden und hier dokumentiert sind.
ANHALTEN, AUSSTEIGEN Dabei stand im gesamten Projekt nicht die
Autobahn selbst im Fokus, sondern die mannigfaltigen Rück- und Resträume,
die Schattenlagen und fragmentierten Landschaften, die im
Rahmen des Ausbaus erzeugt wurden. B1|A40 versuchte, die verschiedenen
Situationen an einer Straße, die durch produktionsnahe Gebiete,
periphere Landschaften und Stadtkerne, besonders aber auch durch
9

Wohngebiete und aktiv genutzte Lebensräume führt 2 , typologisch fassbar
zu machen. Stark fokussierte Zentrumslagen wie versteckte Soziobiotope,
Gewerbeagglomerationen mit Autobahnanschluss und zerteilte
Stadtviertel, Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ und subkulturelle
Schnittstellen wie auch heterogenste Mischgebiete stellen unterschiedlichste
Anforderungen an diejenigen, die in und mit ihnen leben.
In diesen Situationen, für die Planung und Politik bis heute kaum
Lösungsvorschläge zu bieten haben, feiern die unkonventionellen Methoden
derer, die unmittelbar mit dem Bau der A40 konfrontiert wurden,
mehr und mehr Erfolge. Eigenwillige Formen der Raumaneignung
und der kreative Umgang der Bewohner mit den schwierigen Lebenssituationen
entlang der A40 sind dort erfolgreich, wo das politische
und ökonomische Interesse gegen Null sinkt. In Eigenregie entstehen
innovative Soziobiotope zwischen individuellem Gestaltungswillen und
sozialer Gemeinschaft, Arbeitssituationen zwischen kontextbezogener
Raumnutzung, neuen Ökonomien und alternativen Produktionsformen
sowie subversiv-produktive Orte mit eigener Kulturgeschichte. Ob Biobauer
oder Gänsezucht, Bikertreff oder Tanzverein, Filmclub oder Tunermeeting,
Fischfarm oder Imkerei, Wagenplatz oder Siedlerverein –
die Strategien und Taktiken der Menschen formieren sich zu komplexen
Landschaften zwischen bürgerlich-anarchischer Selbstbestimmung,
subversiver Subkultur und pragmatischer Nutzung des Raums.
Die Künstler stellten in Interaktion mit dieser Landschaft, ihren Protagonisten,
der Stadtplanung und den Anwohnern Fragen nach der
Genese dieser Formen: Wie und mit welchen Mitteln und Strategien
transformieren die Anlieger der Ränder der A40 diese zerschlagenen
Räume, um sie wieder nutzbar zu machen, sich rückanzueignen und als
Lebensraum zu reorganisieren? Welche Schlüsse lassen sich für Planung
und Politik daraus ziehen? Können diese Strategien übertragbare
Direktiven für den Umgang mit anderen prekären Stadträumen liefern?
Kann Kunst produktive Perspektiven für solche Räume aufzeigen? Wie
hoch ist die Durchlässigkeit zwischen Hoch- und Alltagskultur, und können
diese voneinander profitieren?
Verschiedene Formate führten im Projekt durch diesen komplexen
Raum. Künstlerische Arbeiten verbanden sich mit lokalen Ideen und
den Projekten der Menschen vor Ort. Bauernhof und Schrebergarten,
Tunertreff und Autobahnkirche, Tanzsportverein und SM-Studio wurden
zu gleichwertigen Teilen des Projekts. Wanderwege, Führungen
und Bustouren verknüpften die unterschiedlichen Elemente zu einer
sinnfälligen Choreografie zwischen Landschaft, Kunst und Alltagskultur.
Vorträge und Symposien, Theaterstücke und Konzerte, Picknicke
und kulinarische Genüsse bildeten ein Programm, das die Ausstellung
begleitete. Wer anhielt und ausstieg, fand eine Landschaft, die sich tagtäglich
neu erfindet – eigen, einfallsreich und widerständig.
LEARNING FROM A40 Bei der Suche nach Antworten auf die künstlerischen
Fragen spielten die spezifischen Qualitäten dieses Raums wie die
latente Unsichtbarkeit der Ränder, die hier in einzigartiger Weise durch
die Autobahn von der Peripherie mitten ins Zentrum getragen werden,
eine wichtige Rolle. Das Entstehen eines beinahe rechtsfreien Raums
im Schatten der Autobahn bedingt ein markantes Desinteresse von Politik,
Planung und Ökonomie an diesem, in dessen Folge solche Räume
den Bürgern nahezu in Eigenregie überlassen werden. Dass vor dem
Hintergrund selbstverantwortlichen Handelns nicht blanke Anarchie,
sondern Konfliktfähigkeit und Aushandlungswillen entstehen, ist eine
der entscheidenden Erkenntnisse des Projekts B1|A40 und verweist auf
eine Renaissance von sozialer Kompetenz in solchen heterogenen Landschaften.
Der amerikanische Landschaftsforscher John Brinckerhoff Jackson
beschreibt die Bedingungen, Strategien und Verhältnisse einer solchen
Landschaft, die er als vernakulär bezeichnet: „[...] Mobilität und Wandel
sind die Schlüssel zur vernakulären Landschaft, aber eher unfreiwillig
und widerstrebend. Sie sind nicht Ausdruck von Ruhelosigkeit und Suche
nach Verbesserung, sondern vielmehr von einer nicht enden wollenden,
geduldigen Anpassung an die Umstände. Viel zu oft geht diese
Anpassung auf willkürliche Entscheidungen der Mächtigen zurück. Aber
ebenso spielen natürliche Bedingungen, Ignoranz, das blinde Vertrauen
in lokale Konventionen und die Abwesenheit langfristiger Ziele eine Rolle:
das Fehlen dessen also, was wir zukünftiges historisches Bewusstsein
nennen würden [...].“ 3 Das Fehlen der langfristigen Perspektive
scheint bei aller Produktivität eine ambivalente Eigenart dieses Raums
zu sein, die einerseits Handlungsfähigkeit generiert, andererseits die
Zukunftsfähigkeit der Entwürfe anzweifelt. Diese Situation fragt auch
nach den Besitzverhältnissen, die in der vernakulären Landschaft
meist zu Ungunsten ihrer Nutzer verlaufen, und nach den mit ihnen verknüpften
Handlungsmöglichkeiten. Michel de Certeau unterscheidet in
seinem Text Kunst des Handelns 4 dabei zwischen Strategie und Taktik,
die er mit dem Besitz von Raum und der reinen Handlungsoption verknüpft.
Während der Besitz (von Raum) strategisches, ökonomisches
und zukunftsorientiertes Haushalten erlaubt, muss der Besitzlose oder
Schwache anhand von Taktiken, Listen und Finten „unaufhörlich aus den
Kräften Nutzen ziehen, die ihm fremd sind“ 5 . Während im strategischen
Sinne „das Eigene ein Sieg des Ortes über die Zeit“ ist, hat „die Taktik
[des Besitzlosen] nur den Ort des Anderen“ 6 .
Die Konzentration auf das Handeln und die Ausübung einer Praxis jenseits
einer zielorientierten, auf Akkumulation von Werten bedachten
ökonomischen Produktion stehen unter diesen Bedingungen im Vordergrund.
Gegenüber einem oft diffamierten Leben „von der Hand in den
Mund“ stellt sich die Frage nach einer Kultur des Handelns, die aufgrund
der Bedingungen des Raums ausschließlich dem Moment des „Sich-
Ereignens“ verpflichtet ist und sich mit einer Kultur des Raums 7 konfrontiert
sieht, die im Ruhrgebiet besonders den Strategien der montanindustriellen
Produktion, aber im weiteren Sinne eben der akkumulativ
und repräsentativ organisierten Ökonomie unserer Gesellschaft entspringt.
Wo andernorts die zumindest symbolische Teilhabe an Hab und
Gut, Ökonomie und Ort politisch an Wert gewonnen hat, zeigt sich im
Ruhrgebiet ein anderes Bild. Hier, wo die Divergenz zwischen dem Besitz
(und den Besitzern) von Raum und den (besitzlosen) Arbeitern (die
allein ihre Arbeitskraft besitzen und in der Lohnarbeit veräußern) immer
besonders groß war, dominiert weiterhin der auch architektonische
10

11

Raum als Zeichen von Besitz, Zugangskontrolle und Potenz. Während
die Arbeit ideologisch mystifiziert wird, wird in den Bauten und Megazeichen
der Region weiterhin artikuliert, dass nicht die Handlung oder
die Arbeit das Geschehen bestimmen, sondern der Raum und die Potenz,
die sie ermöglichen. Der Wert der Arbeit an sich als reiner Handlung
(in der man lebt) verschwindet wiederum hinter ihrem Produkt und
der Repräsentation reiner Potenz im „Möglichkeitsraum“ 8 .
Wo die Stätten der Produktion und ihre Zeichen nicht nur im Besitz der
Arbeitgeber waren, sondern die Fabriken auch die bürgerlichen Freiräume
im Herzen der Städte besetzten 9 , blieb Großteilen der Bevölkerung
nur die Kunst des Handelns in besetzten Räumen. Besonders die
ungenutzten Rest- und Rückräume der Industriegesellschaft werden
durch die Bevölkerung seit jeher umgenutzt. Auf unzähligen Brachen
und an Wegesrändern, an Schienensträngen und inmitten von Autobahnkreuzen,
an Wasserwegen, auf Parkplätzen und in mannigfaltigen
Zwischenräumen organisiert sich eine Subgesellschaft mit schlechter
Zukunftsprognose, um sich ein gutes Leben zu machen.
Statt zukunftsfähige Strategien zu entwickeln, deren Grundlagen den
Menschen hier verwehrt bleiben, erfindet sich das Ruhrgebiet entlang
von Taktiken, Finten und Listen neu im besetzten Raum. Michel de Certeau
umschreibt das, was für diese Region auch zutreffend ist, so: „Die
Taktik hat nur den Ort des Anderen. [...] Sie verfügt über keine Basis,
wo sie ihre Gewinne kapitalisieren [...] kann. [...] Gerade weil sie keinen
Ort hat, bleibt die Taktik von der Zeit abhängig; sie ist immer darauf aus,
ihren Vorteil ‚im Fluge zu erfassen‘. Was sie gewinnt, bewahrt sie nicht.
Sie muss andauernd mit den Ereignissen spielen, um ‚günstige Gelegenheiten‘
daraus zu machen.“ 10
UMNUTZEN Das Prinzip der Umnutzung, nach dem der bedingt Mittellose
sich Dinge im Gebrauch aneignet, ist im Ruhrgebiet zur Alltagspraxis
geworden. Die Autobahnbrücke wird zum Unterstand für Vieh und
Heu, das Autobahnkreuz zur Fischfarm, der Wagenplatz zum Wohnort.
Hinter der Schallschutzwand entsteht eine Rennstrecke, der Trampelpfad
erschließt neues Gelände, die Kirche wird zur Kneipe und der Parkplatz
zum Kulturzentrum.
Auch wenn sich diese Kultur der Praxis längst hochmodern aufgestellt
hat, könnte der Kleingarten ein ursprüngliches Rollenmodell sein, in
dem sich eine Praxis auf ungenutztem Terrain selbst etabliert. 11 Auch
der Autotuner ist ein Beispiel: Das Aufwerten eines billig erstandenen
Automobils wird zur Praxis und diese zum Fetisch einer vagabundierenden
Gruppe ohne Ort, die von Parkplatz zu Parkplatz zieht. Mit machbarem
Einsatz entsteht eine eigene Kulturgeschichte, die jeden Freitag auf
dem Parkplatz Hauptattraktion des Abends ist, Gegenstand der Diskussion
wird und zur Bildung einer Gemeinschaft führt.
Die Spuren dieser Kultur sind schwer zu finden. Sie lebt in einem reinen
„Sich-ereignen“, ist aktuell wie ephemer, unmittelbar wie sinnlich,
erfordert die eigene Präsenz und entgeht zugleich der Werteökonomie
von Akkumulation und Referenz. Wo kein sichtbares Zeichen zurückbleibt,
kein Produkt an das Ereignis erinnert, keine Referenz einen
handelbaren Wert begründet, bleibt meist nur ein leerer Ort. Die Kultur
der Praxis hat zwar eine Form der Präsentation, aber keine Sprache der
Repräsentation. Sie entschwindet in der Realität des Orts, im aktuellen
Geschehen, während der Raum der Zeichen und des Wertehandels mehr
und mehr virtuell wird und an Bedeutung gewinnt.
ANTWORTEN – EINE AUSSTELLUNG IM STADTRAUM DER A40 Die Suche
nach den nur marginal sichtbaren Zeichen einer Kultur der Praxis
folgt also den Spuren derer, die in der Transformation des Raums und
der Dinge ihre Existenz begründen. Typologien wie die nahezu unsichtbare,
allein durch die Umnutzung des Raums inspirierte Landschaft
des Autobahnkreuzes Kaiserberg oder die Gewerbeagglomeration mit
Tunermeeting am Dückerweg in Bochum als Ereignisorte im Jahr 2010
wurden 2014 durch neue ergänzt. Rund um die U-Bahnstation Eichbaum
in Mülheim an der Ruhr war ein städtischer Bereich zu entdecken, der
kaum heterogener sein könnte. Auf engstem Raum versammeln sich im
Umfeld der Fly-overs der A40 eine U18-Station, Feld- und Wiesenwirtschaft,
Bauernhof und Gänsezucht, Leerstand und Einfamilienhausidylle,
Hobbyrennstrecke und Brachlandwildnis. Mit Essen-Frillendorf
rückte ein Ort in den Fokus, an dem sich die Menschen hartnäckig ein
Stück Heimat nur wenige Meter neben der Autobahn behaupten, und in
Dortmund-Schönau fand sich ein ganz und gar idyllischer Ort direkt im
malerischen Tal unter der Autobahnbrücke. In Bochum-Hamme öffnete
sich ein Kaleidoskop kultureller Kreuzungen zwischen Autobahnkirche,
Schlachthof und Bordell, das in einem unscheinbaren Haus kulminierte,
in dem sich Hoch- und Subkultur auf ungeahnte Weise überschneiden.
TAKTIKEN UND PRAKTIKEN Diesen Orten, besonders aber ihren Kulturen
und Strukturen eine Sprache zu geben, sie und ihre Taktiken, aber
auch die Bedingungen ihrer Entstehung sichtbar zu machen, ist eins der
Anliegen von B1|A40. So widmeten sich viele Arbeiten der Künstler wie
auch die langfristige Projektrecherche der Praxis dieser Landschaft
und ihrer Geschichte.
Arbeiten wie Aus der Landschaft der Eigenständigkeit von Elke Krasny in
Bochum gingen der Frage nach, wie sich solche Landschaften in ihren
einzelnen Faktoren erfassen und in ein weiterführendes Bedeutungsgeflecht
einbinden lassen. Ihre Recherche konfrontierte die vage bis
latente Praxis der Stadtlandschaft in Bochum-Hamme mit internationalen
Analogien und Diskursen. In einem assoziativen Rundgang, der von
ihr vorgeschlagen wurde, folgte man der Spur der Fremden durch ein
komplexes Terrain, das sich in kulturell heterogensten Nachbarschaften
organisiert hat.
Jeanne van Heeswijk und ihr Team gingen mit einer anderen Strategie
den Praktiken der Menschen in einer vernakulären Landschaft nach. Im
Autobahnkreuz Kaiserberg war sie nach ihrem Projekt Der Widerstand
des kleinen Glücks im Jahr 2010 längst keine Fremde mehr, sondern extraordinärer
Teil einer Gemeinschaft geworden, die sie erneut zur Debatte
aufforderte. Von der Siedlung Werthacker ausgehend, befragte sie
deren Umfeld und die Bewohner der Landschaft nach Verantwortung,
Teilhabe und Solidarität. Fragen nach der Zukunftsfähigkeit und Perspektive
dieses Soziobiotops im Schatten des größten Autobahnkreuzes
12

der Region mobilisierten die Bewohner als Gemeinschaft.
Das Format der Wanderwege, mit dem B1|A40
die ganze Region entlang der Autobahn zum informellen
Landschaftspark B1|A40 erklärte, um
das Entstehen, die Nutzung und die Rückaneignung
von Räumen durch die Bewohner sichtbar
zu machen, verknüpfte die jeweils fragmentierten
Teilräume der Orte zu einer sinnfälligen
Choreografie. Die Wanderwege verbanden
die zahlreichen Aktivitäten der Bevölkerung
und führten den Wanderer mit teils subversiv
konnotierten Informationstafeln im klassischen
Design durch diese besondere Landschaft.
Beim Besuch des Bikertreffs auf dem
Zooparkplatz in Duisburg oder bei der Wahl zur
Schönheit der großen Straße mit dem legendären
Tunermeeting am Dückerweg in Bochum
rückten solche Praktiken in den Fokus, die sich
im öffentlichen Raum der Region organisieren
und äußern. Die temporäre Nutzung von Parkplätzen,
Straßen und Restflächen wie auch die
Entwicklung einer eigenen (Sub-)Kulturgeschichte
standen dabei im Zentrum.
Dass viele der Bewohner es verstehen, die prekäre
Situation im Schatten der großen Straße
für sich zu wenden, wurde am Heißener Hof in
Mülheim deutlich, wo eine Familie die ungeliebte
Nähe der Autobahn zu ihrem Bauernhof
nutzt, um das vorbeifahrende Publikum an
ihren ländlichen Produkten zu interessieren.
Beim Eröffnungsfest gab es neben der eigens
für die Ausstellung in eigener Fleischerei hergestellten
B1|A40-Wurst auch Spanferkel und
Wildschwein aus eigener Jagd.
Darüber hinaus zeigte sich in der Zusammenarbeit
mit dem Tanzsportverein Ruhr-Casino
Bochum e. V., der auf der Eröffnung von B1|A40
mit einer Darbietung in der Disziplin „Latein“
auf der Arbeit von Martin Pfeifle und Wanda
Sebastian zu überzeugen wusste, aber auch an
Orten wie der Autobahnkirche in Hamme das
vielfältige Engagement jener, die die Ränder
der Autobahn besiedeln und deren Konditionen
für sich nutzen. Ein temporär initiiertes Museum
der besonderen Art, das Museum Berggate
69, dokumentierte dazu die Geschichte
eines Hauses direkt an der Autobahn, in dem
sich diese Interessenlagen auf eigenwillige
Weise überschnitten haben. In vier Ausstel-
lungsbereichen konnte das ungewöhnliche
Nebeneinander von SM-Studio und Tanzclub,
Kampfsportstudio und legendärer Galerie im
Laufe der Zeit sichtbar gemacht werden.
FAHRENDE VÖLKER Das mobile Leben an,
auf und mit der Straße, aber auch damit verbundene
Themen wie Armutszuwanderung,
Herkunft und Heimat bildeten einen weiteren
Schwerpunkt der Auseinandersetzung. Christine
und Irene Hohenbüchler widmeten sich einer
Gruppe, die aktuell erneut aus der Unsichtbarkeit
in den Fokus geraten ist. Die Menschen
der Völker von Sinti und Roma, die im Rahmen
der Armutsflüchtlingsdebatte gerade auch in
Duisburg wieder diffamiert wurden, zeigten
sich in der Arbeit der beiden Künstlerinnen
als eigentlich sesshafte, aber dauerverfolgte
Gemeinschaft. In Kooperation mit dem Schauspieler
Nedjo Osman, einer jugendlichen Laientheatergruppe
und dem Verein Terno Drom
wurden die eigenen stereotypen Bilder mit der
Realität einer Lebenspraxis konfrontiert, die
sich aufgrund fortgesetzter Vertreibung auf
der Flucht organisieren musste.
Das komplexe Thema von Migration, Armutszuwanderung
und Integration wurde auch
im Tor des Westens von der Gruppe KUNSTrePUBLIK
aufgegriffen. In humorvoll-kritischer
Weise hieß ihr Empfangsportal all jene
willkommen, die auf der Ost-West-Achse in
Verlängerung des Autoput 12 ihr Glück bei uns
suchten. Das Waschen des Autos als Begrüßungsritual
am Dückerweg, wo jeden Freitag
das Tunermeeting gastiert, wurde hier unter
den Türmen, die ein skulpturales Konglomerat
verschiedenster Kulturen repräsentierten,
als Politikum zelebriert. „Wer will kommen –
wer ist willkommen?“ lautete die während des
Waschvorgangs im Autoradio eingesungene
Frage an den heimischen wie fremden Kunden
dieses besonderen Waschportals.
Auch Danica Dakić hat in offener Form Fragen
nach Verortung, Reise und Herkunft artikuliert.
Ihre Gänseoper, die mitten im Restraum
des Autobahnkreuzes Kaiserberg aus einem
scheinbar aufgegebenen Container erklang,
diskutierte assoziativ Begriffe wie Heimat,
Herkunft, Verlust und Entfremdung. Und Gabriela
Oberkofler, die mit ihrer Buggelkraxe,
Von oben nach unten:
Tänzer des Ruhr-Casino Bochum bei der Eröffnung
Christine und Irene Hohenbüchler, ... flieg Vogel flieg …
KUNSTrePUBLIK, Tor des Westens
From top to bottom:
Dancers from Ruhr-Casino Bochum at the opening
Christine und Irene Hohenbüchler, ... flieg Vogel flieg …
KUNSTrePUBLIK, Tor des Westens
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN
13

einem traditionellen Transportmittel aus Südtirol, die Geschichte ihrer
Herkunft und Heimat an die A40 importierte, suchte im ephemeren und
unsteten Raum der Straße nach einem Fixpunkt über Begriffe wie Identität
und Zugehörigkeit, die sie letztendlich auf dem Heißener Hof – einem
nahezu vergleichbaren Ort zu ihrem heimischen Bauernhof – fand.
Das Leben auf der Straße wurde auch in der Arbeit von Volker Lang
gestreift. Sein 8 ½ Circus Space reflektierte einerseits den Zirkus als
aussterbende Form, die das Fantastische in die industrialisierten Städte
brachte. Gegenüber den Determinierungen eines Lebens auf Reisen
verknüpfte sich die Arbeit intensiv mit dem Ort, indem ihr offenes Zirkuszelt
ungewohnte Einblicke gewährte und als Skulptur die Anwohner
dazu aufforderte, ihre eigenen Praktiken auf der Bühne aufzuführen.
Die Analogie zwischen Alltags- und Hochkultur machte den Ort auf dem
Feld in Mülheim zu einer Schnittstelle zwischen der Kultur des Eigenen
und des Anderen, die sich auch in der heterogenen Nachbarschaft im
Umfeld der U-Bahnstation Eichbaum widerspiegelte.
HEIMAT AUTOBAHN Mit denjenigen Bewohnern, deren Heimat mit der
Autobahn und den extremen Bedingungen eines unfreiwilligen Lebens
im Fluss des Verkehrs konfrontiert wird, setzten sich mehrere Arbeiten
auseinander. Im Stadtteil Essen-Frillendorf lebt man nur wenige
Meter neben der Fahrspur. Wie man sich mit einer solchen Situation,
sei es in einer alten oder in einer neuen Wohnlage anfreunden kann, ist
manchem schleierhaft. Manuel Franke zeigte in seiner Arbeit Fixstern
Strategien auf, mit de nen die Menschen hier ihre Häuser individualisieren,
um die Notwendigkeit des Eigenen in einem so dermaßen veröffentlichten
Raum sichtbar zu machen. Dass er dabei in Dialog mit der
Nachbarfassade geriet, die immer zur Fußball-WM (so auch 2014) als
Display genutzt wird, um die eigene Leidenschaft für diesen Sport zu
artikulieren, schien künstlerisch gewollt. Indem Franke hintergründig
die Sesshaftigkeit mit einem Leben auf Reisen kontrastierte, wurde seine
skulptural anmutende Arbeit zu einer subtilen Auseinandersetzung
zwischen Ort und Raum, Moment und Kontinuität.
Einige Meter weiter nutzte die Arbeit von Leni Hoffmann die Situation
eines geteilten Dorfs, um ebenfalls auf skulpturale Weise ein sozialräumliches
Thema anzuschneiden. Denn die Intervention, die links und
rechts von der Autobahn eine fein geschnörkelte Brücke in Beton brut
als verbindende Klammer der getrennten Stadtteile inszenierte, veranschaulichte
die markante Zäsur der sozialen Milieus durch den Ausbau
der B1 zur Autobahn.
Dass es neben der Drastik von Frillendorf auch idyllische Lebenswelten
entlang der A40 gibt, zeigte sich in Dortmund. John Millers Arbeit
A False Mirror nahm sich im Ortsteil Schönau einer vollkommen anderen
Lebenssituation im Schatten der Autobahn an. Wo die Schnettkerbrücke
das malerische Tal von Emscher und Rüppingsbach überspannt, inszenierte
er den designierten Ortskern des Villenstandorts durch zwei Litfaßsäulen,
die sich in dem leicht anachronistischen Habitus eines analogen
Werbemittels ihrem Umfeld anzunähern schienen. Miller stellte
diesem in der trügerischen Ruhe bürgerlicher Zufriedenheit schlummernden
Ort zwei Träume aus der Ferne gegenüber. Die Idylle paradiesischer
Einsamkeit spiegelte sich in der stereotypen Abbildung einer
Palmeninsel gleichermaßen wie in den Einfamilienhäusern einer Gated
Community der ersten Stunde. Nicht nur die Häuser dieser Siedlungsform
wie auch das Inselidyll wurden als Traumbilder einer überindividualisierten
Gesellschaft befragt, sondern auch der real vorhandene
Ort in seiner Modellhaftigkeit.
NEUE LANDSCHAFTEN Ein wesentlicher Aspekt der Autobahn ist ihre
Wirkung auf Wahrnehmung, Bestand und Gestaltung der Landschaft
als Lebensraum. Spätestens, seit der amerikanische Parkway als erster
den Blick auf die Landschaft vollkommen neu inszenierte 13 , sie als
großen Prospekt der Reise und als Bild einer domestizierten Natur generierte,
ist offensichtlich, dass die Autobahn mannigfaltige faktische,
soziale und ökonomische Effekte auf Stadt- und Landschaftsräume
ausübt. Inwiefern Landschaft als eben der komplexe Lebensraum, als
Schnittstelle zwischen Mensch, Kultur und Natur eine Zukunft hat, oder
ob wir uns lediglich nur noch mit ihrer Rekonstruktion konfrontiert sehen,
diskutierte die Ausstellung umfangreich an verschiedenen Orten in
unterschiedlichen Formaten.
In seiner Arbeit Überplanungen verwies Michael Fehr aus historischer
Perspektive auf die verborgenen Qualitäten einer Landschaft wie der
des Autobahnkreuzes Kaiserberg. An ihrer Oberfläche ganz unberührt
naturbelassen wirkend, fungiert diese Landschaft im Untergrund als
Schnittstelle verschiedener Energieträger wie Öl, Gas, Strom oder
Wasser. Dass Fehr seine Forschungsergebnisse abbildete in Form einer
Informationsskulptur auf den Wiesen des Dörnerhofs, der zu großen
Teilen dem Bau des Autobahnkreuzes zum Opfer gefallen war, ist daher
plausibel.
Christian Odzucks Arbeit Polytopos Dortmund* wagte nicht nur die Konkurrenz
zur Schnettkerbrücke, sondern setzte sich auch mit der Landschaft
in Beziehung. Seine nüchterne Konstruktion systematisierte den
Blick auf die großformatige Umgebung und setzte ihr skalierte Schemata
in Form landschaftlicher Schüttungen zur Seite, die die Arbeit zwischen
Großplastik, Modell und Ort changieren ließen. Dass diese Arbeit
auch wie ein Auditorium Raum zum Nachdenken für die Raumplaner der
TU Dortmund zur Verfügung stellte, machte sie zur Schnittstelle der
Reflektion über den aktuellen Landschaftsbegriff. Die Studenten des
Projekts Ruhrbanität von Christa Reicher und Ilka Mecklenbrauck näherten
sich dabei der Spezifik der Ruhrgebietslandschaft in einem ausgedehnten
Forschungsprojekt, das an der Arbeit von Odzuck öffentlich
diskutiert wurde.
Auch ökologisch-ökonomische Implikationen der Region, deren Landschaften
so lange als reine Energieressource ausgebeutet wurden,
wurden hinterfragt. Nicht zuletzt lieferte die Gruppe Performance Electrics
um Firmengründer Pablo Wendel eine der eindrücklichsten Installationen
mit diesem Themenschwerpunkt. Ihre Windkraftanlage im
Autobahnohr, die komplett aus recycelten Straßenutensilien konstruiert
war, forderte am Eingang von Dortmund mit viel Humor ein ernstes
14

Nachdenken über Landschaft, Ökologie und den Mut zur Wende heraus.
Die stromproduzierende Skulptur inszenierte nicht nur ihr eigenes Thema
zwischen Ökologie, Individualverkehr und künstlerischer Ökonomie,
sondern auch die sie umgebende Landschaft, die sich hier, wie nur selten
im Ruhrgebiet, in großen Panoramen zeigt.
Andere Arbeiten näherten sich dem Thema der (Stadt-)Landschaft über
die verschiedenen Perspektiven auf sie. Jakob Kolding inszenierte in
Essen den Frillendorfer Platz mit einem Figurenensemble zur Bühne eines
zerschlagenen Stadtteils. Der Platz, der keiner mehr ist, fand durch
Koldings Figuren zu einer zweifelhaften Identität von Bruchstücken zurück,
indem sich Zwischenräume und Restflächen zu landschaftlichen
Kleinstutopien verwandelten. Der Tiger im Dickicht des Abfahrtsohrs,
die Collage eines Monuments an der Bushaltestelle, die Doppelfigur unter
dem einsamen Baum einer Verkehrsinsel oder der Breakdancer in
der Unterführung: Ob sich die Resträume einer mit Gewalt zerschlagenen
Stadtlandschaft wieder zum Ort vereinen lassen oder eine neue Ästhetik
des Fragmentarischen begründen, entscheidet sich im Zentrum
einer brutalen Zäsur direkt unter der Autobahn.
Martin Pfeifle und Wanda Sebastian widmeten sich schließlich mit bewusster
Aussichtslosigkeit dem von raumlaborberlin begonnenen Unterfangen,
einen Raum von höchster Heterogenität zu bekehren. Denn
die Vergoldung der Opernbauhütte an der U-Bahnstation Eichbaum in
Mülheim setzte nachdrücklich den Aufstieg und zugleich den Fall eines
Orts, der durch die Eichbaumoper 14 bekannt geworden ist, in Szene. Wo
die Station nach der Oper noch einmal hell und gülden gleich Fort Knox
erstrahlte, verfällt sie anlässlich der Kurzlebigkeit des verwendeten
Graffiti-Lacks bald in rostigem Rot. Dem aussichtslosen Versuch der
Aufwertung auf Dauer wurde also eine Aufwertung des Temporären
entgegengesetzt, das diesen Ort für kurze Zeit in seiner fragilen Hartnäckigkeit
sichtbar machte.
KEIN RESÜMEE Nach dem Ende der Ausstellung mangelt es nicht an
Erkenntnissen, jedoch am Willen zum Resümee. Wie der Raum entlang
der großen Straße entzieht sich das Projekt B1|A40 einer abschließenden
Ökonomie der Ergebnisse. Nur der Raum selbst wird zeigen, zu welchen
Veränderungen ein freies Handeln wie das des Projekts B1|A40 in
den besetzten Räumen an der Autobahn führen kann. Auch wenn sich
schon viele dieser Veränderungen abzeichnen, bleibt es wiederum denen
überlassen, sie zu lesen, die ihn weiter nutzen, umschreiben und
transformieren. So versteht sich das Projekt selbst als Teil einer Kultur
des Handelns, wie sie im Ruhrgebiet genauso vehement gelebt wie auch
weiterhin übersehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass Politik und Ökonomie
diesen Wert einer Kultur der Praxis in ihrer Bedeutung und Aktualität
erkennen – und dies besonders für sie selbst. Gut zu wissen ist
allemal, dass diese Kultur auch ohne die Anerkennung, die ihr zustände,
fröhlich weiterleben wird, denn sie ist das, was man autoproduktiv und
autark nennen könnte: eine widerständige, hartnäckige und lustvolle
Praxis des Lebens selbst, die letztendlich immer über die Bedingungen
des Raums triumphiert.
MARKUS AMBACH
1| Das Projekt, das bereits 2008 Leitprojekt der Bewerbung des Ruhrgebiets zur
Kulturhauptstadt war und dessen erster Teil 2010 realisiert wurde, gilt als beispielhaftes
Unterfangen bei der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kunst und
Stadtplanung. Die Kooperation von Künstlern, dem Stadtplanungsamt Bochum als
Träger – stellvertretend für die fünf Anliegerstädte Duisburg, Mülheim an der Ruhr,
Essen, Bochum und Dortmund – und der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 zeigte die
Möglichkeiten spartenübergreifender Auseinandersetzung. Viele der Ergebnisse
künstlerischer Arbeiten und Recherchen, aber auch die Aktivitäten der Anwohner
vor Ort fanden Eingang in aktuelle Stadtplanungsprozesse. Das Projekt wurde vom
Internationalen Kritikerverband AICA mit dem Titel „Die besondere Ausstellung
2010“ ausgezeichnet. Das im Umfeld entstandene Gestalthandbuch A40|B1 fand „lobende
Erwähnung“ beim Deutschen Städtebautag 2012.
2| Die A40 ist insofern ein Unikum, denn das Bundesfernstraßengesetz untersagt
die Nutzung der sogenannten Anbauverbotszone, die sich 40 Meter links und rechts
von einer Autobahn erstreckt. Da die frühere B1 als Teil des Hellwegs im Ruhrgebiet
mitten durch die Städte führte, tut dies nun auch die A40. In dieser „verbotenen
Zone“ leben im Ruhrgebiet aktuell Tausende von Menschen an Orten, wo eigentlich
niemand sein dürfte. Insofern bildet sie einen Raum, der im Widerspruch zum Gesetz
steht.
3| Brinckerhoff Jackson, John: „Landschaften. Ein Resümee“, in: Franzen,
Brigitte und Krebs, Stefanie (Hrsg.): Landschaftstheorie, Köln 2005, S. 29–44.
4| de Certeau, Michel : Kunst des Handelns, Berlin 1988.
5| Ebd., S. 23.
6| Ebd.
7| Siehe Text „Raum vs. Praxis“ S. 291–293.
8| Als solcher Möglichkeitsraum hat die Wertekategorie der reinen Potenz, die
durchaus folgenlos für die Realität der Dinge bleiben kann, sogar in die Terminologie
einer alternativen Szene Eingang gefunden. Hier verknüpft dieser Begriff die
Potenz zum Handeln aber nicht mit dem Besitz, sondern mit dem Besetzen von
nicht eigenem, vorwiegend öffentlichem Raum und Themen, und nutzt ihn wiederum
eher als (ebenfalls ökonomisch genutzten) Verhandlungsraum, statt real in
ihm zu handeln.
9| In eindrücklicher Weise besetzten die Fabriken die Zentren der Städte, während
sich die Wohnquartiere um sie herum hierarchisch organisierten.
10| Siehe Anm. 6.
11| Siehe Text „Raum vs. Praxis“. S. 291–293.
12| Serbisches Wort für Autobahn und Inbegriff für die berühmt-berüchtigte Transitstrecke,
die von Österreich über das ehemalige Jugoslawien nach Griechenland
führte, und die von vielen Gastarbeitern genutzt wurde.
13| Der amerikanische Parkway, der als erste Form der Autobahn nicht direkt,
sondern gleich einem Parkweg entlang einer geschwungenen Panoramaroute verschiedener
Landschaftsattraktionen zum Ziel führte, musealisiert in einem großen
Wurf die Landschaft und domestiziert die in ihr repräsentierte Natur im großen
Stil. Das Automobil wird zur invertierten Vitrine, die dem Fahrer die Landschaft
im großen Glas präsentiert. In seinem isolierten Klima gleitet der Reisende auf
den Wegen des (jetzt globalen) Parks entlang der Choreografie der Straße durch
eine inszenierte und domestizierte Welt, die sich nur noch als Bild generiert. Der
Parkway, der die Reise entlang von Bildern inszeniert, individualisiert das, was die
Eisenbahn begonnen hatte. Die Landschaft wird vom Lebensraum zum Spektakel,
das vorgeführt und gefahrenlos konsumierbar wird.
14| Eichbaumoper ist ein Projekt von raumlaborberlin, das die U-Bahnstation im
Jahre 2009 temporär zum Opernhaus umfunktionierte. Nach weiteren Versuchen
der Künstler, den Ort langfristig zu aktivieren, verwaiste die Station jedoch in den
Folgejahren.
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN
15

FREE ACTS IN OCCUPIED SPACES Along the A40 motorway between
Duisburg and Dortmund, an unconventional urban space has developed
in the shadows of the core cities of the Ruhr region. Since 2008,
the project B1|A40 The Beauty of the Grand Road has been exploring and
describing this special area. 1 Spawned by conditions possibly unique
throughout Germany, a singular cityscape and traffic zone has emerged
in the wake of the upgrading of the B1, an ordinary road connecting the
individual cities, into the A40 motorway. In the 1950s and 1960s, the development
of the steel and coal industry had necessitated a rapid expansion
of the local traffic infrastructure in order to facilitate the speedy
transportation of the various goods between the places of production
and the loading stations across the region along an east-west axis. The
ensuing alterations, implemented with a considerable degree of ruthlessness,
have led to the precarious situation, still obvious today, of the
Ruhrschnellweg bisecting the very heart of the cities and the region.
The fact that the expansion was carried out without much regard for the
requirements and wishes of the local residents and those actually using
this space also raises the question of appropriate socio-political decisions
for a region which has in the past always been dominated by the
concerns of the steel and coal industry. The flourishing of this industry,
invariably of central importance to the joint interests of capital, political
administration and trade unions which have coalesced into a peculiar
union in this area, has obviously left an indelible imprint on the local
social conditions. The fact that virtually all concerns were subordinated
to the purposes of production, occasionally with dire consequences, is
still manifest all along the motorway. Even though the spatial situation
of the A40 motorway area is distinctive and could at best be compared
only to other post-industrial landscapes, one aspect stands out which
seems to be exemplary and pioneering: the manner in which the local
residents have interrelated with the surrounding landscape and coped
with living conditions over which they had little or no control. In having to
deal with disparate and often precarious situations and conditions, they
have developed an outstanding capability for productive interaction with
the existing circumstances, and have become adept at adapting them to
their own individual purposes. The ploys, tricks and stratagems used by
them to convert the fragmented areas and industrial wastelands along
the A40 motorway into utilizable habitats seem to pinpoint a viable way
of interacting with the fragmented structures and dissolving spaces of
post-industrial society – a success which has been denied to any superimposed
planning strategies.
THE PROJECT Since 2008, the project B1|A40 The Beauty of the Grand
Road has been evolving a typological description of those urban spaces
and strategies of the local residents which have developed in the wake
of the construction of the motorway. In an interdisciplinary dialogue
between artists, urban planners, scientists and local residents, B1|A40
concerns itself with specific questions posed by these spaces, and the
various answers elicited by the residents, in order to bring them into
focus, to discuss them and to interrelate them on another level by means
of artistic interventions. Thus the artistic perspectives and statements,
as an outside view, take up the proposals of those actually living in the
area and find new ways of interrelation. The successful presentation of
the initial results in 2010 in an exhibition staged along the A40 motorway
within the framework of Ruhr.2010 European Capital of Culture led to
an extension of the project, whose results, presented in 2014, are documented
here.
STOP AND EXPLORE Throughout the project, rather than addressing
the motorway itself the participants focused on the multiplicity of residual
spaces, neglected terrains and fragmented landscapes created as a
result of the motorway expansion. B1|A40 attempted to provide an adequate
typological description of the various situations along a road leading
through production-oriented areas, peripheral landscapes and city
centers, but in particular also through residential areas and biospheres
put to diverse modes of active utilization. 2 Exceedingly center-oriented
zones and remote sociotopes, commercial agglomerations connected to
the motorway and bisected city districts, shopping malls in the green
countryside and subcultural interfaces, as well as ultra-heterogeneous
mixed-use areas – all these diverse spaces are distinguished by a multitude
of different demands made on those living in or with these places.
In such situations, still facing the spheres of planning and political administration
with problems they are virtually unable to solve, the unconventional
methods of those who have been directly affected by the
construction of the A40 motorway are proving increasingly successful.
Idiosyncratic modes of spatial appropriation and a creative way of interacting
with the difficult living conditions along the A40 seem to be
efficacious in the very places which have been virtually abandoned by
political and economic interests. Autonomously, innovative sociotopes
reflecting both individual creative will and a sense of social community,
job situations shaped by context-related spatial utilization, new economies
and alternative modes of production, and subversively creative
places with their own particular cultural micro-histories are emerging.
Whether one takes a look at the organic farm or at the goose breeding
grounds, the bikers’ haunt or the dance club, the film association or the
gathering of the car tuning enthusiasts, the fish farm or the apiary, the
trailer park or the residents’ association – the various strategies and
stratagems are coagulating into complex landscapes, singular blends
of civic-anarchist self-determination, subversive subcultures and pragmatic
utilizations of spaces.
Interacting with this landscape, its protagonists, the urban planners
and the local residents, the artists are formulating questions about
the genesis of these formations: what are the means and strategies the
16

esidents along the fringes of the A40 motorway are using to transform
these fragmented spaces, to bring about their reutilization, to reappropriate
them and to convert them into habitable bio- and sociospheres?
How could these insights be adapted by planning and political processes?
Could these strategies offer up appropriate directives for the interaction
with other precarious urban spaces? Can art evolve fertile perspectives
for such spaces? What is the degree of permeability between
high culture and everyday practice, and what are the ways in which they
could benefit from one another? The project evolved a multitude of different
formats addressing this complex space. Works of art combined
with local ideas and projects; the farm and the allotment garden, the
car tuning enthusiasts’ gathering and the motorway church, the dance
club and the S&M club were all turned into equivalent elements of the
project. Hiking paths, guided tours and bus excursions interconnected
the various components into a vibrant choreography interrelating landscape,
art and everyday culture. Lectures and symposiums, theater
plays and concerts, picnics and culinary events merged into a program
accompanying the exhibition. Those who, passing by, stopped and disembarked
encountered a landscape which is perennially reinventing
itself in an idiosyncratic, imaginative and self-willed manner.
LEARNING FROM A40 In the search for solutions to the individual artistic
concerns, the specific qualities of this space, as well as the latent
invisibility of the fringes which are propelled from the periphery into
the very center by the motorway, assume a crucial role. The emergence
of a virtually extralegal zone in the shadow of the motorway denotes
a distinct indifference shown by the spheres of politics, planning and
economy, more or less abandoning these spaces to the citizens to do
with them as they see fit. The observation that this devolvement to autonomous
action has not resulted in dire anarchy, but has rather served
to enhance the ability to deal with conflict and the will to negotiate is one
of the crucial insights of the B1|A40 project, pointing towards a renaissance
of social skills in such heterogeneous landscapes.
The American landscape expert John Brinckerhoff Jackson has described
the conditions, strategies and relations of such a landscape,
which he terms vernacular: “Mobility and change are the key to the vernacular
landscape, but of an involuntary, reluctant sort; not the expression
of restlessness and search for improvement but an unending patient
adjustment to circumstances. Far too often these are the arbitrary
decisions of those in power, but natural conditions play their part an so
do ignorance and blind loyalty to local objectives: the absence of what
we would call a sense of future history.” 3
Notwithstanding its productive properties, the absence of a long-term
perspective seems to be an ambiguous characteristic peculiar to this
space, generating the ability to act while simultaneously casting doubt
on the sustainability of the individual projects. This position also ad-
dresses the property situation, which in the vernacular landscape is
usually distinctly unfavorable to its users, and the opportunities for
action related to it. In his text The Practice of Everyday Life 4 , Michel de
Certeau differentiates between strategy and tactics, interrelating their
discussion with the ownership of spaces and the unlimited potential for
action. Whereas ownership (of space) permits a strategic, economical
and future-directed husbandry, the unpropertied or weak “continually
turn to their own ends forces alien to them” 5 by means of tactics,
stratagems and ploys. Whereas in the strategical sense “the ‘proper’ is
a victory of space over time”, “the place of a tactic [of the unpropertied]
belongs to the” 6 other.
In these circumstances, the focusing on actions and practices beyond a
purpose-oriented economical production centered on the accumulation
of assets is of central importance. In the face of a frequently denounced
life “from hand to mouth”, the need for a culture of practice emerges
which, owing to the existing spatial conditions, is exclusively bound to
the moment of actual practice and is confronted by a culture of space 7 ,
which, in the Ruhr region, is particularly dependent on the strategies
of the steel and coal industry, but has, in the broader sense, been predetermined
by the accumulating and representation-bound economy of
our society.
While elsewhere access, at least of a symbolic kind, to actual assets,
economic structures and places has assumed a growing political importance,
the Ruhr region paints a different picture. Here, where the
divergence between ownership (and the owners) of space and the (unpropertied)
workers (who are solely owning their labor capacity, selling
it in wagework) has always been especially marked, architectural
space continues to serve as an emblem of ownership, access control and
potency. While labor is ideologically glorified, the buildings and megaemblems
of the region keep articulating the fact that it is not the actual
activity or work but rather the space and the potency permitting it which
is determining events. The intrinsic value of work, as an action pure and
simple (inseparable from life), is eclipsed by its product and the representation
of pure potency in a “space of potentiality” 8 .
Where the places of production and its emblems were not only owned
by the employers, but where the factories had also occupied the public
open spaces right in the inner cities 9 , the majority of the populace was
compelled to train itself in the art of action in occupied spaces. In particular
the unused leftover and excess spaces of industrial society have
always been converted to a new use by the local residents. On countless
pieces of wasteland, along the waysides, along railway tracks and in the
center of motorway junctions, along waterways, on parking lots and in a
multitude of intermediate spaces, a sub-society is busy organizing itself
in order to enjoy life, its uncertain future prospects notwithstanding.
As the very basics of future-oriented strategies have been denied to
the local population, the Ruhr region has opted instead to perennially
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN
17

einvent itself by means of stratagems and ploys in a space already occupied,
a phenomenon thus described by Michel de Certeau: “The place
of a tactic belongs to the other. […] It has at its disposal no base where
it can capitalize on its advantages […] On the contrary, because it does
not have a place, a tactic depends on time – it is always on the watch for
opportunities that must be seized ‘on the wing.’ Whatever it wins, it does
not keep. It must constantly manipulate events in order to turn them into
‘opportunities.’” 10
ADAPTATION The principle of adaptation, in which the unpropertied
are appropriating assets by utilizing them, has become common practice
in the Ruhr area. The motorway bridge is transformed into a shelter
for cattle and hay; the motorway junction area is turned into a fish farm;
the trailer park is transformed into a place of permanent residence. Behind
the noise barriers a racecourse is created; the hiking path is opening
up the landscape to the general public; the church is turned into a
pub while the parking lot is transformed into a cultural center.
Even though this culture of practice has long assimilated the lessons of
modernity, the allotment garden could provide a basic role model demonstrating
how a practice is establishing itself on unused terrain 11 . The
car tuning enthusiasts provide another exemplary instance: the upgrading
of a cheaply bought car turns into a practice which is in turn transformed
into the fetish of a roaming, placeless group moving from one
parking lot to another. An idiosyncratic cultural micro-history is created
with limited means; any Friday on the appointed parking lot, it forms the
main attraction of the evening and the focus of discussion, and leads to
the emergence of a specific community.
The traces of this culture are hard to find. Residing exclusively in the
event at hand, it is both actual and ephemeral, immediate and sensual,
demanding the participant’s presence while evading the value economy
of accumulation and reference. Where no visible sign remains and no
product can serve as a reminder of the event at hand, where no reference
ensures the creation of a value which can be commercially negotiated,
an empty space is usually all that is left. The culture of practice
may require a form of presentation, but it does not have a language of
representation. It vanishes into the reality of the actual place, the actual
event, while the space of signs and of the negotiation of values is
becoming progressively virtual, and correspondingly gains in importance.
ANSWERS – AN EXHIBITION IN THE A40 CITYSCAPE Any search for
the only marginally visible signs of a culture of practice accordingly has
to follow the traces left by those who are establishing their existence
in the transformation of spaces and objects. Typologies such as the all
but invisible landscape of the Kaiserberg motorway junction, which has
been exclusively formed by converting the space at hand to a new use,
or the commercial agglomeration at the Dückerweg in Bochum with its
car tuning enthusiasts’ gathering, locations which formed a focal part
of the 2010 exhibition, were complemented by new locations in 2014.
In the surroundings of the Eichbaum metro station in Mülheim an der
Ruhr, visitors could discover an urban district marked by a high degree
of heterogeneity. Crammed into an utterly restricted space near the A40
flyover, a metro station, agricultural land and meadows, a farm and a
goose breeding facility, abandoned buildings and idyllic detached family
homes, an amateur racecourse and tracts of overgrown fallow land
are jostling for space. In Essen-Frillendorf, residents are obstinately
making the area directly adjacent to the motorway their home, while in
Dortmund-Schönau an utterly idyllic place was revealed in the picturesque
valley directly beneath the motorway bridge. In Bochum-Hamme,
visitors could discover a kaleidoscope of cultural cross-fertilization involving
a motorway church, a slaughterhouse and a brothel, culminating
in an inconspicuous house where high culture and subculture are interwoven
in an utterly unexpected manner.
TACTICS AND PRACTICES It is one of the major purposes of B1|A40 to
provide these locations, and in particular their cultures and structures,
with a language of their own, to create an awareness of these places and
their tactics as well as of the conditions of their emergence. Thus many
of the artists’ works, and also the long-term project research, focused
on the practice of this landscape and its history.
Works such as Elke Krasny’s From the Landscape of Autonomy in Bochum
concerned themselves with the problem of how such landscapes could
be appreciated with a view to its separate constituent factors, and how
they could be integrated into an expanded matrix of signification. Her
research confronted the practices of the cityscape at Bochum-Hamme,
vague if not latent, with international analogies and discourses. The artist
mapped out a multi-referential round tour whose participants could
follow the trace of the alien across a complex terrain organized in culturally
heterogeneous neighborhoods.
18

Von links nach rechts
From left to right:
Volker Lang,
8 ½ Circus Space
Leni Hoffmann,
Klitschko_W
Christian Odzuck,
Polytopos Dortmund*
John Miller,
A False Mirror
Jeanne van Heeswijk and her team used a different strategy to approach
the practices of the residents of a vernacular landscape. After having
mounted her project The Resistance of Small Happiness at the Kaiserberg
motorway junction in 2010, she has long turned from a stranger into a
special part of this community, which she has once again asked to participate
in her project. Centering on the district of Werthacker, she questioned
the residents of the area and the surrounding landscape about
subjects such as responsibility, participation and solidarity. Engaging
these questions about the future viability and perspectives of this sociotope
in the shadow of the region’s largest motorway junction once
again mobilized the residents as a communal whole.
The format of the hiking paths used by B1|A40 to refashion the whole
area along the motorway into the informal B1|A40 landscape park in order
to visualize the emergence, utilization and reappropriation of spaces
by the local residents has combined the fragmented partial spaces of
the region into a vibrant choreography. The hiking paths interconnected
the numerous activities of the populace and provided the visitors with
an opportunity to explore this special landscape by means of a series
of information boards undercutting traditional designs with subversive
connotations. On attending the bikers’ gathering on the parking lot of
the Duisburg zoo, or the beauty of the grand road competition mounted
by the fabulous crowd of car tuning enthusiasts at the Dückerweg in
Bochum, practices organizing and expressing themselves in the area’s
public space came into focus, highlighting the importance of a temporary
utilization of parking lots, roads and leftover spaces but also the
development of a specific (sub)cultural history. The Heißener Hof in Mülheim,
where one family turns the problematical vicinity of the motorway
to good use by advertising its farmyard produce to the passing motorists
demonstrated that many local residents have learned how to adapt the
precarious situation in the shadow of the large road to their own purposes.
During the opening, not only B1|A40 sausages exclusively manufactured
for the exhibition but also suckling-pig and wild boar (hunted
by the residents themselves) were served.
But there were many more ways in which the multi-faceted commitment
of those peopling the fringes of the motorway and utilizing the local
conditions for their own purposes was demonstrated, for example
in the cooperation with the dance club Ruhr-Casino Bochum e. V., which
staged a Latin dance performance at Martin Pfeifle’s and Wanda Sebastian’s
work during the opening of B1|A40, or at places such as the motorway
church in Hamme. A special temporary museum, Berggate 69,
contributed a documentation of the history of a house located directly by
the roadside where the various interests intersected in a most peculiar
manner – four separate exhibition sections mapped the evolution of the
unusual coexistence of S&M studio and dance club, martial arts studio
and famous gallery in the course of time.
TRAVELLING PEOPLE Mobile life near, on and with the road, but also
related subjects such as poverty immigration, social and ethnic origins
and home, formed another focal point of the exhibition. Christine and
Irene Hohenbüchler devoted their work to a group which has lately once
again emerged from obscurity into the limelight. In this work, the members
of the Romani people – frequently denounced within the framework
of the current discussion about poverty immigration, not least in Duisburg
– were portrayed as a community which, while basically disposed
to settle down, has perennially been forced to move on due to persistent
persecution. In cooperation with the actor Nedjo Osman, a young theater
group and the association Terno Drom, the prevalent stereotypical images
were confronted with the reality of a way of life which had to be
organized “on the run” due to enforced migration.
The complex subject of migration, poverty immigration and integration
was also addressed by the artist group KUNSTrePUBLIK in their work
Gateway to the West. In a manner at once humorous and critical, their
gateway welcomed all those who have travelled on the east-west axis
along the “Autoput” 12 seeking greener pastures. Here at Dückerweg, the
home of the car tuning enthusiasts, below the towers which represented
a sculptural conglomerate of different cultures the washing of cars as
a ritual form of welcome assumed a decidedly political bent. “Who will
come – who is welcome?“ was a question this peculiar car wash put to its
customers, both from the vicinity and from abroad, in the form of a song
played over the speakers during the washing cycle.
Danica Dakić has likewise addressed the interrelation of localization,
travel and origins in an open manner. Her Geese Opera, whose sounds
emanated from an ostensibly abandoned container placed right in the
center of the leftover space at the Kaiserberg motorway junction, discussed
terms such as home, origin, loss and alienation in an association-eliciting
way. And Gabriela Oberkofler, who imported the history of
her origins and home country to the A40 by means of her Buggelkraxe,
a traditional South Tyrolean carrying frame, looked for a focal place for
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN
19

her meditation on concepts such as identity and a sense of belonging in
the ephemeral and oscillating space along the motorway, finally finding
the appropriate site at the Heißener Hof, a place distinctly similar to the
farm where she grew up.
Life on the road was also approached after a fashion in Volker Lang’s
work. On the one hand, his 8 ½ Circus Space reflected on the circus as
a dying format which used to convey the fantastic to the industrialized
cities. Offsetting the characteristics of a life on the road, the work was
intricately bound to the specific location, as the open circus tent offered
unusual perspectives and, as a sculpture, invited the local residents to
stage their own practices on the platform inside. The analogy between
everyday culture and high culture made the installation on an open field
in Mülheim an interface between a culture of identity and that of the other,
mirrored also in the heterogeneous neighborhood in the surroundings
of the Eichbaum metro station.
HOME ON THE MOTORWAY Several works concerned themselves with
those residents whose home is confronted with the motorway and the
difficult conditions of a compulsory life amidst the flow of traffic. At
Essen-Frillendorf, people are living in terraced houses only some few
meters beyond the motorway lanes. To some it seems inconceivable how
anybody could adapt to such a situation, whether in a traditional or a newly-built
neighborhood. In his work Fixed Star, Manuel Franke displayed
strategies used by the local residents to customize their own individual
house in order to visualize the indispensability of the personal in the
midst of an exceedingly public space. The fact that his work entered into
a dialogue with the adjacent facade, which is invariably used to proclaim
the neighbors’ enthusiasm for football once another world cup comes
around (thus also in 2014), seemed to fit in seamlessly with the artist’s
own purposes. By subtly contrasting the settled way of life with life on
the road, Franke’s quasi-sculptural work was transmuted into a sophisticated
discourse between place and space, moment and continuity.
A bit further on up the road, Leni Hoffmann’s work utilized the situation
of a village bisected by the motorway in order to address a socio-spatial
subject in a similarly sculptural manner. Her intervention, which dramatized
both ends of a bland concrete bridge spanning the motorway as a
bracket connecting the separated districts, made tangible the conspicuous
caesura of the social environment imposed by the expansion of the
B1 into a motorway.
Yet along the A40 one can find not only places like Frillendorf, where the
drastic aspects of the motorway expansion become glaringly obvious,
but also idyllic districts. In Dortmund-Schönau, John Miller’s work A False
Mirror addressed a radically different situation. At the spot where the
Schnettker bridge crosses the picturesque Emscher and Rüppingsbach
valley, he chose the designated center of the exclusive residential area
to erect two advertising columns, whose slightly anachronistic character
as a non-digital advertising medium seems to mirror the atmosphere
of their surroundings. On those pillars, the sleepy district, suffused with
the deceptive calm of bourgeois contentment, was confronted with two
fantasies of faraway places: the idyll of paradisiacal solitude was mirrored
in the stereotypical depiction of a palm-studded island on the one
hand and the image of a cluster of detached family homes of a first-generation
gated community on the other. Both the houses of this form of
settlement and the island idyll were treated as emblematic visions of an
excessively individualized society; at the same time, the actual site was
characterized as an exemplary instance of self-representation.
NEW LANDSCAPES A crucial aspect of the motorway is bound up in its
impact on the perception, existence and configuration of a landscape as
a habitat. Since the time when the first American parkway engendered a
comprehensive transformation of the perspective on a landscape 13 , recreating
it as a large-scale travel prospect and an image of domesticated
nature, it has become obvious that motorways trigger manifold social
and economic changes both in cityscapes and landscapes. The question
whether the concept of landscape as one distinct, complex habitat, as an
interface between man, culture and nature is a sustainable proposition
or whether we are merely confronted with its perennial reconstruction,
was comprehensively discussed by the exhibition at various places and
in various formats.
In his work Redevelopment Michael Fehr pinpointed the hidden qualities
of a landscape such as the Kaiserberg motorway junction area from a
historical perspective. While it might appear as a piece of “virtually untouched
nature” on the surface, below the ground this landscape functions
as a point of intersection of various energy sources such as oil, gas,
electricity and water. It thus made sense for Fehr to present the fruits of
his research in the guise of a sculptural information panel on the meadows
of the Dörnerhof farm, large tracts of which had fallen victim to the
progressive expansion of the motorway junction.
Christian Odzuck’s work Polytopos Dortmund* positioned itself in conscious
relation not only to the close-by Schnettker bridge but also to
the surrounding landscape. His stark construction systematized the
observer’s perspective on the large-scale surroundings, juxtaposing
the environment with scaled schematized shapes in the guise of
landscaped embankments, oscillating between large-scale sculpture,
miniature model and physical location. The work also served as both an
auditorium and an object of investigation for the students of the planning
department at the TU Dortmund, offering itself as an interface for
the reflection on current landscape concepts. The participants of the
project Ruhrbanität initiated by Christa Reicher and Ilka Mecklenbrauck
approached the specifics of the landscape of the Ruhr region by means
of extensive research, whose purposes and results were publicly discussed
at the site of Odzuck’s work.
Another aspect discussed in the exhibition was the interrelation of ecology
and economy in a region whose landscapes have for a long time been
exploited as a mere energy reservoir. One of the most impressive installations
focusing on this subject was provided by the group Performance
Electrics headed by its founder Pablo Wendel; its wind power station,
built exclusively from recycled road materials, was located in a nook of
the motorway junction at the outskirts of Dortmund, inviting passersby
in a humorous manner to think about serious subjects such as the
20

concept of landscape, ecology and the idea of an energy turnaround. The
sculptural power generator not only addressed the intricate matrix of
ecology, individual transport and artistic economy, but also dramatized
the landscaped environment which, at this place, is characterized by a
panoramic expansiveness rarely found in the Ruhr region.
Other works chose to approach the subject of the interrelation of cityscape
and landscape in a multitude of different perspectives. In Essen,
Jakob Kolding redesigned the Frillendorfer Platz as the stage of a fragmented
city district populated by a sculptural ensemble; Kolding’s figurative
sculptures helped the square, long bereft of its original character,
to rediscover a – however doubtful and fragmented – identity by transforming
intermediate and leftover spaces into landscaped miniature
utopias. A tiger hidden in the shadows of a sewer pipe; a collaged monument
at the bus stop; a double figure sheltering underneath the lonely
tree upon a traffic island; a break dancer in the underpass: right at the
center of a harsh caesura directly beneath the motorway, the question
obviously is whether the remains of a violently fragmented cityscape
can once again be united into a whole or whether a new aesthetics of
fragmentation is all that is left.
Martin Pfeifle and Wanda Sebastian, finally, engaged in the – consciously
futile – attempt, initiated by raumlaborberlin, to bring a sense of salvation
to an excessively heterogeneous space. Their gilding of the exterior
of the Opernbauhütte at the Eichbaum metro station in Mülheim offered
an impressive reflection of the rise and fall of a location popularized by
the Eichbaumoper 14 . While the station once again blazed forth bright and
golden after the opera, its Fort-Knox-like appearance rapidly faded into
a rusty red as the golden graffiti spray used by the artists disintegrated.
The work juxtaposed the futility of any attempt at a permanent enhancement
with a reappreciation of the temporary aspect, visually recovering
the location for a short time in its fragile obstinacy.
NO SUMMARY After the end of the exhibition, while there is an abundance
of new perceptions and ideas, any attempt at a résumé seems
pointless. Like the spaces along the grand road, the B1|A40 project shuns
any economy of conclusive results. Only the space itself will demonstrate
in time what changes can be triggered by any form of free action such
as the B1|A40 project. Even though many of these changes are already
dimly discernible, it will be left to those who are continuing to utilize,
rearticulate and transform these spaces to decipher their import. The
project thus perceives itself as one additional element of a culture of
action such as is vehemently recreating itself in the Ruhr region despite
its pervasive neglect. It is much to be hoped that the spheres of politics
and economy will recognize the value, importance and topicality of
a culture of practice, not least with respect to its impact on their own
concerns. But it is certainly good to know that this culture will continue
to flourish even if it will not receive the attention it deserves; after all
it has shown itself thoroughly capable of acting auto-productively and
autonomously: a resistant, stubborn and enthusiastic practicing of life
itself, which will in the end invariably overcome the obstacles of any
given space.
MARKUS AMBACH
1| The project, one key component of the cultural capital bid of the Ruhr region in
2008 – its first segment was realized in 2010 – is widely considered an exemplary
instance of the interdisciplinary cooperation between the spheres of art and urban
planning. The cooperation between artists, the Bochum town planning office as the
project’s sponsor – deputizing for the five adjacent cities of Duisburg, Mülheim an
der Ruhr, Essen, Bochum and Dortmund – and the Ruhr.2010 European Capital of
Culture demonstrated the potential of transdisciplinary communication. Many of the
insights resulting from the artistic work and research, but also various activities of
the local residents were reflected in ensuing urban planning projects. The project
was awarded the designation the outstanding exhibition of 2010 by the international
critics’ association AICA; the Gestalthandbuch A40/B1 created within the framework of
the project was awarded an “honourable mention” by the Deutscher Städtetag 2012.
2| The A40 is unique in that the Bundesfernstrassengesetz (Federal Highway Act)
prohibits the use of the so-called Anbauverbotszone extending for 40 meters to the left
and right of any motorway. As the A40 has kept to the route of the former B1, a section
of the Hellweg which passed straight through the various cities along its path in the
Ruhr region, at present thousands of people are thus living in this “prohibited zone”
throughout the area, in places where according to federal law nobody is permitted to
reside; the continuing use of these areas thus constitutes a blatant violation of law.
3| Brinckerhoff Jackson, John:“Concluding with Landscapes“ in: Brinckerhoff Jackson,
John Discovering the vernacular Landscape, New Haven/London 1948, p. 145–154.
4| de Certeau, Michel: The Practice of Everyday Life, Berkeley/Los Angeles/London, 1984.
5| ibid. p. xix.
6| ibid.
7| See Space vs. Practice, p. 194–196.
8| As such a “space of potentiality“ the category of pure potency, notwithstanding
the fact that it might be of no consequence within the world of tangible reality, has
even fed into the terminology of an alternative subculture. Here, however, this term
does not relate the potency to act to the concept of possession, but rather to the
occupation of other-owned, predominantly public spaces and subjects, preferring
to use these spaces as a zone of (economic) negotiation rather than infusing them
with “real“ activities.
9| The factories have firmly established themselves in the city centers, surrounded
by the residential quarters which have organized themselves around this core
in a hierarchical manner.
10| See note 6.
11| See Space vs. Practice, p. 194–196.
12| Serbian word for motorway and the proverbial term for the infamous transit
route leading from Austria to Greece via the former Yugoslavia, which was used by
many migrants.
13| The American parkway, the earliest incarnation of the motorway, which does
not traverse the country in a straight line but rather approaches its destination via a
winding panoramic route touching upon various landscape attractions, is comprehensively
museifying the surrounding landscape in a large-scale domestication of
represented nature. The car is transformed into an inverted display case presenting
the landscape to the travelling motorist. In its atmosphere of isolation the traveler
is gliding along the routes across the (long globalized) park, following the choreography
of the road through a stage-managed and domesticated world generating
itself solely as an image. Dramatizing the journey along a series of images, the
parkway is bringing a phenomenon initiated by the construction of railways to its
individualized apex. Landscape is transmogrified from a habitat to a spectacular
event, showcased and open to non-hazardous consumption.
14| Eichbaumoper, a project by raumlaborberlin, temporarily transformed the metro
station into an opera house in 2009. Yet despite several ensuing attempts at a
sustained reanimation of the station on the part of the artists, the station fell into
neglect afterwards.
B1|A40 FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN
21

KUNST DES HANDELNS
Als „Strategie“ bezeichne ich eine Berechnung von Kräfteverhältnissen,
die in dem Augenblick möglich wird, wo ein mit Macht und Willenskraft
ausgestattetes Subjekt (ein Eigentümer, ein Unternehmen, eine Stadt,
eine wissenschaftliche Institution) von einer „Umgebung“ abgelöst werden
kann. Sie setzt einen Ort voraus, der als etwas Eigenes umschrieben
werden kann und der somit als Basis für die Organisierung seiner
Beziehungen zu einer bestimmten Außenwelt (Konkurrenten, Gegner,
ein Klientel, Forschungs-„Ziel“ oder „-Gegenstand“) dienen kann. Die
politische, ökonomische oder wirtschaftliche Rationalität hat sich auf
der Grundlage dieses strategischen Modells gebildet.
Als „Taktik“ bezeichne ich demgegenüber ein Kalkül, das nicht mit etwas
Eigenem rechnen kann und somit auch nicht mit einer Grenze, die
das Andere als eine sichtbare Totalität abtrennt. Die Taktik hat nur den
Ort des Anderen. 1 Sie dringt teilweise in ihn ein, ohne ihn vollständig erfassen
zu können und ohne ihn auf Distanz halten zu können. Sie verfügt
über keine Basis, wo sie ihre Gewinne kapitalisieren, ihre Expansionen
vorbereiten und sich Unabhängigkeit gegenüber den Umständen bewahren
kann. Das „Eigene“ ist ein Sieg des Ortes über die Zeit. Gerade
weil sie keinen Ort hat, bleibt die Taktik von der Zeit ab hängig; sie ist immer
darauf aus, ihren Vorteil „im Fluge zu erfassen“. Was sie gewinnt,
bewahrt sie nicht. Sie muß andauernd mit den Ereignissen spielen, um
„günstige Gelegenheiten“ daraus zu machen. Der Schwache muß unaufhörlich
aus den Kräften Nutzen ziehen, die ihm fremd sind. Er macht das
in günstigen Augenblicken, in denen er heterogene Elemente kombiniert
(so vergleicht eine Hausfrau im Supermarkt fremdartige und wechselnde
Gegebenheiten, wie zum Beispiel die Vorräte im Kühlschrank, die Geschmäcker,
Vorlieben und Launen ihrer Gäste, die preiswertesten Produkte
und ihre mögliche Verbindung mit dem, was sie bereits zu Hause
hat etc.); allerdings hat deren intellektuelle Synthese nicht die Form
eines Diskurses, sondern sie liegt in der Entscheidung selber, das heißt,
im Akt und in der Weise, wie die Gelegenheit „ergriffen wird“.
Viele Alltagspraktiken (Sprechen, Lesen, Unterwegssein, Einkaufen
oder Kochen etc.) haben einen taktischen Charakter. Und noch allgemeiner,
auch ein großer Teil der „Fertigkeiten“: Erfolge des Schwachen
gegenüber dem „Stärkeren“ (dem Mächtigen, der Krankheit, der
Gewalt der Dinge oder einer Ordnung etc.), gelungene Streiche, schöne
Kunstgriffe, Jagdlisten, vielfältige Simulationen, Funde, glückliche
Einfälle sowohl poetischer wie kriegerischer Natur. Diese operationalen
Leistungen gehen auf sehr alte Kenntnisse zurück. Die Griechen
stellen sie in der Gestalt der metis dar. 2 Aber sie reichen noch viel weiter
zurück, zu den uralten Intelligenzen, zu den Finten und Verstellungskünsten
von Pflanzen oder Fischen. Vom Grunde der Ozeane bis zu den
Straßen der Megapolen sind die Taktiken von großer Kontinuität und Beständigkeit.
MICHEL DE CERTEAU
Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 23f
1| Die Arbeiten von P. Bourdieu, M. Détienne und J.-P. Vernant ermöglichen eine
genauere Bestimmung des Begriffs der „Taktik“, aber auch die soziolinguistischen
Untersuchungen von H. Garfinkel, H. Sacks, etc.
2| M. Détienne und J.-P. Vernant, Les Ruses de l‘intelligence, a.a.O.
22

23

THE PRACTICE OF EVERYDAY LIFE I call a “strategy” the calculus of
force-relationships which becomes possible when a subject of will and
power (a proprietor, an enterprise, a city, a scientific institution) can be
isolated from an “environment.” A strategy assumes a place that can be
circumscribed as proper (propre) and thus serve as the basis for generating
relations with an exterior distinct from it (competitors, adversaries,
“clienteles,” “targets,” or “objects” of research). Political, economic,
and scientific rationality has been constructed on this strategic model.
I call a “tactic,” on the other hand, a calculus which cannot count on a
“proper” (a spatial or institutional localization), nor thus on a borderline
distinguishing the other as a visible totality. The place of a tactic belongs
to the other. 1 A tactic insinuates itself into the other’s place, fragmentarily,
without taking it over in its entirety, without being able to keep it
at a distance. It has at its disposal no base where it can capitalize on its
advantages, prepare its expansions, and secure independence with respect
to circumstances. The “proper” is a victory of space over time. On
the contrary, because it does not have a place, a tactic depends on timeit
is always on the watch for opportunities that must be seized “on the
wing.” Whatever it wins, it does not keep. It must constantly manipulate
events in order to turn them into “opportunities.” The weak must continually
turn to their own ends forces alien to them. This is achieved in
the propitious moments when they are able to combine heterogeneous
elements (thus, in the supermarket, the housewife confronts heterogeneous
and mobile data-what she has in the refrigerator, the tastes,
appetites, and moods of her guests, the best buys and their possible
combinations with what she already has on hand at home, etc.); the intellectual
synthesis of these given elements takes the form, however,
not of a discourse, but of the decision itself, the act and manner in which
the opportunity is “seized.”
Many everyday practices (talking, reading, moving about, shopping,
cooking, etc.) are tactical in character. And so are, more generally, many
“ways of operating”: victories of the “weak” over the “strong” (whether
the strength be that of powerful people or the violence of things or of an
imposed order, etc.), clever tricks, knowing how to get away with things,
“hunter’s cunning,” maneuvers, polymorphic simulations, joyful discoveries,
poetic as well as warlike. The Greeks called these “ways of operating”
metis. 2 But they go much further back, to the immemorial intelligence
displayed in the tricks and imitations of plants and fishes. From
the depths of the ocean to the streets of modern megalopolises, there is
a continuity and permanence in these tactics. MICHEL DE CERTEAU
Michel de Certeau, The Practice of Everyday Life, © 2011 by the Regents of the University
of California. Published by the University of California Press
1| The works of P. Bourdieu and those of M. Détienne and J.-P. Vernant make possible
the notion of “tactic“ more precise, but the socio-linguistic investigations of H.
Garfinkel, H. Sacks, et al. also contribute to this clarification.
2| M. Détienne and J.-P. Vernant, Les Ruses de l‘intelligence, loc. cit.
24

25

26

DU-KAISERBERG27

DIE ZUKUNFT DER
LANDSCHAFT
AUTOBAHNKREUZ KAISERBERG Das Autobahnkreuz
Kaiserberg gilt seit der Fokussierung
durch B1|A40 im Jahr 2010 als einer
der charismatischen Orte entlang der großen
Straße. Direkt im größten Verkehrsknoten der
Region, der den meisten nur vom Durchfahren
bekannt ist, vermutet keiner jene Lebenswelten,
die sich unbemerkt zwischen den Flyovers
angesiedelt haben. Von der Fischzucht
zur Siedlung Werth acker, vom Bauernhof zum
Zoo über der Autobahn, vom Wagenplatz zum
Bikermeeting zeigt sich eine Landschaft, die
sich entlang einer informellen Nutzung des
Raums durch seine Bewohner entwickelt hat.
Der Begriff der vernakulären Landschaft, unter
dem John Brinckerhoff Jackson 1 ein solches
Territorium beschreibt, das sich nicht
durch übergeordnete Planungsdirektiven
entwickelt, scheint in der Entwicklung des
Ruhrgebiets eine bedeutende Rolle zu spielen.
Strategien und Taktiken im Umgang mit prekären
Lebenslagen, wie sie im Schatten der Autobahn
mannigfaltig zu finden sind, bestimmen
hier den Alltag der Menschen zwischen engagierter
Rückaneignung des fragmentierten
Raums und einer geduldigen Anpassung an die
Umstände.
Das Autobahnkreuz Kaiserberg steht exemplarisch
für eine Landschaft, die sich im Windschatten
politischer und ökonomischer Interessen
aus sich selbst heraus entwickelt hat
und zeigt, wie das Fehlen von Kontrolle und
Aufmerksamkeit nicht blanke Anarchie, sondern
eine besondere Form bürgerlichen Engagements,
sozialer Kompetenz und nachbarschaftlichen
Miteinanders entstehen lässt.
Gerade hier, wo die Anwohner die Impulse des
Projekts aufnahmen, zeigte B1|A40 langfristig
Wirkung und führte zu einem Weiterdenken.
Nach dem Jahr 2010, in dem eine engagierte
Bürgerschaft zusammen mit Jeanne van
Heeswijk ihre Dorfkirche rettete und sie zum
Zentrum einer ganz eigenen Form der Stadtentwicklung
machte, setzte sich das Engagement
der Bewohner eigenständig fort. Der
von Jeanne van Heeswijk gestiftete Gallische
Tisch als temporäres Gemeindezentrum und
Symbol des bürgerlichen Willens zur Selbstbestimmung
wanderte durch die Region bis
nach Rotter dam, um Gespräche, aber auch
Feste und Feiern anzuregen. Die Bürger transformierten
das Kunstprojekt in der Nutzung in
einem dialogischen Verhältnis bis an die Grenzen
von Kunst und Alltagskultur, in denen die
prognostizierten Hierarchien zwischen beiden
temporär aufgelöst wurden.
Gleichzeitig formierte sich in der Folge das Gelände
um die ehemalige Kirche mit Neubauten,
dem Zuzug junger Familien und dem Ausbau
der ehemaligen Kapelle zum Veranstaltungsraum
neu. Die Siedlerklause als geheimes Gemeinschaftszentrum
wurde um einen Außenbereich
ergänzt und die heutigen Bau- und
Modernisierungsvorhaben im Ort zeigen eine
aktualisierte Ästhetik, die dem dörflichen Charakter
der Siedlung Werthacker eine moderne
Note verleiht.
Das neue soziale Bewusstsein in der Gemeinschaft
brachte zudem viele emanzipative, aber
auch kritische Auseinandersetzungen mit sich.
Fragen nach dem Umfeld und der Ausdehnung
des eigenen Wirkungskreises traten ins Zentrum
der Diskussionen, als sich die Stadt Duisburg
anschickte, in direkter Nähe einen Autohof
mit Spielcasino und Hotel einzurichten – mit
der Folge eines zu erwartenden Milieunachzugs.
Die Anlage, die die filigrane Balance des
Soziobiotops Kreuz Kaiserberg empfindlich
gestört hätte, wurde auch zum Streitfall in
der Frage Engagement versus Zurückhaltung
in politischen Dingen, indem die Stärken und
Schwächen einer solchen Landschaft zur Debatte
stehen: Können sich ihre Akteure über
die Grenzen des eigenen Terrains hinaus solidarisieren?
Ist solch eine Landschaft fähig,
sich langfristige Perspektiven zu geben? Steht
eine Politisierung der Gemeinschaft im Einklang
mit den Qualitäten der vernakulären
Landschaft oder werden sie unvermeidlich von
dieser überschrieben?
28

Jeanne van Heeswijk, Britt Jürgensen und ihr
Team thematisierten diese Fragen im Jahr
2013 zum Auftakt der Recherchephase des
Projekts B1|A40 in abstrakter Form. Ihr fahrender
Glücksspielautomat begab sich auf
Entdeckungsreise ins Umfeld der Siedlung und
untersuchte es mit den Anwohnern auf seine
Strukturen und Möglichkeiten hin. Die Reise
wurde zum Ausgangspunkt ihres Projekts
Trampelpfade – Eine Wanderausstellung zum
kleinen Glück, das im Jahr 2014 die verbor ge n en
Akteure im Kreuz Kaiserberg mit den Siedlern
verband, neue Nachbarschaftsbeziehungen
aufbaute und die Solidarität der Gemeinschaft
weit über die Dorfgrenzen hinaus stärkte.
Die Arbeit von Michael Fehr, der als Kunsthistoriker
eine weit wissenschaftlichere Perspektive
vertritt als die gemeinschaftsgenerierenden
Kollaborationen einer Jeanne van
Heeswijk, verfolgte die verborgenen Verknüpfungen
des Terrains auf eine vollkommen andere
Weise. Seine Untersuchung, deren Ergebnisse
sich auf einer Wiese des Dörnerhofs
in einer begehbaren Informationsskulptur
darstellten, widmete sich den verborgenen
Energieflüssen, die sich analog zum Verkehr
unsichtbar im Erdreich manifestieren. Denn
das Autobahnkreuz Kaiserberg ist nicht nur
eine der dichtesten Verkehrsschnittstellen
der Region, sondern auch ein extraordinärer
Knotenpunkt der Energieversorgung zwischen
Gas- und Wasserleitungen, Stromtrassen und
Telefonverbindungen, Abwasser- und Datennetzwerken.
Unter dem grünen Teppich der
verbliebenen Wirtschaftswiesen des Dörnerhofs,
der einst die wesentlichen Flächen des
Kreuzes umfasste, entwickelt sich ein ungeahntes
Geflecht der Energie, das in seiner historischen
Entwicklung von Michael Fehr nachgezeichnet
wurde – ein Blick in eine fremde
Welt, die in verunsichernd unsichtbarer Weise
unser Leben bestimmt.
Der Wanderweg, der auch im Jahr 2014 auf
subtile Weise durch das Autobahnkreuz und
den von B1|A40 ausgerufenen Landschaftspark
Kreuz Kaiserberg 2 leitete, um dem Flaneur
zwischen den Welten die Genese einer solch
komplexen Landschaft näherzubringen, führte
nicht nur zu den Kunstprojekten, sondern gerade
auch zu den vielzähligen Ereignissen, die
von den Bewohnern und Nutzern in diesen Ort
eingeschrieben werden. Neben den Schrebergärten
am Wegesrand, dem Zoo, der durch die
Autobahn geteilt wird, der Fischzuchtanlage
von Delikatfisch Braun und all den Innovationen
zur Nutzung dieses schwierigen Raums
fand sich am Rande der Strecke ein Ereignis,
das schon Jahrzehnte auf dem Parkplatz des
Zoos gastiert. Nur eine auffällig chaotische
Pinnwand verrät bei näherem Hinsehen, dass
sich der sonst verwaiste Ort jeden Sonntag mit
Liebhabern eleganter Zweiräder und heißer
Öfen füllt, bevor es auf Tour durch die Ruhrlandschaft
geht. Zwischen fünf und 500 Pferdestärken
versammelt sich hier alles, was
den Namen Motorrad verdient und zeigt den
unendlichen Einfallsreichtum beim Bau und
Umbau der Zweiräder. Dass der Imbisswagen
mit Airbrush-Paintings im milieueigenen Stil
29

schon seit 30 Jahren hier gastiert und die Crew
ihre Sonntage opfert, um die FahrerInnen mit
Kaffee und Bratwurst zu versorgen, deutet auf
eine eingeschworene Gemeinde, die Zuschauer
herzlich willkommen heißt.
Eine auffällig unauffällige Arbeit reihte sich
an der Pumpstation mitten im von Brachlandgrün
geprägten Herzen des Verkehrsknotens
Kaiserberg in die Erzählungen dieser Orte und
Akteure ein. Aus einem vermeintlich aufgegebenen
Transportcontainer drang dort unvermittelt
der Gesang zahlreicher Gänse herüber.
Danica Dakićs Gänseoper versetzte die Stimmen
der Zugvögel vom im entfernten Mülheim
verorteten Heißener Hof ins Niemandsland des
Transits, in den ephemeren Randbereich der
großen Straße, in den verlorenen Raum zwischen
den Fly-overs, auf denen die Konsumgüter
in endlosen Containerschlaufen zu kreisen
scheinen. Die Stimmen der Tiere – gleich einer
Oper arrangiert zu einem anschwellenden
Klagegesang – bedrängen den Passanten phonetisch
wie sinnlich mit ihrer Eindringlichkeit.
In einem assoziativen Kaleidoskop evoziert die
Arbeit Momente von Ortlosigkeit, Flucht, Herkunft
und Vertreibung, aber auch von Reise,
Ende und Kontinuität beim Gang durch einen
unwirtlichen Ort im Zentrum des nicht abschwellenden
Verkehrs.
Das Autobahnkreuz Kaiserberg wird ein enigmatischer
Ort bleiben, verknüpft durch seine
Bewohner, die durch das Projekt ein wenig
näher zusammengerückt sind. Es ist eine
Landschaft, wie sie niemand erdenken konnte
und wie sie sich doch realisiert hat: im Windschatten
des Kalküls einer radikalisierten
Ökonomie des Transports und der Produktion,
einer Überfokussierung auf Infrastruktur und
pragmatische Werte, einer Nachlässigkeit gegenüber
dem Lokalen, dem die Landschaft erst
zum Opfer fiel, um entlang der unermüdlichen
Transformationsfähigkeit ihrer selbst gleichsam
als Unterbewusstsein dieses Raums wiederaufzuerstehen.
MARKUS AMBACH
1| Jackson, John Brinckerhoff: Discovering the vernacular
Landscape, New Haven/London 1984.
2| Das Konzept der Wanderwege, die an mehreren
Orten eingerichtet wurden, findet sich auf S. 70.
THE FUTURE OF LANDSCAPE | KAISERBERG
AUTOBAHN JUNCTION Ever since it was a
focus of the B1|A40 exhibition in 2010, the Kaiserberg
autobahn junction has been considered
one of the great highway’s charismatic
sites. Most are only familiar with the region’s
biggest traffic junction because they pass
through it. No one could possibly guess what
kinds of lifestyles exist inconspicuously in
between flyovers. From fish breeding to the
Werthacker settlement, from farms to the zoo
above the autobahn, from the parking lot to
biker meetings, this landscape has developed
informally, according to the ways its residents
have used it.
As described by John Brinckerhoff Jackson, 1
the vernacular landscape is a kind of landscape
that has not been developed according
to planning directives; it seems to play an
important role in the development of the Ruhr
District. Everyday life here is determined by
role-playing, as well as strategies and tactics
for dealing with precarious situations of the
kind often found in the shadow of the autobahn,
ranging from a commitment to re-appropriating
fragmented space, to a patient adaptation
to circumstances.
The Kaiserberg junction is exemplary of a landscape
that has developed in the slipstream of
political and economic interests; it also demonstrates
how lack of control and attention do
not result in anarchy, but in a special form of
commitment from the residents, in social competence
and neighborly attitudes.
It is here, where residents accepted the project’s
ideas, that the B1|A40 show effected a
long-term impact and led to further ideas. After
2010, when an engaged citizenry worked
with Jeanne van Heeswijk to save their village
church, turning it into the center of a unique
form of urban development, the residents’
commitment continued to develop on its own.
Jeanne van Heeswijk’s donation of the Gallische
Tisch as a temporary community center
symbolized the citizens’ will to self-determination
as it traveled throughout the region all
the way to Rotterdam, inciting debate, as well
as parties and celebrations. The citizens transformed
the art project’s usage into a discursive
relationship that went all the way to the limits
between art and everyday culture, and in which
the prognosticated hierarchies between the
two were temporarily dissolved.
At the same time, new buildings were erected
on the property around the former church, new
families came, and the old chapel was remodeled
into an event space. The community retreat
became a secret community center and
was given a new exterior; today’s plans for
building and modernizing the town display an
updated aesthetic that lends the village-like
Werthacker settlement a modern accent.
The community’s new social awareness also
brought with it many liberating, yet critical
conflicts. Questions about the environment
and expanding the community’s sphere of effectiveness
became crucial topics of debate
when the city of Duisburg notified them of the
intention to erect a rest stop close by, with a
casino, hotel, and the usual milieu that follows.
The facility, which disturbs the delicate
emotional balance in the social biotope known
as the Kaiserberg junction, fostered a controversy
about engaging in political matters versus
staying out of them. Up for debate were
the strengths and weaknesses of this kind of
landscape: can people act in solidarity beyond
the bounds of their own terrain? Is this kind
of landscape capable of providing long-term
perspectives? Does a politicized community
harmonize with the qualities of the vernacular
landscape, or does the former inevitably overwrite
the latter?
Jeanne van Heeswijk, Britt Jürgensen, and
their team examined these questions abstractly
in 2013, when research began for the
B1A40 project. Accompanied by residents, their
mobile slot machine went on a journey of discovery
around the community, investigating its
structures and potential. The journey became
the starting point for their project, Trails – A
Traveling Exhibition About Small Happiness,
which connected the hidden protagonists of
Kaiserberg junction with the neighbors in 2014,
building new relationships among neighbors
and reinforcing the community’s solidarity far
beyond the village.
The art historian Michael Fehr and his work
represented a far more scientific perspective
than Jeanne van Heeswijk’s community-
30

31

generating collaboration. Fehr pursued the
terrain’s hidden connections in a completely
different manner. His investigation – whose results
were displayed in a walk-in, informational
sculpture in a meadow of the Dörnerhof – was
devoted to the hidden flow of energy that manifest
invisibly and analogously to the traffic, for
the Kaiserberg junction is not only one of the
most heavily traveled traffic intersections in
the region, but also an extraordinary energy
supply hub that includes gas and water pipes,
electrical power lines, telephone cables, sewage
systems, and data networks. Beneath the
green carpet of the Dörnerhof’s remaining
meadows – which once comprised most of the
ground around the junction – an undreamt-of
energy system has developed. In his piece, Michael
Fehr traced its history, providing insight
into a strange world that determines our lives
in unsettling, invisible ways.
In 2014 the trail also subtly led through the
autobahn intersection and the B1|A40’s Landscape
Park Kreuz Kaiserberg, 2 in order to bring
the people strolling in between the worlds
closer to the genesis of this kind of complicated
landscape. It not only took visitors to the
art projects, but also allowed them to experience
the many things inscribed into this place
by the residents and users. Besides the allotment
gardens on the edge of the trail, the zoo
(divided by the autobahn), Delikatfisch Braun’s
fish breeding facility, and all of the innovative
uses of this difficult space, there was an event
that took place on the trail’s periphery – an
event that has been happening for decades in
the zoo’s parking lot. Only upon closer inspection
does a remarkably chaotic bulletin board
betray the fact that, every Sunday, the usually
neglected site is full of people who love elegant
motorcycles and mean machines, who gather
there before starting their tour of the Ruhr
landscape. Everything between five and five
hundred horsepower that deserves to be called
a motorcycle is here, where you can see the infinite
wealth of imagination involved in building
and rebuilding two-wheelers. The fact that the
food truck, with its airbrushed paintings in the
style of the milieu, has been coming here for
thirty years with a crew that gives up its Sundays
to keep drivers supplied with coffee and
bratwurst, indicates that this is a committed
community that is glad to welcome onlookers.
A noticeably unremarkable work of art near
the pumping station in the overgrown land that
makes up the heart of the Kaiserberg junction
joins the series of tales about these places and
actors. There, the voices of countless geese
rose up from inside a seemingly abandoned
transport container. Danica Dakić’s Geese Opera
took the voices of migratory birds from the
Heißener Hof located in distant Mülheim and
placed them in the transit wasteland, on the
ephemeral periphery of the grand road, in the
lost space amid the flyovers, where consumer
goods seem to circulate in endless loops of
containers. Arranged into an operatic, swelling
lament, the urgent animal voices phonetically
besieged the senses of passersby. In a
kaleidoscope of associations, the work evoked
aspects of homelessness, flight, heritage, and
persecution, as well as of travel, endings, and
continuity, while walking through an inhospitable
place in the middle of traffic that never
ebbs.
The Kaiserberg junction will remain an enigmatic
site linked together by its inhabitants,
who have come together a bit more closely
through this project. It’s a landscape no one
could have imagined, but was nevertheless
made reality in the slipstream of a calculating,
radicalized transportation and production
economy, an over-focus on infrastructure and
pragmatic values, and a neglect of the local
area, whose first victim was the landscape; it
resurrects itself as a kind of spatial subconscious
through its tireless ability to transform
itself.
MARKUS AMBACH
1| Jackson, John Brinckerhoff: Discovering the Vernacular
Landscape, New Haven/London 1984.
2| The concept for the trails that were built on several
sites can be found on p. 80.
ALTERNATIVE LEBENSWELTEN Im Kreuz Kaiserberg
haben sich im Schatten der Fly-overs innovative
Lebenswelten zwischen Fischzucht, Wagenplatz, Freizeit
und Bikermeeting eingerichtet und zeigen, welche
komplexen Landschaften sich jenseits planerischer
und politischer Direktiven im Gebrauch des Raums
durch die Bewohner entwerfen.
ALTERNATIVE ENVIRONMENTS At Kreuz Kaiserberg,
among the shades of the flyovers, a mix of innovative
living environments self-established: a fish
farm, an alternative trailer park, biker meetings and
space for recreation. This area exemplifies the complex
cityscapes residents create beyond urban development
policies and spatial planning.
32

DIE ZUKUNFT DER LANDSCHAFT
33

34

35

36

37

DÖRNERHOF
Man mag es angehen als Würdigung einer technische Meisterleistung:
ein Autobahnkreuz konstruiert unter beengten Platzverhältnissen, ein
Kleeblatt mit zusätzlichem Anschluss, die Eckpunkte fixiert und die Verbindungen
um die geografischen Vorgaben gewunden. Am Schluss Verwunderung
des Nutzers dieser Maschine als Bestandteil einer Transportfabrik,
quasi auf industriellem Terrain Menschen anzutreffen, die
sich dort scheinbar niedergelassen haben.
Oder wir denken an den Bürgermeister von Duisburg namens Otto
Vogel, der 1450 für die erste urkundliche Erwähnung des Dörnerhofs
gesorgt hat, als er den – auch damals sicher schon lange bestehenden
Hof – übernahm und ihm seinen heutigen Namen gab. Daran könnte man
erkennen, dass die Menschen schon lange vor dem Kaiserbergkreuz,
vor der Reichsautobahn Köln-Berlin, vor dem Großschifffahrtskanal
und vor der Cöln-Mindener, der Rheinischen und der Bergisch-Märkischen
Eisenbahn hier waren. Sie sind geblieben, obwohl es längst nicht
mehr so idyllisch ist, wie Heinrich Nonne es im 19. Jahrhundert so prosaisch
beschrieben hat. Duissernscher Berg, so hieß der Kaiserberg in
Duisburg-Duissern bis 1881, als im Geist der damaligen Zeit zu Ehren
des deutschen Kaisers der Name Kaiserberg vergeben wurde. Gemäß
zeitgenössischen Versschreibern war es seinerzeit ein idyllisches
Plätzchen, eine Obstbaum-Chaussee führte geradewegs vom Hoftor
zum Duissernschen Berg.
Die lange Geschichte des Dörnerhofs spiegelt sich zunächst in verschiedenen
Urkunden wider. Im 15. Jahrhundert verfügte Wilhelm Graf zu
Limburg hierüber, im 16. Jahrhundert wurde ein Weg entlang der Ländereien
des Hofs, der die Klöster Hamborn und Duissern verband, in
einer Urkunde erwähnt. Im 18. Jahrhundert schließlich erwarb der über
Duisburgs Grenzen hinaus bekannte Tabakfabrikant Böninger den Hof
als Sommerresidenz und hielt ihn über mehrere Generationen. 1872
ging der Hof schließlich in die Hände der Familie über, deren Nachkommen
ihn auch heute noch bewohnen. 1889 wurden die meisten Hofgebäude
durch ein Feuer zerstört. Der Bauantrag vom 22. November 1889
wurde bereits acht Tage später genehmigt – unterzeichnet von Oberbürgermeister
Karl Lehr –, der Neubau konnte bereits am 30. April 1890
beendet werden. „Die Lage ist eben und bis auf die Ruhrweide arrondiert,
fast in Quadratform, die vollkommenste Gestalt eines Hofes mit
zentraler Lage der Gebäude. Dieser Umstand bietet Ersparnisse an Zeit,
Zugkraft und Wirtschaftskosten, erleichterte Beackerung und Pflege
der Kulturpflanzen und die Ernte. Das Absatzgebiet ist für alle Erzeugnisse
durch die Nähe der Stadt äußerst günstig. Der Kulturzustand des
Bodens ist als sehr gut anzusprechen. (1936)“
Im 19. Jahrhundert wandelte sich Duisburg zur Industrieregion, um 1960
nannte man Duisburg die „Stadt Montan“. Die Einwohner verfügten über
das höchste Pro-Kopf-Einkommen in der gesamten Bundesrepublik,
Duisburg war die reichste Stadt Deutschlands. Auf der Strecke blieb der
Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe, viele Höfe verschwanden
vollständig von der Bildfläche, nur noch Straßennamen erinnern Eingeweihte
daran. Der Dörnerhof kam leidlich besser davon; zusammen
mit dem Monninghof sind sie die letzten Höfe im Stadtteil Duissern, von
38

eiden geht keine Bewirtschaftung mehr aus. Die Ländereien des Monninghofs
werden vom Zoo Duisburg und die des Dörnerhofs vom Kolkerhof
aus dem benachbarten Mülheim-Speldorf genutzt.
Die Industrialisierung brachte den Bau von Eisenbahnlinien mit sich,
durch den Bau wurde ein Stück Kaiserberg abgetrennt, den die Duisburger
fortan „Sauerbraten“ nannten, das Gegenüber „Schnabelhuck“. Für
das Jahrhunderte alte Wegerecht auf der Obstbaumallee wurde der Bau
einer Eisenbahnunterführung zugestanden.
1847 Inbetriebnahme der ersten Eisenbahnstrecke am Dörnerhof von
Duisburg nach Oberhausen (Trassenverlauf über das Gelände von Dörnerhof
und Kolkerhof), die Cöln-Mindener Eisenbahn.
1862 Inbetriebnahme der Duisburg-Wittener Eisenbahn.
1890 Deutschlandweit als Katharinenhochwasser bekannt, stellte sich
infolge von Starkregenfällen und eines Durchbruchs des Raffelberger
Deichs ein Hochwasser ein, wie es noch nicht vorgekommen war. Die
Hofgebäude standen etwa zwei Meter unter Wasser.
1901 Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Umgehungsbahn am Fuß
des Kaiserbergs als Teilstück der Eisenbahnlinie Duisburg-Quakenbrück
(Rheinische Bahn).
1910 Inbetriebnahme des viergleisigen Ausbaus der Umgehungsbahn.
1916 Planfeststellungsbeschluss zum Bau des Großschifffahrtskanals
vom Mülheimer Hafen zur Ruhr. Der Bau war erforderlich geworden,
weil die Ruhr seit dem Hochwasser 1890 versandete und nicht mehr
schiffbar war. Die Weiden am Kolkerhof versumpften. Durch den Ausbruch
des Ersten Weltkriegs hatte sich das Projekt immer mehr verzö-
39

S. 38/39 Dörnerhof 1900
S. 40 Familie Kolkmann 1910
S. 41 Autobahnbau 1968
p. 38/39 Dörnerhof 1900
p. 40 Kolkmann family 1910
p. 41 Autobahn construction 1968
Durch zahlreiche seit 1847 durchgeführte infrastrukturelle
Ausbauten befindet sich der Dörnerhof mitten
im Verkehrsknotenpunkt Kaiserberg. Klaus-Dieter
Gogoll, ein Nachfahre der Familie Kolkmann, bewohnt
den Hof heute mit seiner Familie.
Following several infrastructural expansions of the
road networks since 1847, today the Dörnerhof is located
in the middle of the interchange of Kreuz Kaiserberg.
Klaus-Dieter Gogoll, a descendant of the Kolkmann
family, lives there today with his family.
gert. Parallel dazu entstand für den aufkommenden
Autoverkehr der Ruhrschnellweg,
hier viel später als B60 bezeichnet.
1934 Erster Spatenstich am Kaiserberg zum
Bau der Reichsautobahn auf dem Gelände des
Dörnerhofs mit Anschlussstelle und Verteilerkreis,
der die Verbindung zwischen Stadt (über
Carl-Benz- und Gottfried-Kinkel-Straße) und
Ruhrschnellweg (über Gottlieb-Daimler-Straße)
schaffte. Da im Bereich der Zeche Alstaden
Bergschäden erwartet wurden, erfolgte die
Trassenführung am Kaiserberg entlang und
damit auf Dörnerhof-Gelände. Im Dezember
1936 erfolgte die Verkehrsfreigabe. Die letzten
Spuren der damaligen Verkehrsanlage erkennt
man heute in Form der breiten, alleeartigen
Dörnerhofstraße. Dies war die ehemalige
Zufahrt zum Verteilerkreis, Gottlieb-Daimler-
Straße benannt.
1935 Wegen des Baus der Reichsautobahn
wurde die Trasse der Umgehungsbahn näher
an den Kaiserberg verlegt. Auf der ehemaligen
Trasse verläuft nun die Carl-Benz-Straße.
So ging es über die Kriegszeit und die 1950er-
Jahre, bis der Verkehr überhandnahm und der
Ruhrschnellweg zur Autobahn ausgebaut werden
musste, in unserem Bereich durch eine
neue Trassenführung querfeldein. Unter dem
rollenden Rad entstand der Spaghetti-Knoten
auf dem Verteilerkreis, der dafür langsam verschwand.
200 000 Fahrzeuge passieren nun
täglich den Dörnerhof, las ich neulich.
1966 Beginn der Bauarbeiten für den Spaghetti-Knoten,
das Kreuz Kaiserberg, Freigabe
schrittweise ab Mai 1969.
1972 Bau der S-Bahn-Strecke Duisburg-Dortmund
(S1).
Beim Kauf im Jahr 1872 umfasste die Gesamtfläche
der Ländereien 365 079 Quadratmeter.
Im Lauf der Jahre wurden zum Bau von Eisenbahnen,
des Schifffahrtskanals nach Mülheim
und des daran entlang führenden Ruhrschnellwegs
wiederholt Teile des Dörnerhofs abgetreten,
sodass die Besitzgröße bis zum Jahr
1933 auf 320068 Quadratmeter vermindert
wurde. Am 21. März 1934 wurde mit dem Bau
der Reichsautobahn begonnen, der sich bis
zum 12. Dezember 1936 erstreckte. Dem Dörnerhof
gingen hierdurch weitere ca. 138 759
Quadratmeter verloren, sodass noch 181 309
Quadratmeter verblieben. Im Jahr 1966 begannen
schließlich die Bauarbeiten zur Errichtung
des Spaghetti-Knotens, hierfür musste der
Dörnerhof weitere 62000 Quadratmeter abgeben.
Von den verbleibenden Ländereien bilden
etwa neun Hektar die Hof- und Ackerflächen
und drei Hektar jenseits des Großschifffahrtskanals
abgelegenes Grünland. Dies ist der
magere Rest eines ehemals mit 36 Hektar
auch nicht besonders großen Bauernhofs, auf
dem spätestens seit dem Bau des Spaghetti-
Knotens keine Landwirtschaft mehr möglich
ist. Weiter eingeschränkt wird die Nutzung
durch die in den Ländereien verlegten Rohrleitungen
für Rohöl, Ferngas und Abwassersammler,
die hiervon durchzogenen Flächen
dürfen nur mit bestimmten Auflagen genutzt
werden. Sogar eine Richtfunkstrecke der Deutschen
Bundespost kreuzte bis zur Einführung
der Glasfaserkabel das Gelände mit entsprechendem
Hochbauverbot. Die Verhandlungen
über die Inanspruchnahme des Grundbesitzes
zogen sich in den 1930er-Jahren schon deutlich
länger hin als 60 Jahre zuvor beim Bau
der Eisenbahn. Am längsten dauerte es bis
zu einer endgültigen Einigung beim Bau des
Spaghetti-Knotens. Hier kam es zu einer Enteignung
nach dem Bundesfernstraßengesetz
und anschließender jahrelanger juristischer
Auseinandersetzung über die Angemessenheit
der Höhe der Entschädigung. Der Dörnerhof,
die Verkehrsmetropole. Zum Still-Leben-Fest
auf der A40 gab es hier für einen Tag einen
Hubschrauber-Landeplatz, damit sind nun
alle Verkehrsträger bedient; man fragt sich,
ob eine Steigerung noch möglich ist. Eine Verbreiterung
der A40 ist bereits in der Planung,
die A3-Durchfahrt durch das Kreuz ein zweispuriges
Nadelöhr und ein als Autohof getarntes
Spielkasino soll möglicherweise auf den
verbliebenen Grünflächen entstehen. Braucht
das der Fernfahrer heutzutage, hat er überhaupt
Geld hierfür oder ist das am Ende nur ein
Gestaltungsmissbrauch, weil im Außenbereich
ein ehrlicher Bauantrag nicht genehmigungsfähig
wäre? Der Städter wäre gut beraten,
nicht auch die letzten Grünflächen preiszugeben,
sonst ist der Landschaftspark Kaiserberg
nur noch eine Farce. KLAUS-DIETER GOGOLL
40

DÖRNERHOF One could start out by appreciating it as a technological
tour de force: a motorway junction crammed into an utterly cramped
space, a cloverleaf with an additional exit, its vertices fixed by geometrical
necessity while the sections linking them have been woven around
the geographical obstacles. On taking a closer look, those using this machine-like
piece of infrastructure will be surprised to come upon people
who seem to have actually settled at this very spot, on a quasi-industrial
terrain, as an integral element of this “factory of mobility”.
Or one could think about Otto Vogel, the mayor of Duisburg who was responsible
for the earliest surviving document in which the Dörnerhof
is mentioned when he acquired the farm – which had certainly existed
long before that date – in 1450 and gave it the name under which it is still
known today. Then one could become aware of the fact that this area
was populated long before the Kaiserberg junction, the Reichsautobahn
Cologne-Berlin, the canal (Großschifffahrtskanal), and railways such as
the Cöln-Mindener, Rheinische and Bergisch-Märkische Eisenbahn arrived.
And that the people have stayed on, although the idyll described by
Heinrich Nonne in the 19th century had long faded at the Duissernscher
Berg, as the hill at Duisburg-Duissern was called until it was renamed
the Kaiserberg (Emperor Hill) in 1881 in honor of the German kaiser in
accordance with the spirit of the age. According to contemporary poets
it used to be an idyllic place; an avenue lined by fruit trees led from the
gate of the farm straight to the Duissernscher Berg.
The earliest period in the long history of the Dörnerhof farm can be reconstructed
from various documents. In the 15th century, it was owned
by Wilhelm, count of Limburg; in the 16th century a path passing the
farm grounds and linking the Hamborn and Duissern monasteries was
mentioned in a charter. In the 18th century, the tobacco manufacturer
Böninger, a regional celebrity, purchased the farm as a summer residence,
which was kept by the family for several generations. In 1872,
finally, the farm was acquired by the family whose descendants are still
living there today. In 1889 most of the farm buildings were destroyed in
a fire; yet the building application submitted on 22.11.1889 was approved
a mere eight days later – signed by the mayor, Karl Lehr –, and the new
building was already finished on 30.04.1890. “The terrain is flat, and the
boundaries have been realigned up to the Ruhr meadow, forming almost
a square, a perfect image of a farm with the buildings right at the center.
This circumstance offers opportunities to save time, horsepower and
money, and makes plowing, plant care and harvesting easier. The fact
that the city is close by facilitates the marketing of all farm products.
The soil culture can be described as excellent. (1936)”
During the 19th century Duisburg was transformed into an industrial
area; by 1960 it was called the “montane city”. Its residents had the highest
percapita income in all of Germany; Duisburg became the country’s
richest city. Yet the majority of agricultural businesses fell by the wayside;
many farms disappeared for good, and are now remembered only
in the names of local streets. The Dörnerhof fared slightly better; along
with the Monninghof it is now the last farm in the Duissern district. Both
are no longer operational; the grounds of the Monninghof are used by
the Duisburg zoological garden, whereas those of the Dörnerhof are cultivated
by the Kolkerhof located in neighboring Mülheim-Speldorf.
Industrialization necessitated the construction of railway lines. During
the construction of the railway, one section of the Kaiserberg was cut off
from the rest, and was henceforth called Sauerbraten (marinated beef)
by the local population to distinguish it from the opposite Schnabelhuck.
The right of way on the tree-lined avenue, which had been granted
centuries ago, was preserved by the construction of a railway underpass.
DÖRNERHOF
41

1847 Opening of the Cologne-Minden railway, the first railway line near
the Dörnerhof running between Duisburg and Oberhausen (and crossing
the grounds of Dörnerhof and Kolkerhof).
1862 Opening of the Duisburg-Witten railway.
1890 On 25 November, the breaking of the Raffelberg dam caused unprecedented
flooding; the farm buildings were submerged to a height
of about two meters. This event later on led to the construction of the
Großschifffahrtskanal (canal for major vessels).
1901 Opening of the Umgehungsbahn (Ring Railway), a railway line at
the foot of the Kaiserberg as part of the Duisburg-Quakenbrück railway
line.
1910 Opening of the four-track extension of the Umgehungsbahn.
1916 Planning permission for the construction of the “Großschifffahrtskanal”
between the port of Mülheim and the Ruhr river. The building
of this canal had become necessary as the Ruhr river had silted up in
the wake of the 1890 flood and was no longer navigable. The Kolkerhof
meadows were becoming marshy. The outbreak of the First World War
had considerably delayed the project. Simultaneously, the Ruhrschnellweg
– today this section is called the B60 – was built for the nascent car
traffic.
1934 Ground-breaking ceremony at the Kaiserberg for the construction
of the Reichsautobahn (motorway) on the grounds of the Dörnerhof, including
a junction and a roundabout establishing a road link between the
city (via Carl-Benz- and Gottfried-Kinkel-Straße) and the Ruhrschnellweg
(via Gottlieb-Daimler-Straße). As subsidence damage was feared
in the area of the Alstaden pit, the route along the Kaiserberg – and
thus across the Dörnerhof grounds – was chosen instead. In December
1936 the road was opened to the public. Today, the last traces of the
original road layout can be discerned in the “wide”, avenue-like Dörnerhofstraße,
which used to be the access road to the roundabout, then
called Gottlieb-Daimler-Straße.
1935 Due to the construction of the “Reichsautobahn”, the railway line of
the “Umgehungsbahn” was moved closer to Kaiserberg; today the original
track has been turned into Carl-Benz-Straße.
Thus things remained during the war and into the 1950s, when the inordinate
growth of traffic necessitated the extension of the Ruhrschnellweg
into a full-scale autobahn; in the Kaiserberg region a new route right
across the area was chosen. The spaghetti junction gradually replaced
the original roundabout. At present, some 200 000 cars are passing the
Dörnerhof every day.
1966 Construction work on the Kaiserberg spaghetti junction began;
from May 1969, it was opened to the public section by section.
1972 Construction of the urban railway line Duisburg-Dortmund (S1).
When the farm was purchased in 1872, it covered a territory of 365 079
square meters. In the course of time, the owners were repeatedly forced
to hand over parts of the farm for the building of railways, the canal and
the Ruhrschnellweg running along its bank; by 1933, the farmland had
shrunk to 320 069 square meters. From 21 March 1934 to 12 December
1936, the Reichsautobahn was built, requiring another 138 759 square
meters and leaving an area of 181 309 square meters. Finally, in 1966
work was started on the spaghetti junction, requiring the farm to give up
another 62000 square meters. The remaining land is divided into some
nine hectares of residential quarters and farmland and another three
hectares of meadows, difficult to access, beyond the canal. This is the
pitiful remainder of a farm which was not exactly oversized to begin
with, with its mere 36 hectares; since the construction of the spaghetti
junction at the latest, farming is no longer a viable option. It should be
mentioned here in passing that the use of the land is further restricted
by the various pipelines for oil and gas and the sewer lines crossing the
land; the use of the tracts of land concerned is thus limited by special
statutory requirements. Until the introduction of fiber optic cables,
there even was a radio link operated by the Deutsche Bundespost crossing
the terrain, involving the corresponding injunction not to build beyond
a certain height.
In the 1930s, the negotiations about the public use of the land already
took considerably longer than they did 60 years before on the occasion
of the construction of the railway lines. When the spaghetti junction was
built, negotiations proved even more difficult and extended; here the
matter was settled only after the land had been expropriated according
to the Bundesfernstraßengesetz and an ensuing legal wrangle about the
adequacy of the compensation payments which took several years.
The Dörnerhof has been turned into a veritable traffic metropolis. On the
occasion of the Still-Leben-Fest at the A40, even a heliport was installed
here for the day, completing the range of means of transport currently
available. It is difficult to imagine in what way this state of things could
yet be surpassed; but there are already plans for an extension of the
A40, the passage of the A3 through the junction has become a two-lane
traffic obstacle, and then there are plans to create a gambling casino
camouflaged as a motorway service area. One marvels at the fact that
the truck drivers appear to have enough money for such an institution;
or is it rather that such a project must be camouflaged since an application
providing an honest description of the desired objectives would
stand no chance of being approved? Those residing in the city would be
well advised not to fritter away all green areas down to the last one;
otherwise the Landschaftspark Kaiserberg will run the risk of ending up
a mere travesty.
KLAUS-DIETER GOGOLL
42

43

VAN HEESWIJK | JÜRGENSEN | VAN DER MEIJS
TRAMPELPFADE
EINE WANDERAUSSTELLUNG ZUM KLEINEN GLÜCK
PROLOG Nachdem wir bei B1|A40 Die Schönheit der großen Straße 2010
mit Der Widerstand des kleinen Glücks die Werthackersiedlung bei ihrem
Kampf um den Erhalt der Kirche und ihrer Siedlerklause unterstütz hatten,
gab uns die erneute Einladung zu B1|A40 2013/14 die Möglichkeit,
den Kreis zu erweitern und weitere Bewohner des Autobahnkreuzes
Kaiserberg einzubeziehen. Es war uns klar, dass dieses neue Projekt
mobil sein musste. Es sollte Verbindungen zwischen den verschiedenen
Lebenswelten, die sich hier in diesem nicht immer ganz einfachen Lebensraum
selbst erfunden hatten, nachzeichnen, schaffen und stärken.
So entstand das Glücksmobil. Es zitiert die Liebe des gemeinen Kreuz
Kaiserbergers zum Motorfahrzeug und diente zur Dokumentation einer
Landschaft, seiner Protagonisten, Geschichten und politischen
Themen, Zukunftsfragen und alltäglichen Probleme – unsere eigene
Planungsmaschine. Das Glücksmobil beherbergte eine wechselnde
Wanderausstellung, die an vier Plätzen im Kreuz Kaiserberg hielt. Sie
präsentierte Fakten, Erzählungen und Fragen von und zu den verschiedenen
Protagonisten und dokumentierte die unterschiedlichen Strategien
der individuellen Raumaneignung zwischen den Ansprüchen von
Landwirtschaft, Naturschutz, Kleingewerbe, Infrastruktur, Wohnraum
und Tourismus / Freizeitgestaltung. Während dieser Zeit sammelten wir
Geschichten und erzählten sie weiter, als Audioaufnahmen oder Texte in
der Ausstellung oder bei Bier oder Kaffee in Gesprächen und gemeinsamen
Festen.
Bruchteil hier abfährt und wenn, dann doch meist nur, um sofort wieder
einen neuen Zubringer zu nehmen. Das liegt wohl in der Natur eines
Autobahnkreuzes. Fährt man aber ab, so trifft man auf landschaftliche
Idyllen, von denen sogar einige mit der Auszeichnung Naturschutzgebiet
gewürdigt sind. „Für mich war das immer ein Unort“, oder „Ich
wusste gar nicht, dass es hier so schön ist“, sind typische Aussprüche
von Besuchern. Gleichzeitig aber ist diese Gegend ein Verkehrsknotenpunkt
und als solcher im Sinne von Planung und Wirtschaft prädestiniert
für weitere Maßnahmen. Ein typisches Argument ist, dass Natur
Frau Kreis erzählt: „Meine Eltern hatten einen Landarbeiter aus
Ostpreußen, der kam immer mit dem Fahrrad aus Duissern, 20 Jahre
oder länger. Und als der Bau zum Spaghettiknoten anfing, sagte
der immer: ‚Das dürfen die nich!‘ Und er hat es immer irgendwie
geschafft, sich durch diese Autobahnbaustellen durchzuwühlen und
selbst als am Schluss schon die Leitplanken standen, hat er sein
Fahrrad über diese Leitplanken gehievt, damit er seinen alten Weg
benutzen konnte. Und als schließlich die Straße freigegeben war,
hat er es immer noch versucht. Er konnte von seinem Weg einfach
nicht lassen.“
NIEMAND IST EINE INSEL Dort, wo aus Duisburg Mülheim wird, eingefasst
von Ruhr und Kaiserberg und fragmentiert durch miteinander verschlungene
und verknotete Autobahnen, Bahntrassen und Flussläufe,
liegt das Kreuz Kaiserberg Archipel. Diese Insellandschaft wird jeden
Tag von hunderttausenden Menschen durchkreuzt, von denen nur ein
44

und Lebensqualität hier durch die hohe Anzahl
von Trassen sowieso schon sehr beeinträchtigt
sind und man für die wenigen Anwohner
ohnehin nicht mehr viel verderben kann. Das
sehen diese wenigen Anwohner aber nicht so.
Sie haben sich in den Zwischenräumen ihre
persönlichen und auch beruflichen Paradiese
erschaffen, in Grauzonen oder ganz legal, im
Kollektiv, als Familie oder allein, mit Sondergenehmigungen
und manchmal auch auf Kosten
anderer, die weichen mussten.
Eines jeden Menschen persönliches Paradies
ist anders und so gedeihen auch in diesem
kleinen Gebiet völlig unterschiedliche Lebensmodelle,
ein jedes auf seiner Insel. Und obwohl
man oft in Luftlinie nur ein paar hundert Meter
voneinander entfernt wohnt, scheinen die Abstände
manchmal riesig. Was diese Bewohner
aber alle gemeinsam haben, ist eine große
Liebe zu ihrem Zuhause und das Bedürfnis, ihr
jeweiliges Paradies zu beschützen. Wenn sich
nun aber all diese Inselparadiese zu einem
Kleinstaat zusammenschließen würden, vernetzt
durch eine informelle Infrastruktur von
emotionalen und auch ganz fußfesten Trampelpfaden,
dann wäre der Widerstand dieser
vielen kleinen Glücke doch sicherlich unüberwindbar.
Deshalb rufen wir hier aus dem
Glücksmobil den Mikrostaat Kreuz Kaiserberg
aus! Für die Errichtung der wahren Utopie. Auf
gute Zusammenarbeit!
DAHEIM IST ES AM SCHÖNSTEN Es ist auch
nicht einfach irgendeine Siedlung, oh nein,
der Werthacker ist beinahe einzigartig. Die
Siedlung wurde Anfang der 1950er-Jahre von
Arbeiterfamilien in Eigenleistung erbaut, das
Land der Stadt in einem umfangreichen Papierkrieg
abgetrotzt, eine Mark hat der Quadratmeter
damals gekostet. In vielen Jahren
harter Arbeit nach Feierabend haben die Männer
und Frauen und ihre Eltern, Geschwister,
Kinder und Bekannte das Land enttrümmert
und aus fast nichts sehr viel Lebensqualität
erschaffen. „Blumengärten entstehen auf
Trümmererde“ betitelte die Duisburger Stadtpost
ihren jubelnden Artikel. Organisiert als
Siedlerverein gewann der Werthacker seitdem
noch so manchen Kampf, sei es gegen die Führung
der A40 direkt durch die Siedlung oder für
Lärmschutz an beiden Autobahnen.
Man hat gearbeitet, seine Kämpfe bestritten
und oft gewonnen, viel zusammen gefeiert und
es sich auf einem ungastlichen Flecken Erde
so richtig schön gemacht. So gemütlich ist es
in dem Werthacker Nest, dass man manchmal
in Gefahr geraten könnte, die unmittelbare Au-
45

ßenwelt völlig zu vergessen. Die Siedlung ändert
sich, Siedlerfamilien verkaufen und neues
Blut kommt in die Gemeinschaft, manchmal
von richtig weit her. Das wird begrüßt, man
wünscht sich Beteiligung, aber für einige Neuankömmlinge
ist so viel lang kultivierter Zusammenhalt
vielleicht manchmal ein bisschen
überwältigend.
Samira erzählt: „Nach reiflicher Überlegung
und vor allem wegen der tollen Gemeinschaft
hier in der Siedlung war mir
dann klar, ich möchte – trotz des Lärms –
hierbleiben. Es hieß dann aber auch: Jetzt
müssen wir Schippe und Schaufel in die
Hand nehmen und das Haus noch einmal
komplett sanieren. Das ist mittlerweile
vier Jahre her und jetzt sind wir an einem
Punkt, wo wir wieder ans Motorradfahren
denken können.“
DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE „Die
Leute meinen, man könne hier einfach seinen
Müll ablegen, pinkeln oder verrostete Autos
abstellen, alte Reifen, alles, was man nicht
mehr braucht. Die sind ja auch nur auf der
Durchreise, aber wir wohnen hier“, sagt eine
Anwohnerin der Dörnerhofstraße. Wenn sie
von zu Hause telefoniert, wird sie oft gefragt,
warum sie denn von der Autobahnraststätte
anrufe.
Auf die ihm oft gestellte Frage, warum um
Himmels willen man denn so nah an eine Autobahn
ziehe, sagt ein anderer Anwohner: „Dass
die Autobahn vielleicht bei uns eingezogen ist,
darauf kommt selten jemand.“
Und wenn man sich dann mit der Autobahn abgefunden
hat, dann steht plötzlich ein neuer
unerwünschter Nachbar auf der Matte. Denn
als Verkehrsknotenpunkt zieht das Kreuz Kaiserberg
Investoren an, die von der Nähe zur
Autobahn profitieren können. Schon lange im
Gespräch ist in diesem Zusammenhang der
Bau eines Autohofs. Zwar geht es offiziell um
Stellplätze für Lkws, aber die sind für einen
Investor nur rentabel im Zusammenhang mit
Hotel und Billig-Gastronomie – für viele Anwohner
ein Albtraum.
Als die Idee zum ersten Mal publik wurde,
stand in der Zeitung: „Für die wenigen Anwohner
an der Dörnerhofstraße ist ja sowieso
nichts mehr zu verderben.“
DIE DAME SCHWEIGT UND WARTET Sie wurde
besungen und umschwärmt, geliebt, umsorgt
und manchmal auch gepeinigt. Angeblich
sollen ihr in ihrer Jugend Kaiser Maximilian
und auch Napoleon einen Besuch abgestattet
haben und später – zumindest wird es so
erzählt – sei wohl auch Heinz Rühmann dem
Charme von Yn ghen Dörnen, heute bekannt als
Dörnerhof, erlegen.
Heute wird der Hof von Herrn Gogoll, einem
Nachfahren der Kolkmanns, bewohnt und bewirtschaftet.
In über 20 Jahren harter Arbeit
hat er die Dörnerhof-Gebäude komplett restauriert
und modernisiert. Der Dörnerhof ist
als Wohn- und Arbeitsidylle keine schlechte
Wahl. Der geplante Autohof direkt nebenan allerdings
macht den Anwohnern Sorge.
Yn ghen Dörnen äußert sich nicht weiter zu
diesen Kleinigkeiten. Sie ist jetzt eine Grande
Dame und sie hat Zeit zu warten. Die Dinge
kommen und gehen. Das weiß sie aus Erfahrung.
Eines Tages wird unweigerlich auch die
Zeit der Autobahn vorbei sein und vielleicht
wird sie dann wieder Verbindung zu ihrem alten
Freund, dem Kaiserberg, aufnehmen.
BETONFREIES UND NATURNAHES WOHNEN
Für Sonic, der jetzt schon seit zwölf Jahren
hier ist, ist es weiterhin wichtig, dass sein alter
Traktor immer startklar bleibt. Er hat zwar
seinen Bauwagen seit zwölf Jahren nicht mehr
vom Platz ziehen müssen, aber geprägt durch
seine Wagenburgvergangenheit weiß er, dass
man sich nie wirklich in Sicherheit wiegen sollte.
„Man muss halt gewissermaßen mobil bleiben.“
Wer hier lebt, kommt mit wenig aus. „Es
ist schon seltsam“, sagt Sonics Freundin Eva,
„dass einige Leute den ‚Müll‘ kommentieren,
der hier rumsteht. Dabei benutzen wir ja all die
Dinge und verwerten sie einfach länger als andere.
Wirklich produzieren tun wir sicherlich
sehr viel weniger Müll als die meisten Leute.“
Besuchern gegenüber ist man vorsichtig bis
misstrauisch. „Das musst du verstehen“, sagt
ein Freund, der hier seinen Wohnwagen unterstellt.
„Das hier ist für viele Menschen eine
Oase, das muss man beschützen.“
46

TRAMPELPFADE – EINE WANDERAUSSTELLUNG ZUM KLEINEN GLÜCK VAN HEESWIJK, JÜRGENSEN & VAN DER MEIJS
47

WELCHE SCHÖNHEIT IST AM MEISTEN WERT? Am anderen Ende der
Dörnerhofstraße, direkt an den Bahnschienen, ist ein kleiner Komplex
von einstöckigen Wohnhäusern, die kurz nach dem Krieg als landwirtschaftliche
Nebenerwerbsflächen gebaut werden konnten. Dort wohnt
zum Beispiel Kirsten. Sie ist hier geboren. Ihre Eltern haben das Zuhause
in Eigenhilfe gebaut, es war ihr Traum und ihr Paradies. Kirsten ist
gelernte Pferdepflegerin und hat neben vielen anderen Tieren auch ein
Pferd mit dem Namen Barbie. Es gibt hier in der Nähe auch eine Pferderennbahn,
wo man richtig viel gewinnen kann. Aber Barbie ist kein
Rennpferd. Barbie ist nicht einmal wirklich zum Reiten zu haben. Barbie
ist einfach nur schön.
WEGE BAUEN UND PFLEGEN Leo, der älteste Sohn der Familie Evertz
und heute selber Vater und Großvater, beschreibt die Abläufe und Herausforderungen
im Landschaftsbau kompetent und sachlich. Es ist ein
Job und sie machen ihn gut. Wenn er aber beginnt, von den Kühen zu
sprechen, wird Leos Stimme eindringlich und er gestikuliert lebhaft.
Die Kühe sind Familientradition, die Herde über Jahrzehnte aufgebaut,
der Stolz seines Vaters. Sie sind das, was sie noch als Bauern identifiziert.
Es gibt wohl kaum jemanden in der Gegend, der die Evertz nicht
kennt. Sie sind offen, hilfsbereit und großzügig. Und sie sind pragmatisch.
„Es muss für zwei Familien und unsere Angestellten reichen“,
sagt Leo. „Das hat immer Priorität.“ Mit dem gleichen Pragmatismus
betrachtet er die Bodendeponie direkt vor ihrer Haustür. „Bauschutt
muss ordnungs gerecht gelagert werden. Ich habe schon ein bisschen
damit gehadert, als es losging. Das war einmal ein wirklich schöner Ort.
Aber wir haben natürlich auch damals davon profitiert.“ Und die Windkrafträder,
die nun dort errichtet werden sollen? „Alle wollen erneuerbare
Energien, aber niemand will sie vor seiner eigenen Tür. Ich bin
nicht besonders glücklich darüber, aber irgendwo müssen sie ja hin.
Ich versuche eigentlich mit allem klarzukommen. Das Leben wird sonst
sehr anstrengend.“
Thorald vom Berg erzählt: „Hier kann man Kühe auf den Wiesen
sehen. Das ist im Ruhrgebiet eine absolute Seltenheit. Und man
muss sich natürlich schon Gedanken machen. Der Betrieb ist ja ursprünglich
mal hier angesiedelt worden und wir haben das viele
Jahre hindurch gemacht, aber es zeichnet sich ab, dass Hofnachfolger
fehlen. Man sagt, die Landwirtschaft lohnt sich nicht mehr. Dann
würden theoretisch diese Flächen zurück an die Stadt fallen und bei
den Haushaltslagen, die die Städte haben, ist die Frage: Wer unterhält
dann die Pflege der Landschaft?“
JEANNE VAN HEESWIJK / BRITT JÜRGENSEN
TRAILS – A TRAVELING EXHIBITION ABOUT SMALL HAPPINESS | PRO-
LOGUE During B1|A40 The Beauty of the Grand Road in 2010, we worked
on The Resistance of Small Happiness, in which we supported the residents
of Werthacker in their struggle to keep their church and their retreat.
In 2013/14 we were once again invited to participate in B1|A40. This
gave us a chance to expand our circle and include more residents in the
area around the Kaiserberg junction.
It was obvious that this new project had to be mobile. It also had to trace,
create, and reinforce the connections among the various spheres of life
that have been fabricated in this sometimes rather difficult living environment.
And that is how the Happiness Mobile came about. It invoked the love of
the automobile cherished by the residents of the Kreuz Kaiserberg and
documented a landscape, its protagonists, history, political themes,
questions about the future, and everyday problems – our very own planning
machine. The Happiness Mobile is home to a temporary, traveling
exhibition that stopped at four places around the Kaiserberg junction. It
presented facts, stories, and questions about the various protagonists,
and documented the different strategies individuals used to appropriate
space, ranging from agriculture, environmental protection, and small
business, to infrastructure, living space, and tourism or leisure time
activities.
During this time period we collected stories and re-told them, as audio
recordings or texts in the exhibition, or in conversations over beer or
coffee, and at parties.
Ms. Kreis relates: “My parents had a farm hand from East Prussia;
for twenty years or more he came on his bicycle. And when
they started building the spaghetti junction, he always said, ‘They
can’t do that!’ And somehow he always managed to burrow his way
through these construction sites, even at the end, when they put up
the crash barriers. He would heave his bicycle up over the barriers
so that he could take the old, familiar path. And in the end, even
when the highway was open, he kept trying. He just couldn’t let go
of his path.”
NO MAN IS AN ISLAND At the point where Duisburg becomes Mülheim
is the Kreuz Kaiserberg archipelago, bounded by the Ruhr and the Kaiserberg
and fragmented by twisted, knotted highways, railroad tracks,
and rivers. Every day, hundreds of thousands of people cross this island
landscape; only a small portion of them exit the highway here, and when
they do, it’s usually only because they immediately get onto another
feeder road. That’s simply the nature of a highway junction.
48

TRAMPELPFADE – EINE WANDERAUSSTELLUNG ZUM KLEINEN GLÜCK VAN HEESWIJK, JÜRGENSEN & VAN DER MEIJS
49

But if you actually get off the highway, you’ll encounter idyllic landscapes,
and some of them are even dignified with the title of nature
sanctuary.
“I always thought it was a no-man’s-land,” or “I didn’t know it was so
beautiful here,” are typical statements you hear from visitors.
At the same time, the area is a transportation hub, and as such, planning
and economics have predestined it for further development. A typical
argument is that the large number of train tracks already damages the
natural environment and the quality of life here, and it would be hard to
make it any worse for the few people who still live here. But the few people
who still live here don’t look at it that way. They’ve created their own
personal and professional paradises in the interstices, in gray areas, or
quite legally in collectives and families, or alone, with special permits
and sometimes at the cost of others who have to give way.
Everyone’s personal paradise is different, and so even in this small area,
you’ll see completely different, thriving lifestyles, each one on its own
island. And even though people often live just a couple of hundred meters
apart as the crow flies, the distances sometimes seem enormous.
What all of the residents have in common, though, is a great love for
their homes and the need to protect their individual paradises.
Still, if all of these island paradises would join together to form a small
state, connected by an informal infrastructure of emotional, yet also
very solid trails, then it would be difficult to overcome the resistance of
these many little joys. This is why we here in the Happiness Mobile are
calling for the micro-state of Kreuz Kaiserberg! For the erection of a
real utopia. Let’s toast to a great cooperation!
Samira says: “After careful consideration, and, most of all,
because of the terrific community here, it became clear to me
that – despite the noise – I wanted to stay here. But then that
meant we had to pick up our shovels and renovate the house
from the ground up. It’s been four years now, and we’ve finally
reached a point where we can think about riding motorcycles
again.”
HOME SWEET HOME It’s not just any settlement, oh no, Werthacker is
nearly unique. The community was built in the early 1950s by workingclass
families who financed it on their own, wresting the land from the
city in an extended bureaucratic war fought with paperwork; at the time,
a square meter sold for one German mark. Over many years of hard labor,
men and women, their parents, siblings, children, and friends lugged the
rubble away at the end of every workday, slowly creating a good quality
of life for themselves out of almost nothing. “Flower gardens rise up
out of the ruins,” was the Duisburger Stadtpost’s headline for their celebratory
article. Organized as a kind of homeowner’s association, the
people of Werthacker have been winning battles ever since, whether it
was against the plan to have the A40 run right through the center of the
community, or in favor of noise barriers on both autobahns.
People worked, fought their battles and often won them, celebrated together
and turned an inhospitable spot into a beautiful one. It’s so nice
and comfortable in the Werthacker nest that sometimes you run the risk
of completely forgetting about the outside world.
The neighborhood is changing. The original families sell their homes and
new people join the community, some of them from very far away places.
This is welcomed; participation is desired, but for some newcomers,
such an old, tightly knit community is sometimes a bit overwhelming.
50

THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD “People
think they can just dump their trash, or
pee here, or abandon cars, leave old tires or
whatever they don’t need. After all, they’re
just passing through, but we live here,” says
a resident of Dörnerhofstraße. When they
make phone calls from their home, they’re of-
ten asked why they’re calling from a freeway
rest stop. Another resident, who’s often asked
why, in heaven’s name, did he move so close
to the highway, says: “It hardly ever occurs to
anyone ever that the autobahn came to us.”
And just after people had gotten used to the
autobahn, suddenly another uninvited neigh-
bor is at the front door. Because it is a traffic
hub, the Kaiserberg junction draws investors
who could profit from being close to the highway.
Negotiations have long been going on over
the construction of a rest stop. Even though it’s
officially just a parking lot for trucks, the deal
only pays off for the investors if the parking lot
TRAMPELPFADE – EINE WANDERAUSSTELLUNG ZUM KLEINEN GLÜCK VAN HEESWIJK, JÜRGENSEN & VAN DER MEIJS
51

comes with a motel and cheap restaurants – a
nightmare for many residents. When the idea
was first made public, the newspaper wrote: “It
can’t get any worse for the few residents of the
Dörnerhofstraße.”
THE LADY SAYS NOTHING AND WAITS She’s
had songs written for her, been idolized, loved,
cared for, and sometimes tormented. It’s said
that Emperor Maximilian and even Napoleon
visited her in her youth, and later – or so they
say – even Heinz Rühmann succumbed to the
charms of Yn ghen Dörnen, known today as the
Dörnerhof.
Today, Mr. Gogoll, a descendent of the Kolkmanns,
lives there and runs the farm.
In more than twenty years of hard work, he
has completely restored and modernized the
Dörner hof buildings. It’s not a bad choice for a
place to live and work. But the auto rest stop
planned for the adjacent property causes its
inhabitants to worry.
Yn ghen Dörnen says nothing about these little
things. She is a grande dame and has time
to wait. Things come and go. She knows this
from experience. One day, even the age of the
autobahn will inevitably come to an end and
perhaps she’ll once again take up the connection
to her old friend, the Kaiserberg.
LIVING WITHOUT CONCRETE, CLOSE TO
NATURE For Sonic, who’s already been
here for twelve years, it’s still important for
his old tractor to start easily. Even though he
hasn’t had to move his construction trailer for
twelve years, he’s been marked by his past in a
Wagenburg, and knows that no one should ever
really consider himself safe. “You have to stay
mobile, somehow.”
Anyone who lives here has to get by with little.
“It’s very odd,” says Sonic’s girlfriend, Eva,
“that some people talk about the ‘trash’ around
here. But we make use of everything, and for
far longer than others do. And we certainly produce
less actual garbage than most people.”
Their attitude toward visitors ranges from cautious
to suspicious. “You have to understand,”
says a friend, who parks his trailer here, “that
this is an oasis for many people, and it needs
protection.”
WHAT SORT OF BEAUTY IS MOST VALUABLE?
At the other end of the Dörnerhofstraße, right
next to the railroad tracks, is a small complex
of one-story houses that may have been built
shortly after the war for agricultural sidelines.
Kirsten, for example, lives there. She
was born here. Her parents built their home by
themselves; it was their dream, their paradise.
Kirsten trained as a groom and has a horse
named Barbie, along with many other animals.
There’s also a racetrack nearby, where you
can really win a lot of money. But Barbie isn’t
a racehorse. Barbie isn’t actually meant to be
ridden at all. Barbie is simply beautiful.
BUILDING AND MAINTAINING PATHS Today,
Leo, the Evertz family’s oldest son, is himself
a father and a grandfather. He describes the
routine, as well as the challenges of farming in
a competent, factual manner. It’s his job, and
he does it well. But when he starts to talk about
cows, Leo sounds excited and he gesticulates
animatedly. The cows are a family tradition; the
herd has been built up over decades and was
his father’s pride and joy. They are what are
still called farmers.
There’s hardly anyone in the area that the
Evertz family doesn’t know. They’re open,
helpful, and generous. And they’re pragmatic.
“It has to be enough to support two families
and our employees,” says Leo. “That’s always
the priority.”
He regards the dump directly in front of their
home with the same pragmatism. “Construction
debris has to be stored according to regulations.
I groused about it a little bit, when it
started. It used to be a really beautiful place.
But of course, we also benefitted from it at
the time.” And the wind turbines that are now
supposed to be built there? “Everyone wants
sustainable energy, but nobody wants it in
their own front yard. I’m not particularly happy
about it, but they have to go somewhere. I try
to take it all in stride. Otherwise, life would be
very difficult.”
Thorald vom Berg recounts: “Here, you
can see cows in the meadows. That’s extremely
rare in the Ruhr District. And, of
course, you really have to think about it.
The business was originally set up here,
after all, and we’ve made it through all
of these years, but it’s clear that no one
wants to take over the farm. They say that
farming isn’t worth the effort any more.
Then, theoretically, the land would revert
back to the city, and considering the cities’
budget situation, the question is: who’s
going to take care of the landscape?”
VAN HEESWIJK / JÜRGENSEN
52

53

MICHAEL FEHR
ÜBERPLANUNGEN
EINE POLITISCH GEWOLLTE PERIPHERIE Vor etwa 15 Jahren habe ich
mich zusammen mit Pit Boehle, seinerzeit Beamter bei der Bezirksregierung
Arnsberg, zusammengesetzt, um die verschiedenen und
unterschiedlich begründeten Verwaltungsstrukturen im Ruhrgebiet
aufzuzeichnen. Dazu fertigte ich für jede Struktur eine individuelle Karte
auf einer durchsichtigen Folie an. Als Ergebnis unserer Recherche
beziehungsweise ihrer Dokumentation saßen wir schließlich vor mehr
als 20 Karten, die, in einem Stapel übereinandergelegt, unmittelbar zur
Anschauung brachten, dass die heute Metropole Ruhr genannte urbane
Agglomeration nicht nur von einem nahezu unüberschaubar komplexen
Netz verschiedener Infrastruktureinrichtungen – von Straßen und Eisenbahnanlagen,
Wasser-, Strom-, Öl-, Fernwärme- und Abwasserleitungen,
Wasserwegen und Kommunikationssystemen – verbunden und
zerschnitten ist, sondern dazu von einer großen Zahl unsichtbarer, sich
zum Teil überlagernder administrativer Strukturen, die das Leben innerhalb
dieser Region bestimmen.
Solche Strukturen existieren selbstverständlich überall, wo immer
Menschen leben und sich in Gemeinschaften und zu Gemeinden organisieren.
Was sie im Hinblick auf das Ruhrgebiet jedoch zu einem besonderen
Phänomen macht, ist der Umstand, dass sie nach wie vor darauf
angelegt sind, zu verhindern, die Region zu einer großen Stadt, zu einem
Zentrum werden zu lassen: Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
entwickelte sich das Ruhrgebiet zum größten industriellen Komplex innerhalb
Europas, der, im Unterschied zu allen anderen Industriegebieten,
nicht aus einer von Handwerk und Handel geprägten städtischen,
sondern einer landwirtschaftlichen Struktur heraus entstand, die von
15 kleineren, bäuerlichen Gemeinden und zwei größeren, alten Handelsstädten,
Essen und Dortmund, bestimmt wurde. Auf diese Weise bereits
aufgeteilt, forcierte der preußische Staat seine Segmentierung durch
die Beibehaltung beziehungsweise Errichtung von drei Regierungsbezirken,
deren Grenzen mitten durch das Ruhrgebiet verlaufen und ihren
Sitz in Arnsberg, Düsseldorf und Münster und damit Städten haben,
die nicht nur weit von der Region entfernt, sondern von ganz anderen
historischen Umständen und unterschiedlichen Mentalitäten geprägt
sind. Darüber hinaus wird die Region immer noch von der Teilung durch
die beiden Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe be-
stimmt, die ihrerseits wiederum von weit entfernten Städten, von Köln
und Münster aus, regiert werden. Auf dieser Segmentierung bauen die
jüngeren, vom Land, Bund und der Europäischen Union initiierten Verwaltungsstrukturen
und Programme auf, die sie, wie zum Bespiel das
Arbeitsgebiet der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park,
zum Teil überlagern und zusammenfassen, doch andererseits erneut
zerschneiden. Einzig der mehrfach umbenannte Zusammenschluss der
Ruhrgebietsstädte (Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR), Kommunalverband
Ruhrgebiet (KVR), Regionalverband Ruhr (RVR)) kämpft
seit fast einem Jahrhundert mehr oder weniger erfolglos gegen die offenen
und verdeckten Versuche, die Region über das Prinzip des divide
et impera in interne Konkurrenzen und Streitigkeiten zu verwickeln und
so nicht zuletzt ihres politischen Potenzials zu berauben, dessen Entfaltung
die alten Zentren nach wie vor befürchten.
AUS- UND ANSICHTEN An den zahllosen Bildern, die uns in den Prospekten
des RVR und seinen Filiationen auf den Tisch gepackt werden, fällt
auf, dass nach wie vor der Blick von außen, nun als touristischer Blick
verklärt, das Bild vom Ruhrgebiet bestimmt und vor allem wiederum die
Industrielandschaft, sei es als gewissermaßen vom Ruß gereinigte Industriekultur
oder als wilde Industrienatur, garniert mit den Klischees
von Taubenzüchter oder Trinkhallenkultur, von den neu gewonnenen
Aussichtspunkten in Szene gesetzt ist. Und wie eh und je schweift ein
beherrschender, sich jetzt an den Landmarken orientierender und die
Gebiete zwischen ihnen verdichtender Blick über das Ruhrland und
übersieht nicht nur die Brachen, die Verkehrsanlagen und übrig gebliebenen
Produktionsanlagen, sondern ganze Stadtteile. Dem entspricht,
dass vor allem die durch IBA Emscher definierten und zur Route der Industriekultur
nobilitierten Monumente nur in Ausnahmefällen innerhalb
der Lebenszentren des Ruhrgebiets liegen und die obsolet gewordene
Montanstruktur zwischen ihnen als neue Zentren festschreiben: War es
der Verdienst der IBA Emscher, über die Musealisierung und Neunutzung
ganzer Industrieanlagen die allwaltende Transitorik im Ruhrgebiet
durchbrochen und ihm endlich ein eigenes Heritage gesichert zu haben,
so bleibt der Preis doch hoch. Denn mit diesem Heritage, sollte es denn
nicht nur von Touristen, sondern auch von den in der Region lebenden
54

55

Menschen angenommen werden, wird eine erneute Umwälzung des Bestehenden
in Gang gesetzt, die nun nicht mehr bloß die Produktionsanlagen,
sondern ihre unmittelbaren Lebenszusammenhänge erreichen
dürfte. Vor diesem Hintergrund macht das Projekt B1|A40 Die Schönheit
der großen Straße viel Sinn, weil es nicht einfach neue Spielfelder in allfälligen
Brachen eröffnet, sondern sich einem höchst vitalen, zentralen
Strukturelement des Ruhrgebiets zuwendet und seine Geschichte,
Funktion und Erscheinungsformen zum Thema macht.
Das Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg, das mir Markus Ambach als
Arbeitsort zugewiesen hat, erscheint mir in diesem Zusammenhang als
Gegenstück zu einem anderen besonderen Ort gut 40 Kilometer ruhraufwärts,
dem Kaisberg bei Hagen, den wir im Rahmen der Landschaftsbauhütte
im Jahr 2000/01 intensiv untersuchen konnten: Bietet dieser Ort,
vor allem von seinem leider baufälligen Aussichtsturm aus, den Blick
auf ein Landschaftspanorama, in dem sich alle wichtigen Entwicklungen
des Ruhrgebiets erkennen und nachvollziehen lassen, so steht man im
Autobahnkreuz Kaiserberg zwar ebenfalls auf historischem Grund und
in einem Zentrum der für das Ruhrgebiet so typischen Verkehrsströme
und -bauten, doch, und das ist ebenfalls typisch, ganz ohne die Chance
auf einen Überblick, buchstäblich auf der Straße und unter Brücken.
Hier einen vergleichbaren Überblick zumindest als Bild zu ermöglichen,
war das Ziel von Überplanungen.
ÜBERPLANUNGEN Bei den Vorbereitungen für die Informationsskulptur
Überplanungen wurde ich in unerwarteter Weise mit der komplexen
administrativen Struktur der Metropole Ruhr konfrontiert. Denn die
Karten und Dokumente, die ich benötigte, ließen sich nur zum kleinsten
Teil bei der Stadt Duisburg, auf deren Gebiet das Autobahnkreuz
liegt, finden, sondern machten aufwändige Recherchen bei etwa zehn
verschiedenen Behörden – auf Bundes-, Landes-, Bezirks- und kommunaler
Ebene – und dazu bei übergreifenden Einrichtungen, wie zum Beispiel
dem Landesbetrieb Straßenbau NRW, der aus den entsprechenden
Betrieben der Landschaftsverbände hervorgegangen ist, nötig. Dabei
musste ich feststellen, dass im Zuge der Um- und Neugründungen insbesondere
landeseigener Einrichtungen die Archive nicht systematisch
umgezogen wurden. Als weiteres Problem erwies sich der Umstand,
dass die Behörden im Laufe der Geschichte ihre Methoden verändert
haben, mithin das Kartenmaterial in verschiedenen Maßstäben und entsprechend
unterschiedlicher Genauigkeit vorlag, und bei älteren Karten
nur leicht vergilbte oder mit Stockflecken übersäte Exemplare zu erhalten
waren. Die entsprechenden Anpassungen des Materials auf einen
Maßstab und Transluzenz ließen sich nur über aufwändige technische
Zwischenschritte und schließlich die Bearbeitung von Hand – Pixel für
Pixel – erreichen. Am Ende blieben für die Zusammenführung der Karten
und Dokumente die Erinnerungen und Erzählungen der Bewohner
des Gebiets, allen voran die von Klaus-Dieter Gogoll, dem Eigentümer
des Dörnerhofs, auf dessen Liegenschaften das Autobahnkreuz und andere
Verkehrswege errichtet wurden, entscheidend. MICHAEL FEHR
REDEVELOPMENT | A POLITICALLY-CREATED PERIPHERY Some
fifteen years ago, I met with Pit Boehle, then a civil servant with the
Arnsberg District Council, in order to obtain diagrams of the manifold
administrative structures in the Ruhr region. To this end, I mapped out
each individual structure on a separate transparent sheet; in the end
we had a collection of more than twenty such diagrams which, put atop
one another, provided a graphical illustration of the fact that the urban
agglomeration today called Metropole Ruhr (Ruhr Metropolis) is interlinked
– and divided – not only by an almost unmanageably complex grid
of different infrastructural facilities – roads and railways, pipelines for
water, sewage water and oil, power lines, district heating systems, waterways,
and communications systems –, but also by a multiplicity of invisible,
occasionally overlapping administrative structures determining
life in this region. Of course such structures are found wherever people
have taken up residence and are building communities and municipalities.
Nevertheless the Ruhr region is different in that such structures
are here still consciously designed to obstruct any development of the
region towards a unified city and large-scale center: from the second
half of the 19th century onward the Ruhr area developed into the largest
European industrial complex; yet in contrast to all other industrial areas,
it did not originate from an urban structure determined by artisans
and traders but from an agricultural one centering upon fifteen smaller
agricultural communities and the two major commercial cities of Essen
and Dortmund. Thus fragmented from the start, the Prussian authorities
intensified its segmentation by the continuation, or foundation, of
three administrative districts whose boundaries cut right through the
Ruhr area and which are governed from Arnsberg, Düsseldorf and Münster,
respectively – cities which are not only located at some distance
from the region but also marked by completely different historical developments
and mentalities. Moreover the region is still defined by the
separation between the two Landschaftsverbände (regional authorities)
Rhineland and Westphalia-Lippe, which are again directed from two
quite remote cities, Cologne and Münster. This segmentation provides
the foundation for the more recent administrative structures and programs
initiated by the federal state, the federal government and the
European Union, which in some instances – such as the area covered
by International Building Exhibition (IBA) Emscher Park – overlap and
combine the traditional districts but also frequently create new boundaries.
It is only the union of the Ruhr cities – renamed several times
(Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR), Kommunalverband Ruhrgebiet
(KVR), Regionalverband Ruhr (RVR)) – which is combating (more or less
unsuccessfully) the various blatant or hidden attempts to involve the region
in internal rivalries and quarrels under the motto divide et impera
and thus in the last analysis to rob it of its political potential still feared
by the long-established core cities.
PROSPECTS AND PERSPECTIVES One thing which is obvious from the
countless images dotting the leaflets of the RVR and its filiations is that
56

the perspective from outside, now romanticized
as a tourist view, continues to dominate
the image of the Ruhr region, and above all that
it is once more the industrial scenery – whether
in the form of an industrial culture cleansed
of all the soot or as “untouched” industrial nature
–, ornamented with clichés such as pigeon
breeders’ associations and the Trinkhallen (kiosks),
which is stage-managed from the newly
created vantage points. And as before, the
time-honored dominant perspective focusing
on the landmarks and condensing the areas in
between is prevalent, disregarding not only the
wastelands, the transport infrastructure and
the surviving manufacturing plants, but whole
city districts. This corresponds to the fact that
only a handful of the monuments defined above
all by the IBA Emscher and by now nobilitated
as the Route der Industriekultur (Industrial Heritage
Trail) are actually located within the city
limits of the contemporary urban centers, and
that accordingly the focus of attention is directed
to the obsolete mining structure in between
the cities: if the IBA Emscher must be credited
with suspending the pervasive transitoriness
in the Ruhr region and with finally creating a
local heritage by dint of the museification and
reutilization of industrial facilities, there is
still a price to pay. After all, this heritage, if it is
to be accepted not only by tourists but also by
the local residents, will in turn trigger a new
development which will probably affect not
only the manufacturing plants but also extend
to everyday life in general.
Against this backdrop, the project B1|A40 The
Beauty of the Grand Road is important because
it is not content with merely establishing new
playgrounds amidst the wastelands, but addresses
a vibrant, crucial structural element
of the Ruhr region, focusing on its history,
function and manifestations.
To my mind, the Duisburg-Kaiserberg motorway
junction assigned to me as the location for
my work by Markus Ambach can be regarded
as a counterpart of another special place some
forty kilometers further up the Ruhr river,
namely the Kaisberg (Mount Kais) near Hagen,
on which we did some thorough research
within the framework of Landschaftsbauhütte
in 2000/01: Whereas this place, in particular
when seen from atop its – unfortunately quite
dilapidated – observation tower, offers a view
of a panoramic landscape which allows the
observer to identify and reconstruct all major
developments of the Ruhr region, anyone positioning
himself at the Kaiserberg junction will
likewise be standing on ground saturated with
historical significance, a hub of traffic routes
and facilities so very typical of the Ruhr region,
albeit without any opportunity to gain a panoramic
overview, irrespective of whether he
will take up a position on the road or under the
bridges. It was the objective of Redevelopment
to facilitate a comparable overview at least in
the form of an image.
ÜBERPLANUNGEN (REDEVELOPMENT)
During the preparations for the Redevelopment
sculpture, I was confronted with the complex
administrative structure of the Ruhr Metropolis
in a quite unexpected manner: only a
small fraction of the maps and documents
required could actually be found in the city
of Duisburg itself – within whose bounds the
motorway junction is after all located –; for
their assembly extensive research at about ten
different authorities – from the national and
federal down to the municipal level – proved
necessary, not to mention the superordinate
facilities such as the federal Straßenbau NRW
facility in which the various local facilities have
been merged. In the course of my research I
found out that during the various mergers and
new foundations especially of state-run facilities
the respective archives had not always
been taken along to the new headquarters of
the authorities. Another problem centered on
the fact that the various authorities had frequently
decided upon changes in method at
some point; accordingly the maps available
came in various scales and thus were of varying
precision. In the case of older maps, the
copies that could be obtained were invariably
yellowed and foxed. The corresponding adaptations
of the materials to one specific scale
and translucence could only be achieved via
time-consuming technical intermediate steps
and by a final retouching – by hand, pixel by
pixel. In the end, the memories and narratives
of the local residents – above all those furnished
by Klaus-Dieter Gogoll, the owner of the
Dörnerhof farm on whose grounds the junction
and other transport routes were built – proved
a decisive contribution to the collection of the
various maps and documents. MICHAEL FEHR
ÜBERPLANUNGEN MICHAEL FEHR
57

58

59

DANICA DAKIĆ
GÄNSEOPER
ENTSTANDEN IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM
FOTOGRAFEN EGBERT TROGEMANN UND DEM
KOMPONISTEN BOJAN VULETIĆ.
Tiere (und Kinder) haben in der Regel auf der
Bühne nichts zu suchen, lautet eine alte Regel
des klassischen Kulturtheaters, die allerdings
von namhaften Regisseuren immer wieder
gebrochen wurde. Anders als im Zirkus oder
auf den Jahrmärkten, in den Wander- und
Volkstheatern widersprach der Einbezug von
Kreatürlichem dem ästhetischen Anspruch
kunstvoller Imitatio. Dennoch zogen Tiere, von
denen unverstelltes Verhalten erwartet werden
kann, gerne größere Aufmerksamkeit auf
sich als die menschliche Schauspielkunst. So
wurden lebende Tiere, darunter Pferde und
Elefanten, Wölfe und Bären, immer wieder Teil
opulenter Theater- und Operninszenierungen.
Auch aktuell führt der Einbezug von Tieren in
Aufführungen immer wieder zu intensiven Diskussionen:
Was sollen Tiere in der Kunst?
Dieser Widerspruch findet sich auch im vielfältigen
Umgang mit Tieren in der zeitgenössischen
Kunst. Zwar stoßen ausgestellte
Tierpräparate kaum mehr auf Ablehnung oder
Verwunderung, wohl aber der Einbezug lebender
Tiere, der in den letzten Jahren eine große
Renaissance und zugleich thematische Verlagerung
erlebt.
Man erinnere sich an die wie ein Versuchslabor
angelegte Installation Soma von Carsten Höller
im Hamburger Bahnhof in Berlin 2010, in
der zwölf Rentiere mit Fliegenpilzen verwöhnt
wurden, um mit deren Urin der Substanz für
den mythenumwobenen Soma-Trank auf die
Spur zu kommen. Die große Retrospektive von
Pierre Huyghe in Köln 2014 fand in enger Kooperation
mit Veterinäramt und ansässigem
Zoo statt. Neben der spanischen Hündin Human,
deren rosa gefärbtes Bein zu ihrem un-
verkennbaren Alleinstellungsmerkmal wurde
und die bereits auf der documenta 13 das
Privileg besaß, in einer Ausstellung leben und
wohnen zu dürfen, gehörten Bienen, Ameisen
und wirbellose Tiere wie Pfeilschwanzkrebse,
Seespinnen und Fische zu einer faszinierenden
Verbindung lebendiger Wesen mit leblosen
Dingen, Bildern der Kunst mit Bildern der physikalischen,
mineralischen und biologischen
Welt.
Tiere leben auch entlang der großen Straße,
als Kleinwildtiere oder Exponate im Duisburger
Zoo, vor allem aber als Nutztiere. Die
Besucher, die auf ihrem Rundgang durch die
Siedlergemeinschaft Werthacker, dem Wasserschloss
von Delikatfisch Braun, dem Bikermeeting
Zooparkplatz, mit echten Tierlauten
des Zoos im Ohr auf einen silbernen Container
neben der Pumpstation stießen, mussten daher
auf manches gefasst sein. Bereits 2010 hatte
die Künstlergruppe Finger an der Pumpstation
am Kreuz Kaiserberg eine Bienenzuchtstation
betrieben; ein Ort, der sich am Rand der Autobahn
zu einem reichen Biotop aus Wasserlilien,
Röhricht und Gräsern herausgebildet hatte.
Diesen Ort, an dem täglich circa 200 000 Fahrzeuge
vorbeirauschen, wählte auch die Künstlerin
Danica Dakić für ihre akustische Intervention
aus, der Inszenierung einer Gänseoper,
die bei manchen Besuchern und Passanten
allerdings zunächst einmal die Alarmglocken
läuten ließ.
Sie trafen auf einen neuwertigen, silbernen,
hermetisch verschlossenen ISO-Container,
aus dem eine dramatisch eindringliche Komposition
aus Gänseschreien und Gänsegesängen
drang, die auch den immer wieder auf- und
abschwellenden Verkehrslärm übertönten.
Wir mögen gemeinhin nicht, wenn uns vorgeführt
wird, wie wir mit Tieren umgehen, die wir
60

später essen. Wir mögen nicht, dass Tiere mit Tod assoziiert werden,
unser Bild vom gezähmten und gefangen gehaltenen Tier die Unschuld
verliert. Die durchweg grausamen Szenarien industrieller Massentierhaltung,
ebenso wie Tier- und Fleischtransporte finden hinter verschlossenen
Türen statt; umso präsenter sind die hierüber veröffentlichten
Bilder, die mit dem scheinbar gestrandeten Container am abgelegenen
Ort der Pumpstation unmittelbar heraufbeschworen wurden. Um möglichen
Beschwerden und Tierbefreiern zuvorzukommen, brachte das
Veterinäramt der Stadt Duisburg daher recht bald eine kurze Erklärung
in der Nähe des Containers an: „Hier sind keine lebenden Gänse eingesperrt,
man hört nur aufgenommene Tierlaute.“
Versteht man also nicht, was man hört? Kann Hören blind machen beziehungsweise
das Sehen taub? Und wie geschieht das? Akustisch vermittelte
Botschaften sind nicht immer kompatibel mit den visuellen; ein
Erfahrungs- und Erkenntniselement, das Danica Dakić in vielen ihrer
Arbeiten thematisiert.
61

Ton und vor allem Sprache spielen in ihren
Video- und Klanginstallationen eine zentrale
Rolle. Sprache ist dabei meist an die menschliche
Stimme gekoppelt, die auch als tragendes
Gerüst, als Organ der Identitätsbildung manifest
wird. Dabei bewegt sich die Künstlerin immer
wieder aus den klassischen Ausstellungsräumen
heraus und entwickelt spezifische
Konzepte, die die historischen, sozialen, visuellen
und akustischen Überlagerungen eines
Orts zur sinnlichen Anschauung bringen.
Bei ihren verschiedenen Besuchen rund um
den Kaiserberg stieß Danica Dakić in Mülheim
an der Ruhr auf einen Landhof, der tierische
Produkte aus eigener Herstellung vertreibt.
Dort verfestigte sich die Idee, der in Gefangenschaft
hervorgerufenen Sprache der Gänse
eine ungewöhnliche Bühne zu verleihen.
Zwischen Oktober und Dezember 2013 entstanden
in enger Zusammenarbeit mit Egbert
Trogemann zahlreiche Aufnahmen von Gänsen
und Umgebungsgeräuschen. In Koproduktion
mit dem Komponisten Bojan Vuletić wurden
die Tierstimmen zu einer 23-minütigen Komposition
verdichtet, die aus sieben ineinander
übergehenden Teilen besteht, unterbrochen
von Momenten der Stille. Dabei wurde das Material
gänzlich frei und hinsichtlich seiner musikalischen
Logik verwendet.
„Wie eine klassische Oper beginnt die Komposition
mit einer Ouvertüre, solistischen Arien,
Ensembles und Chören. Durch parallel überlagerte
Rhythmen entstehen größere rhythmische
Strukturen und in den chorischen Passagen
addieren sich die Stimmen zu zusätzlichen
Obertonmelodien. Das Stück ist melodramatisch
auch insofern, als die Gänse über einen
längeren Zeitraum an insgesamt sechs Tagen
aufgenommen wurden. Das Ensemble veränderte
sich, da sich die Zahl durch die Schlachtungen
für die Sankt-Martin-Saison kontinuierlich
reduzierte. Diese Thematik wurde in
der Komposition als dramatischer Bogen aufgegriffen.
Die Mischung und das Mastering für
die spezielle Installation wurden in fünf Audiowegen
umgesetzt, ein Kanal für die Stirnseite
des Lagercontainers und jeweils zwei auf den
Längsseiten“, erläuterte der Komponist Bojan
Vuletić. So basiert die Komposition nicht auf
Tierimitationen, sondern authentischem Tonmaterial,
operiert aber mit ihrer digitalen Verarbeitung
in einer mimetischen Kulturtradition,
die etwas fortführt, das die Natur so nicht
schaffen würde.
Was passiert eigentlich mit Mozart, wenn man
seine Musik auf einer öffentlichen Toilette
hört oder eine Oper an einer Autobahnausfahrt
aufgeführt wird? Wie kann klassische
Musik aus den moribunden Stätten bourgeoiser
Kultur befreit werden? Diese seit John
Cage ausgelösten Fragen haben seit Mitte des
20. Jahrhunderts eine neue Entwicklung installativer
Klangkunst hervorgebracht, die sich
der Schaffung von Situationen widmet und die
ihre Schärfe besonders da erhält, wo klassische
Konzert- und Galerieräume verlassen
werden. Mittlerweile sind sich Straße, Museum
und Theater deutlich näher gekommen.
Doch gelten im öffentlichen Raum noch immer
eigene Regeln, die nicht nur den Ordnungsund
Besitzverhältnissen unterliegen, sondern
ebenso der Wahrnehmungsbereitschaft eines
höchst unterschiedlichen Publikums, das wie
in diesem Fall nicht als Konzertpublikum angesprochen
werden konnte. Trotz der musikalisch
inhärenten Struktur des Stücks blieb
die Ankündigung einer Gänseoper daher eine
künstlerisch bewusst kalkulierte Behauptung
und stellte auch damit eine Reibungsfläche
dar.
Der Container ist keine Bühne, kein Kunstcontainer
als mobiler, wilder Ausstellungsbeziehungsweise
Aufführungsort, wie er oft
verwendet wurde, sondern ausschließlich
Resonanzkörper, ein Instrument, das sich
gegen die Umgebungsgeräusche behaupten
musste. Es gab keine konzertierenden Musiker
und auch der visuelle Fokus auf das vermutete
Ensemble (die eingesperrten Gänse)
beziehungsweise die technische Konstruktion
(Lautsprecher) entfiel. Zudem musste sich der
Besucher räumlich bewegen, um den Quellen
der verschiedenen auf- und abschwellenden
Tonspuren zu folgen. Neben der Zugangsfreiheit
–Eintrittsgeld, eine spezielle Kleiderordnung,
Platzanweiser entfielen – gab es auch
keine festgelegten Aufführungstermine.
Vielleicht gibt es nicht einmal ein Publikum?
Denn auch diese Fragen wirft die Installation
von Dakić auf: Was ist Kultur? Wo berühren
sich Kunst und das alltägliche Leben? Wer ist
das Publikum für eine Oper an einem solch
abgelegenen Ort? Kann Kunst auch im öffentlichen
Raum eine Autonomie bewahren, ohne zu
einem akustischen Dekor zu werden?
Danica Dakićs Installation präsentierte einen
verschlossenen Raum, ein verschlossenes
Bild, das dennoch eröffnete, was draußen ist.
Die Gänseoper ist ein Drama ohne Libretto, da
wir die Sprache der Gänse nicht verstehen;
eine Oper, deren Gesang sprichwörtlich durch
Mark und Bein geht. Sie nutzt die ästhetischen
und darin realitätsverzerrenden Gestaltungsmöglichkeiten
einer klassischen Kunstform
und setzt zugleich im nahezu aristotelischen
Sinn ein tragisches Verstricktsein der gefangenen
und todgeweihten Tiere geradezu körperlich
in Szene; als wäre die Gänsehaut das
erste ästhetische Bild, das wir empfangen: unsere
Fähigkeit, zu erschauern. Doch galt auch
hier: Was im tatsächlichen Leben unerträglich
sein kann, lässt sich im Medium Kunst nicht
nur leichter verarbeiten, sondern durchaus
genießen.
SABINE MARIA SCHMIDT
62

GEESE OPERA | IN COLLABORATION WITH THE PHOTOGRAPHER
EGBERT TROGEMANN AND THE COMPOSER BOJAN VULETIĆ “Never
work with animals or children” is an old rule of classic theater, but
famous directors have frequently broken it. Unlike circuses, fairs or
traveling theater troupes they used to object to including the natural,
preferring the artificial imitatio’s aesthetic claims. Nevertheless, animals
– who we expect to behave naturally – draw more attention than
humans practicing the art of acting. Hence, live animals, including horses,
elephants, wolves, and bears, were frequently part of opulent theatrical
and operatic stagings. Even now, using animals in performances
leads to intense discussions: What are animals doing in art?
This contradiction can be found in many of the ways that contemporary
art deals with animals. Although exhibitions involving stuffed animals
hardly meet with rejection or mystification anymore, shows with live
animals do, and in recent years these have experienced a renaissance,
as well as thematic shifts.
Just recall Carsten Höller’s installation, Soma, at the Hamburger Bahnhof
in Berlin in 2010, which was set up like a scientific laboratory: twelve
reindeer were indulged with Amanita muscaria in order to test their urine
for the mythical substance soma. Pierre Huyghe’s large retrospective
in Cologne in 2014 took place in close cooperation with the veterinarian
inspection office and the local zoo. Besides the Spanish bitch Human,
whose dyed pink leg made her an inimitable and unique selling point and
who had the privilege of living inside an exhibition at the documenta 13,
bees, ants, invertebrates such as horseshoe and spider crabs, and fish
comprise a fascinating connection between the living and the dead, between
images of art and images of the physical, mineral, and biological
world.
Animals also live along the grand road – small wild animals or exhibits
in the Duisburg Zoo – but most are livestock. Hence, visitors have the
sounds of real animals in their ears when they make the rounds through
the Werthacker neighborhood, Delikatfisch Braun’s water castle, and
the zoo parking lot where bikers meet; when they ran into a silver container
next to the pumping station, they were prepared. In 2010 the artists’
group Finger operated a bee breeding station at the pumping station
at the Kaiserberg freeway intersection – a place that had become a rich
habitat for water lilies, reeds, and grasses at the edge of the freeway.
Around 200 000 vehicles pass by this site every day, and the artist Danica
Dakić chose it for her acoustic intervention – a staging of a Geese Opera
that did at first, however, alarm some visitors and passersby.
They encountered a new, silver, hermetically sealed ISO container, out of
which poured a dramatic, urgent composition consisting of geese calls
and geese song, overlaid with the swelling and ebbing noise of traffic.
We really do not like it when we are shown how we treat animals that
are later eaten. We don’t like to associate animals and death; our image
of the tame, captive animal loses its innocence. Thoroughly gruesome
scenes of intensive livestock farming and the transportation of animals
and meat take place behind closed doors. Thus, the images seen here
GÄNSEOPER DANICA DAKIĆ
63

take on a stronger sense of presence; they seem to have been conjured
up, along with the apparently abandoned container at the pumping station’s
remote site. To forestall any possible complaints and animal liberationists,
the city of Duisburg’s Veterinary Office quickly put up a brief
explanation near the container: “No live geese are locked in here; the
sounds heard are recordings of animals.”
So, do people not understand what they hear? Can listening make you
blind, or seeing make you deaf? And how does that happen? Acoustically
transmitted messages are not always compatible with visuals – an element
of experience and awareness that Danica Dakić examines in many
of her works of art. Sound, and especially speech play a main role in
her video and sound installations. Speech is usually coupled with the
human voice, which manifests as a support structure, and as an organ
that shapes identity. The artist frequently works outside of the classic
exhibition space and develops specific concepts that allow visitors to
perceive a place’s historical, social, visual, and acoustic layers.
On a number of visits that took her around the Kaiserberg, Dakić stumbled
over a farm in Mülheim an der Ruhr that makes its own animal
products. There, she got a firm idea about how to provide an unusual
setting for the “speech of captive geese”.
Working closely with Egbert Trogemann, Dakić made many recordings
of geese, along with sounds from the surrounding environment between
October and December 2013. Coproduced with the composer Bojan
Vuletić, the animal voices were condensed into a twenty-three-minute
composition consisting of seven interwoven parts interrupted by moments
of silence. The material was employed in a way that was completely
free with regard to its “musical logic”.
“Like a classic opera, the composition begins with an overture, solo
arias, ensembles, and choruses. Parallel, overlapping rhythms create
larger rhythmic structures, and voices are added to the choral passages
to produce additional melodic overtones. The piece is also melodramatic
in the sense that the geese were recorded over a longer period of
time – a total of six days. The ensemble changes, as the number of geese
was continually reduced, due to the fact that many were butchered for
the Saint Martin season. This theme became a dramatic arc for the
composition. Mixed and mastered for the special installation, the piece
was transferred to five audio paths, one channel for the top side of the
warehouse container and two on each of the long sides”, explained the
composer Bojan Vuletić. Thus, the composition is not based on animal
imitations, but authentic sound material. Since it is digitally processed,
though, it operates in a mimetic cultural tradition, developing something
that nature itself would not make.
What actually happens with Mozart when you hear it playing in a public
restroom, or when an opera is performed at a freeway exit? How can
classical music be liberated from the moribund sites of bourgeois culture?
These questions, triggered during John Cage’s era, have been producing
new developments in sound art installation since the mid-twentieth
century; they are devoted to the creation of situations and become
particularly sharp-edged when they occur outside of classic concert
and gallery spaces. In the meantime, the street, the museum and theater
have obviously become closer to each other. Still, there are rules in
the public space that are meant to keep the peace and protect property
rights, and there are different degrees of perceptive facility among the
very diverse audience in this case, which could not be addressed as a
concert audience would be. Hence, despite the piece’s inherently musical
structure, announcing a Geese Opera is an artificial, deliberately
calculated assertion, as well as a source of friction.
The container is not a stage; it is not an art container intended as a site
for wild exhibitions or performances, as containers are often used.
Rather, it is simply a resonating body, an instrument that has to assert
itself over the surrounding noise. There were no musicians playing a
concert, and even the visual focus on a supposed ensemble (the captive
geese) and the technical equipment (loudspeakers) were missing.
In addition, visitors had to move around in order to follow the sources of
the different louder and softer tracks. Besides the free access – no admission
was charged, no special clothing was required, no ushers were
present – there were also no strictly scheduled performances.
Maybe there wasn’t even an audience? Because Dakić’s installation also
raises these questions: What is culture? Where do art and everyday life
intersect? Who is the audience for an opera at such a remote site? Can
art maintain its autonomy even in the public space, without becoming
acoustic décor?
Danica Dakić’s installation presented a closed space, a closed image,
which nevertheless opened up what was outside. The Geese Opera is a
drama without a libretto, since we cannot understand the language of
the geese – an opera in which the singing literally pierces to the marrow.
It makes use of the aesthetic creative potential of a classic art form,
something that distorts reality, and at the same time, in an almost Aristotelian
sense, it stages the tragedy of the captive, doomed animals in a
nearly physical way, as if goose bumps are the first aesthetic image we
receive: our ability to tremble.
Yet, here, too, it is true that whatever is unbearable in real life can be
more easily processed through the medium of art, and be thoroughly
enjoyed, as well.
SABINE MARIA SCHMIDT
64

DANICA DAKIC GÄNSEOPER 65

66

MH-EICHBAUM67

MOMENT
UND KONTINUITÄT
U-BAHNHOF EICHBAUM Die Station Eichbaum
in Mülheim an der Ruhr ist eine komplexe
Verkehrsschnittstelle, die ambivalenter
kaum sein könnte. Die U18, die hier das Licht
des Tages erblickt und die Städte Essen und
Mülheim verbindet, ist eine der wenigen U-
Bahnlinien der Region, die meist auf oder unter
der A40 verläuft. Auf der Autobahn verkehren
in der Region neben ihr Busse und Bahnen
und verdeutlichen das noch immer präsente
Kirchturmdenken der Ruhrstädte. Denn bei
aller räumlichen Nähe haben sie es weiterhin
nicht geschafft, Einheitlichkeit im öffentlichen
Nahverkehr herzustellen. Dadurch bleibt das
Auto das beliebteste Transportmittel der Region
und die A40 ihre Hauptschlagader. Auch
wenn einige Bewohner diesen Umstand humorvoll
kommentieren, indem sie mit zahlreichen
Verkehrsmedienwechseln versuchen, die
Region mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu
durchqueren, drückt sich hier das ambivalente
Denken der Städte zwischen egozentrischer
Selbstwahrnehmung und regionalen Metropolfantasien
aus. Die U18 setzt hier im Raum
eine weitere Zäsur. Im Umfeld der Station Eichbaum,
die ohnehin zwischen verschiedenen
Stadt- und Agrarräumen liegt, ergibt sich eine
stark zergliederte Landschaft. Im komplexen
Durcheinander zwischen Auto- und U-Bahn
auf mehreren Geh- und Fahrebenen, zwischen
Fly-overs, Passagenräumen und Lärmschutzwänden,
versuchen die Menschen den Raum
weiterhin zusammenzuhalten und bewohnbar
zu machen.
MARKUS AMBACH
68

MOMENT AND CONTINUITY | EICHBAUM SUB-
WAY STATION The subway station Eichbaum
in Mülheim an der Ruhr is a complex transportation
hub that could hardly be more ambivalent.
The U18, which sees the light of day here
and links the cities of Essen and Mülheim, is
one of the region’s few subway lines and runs
mostly on or under the A40. Buses and trains
run next to it, along the autobahn; this emphasizes
the ever-present parochial thinking of
the Ruhr cities, because, despite their close
proximity, the cities still haven’t managed to
unify their public transportation. Thus, the automobile
remains the favored method of transportation
in the region, and the A40 is its aorta.
Even though some residents comment on this
humorously by trying to cross the region via
public transportation, changing from one type
of transport to another, it essentially expresses
the cities’ ambivalent thinking, which oscillates
between egocentric self-perception and
fantasies of a regional metropolis. The U18 here
adds to the area’s fragmentation. Around the
Eichbaum station, which is located amid various
urban and agricultural areas anyway, the
landscape is heavily dissected. In the complicated
confusion of highways, subways, walkways,
roads, flyovers, passages, and noise barriers,
people still try to hold the space together
and make it inhabitable. MARKUS AMBACH
69

LANDSCHAFTSPARK B1IA40
WANDERWEGE
Um komplexe Landschaften wie die im Umfeld der Station Eichbaum in
ihrer Genese für den Wanderer les- und sichtbar zu machen, rief B1|A40
den Landschaftspark B1|A40 aus, der allein aus vorhandenen, wiewohl als
solche unentdeckten Landschaftssequenzen besteht. Neben den einzelnen
Teilräumen definiert der Landschaftspark auch die Gesamtheit der
zergliederten Fragmente entlang der Autobahn als zusammenhängenden
Raum, als Syntax, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Um deutlich zu
machen, dass die unkonventionellen Räume, die sich im Schatten der
großen Straße entwickelt haben, landschaftlich bisher unbekannte (und
insofern nicht lesbare) Qualitäten hervorbringen, wurden diese zum
Park erklärt.
An verschiedenen Orten der Ausstellung – im Autobahnkreuz Kaiserberg,
in Dortmund-Schönau und hier im Umfeld der Station Eichbaum –
führten ausgeschilderte Rundwege durch das jeweils einzigartige Terrain.
Anhand klassisch anmutender Erläuterungstafeln wurden solche
Typologien und Taktiken des Raums ausgewiesen, die für seine Entstehung
von Bedeutung sind. In verdeckt subversiver Weise wurden dabei
Inhalte vermittelt, die nicht den herkömmlichen Normen einschlägiger
Landschaftsvorstellungen folgen. So wird der Trampelpfad als eine informelle
Abstimmung zur Sinnfälligkeit von Stadtplanung ausgewiesen,
eine Leerstandnutzung zum Kreativquartier erklärt oder ein Bauernhof
zum Repräsentanten neuer Formen der Landentwicklung. Die Landschaft
bekommt im Konzept des Landschaftsparks eine Sprache, die sie
in ihrer eigenwillig unkomponierten Form lesbar werden lässt.
liche Weg, der im spitzen Winkel um das Feld herum zum Wohnblock
führt, ist zwar geplant, doch sichtlich länger. Jahr für Jahr zeichnen die
Bewohner des Hauses ins Feld, was sie von der Umgehung halten. So
kann man den Weg, den der Bauer – halb genervt, halb mit Humor – jedes
Jahr neu übersät, als eine halbdemokratische Bewertung der hiesigen
Stadtplanung sehen.
WANDERWEG MH-EICHBAUM Der Wanderweg in Mülheim führte in
eines der heterogensten Terrains des Projekts, um dessen Entstehung
sichtbar zu machen, die komplexen Interventionen der Anwohner zu zeigen
und die künstlerischen Vorschläge für diesen Raum zu besuchen.
Er began an der U18-Station Eichbaum, die einen Klassiker des Brutalismus
ganz und gar in Sichtbeton darstellt. Sie hat zwar für Moderne-
Romantiker viel Reizvolles, ist für die Nutzer aber längst zum Angstund
Gefahrenraum avanciert. Dabei täuscht die Station, die inmitten
von Autobahn-Fly-overs direkt an der A40 liegt, über das vielschichtige
Umfeld hinweg. Verlässt man sie geradewegs unter der A40 hindurch,
steht man unvermittelt in einer Felder- und Wiesenlandschaft mit bürgerlicher
Einfamilienhausbebauung. Durch ein üppiges Kornfeld führt
ein luxuriös ausgelatschter Trampelpfad zum einzigen Wohnblock des
Viertels, dessen Höhe einen attraktiven Rundblick verspricht.
Der Trampelpfad, an dem sich mitten auf dem Feld zwei Kunstprojekte
angesiedelt haben, gleicht einer informellen Abstimmung: der eigent-
70

Auf dem Feld hatte sich in einem Kornkreis das Projekt … flieg Vogel flieg …
von Christine und Irene Hohenbüchler angesiedelt. An der Wegstrecke
der Bewohner zum U-Bahnhof thematisierten die beiden Künstlerinnen
die komplexe Geschichte der fahrenden Völker. In einer engmaschigen
Auseinandersetzung mit den Menschen und der Geschichte der Sinti und
Roma haben sie hier eine eigenwillige Bühnensituation mit Pavillons,
Kabinetten und Unterständen geschaffen, die in ihrer Machart auf lokale
Praktiken und Produktionsweisen anspielten. Die dem Feld verbunden
erscheinenden Bauten offenbarten sich bei näherer Betrachtung als Vitrinen
und modellhafte Behausungen temporärer Natur, an denen in losen
Schrift- und Zeichenfragmenten die Geschichte derer erzählt wurde,
die aufgrund ihrer andauernden Vertreibung stigmatisiert wurden.
Schon von hier aus sah man das Zirkuszelt von Volker Lang, das sich
ebenfalls dem Thema eines Lebens auf der Reise zu widmen scheint.
Der Zirkus, der einst das Fantastische in die industrialisierten Städte
brachte, öffnete sich hier als geteiltes Halbrund mit Rang und Manege
den Bewohnern der Gegend – und dies nicht nur optisch. Wo sonst
die Artisten die Beherrschung der Welt in verschiedensten Formen in
Szene setzen 1 , konnten sich die Anwohner die Bühne selbst erobern. In
der tagtäglichen Nutzung wurde auf ihr das zum Besonderen, was sonst
alltäglich erscheint. Ob Dichterlesung, Picknick oder Hip-Hop, die Bühne
stand allen zur Benutzung offen. Langs Arbeit 8 ½ Circus Space war
insofern Skulptur, Angebot und magischer Ort zugleich, wenn an einem
Tag die gesamte Nachbarschaft gleich einem mittelalterlichen Dorf zusammenkam,
um die einzig professionelle Darbietung des magischen
Formats Zirkus von den Gruppen My!Laika und Los Santos willkommen
zu heißen. Auf der an den Feldweg anschließenden verkehrsberuhigten
Straße entlang der A40 finden sich Haus-und Hofentwürfe, die nur im
nahezu rechtsfreien Randraum der Autobahn geduldet werden. Sie erzählen
von informellen Bautechniken und architektonischen Schöpfun-
71

72

LANDSCHAFTSPARK B1IA40 WANDERWEGE
73

gen am Rande der Legalität im ambivalenten
Restraum neben der Autobahn, der ständig von
der Erweiterung der A40 bedroht ist. Bepflanzungen
und Wege, die just an der Schallschutzwand
enden, erinnern an die Faktizität dieser
Drohung und berichten von früheren Gärten
oder Baumschulen, die nach und nach von der
Autobahn vertilgt wurden.
Auffällig ist auch ein schmucker Altbau, der
mehr als in die Jahre gekommen ist. Das sogenannte
White House liegt direkt an der A40 und
deren Unterquerung in nicht gerade ruhiger
Lage. Dass das Gebäude mit Denkmalschutz
seinem Besitzer Schwierigkeiten bereiten
könnte, ist vorstellbar, denn eine adäquate Sanierung
steht ökonomisch in keinem Verhältnis
zum späteren Nutzen in dieser Randlage an
der A40. Ein Blick durch die Fenster offenbart,
dass das Gebäude teilweise als Partylocation
und Proberaum zwischengenutzt wurde und
somit temporär zum informellen Kreativquartier
avancierte – eine geschickte Form, mit
dem Problem des Hauses umzugehen, die allerdings
wenig zukunftsfähig erscheint.
HEISSENER HOF In einem frappanten Szenewechsel
gelangt man durch die Unterquerung
der A40 direkt zum Heißener Hof, der
als klassischer Familienbetrieb eine Vielzahl
landwirtschaftlicher Dienst- und Genießbarkeiten
gerade mal fünf bis zehn Meter neben
der Autobahn anbietet. Während der Vater die
Felder der Umgebung bewirtschaftet und sich
gemeinsam mit den Kindern um die hofeigene
Gänsezucht kümmert, betreibt Sohn Johann
die Landmetzgerei mit feinsten Fleisch- und
Wurstwaren aus eigener Produktion. Tochter
Katharina fasst im Hofladen all die Produkte
zum Verkauf zusammen und entwickelt ein
Konzept der lokalen Nahversorgung direkt aus
der Region. Lokale wie saisonale Produktion
mit kurzen Transportwegen hat hier ihren Weg
von der Theorie in die Praxis gefunden. Darüber
hinaus gleicht der Hof einem Kleintierzoo,
in dem Kinder und Erwachsene direkt mit den
Umständen der Nahrungsmittelproduktion
konfrontiert und an ihre Realitäten herangeführt
werden. Die ausgebaute Scheune ist seit
kurzem dazu als ländliche Veranstaltungshalle
zu mieten, was den Hof mit all den anderen
Angeboten zu einem multifunktionalen Betrieb
macht, mit dem sich eine erfindungsreiche Familie
aus der Not, direkt mit der A40 konfrontiert
worden zu sein, eine Tugend gemacht hat.
RENNSTRECKE Sucht man sich von dort den
Weg zurück zur Station entlang von Bergarbeiterhäusern
und Einfamilienhausidylle, stößt
man versteckt zwischen Gärten und Schallschutzwand
auf die RC-Car-Rennstrecke der
Familie Kammann. Zwischen einem bewaldeten
Abraumhügel der U-Bahn und der Lärmschutzwand
der A40 haben sie mit Hügeln,
Bodenwellen und steilen Rampen eine Miniaturrennstrecke
für die ferngesteuerten Kleinfahrzeuge
gebaut, um für die Meisterschaft
zu trainieren. Sohn Chris war dem Titel schon
mal nahe und trainiert mit Freunden auf dieser
Miniaturrennstrecke, die Analogien zu Modelllandschaften,
Land-Art und Minigolf nahelegt.
Durchquert man nun auf illegalem Trampelpfad,
den die Anwohner als Abkürzung zur U-
Bahn benutzen, eine verwilderte Brachlandschaft
mit Bäumen und Buschwerk, befindet
man sich unversehens einen Moment lang im
einheimischen Dschungel, bevor sich direkt an
der Leitplanke der A40 ein faszinierender Blick
auf die brutalistische Architektur der Station
auftut, die von hier gesehen gleich einem vergessenen
Tempel der Moderne im satten Grün
des Brachlands liegt.
Die U-Bahnstation Eichbaum stellt mit ihrem
Umfeld ein heterogenes Terrain dar, das sich
aus den prekären Auswirkungen verschiedener
Verkehrsinfrastrukturen auf ihr Umfeld
ergeben hat. Dass die Menschen, deren historische
wie soziale Räume durch den Bau dieser
Verkehrswege brutalen Zäsuren unterworfen
wurden, in solch innovativer Weise mit dem
zerschlagenen Raum umgehen und ihn in einen
hochspannenden Raum jenseits aktueller Homogenisierungstendenzen
verwandeln, muss
als genuine Stärke der Region gesehen werden.
MARKUS AMBACH
1| Der Zirkus zeigt in verschiedenen Darstellungsformen
die Beherrschung der Welt: so zum Beispiel
in der Tierdressur die Beherrschung der Fauna, in
der Akrobatik die Beherrschung des eigenen Körpers,
beim Jonglieren die der Welt der Dinge. Sogar das Magische
wird in Form der Zauberer miteinbezogen.
74

LANDSCHAFTSPARK B1IA40 WANDERWEGE
75

76

77

HEISSENER HOF Der Heißener Hof wird in der vierten Generation von der Familie
Steineshoff bewirtschaftet. Gegründet von Else und Walter Steineshoff, erweiterten
Margarete und Werner Steineshoff den Hof um die Hühnerhaltung und starteten
die Direktvermarktung ihrer Produkte mit einem kleinen Eierstand vor der Haustür.
1994 haben die heutigen Hofbetreiber, Walburga und Albert Steineshoff und ihre
Kinder Katharina und Johann, den kleinen Verkaufsstand in einen Hofladen verwandelt,
der seither immer weiter ausgebaut wird. Heute werden dort neben den
Produkten aus der eigenen Hoffleischerei selbst hergestellte Marmeladen, Liköre
und Konserven und Obst und Gemüse aus der Region verkauft. Die Landfleischerei
kam 2010 hinzu und wird von Sohn Johann betrieben, der die Metzgerei 2012 um einen
Partyservice ergänzte. Eine Spezialität des Betriebs sind die Gänse. Mitte April
kommen sie als einen Tag alte Küken nach Mülheim. Sie werden im Stall und auf
einer großen Weide gepflegt und aufgezogen, bis sie Mitte Oktober bis Dezember
zum Verzehr angeboten werden.
THE HEISSENER HOF The Heißener Hof is a farm complete with a butchery
managed by the fourth generation of the Steineshoff family. Founded by Else and
Walter Steineshoff, their successors Margarete and Werner Steineshoff extended
the farm to include poultry keeping, selling their products from a small on-site
market stall in front of their house. In 1994, the current owners Walburga and
Albert Steineshoff converted the small market stall into a farm shop and since
then gradually expanded it with the help of their children Katharina and Johann.
Johann manages the farm butchery since 2010, which was extended to include a
party-service in 2012. In addition to the products form the butchery, today the farm
shop sells homemade jams, liqueurs, canned goods, as well as fruits and vegetables
from the region. A specialty of the Heißener Hof is its goose keeping. The geese
are brought to Mülheim as hatchlings in mid-April, where they are fed up in a shed
and on a large meadow until they are ready for butchering from mid-October to
December.
78

WURST Die Landmetzgerei von Johann Steineshoff verkauft nahezu
ausschließlich Waren aus eigener Produktion. Die Zutaten stammen
oft aus der Region oder vom eigenen Hof. Die vielfältige Auswahl wurde
2014 um eine weitere bereichert: Johann Steineshoff kreierte eigens
für die Ausstellung B1|A40 eine eigene „Autobahnwurst“ – natürlich
mit besten Zutaten von den Bauern aus dem benachbarten Kreuz
Kaiserberg.
SAUSAGE The meat and sausage products sold in Johann
Steineshoff‘s butchery are almost entirely from its own production.
Their ingredients are either from home-reared meat or from the
closer region. In 2014 his assortment was expanded by the “Autobahnwurst”.
Specifically created for B1|A40, this sausage contains only the
best ingredients from farmers at the nearby Kreuz Kaiserberg.
LANDSCHAFTSPARK B1IA40 WANDERWEGE
79

LANDSCAPE PARK B1|A40 HIKING TRAILS In order to make it possible
for hikers to interpret and see the genesis of this complex landscape
around the station Eichbaum, B1|A40 called for the Landscape Park
B1|A40, comprised solely of existing, yet undiscovered sections of landscape.
Besides individual spaces, the landscape park also defined the
sum of the divided fragments along the autobahn as a coherent space,
a syntax that follows its own rules. In order to make it clear that the
unconventional areas that have developed in the shadow of the grand
road evoke landscape qualities that have remained unfamiliar (and in
that respect, illegible), these areas were declared a park.
80

At some of the exhibition’s various sites – the Kasierberg junction,
Schönau in Dortmund, and here, around the Eichbaum station – signposts
along circular paths directed hikers through a variety of terrains.
Classic-looking explanatory markers pointed out the types and tactics
that contributed to the creation of the area. Hence, in surreptitious, subversive
ways, information that did not correspond to the usual, normal
ideas of landscape was communicated. Thus, the hiking trail stood for a
kind of informal reconciliation with the practicalities of urban planning,
a vacant space was declared a creative quarter, or a farmhouse represented
a new form of land development. As part of the concept for the
park, the landscape was given a vocabulary that allowed people to read
it in its own, uniquely disconnected form.
MH-EICHBAUM HIKING TRAIL The trail in Mülheim ran through one
of the project’s most heterogeneous terrains; the goal was to make it
possible to see how it came to be, as well as to show the residents’ complicated
interventions and allow people to visit the artists’ work in this
area. It started at the U18’s Eichbaum station, which is a classic Brutalist
building made entirely of exposed concrete. It has a lot of charm for
those who romanticize Mo dernism, but for commuters it has long been a
LANDSCHAFTSPARK B1IA40 WANDERWEGE
81

RENNSTRECKE Die Familie Kammann hat sich zwischen
Lärmschutzwand und Aushubhügel der U18
eine RC-Car-Rennstrecke eingerichtet. Die Land-Art
ähnliche Anlage dient den Profis um Chris Kammann
zum Training für internationale Meisterschaften und
zeigt, wie selbst kleinste Resträume von den Anliegern
der A40 produktiv umgenutzt werden.
RACE TRACK Between the noise protection wall and
a spoil heap, a remnant from the U18 construction, the
Kammann Family established an RC car race track.
At first sight reminding of a Land Art installment, the
facility actually serves as a training track, where pro
racers like Chris Kammann prepare for international
championships. This shows how even smallest spaces
along the A40 are constructively converted by their
residents.
space that evokes fear and danger. Yet, the station
– which is situated directly along the A40
in the middle of an autobahn flyover, above the
multi-level environment – is deceptive. If you
leave it and walk straight ahead, underneath
the A40, you’ll find yourself in the middle of a
landscape full of fields, meadows, and suburban,
single-family houses. A well-beaten trail
leads through a lush wheat field in the direction
of the quarter’s only apartment block, whose
height promises an attractive panorama.
Along the trail, two art projects have been
placed in the middle of the field. The trail
also proposes an informal choice: the actual
path takes the people around the field at a
sharp angle, in the direction of the apartment
block. It has been purposefully designed, but
is vi sibly longer. Year after year, the residents
of the building trample across the field, demonstrating
what they think about the detour.
Every year, the farmer – half annoyed, half
amused – replants this trail, and it can be seen
as a semi-democratic judgment of current urban
planning.
Christine and Irene Hohenbüchler’s project
… Fly, Bird, Fly … was located in a crop circle in
the field. Along the locals’ path to the subway
station, the two artists examined the complex
history of migrant peoples. In a tightly knit
exploration of the Sinti and Roma people and
history, they’ve created a unique setting with
pavilions, small cabinets and shelters, whose
style alluded to local practices and methods of
production. Upon closer inspection, the buildings,
which looked as if they are part of the
field, turned out to be vitrines and models for
temporary housing. Loose fragments of writing
and signs told the history of people who have
been stigmatized by perpetual persecution.
From here you could see Volker Lang’s circus
tent, which also seems to be devoted to the
theme of life on the road. The circus, which
once brought the fantastic to industrialized
cities, was open (and not only optically) to the
area residents; a divided semi-circle with seating
and a ring. In the place where circus artists
would otherwise demonstrate dominance over
the world in various ways, residents could
take over the stage themselves. Used daily, it
turned the ordinary into something special;
whether for a poetry reading, a picnic, or hiphop,
the stage was open to all. Lang’s work,
8½ Circus Space, was, in this respect, sculpture,
an offering, and a magical place all at
the same time – when, for instance, the whole
neighborhood came together on one day, like a
medieval village, in order to welcome the only
professional performances of magical circus
acts, presented by the groups My!Laika and
Los Santos.
Along the A40, on the quiet street adjoining the
path, there are the kinds of houses and farms
that are only tolerated in the practically extralegal
periphery of the autobahn. They tell
of informal construction techniques and architectural
creations on the edge of legality in
82

83

the ambivalent, leftover space next to the freeway,
which is constantly under the threat of the
A40’s expansion. Plantings and pathways that
end just at the noise barrier remind you that
this threat is real, while at the same time, they
are evidence of old gardens or tree nurseries
that were gradually replaced by the autobahn.
Also striking is an ornamental, old building that
is more than long in the tooth. The so-called
White House stands directly next to the A40 and
its underpass is not exactly in a quiet situation.
One can imagine that the building, which
is on the historical preservation list, probably
gives its owner some difficulties, because the
cost of adequately remodeling it is in no way
proportionate to its economic value, located
as it is on the edge of the A40. Looking through
the windows, it’s obvious that the building has
been used for parties and as rehearsal space,
and thereby has become a temporary, informal
creative space – a clever way of dealing with
the house, but one that doesn’t seem to hold
much hope for the future. In an astounding
change of scene, you can walk through the A40
underpass directly to the Heißener Hof, a classic
family farm that offers a number of agricultural
services and edibles just five to ten meters
away from the autobahn. While the father
tends the surrounding fields and (with the help
of the children) the geese, son Johann operates
the butchery, offering the finest of homemade
meat products and sausages. Daughter Katharina
gathers together all of the products to sell
at the farm stand, and is developing a concept
for regional farm-to-table delivery. The idea of
delivering local, seasonal produce over short
distances has found its way from theory into
practice. The farm also resembles a petting
zoo, where children and adults are directly
confronted with the circumstances surrounding
the production of food, and introduced to
its realities. The barn has been expanded and
can now be rented as an event hall, turning
the farm with all of its other offerings into a
multi-functional operation; here, the inventive
family – confronted with the A40 – has made a
virtue out of necessity. If you take the way from
there back to the station, passing coal miners’
homes and idyllic single-family houses, you’ll
run into the Kammann family’s racetrack,
hidden among gardens and noise barriers. In
between the subway’s forested dump and the
A40 noise barrier, the family has built a miniature
racetrack with hills, corrugations, and
steep ramps, for remote-control vehicles,
where people train for the championship. Son
Chris has come close to winning the title, and
he and his friends practice on this miniature
racetrack, which can be compared to model
landscapes, Land Art, and miniature golf. If
you take the illegal trail that locals use as
shortcut to the subway station, you’ll cross an
overgrown, uncultivated landscape with trees
and bushes, and unexpectedly find yourself for
a moment in a local jungle, before a fascinating
view of the station’s Bruta list architecture
rises up directly along the A40 guardrail. Seen
from this angle, the station looks like a forgotten
Modernist temple amid the lush green of
the untilled land.
The Eichbaum subway station and its surroundings
form a heterogeneous terrain, a
product of the precarious impact of diffe rent
kinds of transportation infrastructure on the
environment. Historical and social spaces
have been subjected to brutal fragmentation,
thanks to the construction of these transportation
routes, but people have dealt innovatively
with the battered space, transforming
it into a highly interesting area that defies the
current tendency toward homogenization and
must be considered one of the region’s genuine
strengths.
MARKUS AMBACH
1| The circus has a variety of ways to present man’s
dominance over the world: for instance, dominance
over fauna through animal training, dominance over
the body through acrobatics, and dominance over the
world of things through juggling. Even the magical is
included, in the form of magic acts.
84

85

MARTIN PFEIFLE & WANDA SEBASTIAN
EICHBAUMGOLD
An der U-Bahnstation Eichbaum residiert seit dem Projekt Eichbaumoper
von raumlaborberlin noch immer die Opernbauhütte, eine Containerarchitektur,
die nach zahlreichen spektakulären Nutzungen nun
verwaist und in die Jahre gekommen ist. Sie stellt an diesem prekären
Ort die Frage nach der Wirkungsweise und Sinnfälligkeit dauerhafter
künstlerischer Interventionen im öffentlichen Raum: Kann sich ein
auch noch so erfolgreiches Projekt über die Dauer im wechselhaften
Stadtraum halten, wenn die künstlerische Fürsorge für Nutzung und
Bespielung turnusgemäß abreißt? Gelingt es, bei den Bewohnern ein
dauerhaftes Interesse für einen solchen Möglichkeitsraum zu schaffen?
Finden sich langfristig Träger und Nutzer für solche Orte, die gerade
für Jugendliche interessant sind, deren Interesse aber naturgemäß von
begrenzter Dauer ist?
Dass sich die beiden Künstler Wanda Sebastian und Martin Pfeifle auf
ganz bildhauerische Weise diesem Ort, seiner Bedeutung, Geschichte
und der Architektur, aber auch den in ihn eingeschriebenen Fragen
annahmen, verweist auf eine neue Offenheit im künstlerischen Dialog.
Der direkte Zugriff auf die Arbeit von raumlaborberlin, die der Neuinterpretation
gerne Raum gaben, erlaubt in einem Joint Venture eine
Aktualisierung der Arbeit unter neuen Vorzeichen. Wanda Sebastian
und Martin Pfeifle tauchten das gesamte Gebäude in einem zügigen
wie markanten Wurf komplett in Gold, was Assoziationen mit Legenden
wie Fort Knox und Goldfinger an diesem Un-Ort des öffentlichen
Nahverkehrs anregt. Die Technik des Flashens, die der auch hier aktiven
Graffiti-Szene entnommen ist, unterstützt die schnelle Leichtigkeit
und Kontextualität des Entwurfs. Die lockere Umtitulierung von Eichbaumoper
zu Eichbaumgold im Westernstil unterstreicht die pionierhafte
wie prognostizierte Meisterschaft des Orts und fragt nach ihren
Qualitäten. Mit Farbe und Titel besorgen sie schnell, leicht und zielgenau
eine gewagte Aufwertung der brutalistischen Architektur wie auch
der in die Jahre gekommenen Opernbauhütte. Gleich einem wertvollen
Barren erscheint die Station inmitten des unablässigen Verkehrsflusses
von A40, U-Bahn und den Fly-overs auch schon mal als goldener
Tempel im dschungelartigen Brachlandgrün. Bei aller Leichtigkeit des
Wurfs stellt die Arbeit aber dennoch profunde Fragen an das Geschehene,
die Qualität des Orts und besonders seine zeitliche Determinierung.
Suchte raumlaborberlin noch nach langfristigen Lösungen für diesen
Durchgangsort, widmet sich Eichbaumgold dem Temporären in ausgesuchter
Weise. Die dauerhaft nicht zu haltende Außenstation im grauen
Großstadtdschungel verliert ihren aufscheinend goldenen Glanz schon
bald und verfällt exakt im Laufe der Ausstellung zu metallischem Grau.
Damit schlagen die Künstler eine Bresche für das Temporäre, wohl wis-
send, dass es nicht die Kunst sein kann, die einen solchen Ort saniert.
Diesen als lokal besonders, architektonisch eigensinnig und das Umfeld
als unerwartet wertig wahrzunehmen, bleibt ein Angebot – nicht
mehr und nicht weniger. Die Arbeit plädiert damit für eine ausgewogene
86

Selbsteinschätzung von Kunst im öffentlichen Raum, die sich mit den
früheren Zielen (produktiv) konfrontiert. Auch das für eine Weile auf
dem Bahnsteig auftauchende Medaillon plädiert für das Ephemere und
Lokale. Zur Eröffnung wurde die goldene Plattform zur Bühne für die
Tänzer des Ruhr-Casino e. V., einem Tanzsportverein, der direkt an der
A40 in Bochum residiert. Mit ihrer Darbietung im Bereich Latein verwandelten
sie die Schwere des Orts kurzfristig in einen glamourösen
Moment der Leichtigkeit, in einen skurrilen Ballsaal, durch den die U-
Bahn rauscht. Mit spielerischer Leichtigkeit demonstrierte die Truppe,
die sich sonst in großen Sälen den professionellen Preisgerichten stellt,
die Fähigkeit zur Transformation des Aktuellen durch die unkonventionelle
Nutzung des Raums.
MARKUS AMBACH
87

88

EICHBAUMGOLD MARTIN PFEIFLE & WANDA SEBASTIAN
89

EICHBAUMGOLD Ever since raumlaborberlin’s project Eichbaumoper,
the Opernbauhütte has resided at the Eichbaum subway station. It is an
aging piece of architecture made up of containers, which was abandoned
after being used many times for spectacular performances. In this precarious
place, it raises the question about the effects of permanent artistic
interventions in public spaces and the sense in doing them. Can
even a very successful project last in a changing urban environment,
when the artists that care for it, use it, and produce events there according
to schedule are yanked away? Is it possible to persuade the residents
to take a lasting interest in this kind of space and its potential? Is it
possible to find permanent sponsors and users for these kinds of places,
which are particularly interesting to young people, even though their interest
naturally does not last long?
The fact that the two artists Wanda Sebastian and Martin Pfeifle have
chosen a sculptural way to take on this site, its significance, history,
architecture, and the questions inscribed in it, points out a new sense of
openness in the artistic dialogue. The direct intervention in raumlaborberlin’s
work – who were glad to give room to the new interpretation –
allowed the joint venture to update the work under new auspices.
In a swift, remarkable action, Wanda Sebastian and Martin Pfeifle immersed
the entire building – completely and all over – in gold, evoking
allusions to legends such as Fort Knox and Goldfinger in this non-place
full of public regional transportation. Flashing, a technique borrowed
from the graffiti scene, also active here, supports the design’s rapid ease
and context. Casually changing the name of the work from Eichbaumoper
to Eichbaumgold, written in western style, underscored the pioneering
and prognosticated bravura of the place, while inquiring into its qualities.
With paint and title, they quickly, easily, and precisely managed a
daring upgrade of both the Brutalist architecture, and the aging Opernbauhütte.
The station looks like a valuable gold ingot amid the incessant
flow of traffic on the A40, the subway, and the flyover – or sometimes
like a golden temple in the jungle-like, uncultivated greenery. Despite
the ease of this action, the work still poses profound questions about
what has happened here, about the qualities of the place, and especially
about how time will determine its fate. While raumlaborberlin looked for
permanent solutions for this transit station, Eichbaumgold is deliberately
dedicated to the temporary. Outside in the gray jungle of the big city,
the station soon lost its golden sheen, and over the course of the exhibition,
turned a metallic gray. Here, the artists created an opening for the
temporary, well knowing that art cannot be responsible for renovating
a place like this. They simply allowed people to perceive the place as
something special in the locale, something architecturally idiosyncratic,
showing the environment as unexpectedly valuable – no more, and no less.
In this way, the work made a plea for a balanced self-assessment of
public art, through a productive confrontation of earlier goals. The
medallion that appeared briefly on the train platform was also a plea
for the ephemeral and the local. At the opening, the golden platform
became a stage for the dancers from the Ruhr-Casino e. V., a competitive
ballroom dance club located directly on the A40 in Bochum. With
their performance of Latin dance, they took the surrounding heaviness
and transformed it into a glamorous moment of poise, turning
the place into a quirky ballroom with a subway rushing through it. With
a playful sense of ease, the troupe – which normally performs in big
halls at professional competitions – demonstrated their ability to
transform the current reality through their unconventional use of the
space.
MARKUS AMBACH
90

91

92

EICHBAUMGOLD MARTIN PFEIFLE & WANDA SEBASTIAN
93

94

95

GABRIELA OBERKOFLER
BUGGELKRAXE
Gabriela Oberkofler kommt aus Jenesien, einem kleinen Ort auf der
Alm in Südtirol. Während andere am internationalen Image arbeiten
und zwischen London, Paris und Tokio pendeln, interessiert sie sich seit
Langem für Begriffe wie Heimat, Herkunft und die eigene Geschichte.
Dass Südtirol auch politisch brisante Hintergründe hat, ist zumindest
denen bekannt, die sich ein wenig mit der Gebirgslage am Rand der Dolomiten
beschäftigt haben. Mit der Italianisierung im Zweiten Weltkrieg
setzte sich für das bergige Land ein eigener Leidensweg fort, der bereits
um die Jahrhundertwende begonnen hatte. Der Verlust der eigenen
Identität und Sprache brachte ein widerständiges Bergvolk zwischen
nationalistischen und anarchistischen Tendenzen hervor, wie man es
selten findet. Während die Italiener die Täler mit Fabriken und Gastarbeitern
aus Sizilien (und die Landschaft durch Pflanzung von Zypressen)
zu italianisieren versuchten, hielten sich hoch auf den Bergen die Südtiroler
Partisanen. Bei den erbitterten Widerstandskämpfen spielten
die Gasthöfe als konspirative Treffpunkte der Einheimischen eine wichtige
Rolle. Hier wurde im Geheimen nicht nur Politik gemacht und der
Widerstand organisiert, sondern im Hinterzimmer auch die verbotene
Landessprache unterrichtet. Dass Gabriela Oberkofler von solch einem
Hof kommt, auf dem im Gasthaus Hirschenwirt noch heute allsonntäglich
die Dorfpolitik gemacht wird, mag für ihre Arbeit nicht unbedingt
ausschlaggebend sein. Die Geschichte verbindet allerdings das heimatlich
anmutende Œuvre an Traditionellem wie Dirndl, Akkordeon und
Buggelkraxe, das Oberkofler gerne nutzt, mit einem subtil politischen
Subtext. Die Bedeutung der Heimat wird durch die Migration der Künstlerin
vom lokalen Ort jenseits der Peripherie ins globale Zentrum nach
Stuttgart in einen ambivalenten Zusammenhang von Herkunft, doppeltem
Identitätsverlust und internationalem Kunstdiskurs gestellt.
Die Arbeit bei B1|A40, bei der Gabriela Oberkofler eine Nachbildung ihres
Heimatdorfs als skulpturales Gepäck aus Obstkistensperrholz unter
Verwendung eines traditionellen Lastengestells, einer Buggelkraxe,
auf dem Rücken trug, transportiert diese Ambivalenz des Lokalen
hinaus in die Welt. Die Künstlerin schleppte ihre eigene Geschichte mit
Kirchturm, Hof und Stall in die Fremde, in der sie Ballast, Bezugspunkt
und Identität zugleich wurde. Ob im Dirndl ganz nah am autochthonen
Kulturgut oder im magentafarbenen Arbeitsdress der international
agierenden Künstlerin an der A40 – der Begriff der Heimat transformiert
sich in Arbeit, Performance, Ort und Person zum globalokalen
Spannungsfeld. Das Fremde, das aktuell im Ruhrgebiet in Form des
Konflikts um Zuzug und Migration aus Osteuropa wieder dramatisiert
wird, rückt in erstaunliche Nähe. Denn das Dörfliche, Sesshafte, Lokale,
das dem heimatlosen (wie unfreiwilligen) Nomadentum der Migranten
gegenüberzustehen scheint, wird während Oberkoflers Wanderung
entlang der A40 von Duisburg bis Dortmund genauso fremd wie eigen.
Während das Dorf die Fly-overs des Autobahnkreuzes Kaiserberg unterquert,
sich am Dückerweg zwischen Autotuning, Seats and Sofas und
Stoßverkehr wiederfindet oder seine Silhouette mit der Skyline Dortmunds
konfrontiert, verschmelzen all die Begriffe in der Figur desjenigen,
der fremd und zu Hause zugleich ist, der das Neue sucht und das
Eigene findet, der auf der großen Straße seine Heimat hat. So rücken
Migration und Herkunft, das Eigene und das Fremde, das Lokale und
das Globale wieder in eine taktile Nähe, in der die Differenz nicht zwei
Antagonisten ausweist, sondern eine emphatische Beziehung und den
Austausch beider konstituiert.
Dass Gabriela Oberkofler nach ihrer Reise ein Zuhause auf dem Heißener
Hof in Mülheim fand, ist dabei nicht verwunderlich. Der Bauernhof
im Familienbetrieb, der sich der Vertreibung durch die A40 erfolgreich
im Generationen übergreifenden Schulterschluss mit Landwirtschaft,
Bauernladen und Landmetzgerei widersetzt hat, zeigt Analogien zur
Herkunft des Gasts aus den fernen Bergen. Die Ähnlichkeit der Taktiken,
mit denen sich auch im Ruhrgebiet die Anwohner gegen die Enteignung
der Heimat durch Industriekultur, Autobahn oder Strukturwandel
stemmen, erzeugt hier eine ungeahnte Nähe zum Fremden, das heute
wieder einmal in Verruf zu geraten scheint.
Die sprichwörtliche Gastfreundschaft, die Oberkoflers Arbeit auf dem
Dach des Kaninchengeheges erfuhr, ist dabei beidseitig: Die Tauben
nutzen die Häuser des Dorfs gerne als willkommene Erweiterung ihres
Schlags, der sich direkt über dem Dorf befand, während Klein-Jenesien
sich über den Zuzug der Fremden freute. Die Bilder ihrer Performance
entlang der A40, die nur die lokalen Protagonisten dieses unwirtlichen
Raums im alltäglichen Hin und Her des Verkehrs live verfolgen konnten,
zieren nun die Wände der neu gestalteten Scheune, in der die Einheimischen
und ihre Gäste jetzt und in Zukunft ihre globalokalen Feste
feiern.
MARKUS AMBACH
96

97

ol has a politically controversial past. When it
became part of Italy during World War II, the
alpine land continued on a path of suffering
that began around the turn of the century. The
loss of their own identity and language evoked
rarely seen tendencies, ranging from nationalism
to anarchism, in a resistant highland folk.
While the Italians sought to make the valleys
more Italian with factories and guest workers
from Sicily (and planting cypress trees in the
landscape), the South Tyrolean partisans kept
to the mountains. During the bitter resistance,
inns played an important role by becoming
meeting places for local conspirators. Here,
people not only played politics and organized
the resistance, but also taught the region’s forbidden
language in back rooms.
That Gabriela Oberkofler comes from this
kind of a place, where village politics are still
practiced at the Gasthaus Hirschenwirt every
Sunday, may not necessarily be all that crucial
to her work. History, however, links her homeland-oriented
oeuvre, which contains traditional
things Oberkofler likes to use – such as
dirndls, accordions, and Buggelkraxe (a kind of
wooden framework carried on the back) – with
a subtly political subtext. By migrating from
her hometown beyond the periphery to Stuttgart,
an international center, the artist placed
the meaning of home in an ambivalent context
made up of the notion of heritage, a double loss
of identity, and the international art discourse.
In her work for B1|A40, Oberkofler made a model
of her village out of fruit crates and turned it
into sculptural luggage, placing it on a Buggelkraxe
– the traditional backpack frame. In this
way, she transported the ambivalence about
the local out into the world. The artist carried
her own history, complete with church, farm,
and stable, out into foreign lands, where it became
ballast, reference point, and identity all
at once. Whether wearing a dirndl very much
like an autochthonous cultural artifact, or in
the magenta-colored work clothes of an international
artist on the A40, she transformed
the concept of homeland through work, performance,
site, and person into an intriguing
field located in between the poles of global and
local. The foreign – a theme currently being
dramatized once again in the Ruhr District in
BUGGELKRAXE Gabriela Oberkofler comes
from Jenesien, a small town in the South Tyrolean
mountains. While others work on their
international images, commuting from London
to Paris to Tokyo, she has long been interested
in concepts such as homeland, heritage, and
her own history. Those who have had at least
a little to do with the mountainous region on
the edge of the Dolomites know that South Tythe
form of conflict over migration from Eastern
Europe – moves into astonishingly close
proximity. In apparent contrast to the homeless
(and involuntarily so) state of migrants,
what is provincial, settled, and local came to
seem just as strange as it was familiar during
Oberkofler’s hike along the A40 from Duisburg
to Dortmund. When the village passed below
the flyover at the Kaiserberg junction, or found
itself on the Dückerweg among the auto-tuneup
workshop, Seats and Sofas, and rush-hour
traffic, or when its silhouette was confronted
with Dortmund’s skyline, all of these words
melted into the figure who is both a stranger
and at home, who is looking for the new and
finds something of her own, the person whose
home is on the great highway. Thus, migration
and heritage, oneself and the Other, the local
and the global shift into a tactile state of closeness
in which difference does not identify two
antagonists, but a firm relationship and exchange
constitute both.
It’s no wonder that, after her journey, Gabriela
Oberkofler found a home at the Heißener Hof in
Mülheim. The family farm – which has resisted
being driven out by the A40 by closing ranks
over generations and continuing to farm while
also operating a farm stand and butchery –
bears obvious analogies to the background of
its guest from the far-away mountains. The
similar tactics used by residents of the Ruhr
District to prevent their land from being confiscated
for industry, the autobahn, or changing
infrastructure, creates an undreamt-of sense
of closeness to the foreign, which once again
seems about to fall into disrepute. The literal
hospitality that Oberkofler’s work found on the
roof of the rabbit hutch is double-sided: doves
liked to use the houses in the model village as
a welcome addition to their dovecote, located
directly above the village, while Little Jenesien
is pleased that strangers have moved in. The
pictures of the artist’s performance along the
A40 – which could only be followed live by the
local protagonists of this inhospitable place
amid the everyday back-and-forth of traffic –
now decorate the walls of the newly renovated
barn, where locals and their guests will celebrate
their global/local festivals, both now and
in the future.
MARKUS AMBACH
98

99

100

101

CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
... FLIEG VOGEL FLIEG ...
„Flügge werden, nomadisches Leben, (gezwungene) ständige Mobilität,
Arbeitsmigration, prekäre Lebensverhältnisse, keine Zukunftschancen
… ausgesetzt sein, fort müssen … ohne zu wollen … Wanderschaft ...“,
so Christine und Irene Hohenbüchler zu ihrem „Hüttendorf“ in unmittelbarer
Nachbarschaft der unüberbietbar öden Haltestelle Eichbaum
auf der Strecke Essen-Mülheim. Irgendwo nahe der A40 gelegen, deren
Schönheit das übergreifende Projekt von der großen Straße feierte, ist
es nur eine unter den vermeintlichen Schlagadern der Mobilität, die die
alten Routen der Roma durch den Duisburger Ortsteil Werthacker blockieren.
Dem Vernehmen nach haben inzwischen 35 000 Sinti und Roma einen
festen Wohnsitz – und mehrheitlich auch einen Arbeitsplatz – in der
Rhein-Ruhr Region. Etwa 70 000 von 120 000 Sinti und Roma besitzen
einen deutschen Pass, sind mithin Staatsbürger. Sie alle haben, anders
als in mitfühlend romantisierenden wie in verachtend kriminalisierenden
Vorstellungen geläufig, rein gar nichts mit dem fahrenden Volk,
schlimmer Gesindel, gemein.
Und doch haben die Künstlerinnen ihnen „nur“ ein temporäres Lager
eingerichtet. Der Platz könnte idyllischer nicht sein. Ein Feld zwischen
Verkehrsknotenpunkt und reich begrünter Stadtrandsiedlung, auf dem
ein Bauer immer noch sein Getreide aussät, beherbergte sieben bei aller
Simplizität des Materials ebenso edle wie fragile architektonische
Skulpturen, Formen zwischen Wanderhütte, Pavillon, Taubenhaus und
Vogelfutterstelle – Lattenkonstrukte auf geometrischen Grundrissen,
die über Jahrhunderte in allen Kulturen nützlichen ebenso wie kultischen
Zwecken dienten. In deren hier und da von traditionsreichem
Korbgeflecht geschütztem Inneren liegen Masken – mal auf dem Boden,
mal auf spärlichem Mobiliar. Ein einziges Haus gibt seine Funktion zu
erkennen: das Taubenhaus.
Dass es hier nicht um die verklärte Sonnenseite der in Liedern, Mythen,
Opern und Operetten lustig lustvoll gefeierten Freizügigkeit des
„Zigeunerlebens“ geht, lassen die handschriftlichen Texte auf den
Behausungen unschwer erkennen. Historische Edikte aus vordemokratischen
europäischen Gesellschaften und nicht allzu weit zurückliegende,
gleichwohl erfolgreich verdrängte Einzelschicksale aus der
unmittelbaren Nachbarschaft fügen sich je nach Platzierung hier zu
mehr oder minder zusammenhängenden Texten, dort zu ornamental
anmutigen Schriftbändern auf den ohnehin verführerisch beschwingt
im Getreidefeld gelandeten Hütten. Umso verwirrender ihre Botschaft:
Ihre die individuellen Behausungen umlaufenden Bruchstücke vernetzen
sich weder im Positiven noch im Negativen zu einer vollständigen
Erzählung. Etwa diese auf einem schlichten, rechteckigen Gehäuse:
„Die Sinti als ... dienten in vielen Edikten der absolutistischen ...“, oder
„... in Duisburg wurde z.B. ... ein Autoschlosser und Soldat, der mit einer
‚Arierin‘ verheiratet war und ihre sieben ...“. Die Fortsetzung folgt
um die Ecke des ob seines Grundrisses – ein Hexagon – nachgerade
edel anmutenden Pavillons. Und dann die immer noch nicht geklärte
Namensgeschichte der „Zigeuner“, die sich genau genommen erübrigt,
weil die Fremdbezeichnung nach langem Ringen der Betroffenen mit
der Mehrheitsgesellschaft aus dem Alltagsgebrauch verbannt wurde.
Ob das Verschwinden eines mit den traurigsten Kapiteln dieses Volkes
verknüpften Namens auch nur irgendetwas zur Aufwertung der über
Jahrhunderte diskriminierten Ethnie beitragen kann, ist bislang schwer
absehbar. Wer reagiert wie, wenn er liest „... Zigeuner ... wahrscheinlich
vom griechischen Wort atzinganoi (Unberührbare) abgeleitet ...“?
Und wie wäre es, einmal die deutsche Übersetzung ausblendend, eine
Brücke von der möglichen Herkunft aus der uralten Kultursprache der
Griechen, genauer der Byzantiner, zu der nicht minder alten Kulturgeschichte
der Roma zu schlagen? Oder wahrzunehmen, dass „der Autoschlosser
und Soldat“, dem die verwerfliche Hochzeit mit einer „Arierin“
zum Verhängnis wurde, selbst auf seine indo-arischen Wurzeln
verweisen könnte, wenn er denn nicht – wie anzunehmen – Opfer des
germanischen Rassenwahns geworden sein sollte.
„... flieg Vogel flieg ...“, drei für Nicht-Insider wie das Echo eines Liedes
aus fernen Kindertagen klingende Worte zieren die Frontseite des
Taubenhauses. Kenner des Ruhrgebiets wissen, dass Brieftauben und
Kumpel hier eine unverbrüchliche kulturelle Gemeinschaft bilden. Aber
Roma und Sinti?
Selbst jene, die von sich annehmen, dass sie allen Fremden mit größtem
Wohlwollen begegnen, fehlt es wohl an jenem Wissen, das als Fundament
jeglichen Zusammenlebens geboten wäre. Die mal verklärten,
mal verfemten „Zigeuner“ leben hier, mit festem Wohnsitz, seit Jahrhunderten.
Gegebenenfalls auch mit Brieftauben, jenen Boten, die seit
eh und je – vormals auch in Kriegszeiten – Kommunikation über unüberwindlich
scheinende Grenzen hinweg ermöglichen. Die mentalen Grenzen
aus den Gefilden des Nicht-Wissen-(Wollens)s dürften unter diesen
ohnehin die härtesten sein.
Für Christine und Irene Hohenbüchlers Werk ist kreative Koproduktion
in breit gestreuten sozialen Kontexten von Kindern über soziale
„Randgruppen“ bis zu Künstlerkollegen elementar. Für das Lied von der
Schönheit der großen Straße haben sie diese mit Brieftaubenzüchtern,
dem jungen Roma-Theater unter der Leitung von Nedjo Osman und einem
Vortrag von Merfin Demir vom Verein Terno Drom e. V. – Sinti-und
Roma-Jugend NRW derart intensiviert, dass die in Kunst und Gesell-
102

103

104

105

schaft beliebten Theorieschneisen – kreativ, sozial, high, low, naiv, intellektuell,
originell – wohl in Sackgassen enden. Persönliche Lebensgeschichten,
Volkserzählungen, Musik und Tanz verwebten sich mit den
Vorträgen und Diskussionen auf dem sommerlich gelben Feld inmitten
des Hüttendorfs zu einer ebenso beschwingten wie hintergründig subversiv
collagierten Aufführung derer, die sich mit den Masken aus den
Hütten schützen. Vor wem? Könnten es jene aus der sich selbst erhaben
dünkenden Mehrheitsgesellschaft sein, welche die Maskierten erst zu
dem gemacht hat, was sie genau genommen nicht sind und nicht sein
wollten? Schausteller, Bittsteller, mobile Dienstleister, Vogelfreie,
kurzum fahrendes Volk, das man – im günstigsten Fall – davonjagt, im
weniger günstigen Fall – vernichtet.
Die Beteiligten, die Schauspieler und auch der Regisseur, sind Ortsansässige
aus der Region. Nach Ausbruch des Balkankriegs kam Nedjo
Osman als erster ausgebildeter Roma-Schauspieler mit dem inzwischen
legendären Pralipe-Theater an das städtische Theater Mülheim
an der Ruhr, gründete 1996 mit TKO eine eigene Spielstätte in Köln, aus
der inzwischen das erste Europäische Roma Theater hervorgegangen
ist. Zu dessen Repertoire zählt zum Beispiel auch die 2009 aufgeführte
Opera Nomadi. „Es geht um die Tragödie einer Minderheit und eine
Konfrontation mit ihren Gefühlen als ‚Nomadi‘“. Was in Deutschland so
lange unter den Tisch gekehrt wurde, bis sich mit dem Zerfall der doch
allseits verteufelten kommunistischen Zwangsherrschaft die „Nomadi“
neuerlich auf den Weg machen müssen. Im glücklichen Fall sind die Vertriebenen
Neubürger, die ihre über Jahrhunderte in Europa verwurzelte
Kultur „spielend“ verteidigen – wie hier gemeinsam mit Nedjo Osman
als Botschafter der Freizügigkeit zwischen den Taubenhäusern und ihren
transparenten, noch fragilen und traurig schönen Behausungen.
... Flieg Vogel flieg ... vielleicht ist es eine Frage der Generationen, in welcher
Weise sich diese drei harmlosen Worte im je individuellen Denken
mit dem Bild der Roma kurzschließen, von denen die mal abgehackten,
mal ausführlicheren Texte auf den Latten berichten. Sie waren hier, sie
sind hier – sesshaft, wenn sie nicht gerade wieder vertrieben werden.
Auch die in vielen Liedern besungenen Zugvögel kommen immer wieder.
... Flieg Vogel flieg ... Verkehrstrassen, ob Straßen, Autobahnen, Bahnoder
U-Bahngleise, lassen sich orten und überfliegen. Wenn auch die
mentalen Blockaden verschwinden, wird das ferne Echo all der Erzählungen
und Mythen über die „Nomadi“ anschwellen zu einem Lied von
der Schönheit der großen Straße für Reisende, seien sie Roma oder andere
Zugvögel, auf der Suche nach der großen Freiheit des Bleibens und
Gehens. Sentimental! Vielleicht. Die Hütten sind wieder eingelagert,
zweckfreie Skulpturen, stillgestellt. Nicht so das verstörend schöne
Bild eines uneingelösten Versprechens.
ANNELIE POHLEN
... FLY BIRD FLY ... “Leaving one’s nest, nomadic life, (enforced) permanent
mobility, labor migration, precarious living conditions, no future
prospects ... being exposed, having to go ... without wanting to ... peregrination
...”, thus Christine and Irene Hohenbüchler apropos of their
“hut village” in the immediate vicinity of the supremely dreary Eichbaum
station on the line Essen-Mülheim. Located near the A40 whose beauty
is celebrated by the comprehensive project about the grand road, it is
only one of the self-proclaimed arteries of mobility which are blocking
the ancient routes of the Romani people across the Duisburg district of
Werthacker.
It is said that currently some 35 000 Roma have their permanent residence
– and in most cases also a job – in the Rhine-Ruhr region. Around
70 000 out of the 120 000 Roma are holding a German passport and are
thus German nationals. Contrary to compassionately romanticizing or
despisingly criminalizing popular notions, they have nothing at all in
common with the traditional conception of deceitful tinkers.
Nevertheless, though, the artists have installed a “merely” temporary
campsite for them. The site itself is an idyll pure and simple. Located in
between the traffic junction and a lushly green suburb, a field on which
the farmer is still sowing his grain accommodated seven sculptures,
precious-looking in spite of the simplicity of the materials used but
also fragile architecturally; their forms evoke associations of shelters,
pavilions, dovecotes and bird feeders – constructions made of wooden
slats with geometrical ground plans which were used by many cultures
through the ages for both ordinary and religious purposes. In their interiors,
in several places covered with traditional basketwork, masks
have been placed – some on the floor, some on the sparse furniture.
There is only one house whose function can be clearly discerned: that
is the dovecote.
Handwritten texts displayed on the walls of the huts indicate that the installation
is not about the romanticized sunny side of the “gypsy life”, any
notion of a freedom to roam the world popularly ascribed to them and
celebrated in countless songs, myths, operas and operettas. Historical
edicts from pre-democratic European societies and accounts of quite
recent individual fates from the immediate vicinity, which have been successfully
banished from public consciousness, provide the basic materials
for more or less coherent texts or ornament-like scrolls displayed on
the huts playfully dotting the cornfield. Their message, however, proves
confusing: the fragments encircling the individual huts are nowhere
merging in a comprehensive, unbroken narrative, but rather preserve
their disjointed state pointing towards neither a positive nor a negative
interpretation. Thus, the script on a plain rectangular building reads: “In
many edicts of the absolutist.... the Sinti served as...”. In another place,
the visitor is left with the following: “...in Duisburg, for example,... a car
106

Junges Roma-Theater Lolo Bashno unter der Leitung
von Nedjo Osman in Kooperation mit youth Roma
theater Lolo Bashno directed by Nedjo Osman in cooperation
with Christine und Irene Hohen büchler
und Terno Drom e. V. mit Bajram Mehmed, Muarem
Musli, Djemsit Garip, Boris Stojkovic und Jusuf Alil.
mechanic and soldier with an ‘Aryan’ wife and their seven... where...”
The fragmented sentence is continued around the corner of the quite
stylish hexagonal pavilion. Then one comes upon an allusion to the linguistic
and social history of the term “Zigeuner” (gypsies), whose exact
details are still unclear but which is negligible, strictly speaking, as this
exonym has been banished from ordinary use after a prolonged struggle
between the victims of this ascription and society in general, if also
it is still unclear whether the vanishing of a term linked with the most
devastating experiences of this people might actually prove a material
contribution to the revaluation of an ethnic group which has been discriminated
against for centuries. What will be the reaction to the statement
“... Zigeuner ... probably derived from the Greek word atzinganoi
(intouchables)...?” How about making an attempt, disregarding the German
translation, to interrelate the putative origins in an ancient cultural
language – that of the Greeks, or rather the Byzantines – with the no
less ancient cultural history of the Roma? Or perceiving that the “car
mechanic and soldier”, obviously threatened by his reprehensible marriage
to an “Aryan”, might have replied by referring to his own Indo-
Germanic origins had he not been – as is probable indeed – doomed by
Germanic racial fanaticism? “... fly bird fly ...”: three words which to noninsiders
sound like echoes of a nursery rhyme reminding them of their
long-gone childhood days are emblazoned on the dovecote’s front; those
familiar with the Ruhr region know that carrier pigeons and miners here
are part of the same cultural matrix. But where do the Roma and Sinti
fit in?
Even those who think themselves empathetically disposed to all that is
alien will probably lack the intimate knowledge required as a fundament
for any cultural coexistence. The “gypsies”, by turns romanticized and
ostracized, have been living here for centuries, have been residing here
permanently, and in some cases they have also bred carrier pigeons,
those messengers which have, since time immemorial, made it possible
to communicate across boundaries which were deemed impenetrable,
not least in times of war. Among these boundaries, the mental ones located
in the zone of unknowing (both accidental and intentional) might
prove the hardest ones to overcome.
The creative co-production in various social contexts, ranging from children
to marginalized social groups to fellow artists, is an elementary
aspect of the work of Christine and Irene Hohenbüchler. For the song
about the “beauty of the grand road”, they have intensified the collaboration
with carrier pigeon breeders, the budding Roma theater directed
by Nedjo Osman, and Merfin Demir of the association Terno Drom e. V. –
Sinti-und Roma-Jugend NRW, to a point where the theoretical concepts
beloved by the art world and society in general – creative, social, high,
low, naive, intellectual, original – are bound to come up against a wall.
Private histories, folk narratives, music and dance were, in the summer
atmosphere on the yellow field in the middle of the little village, interwoven
with lectures and discussions into a stage production, both playful
and subtly and subversively collaged, mounted by those who are taking
shelter behind the masks deposited in the huts. Taking shelter from
whom? Maybe from those members of the social majority who, thinking
themselves exalted, have in the first place made the masked players into
what they never wanted to, or were meant to, be? Travelling performers,
mendicants, mobile providers of various services, outlaws – travelers,
in short, who are chased off the premises if they are lucky, and exterminated
if they are not.
All those participating in the project, the actors as well as the director
are hailing from the region. In the wake of the Balkan war, Nedjo Osman,
as the first trained Roma actor, arrived at Städtisches Theater Mülheim
an der Ruhr with the by now legendary Pralipe theater; in 1996 with
TKO, he founded his own theater in Cologne which in the meantime has
spawned the first European Roma Theater. Its repertoire also includes
the Opera Nomadi, which was premiered in 2009; “it is about the tragedy
of a minority and the confrontation with their own individual emotions
as ‘nomadi’;” about what had been covered with a blanket of silence in
Germany until the demise of the despised communist regimes forced
the “nomadi” to once again set out to a foreign land. If everything works
out, those who had been expelled are transformed into new inhabitants
“playfully” defending their culture which has been rooted in Europe for
centuries – such as was the case here, with Nedjo Osman as an envoy of
the freedom of movement, in between the dovecotes and their transparent,
fragile habitations marked by a melancholy beauty.
“... Fly Bird Fly ...“ Perhaps any reaction to this innocent snatch of song,
the way it will be related to the image of the Roma alluded to by the various
texts inscribed on the latticework of the huts, will invariably depend
on the generation the respective beholder belongs to. They have been
here, they are here now – permanent residents, unless they are once
again expelled, keeping on coming back like the migratory birds of the
songs.
“... Fly Bird Fly ...” Transport routes, irrespective of whether they are
roads, motorways, railway or subway lines, can be located and crossed
by flying over them. Once the mental blocks have finally vanished as
well, the faint echos of all the narratives and myths about the “nomadi”
will maybe surge into a song about the beauty of the grand road for all
travelers, both Roma and other migratory birds, looking for the ultimate
freedom of staying and leaving. Sentimental? Probably. The huts have
once again been put into storage, purposeless sculptures, immobilized.
Yet what lives on is the disturbingly beautiful image of an unfulfilled
promise.
ANNELIE POHLEN
... FLIEG VOGEL FLIEG ... CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
107

108

... FLIEG VOGEL FLIEG ... CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER 109

ROMA
EINE EUROPÄISCHE MINDERHEIT!
Roma werden oftmals nur als Randgruppe
mit einer Vielzahl sozialer Probleme wahrgenommen,
jedoch bilden sie mit mehr als zehn
bis zwölf Millionen Menschen die größte Minderheit
Europas. 1 Aber wer sind eigentlich die
Roma? Zunächst ist festzuhalten: Die Menschheitsgeschichte
kennt eine nicht geringe Zahl
von Migrationsprozessen. Zu den bekanntesten
gehört die Völkerwanderung. Zu den Ursachen
solcher Wanderungsbewegungen gehören unter
anderem Krieg und Hungersnöte, die auch
als abstoßende Faktoren bezeichnet werden –
110

aktuellstes Beispiel ist die Auswanderung von
Syrern. Demgegenüber gibt es anziehende
Faktoren wie bessere Lebensbedingungen im
Einwanderungsland – zeithistorisches Beispiel
ist die Einwanderung von Gastarbeitern
nach Deutschland. Daher ist es selbstverständlich,
dass genau diese anziehenden und
abstoßenden Faktoren Ursachen für die historische
Migration der Roma waren wie auch für
die aktuelle Emigration osteuropäischer Roma
sind. Auch wenn bestimmte politische Akteure
offiziell wie auch inoffiziell behaupten wollen,
dass diese Minderheit nomadisch sei. Vielmehr
versuchen gerade Endscheidungsträger sich
hierdurch der politischen Verantwortung zu
entziehen. Denn Menschen, die als nomadisch
stigmatisiert werden, gelten als Durchwanderer,
für die es keiner verantwortungsvollen Lösungsansätze
bedarf. Tatsächlich sind Roma
genauso Einwanderer, die als EU-BürgerInnen
das Recht haben, vom Teilhaberecht und dem
kommunalen Wahlrecht zu profitieren.
HISTORISCHER KURZÜBERBLICK Aufgrund
sprachlicher Übereinstimmungen des Romanes
(die Sprache der Sinti und Roma) mit den
nordwestindischen Sprachen gilt die historische
Herkunft der Roma aus Indien als gesichert.
Das Romanes hat seine Wurzeln im
Sanskrit, dem ,,Latein Indiens‘‘, und zählt wie
Hindi, Kurdisch und Persisch zu den nordwestindischen
Sprachen. Den wichtigsten historischen
Einschnitt erlebten die Roma durch den
afghanischen Fürsten Mahmud von Ghazni. 2 Er
eroberte im 11. Jahrhundert das nordwestindische
Punjab, Sindh und Rajasthan. Die dortige
Bevölkerung geriet in die Sklaverei oder
wurde vertrieben. Somit brach auch die Emigration
der Roma an, die sich schrittweise
immer mehr in den Westen verschob. In Europa
wurden sie zunächst geduldet. So erhielten
sie im Heiligen Römischen Reich sogar
königliche Schutzbriefe, was jedoch mit
den Reichstagen von 1496 und 1498 ein Ende
fand. Sie wurden angesichts der osmanischen
Expansion für vogelfrei erklärt, denn sie galten
nun als türkische Spione und Feinde der
Christenheit. Faktisch hieß es, dass sie nicht
sesshaft werden durften. Auch waren ihnen
Handwerksberufe, die sie aus dem nordwestindischen
Raum mitbrachten, verboten, da
sie eine Konkurrenz gegenüber den Zünften
darstellten. Im 18. Jahrhundert waren unter
Kaiserin Maria Theresia Ehen unter Roma
untersagt. Roma-Kinder nahm man ihren Eltern
weg, um sie christlichen Pflegeeltern zu
übergeben. Auch in Spanien gab es im gleichen
Jahrhundert Assimilationsversuche. Den dort
lebenden Roma war es untersagt, ihre Muttersprache
zu sprechen. Die Vernichtungspolitik
des nationalsozialistischen Regimes bildete
den brutalen Höhepunkt einer jahrhundertelangen
Verfolgungsgeschichte, die in einer
Diskriminierungspolitik des demokratischen
Deutschland mündete. So bekamen viele Sinti
und Roma nicht ihre deutsche Staatsangehörigkeit
zurück, weil unter anderem die vormals
im NS-Regime tätigen Beamten den Entzug
der deutschen Staatsangehörigkeit durch das
Dritte Reich für rechtens erachteten. Die Anerkennung
des Völkermords an Sinti und Roma
erfolgte erst in den 1980er-Jahren. Erst 2012
fand die Einweihung des Denkmals für die ermordeten
Sinti und Roma Europas nur etwa
50 Meter vom deutschen Reichstagsgebäude
entfernt statt. 3
ROMA IN DER GEGENWART Selbstverständlich
haben Roma im Verlauf ihrer Geschichte
neben ihrem historisch-indischen Erbe kulturelle
und sprachliche Elemente anderer Völker
und Länder aufgenommen. Daher kann mit
Bestimmtheit gesagt werden, dass Roma ein
pluralistisches Volk sind. Hinzu kommt, dass
ihre Lebenssituation oftmals davon abhängt,
inwieweit sie sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft
selbst positionieren können, um
das eigene Überleben und die eigene Identität
zu sichern.
In unserem demokratischen Zeitalter möchte
man meinen, dass lebensbedrohliche Situationen
ein Ende gefunden haben. Jedoch stellte
das EU-Parlament erst 2005 fest, dass Roma
Opfer ethnischer Säuberungen wie auch Vertreibungen
in den Nachfolgestaaten des ehemaligen
Jugoslawiens gewesen sind. Für die
neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien
stellt eine UNICEF-Studie fest, dass die dort
lebenden Roma zu einer nicht geringen Zahl
ohne Anbindung an die öffentliche Infrastruktur
leben. 4 Die populistische Form, Roma aus
Frankreich auszuweisen, kam nicht etwa von
einer rechtsextremen Gruppierung, sondern
von der bürgerlichen Regierung Sarkozys.
Ein Projekt jedoch wie B1|A40, an dem unsere
Jugendlichen durch ihre Theatergruppe beteiligt
waren, kann zu einer Korrektur in der
Wahrnehmung und Vorstellung über die Gruppe
der Sinti und Roma führen. Was aus meiner
Sicht auch Aufgabe von Kunst sein kann.
MERFIN DEMIR
1| Demir, Merfin/Rodríguez, Vicente/Caldarau, George/Elmazi,
Emran: „Die größte Minderheit Europas“,
in: Politik und Zeitgeschichte. Sinti und Roma, Bonn 2011.
2| Mahmud von Ghazni wird auf Hindi als Mahmud
Gadjni bezeichnet. Daher ist die gängigste Theorie,
dass sich Gadje als Bezeichnung für Nichtroma aus
Gadjni herleitet.
3| Dr. Djurić, Rajko/Becken, Jörg/Bengsch, A. Bertolt:
Ohne Heim, ohne Grab. Die Geschichte der Roma
und Sinti, Berlin 1996.
4|
[29.01.2015].
111

Merfin Demir ist Vorsitzender des Jugendverbands Terno
Drom e. V., der sich für die Integration junger Roma
einsetzt. In Kooperation mit ihm fanden eine Diskussion
zu Roma in der Vergangenheit und Gegenwart und
eine Aufführung des Roma Theaters Lolo Bashno statt.
Merfin Demir is the chairman of the Terno Drom e. V.
youth league, which supports the integration of young
Roma. The cooperation with Merfin resulted in a discussion
on the past and future of the Roma and a performance
of the young Roma theater group Lolo Bashno.
ROMA – A EUROPEAN MINORITY! Roma are often perceived as simply
a marginalized group with myriad social problems, yet they number
more than ten to twelve million people, and hence form the largest minority
in Europe. 1 But who are the Roma, actually?
First of all: the history of humankind is full of different periods of migrations.
Among the most familiar are the so-called Barbarian Invasions.
Some of the causes for migration are war and famine, which are also
called repellant factors – the most current example is the emigration
of Syrians. The opposite of these are attractive factors, such as better
living conditions in the immigrant country – a recent historical example
is the migration of guest workers to Germany. Therefore, it is natural
that both attractive and repellant factors caused the historical migration
of the Roma, as well as the current immigration of Roma from Eastern
Europe, even if certain political figures want to insist – officially and
unofficially – that this minority is a nomadic one. Decision-makers in
particular use this assertion to avoid political responsibility, because in
stigmatizing people by calling them nomadic, there is no need to come
up with any responsible solutions for people who are simply “passing
through.” In fact, though, Roma are immigrants, and as citizens of the
European Union, they have the right to benefit from participatory politics
and the right to vote.
A BRIEF HISTORICAL SURVEY Due to linguistic similarities between
Romany (the language spoken by Sinti and Roma) and northwestern Indian
languages, it is certain that the Roma originally came from India.
Romany’s roots are in Sanskrit, “India’s Latin,” and, like Hindi, Kurdish,
and Persian, it is one of the northwestern Indian languages. The Roma’s
most important historical watershed came with the arrival of Afghani
prince Mahmud of Ghazni. 2 He conquered the northwestern Indian territories
of Punjab, Sindh, and Rajasthan in the eleventh century. The populace
there was enslaved or exiled. Thus began the Roma emigration,
and they gradually moved westward step by step. They were initially
tolerated in Europe and even received royal letters of protection from
the Holy Roman Empire, but this ended with the Imperial Diets of 1496
and 1498. Confronted with Ottoman expansion, the Roma were declared
outlaw, for they were considered Turkish spies and enemies of Christendom.
What this meant, in fact, was that they were not allowed to settle
anywhere. The skilled trades that they brought with them from northwestern
India were also banned, since they posed competition for the
trade guilds. In the eighteenth century, under Empress Maria Theresia,
marriages among the Roma were forbidden. Roma children were taken
from their parents and put into Christian foster families. That same
century, attempts were made to assimilate the Roma in Spain, as well.
There, the Roma were forbidden to speak their mother tongue. The Nazi
regime’s extermination policy was the brutal apex of a centuries-long
history of persecution, which eventually led to discriminatory policies
in democratic Germany. Many Sinti and Roma did not have their German
citizenship reinstated, because, among other things, civil servants who
had previously served under the Nazi regime still considered the Third
Reich’s revocation of the Romas’ German citizenship legal. The country
did not officially recognize the genocide of Sinti and Roma until the
1980s. It was not until 2012 that the memorial to Europe’s murdered
Sinti and Roma was dedicated – only fifty meters or so from the German
Reichstag. 3
ROMA TODAY Naturally, aside from their historical Indian heritage, the
Roma have adapted cultural and linguistic elements from other peoples
and other countries over the course of their history. Therefore, it can be
said with certainty that the Roma are a pluralist people. In addition, their
living situations are often dependent upon how they can position themselves
with regard to the majority, in order to secure their own survival
and identity. In our democratic era, one might think that life-threatening
situations no longer exist. Yet, it was not until 2005 that the European
Parliament determined that Roma had been victims of ethnic cleansing
and persecution in the nations that once made up the country of Yugoslavia.
A UNICEF study ascertained that a large number of Roma living
in the new EU countries of Bulgaria and Romania have no connection
to public infrastructure. 4 The populist movement to deport Roma from
France did not originate with some right-wing extremist group, but with
Nicolas Sarkozy’s bourgeois government. However, a project like B1|A40
– in which our youth theater group participated – can lead to a correction
in the perception and ideas about the groups of Sinti and Roma. Which,
from my point of view, can also be a task for art. MERFIN DEMIR
1| Demir, Merfin/Rodríguez, Vicente/Caldarau, George/Elmazi, Emran: „Die größte
Minderheit Europas“, in: Politik und Zeitgeschichte. Sinti und Roma, Bonn 2011.
2| Mahmud of Gazni is known in Hindi as Mahmud Gadjni. Therefore, the most
common theory is that Gadje, the term for non-Roma people, is derived from Gadjni.
3| Dr. Djurić, Rajko/Becken, Jörg/Bengsch, A. Bertolt: Ohne Heim, ohne Grab. Die
Geschichte der Roma und Sinti, Berlin 1996.
4| [29.01.2015].
112

113

114

115

VOLKER LANG
8½ CIRCUS SPACE
„Der Nutzen ist das große Idol unserer Zeit, dem alle Kräfte frohen und
alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige
Verdienst der Kunst kein Gewicht, und, aller Aufmerksamkeit beraubt,
verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.“ 1
„Der Narr kommt immer ungeladen in unsere Aufmerksamkeit, er ist
fremd genug, dass er, wenn er verschwindet, auch wieder vergessen
wird.“ 2
Von Hamburg kommend nahm ich in Essen die U18 Richtung Mülheim
an der Ruhr Hauptbahnhof. Schon bald entweicht diese dem Untergrund
und wird von einer dicht befahrenen, lärmenden Autobahn begleitet,
an manchen Stationen gar von ihr eingeschlossen. Zur Vorbesichtigung
eines von Markus Ambach für mich vorgesehenen Orts stieg ich am U-
Bahnhof Mülheim-Eichbaum aus. Eine verwegene Betonkonstruktion
mit Graffitis, Tags, Kritzeleien, darüber rasend der Verkehr. Zum Empfang
ein goldener Containerturm. Nach der Brücke führt über einen
scholligen Acker ein Trampelpfad Richtung Hochhaus, daneben Bergarbeiterhäuschen
und ein Bauernhof mit vielen Gänsen. Fahl und melancholisch
zeigte sich das Ruhrgebiet Anfang Dezember 2013. Zum Aufbau
im Juni 2014 ein üppiges Kornfeld mit eingeschriebenem gemähtem
Halbkreis, mein Platz für 8 ½ Circus Space. Zwei Tage später leuchtete
dort das Zelt unter der heißen Sonne und war sogleich von den Kindern
der Umgebung vereinnahmt.
Das Zirkuszelt über halbrundem Grundriss ist nach vorne hin offen. Das
Zeltdach besteht aus blauem, die Rückwand aus blau-rot gestreiftem
Baumwollstoff. Ein rotes, rundes Podest, über dem sich das Trapez
erhebt, steht halb in, halb vor dem offenen Raum. Im Inneren befindet
sich eine Tribüne, die einen Teil des Runds einnimmt und den Besuchern
Platz bietet. Auf den unterschiedlichen Ebenen: leerer Raum / Skulptur,
Veranstaltungsort oder Möglichkeit, das Podium spontan zu beleben,
können Alltägliches neu erfahren und ungewöhnliche Zusammenhänge
gedacht werden. Als Skulptur scheint das Zelt Antipode zu den einrahmenden
Gebäuden zu sein. Eine filigrane bunte Baumwollwand, die
auf Wind und Regen reagiert, einmal belebt ist, ein andermal verlassen
wirkt. Der durch die Halbierung geöffnete Raum erlaubt es den Besuchern
und Passanten, auch von Weitem dem Geschehen zu folgen.
Die Idee des offenen Zirkus ist vom letzten Kapitel des Romans Amerika
von Franz Kafka inspiriert, dem Naturtheater von Oklahoma: „[…]
mochte das große Theater von Oklahoma ein kleiner Wanderzirkus sein,
es wollte Leute aufnehmen, das war genügend. Karl las das Plakat [Auf
nach Clayton!] nicht zum zweiten Male, suchte aber noch einmal den
Satz: ‚Jeder ist willkommen‘ hervor.“ 3
In 8 ½ Circus Space ist die Öffnung radikal, uneingeschränkt in jeder Hinsicht.
Der Zirkus eröffnet in unserer mit chronischen Einschränkungen
beseelten Welt ein Fenster zum Hof der kreativen Sphären. Keiner soll
ausgeschlossen sein, jeder kann sich beteiligen. Ein Mikrokosmos einer
Welt sollte entstehen, in der alles sich zeigt, wie es von sich aus ist, in der
jedes Element gleiche Rechte hat. Allemal ist es ein Ort des Aufeinandertreffens,
der mehr die soziale Situation in der Haltung der Gruppen,
die es bevölkern, spiegelt, als die der utopischen Gleichheit und Brüderlichkeit.
Die Kaskaden der Kinder wichen gegen Abend dem Gebell
alkoholisierter Halbstarker, die sich feist auf den Bänken ausbreiteten.
Karl Rossmanns Erwartung, als er im Zug nach Clayton fuhr, war ein
freier gesellschaftlicher Raum. Zeigte er sich hier vielleicht? Begegnen
116

sich im besten Sinne Volkskultur und Kunstwelt?
Das Publikum sollte in die Räume der
Poesie, des Surrealen geführt werden, indem
ich ihrer ephemeren Gestalt eine Behausung
gebe, in der sich der Betrachter selbst wiederfinden
und sogar selbst agieren kann. Jeder
Charakter im Naturtheater von Oklahoma spielt
sich selbst.
Die Artisten und Musiker des Cabaret Dekalè,
die im 8 ½ Circus Space auftraten, trafen einige
Tage vor Aufführung ein. Unter Mitwirkung
der Umgebung entwickelten sie eine Collage
aus ihrer Performance-Kunst und ihrer Musik
und konfrontierten die Zuschauer mit einer ergreifenden
theatralischen Aktion. Die zirzensischen
Disziplinen Akrobatik, Kunstfahrrad,
Trapez und Jonglage, Balance und Zauberei
erzeugten darin bizarre Situationen, die die
absurden Spiele eines endzeitlichen Cabarets
evozierten. Obgleich Gefühlslagen menschlicher
Tragikomik an einigen Stellen scheinbar
gewaltsam zum Extrem geführt wurden, fehlte
nicht die Spur von Humor. Hochartistische Akte
wurden geschickt verkleidet, als ob die Szenen
vermeintlich auf ein Durcheinander hinauslaufen.
Was hat Wert, was hat keinen? Gewohntes
wurde durch unverständliche Gesten und die
Rätselfiguren, die sie ausführten, verweigert.
Eine unterweisende Erzählung wurde entstellt
und eine Deutung verhindert. Das Cabaret
Dekalè erzeugte Allegorien, die etwas Undeutbares
bedeuten. Wir fühlen kurzzeitig die
Verlegenheit und den Schmerz, wenn unser Innerstes
den Verlust von Ordnung erfährt.
Die Unterscheidung zwischen Spiel und Dasein
ist für Momente aufgehoben.
Trotz der Explosivkraft, die weit über die Bühne
hinausdrängt, bleibt das fragile Tableau, in
dem das Ensemble die Akte so klug verwoben
hat, bestehen.
Fast wie in einem Gedicht von Andrea Zanzotto
verschwand alles wieder: „[…] früh morgens
brach der Zirkus auf, heimlich, sacht. Ich war
schon wach (warum sag ich nicht gern) und
wusste die Frühe nimmt ihren Lauf. Aufbruch,
den 8. September, fließend, fließend der Wald,
der Reif, die Risse […]“ 4 . VOLKER LANG
1| Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung
des Menschen, Stuttgart 2000.
2| Willeford, William: The Fool and His Sceptre: A
Study in Clowns and Jesters and Their Audience, London
1969.
3| Kafka, Franz: Amerika, Frankfurt am Main 2002.
4| Zanzotto, Andrea: „Dolcezza carezza“, in: Mondadori,
Arnoldo (Hrsg.): Il Galateo in Bosco, Verona 1999.
117

118

119

“Utility is the great idol of the time, to which all
powers do homage and all subjects are subservient.
In this great balance of utility, the
spiritual service of art has no weight, and, deprived
of all encouragement, it vanishes from
the noisy Vanity Fair of our time.” 1
“The fool often presents himself uninvited to
our attention [...] he is alien enough that he
disappears again [...].” 2
the observers themselves – an opportunity to
gain a new perspective on that which is ostensibly
ordinary and to explore that which is unfamiliar.
As a sculpture, the tent appears to be
the very antipode of the buildings surrounding
it – a flimsy colored cotton wall, swept by the
wind and the rain, which sometimes seems to
come alive and then again sinks back into its
inanimate state. The space opening out from
the interior semicircle allows the visitors and
passers-by to follow the action even from afar.
The idea of an open circus was inspired by the
last chapter of Franz Kafka’s novel Amerika /
Missing and its natural theater in Oklahoma:
”[…] the great Theater of Oklahoma might be
a small wandering circus, it wanted to hire
people, that was enough. Karl didn’t read the
poster [And now, off to Clayton!] again, but only
looked for the sentence one more time: ‘Everyone
is welcome’.” 3
8 ½ CIRCUS SPACE Upon arriving in Essen
from Hamburg, I took the U 18 travelling to Mülheim
an der Ruhr central station. Soon after
starting out on its journey, the train is leaving
the underground tunnels and is then accompanied,
and at some stations even surrounded,
by a noisy, car-jammed motorway. The A40
motorway provided the point of departure for
Markus Ambach’s extensive, multi-faceted
project. I left the train at Mülheim-Eichbaum
station in order to get a first glimpse of the site
Markus had deemed suitable for my purposes.
A bold concrete construction covered with
graffiti, tags, scrawls; above it the traffic rushing
by. A golden tower of containers welcoming
me. Beyond the bridge, a footpath leads across
a plowed field towards a skyscraper towering
above small miners’ houses and a farm with a
flock of geese. On that day in early December
of 2013, the Ruhr region turned a pale and melancholy
face.
Upon arriving in June 2014 for the installation
of my work, I found a lush cornfield sporting
a cut semicircular area – the site for my work
8 ½ Circus Space. Two days later, the tent was
shining in the hot sun, and was immediately
taken over by the local children. The semicircular
circus tent is open at the front. Its roof
consists of blue cotton fabric; the back is covered
with blue and red stripes. A red circular
stage, above which the trapeze is suspended,
is positioned half inside, half outside the tent.
The interior also accommodates stands for the
spectators. There are various ways in which
the installation can be experienced and used:
it can either be contemplated as an empty
space and a sculpture, or regarded as an actual
stage which also offers the opportunity
for a spontaneous impromptu performance to
120

In the 8 ½ Circus Space, the opening is radical,
boundless in every way. In our world chronically
beset by limitations, the circus is opening
a window on the sphere of creativity. No one is
to be excluded; anyone is free to participate.
The idea was to create a world in microcosm in
which everything could appear in its true colors,
in which all elements are deemed equal. At any
rate it was to be a place of encounters, mirroring
the actual social situation in the attitude of
the respective groups rather than any utopian
equality and fraternity. Towards dusk, the cascades
of children were replaced by the roar of
boozing firebrands lounging on the benches.
While riding the train to Clayton, Karl Rossmann
dreamt of an unconfined social sphere.
Was this sphere perhaps to appear here? Would
popular culture and the art world truly interact
upon coming face to face? The audience was to
be led into the open spaces of poetry and of the
8½ CIRCUS SPACE VOLKER LANG 121

surreal by providing their ephemeral figures
with a substantial home where the observers
could re-encounter, and even enter the stage,
themselves. Every character in the natural
theater of Oklahoma acts out of his own identity.
Several days before the performance, the artists
and musicians of Cabaret Dekalè, who performed
in 8 ½ Circus Space, arrived. In collaboration
with their surroundings, they developed
a collage of their own performance art and
their music, and confronted the audience with a
poignant theatrical act in which the circensian
disciplines – acrobatics, bicycle acts, trapeze
acts and juggling, tightrope walking and conjuring
– generated bizarre situations evoking
the absurd games of some eschatological cabaret.
Although the emotions bound up in human
tragicomedy were, in some places, brought to
a head in a downright violent manner, humor
was never far away.
Highly artistical acts were skillfully camouflaged
so as to appear a mere muddle. What
is crucial, what is negligible? The familiar is
undercut by incomprehensible gestures and
the bizarre aspect of the figures executing
them. Any moral-bound narrative is defaced,
any clear-cut interpretation obstructed. The
Cabaret Dekalè generates allegories of the
uninterpretable. For a brief moment, we are
experiencing a feeling of embarrassment and
anguish as our mind comes face to face with
the total loss of order.
For a brief moment, also, the distinction between
make-believe and actuality is suspended.
Despite the explosive force pushing
outwards beyond the stage, the fragile tableau
into which the performers have so skillfully interwoven
the individual acts will remain intact.
And then it was all gone, almost as in the poem
by Andrea Zanzotto: “[…] early that morning
the circus left, stealthily, gently. Already
awake (never mind why), I knew that the dawn
was running its course. Setting out, that 8th of
September, liquid, liquid the woods, the frost
and the cracks [...]” 4 .
VOLKER LANG
Cabaret Dekalè mit:
My! Laika
Philine Dahlmann,
Salvatore Frasca,
Alessandro Angius
Los Santos
Claudio Inferno
Eleazar Fanjul
Und weiterer Beteiligung von:
Loreto Tormen
Chiara Unisoni
1| Schiller, Friedrich: “Letters upon the Aesthetic
Education of Man”, in: Literary and philosophical essays:
French, German and Italian, New York 1910.
2| Willeford, William: The Fool and His Sceptre. A
Study in Clowns and Jesters and Their Audience, London
1969, p. 8.
3| Kafka, Franz: Missing (a.k.a. America), in:
[17.08.2015].
4| Zanzotto, Andrea: „Dolcezza carezza“, in: Mondadori,
Arnoldo (Hrsg.): Il Galateo in Bosco, Verona 1999.
122

123

VISION
MÄRCHEN ODER ROADMOVIE
VON DER SCHÖNHEIT DER STADT AN DER GROSSEN STRASSE
Wie viele Jahrhunderte sind vergangen, in denen sich in der Vorstellung
ein Stadtbild eingegraben hat, das allen globalen Änderungen zum Trotz
die Gemüter bis heute bewegt? Was war am Anfang? Der Marktplatz, das
Rathaus, die Kirche? „Stadtluft macht frei!“ Und wann kam die Stadtmauer
dazu? Wozu sollte sie gut sein? Zum Schutz der Freiheit? Oder zur
Ausgrenzung der wirklich Freien? All der Zugvögel, die am Stadtglück
zu partizipieren trachteten? Freiheit auf Zeit, um dann weiterzuziehen!
Die Stadt – die gebaute mit ihren Problemen und die ungebaute mit ihren
Visionen – ist ein Jahrtausende überspannendes Projekt. Und wird
es wohl bleiben. Just so wie die Hommage an die Schönheit der großen
Straße als eine Art Fortsetzungsroman über Zugvögel zwischen Stationen,
die sich allesamt irgendwo zwischen Stadt und Land, Naturvision
und Stadtutopie verorten lassen.
Ob Stadt oder Natur, es geht darum, „[…] Raum zu erforschen, zu beschreiben
und lesbar zu machen, um aus seinen originären Formen und
Typologien zu lernen […]“ und selbst dann, wenn die Prozesse „[…]
einen Raum subtiler Komplexität und rauer Schönheit zum Verschwinden
bringen, […] mit romantischer Melancholie vorsichtig“ zu sein, so
Markus Ambach 2007 in „B1. 21st – eine Stadt entwirft sich selbst“. 1
Gleichwohl, diese in der angesagten Spektakel- und Eventzivilisation
möglicherweise untaugliche, gleichwohl provokante Mixtur aus latenter
Sehnsucht und trotzigem Aktivismus ist dem romantischen Ideal allemal
näher als jede Simulation natürlicher Oasen oder sich im puren
Stillstand des Gewesenen selbst entsorgende Idylle – in der ideellen
Vorstellung wie in der materiellen Wirklichkeit von Stadt und Natur.
„Stadtluft macht frei.“ Es geht um jenen Rest an Wildwuchs, an Ungeplantem
und Anarchischem im Kopf kollektivierter Individuen. Sie
haben das vormals durch Mauern geschützte Versprechen „Stadtluft
macht frei“ längst jenen überlassen, die dieses heute mehr denn je zu
ihrem wirtschaftlichen Vorteil nutzen.
Wer sich – aus der Herrschaft der Lehnsherrschaft entkommen – einst
nach „Jahr und Tag“ 2 in der „freien“ Stadt kein Haus oder Grundstück
leisten konnte, durfte zwar bleiben, allerdings ohne Bürgerrecht. Und
diese Gruppe bildete alsbald die Mehrheit, die Unterschicht in den Städten.
Fahrendes Volk, Landstreicher und Bettler scheiterten schon an
den bewachten Stadttoren. Für die schlimmsten Fälle – Volksseuchen,
heute vornehmer Epidemien genannt – deklarierte man die heimtückischen
Außenseiter, vornehmlich Frauen, kurzerhand als Hexen. Klingt
heute erschreckend vertraut! Zu hoffen, dass die Aufklärung und die ihr
zu verdankende Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit all solchen Widernissen
im Weg steht, dafür bedarf es dann doch großer Naivität.
Die europäische Stadt ist aus globaler Perspektive ein Auslaufmodell:
In Asien, Afrika, im Westen der USA wuchern Metropolen, weiten sich
aus in Zwischenzonen multipler Koexistenzformen von Siedlern, die
sich – ob freiwillig oder gezwungen – der von oben verordneten Bereinigungskultur
widersetzen: Außenposten der zweckorientierten Mehrheitsgesellschaft
in Schrebergärten und Industriebrachen, Siedlungen
im Windschatten von Tunneln, unter Brücken und über Verkehrsschneisen,
Szenetreffs an Trampelpfaden und Orte verdrängter Zukunftsschlachten.
Was dieses Konglomerat sich mehr oder minder selbst organisierender
sozialer Einheiten verbindet, ist die Autobahn als sinnbildliche Lebensader
aus dem Blickwinkel des fahrenden Volkes: solche, die sich immer
auf der Durchreise befinden, solche, die sich temporär ansiedeln – weil
sie es selbst so wollen oder nicht anders dürfen, solche, die irgendwann
bleiben, geduldet, übersehen. Und die in der Utopie einer Stadt, die sich
selbst erfindet, irgendwann deren eigentliches Kapital sein könnten.
Betrachten wir die Schönheit der großen Straße als das, was sie ist oder
sein kann: Ein Bild, eine Erzählung in Bildern, vielleicht auch so etwas
wie das Fanal einer unverdrossen schönen zeitgenössischen Oper extra
muros in einer urbanen Gesellschaft, deren architektonische Mauern
verschwunden sind, nicht aber deren mentale Pendants im Kopf.
Schauplatz Dückerweg 2010 und 2014, ein aus sentimentaler Stadtperspektive
wahrlich trostloses Gewerbegebiet in Bochum, genauer an
der Grenze zu dem von Bochum zum Verwaltungsbezirk degradierten
stolzen Wattenscheid. „Der Dückerweg ist eine klassische Gewerbe-
124

agglomeration, die sich die Autobahn zunutze macht, um sich an das
fahrende Volk zu richten“, so im Prospekt 2014. Hier siedelt eine inzwischen
legendäre Gemeinschaft jener Spezies, die Sesshaftigkeit und
Mobilität, Kommunikation und Wettstreit unauflöslich verbindet: Tuner,
deren Freizeit ganz dem außerordentlichen, dem antinormativen Mobilitätsfetisch
gilt. Welch reizvoller Treff zur Erweiterung des Angebots
durch Atelier van Lieshouts Motel Bochum aus umfunktionierten Containern,
Hütten, Rostlauben, Wohnmobil und öffentlicher Bedürfnisanstalt
zwischen Trapperökologie und erotischem Vergnügungspark samt
revitalisiertem Autokino. Die ungewöhnlichen Partner erfüllten sich
problemlos ihre Wünsche im schnellen Wechsel zwischen Diskussion,
Performance, Poledance, Musik- und Filmprogramm.
Die Route von dort zu der zwischen Friedhof, Verkehrstrassen und
Fernfahrerrastplatz eingezwängten „Idylle“ der Schrebergärtner jenseits
der großen Straße setzt außerordentliche Ortskenntnisse voraus.
Vermutlich fehlt es in beiden Szenen an Lust zum Seitenwechsel 3 , gar an
Neugier, die von der anderen Seite zur Kenntnis zu nehmen. Für Abhilfe
sorgte 2010 Peter Pillers Bildertausch zwischen den Szenen, jenen der
Schrebergärtner auf den Plakatwänden am Dückerweg und jenen der
Autotunerszene an den Mauern zu und Zäunen in den Schrebergärten.
Es bedarf wohl nicht nur in den Zentren, sondern selbst in den längst
internationalisierten peripheren Milieus extra muros diesseits und jenseits
der großen Straße der auf Stadtplänen verschwiegenen Schleichwege,
um die eingefahren Mobilitätstrassen zu verlassen und die je eigenen
mentalen und geografischen Mauern zu pulverisieren.
Auch der Trampelpfad zur Honigproduktionsstätte von Finger in 2010
gehört zum Paradies der alternativen Szene. Ob diese den monumentalen
Bienenkorb auf einem jener Bauwerke, von dem man annehmen
kann, dass es in irgendeinem Zusammenhang mit den Versorgungssträngen
der Industriegesellschaft steht, oder die auf einer Plakatwand
aufgelisteten Produktionsbedingungen des Bienenvolkes zur Kenntnis
nimmt oder nicht, die Bienengesellschaft kümmert‘s wenig. Deren
„Wirtschaftsgüter“ finden in Deutschlands erster und immer noch
florierender „Einkaufsstadt“ auf der längst nicht mehr grünen Wiese
allemal dankbare Abnehmer. Die Information, dass einer ihrer gegenwärtigen
Siedlungs- und Produktionsräume diesmal an der legendären
Staustrecke der „schönen“ Straße liegt, mag kurzfristig verstören.
Doch stellt dieses hochintelligente fahrende Volk nicht auch hier, in
der sich selbst überlassenen / erfindenden Natur sein immer wieder
gerühmtes, der regulierten Gesellschaft überlegenes Modell der Wertschöpfung
/ Ressourcenausbeutung unter Beweis? Und wem nach diesem
besonderen oder den in derartigen Warenhaustempeln gewöhnlichen
Angeboten vor dem Stau auf der A40 oder dem Gedränge in der
U-Bahn graust, der fand eine Alternative in Andreas Wegners bequemem
und zudem umweltschonendem Paketdienst Esso 36, 2010, per
Pferdekutsche. Mit der Postkutsche haben es die intelligenten unter
den aufstrebenden Bürgerlichen zu einigem Reichtum gebracht. Dem
klassischen fahrenden Volk, auch Vagabunden genannt, wären derartige
Zugtiere bis ins späte 19. Jahrhundert gar noch als höchster Luxus
vorgekommen.
Um von dort zu Gastwirtschaften zu kommen, die in längst vergangenen
Zeiten den Kutschern samt Kundschaft mit größter Freude zu Diensten
waren, den anderen wohl nur aus dem einfachen Grunde das Futter vor
die Tür stellten, um dieses zu Diebstahl neigende Gesindel schnellstmöglich
wieder los zu werden. Aus dieser Perspektive betrachtet, bietet
das Projekt der großen Straße in beiden Etappen dem informierten Zugereisten
wie dem zufälligen Passanten ein ebenso vergnügliches wie
physisch und mental hilfreiches Angebot zwischen Picknick, Budentreff
und Butterfahrt. Gastfreundschaft, wo immer der ermüdete Reisende
ankommt. Im Motel Bochum von Atelier van Lieshout, bei Delikatfisch
Braun, dem Fischveredler im selbst geschaffenen Paradies unweit
des berühmten Spaghetti-Knotens am Duisburger Kaiserberg und an
Jeanne van Heeswijks gallischem Tisch in der Siedlung Werthacker in
Duisburg. Wo Der Widerstand des kleinen Glücks der Neusiedler die letzten
Freiräume in einer Wirtschaftsmetropole verteidigt, dient ihre zwischen
autonomer Skulptur und zweckdienlichem Mobiliar schlingernde
symbolträchtige Setzung auch 2014 – diesmal mit augenzwinkerndem
Verweis auf besagtes Zubringergewirr am Kaiserberg – als gastlicher
Treff zum großen Spaghetti-Essen. Lokal dezentral! Wenn die Grenzen
verschwimmen, dann schlägt die Stunde der Schausteller, Anarchisten
und sonstigen Dienstleister.
Was sich 2010 andeutete, nimmt 2014 an Fahrt auf. Möglich, dass die in
den letzten vier Jahren verschärfte Diskrepanz zwischen der Angst vor
den Fremden und der Neugier auf das, was sie zur urbanen Gesellschaft
beitragen, gewachsen ist. Und so unterschwellig die Wahrnehmung –
mindestens der Autorin dieses Textes – von der Schönheit der großen
Straße als einer Zone unerschlossener Möglichkeiten prägt.
Schauplatz U-Bahnstation Mülheim-Eichbaum – einer jener eher verkommenen
Verkehrsknotenpunkte im Nirgendwo auf halber Strecke
zwischen Mülheim und Essen. Linker Hand in Fahrtrichtung ein Feld,
dahinter eine Ansammlung von Häusern, rechter Hand ein notdürftig
asphaltierter Weg durch so etwas wie ein Waldstück. Dass der in Wohngebiete
führt, wird der Fremde annehmen können, sobald Nutzer der
U-Bahn in beide Richtungen verschwinden. Schausteller waren es, die
dort 2009 eine Oper aufführten. Gut, die ersten Akteure waren bezahlte,
öffentlich subventionierte Künstler. Doch den Erfolg der inzwischen
legendären Eichbaumoper garantierten vor allem die mitwirkenden
Anwohner von diesseits und jenseits der Autobahnen, Stadtbahnen,
Schnellstraßen. Geblieben ist ein seltsames Bauwerk, halb Container,
halb Aussichtplattform, vielleicht aber auch Regieturm. Martin Pfeifle
und Wanda Sebastian haben die von raumlaborberlin als temporäre Architektur
errichtete Opernbauhütte (2008 – 2010) inzwischen vergoldet.
Weswegen sich im Kopf der Autorin Eichbaumgold mit Martin Pfeifles
versilberter Box 112 % kurzschließt. Die landete 2010 als verlorenes
„Frachtgut“ zwischen Tunertreff und Schrebergärten auf einem jener
wenig anheimelnden Plätze, die dem zeitgenössischen fahrenden Volk
der Trucker gesellige Rast auf Zeit verheißen.
Geblieben ist die Neugier – mindestens unter den Anwohnern. Ein Bauer
stellt sein Feld zur Verfügung für – ein temporäres „Hüttendorf“ und
eine „Wanderbühne“.
125

Christine und Irene Hohenbüchlers Skulpturenensemble ist als materiell
sichtbares Werk eine Ansammlung fragiler Behausungen: Lattenkonstrukte
zwischen Pavillons, Wanderhütte und Vogelfutterstelle. Deren
Außenseiten zieren handschriftliche Texte, mal kurze abgehackte
Fragmente, mal ausführlichere „Nachrichten“ aus der jahrhundertealten
Geschichte der Roma, deren Botschaften sich kaum zu einer zusammenhängenden
Erzählung fügen. Umso frappierender die Wirkung der
drei harmlosen Worte „... flieg Vogel flieg ...“ auf jenem Konstrukt, das
sich problemlos als Taubenhaus zu erkennen gibt. Was für Ortsfremde
wie das Echo eines Liedes aus fernen Kindertagen klingt, zählt zum hehren
Kulturgut der einheimischen Brieftaubenzüchter. Für den Bedarfsfall
wurden Klappstühle bereitgestellt: So für den Vortrag von Merfin
Demir vom Verein Terno Drom e. V. – Sinti-und Roma-Jugend NRW und
vor allem für die Aufführung von Lolo Bashno, eine vor Ort komponierte
Collage aus persönlichen Lebensgeschichten, Volkserzählungen,
Musik und Tanz. Dem Vernehmen nach haben inzwischen 35 000 Sinti
und Roma – wieder – einen festen Wohnsitz und mehrheitlich auch einen
Arbeitsplatz in der Rhein-Ruhr-Region. Unter ihnen vielleicht auch Taubenzüchter,
auf jeden Fall die Schauspieler und Nedjo Osman, der Regisseur.
Der kam nach Ausbruch des Balkankriegs mit dem inzwischen
legendären Pralipe-Theater an das städtische Theater Mülheim an der
Ruhr, gründete 1996 mit TKO eine eigene Spielstätte in Köln, aus der
inzwischen das erste Europäische Roma Theater hervorgegangen ist.
Vielleicht ist es eine Frage der Generationen, in welcher Weise sich die
drei harmlosen Worte über ausgeflogene „Vögel“ mit den Texten über
„Zigeuner“, „Arier“ und „Nicht-Arier“ und die ambivalenten Spuren im
Inneren der Hütten mit dem Maskenspiel der „Schausteller“ kurzschließen:
als eine in Opern und Liedern gefeierte, in der harten Wirklichkeit
erzwungene Reiselust von Außenseitern und Fremden, im schlimmsten
Fall die der von Mehrheitsgesellschaften verantworteten und verdrängten
Vernichtung.
Zwischen Eichbaumgold, Hohenbüchlers Roma-Theater und Volker Langs
Wanderbühne befindet sich ein Trampelpfad, all das, was ordentliche
Bürger in aller Regel als verwerflich betrachten. Ansonsten wächst das
Korn und nach der Ernte die Wintersaat ungestört vor sich hin. Auch
Außenseiter haben ihren Ehrenkodex – und im Zweifelsfall wachen die
Kinder aus der Nachbarschaft. Langs Zelt 8 ½ Circus Space ist zwischen
den dort programmierten Veranstaltungen, darunter die dadaistisch
angehauchte, Theater, Tanz, Musik und Bildende Kunst verschmelzende
Zirkusshow der Ensemble My!Laika und Los Santos, ihr Spielplatz auf
Zeit, ihre Bühne – Beobachtungsstation, Kommunikationszentrale und
Schauplatz zur kindlichen Selbstdarstellung in wechselnden Gruppierungen.
Jenseits von Eichbaumgold schnattern die Gänse auf der Wiese hinter
dem Heißener Hof. Es ist das Pendant zu Delikatfisch Braun im Jahr
2010. Auch sie haben für die Laufzeit des Künstlerprojekts ihre Bühne.
In ihrer auf ein Jahr programmierten Lebenszeit als Wirtschaftsfaktor
wird sie die kultivierte Aufmerksamkeit der Schaulustigen so wenig
kümmern wie die Bienen an der Autobahn aus der vorangegangenen
Runde. Gabriela Oberkofler hat hier ihre Buggelkraxe abgestellt. Buggelkraxen
heißen in der ländlichen Alpenregion die Rucksäcke, mit denen
die „Zeitarbeiter […] von Hof zu Hof zogen und ihre Dienste anboten.“ 4
Indes Oberkoflers Rucksack dient nicht zum Transport von Werkzeugen
und Waren, sondern als Prototyp eines Hauses aus dem Dorf, das sie
so, wie sie es kennt, aus Obstkisten nachbaut, um es jederzeit überall
hin mitnehmen zu können. Für die Dauer ihrer langen Wanderung über
die „schöne Straße“ steht auf der Gänseauslaufwiese ein verwirrendes
Bühnenplakat: Ein hochgeplottetes Dokument in der Art allerbester
Tourismuswerbung, vielleicht auch eine irritierende Mixtur aus Nomadenkino
und fragiler Sesshaftigkeitsromanze am Straßenrand in längst
vorzüglich instrumentalisierter Bauernwirtschaft. Auch wenn die rein
gar nichts mehr mit Johanna Spyris Heidi-Idylle gemein hat – deren
fernes Echo leistet in dieser ironisch gebrochenen Absurdität ihren
charmant subversiven Dienst. Es ist eine Frage des Blickwinkels, ob
man die Buggelkraxenträger – unter ihnen Gerber, Flicker, Spinner,
Weber – als unverzichtbare Handwerker empfängt oder als Hausierer
davonjagt.
Das alle Jahre wiederkehrende Sankt Martinsfest überleben nicht allzu
viele Gänse. Und die unheilige Tradition der Martinsgans fügt sich
so auf unfreiwillig schönste Weise in das Bild von der Schönheit der
Großen Straße: Der Legende nach hat sich der Heilige auf der Flucht
vor höheren Würden in einem Gänsestall versteckt. Deren Geschnatter
brachte die Verfolger vom Bistum Tours auf seine Spur. Armer Martin –
arme Gänse. Immerhin widmet Danica Dakić ihnen eine Gänseoper am
schönsten Knotenpunkt – am Kaiserberg, einem der wenigen Orte, an
dem alle Verkehrsteilnehmer ihre Runden drehen können. Welch surreal
vergnügliche Schicksalsgemeinschaft im Gesellschaftskreislauf aus
Nutznießern und Verfolgten.
Ob Nomaden oder fahrendes Volk, Autofreaks oder Händler, jede mobile
Gesellschaft benötigt Drehkreuze – ob zur Orientierung, zur Etappenversorgung
oder zur Ruhepause. Was die Veranstaltungsdichte angeht,
ist es wohl so, dass sich der Schwerpunkt vom Dückerweg 2014
an die Eichbaumstation verschoben hat. Doch die Geschichten, welche
die Nomaden 2010 am Dückerweg geschrieben haben, wirken nach. Sie
speisen sich ein in die Wahrnehmung der Tuner, die dort immer noch
siedeln, und finden einen neuen Höhepunkt an der von KUNSTrePUB-
LIK zum Tor des Westens transformierten Autowaschanlage. „Discover
the world of seats“ wirbt gleich nebenan ein Einrichtungskaufhaus. Die
Welt entdecken, ohne sich zu bewegen. Welch unfreiwillige Komik! Deren
werbewirksame Fahnen spielen noch mit der Verführungskraft der
Stars and Stripes, wohingegen das Künstlerteam auf die Sterne verzichtet.
Weswegen sich nun die Waschanlage in einer Mixtur aus dekorativer
Vermusterung und abweisendem Absperrungsstreifenkostüm als irgendwie
falsch gelandete oder vergessene Filmkulisse in Szene setzt.
Aus der Nähe ist das architektonische Konstrukt eine funktionierende
Waschanlage, nun aber – wie so viele dieser Dienstleistungsposten
an mehr oder minder luxuriösen Rast- und Tankstellen – durch eine
attraktive Verkleidung vor den vielen Unwägbarkeiten der Außenwelt
geschützt. Und – wie der Nutzer alsbald erfahren kann – im Inneren
wunderbar beschallt durch allerhand Willkommenslieder. So könnte
126

die seltsam hybride, durch vier Wachhäuschen
geschützte „KFZ-Begrüßungsanlage“ ob der
ineinander verwobenen Signale kultureller
Vielsprachigkeit dem hier anlandenden fahrenden
Volk durchaus als wahrer Tempel der
allen Religionen vertrauten Reinigungskultur
darbieten. Willkommen im Paradies! Ob es die
Wärter gut meinen? Erst einmal durchfahren!
Hinter dem Tor wird sich zeigen, wie und wohin
die Fahrt weitergeht. Vergnüglich in die Freiheit
oder verloren in den Zwängen der „Leitkultur“.
Deren paradiesischem Ghetto im gepflegten
Vorstadtmilieu mit dem sinnigen Ortsnamen
Schönau werden sie sich wohl kaum je nähern.
Die zwei Litfaßsäulen, die John Miller auf dem
irgendwie um seine kommunikative Funktion
gebrachten Dorfplatz postiert hat, wirken so
aus der Zeit gefallen wie der Ort selbst.
A False Mirror ist das Idyllendouble betitelt: Gated
Community hier und Südseeparadies dort.
Das fahrende Volk, welches das Tor des Westens
passiert hat, wird wohl eher dort landen,
wo sich Jakob Koldings Cut-Outs tummeln: an
jenem undefinierbar undefinierten Frillendorfer
Platz in Essen, der nun wahrlich nicht an
das erinnert, was den europäischen Platz vormals
für Einheimische wie für Durchreisende
anziehend machte. Koldings Figurentheater
verspricht nichts, schon gar nicht im Sinne der
üblichen Stadtverschönerung. Und doch impliziert
sein „Bühnenbild“ für den theatralischen
Auftritt seiner Blechfiguren – gerade in diesem
längst verlorenen Paradies der Stahlblechproduktion
– ein Versprechen: „Is it possible to try
and attain ambiguity and openness as a positive
instead of looking for one end goal defined
by plans from above [...]. Play as a way of using
and defining a space and play in the simple literal
sense as the figures themselves will look
like simple theater props or even school play
props placed around the area.“ 5 Und so spielt
und turnt die surreal anmutende Truppe aus
Astronauten-Phantomen und falsch zusammengeflickten
Skateboardern über Treppen
und U-Bahnsteige, übt Kopfstand oder hängt
schlaff über Geländern – meist unbeachtet
von den täglichen Passanten, denen die Lust
am Spielen im täglichen Trott längst abhanden
gekommen ist. Möglich, dass zu deren Revitalisierung
Performance Electrics beitragen
kann: Deren Station auf einem von allen Seiten
einsehbaren Hügel bietet Energie im Tauschhandel
– gegen Kunst und Kreativität. Gebaut
aus Schrott, geziert mit Wetterfahnen, auch
dies für das fahrende Volk – oder reanimierte
Funktionsbürger.
B1|A40: Das ist Stop-and-go für die einen. Und
alles im Fluss für die anderen. In diesem großen
Straßen-Theater der (nicht immer) freien
Mobilität ist eine der schönsten Stationen dort
zu finden, wo einst Allan Kaprow mit einer
seiner legendären Happenings im Ruhrgebiet
vorstellig wurde. Im Museum Berggate 69 wird
die unglaubliche Geschichte der dort 1971 bis
1975 beheimateten Galerie Inge Baecker noch
einmal erzählt – in Bildern von einem brillant,
lakonisch, komisch und vehement gegen Erstarrung
revoltierenden Geist – eingebettet in
die vergnüglich irritierende Selbstdarstellung
des heute im Hause ansässigen SM-Studios
und der Tanzsportler vom Ruhr-Casino Bochum.
Für die Reise ins Ungewisse auf der
schönen großen Straße hortet ein Recyclingbetrieb
gleich nebenan immer noch stapelweise
Autoreifen. Auch dorthin führt keine
gepflegte Route, jedenfalls nicht in der Art,
wie sie im benachbarten Essen zwischen den
hochpreisigen Kulturtempeln angeboten wird.
Auf eine Markierung zum Wasserturm, dem
Zentrum der Revolte von 1920, an die Christoph
Schäfers Auslaufendes Rot – Antimonument für
die Rote Ruhr Armee 2010 erinnerte, wird man
dort wohl auch weiter warten. „Ein Happening
[…] kann in einem Supermarkt stattfinden,
während der Fahrt auf einer Schnellstraße, auf
einem Schuttplatz, in der Küche eines Freundes
[…]“, so Allan Kaprow 1971 zu seinen City
Works. 6 Der Recyclingbetrieb in Bochum jedenfalls
weiß, die kulturelle Sprache zu nutzen:
Mit einer großen Säule aus Autoreifen für einen
großen Vertreter der geistigen Nomaden,
deren flüchtige Setzungen über die Zeit ihrer
materiellen Existenz hinaus strahlen. Von der
großen Straße führen viele Wege in die Stadt.
Das fahrende Volk weiß, die Staus – in den
Köpfen – zu umgehen. Das jedenfalls ist die
eigentliche Schönheit der Stadt an der großen
Straße – ob Vision, Märchen oder Roadmovie –
immer fließend, bis die Grenzen im Kopf selbst
flüssig werden.
ANNELIE POHLEN
Cabaret Decalè mit My!Laika und Los Santos in
Volker Langs 8 ½ Circus Space
Abb. S. 129 Arbeiten aus B1|A40 2010:
Jeanne van Heeswijk | Marcel van der Meijs,
Der Widerstand des kleinen Glücks
Martin Pfeifle, Box 112 %
Andreas Wegner, Paketdienst Esso 36 | Le Grand Magasin
Zinganel Hieslmair,
Driveway Transit Exit – Alltag im Labyrinth
Atelier van Lieshout, Motel Bochum
1| Ambach, Markus: „B1.21st – eine Stadt entwirft
sich selbst“, in: Dinkla, Söke und Janssen, Karl
(Hrsg.):Paradoxien des Öffentlichen. Über die Selbstorganisation
des Öffentlichen, Ausst. Kat. Wilhelm
Lehmbruck Museum, Duisburg, Nürnberg 2008,
S. 58–61, hier S. 61. Auch in:
[10.07.2015].
2| Gellinek, Christian Hans-Georg: „Stadtluft macht
frei?“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte,
Bd. 106, 1989, S. 307ff.
3| Titel der Arbeit von Peter Piller bei B1|A40 2010.
4| [22.06.2015].
5| Kolding, Jakob in: „A40 Proposal“, unveröffentlicht.
6|
[24.06.2015].
VISION, MÄRCHEN ODER ROADMOVIE ... VON DER SCHÖNHEIT DER STADT AN DER GROSSEN STRASSE
127

VISION, FAIRY TALE OR ROAD MOVIE … ABOUT THE BEAUTY OF THE
GRAND ROAD How many centuries have gone by since the traditional
image of the city has emerged which is still prevalent despite all global
changes? What came first? The market square, the town hall, the
church? “Stadtluft macht frei!” (City life will set you free) And at which
point were the city walls added? What purpose were they to serve? To
protect freedom? Or to keep out those who were truly free; all the migratory
birds who wanted to gain access to the benefits the city conferred?
A temporary freedom, then to move on?
The city – the actual one with its problems and the imaginary one with its
visions – is a project spanning thousands of years. And it will probably
continue like that. Just as the homage to the beauty of the grand road, a
kind of serial novel about migratory birds in between stations, who are
all suspended somewhere between city and countryside, a vision of nature
and urban utopias.
Whether the focus is on the city or on nature, the point is to “[…] explore
space, to describe it and make it accessible so as to learn from its original
forms and typologies [...] and to be wary of romantic melancholia,
even if the processes should cause a space of subtle complexity and raw
beauty to vanish [...]”, thus Markus Ambach in 2007 in “B1. 21st – eine
Stadt entwirft sich selbst”. 1 In any case, this amalgamation of latent desire
and obstinate activism, possibly ineffectual yet still provocative in
the context of a civilization which is geared to spectacular events, will
come closer to the romantic ideal than any simulation of natural oases
or any idyll stifling itself in the immobile contemplation of that which
has passed – with respect to imaginations of the ideal as well as in the
material reality of city and nature. “City life will set you free.“ It is all
about that residue of uncontrolled growth, the unplanned and anarchic
elements in the mind of collectivized individuals, who have long left that
promise of freedom, initially protected by walls, to those who are, more
than ever, busy turning it to their own advantage. In former times, those
who had managed to escape the fetters of feudal suppression but had
been unable to afford a house or plot of land in the “free” city after “one
year and one day” 2 were denied the prerogatives of citizenship, if also
they were allowed to stay. It was this group which soon formed the majority,
the urban underclass. Travelling people, vagrants and beggars
were kept out at the guarded city gates. In the worst case – the outbreak
of epidemics – the treacherous outsiders, predominantly women, could
always be rebranded witches; a strategy which still sounds oddly familiar
today. The hope that enlightenment and its promise of liberty, equality,
fraternity would overcome all these obstacles is still a manifestly
naive one.
Seen from a global perspective, the European urban model is fast becoming
obsolete: in Asia, Africa or the western United States, metropolises
are proliferating which are expanding into intermediate zones
characterized by multiple forms of coexistence between the various
settlers who are resisting the dominant culture of resolution, whether
of their own free will or by dint of necessity: outposts of the purposeoriented
majority society in allotment gardens and on industrial wastelands,
in residential areas nesting in the slipstream of tunnels, below
bridges or across major thoroughfares, in the meeting-places of subcultural
groups near secret paths and in places where the battles for the
future were once fought.
The element which unites this conglomerate of more or less self-organized
social units is the motorway as the symbolical lifeline, seen from
the perspective of the travelling people: those who are forever passing
through, those who are settling down for a time – either because they
want to themselves or because they are forced to –, those who have at
some point decided to stay for good, tolerated, overlooked. Those who
could, at some time, become the very focus of the utopia of a city which
is forever reinventing itself.
Let us regard the beauty of the grand road as that what it is, or could be:
an image, a pictorial narrative, perhaps even the bugle call of an unabashedly
beautiful contemporary opera extra muros in an urban society
whose architectural walls have vanished but whose mental barriers are
still firmly in place.
The Dückerweg area 2010 and 2014: a commercial area in Bochum – or
rather on the boundary between Bochum and Wattenscheid, formerly
a proud independent city but nowadays reduced to a mere administrative
district –, a zone which is utterly dreary from the perspective of any
sentimental urbanity. “Dückerweg is a prototypical commercial agglomeration
making use of the motorway in order to attract the travelers”,
the 2014 brochure states. Here, a by now notorious community of that
species which inextricably combines sedentariness and mobility, communication
and challenge has settled: the car tuning enthusiasts whose
leisure time is entirely devoted to the extraordinary and anti-normative
fetish of mobility. An attractive meeting-point enhancing the local scenery
is provided by Atelier van Lieshout’s Motel Bochum, created from
converted containers, huts, rust-heaps, camper vans and public toilets,
a blend of bushman ecology and erotic amusement park plus revitalized
drive-in cinema. The unusual partners can fulfill their desires at will in
the rapid succession of discussions, performances, pole-dances, music
and movie shows.
In order to find the trail from this place to the “idyll” of the allotment
gardeners beyond the large road, hemmed in between cemetery, transport
links and motorway station, one has to be familiar with the area
indeed. Probably in both communities there is a disinclination for any
Seitenwechsel (changeover) 3 , or even a lack of curiosity about the other
side. In 2010, Peter Piller’s pictorial exchange, mounting images of the
allotment gardeners on the billboards at Dückerweg and those of the
car tuning enthusiasts on the walls and fences of the allotment gardens,
sought to change this state of things. Obviously the secret paths which
cannot be found on any city map are needed not only in the centers but
also in the long internationalized peripheral milieus, extra muros on
both sides of the grand road, in order to be able to leave the habitual
trails of mobility and to pulverize the individual mental and geographical
walls on both sides.
The trail to Finger’s honey production plant established in 2010 is also
part of the paradise of the alternative scene. Whether or not its members
pay attention to the monumental beehive on one of those indus-
128

trial-looking buildings or to the production
conditions of the bee colony described on a
billboard is of little consequence to the bees,
whose “economic commodities” are still eminently
marketable in Germany’s first – and still
prospering – “shopping city” located in the no
longer green belt. The information that one of
their current areas of settlement and production
is for once located near the almost proverbial
gridlock sections of the “beautiful” road
might for a moment confuse the customers.
Yet it could be argued that even in the midst
of unregulated and creative nature, this particular
highly intelligent “travelling people” is
demonstrating the superiority of its own individual
model of value creation and exploitation
of resources over those of regulated society.
Those who are repulsed, after partaking of
this special offer or any of the conventional
merchandise offered by such shopping malls,
by the prospect of having to face the gridlock
on the A40 or the crowding in the underground
trains may find an alternative in Andreas Wegner’s
Paketdienst Esso 36 (Esso 36 Parcel Service)
(2010), offering a comfortable and ecologically
viable journey in a horse-drawn carriage.
In former times the mail coach used to be a
handy means for acquiring riches for some intelligent
members of the aspiring bourgeoisie;
the traditional “travelling people”, also called
vagabonds, would have deemed such rides in a
horse-drawn carriage a nonpareil luxury until
the late 19th century.
The journey could for example lead to the
nearest inn whose staff, in former times,
would have been quick to serve the coachmen
and their customers, if also their readiness to
bring viands outside for the others was probably
merely driven by the desire to get rid
of these thieving vagabonds again as quickly
as possible. Seen from this perspective, the
project of the grand road has been offering,
in both of its stages, a range of refreshments,
simultaneously pleasurable and physically and
mentally invigorating, ranging from picnics
and leisure activities to booze cruises, both to
well-informed guests and accidental passersby.
Wherever the tired traveler arrives, he will
find hospitality, whether at Atelier van Lieshout’s
Motel Bochum, Delikatfisch Braun, the
fish farm located close to the famous spaghetti
junction at Duisburg-Kaiserberg in a veritable
self-made paradise, or Jeanne van Heeswijk’s
Gallic table at Duisburg-Werthacker.
Where Der Widerstand des kleinen Glücks (The
Resistance of Small Happiness) put up by the
new settlers is defending the last remaining
open spaces in an economic metropolis,
its highly symbolic setting in a combination of
autonomous sculpture to functional furniture
also serves in 2014 as a hospitable meetingpoint
for the big spaghetti dinner – a tonguein-cheek
reference to the aforementioned
labyrinth of intertwining roads. The “Outside
Inn”?! Once the boundaries get blurred, the
hour of the showmen, anarchists and other
service providers has come.
The wheels which were set in motion in 2010
are gathering pace in 2014. Possibly the discrepancy
between the fear of strangers and the
curiosity about what they are contributing to
contemporary urban society has become more
marked over that period and accordingly subconsciously
influences the perception – also
that of the author of this text – of the beauty of
the grand road as an area of untapped opportunities.
Take the Mülheim-Eichbaum metro station:
one of those rather dilapidated transport junctions
in the middle of nowhere, halfway between
Mülheim and Essen. On the left hand,
the traveller coming from Mülheim will see a
field bordered by a row of houses; to the right
a makeshift asphalt track leads through a
wooded section – whether it actually leads to
build-up areas can be determined only once
the metro travelers start to disperse. In 2009,
showmen staged an opera here. The first actors
were paid, grant-aided artists; yet the success
of the by now legendary Eichbaum Opera
was above all guaranteed by the participating
residents from both sides of the motorways
and metro lines. Its remnant is a strange
construction, half container and half lookout
platform, maybe also some kind of director’s
roost. By now, the Opernbauhütte (opera shed)
erected by raumlaborberlin as a temporary
construction (2008 – 2010) has been gold-plated
by Martin Pfeifle and Wanda Sebastian; accordingly
the author is invariably reminded by
129

Eichbaumgold of Martin Pfeifle’s silver Box 112 %, which in 2010 found
itself, reminiscent of a piece of lost freight, between the car enthusiasts
and the allotment gardens on one of those rather inhospitable sites
which are holding out the promise of companionable temporary rest to
the trucking community.
What has survived is the curiosity of at least some of the local residents.
A farmer has offered the use of his field for a temporary “hut village”
and a “travelling theater”.
Christine and Irene Hohenbüchler’s sculptural ensemble is, at first
glance, a collection of fragile constructions: lattice-work structures
reminiscent of a blend of pavilions, hikers’ cabins and bird feeders,
whose exteriors are graced by handwritten texts, short fragments alternating
with more detailed “news” from the centuries-old history of
the Roma, whose messages defy any attempt to refashion them into
one single coherent narrative. Against this backdrop the impact elicited
by the three harmless words “... fly bird fly ...” on a construction easily
identified as a dovecote is all the more striking. What may appear as an
echo of a lullaby learned in childhood to those unfamiliar with the area
is in fact an integral part of the culture of the local carrier pigeon breeders.
If necessary, folding chairs were provided, for example for a talk
given by Merfin Demir of the association Terno Drom e. V. – Sinti- und
Roma-Jugend NRW or the production of Lolo Bashno, a collage of individual
life stories, folk tales, music and dance created in situ. According
to official sources, some 35 000 Sinti and Roma currently – again – have
their permanent residence, and most of them also a job, in the Rhein-
Ruhr region. Among them there are probably carrier pigeon breeders
as well, but they certainly also include the actors and the director Nedjo
Osman, who arrived at the Städtisches Theater Mülheim with the by now
legendary Pralipe Theater after the outbreak of the Balkan war, and in
1996 founded a theater of his own – the TKO – in Cologne, which has
by now been transformed into the first European Roma Theater. Perhaps
the way in which the three harmless words about flown “birds” are
related to the texts on “gypsies”, “Aryans” and “non-Aryans”, and the
ambivalent traces in the interiors of the huts, with the masquerade of
the “showmen” depends on which generation the visitor belongs to: as a
wanderlust of outsiders and strangers celebrated in operas and songs
yet enforced in grim reality, and, if the worst comes to the worst, their
extermination, approved and afterwards hushed up by the mainstream
society.
Between Eichbaumgold, Hohenbüchler’s Roma theater and Volker Lang’s
travelling theater, a footpath has emerged, all that usually frowned upon
by solid citizens. Otherwise, the corn and, after its harvest, the winter
grain is growing undisturbed. Outsiders too have their particular code
of honesty – if necessary, the site will be guarded by the neighboring
children. In between the various events staged there – among them the
dadaist circus show of the My!Laika ensemble and Los Santos, combining
theater, dance, music and visual art –, Lang’s tent 8 ½ Circus Space
has become their temporary playground, their stage – at once observation
point, communication headquarter and backdrop of childlike performances
with changing actors. Beyond Eichbaumgold, the geese are
squawking on the meadow behind Heißener Hof – a counterpart to Delikatfisch
Braun in 2010. They, too, have a stage of their own during the
art project. Raised as an economic commodity, during their lifetime of
one year they will pay as little heed to the cultivated attention of the onlookers
as the bees near the motorway did the last time around. Here,
Gabriela Oberkofler has deposited her Buggelkraxe – a term used, in
the rural Alps, for the backpacks “the temporary workers carried from
farm to farm, offering their services”. 4 Yet Oberkofler’s backpack does
not serve as a means of transport for tools and goods, but as a prototype
of a village house, built from memory with fruit boxes so that she can
take it anywhere at any time. For the duration of her long hike along the
“beautiful road” a confusing billboard has been installed on the geese’s
meadow: an enlarged printout modeled on tourist ads, an irritating
mixture of nomad cinema and fragile homestead romance in the midst
of a completely utilitarian agricultural economy. Even though there is
nothing here which even faintly resembles Johanna Spyri’s Heidi idylls,
their faint echo serves as a charmingly subversive element in this ironically
refracted absurdity. Depending on one’s point of view, the carriers
of the Buggelkraxe – among them tanners, tinkers, spinners, and weavers
– are about to be welcomed as indispensable artisans or driven off
as undesirable pedlars.
Only a small fraction of the geese will survive the annual Saint Martin’s
Day. And the unholy tradition of the Saint Martin’s goose is accordingly
seamlessly blended into the image of the beauty of the grand road. According
to legend, the saint hid in a geese coop while running from the
religious authorities; yet the squawking of the geese betrayed his hiding-place
to his pursuers from the Tours bishopric. Poor Martin, poor
geese. At least, Danica Dakić has dedicated a Geese Opera to them at that
most beautiful of junctions – the Kaiserberg, one of the few places accommodating
all road users: a truly surreal yet pleasant ring-a-ring-aroses
of the companions in fate caught up in the societal cycle of benefits
and harassment.
Whether nomads or travelling people, car enthusiasts or traders, any
mobile society requires junctions – for orientation, restocking or rest.
As regards the sheer number of events, probably the focal point of the
project has moved from Dückerweg to Eichbaum station in 2014. But the
stories written by the nomads at Dückerweg in 2010 are still reverberating.
They are feeding into the perception of the car enthusiasts who are
still residing there, and find a new climax at the car wash transformed
into Tor des Westens (The Gateway to the West) by KUNSTrePUBLIK.
130

Close by, a furniture store invites passers-by to “discover the world of
seats”. To discover the world without having to move a muscle – what an
unintentionally hilarious suggestion! The advertising banners are still
quoting the allure of the stars and stripes, whereas the team of artists
has decided to do without the stars altogether. Accordingly, the car wash,
with its mixture of decorative patterns and forbidding striped barriers,
is staging itself as a film set somehow misplaced or forgotten. Close up,
the architectural structure is revealed as an ordinary car wash in working
condition, yet one that – like so many of the similar service points at
more or less elegant motorway service areas and petrol stations – is
protected by an attractive shell against the manifold imponderables of
the outside world. Those who will use it will, moreover, get a wonderful
welcome inside in the form of various songs. With its intermingling
signals of cultural multilingualism, this strangely hybrid “motor vehicle
welcoming facility”, guarded by four sentry boxes, might appear to the
travelling people arriving here as a veritable temple of the culture of
cleansing, popular throughout the world. Welcome to paradise! Will the
sentries be friendly? Perhaps it is better to pass through the gate first;
beyond it we will see how and wither the journey will go on, whether as a
pleasure ride to freedom or a drifting in the maze of the Leitkultur (core
culture). It will probably prove impossible for the travelers to enter the
paradisiacal ghetto of the well-cared-for suburb with the fitting name
Schönau (beautiful pasture). There, the two advertising pillars installed
by John Miller on the village square which has somehow lost its communicational
function are evoking a sense of timelessness utterly appropriate
to the quarter as a whole. The twin duplicitous idyll has been
titled A False Mirror: on the one side a gated community, on the other a
south seas paradise. But the travelling people passing through the Gateway
to the West will probably end up instead at the square populated by
Jakob Kolding’s cut outs: the indefinably ill-defined Frillendorfer Platz in
Essen, utterly devoid of any trace that could remind the passer-by of
the alluring characteristics that once drew residents and visitors alike
to this square. Kolding’s theater of figures is making no promises, least
of all in the sense of any customary urban beautification. And yet his
“stage set” for the theatrical performance of his metal figures implies
a promise at this long-lost paradise of steel production: “Is it possible
to try and attain ambiguity and openness as a positive instead of looking
for one end goal defined by plans from above [...]. Play as a way of
using and defining a space and play in the simple literal sense as the figures
themselves will look like simple theater props or even school play
props placed around the area.” 5 And thus the surreal-looking troupe of
astronaut phantoms and patched-up skateboarders is gamboling and
cartwheeling down stairs and along metro platforms, standing on their
heads or drooping across railings – usually unheeded by the passers-by
who have long lost their playfulness in the daily grind. Maybe Perform-
ance Electrics could help in their revitalization: positioned on a solitary
hill, their station is offering energy in exchange for art and creativity.
Built from scrap, ornamented with weather vanes, it is addressing both
travelling people and a reanimated citizenry.
B1|A40: for some it is stop and go. For others, everything flows. In this
enormous road theater revolving around the performance of a (not always
free) mobility, one of the most beautiful stations is found at the
very place where once Allan Kaprow staged one of his legendary happenings:
at the Museum Berggate 69, the incredible story of the Gallery
Inge Baecker, which was located there between 1971 and 1975, is told
once again – in images suffused by a spirit vehemently revolting against
ossification in a brilliant, laconic, and comical manner, embedded in the
pleasantly irritating self-presentation of the SM studio and the dancers
of Ruhr-Casino Bochum residing there today. Next door, a recycling
business is still hoarding stacks of tires for the journey to the unknown
on the beautiful grand road. Yet there is no well-tended route to that
destination, at least not of the kind that connects the expensive temples
of culture in neighboring Essen (if also there is still no marker pointing
visitors towards the water tower, the center of the 1920 revolt commemorated
by Christoph Schäfer’s Auslaufendes Rot – Antimonument für
die Rote Ruhr Armee (Diffusing Red – Anti-Monument for the Red Ruhr
Army) in 2010). “A happening [...] may occur in a supermarket, driving
along a highway, under a pile of rags, or in a friend’s kitchen [...]”, Allan
Kaprow stated in 1971 apropos his City Works. 6 The recycling firm in
Bochum, at least, knows how to use cultural semiotics: it has erected a
large column of tires for a giant member of the spiritual nomads whose
evanescent positings emit their rays beyond their temporary material
existence. From the grand road, many paths lead to the city. The
travelling people know how to bypass the – mental – gridlock. That, in
any case, is the beauty of the city along the grand road: always in flux –
whether as a vision, a fairy tale or a road movie – until the boundaries of
the mind are becoming blurred.
ANNELIE POHLEN
1| Ambach, Markus: „B1.21st – eine Stadt entwirft sich selbst“, in: Dinkla, Söke
und Janssen, Karl (ed.):Paradoxien des Öffentlichen. Über die Selbstorganisation des
Öffentlichen, exh. cat., Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg, Nürnberg 2008,
p. 58–61, here p. 61. See also: [10.07.2015].
2| Gellinek, Christian Hans-Georg: „Stadtluft macht frei?“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung
für Rechtsgeschichte, Vol. 106, 1989, p. 307ff.
3| Title of the work by Peter Piller in B1|A40 2010.
4| < http://gabrielaoberkofler.de/projekte/buggelkraxen > [22.06.2015].
5| Kolding, Jakob in: „A40 Proposal“, unpublished.
6| [24.06.2015].
VISION, MÄRCHEN ODER ROADMOVIE ... VON DER SCHÖNHEIT DER STADT AN DER GROSSEN STRASSE 131

132

133

134

E-FRILLENDORF135

HEIMAT AUTOBAHN
Wohnlagen wie die in Essen-Frillendorf zeigen, wie auch heute noch die
Anwohner mit der A40 kämpfen. Hier wohnt man nur wenige Meter neben
der Fahrspur mit direktem Blick auf die große Straße. Die verkehrsberuhigte
Zone der Hombrucher Straße mit direktem Körperkontakt zur
Autobahn wirkt nahezu zynisch. Die Ab- und Auffahrten der A40 landen
hier direkt und unvermittelt im Wohngebiet. Gekappte Wegebeziehungen
wurden nur notdürftig nachgezeichnet und hinterlassen ein geteiltes
Terrain. Die freigelegten Brandwände der Mehrfamilienhäuser
zeugen noch heute davon, wie die Autobahn langsam ihr Umfeld frisst.
Frillendorf liegt zudem im Wirkungsfeld des Anschlusses zwischen
A40 und A52, einer Autobahnkreuzung mitten im Wohngebiet also. Unvermittelt
tauchen Passanten zwischen den Fahrspuren auf, wenn sie
den Bus Richtung Stadtmitte nehmen wollen, der hier mitten auf der
Autobahn hält. Eine extravagante Busspur, die in speziellen Fahrrinnen
direkt auf der A40 den Personennahverkehr ergänzt, komplettiert einen
skurrilen Verkehrsknotenpunkt inmitten der hiesigen Dorfstruktur.
Zwischen Frillendorfer Höhe und Frillendorfer Platz ergibt sich im
Schatten der Autobahn ein unvorstellbar hartes wie wechselhaftes Lebensumfeld.
Wo mancher die Hölle vermutet, findet der eine oder andere
jedoch unvermutet sein kleines Paradies: Hinter der Lärmschutzwand
hier im Zentrum Essens entwickelt sich manchmal fast dörfliche Stimmung.
Im Garten hinter den Häusern ist die Autobahn fast schon vergessen
und wer hier geboren wurde, hat sich zwangsläufig damit abgefunden,
dass sein Eigenheim nun eines mit Autobahnblick geworden ist.
Die Anpassungsfähigkeit der Bewohner und ihre weithin positive Lebenshaltung
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen
hier mit ihren Problemen alleingelassen werden. In Frillendorf zeigt
sich deutlich, mit welcher Härte und Rücksichtslosigkeit der Ausbau
der B1 zur A40 betrieben wurde. Die Häuser erinnern noch heute an die
ehemalige Struktur der dörflich anmutenden Siedlung, die vormals an
einer breiten Land- und Stadtstraße lag. Mit dem rigiden Ausbau der
B1 zu einer der meistbefahrenen Autobahnen der Republik entstand
ein Unikum, das sich per se im rechtsfreien Raum bewegt. Wo die Anbauverbotszone
im Bundesfernstraßengesetz jegliches Wohnen und
Handeln 40 Meter links und rechts der Straße untersagt, wohnen im
Ruhrgebiet Tausende von Menschen. In Essen reihen sich Siedlungen
und Einfamilienhäuser, Stadtzentrum und Mietwohnungen entlang der
großen Straße auf.
Die brutalistische Betoneinfassung der teilweise aufgeständerten Autobahn
teilt die beiden Seiten des Dorfs in einer markanten Zäsur, die
unüberwindbar scheint. Auch wenn Brücken und Unterführungen die
zerschlagenen sozialen Milieus und geteilten Straßen wieder zu verbinden
suchen, wirkt dies eher hilflos. Wenn auch die Bürger die physische
Teilung durch ihr allgegenwärtiges Talent zur Improvisation zu überwinden
suchen, bildet die A40 auch eine psychische Demarkationslinie,
die nicht einfach vergessen werden kann. So entwickeln sich die beiden
Seiten mehr oder weniger autonom weiter. Die Stadtteilkneipen finden
ihre Klientel nur auf ihrer jeweiligen Seite, Mischung findet eher selten
statt. Der Sichtkontakt über acht Spuren Autobahn verliert sich langsam
im endlosen Rauschen des Verkehrsflusses, die Nachbarschaft zerfällt
in zwei Teile.
Trotzdem bleiben viele – auch junge Leute. Bei einigen Familien in der
Hombrucher Straße hat die jüngere Generation das Haus übernommen,
gegenüber auf der anderen Seite hat ein Eigentümer sogar das
Dachgeschoss ausgebaut und als Studentenwohnung vermietet. Hinter
den dreifach verglasten Fenstern herrscht zwar relative Ruhe, Lüften
wird allerdings zum Problem. Die neue Schallschutzwand, die aktuell
entsteht, begeistert auch nicht jeden. Auch wenn sie den Schalldruck
dämmt, blockiert sie teilweise den Blick. Da wohnt manch einer schon
lieber mit etwas mehr Lärm und dem exotischen Blick auf den großen
Fluss der Automobile, anstatt auf eine Betonwand zu starren.
Auch wenn die geduldige Anpassungsfähigkeit der Menschen im Ruhrgebiet
eine ihrer Stärken sein mag: an der A40 wird sie permanent
überstrapaziert. Die Anwohner werden bei Neuplanungen weiterhin nur
136

137

marginal beteiligt und immer noch schlicht mit
den Planungen konfrontiert – ganz ähnlich wie
vor 50 Jahren. Dies zeugt weiter von einer – bewussten
oder unbewussten – Ignoranz von Politik
und Planung gegenüber den Nutzern des
Raums. Wo die Infrastruktur einem reibungslosen
Ablauf der Produktion dient, werden die
Menschen überrollt – eine eindeutig unzeitgemäße
Haltung, die im Ruhrgebiet weiterhin
Konjunktur hat.
Die Künstler der Ausstellung B1|A40 zeigten
in Frillendorf in verschiedenen Ansätzen, wie
sich der Raum und das Leben hier zu reorganisieren
versuchen. Jakob Kolding thematisierte
den brutalen Einschnitt, den die A40 hier quer
durch das einstige Dorf getrieben hat, auf subtile
Weise. Sein Figurenensemble machte den
Frillendorfer Platz, der heute nur noch ein
Durchgangsraum ist, und die Unterführung
unter der Autobahn zur Bühne einer besonderen
Inszenierung. An den Orten der Teilung
formulierte Kolding mit seinen ebenfalls fragmentierten
Darstellern im Jargon aktueller
Straßensprachen die Zäsur als markante städtische
Erzählung. Seine Collagen deuteten genauso
auf Schnittstellen und Brüche wie auf
unvermittelt romantische wie komische Orte
und Situationen, die unfreiwillig in der komplexen
Gemengelage zwischen Wohnen und Autobahn,
Entfremdung und Heimat entstanden
sind. Die Unbefangenheit des künstlerischen
Blicks kollidierte, harmonisierte und konfrontierte
die verschiedenen Perspektiven der Anwohner
mit denen des Fremden.
Wo die Anwohner mit verschiedenen Dekors
versucht haben, die Fronten ihrer Häuser zu individualisieren,
verpasste Manuel Franke dem
letzten Haus mit Originalfassade an der Autobahn
eine künstlerische. Er konkurrierte dabei
spekulativ auch mit dem berühmten Nachbarn,
der sein Haus bei jeder WM üppig als Werbedisplay
für die deutsche Nationalmannschaft
ausstattet. Durch die auffälligen Ausschnitte
in der monochromen Fläche wurde der tagtägliche
Blick auf die Autobahn bei Franke zur
künstlerischen Inszenierung, die den flüchtigen
Blick des Fahrers mit dem Anspruch des
Bleibens konfrontierte. Das Bekenntnis zum
Ort findet seinen Ausdruck in Begriffen wie
Heimat, Haus und Herkunft, während sich die
teilnahmslose Ortlosigkeit des Autofahrers in
der autonomen Klimazelle seines PKW romantisiert.
Das Sein im Nirgendwo dehnt sich in
Form der endlosen Straße aus, die ihr Umfeld
für den Fahrer zum Landschaftsbild skaliert.
Die Virtualität des Roadmovies, das der Fahrer
tagtäglich neu schreibt, konfrontiert sich hier
mit dem Bekenntnis zum Ort, dem er sich stetig
entzieht.
Leni Hoffmann bot einige Meter weiter eine
bewohnbare Skulptur im verkehrsberuhigten
Bereich einer Straße mit Autobahnblick an, in
die sich jeder Passant einschrieb. Die an den
tragenden Säulen der in die Jahre gekommenen
Fußgängerbrücke angebrachten Scheibenelemente
erfüllten sowohl skulpturale wie
praktische Aufgaben. Hoffmanns Arbeit lud im
fluktuierenden Raum des Verkehrs zum Verweilen
ein. Das einfache Konzept erwies sich
als profunder Kommentar, der der Heterogenität
des Raums Rechnung trägt. Denn die
Auswahl des Orts in Form der Brücke, die die
einst verbundenen Teile der Siedlung wiedervereinen
soll, verweist auf die andauernde Zäsur
durch die große Straße. Konfrontativ wurde
die Gemeinschaftlichkeit des Orts über die
verdoppelte Nutzungsmöglichkeit auf beiden
Seiten der Autobahn wiederum zur Diskussion
gestellt und die schlaufende Brücke zur
orchestralen Klammer des Geschehens – ein
Kanon zwischen Stadt, Kunst und dem sonoren
Rauschen der großen Straße.
Beidseitig schrieben sich zudem die verschiedenen
Nutzungen – wiederum ähnlich und nicht
gleich – in die aus Knete geformten Flächen ein,
die den besitzbaren Plattformen assoziativ zugeordnet
waren. Im Tagebuch der Stadt fanden
sich die Spuren derer wieder, die den geteilten
Raum wiederum zu einen versuchen.
Bei aller Theorie, die bei der Arbeit aus einer
genuin bildhauerischen Form entspringt,
blieb die Praxis eindrücklich im Vordergrund,
wenn die Kinder des benachbarten Restaurants
auf den gelb leuchtenden Sitzflächen
herumlümmel ten und auf der anderen Seite
ein junges Paar die ersten Küsse tauschte:
eine Arbeit mitten im virulenten Treiben einer
Stadt also, die trotz aller widrigen Umstände
nicht verlernt hat, sich ein gutes Leben zu machen.
MARKUS AMBACH
AT HOME ALONG THE AUTOBAHN Residential
areas like Essen-Frillendorf show how
much the inhabitants are still struggling with
the A40. Here, people live only a few meters
away from the highway, with a direct view of the
grand road. The Hombrucher Straße has been
designated a slow traffic zone, but that seems
almost cynical, because the street is immediately
adjacent to the autobahn. The exits and
entrances land directly in the residential area.
Truncated connecting footpaths are poorly
marked, and leave a divided terrain. Exposed
fire walls of multi-family dwellings still testify
to how the autobahn is slowly devouring their
environment. Frillendorf is also affected by the
A40 / A52 junction, which is essentially right in
the middle of the residential area. Pedestrians
can suddenly appear between the lanes when
they want to take the downtown bus, which
stops here in the middle of the freeway. An extravagant
bus lane running directly down the
A40 supplements local transit, completing an
odd transit hub in the midst of the area’s current
village-like structure.
In the shadow of the autobahn, between Frillendorfer
Höhe and Frillendorfer Platz, there
is an unimaginably difficult and checkered environment.
What someone might think of as
hell, others think of as their own little paradise.
Behind the noise barrier in the center of
Essen, an almost village-like atmosphere can
sometimes develop. In the gardens behind the
houses the autobahn is almost forgotten, and
people who were born here have grown used
to the fact that their homes now have a view of
the freeway.
The residents’ adaptability and their continuously
positive attitude toward life, however,
cannot hide the fact that people are left alone
here to struggle with their problems. In Frillendorf
it is obvious how the expansion of the B1 to
the A40 is carried on relentlessly, without any
consideration for the area. The houses there
today still reflect the old structure of the village-like
settlement, which used to be located
along a broad country and city road. The rigid
expansion of the B1, which is becoming one of
the republic’s most-heavily traveled freeways,
created a unique situation that seems to function
in a legal vacuum. Federal law forbids any
138

sort of housing or business within forty meters to the right and left of
the autobahn, but in the Ruhr District, thousands of people live in this
zone. In Essen there are rows of neighborhoods, single-family homes,
city centers, and rental apartments along the grand road.
The partially spandrel-braced autobahn’s Brutalist concrete boundaries
dramatically divide the village in two, creating a separation that
seems impossible to overcome. Even though bridges and underpasses
try to reconnect the shattered social milieu and divided streets, the attempt
seems rather helpless. And when residents try to overcome the
physical separation through their general talent for improvisation, the
A40 still forms a psychological line of demarcation not easily forgotten.
Thus, the two sides continue to develop more or less autonomously. Local
bars draw their clientele from their own sides, and there is very little
intermingling. Visible contact across eight lanes of autobahn is slowly
being lost in the endless noise of traffic, while the community gradually
decomposes into two halves. Nevertheless, many remain – even young
people. In some families on Hombrucher Straße, the younger generation
has taken over the household; over on the other side, one homeowner has
even expanded the top floor and rents it out to students. Relative calm
presides behind the triple glazed windows, but fresh air is a problem.
Not everyone is enthused about the new noise barrier currently under
construction. Even though it dampens the noise, it also partially blocks
the view. Some here would prefer to live with a little more noise and an
exotic view of the great river of cars, instead of staring at a concrete
wall. Even though patient adaptability may be one of the strengths of
people in the Ruhr District, it is permanently taxed by the A40. Residents
HEIMAT AUTOBAHN 139

are still only marginally involved in new planning, still simply confronted
with plans – the situation is very much like it was fifty years ago. This
continues to testify to the either conscious or unconscious ignorance
of politicians and planners, when it comes to involving the people who
use the space. Wherever infrastructure is supposed to serve the smooth
process of production, people are overrun – an attitude that is clearly
out of step with the times, but still in vogue in the Ruhr District.
In Frillendorf, artists in the B1|A40 exhibition demonstrated a variety of
approaches to reorganizing space and life here. Jakob Kolding’s theme
was the brutal caesura the A40 subtly drove straight through the former
village. His ensemble of figures turned the Frillendorfer Platz (currently
just a space people pass through) and the autobahn underpass into a
special setting. At the dividing sites, Kolding and his equally fragmented
“actors” used the jargon of today’s street slang to formulate a remarkable
urban tale of division. In the same way, his collages also pointed
out intersections, breaks, and unexpectedly romantic and comical
places and situations that involuntarily arise in the complicated conflict
between housing and autobahn, alienation and home. The unbiased
artistic view took the residents’ various perspectives and that of the
stranger’s, and allowed them to collide, harmonize with, and confront
each other.
Where residents have used different décor to individualize their house
fronts, Manuel Franke gave the last house along the autobahn with an
original façade an artistic one. In doing so, he speculatively competed
with the famous neighbor who, during every World Cup Championship,
turns his house into a lush advertisement for the German national team.
In Franke’s presentation, the noticeable section taken out of the monochromatic
surface became an artistic setting that confronted the fleeting
glances of drivers with the prospect of remaining in one place. The
acknowledgement of place is expressed in terms such as homeland,
house, and heritage, while the driver’s impassive sense of being nowhere
inside the autonomous climate-controlled cell of his car is romanticized.
The notion of being nowhere is expanded through the notion
of the endless street, whose environment is scaled down to an image of
the landscape for the driver. The virtual quality of the road movie that
the driver rewrites every day is confronted with an acknowledgement of
place that is always evading him.
A few meters further, Leni Hoffmann offered a live-in sculpture in the
slow traffic zone of a street with a view of the autobahn, into which
everyone passing was inscribed. Discs affixed to the aging pedestrian
bridge’s supporting pillars fulfilled both sculptural and practical tasks.
Hoffmann’s work invited you to linger in the space full of fluctuating traffic.
The simple concept proved to be a profound comment that does justice
to the heterogeneous character of the space, because in selecting
the bridge as her site – the bridge that was once intended to reunite the
divided neighborhood – she points up the enduring interruption caused
by the grand road. In a confrontational way, the area’s sense of community
and the ways that the space on both sides of the autobahn are
used were once again put up for discussion, while the little-used bridge
became the orchestral brace for events – a canon involving the city, art,
and the sonorous rush of the grand road.
On both sides – once again similar, but not the same – the various usages
were inscribed in the surfaces made of plasticine, which were associatively
assigned to the seating platforms. In the journal of the city
you could find the traces of those who try to reunite the divided space.
Despite all of the theory that arises from a work made in a genuine,
sculptural form, practice remains impressively in the foreground when
the children from the neighboring restaurant lolled about on the bright
yellow seats, and a young couple on the other side exchanged their
first kiss: a work of art in the middle of a virulently active city, which,
despite adverse conditions, has not forgotten how to make a good life
for itself.
MARKUS AMBACH
140

HEIMAT AUTOBAHN 141

142

143

LENI HOFFMANN
KLITSCHKO_V
KLITSCHKO_W
Die Fußgängerbrücke nahe der Autobahnausfahrt Essen-Frillendorf ist
eine Schnittstelle zwischen zwei Systemen, die ehemals als Ganzes bestanden.
Sie markiert eine Gegenrichtung, die als schmaler Steg über die
mehrspurige Autoschnellstraße führt, sie ist das einzige Bindeglied, das
den durch die Autobahn geteilten Ort räumlich, als eine Schlaufe aus Beton,
zusammenhält. Diese Brücke – als Ort, Bewegung und Kreuzung von
Ordnung und Widergang – ist der Initialpunkt für Leni Hoffmanns skulpturale
Intervention Klitschko_V und Klitschko_W.
Links und rechts neben der Schnellstraße entfalten sich zwei Welten, die
sich seit der Integration der Straße – hinein ins nachbarschaftliche Gefüge
– getrennt voneinander entwickeln. Frillendorf, einstmals Vrylincthorpe,
das Dorf der Freien, ist durch Strukturwandel zu einem Ort geworden,
der sich von einer dem freien Menschen übergeordneten wirtschaftlichen
Entwicklung hat zuschneiden lassen müssen. Vom Bauernviertel zur Zechenvorstadt,
vom Ländlichen zum Industriellen, vom Ruhrschnellweg
zur A40 – die Tangente, entlang der sich seither etwas Ungleichzeitiges
in einem vormals gleichen Terrain entwickelt. Für den Zeitraum der Ausstellung
B1|A40 Die Schönheit der großen Straße setzte Leni Hoffmann mit
ihrem zweiteiligen Projekt Klitschko_V und Klitschko_W hieran an.
MARKIERUNG DURCH DIFFERENZ Am jeweiligen Brückenpfahl hatte
Hoffmann eine Betonscheibe mit kunstlederbezogener, gepolsterter
Sitzauflage installiert, die inselartig Raum am zugehörigen Fuße
der Brücke bildete, vis-à-vis der Schallschutzmauern. Die sich spiegelnden
Sitzgelegenheiten wurden je von einem weiteren Element begleitet.
Klitschko_V in der Hombrucher Straße wurde um eine Knetarbeit
auf der asphaltierten Fahrbahn erweitert, grüne Flächen, die sich
streifenartig und zum Teil in optischer Verlängerung des auslaufenden
Brückenwegs über die Anwohnerstraße zogen. Auf der anderen Seite,
bei Klitschko_W an der Frillendorfer Höhe / Ecke Huckarder Straße, leg-
te sich eine kreisrunde gelbe Knetintarsie teppichartig, wie eine farbliche
Abstrahlung, unter die runde Sitzfläche. Die Spuren ihrer Benutzer
schrieben sich in die gelbe Fläche ein, ähnlich der Reifen- und Schuhprofile,
die auf der anderen Seite in den grünen Knetsegmenten eine Gravur
aus Abrieb und Schmutz hinterließen. Eine Notiz des Veränderlichen
und Vergänglichen?
BEGEHBARER BILDRAUM Was sich als konkreter Abdruck des Alltäglichen
durch Schritte, das Gehen und Fahren oder das Einzeichnen per
Hand (Tags) im amorphen Material abbildete, verbildlichte sich analog
dazu als Gedankenfluss während des Überschreitens der Brücke. Nicht
nur das architektonische Element, sondern der Körper des Betrachters
wurde zum Bindeglied zwischen den Straßen, Höhenebenen und Welten.
Er beschreibt mit jedem Schritt eine quer verlaufende Bewegung
zum gleichförmigen Fluss der Autos auf der Schnellstraße, zu den Häuserzeilen
an den Rändern, zu den zu den Häusern parallel verlaufenden
Straßen in der Siedlung – und verhält sich in seiner Auseinandersetzung
mit dem Umraum entgegen der (von der Schnellstraße) vorgegebenen
Struktur. Jeder hier bewusst gesetzte Fußtritt führt vorbei an einem Ereignis
der Beobachtung und hinein in einen Raum der Entwicklung. Die
obere Etage eines Einfamilienhauses, die Kilometeranzeigetafel auf Augenhöhe,
die Äste und Kronen der Bäume, die Sichtachse von der Brücke
hinunter auf die Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die als Mittelstreifen
die Schnellstraße teilende Busspur: sie alle zeigen Sequenzen des
Sichtbaren, die in Hoffmanns temporärer Umlenkung des Blicks den
Regelfluss hinterfragen. Als Anhaltspunkte und Klammern mögen hier
Hoffmanns geometrische Flächen dienen, die als grüne und gelbe Setzungen
ein stilles Bild im rauschenden Gemenge erzeugen: eine Referenz
im Raum, die ihre bestehenden Elemente neu sortiert und situativ
das Bildhafte der Situation freistellt.
144

145

IN-SITU ZWISCHEN PRIVAT UND ÖFFENTLICH Eine Umorientierung im
Raum findet statt – die sich in Essen-Frillendorf auf verschiedenen Ebenen
entwickelt hat. Nachdenken über Endlichkeit, Besitz, bürgerliche
Teilhabe, Diktatur des Konsenses oder doch ein Erkennen von der Möglichkeit
freier Auseinandersetzung mit zeitgebundenen Prozessen? Die
Frillendorfer Fußgängerbrücke wurde in ihrer temporären Markierung
zum vielschichtigen Blick- und Diskussionspunkt. Bürgerliches Aufbegehren
führte zur Anzeige von „Gefahr im Verzug“ bis hin zu partieller
Fremdzerstörung und daran anschließender, erzwungener Neuordnung
der Arbeit. Ein Eingriff in die künstlerische Setzung durch das Öffentliche
und die Vorwegnahme von dem Spezifischen der Dauer. Denn Leni Hoffmanns
Arbeiten bestehen nur für einen von ihr festgelegten Zeitraum,
dem Prozess der Konstruktion steht jener der Destruktion gegenüber.
So sind Klitschko_V und Klitschko_W, dieser spezifischen Zeitsetzung entsprechend,
mit dem Ende der Ausstellung vollständig von der Künstlerin
zerstört worden.
Ähnlich verhält es sich diesmal aber auch mit der Brücke, deren Existenz
durch den maroden Zustand der Bausubstanz bald ein Ende gesetzt
wird. Sie wird die endgültige Auflösung der menschlich-räumlichen Verbindung
der zwei Straßenabschnitte mit sich führen. Ihre Bildmomente
aber vermögen zu bleiben, und möglicherweise so auch die Erinnerungen
wie die eines jungen Liebespaars, das Leni Hoffmanns temporären
Ort für sich als privaten Rückzug und Ort des freien Denkens und Seins
für einige Momente erschlossen hatte.
CHRISTINA IRRGANG
KLITSCHKO_V KLITSCHKO_W The footbridge near the Essen-Frillendorf
motorway exit is an interface between two separate systems which
were formerly united. A narrow overpass across the multi-lane motorway,
it defies the directions laid down by the road, and is at the same
time the only link providing a spatial brace, in the form of a concrete
loop, for this area separated by the motorway. This bridge – as a place,
a link and an intersection of order and renitency – is the focal point for
Leni Hoffmann’s sculptural intervention Klitschko_V and Klitschko_W.
On both sides of the motorway, two different worlds are unfolding, separate
from one another since the growth of the road has spawned a divergent
development of distinct neighborhoods. Frillendorf, long ago
called Vrylincthorpe – the village of the free –, has become a place which
has been forced to accept its restructuring by economic trends overriding
the concerns of the free individual. A farming village turned miners’
suburb, a rural area transformed into an industrial one, the Ruhrschnellweg
remade into the A40 motorway – a tangent along which the
adjacent terrain, formerly united, is continually developing at different
speeds. For the duration of the exhibition B1|A40 The Beauty of the Grand
Road, Leni Hoffmann has made this fractured development the focus of
her bipartite project Klitschko_V and Klitschko_W.
DEMARCATION BY DIFFERENCE On the respective bridge pillars,
Hoffman had installed a concrete disk with a leatherette-covered, padded
seat, which provided a kind of island at the foot of both sides of the
146

147

148

idge, facing the sound protection walls. The reflecting seats each
were accompanied by one further element; Klitschko_V at Hombrucher
Straße was augmented by a plasticine work on the asphalt road surface,
green areas extending stripe-like and in part as an optical prolongation
of the sloping bridge across the residential road. On the other side, at
Klitschko_W at the intersection between Frillendorfer Höhe and Huckarder
Straße, a circle of yellow plasticine marquetry was placed ruglike,
in the manner of a colored radiation, below the circular seat. The
traces of its users inscribed themselves into the yellow surface, similar
to the profiles of tires and shoes which left an engraving of rubber and
dirt in the green plasticine segments. A memo of the changeable and
temporary?
WALK-IN IMAGE SPACE That what inscribed itself as a concrete trace
of ordinary life in the amorphous material – whether through steps, car
tires or the imprint of hands (tags) –, was in an analogous manner visualized
as a stream of consciousness during the actual crossing of the
bridge. Not only the architectural element, but also the very body of the
observer was transformed into a link between the streets, levels and
worlds. With every step, he executed a tangential movement across the
monotonous stream of cars on the motorway, the rows of houses by the
roadside, the streets in the residential district running parallel to those
houses – thus evading the one-directional structure prescribed by the
motorway in his engagement of the local environment. Every conscious
step here leads us up to an event of observation, and further into a space
of development. The upper storey of a detached family house, the kilometer
sign positioned at eye-level, the branches and crowns of the
trees, the vista from the bridge towards the speeding cars, the bus lane
splitting the motorway as a special middle lane: all these phenomena
display sequences of the visible problematizing the predetermined direction
of motion in Hoffmann’s temporary redirection of perspectives.
Hoffmann’s geometrical planes can here serve as points of reference
and brackets, yellow and green interventions generating a frozen image
amid the bustle and rush: spatial points of reference which are regrouping
the available elements, situatively revealing the image-like quality
of the situation.
IN SITU BETWEEN PRIVACY AND PUBLIC A spatial reorientation is
taking place – which, in Essen-Frillendorf, has developed on several
levels. Thoughts about mortality, possessions, civic participation, the
dictatorship of consensus; or perhaps rather an acknowledging of the
potential for an unlimited engagement of time-bound processes? In its
temporary demarcation, the Frillendorf footbridge was transformed
into a complex focus of attention and discussion. Flickerings of civic
unrest led to a report to the authorities and even the partial destruction
– and the ensuing obligatory reorganization – of the work: a public
inter vention in the artistic gesture which at the same time prefigured
the work’s specific temporality, as Leni Hoffmann’s works will exist for
a specific predetermined period of time only; the process of construction
is invariably mirrored by that of destruction. Thus Klitschko_V and
Klitschko_W have, in accordance with their predetermined temporal
limitation, been completely destroyed by the artist at the end of the exhibition.
It should be noted here that the bridge awaits a similar fate; its existence
is doomed by the ruinous condition of its basic structure. Its end will
seal the final dissolution of the human and spatial connection between
the two areas. Its images, however, will survive, and thus possibly also
memories like those of a young couple which had, for a brief moment,
discovered Leni Hoffmann’s temporary site as a private refuge and a
place of freedom.
CHRISTINA IRRGANG
KLITSCHKO_V KLITSCHKO_W LENI HOFFMANN 149

MANUEL FRANKE
FIXSTERN
Auffällig war die enge Bebauung im Streckenabschnitt Essen-Frillendorf
schon bei der ein oder anderen Fahrt über die A40: Die Häuserzeilen
stehen beidseitig dicht gedrängt an die sechsspurige Schnellstraße,
die zudem im Mittelstreifen von einer zweireihigen Busspur durchzogen
wird. Es scheint, als könne man hier vom Auto aus die Gesichter
der Menschen beobachten, die hinter den Fenstern der Reihenhaussiedlung
leben. Und doch ist dieser Moment bei 120 Kilometern pro
Stunde gewöhnlich schnell wieder vergessen, er rauscht vorbei wie
der kurze erleichternde Gedanke, selbst nicht unmittelbar hinter der
Schallschutzwand zu wohnen und das tägliche Verkehrsaufkommen als
150

Nachbarschaft zu wissen. Manuel Frankes Fixstern hat diese flüchtige
Perspektive geändert. Der Fixstern, der während der Ausstellung B1|A40
Die Schönheit der großen Straße in der Hombrucher Straße 15 in Essen-
Frillendorf zu sehen war, rahmte das Milieu, er rahmte den Blick des im
Auto fahrenden Passanten, und er scheint noch jetzt in der Erinnerung
bei jedem Passieren dieses Streckenabschnitts als Markierung des Orts
auf. Oder als Perspektiverweiterung? Frankes Fixstern schob sich wie
eine Membran zwischen Haus und Straße. Eine aus pudrig-hellgelbem
Stahl geformte Blende legte sich als Schutz- und Markierungsschild
über die Fassade des Einfamilienhauses in der Hombrucher Straße,
getragen von Pfeilern und Stützen aus Holz. Fensterartige geometrische
Segmente lösten die Flächigkeit der Verkleidung mit Billboard-
Charakter auf: Sie verdeckten dabei partiell Fenster des Hauses (und
damit den Blick nach außen), doch legten sie zugleich auch neue Sichtfenster
frei.
Worauf der Blick fällt, bedeutet zweierlei. Er umschließt zugleich das
Verdecken und das Herausstellen. Zum einen ist da das Sehen von innen
heraus, das den Bewohnern vorbehalten bleibt: es spielt mit dem Umlenken
der gewohnten Sicht auf die Straße, wird überdeckt vom Wellmetall,
oder auch geöffnet hinein in den Himmel. Zum anderen ereignet sich
das Sehen von außen auf den Fixstern, auf das Haus, auf die Straße, die
Schallschutzwand, den Straßenfluss. Dies betrifft alle außenstehenden
Betrachter. Ein Sehen, das uns als Beobachter dieser Szene lenkt. Die
Kilometeranzeigetafeln auf der A40 bildeten ein Pendant, wie auch die
Materialästhetik der Banden der Autobahn. Haus, Straße und Situation
schienen eine Symmetrie zu erzeugen, den Blickwechsel von innen und
außen sublimierend. Die Situation als solche reflektierend.
Frankes Arbeitsweise suggeriert dabei ein Ineinandergreifen von Direktion
und Hinterlassen. Er hält das Schauen mit seinem Fixstern fest,
und öffnet es.
151

Manuel Frankes Interventionen im Raum sind szenisch-dramaturgisch,
und sie bewegen sich – ob im Außen- oder Innenraum – zwischen Skulptur,
Installation, architektonischem Element und Bild. Franke geht weiter,
er modelliert Ideen von Bild und Raum, die sich an einer Schnittstelle
von Kunst und Gesellschaft bewegen. Das Bild, das er physisch
erzeugt, ist ohne gesellschaftliches Handeln, auf das es sich bezieht,
nicht komplett. Es ist ein Aspekt des Bildes, das sich immateriell als
Einstellung vollzieht. Das Verkleiden von Fassaden und das Freistellen
und Darlegen der Konstruktion erfolgt in seiner Arbeit dabei immer wieder
unter Einbezug des Gesamten, das heißt im Kontext des jeweiligen
Orts betrachtet, das Sublime wie Licht, Lichtwechsel und Atmosphäre
einbeziehend. Die Verschiebung des Blicks also, die eine differenzierte
Sichtbarkeit markiert und Emotionen ihrer Betrachter einbezieht, nicht
zuletzt wie in diesem Fall jene der Bewohner des Hauses, ist ein subtiles,
doch grundlegendes Element in den künstlerischen Arbeiten von
Manuel Franke.
Das Wunderbare: Der Fixstern wirkt nach. Ich denke nicht mehr an
persönlichen Wohnkomfort, wenn ich seither auf der A40 an Essen-
Frillendorf vorbeifahre. Meine Gedanken kreisen neuerdings um einen
sich vollziehenden Strukturwandel im Gegenschnitt mit unserem
mobilen Lebensstil. Der Fixstern hat so nicht nur einen räumlichen
Perspektivwechsel während seiner temporären Dauer hinterlassen,
sondern auch einen gesellschaftspolitischen, der immer wieder aufscheint.
CHRISTINA IRRGANG
FIXED STAR Driving along the A40 motorway, what had always stood
out was the enormous building density along the Essen-Frillendorf section:
on both sides dense rows of houses are crowding the six-lane dual
carriageway which additionally sports a two-pronged bus lane on the
medial strip. It almost seems as if on driving by one could recognize
the very faces of the people living behind the windows of the terraced
houses. Nevertheless, this fleeting glimpse while travelling at a speed
of 120 kilometers per hour is usually quickly forgotten, having rushed
past along with the feeling of relief at not having to live there, right behind
the sound protection wall, having to live with the dense, noisy traffic
day in day out. Manuel Franke’s Fixed Star has changed this fleeting
perception. Installed at Hombrucher Straße 15 in Essen-Frillendorf for
the duration of the exhibition B1|A40 The Beauty of the Grand Road, it provided
a visual frame for the local atmosphere as well as for the glances
of those driving by, and even now it seems to be conjured up as a seminal
local marker – or as an opening up of new vistas – every time one passes
through the area. Like a membrane, Franke’s Fixed Star positioned itself
between the house and the road. A blind made from powdery light yellow
steel sheeting covered the facade of a single-family house at Hombrucher
Straße, at once a shield and a marker, held aloft by wooden pillars
and struts. The billboard-like expanse of the covering was broken by
window-like geometrical segments, hiding some of the house’s actual
windows (and thus obstructing the outward view) while opening new vistas
at other points.
152

153

The observer’s glance takes in two things at a time: it perceives at
once the hiding and the revealing element. For one thing there is the
view from inside, which is reserved for the residents: it plays with the
redirecting of the accustomed view of the street; while in places it is
obstructed by the corrugated iron sheeting, in others it is opened
towards the sky. But there is also the outside view of the Fixed Star, of
the house, the street, the sound protection wall, the traffic. It applies
to all external observers, influencing their way of perceiving the scenery.
The traffic signs on the A40 are turned into a visual counterpart,
as are the materials used for the crash barriers on the motorway.
House, street and situation seem to generate a symmetry sublimating
the change of perspective from inside to outside and vice versa, and reflecting
the situation as a whole. Franke’s approach suggests an interrelation
of direction and abandonment. His Fixed Star transfixes our eyes
while opening them. Manuel Franke’s spatial interventions could be
described as scenical-dramaturgical, oscillating between exterior and
interior and between sculpture, installation, architectural element and
image. Franke is sculpting ideas of image and space located at the interface
between art and society. The image which is generated physically
is incomplete without the social activities to which it refers. They are an
aspect of the image which resides in the immaterial as an attitude. In
his work, the cladding of the facades and the revelation and explanation
154

of the construction is pervasively referring
to the situ ation as a whole, that is the specific
context of the individual site, integrating such
subtle elements as the intensity and change
of light and the general atmosphere. The shift
in perspective, which marks a differentiated
visibility and integrates the emotions of the
observer – not least those of the residents
themselves, as is the case here – is a subtle
yet fundamental element of Manuel Franke’s
artistic approach. The wonderful thing is that
the Fixed Star shines on long after its physical
disappearance. I no longer think about personal
creature comforts when passing Essen-
Frillendorf on the A40; now my thoughts revolve
around the nexus of a progressive structural
change intersecting our mobile lifestyle.
Thus the Fixed Star has not only triggered a
spatial change of perspective during its temporary
presence, but also initiated a change in
socio-political awareness surfacing time and
again.
CHRISTINA IRRGANG
FIXSTERN MANUEL FRANKE
155

JAKOB KOLDING
OHNE TITEL
NEUE BEWEGLICHE SZENERIEN „Wir werden die mechanischen Zivilisationen
und die kalte Architektur, die am Ende ihres Wettrennens
zu langweiliger Freizeit führen, nicht verlängern. Wir haben vor, neue
bewegliche Szenerien zu erfinden […]“, 1 verkündete der französische
Künstler und Aktivist Ivan Chtcheglov 1953 unter dem Pseudonym Gilles
Ivain in seinem Pamphlet Formel für einen neuen Urbanismus. Chtcheglovs
Text inspirierte die Psychogeografie der Situationisten und
ihren Modus der Bewegung durch den urbanen Raum: die dérive, das
Abweichen vom vorgesehenen Weg, das leidenschaftliche Driften und
absichtliche Verlaufen.
Das ästhetische Modell, das der situationistischen Stadterfahrung zugrunde
liegt, ist die Collage. Guy Debords Guide psychogéographique de
Paris von 1957 beruhte auf dem von Georges Peltier erstellten Plan de
Paris à vol d’oiseau von 1920–1940; Debords Guide zerschneidet diesen
Stadtplan in verschiedene Teile – unités d’ambiance –, die mehr oder
weniger weit voneinander abgerückt und durch rote Pfeile unterschiedlicher
Anzahl und Stärke miteinander verbunden sind. Die Pfeile kartieren
die unbewussten Bewegungen der Person, die diese fragmentierten
räumlichen Einheiten durchquerte. Doch der Collage-Charakter
von Debords Guide war bereits ein Merkmal des Pariser Stadtraums
selbst, seit die Haussmann’schen Boulevards und Avenuen Mitte des
19. Jahrhunderts die historisch gewachsenen Strukturen der Stadt
durchschnitten hatten. „Die dérive“, bemerkte Henri Lefèbvre rückblickend,
„war aus meiner Sicht eher eine Praxis als eine Theorie. Sie zeigte
die zunehmende Fragmentierung der Stadt. Im Lauf der Geschichte
war die Stadt einmal eine starke organische Einheit gewesen; doch
diese Einheit war seit einiger Zeit zunehmend in Auflösung begriffen,
fragmentierte sich […].“ 2
Im gleichen Jahr, in dem Chtcheglov vorschlug, die Straße zum Schauplatz
„neuer beweglicher Szenerien“ zu machen, brachte ein Schriftsteller
die Straße ins Theater. „Landstraße. Ein Baum. Abend.“, lautet
Becketts Beschreibung des elementaren Bühnenbilds von Warten auf
Godot, das im Januar 1953 in Paris uraufgeführt wurde. Hier wie dort –
im fiktionalen Raum des Theaters wie in der umherschweifenden Aneignung
des öffentlichen Raums – wurde die Straße zu einer Bühne für
mehr oder weniger prekäre Existenzen.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit Theatralizität begann im
Werk von Jakob Kolding vor mehr als einer Dekade, wie etwa in einer
Reihe von Collagen, in denen (teils beschnittene) Abbildungen von
Robert Morris’ Arbeit Two Columns von 1961 und anderen Werken des
amerikanischen Künstlers Verwendung finden. 3 Morris hatte die beiden
grauen, quadratischen Pfeiler zuerst nicht als autonome Skulpturen gezeigt,
sondern als Elemente einer Performance des New Yorker Living
Theater eingesetzt, wo sie für die vertikale und die liegende Position
des Tänzers standen. Für den Kritiker Michael Fried waren Objekte wie
diese bekanntlich „ein Plädoyer für eine neue Art von Theater […]. Während
in früherer Kunst‚ alles, was das Werk hergibt, stets in ihm selbst
lokalisiert‘ ist, wird in der literalistischen Kunst ein Werk in einer Situation
erfahren – und zwar in einer, die geradezu definitionsgemäß den Betrachter
mit umfaßt […].“ 4 Oder, wie Morris selbst formulierte: „Man ist
sich stärker als früher dessen bewußt, daß man selber die Beziehungen
herstellt, indem man das Objekt aus verschiedenen Positionen, unter
wechselnden Lichtbedingungen und in unterschiedlichen räumlichen
Zusammenhängen erfaßt.“ 5
Hier – bei diesem Bewusstsein, „daß man selber die Beziehungen herstellt“
– setzt Koldings Installation von figurativen schwarz-weißen
Collagen in dem von der A40 buchstäblich zerschnittenen Areal rund
um den Frillendorfer Platz an. Wie so viele städtische Plätze ist auch
dieser eher ein transitorischer Funktionsraum und Nicht-Ort im Sinne
Marc Augés. 6 Koldings Arbeiten besetzen die unterschiedlichen Räume
in unmittelbarer Nähe der Autobahn – Bushaltestelle, Restgrünfläche,
Unterführung, Treppenaufgang – wie eine Bühne und machen dadurch
umso sichtbarer, was diesem Ort ansonsten fehlt: eine Art Zusammenhang.
Die Übergänge zwischen den verstreuten Standpunkten der Cut-Outs
sind ebenso hart und abrupt wie die Binnenbeziehungen mancher der
ungefähr lebensgroßen Gestalten, unter ihnen eine wahrscheinlich
weibliche Figur, deren Oberkörper von einem Pappkarton verborgen ist,
in den ein maskenartiges Gesicht geschnitten ist, oder eine männliche
Gestalt, deren obere Hälfte auf ein antikes Statuen-Fragment montiert
wurde. In seiner physischen Integrität gefährdet erscheint auch der auf
dem Kopf stehende Breakdancer, der im Beton festzustecken scheint –
wobei sich durchaus unterschiedliche Lesarten seiner Gestalten herausarbeiten
lassen, wie Kolding betont: „Ich habe zu schätzen gelernt,
wie beispielsweise ein auf dem Kopf stehender Mann in einem sehr
konkreten Sinne ein Kommentar auf Machtverhältnisse und die Nutzung
von Raum sein kann – er kann ein buchstäblicher Ausdruck dafür sein,
die Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, oder eine Art Lebensgefühl
ausdrücken.“ 7
Die größte Gemeinsamkeit der Collagen besteht – neben der Reduktion
auf Schwarz-Weiß-Werte – in ihrer relativen Vereinzelung. „Der Raum
des Nicht-Ortes“, konstatiert Augé, „schafft keine besondere Identität
156

157

und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit
und Ähnlichkeit.“ 8 So korrespondiert
jede der installierten Arbeiten mehr oder weniger
stark mit bereits vor Ort Vorhandenem,
wie etwa der Tiger mit der Rasenfläche hinter
einer Leitplanke als Habitat, oder der vor einer
Unterführung wie ein Türhüter postierte
Schiedsrichter, den man zusammen mit einem
farbigen figurativen Graffiti an der Tunnelwand
wahrnimmt.
Zweifellos befinden sie sich in Situationen, die
die Betrachter mit umfassen. Doch bieten sie
diesen – auch angesichts ihrer unterschiedlichen
Quellen und Gestaltungsweisen – keine
zusammenhängende Erzählung, keinen übergeordneten
Sinn. Und auch durch ihre Zweidimensionalität
und schattenhaft-abstrakte
Rückseite wirken sie anti-illusionistisch. So
reflektieren sie den Nicht-Ort, an dem sie
postiert sind, und machen ihren spezifischen,
subjektiven Gebrauch von ihm, ohne den realen
Nutzerinnen und Nutzern des Frillendorfer
Platzes eine utopische Fata Morgana vorzuspielen.
BARBARA HESS
1| Marcus, Greil: Lipstick Traces. Von Dada bis Punk –
eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts,
Reinbek 1996, S. 358.
2| Henri Lefèbvre über die Situationistische Internationale.
Interview geführt und übersetzt von
Kristin Ross 1983, in: October Nr. 79, Winter 1997, in:
[18.01.2015].
3| Siehe hierzu und zu Debords Definition der „Psychogeographie“:
Dziewior, Yilmaz: „Psychogeographie“,
in: Jakob Kolding, Ausst.-Kat. Kunstverein in
Hamburg, Stuttgart 2001, S. 4–14; Abb. auf S. 21.
4| Fried, Michael: „Kunst und Objekthaftigkeit“, in:
Stemmrich, Gregor (Hrsg.): Minimal Art. Eine kritische
Retrospektive, Dresden und Basel 1995, S. 334–374,
hier S. 342.
5| Morris, Robert: „Anmerkungen über die Skulptur“,
in: Stemmrich, Gregor (Hrsg.): Minimal Art. Eine
kritische Retrospektive, Dresden und Basel 1995, S. 92-
120, hier S. 105.
6| Augé, Marc: Nicht-Orte, München 2010.
7| Kolding, Jakob: „Like Shadows. A Conversation
between Jacob Proctor and Jakob Kolding”, in: ders.,
Shifting Realities, Ausst.-Kat. University of Michigan
Museum of Art 2001, S. 21–25, hier S. 22 f.
8| Siehe Anm. 6, hier S. 104.
NEW CHANGEABLE DECORS “We don’t intend
to prolong the mechanistic civilizations
and frigid architecture that ultimately lead
to boring leisure. We propose to invent new,
changeable decors […]” 1 Thus the French artist
and activist Ivan Chtcheglov, writing under the
nom-de-plume Gilles Ivain, in his 1953 pamphlet
Formulary for a New Urbanism. Chtcheglov’s
text inspired the psychogeography of the
Situationists and their mode of motion through
the urban arena: the dérive, the deviation from
the prescribed route, an enthusiastic drifting
and conscious straying.
The aesthetic model the Situationist urban
experience is based on is the collage. Guy
Debord’s Guide psychogéographique de Paris
from 1957 took Georges Peltier’s Plan de Paris
à vol d’oiseau from 1920-1940 as its point of
departure; Debord’s Guide cuts up this city
map into different parts – unités d’ambiance –
which are more or less remote from one another
and are interconnected by red darts
varying in number and size. The darts chart the
unconscious movements of the person who has
crossed these fragmentary spatial units. Yet
the collage-like character of Debord’s Guide
had already been a trait of the Parisian cityscape
itself since the boulevards and avenues
created by Haussmann in the mid-19th century
cut through the historically evolved urban
structures. “As I perceived it,” Henri Lefèbvre
has remarked retrospectively, “the dérive was
more of a practice than a theory. It revealed
the growing fragmentation of the city. In the
course of history, the city was once a powerful
organic unity; for some time, however, that
unity was becoming undone, was fragmenting
[...].” 2
The year Chtcheglov proposed to transform
the street into the stage of “new changeable
decors”, an author put the street onto an actual
theater stage. “A country road. A tree. Evening.“
runs Beckett’s description of the ultrasparse
set design for Waiting for Godot, which
was premiered in January 1953 in Paris. Both
in the fictional space of the theater and through
the roaming appropriation of public space, the
street was turned into a stage for more or less
precarious existences.
The artistic exploration of theatricality in the
work of Jakob Kolding begins more than a decade
ago, for example in a series of collages integrating
illustrations (some of them trimmed)
of some of Robert Morris’ works, among them
Two Columns from 1961. 3 Originally Morris had
not exhibited the two grey square pillars as
autonomous sculptures but used them as elements
of a performance of the New York Living
Theater where they symbolized the dancer’s
vertical and horizontal position. For the critic
Michael Fried, objects like these constituted “a
plea for a new genre of theater [...]. Whereas in
previous art ‘what is to be had from the work
is located strictly within [it]’, the experience
of literalist art is of an object in a situation –
one that, virtually by definition, includes the
beholder [...].“ 4 Or, in the words of Morris himself,
“[…] one is more aware than before that
he himself is establishing relationships as he
apprehends the object from various positions
and under varying conditions of light and spatial
context.” 5
This awareness “that he himself is establishing
the relationships“ is the point of departure for
Kolding’s installation of figurative black-andwhite
collages in the area around the Frillendorfer
Platz, which is literally cut in half by the
A40 motorway. Like many urban squares, this
area could be described as a transitory functional
space and a “non-place” in the sense
of Marc Augé. 6 Kolding’s works utilize the
various spaces in the immediate vicinity of the
motorway – bus stop, greenery, underpass,
stairway – in the manner of a stage and thus
evoke the very quality which is otherwise lacking
here: a sense of coherence. The transitions
between the various sites of the cut-outs are
as hard and abrupt as the intrinsic relations
of some of the approximately life-size figures;
among them there is one probably female figure
whose torso is hidden by a cardboard box
in which a mask-like face has been cut, as well
as a male figure whose upper half has been
mounted atop a fragment of an antique statue.
The physical integrity of the break dancer
standing on his head who seems to be stuck in
concrete likewise appears to be vulnerable – if
also the figures are open to alternative inter-
158

159

pretations, as Kolding emphasizes: “I have come to appreciate how, for
instance, a man upside down can be a comment on power, on the use of
space in a very concrete sense, a literal expression of seeing things from
a new perspective, or how it can express a kind of existential feeling.“ 7
The major trait shared by all collages – apart from their reduction to
black-and-white values – is found in their relative isolation. “The space
of non-place,” Augé states, “creates neither singular identity nor relations;
only solitude, and similitude.” 8 Thus all the installed works correspond
to some degree to that which is already there; the tiger, for instance,
will be perceived as in some way connected to the lawn behind
the guardrail as its potential habitat, and the umpire positioned in front
of an underpass like a doorman will be seen in the context of a colorful
figurative graffiti on the tunnel wall. Without doubt they are contained
in situations which also include the beholders. Yet there is no coherent
narrative, no superlative meaning (nor can there be, in view of their heterogeneous
sources and designs) which they can offer up to them. Their
anti-illusionistic effect is, moreover, enhanced by their two-dimensionality
and their shadowy-abstract backsides. Thus they are reflecting
the non-place they are positioned in while using it in their idiosyncratic,
subjective way without attempting to conjure up a utopian mirage before
the eyes of the real-life residents and passers-by at the Frillendorfer
Platz.
BARBARA HESS
1| Chtcheglov, Ivan: “Formulary for a New Urbanism“, in: Internationale Situationniste
No. 1, Paris 1953, in: [09.07.2015].
2| Henri Lefèbvre on the Situationist International. Interview conducted and translated
by Kristin Ross in 1983, in: October No. 79, Winter 1997, in: [09.07.2015].
3| For more information on this subject and on Debord’s definition of “psychogeography“,
see: Dziewior, Yilmaz: “Psychogeographie“, in: Jakob Kolding. exh. cat.,
Kunstverein in Hamburg, Stuttgart 2001, p. 4–14; ill. on p. 21.
4| Fried, Michael: “Art and Objecthood“, 1967, in: http://bcnm.berkeley.edu/
nwmedia201/readings/FriedObjcthd.pdf, p. 3.
5| Morris, Robert: “Notes on Sculpture“, in: Artforum, Vol. V, No. 2, Los Angeles 1966.
6| Augé, Marc: Non-Places. Introduction to an Anthropology of Supermodernity,
London/New York 1995.
7| Kolding, Jakob: “Like Shadows. A Conversation between Jacob Proctor and Jakob
Kolding”, in: Jakob Kolding, Shifting Realities, exh. cat., University of Michigan
Museum of Art, Zürich 2001, p. 21–25, here: p. 22 f.
8| See note 6, here: p. 103.
160

161

162

OHNE TITEL JAKOB KOLDING 163

164

BO-DÜCKERWEG165

166

DÜCKERWEG RELOADED
Die Gewerbeagglomeration am Dückerweg markiert eine klassische
Typologie der Autobahn. Zwischen Schienenstrang und Verkehrsweg
haben sich hier solche Unternehmen angesiedelt, die von der
schnellen Erreichbarkeit des Orts leben. Legendär ist weiterhin D&W
(Detlef&Werner), der größte Autotuning-Shop der Region. In seinem
Umfeld hat sich auf dem Parkplatz das Tunermeeting Dückerweg gegründet,
bei dem B1|A40 im Jahr 2010 mit einem Autokino, dem Motel Bochum
von Atelier van Lieshout und seiner Eröffnungsfeier mit Driftshow
zu Gast war. Die Wahl zur Schönheit der großen Straße hat sich heute als
nachhaltig erwiesen: Auch 2014 wurde der Titel für das schönste Auto
des Ruhrgebiets vergeben. Jurypräsidentin war diesmal die Siegerin
des letzten Jahres, Jenny Ohrem.
SEATS AND SOFAS Die Ästhetik der Agglomeration ist hier allgegenwärtig.
Neben der legendären MIG von D&W zeigt das Möbelhaus
Seats and Sofas in seinem Innern weiterhin das größte Panoramabild
des Ruhrgebiets und macht sich so selbst zum Freizeitpark. Shoppen
im Abenteuerland: Die Ausstattung der Verkaufshalle mit Parkplatz
auf dem Dach folgt noch dem ursprünglichen Konzept der Firma, jedem
Haus ein individuelles Thema zuzuordnen. Hier in Bochum widmet sich
das opulente Interieur der Seefahrt, der Reise und dem Ozean. Während
der Kundenschalter einer Speicher- und Lagerstadt früherer Hafengebiete
gleicht, erhebt sich in der Eingangshalle ein Ozeanriese bis hinauf
in das Fenstergewölbe im Dach. Betritt der Besucher das Erdgeschoss,
wird die Möbelausstellung von einem umlaufenden Ölgemälde gesäumt,
das ihn auf mehreren tausend Quadratmetern in eine realistisch gestaltete
Unterwasserlandschaft mit Tigerhai, Oktopus & Co. abtauchen
lässt. Im Raum selbst sind Teile des Gemäldes – Riffe und verschollene
Schätze – dreidimensional ergänzt, die sich im ersten Obergeschoss wie
auch das Bild kongruent fortsetzen. Man befindet sich dann knapp über
dem Meeresspiegel direkt in einer Insellandschaft, deren Zentrum eine
Nachbildung von Alcatraz direkt über dem unten schon angedeuteten
Riff bildet. Im zweiten Obergeschoss schwebt man dann folgerichtig per
Rolltreppe gen Himmel, wo der Leuchtturm der Insel durch ein dreidimensionales
Wolkenmeer stößt.
Dass das gigantische Panoramabild über drei Stockwerke auf den Philippinen
gemalt wurde, berichtet der damalige Geschäftsführer noch
heute fasziniert. Und er vergisst nicht zu erwähnen, dass die Landschaft
über Wasser eigentlich das Ruhrgebiet spiegeln sollte. Da man vergaß,
die philippinischen Maler darauf hinzuweisen, malten die einfach, was
sie umgab. So kommt es, dass den Möbeleinkäufer nun statt rauchender
Schlote eine philippinische Insellandschaft umgibt.
Vor diesem illustren Gebäude baute die Gruppe KUNSTrePUBLIK ihr Tor
des Westens auf. Das in Rot und Weiß gehaltene Empfangsportal fügte
sich an seinem Standort nahtlos in die bildhafte Sprache der Gewerbeagglomeration
ein und folgte Venturis Statements im Schlüsseltext
Learning from Las Vegas. Obwohl die farbige Gestaltung Analogien zu
den Stripes offenbart, die Amerika und Seats and Sofas unisono verwenden,
hat sie hier eine kritischere Bedeutung. Denn das Empfangsportal
reflektiert in komplexer Weise das Thema der Migration. Von den Künstlern
als die Verlängerung des Autoput verstanden wird die A40 zum Einfallstor
von Ost nach West, auf deren Achse die sogenannte Armutszuwanderung
sich ihren Weg bis nach Duisburg sucht. Entgegen der dort
aktuellen Panikmache baute die KUNSTrePUBLIK für Einwanderer ein
Empfangsportal auf, das das Waschen und Reinigen in Form der Autowäsche
hier kontextorientiert als Willkommensritual inszenierte. Auch
die Silhouetten der Türme und Tore verschiedenster Kulturen verknüpfte
die Gruppe zu ihrem multikulturellen Tor des Westens. Die komplett
nutzbare Waschanlage spielte dem Fahrer bei seiner Ankunftsreinigung
per Autoradio einen Song ein, der zum Nachdenken anregt. Der eigens
hierfür komponierte Titel „Wer will kommen – wer ist willkommen?“ der
Band Die Türen aus Berlin thematisiert wie die ganze Arbeit mit Humor,
Ironie und konstruktiver Kritik das komplexe Thema der Zuwanderung
in kontextualisierter Form.
Der wiederholte Besuch am Dückerweg geht nicht nur auf die faszinierende
Zusammenarbeit aus dem Jahr 2010 zurück. Der Ort, der gegenüber
vielen anderen von der Autobahn profitiert, gehört zu den wichtigen
Typologien dieses Raums. Er zeigt die Qualität solcher Orte, die rein
aus ihrer Nutzung leben. Wo am Sonntag der verwaiste Parkplatz einen
Un-Ort bildet, ist Freitagabend ein bunter, wilder, exotischer Raum voller
Menschen, Autos und gelebter Träume. Der Parkplatz als Niemandsland,
dessen Besitz zeitweilig jeden Tag neu ausgehandelt wird, ist die
Bühne einer Region, die sich in einfachen Praktiken an temporären
Orten ihr Leben organisiert. Das informelle Tunermeeting ist Ereignis
ohne Ort, eine vagabundierende Gemeinschaft, die sich um ihren Fetisch
herum selbst erfindet.
MARKUS AMBACH
167

DÜCKERWEG RELOADED The commercial
agglomeration at Dückerweg is of the classic
type found along the autobahn. Between the
train tracks and the road, the kinds of companies
that benefit from the site’s easy accessibility
have moved in. D&W (Detlef&Werner), the
biggest auto tune-up workshop in the region, is
legendary. A meeting of car tuning enthusiasts
was founded nearby in the parking lot and was
a guest at B1|A40 2010, along with a drive-in
movie theater, and the Motel Bochum by Atelier
van Lieshout and its opening night celebration,
which featured a drifting show. The election of
the beauty of the grand road endured to this
day: the title of the most beautiful car in the
Ruhr District was also awarded in 2014. That
time, the president of the jury was the winner
of the previous year’s prize, Jenny Ohrem.
SEATS AND SOFAS The mall’s aesthetic is
omnipresent here. Besides D&W’s legendary
MIG, the interior of the furniture store, Seats
and Sofas, features the largest panoramic
picture in the Ruhr District, and thus the store
has become a kind of amusement park. Shopping
in Adventureland: the store with a parking
lot on the roof is designed in accordance with
the company’s original concept of giving each
building an individual theme. Here in Bochum
the opulent interior is devoted to seafaring,
travel, and the ocean. While the customer
service counter looks like a small warehouse
area near an old harbor, the entrance hall contains
an image of an ocean liner that rises up
to the vaulted windows in the roof. When visitors
enter the ground floor, they see that the
furniture display is bordered by a surrounding
oil painting, which immerses them in several
thousand square meters of a realistically designed
underwater landscape featuring tiger
sharks, octopuses and company. In the space
itself, parts of the painting – reefs and sunken
treasures – have three-dimensional elements,
which, like the painting itself, continue congruently
up to the second floor. There, you’ll find
yourself just above water level in the middle
of an island landscape, whose center is a picture
of Alcatraz placed directly above the reef.
On the third floor, you of course float upward
toward the sky on an escalator, where the
island’s lighthouse juts out through a threedimensional
sea of clouds.
The manager reports still fascinated that the
gigantic, three-story panorama, was painted in
the Philippines. And he doesn’t forget to mention
that the landscape above the water is actually
supposed to reflect the Ruhr District. Since
everyone forgot to tell the Filipino painters,
however, they simply painted what was around
them. Which is why the furniture salespeople
are now surrounded by a Filipino island landscape
instead of sooty smokestacks.
In front of this illustrious building, the group
KUNSTrePUBLIK built their Gateway to the West.
The red and white portal blended seamlessly
into the picturesque language of the strip mall
and corresponded to Venturi’s statements in
the crucial text, Learning from Las Vegas. Even
though the colorful design is analogous to the
stripes that represent both the United States
and Seats and Sofas, the stripes here have a
more critical significance, because the portal
reflects the theme of migration in a complex
way. The artists regard it as an extension of
the Autoput, and the A40 as the gateway from
east to west, along which so-called poverty
migrants finds their way to Duisburg. In an attempt
to oppose the scaremongering there, the
KUNSTre PUBLIK built a welcoming portal for
immigrants. There, a context-oriented welcoming
ritual, involving the kind of washing and
cleaning done in a car wash, was performed.
The group also linked the silhouettes of the towers
and gates to their multicultural Gateway
to the West. When a driver arrived for a wash,
the completely functional car wash played a
song over the car radio, which can inspire the
listener to think carefully. The song, composed
specifically for the piece, is titled, “Wer will
kommen – wer ist willkommen?” (Who wants
to come – who is welcome?). It was written by
the band Die Türen from Berlin; its theme, like
the theme of the entire work of art, is migration,
and it is treated in a contextualized form
with humor, irony, and constructive criticism.
The repeated visit at Dückerweg is instigated
by more than just this fascinating collaboration
from 2010. Unlike many others, the site profits
from its proximity to the autobahn and is one
of the most important types of places in the
area. It demonstrates the character of these
sites, which live simply through their functionalism.
On Sundays, the desolate parking lot
is a wasteland, but on Friday evenings, it’s a
colorful, wild, exotic place full of cars, as well
as people living out their dreams. The parking
lot as no-man’s-land, whose ownership is temporarily
renegotiated every day, is the setting
for a region that organizes its life into simple
practices performed in provisional places. The
informal tuner’s meeting is an event without a
site, a vagabond community that invents itself
around its fetish.
MARKUS AMBACH
168

169

170

171

KUNSTREPUBLIK
TOR DES WESTENS
Der Dückerweg an der Autobahnausfahrt Bochum-Wattenscheid hat
utopischen Charakter: bebaut mit Megastores für Take-away-Sofamöbel
oder sportliches Autozubehör sowie diversen Ketten für Burger,
erscheint dieser Straßenabschnitt wie die Idee eines amerikanisierten
Nicht-Ortes. Das urbane Konglomerat ist von der Schnellstraße abgetrennt
durch hohe Schallschutzwände, und ist dank seiner freizügigen
Fläche oft Treffpunkt für Auto-Tuner. Nicht zuletzt fand hier die Wahl
zum schönsten Auto des Ruhrgebiets statt, eine Initiative, die im Rahmen
der Ausstellung B1|A40 Die Schönheit der großen Straße für die Tuner
erstmals 2010 ins Leben gerufen wurde. Eine weitere Besonderheit
konnten sie aber während der Ausstellungsdauer 2014 in ihrem
Schnellstraßen-Kiez vorfinden: Das Tor des Westens.
Es ist eine Auto-Waschanlage des Berliner Künstlerkollektivs KUNSTrePUBLIK,
das den utopischen Charakter des Dückerwegs um die Frage
tatsächlicher Utopien erweitert. Konzipiert als „Begrüßungsanlage“
für Menschen aus fernen Ländern, sind es Themen wie Migration, Eingliederung
und Einbürgerung in Deutschland, die dem Tor des Westens
zugrunde liegen. Die Waschanlage, die zu festen Betriebszeiten zur Reinigung
von Autos gebraucht werden konnte, erscheint zunächst wie eine
Festung inmitten des Dückerwegs.
Ihre wehrhafte Verkleidung in rot-weißem Balkenmuster ist eine Collage
aus Silhouetten von Portalen und anderen architektonischen Elementen,
umringt von kleinen zollartigen Häuschen. In die Gestaltung
der Silhouetten sind verschiedenste Konstruktionen von Portalen,
Türmen und Toren weltweit als Vorlage eingeflossen, doch auch lokale
architektonische Bauten wie eine Kirche aus Gelsenkirchen oder der
Dortmunder Fernsehturm fanden Berücksichtigung.
Das von der KUNSTrePUBLIK gebaute, universale Portal ist ein Symbol
des Übergangs, es bildet eine Kulisse der Reflexion. Die LED-Anzeige in
der Waschstraße, welche die einfahrenden Autos mit einem „Herzlich
Willkommen“ in verschiedenen Sprachen begrüßt, legt nahe, dass es
hier nicht nur um das Waschen des Fahrzeugs geht. Auf einem eigenen
Radiosender auf lokaler Frequenz wird der Waschvorgang von Willkommensliedern
begleitet. Geschrieben und eingespielt wurden sie von der
Berliner Band Die Türen. „Wer will kommen – wer ist willkommen?“
ist so eine Passage aus dem Stück Die Erlösung, während in dem Lied
Akzeptanz von „Mir bräucht‘ es keine Liebe, denn mir reicht die Akzeptanz“
gesungen wird. Es sind Willkommenslieder mit subtiler Kritik, die
Texte spiegeln Stimmen, Zitate oder Stereotypen der im Rahmen von
Zuwanderung entstehenden Konfliktsituationen.
Denn die Arbeit Tor des Westens bezieht sich auf lokale Fragen und
Un sicherheiten, nimmt Rückgriff auf den sich seit 2008 vollziehenden
Zuzug einer Vielzahl an Menschen aus den EU-Staaten Rumänien und
Bulgarien nach Duisburg. Arbeitserlaubnis oder Arbeiterstrich? Die
Zuwanderer, die oftmals über den sogenannten Autoput, ein Synonym
für den Balkanschnellweg, nach Deutschland migrieren, haben in ihrer
neuen Heimat einen problematischen gesellschaftlichen Status. Die
Arbeit Tor des Westens bezieht sich auf eben diese Missverständnisse,
Ängste und Integrationsschwierigkeiten zwischen lokaler Bevölkerung
und Zuwanderern und setzt dieser gesellschaftspolitischen Konfliktsituation
ein Tor der Sichtbarkeit und Feierlichkeit entgegen – für gegenseitige
Akzeptanz. Eine Referenz und Vorbild ist hierbei auch die Willkomm
Höft, eine Schiffbegrüßungsanlage im Hamburger Hafen, mittels
derer ein- und ausfahrende Schiffe mit ihrer Nationalhymne begrüßt
und verabschiedet werden. Der bewusste Umgang mit Kommenden
und Gehenden ist hierbei entscheidend. Die Waschstraße, begleitet von
reflektierendem Gesang, greift dies auf, und impliziert im Vorgang des
Reinigens auch einen Aspekt des Heiligen, des Rituals, der Achtsamkeit
und des bewussten Übergangs von einem Raum in einen anderen, von
einer Situation in die nächste.
Der Ansatz der künstlerischen Arbeit der KUNSTrePUBLIK ist sozial,
politisch und stets infrastrukturelle Formen in Frage stellend. Die
KUNSTrePUBLIK sind Matthias Einhoff, Philip Horst, Markus Lohmann
und Harry Sachs. Seit 2006 verfolgt das Team künstlerische Interventionen
im öffentlichen Raum, mit dem Konzept, ortsspezifische Projekte zu
realisieren. Ihr Denken ist dabei global ausgerichtet, sowohl inhaltlich,
als auch in Bezug auf die Orte, an denen das Künstlerkollektiv weltweit
tätig ist.
CHRISTINA IRRGANG
172

173

GATEWAY TO THE WEST Dückerweg, located at the Bochum-Wattenscheid
motorway exit, could be ascribed a quasi-utopian ambiance:
dotted with megastores selling take-away furniture or sports car components
and various fast-food outlets, this part of the motorway looks
like the ultimate Americanized non-place. The urban conglomerate
has been separated from the motorway by high noise barriers, and is a
meeting-place popular with car tuning enthusiasts due to its wide open
spaces. Accordingly it also hosted the contest for the most beautiful car
of the Ruhr region, an initiative established for the car tuners in 2010
within the framework of the exhibition B1|A40 The Beauty of the Grand
Road. During the exhibition of 2014, the motorway neighborhood offered
them another special feature: Gateway to the West.
The Gateway is a car wash created by the Berlin art collective KUNSTre-
PUBLIK which amplifies the utopian character of Dückerweg by introducing
the question of actual utopias. Projected as a “welcoming facility”
for people arriving from abroad, the Gateway to the West focuses on
subjects such as migration, integration and naturalization in Germany.
The car wash, which could actually be used for the cleaning of cars during
fixed opening hours, at first glance gives the impression of a fortress.
Its stark exterior design using a red-and-white bar pattern is a collage
made from silhouettes of gates and other architectural elements surrounded
by small custom-shed-like houses. The silhouettes draw upon
a multitude of portals, towers and gates from around the world, yet also
include local architectural features such as a Gelsenkirchen church or
the Dortmund TV tower.
The universal gate built by KUNSTrePUBLIK is a symbol of transition, offering
a backdrop for reflexion. The LED display inside the car wash plant
greeting the arriving cars with a “cordial welcome” in various languages
suggests that all this is not merely about the washing of cars. A special
radio station broadcasting on a local frequency accompanies the washing
of the cars with a medley of welcoming songs, written and played by
the Berlin band Die Türen. “Wer will kommen – wer ist willkommen?”
(Who wants to come – who is welcome?) is a line from the song Die Erlösung
(The Salvation), while the song Akzeptanz (Acceptance) goes “Mir
bräucht’ es keine Liebe, denn mir reicht die Akzeptanz” (I don’t need no
love, acceptance is all I need). The songs are blending welcoming statements
and subtle criticism, reflecting voices, quotes and stereotypes
of conflicts emerging in the course of immigration. The work Gateway
to the West refers to local issues and insecurities, in particular the immigration
of large numbers of Romanians and Bulgarians to Duisburg
since 2008. Work permit or work prostitution? The social status of the
immigrants, who are frequently arriving in Germany via the so-called
Autoput, a synonym for the Balkan overland route, in their new home
country is problematical. Referring to the misunderstandings, fears and
difficulties arising between the native residents and immigrants in the
course of integration, the Gateway to the West provides a tangible symbol
of mutual acceptance, a landmark of visibility and festiveness in the face
of this situation of socio-political conflict.
One reference and model is provided by the Willkomm Höft, a facility for
the welcoming of ships in the port of Hamburg which welcomes and bids
farewell to arriving and departing ships by playing their individual national
anthem. A decisive factor is the conscious interaction with arrivals
and departures; the car wash accompanied by reflective songs has
adopted this attitude, and also invokes, in the progressive cleansing of
the cars, aspects of holiness, ritual, attentiveness and of the conscious
transition from one place or situation to another.
The artistic work of KUNSTrePUBLIK is marked by social and political
concerns and a pervasive questioning of infrastructural forms. KUNSTrePUBLIK
consists of Matthias Einhoff, Philip Horst, Markus Lohmann
and Harry Sachs. Since 2006 the team has initiated artistic interventions
in public space, focusing on site-specific projects. At the same time, its
thinking is globally-directed, both with respect to subject matter and
the places all over the world where the art collective is staging its interventions.
CHRISTINA IRRGANG
174

175

176

177

DIE SCHÖNHEIT
DER GROSSEN STRASSE
Nach außen hat sich einiges verändert, seit
B1|A40 im Jahr 2010 am Dückerweg zu Gast
war. Doch blickt man freitags hinter die neu
erbaute Lärmschutzwand, begegnet man auch
vier Jahre später alten Bekannten: Die Tuning-
Szene ist dem Dückerweg treu geblieben und
trifft sich hier weiterhin allwöchentlich zum
Fachsimpeln, Grillen, Unterhalten und natürlich
zur Autoschau. Auch Jennifer Ohrem (2010
hieß sie noch Kowalski) ist immer noch begeisterte
Tunerin und regelmäßig am Dückerweg
unterwegs – ihr Seat Arosa war die Schönheit
der Großen Straße 2010. Beim ersten Wiedersehen
mit Jenny waren wir uns sofort einig:
auch 2014 muss die fahrende Schönheit der
A40 gewählt werden. Mit Jenny, ihrem Mann
Markus und seinem Mechaniker-Kollegen
Timo als Experten an unserer Seite verbrachten
nun auch wir die Freitagabende auf dem
Parkplatz am Dückerweg, um gemeinsam die
zehn besten Tuning-Autos zu finden, die sich
am 22. August zur Wahl der Schönheit der großen
Straße stellten. Vorgestellt von Jenny Ohrem
und Markus Ambach fand sich eine große
Tuning-Vielfalt auf dem roten Teppich. In zwei
Durchgängen erkor dann die trotz Regen zahlreich
anwesende Tuner-Gemeinde den Sieger
2014. Gewonnen hat ein alter Bekannter: Patrick
Horny ist mit seinem braun-metallic lackierten
Opel Corsa bereits 2010 angetreten,
konnte sich allerdings damals nicht gegen
Jennys Arosa durchsetzen. Diesmal trug er
den Pokal nach Hause. IRINA WEISCHEDEL
178

THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD Apparent changes took place at
the Dückerweg since B1|A40’s last visit in 2010. However, if you take a
look behind the new noise protection wall on a Friday afternoon four
years later you will find familiar faces: the car tuning scene continued in
their place at the Dückerweg and meets there every week to talk shop,
to barbecue, to chat and, most importantly, to show their cars. Of course,
also Jennifer Ohrem (formerly Kowalski), who’s Seat Arosa was elected
beauty of the grand road in 2010, stayed true to car tuning and still is
seen regularly at the Dückerweg. At our first reencounter with Jenny
after four years we instantly decided to elect the beauty of the grand
road again in 2014. With Jenny, her husband Markus and his auto
mechanic-buddy Timo as experts at our side we spent the following
Fridays at the Dückerweg to find the ten best tuning-cars to participate
in the election. Hosted by Jenny Ohrem and Markus Ambach, the election
of the beauty of the grand road then took place on the 22nd of August
and was attended by numerous cartuning fans despite heavy rains.
After two rounds the winner was another familiar face from 2010: Patrick
Horny, with his metallic brown Opel Corsa, also participated in
2010, yet had to give in to Jenny’s Arosa. This year, however, he took the
trophy home.
IRINA WEISCHEDEL
179

180

DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE 181

182

BO-HAMME183

184

KULTURELLE
KREUZUNGEN
BO-HAMME Manche Nutzer suchen bewusst die Anonymität der Autobahn.
Die Kreuzung Dorstener Straße und der Ortsteil Hamme in Bochum
verknüpfen nicht nur die Autobahn direkt mit der Stadt, hier treffen
auch unterschiedlichste Kulturen aufeinander. Wo der Turm der 2010
zur Autobahnkirche gewordenen Epiphanias-Gemeinde den Platz überragt,
befanden sich bis vor Kurzem das größte Bordell der Region, Freude
39, und die größte türkische Diskothek Europas, das Taksim, in direkter
Nachbarschaft. Während sich das wenige Meter entfernte Gelände
des Schlachthofs in sich selbst zurückzuziehen scheint, erfährt gegenüber
an der Berggate 69 das Thema kulturelle Kreuzungen eine ungeahnte
Dimension. In dem unscheinbaren Haus, in dem aktuell unter dem
Namen Das bizarre Stahlwerk das größte SM-Studio der Gegend und der
Tanzsportverein Ruhr-Casino Bochum residieren, war einst der erste
Standort der legendären Galerie Inge Baecker angesiedelt. Hier stellten
Kunstgrößen wie Allan Kaprow, Mauricio Kagel und Wolf Vostell direkt
an der A40 aus.
Im Souterrain dieses Hauses entstand das Museum Berggate 69, das die
Geschichte dieses Orts erzählte, die heterogener kaum sein könnte. Zudem
fand im Umfeld der kulturellen Kreuzungen in Hamme die Untersuchung
von Elke Krasny unter dem Titel Aus der Landschaft der Eigenständigkeit
statt. Nach einer Landschaft suchend, die sich aus sich selbst
heraus gleichsam unbewusst konzipiert hat, erforschte Krasny als Gast
und Residentin der Autobahnkirche ihr Umfeld, um es mit weit entfernten
Orten und ihren doch so naheliegenden Themen zu konfrontieren.
Über die wahrgenommene Nachbarschaft konnte die Landschaft unabhängig
von ihrer örtlichen Prägung entlang von globalokalen Zusammenhängen,
die Krasny durch fotografische Notizen in den aktuellen Raum
reimportiert hatte, gelesen werden.
KULTURELLE KREUZUNGEN Die direkte Nachbarschaft dieser mehr als
heterogenen Interessen verweist auf eine Typologie entlang der A40, die
im Strom des Verkehrs die Unsichtbarkeit sucht. Die Autonomie des Reisenden
bedingt ein latentes Desinteresse an seinem Umfeld und den lokalen
Belangen. Schon im Genre des Roadmovies wird deutlich, wie die
Losgelöstheit von Ort, Identität und Selbst nicht nur eine entgrenzte Vi-
sion jenseits des eigenen Ichs erlaubt, sondern auch erotische Fantasien
stimuliert. Der Selbstverlust verknüpft sich nahtlos mit der Verführung
durch das Andere und das Fremde, das einen der eigenen, profanen
Existenz entreißt. Die Anonymität der Straße schafft jenen Raum zwischen
den Dingen, der zur Bühne des Vorstellbaren wird – und auf der
man das auslebt, was dem Alltag entgeht. Dabei ist die Entkopplung von
Ort und Zeit eine Qualität der Straße. Die Flüchtigkeit der Beziehungen
entspringt der Isolation dieses Raums. Der Wanderer zwischen den Welten
profitiert von der Absolution seiner Taten an einem Ort, der keiner ist
und der schnell vergisst.
NACHBARSCHAFTEN Dass die romantische Vorstellung vom Ort ohne
Ort, von der Zeit außerhalb der Zeit, von der Verführung durch das Fremde
im Bordell profanisiert wird, entspricht der pragmatischen Ökonomie
unserer Zeit. Die komplexe Vorstellung des Roadmovies wird in der
Einrichtung von käuflicher Liebe und Prostitution in der Blackbox eines
fensterlosen Raums am Wegesrand destilliert.
So interessierte sich das Bordell Freude 39 nicht nur für die Klientel der
großen Straße, sondern auch für die Unsichtbarkeit, die sie gewährt.
An der namensgebenden Freudenbergstraße, die eigentlich nur noch
zwei Auf- und Abfahrten der Autobahn miteinander verbindet, landeten
die Freier nahezu unbemerkt an. Der unscheinbare Flachbau mit Wellblechfassade
ließ den versprochenen Luxus im Inneren nur an der gutshofartigen
Pforte erahnen. Die Anonymität der Kunden schien oberstes
Gebot zu sein. Wo mancher ein wildes Treiben des Nächtens vermutete,
herrschte zwischen 11 und 14 Uhr Hochbetrieb. Wo um 17 Uhr Happy
Hour und um 20 Uhr schon Schluss war, suchte eine Klientel, die sonst in
geregelten Bahnen lebt, im Schatten der Mittagspause ihre eingedampften
Fantasien auszuleben.
Da hatte die türkische Diskothek Taksim, die im selben Gebäude residierte,
andere Interessen: Die Nähe der Autobahn ließ hier eine Klientel
von Rotterdam bis Berlin vorfahren und die Anfahrt von hundert Kilometern
so mühelos erscheinen wie die zu einer üblichen Stadtdisco.
In der abbruchreif anmutenden Halle mit entgegengesetztem luxuriösem
Interieur trafen sich lange Zeit auf Tausenden Quadratmetern die
185

Stars der einschlägigen Popszene. Die Nachbarschaft mit dem Bordell
war den muslimischen Eignern und Gästen jedoch immer ein Dorn im
Auge. Heute residiert das Taksim in der Innenstadt Bochums, und das
Gebäude ist verwaist.
Dass sich der Pfarrer der Autobahnkirche auch für die Gäste von Freude
39 und Taksim interessiert, entspricht seiner Profession. Die Kirche,
die durch den Autobahnbau von ihrer damaligen Gemeinde getrennt wurde,
sucht und findet seit 2010 eine neue Klientel unter den Reisenden, die
ihre Hoffnungen, Wünsche und Ängste anonym und öffentlich im Tagebuch
der Kirche niederschreiben. Die Epiphanias-Gemeinde zeigte als
Gastausstellung in eigener Regie Bilder der Künstlerin Judith Pappe, die
Autobahnkirchen in ganz Deutschland fotografierte.
Der ebenfalls benachbarte Schlachthof kämpft aktuell um seinen Standort,
dessen gute Erreichbarkeit und latente Anonymität an der A40 ihm
weiterhin zugutekommt. An diesem Ort, wo Hunderte von Tieren tagtäglich
ihre Reise auf unsere Teller antreten, wird seine Unsichtbarkeit
geschätzt und der Kontakt mit der Außenwelt vermieden. Tierschützer
und sonstige Andersdenkende bereiten den Besitzern ohnehin regelmäßig
Probleme. Trotzdem zeigen sich die Betreiber des Familienbetriebs
freundlich. Da der Schlachthof nur noch einen kleinen Teil des Geländes
nutzt, sind sie auf Innovationen angewiesen. So haben sich verschiedene
Einzelhändler im Umfeld angesiedelt. Wenn der Fleischabverkauf
am Freitagabend seine Tore öffnet und die Koteletts unter die Ein-Euro-Grenze
fallen, entsteht ein Stau bis auf die Autobahn. Ein Händler für
Wurstpellen und eine Messerschleiferei, aber auch ein Architekturbüro,
ein Fotograf und eine Geländerproduktion mit musealem Display gehören
inzwischen zum gemischten Angebot auf diesem Areal mit langer
Tradition.
Wo das Gelände auf die Anlagen der Bundesbahn trifft, haben sich Schrebergärten
und andere Randnutzungen angesiedelt. Im Niemandsland
zwischen der überdimensionalen Fernwärmeleitung und dem Schienenstrang
sind zwielichtige Mikrogesellschaften neben bürgerlicher Gartennutzung
zu finden. Die komplizierten Zuwegungen, die teilweise unter
einer nur einen Meter über Bodenniveau verlaufenden Rohrleitung
durchführen, lassen diesen Raum mehr als unattraktiv erscheinen. Zudem
grenzt er im hinteren Bereich an einen Friedhof, der sich langsam
zum Park zurückentwickelt.
MARKUS AMBACH
186

KULTURELLE KREUZUNGEN 187

CULTURAL JUNCTIONS | BO-HAMME Some people deliberately seek out
the anonymity of the autobahn. The Dorstener Straße junction in the Hamme
district in Bochum links the autobahn directly to the city, while different
cultures also encounter each other here. Where the tower of the Epiphanias
Church (which became a drive-in church in 2010) rises up over the
square, the region’s largest bordello, Freude 39, and the biggest Turkish
discotheque in Europe, the Taksim, were located right next to each other
until just recently. While the slaughterhouse a few meters away seems
to retreat into itself, the theme of cultural intersections takes on unforeseen
dimensions at Berggate 69 across the street. The modest building
currently houses the area’s largest S&M studio, Das bizarre Stahlwerk,
and a competitive dance club, the Ruhr-Casino Bochum, but at one time
it was the building that first housed the legendary Galerie Inge Baecker.
Here, great artists such as Allan Kaprow, Mauricio Kagel, and Wolf
Vostell exhibited their work, right by the A40. This building’s basement
contained the Museum Berggate 69, which told the history of this place –
a history that could hardly be any more diverse. Elke Krasny’s investigation,
From the Landscape of Autonomy, also took place at this cultural intersection
in Hamme. Looking for a landscape that had unconsciously copied
itself from itself, as it were, Krasny was a guest and resident of the drivein
church, and explored its environment, in order to confront it with far
distant places and their themes, which were closely related to this place,
despite the distance. Through the neighborhood, the landscape could
be read independently of its local stamp, along global/local contexts,
which Krasny re-imported into the current space in her photographic
notes.
188

FREUDE Das langgestreckte Gebäude an der Freudenbergstraße
39 ist aktuell verwaist. Wo bis vor
Kurzem noch die größte türkische Diskothek Europas
Taksim und das größte Freudenhaus der Region Freude
39 residierten, herrscht nun Leerstand. Nur der
weitläufige Parkplatz erinnert noch daran, wie begehrt
eine solche Lage direkt an der Autobahn sein kann.
FREUDE The elongated building on Freudenbergstraße
39 is abandoned today. Not too long ago this
was the address of the largest Turkish discotheque of
all Europe and the largest brothel in the region (the
Freude 39). Today only the vast parking lot is reminiscent
of what was once considered a quality location
right beside the autobahn.
KULTURELLE KREUZUNGEN
189

MUSEUM Der Schlachthof in Bochum hat eine lange
Geschichte. Neben dem klassischen Schlachtbetrieb
haben sich hier zahlreiche Nutzungen wie Messerschleifer,
Gemüseläden und Wurstpellen-Produzenten
angesiedelt. Besonders illuster ist das Display eines
Beschläge- und Geländerhändlers, das museale
Züge annimmt.
MUSEUM The slaughterhouse in Bochum has a long
history. Besides the traditional slaughtering business,
many adjacent businesses like knife sharpeners,
greengrocer‘s shops and sausage casing producers
Are located here. The display of a fittings and handrail
shop is, in its museum-like character, especially
illustrious.
CULTURAL JUNCTIONS The direct proximity
of these more than heterogeneous interests
along the A40 points up the existence of a type
of person that seeks invisibility in the flow of
traffic. The traveler’s autonomy induces a latent
disinterest in his environment and local affairs.
The road movie genre makes it clear how
separation from place, identity and self not only
allows for unlimited vision beyond the actual
self, but also stimulates erotic fantasies. Losing
the self connects seamlessly with the notion
of being seduced by the other, the stranger,
which rips you out of your mundane existence.
The street’s anonymity creates a kind of space
between things, which can then become the
stage for anything imaginable. Upon this stage,
you can experience what evades you in everyday
life. Decoupling place and time is one of the
things the street is capable of doing. Fleeting
relationships arise out of the isolation of this
space. The wanderer between worlds benefits
from being absolved from his deeds in a place
that is not a place, and is quickly forgotten.
NEIGHBORHOODS The fact that the romantic
notion of a place without a place, of a time outside
of time, is profaned by being seduced by
the stranger in the bordello, corresponds to the
pragmatic economies of our time. The complicated
notion of the road movie is distilled in the
building where love is for sale and prostitution
takes place in the black box of a windowless
room on the edge of the road.
So the Freude 39 bordello was not only interested
in clients from the grand road, but also in the
invisibility it provides. Johns landed almost unnoticed
on the eponymous Freudenbergstraße,
which is actually connected to the autobahn by
two exits and entrances. The only thing about
the modest, flat building with its corrugated
metal façade that even hinted at the luxury inside
was the gate, which looked like it belonged
to a mansion house. The highest priority seemed
to be the anonymity of the clientele. Even
though some imagined wild partying throughout
the night, the busiest hours were actually
between eleven a.m. and two p.m. Clients who
190

191

ZWISCHENWELTEN Gleich hinter dem Schlachthof
drängt sich eine ambivalente Halbwelt zwischen
Schienenstrang und Autobahn, die nur unter der Fernwärmeleitung
hindurch zu erreichen ist. Wer die nur
einen Meter hohe Passage unterquert, findet Kleingärten
und Ponys, Goldsucher (im Computerschrott)
und ominöse Familienclans im Niemandsland zwischen
den Welten.
WORLDS IN BETWEEN Right behind the slaughterhouse,
only accessible through under the district
heating pipes, begins an ambivalent demimonde. Once
you cross the only one meter high passage, you find
a no-man’s-land, wedged between railway tracks and
the autobahn, inhabited by dubious family clans in allotment
gardens, ponies and even gold prospectors
(digging through the e-waste).
usually led ordered lives sought to live out their
steamy fantasies in the shadows of lunchtime, at
a place that closed at eight p.m. and where Happy
Hour was at five.The Turkish disco Taksim,
which occupied the same building, had other
interests: Close proximity to the autobahn allowed
customers to drive from as far away as
Rotterdam and Berlin, and made a hundredkilometer
drive seem as easy as driving to a local
urban disco. For a long time, stars of various
pop scenes met in the demolition- ripe hall, with
its contrastingly luxurious interior spread out
over thousands of square meters. The neighborhood
bordello was always an eyesore to
the Islamic proprietors and guests. Today, the
Taksim is in downtown Bochum and the building
has been orphaned.
In accordance with his profession, though,
the pastor of the drive-in church is interested
in the guests of both Freude 39 and Taksim.
The church, which had been separated from its
parishioners by the autobahn, has been looking
for and finding a new congregation among
travelers, who anonymously write down their
hopes, dreams and fears in the church’s public
journal. The Epiphanias community hosted
an exhibition by the artist Judith Pappe, who
photographed drive-in churches all over Germany.
Right now, the nearby slaughterhouse is fighting
for its location, since accessibility to the A40 and
its latent anonymity is a continual benefit. In this
place, where every day hundreds of animals begin
their journeys to our plates, invisibility is valued
and contact with the outside world avoided.
And anyway, animal protection activists and
other dissidents regularly make trouble for the
owners. Nevertheless, the people who operate
this family business show up friendly. Since
the slaughterhouse only takes up a small portion
of the property, they need to be innovative,
so various retailers have moved in around them.
When meat goes on sale on Friday evening and
the cost of cutlets falls below one euro, it causes
a traffic jam that reaches all the way to the
autobahn. A dealer in sausage casings, a knife
sharpener, an architectural office, a photographer,
and a railing manufacturer with a museum-like
display are now part of the mixed array
at this traditional locale.
Where the property meets the railway’s facilities,
allotment gardens and other peripheral
operations have settled in. In the no-man’s-land
in between the oversized district heating pipes
and the railway tracks, dubious micro-communities
can be found abutting bourgeois gardens.
The complex of entrances, some of which lead
through a pipe just one meter above the ground,
make this space seem more than unattrac tive.
In addition, towards the back it borders on a
cemetery, which is slowly being turned back
into a park.
MARKUS AMBACH
192

193

GIB GUMMI! In direkter Nähe jenes Orts, an dem
Allan Kaprow seine erste Einzelausstellung in Europa
hatte und seinen legendären Reifenturm errichtete, ist
heute der Standort der Reifengruppe Ruhr. Khaled Daouk,
seine Familie und seine Kollegen sortieren hier
gebrauchte Reifen nach Zustand, um sie zu recyceln
und weiterzuverkaufen. Die Reifen auf der gigantischen
Fläche, die sie dazu verwenden, wirken wie eine
monumentale Skulptur. Der sympathische Versuch,
als Erinnerung an Kaprow einen Reifenturm während
der Ausstellung aufzustapeln, erwies sich statisch allerdings
als schwierig. Dass Khaled Daouk auch ein
begeisterter Fotograf ist, zeigt das wunderbare Bild
auf der folgenden Doppelseite.
LET‘S BURN RUBBER! The area right beside the
place where Allan Kaprow had his first solo exhibition
in Europe and constructed his legendary Tire Tower,
is today used by the Reifengruppe Ruhr. Here, Khaled
Daouk and his family and colleagues sort used tires
to recycle and resell them. The stacks of tires spread
over the large site give the impression of a monumental
sculpture. However, the sympathetic attempt
to build a tire tower as a reminiscence of Kaprow during
the exhibition proved to be statically challenging.
The picture on the following spread moreover shows
Khaled Daouk’s enthusiasm as a photographer.
194

195

196

197

BERGGATE 69
Im Bermudadreieck zwischen A40 und Schienenstrang fällt ein Haus
besonders ins Auge: Direkt an der Schnittstelle der Verkehrswege liegt
das Gebäude an der Berggate 69. Recherchen führten zur Einrichtung
des temporären Museums Berggate 69, das die Geschichte dieses Hauses
dokumentierte.
BDSM Hier, wo jeder Leerstand vermutet, residiert auf circa 400 Quadratmetern
unter anderem das größte SM-Studio der Region. Das bizarre
Stahlwerk und seine Leiterin Carolin von Stahl bieten in ihrem
umfangreichen Etablissement in thematisch gestalteten Räumen alles
an, was manch einem schönen Schmerz bereitet. Dass sich hinter SM
eine Kulturgeschichte verbirgt und die Latexmaskensammlung museale
Ausmaße annimmt, erfährt man im Gespräch mit Carolin von Stahl,
die ruhrgebietstypisch offen und ehrlich über die Hintergründe des Themas
spricht. Natürlich bedingt die Diskretion, dass das Studio nur nach
Anmeldung besucht werden kann. Zur Autobahn hin verrät die kryptische
Bezeichnung BDSM 1 nur dem Fachmann, was hier angeboten wird.
Auch die Kunden des Stahlwerks schätzen die Anonymität der Autobahn.
RUHR-CASINO BOCHUM E. V. Bei einer genaueren Betrachtung der unspektakulären
Frontseite des Hauses fallen neben dem Stahlwerk noch
zwei weitere Nutzungen ins Auge. Bis vor Kurzem fand man hier noch
das K1-Kampfsportstudio, zudem verweist ein sportlich orientiertes
Logo auf den Tanzsportverein Ruhr-Casino Bochum e. V., die Tanzsportabteilung
des VfL Bochum 1848. Hier öffnet sich eine unerwartet
farbenfreudige, fröhliche Welt junger Leute und ihrer Leidenschaft für
Tanz direkt unter dem SM-Studio. Wo man sich oben quälen lässt, tut
man dies hier genauso freiwillig und mit viel Elan beim harten Training
von Tänzen in der Disziplin „Latein“ oder anderen Formaten, die
Dilettanten wie ich gerne mit Standardtanz verwechseln. Trainer Lars
und seine Kollegen proben komplexe Choreografien im Formationstanz,
die sie gemeinsam ausarbeiten. Die Tänzerinnen und Tänzer, die
schon etliche Pokale in der Bundesliga geholt haben, verbringen den
größten Teil ihrer Freizeit hier beim Training und nahmen mich sofort
mit zum Wettbewerb, wo sich mir eine unbekannte Welt auftat.
Der Tanzsportverein Ruhr-Casino Bochum wurde 1934 gegründet und
hat sich in den 1980er-Jahren dem VfL Bochum angeschlossen, zu dem
auch der prominente Fußball-Bundesligist gehört. 2004 organisierte er
sich neu und ebnete sich mit der Einführung einer ersten Lateinformation
seinen Weg zum Erfolg im Turniertanz. Das Ruhr-Casino Bochum
tanzt heute mit zwei Formationen in der Latein-Bundesliga. Seit 2012
hat das A-Team des Vereins einen festen Platz in der ersten Liga und
tanzte sich 2015 auf den sechsten Platz der Tabelle. Zu den lateinamerikanischen
Tänzen gehören Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso Doble
und Jive, wobei in der Lateinformation mehrere Paare nach einer synchronen
Choreografie tanzen. Die Tänzerinnen und Tänzer boten in der
Folge unseres ersten Treffens und zahlreicher gemeinsamer Aktivitäten
eine heute schon legendäre Tanzvorstellung auf dem goldenen Medaillon
von Martin Pfeifle und Wanda Sebastian im U-Bahnhof Eichbaum
anlässlich der Eröffnung von B1|A40.
1| BDSM = Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism.
198

199

ALLAN UND INGE Eine der überraschendsten
Entdeckungen bei der Projektrecherche
war, dass im Haus an der Berggate 69 früher
auch Hochkultur zu dieser komplexen
Nachbarschaft gehörte. Im Gespräch mit den
Tänzern über die Geschichte des Hauses kam
das Foto eines bärtigen Mannes in der Badewanne
direkt hier an der A40 zum Vorschein,
der sich als Allan Kaprow entpuppte. Es stellte
sich heraus: Wo heute Tanzverein und SM-
Studio residieren, war früher der erste Standort
der Galerie Inge Baecker, der noch heute
das Haus gehört. In dieser heute als „Un-Ort“
bezeichneten Randlage an der A40 hatten
Kunstgrößen wie Kaprow ihre erste Einzelausstellung
in Europa, die damals von Harald
Szeemann eröffnet wurde. Allan Kaprow
führte hier vor dem Haus direkt an der A40
zudem 1971 seine erste sogenannte Activity
unter Teilnahme von Wolf Vostell und anderen
Größen der Fluxusbewegung durch. Inge
Baecker zeigte hier und in ihren großen Projekten
im öffentlichen Raum des nahe gelegenen
Ruhrpark-Einkaufszentrums auch Mauricio
Kagel, Wolf Vostell, Al Hansen, Geoffrey
Hendricks und andere Künstler der Fluxusszene.
MARKUS AMBACH
BERGGATE 69 In the Bermuda Triangle between
the A40 and the railway tracks, one
building stands out. Berggate 69 is located directly
on the traffic intersection. Research resulted
in the opening of a temporary museum,
Museum Berggate 69, which documented the
history of this building.
BDSM Here, in a place everyone thinks is vacant,
the region’s largest S&M studio occupies
about four hundred square meters. In her extensive
establishment, Das bizarre Stahlwerk,
manager Carolin von Stahl offers everything
that gives pleasurable pain in rooms decorated
in various themes. While conversing with Carolin
von Stahl, who, in typical Ruhr District style,
speaks openly and honestly about the thematic
background, you’ll learn that there is a cultural
history behind S&M, and the latex mask collection
suddenly takes on museum-like dimensions.
Of course, discretion demands that you
register first before your visit. Only insiders
who understand the cryptic sign BDSM 1 facing
the autobahn will know what is offered here.
The Stahlwerk’s clients also value the anonymity
of the autobahn.
1| BDSM = bondage & discipline, dominance &
submission, sadism & masochism.
200

201

202

TANZ Die Tänzerinnen und Tänzer des Ruhr-Casino
Bochum e. V. sind professionelle Könner im Bereich
Latein-Formationstanz und mehr. Sie entführen einen
in das Reich von Glanz und Glamour der großen
Ballsäle. Die unschlagbar sympathische Offenheit der
Truppe, die sich direkt an der A40 niedergelassen hat,
führte zu zahlreichen Kooperationen im Projekt B1|A40
mit unvergesslichen Auftritten und Momenten.
DANCE The dancers of Ruhr-Casino Bochum e. V.
are impressive artists in Latin Formation dance and
others. Completely unexpected at a run-down place
like this, they take you on a magical trip into the
realm of pomp and glamour of the great ballrooms.
The disarming candor and charm of the group lead
to many collaborations and memorable Performances
within B1|A40.
BERGGATE 69
203

RUHR-CASINO BOCHUM E. V. Upon closer inspection of the unspectacular
front side of the building, you’ll notice two other establishments
besides the Stahlwerk. Until just recently, you’d find the K1-Kampfsportstudio,
and a sporty-looking logo refers to the competitive dance club,
Ruhr-Casino Bochum e. V. Here, an unexpected, colorful, joyful world
of young people and their passion for dance opens up directly below
the S&M studio. Upstairs, you can be tortured, but down here, you do it
just as voluntarily and with a great deal of élan, while training hard for
dancing Latin style or other formats, which dilettantes such as myself
confuse with standard ballroom dancing. Coach Lars and his colleagues
rehearse complicated choreographies in formation, which they work out
together. The dancers, who have already brought back many national
league prizes, spend most of their free time training here, and they immediately
took me to a competition, where a previously unfamiliar world
opened up to me.
The competitive ballroom dance club, Ruhr-Casino Bochum, was founded
in 1934, as an independent club associated with the prominent national
league football club, VfL Bochum (founded in 1848). In 2004 it was
reorganized and the introduction of its first Latin formation opened the
way to success in competitive dance. Today, the Ruhr-Casino Bochum
dances with two formations in the national Latin league. Since 2012 the
club’s A-team has had a firm place in the top league, and in 2015 they
danced their way to sixth place in the rankings. Among the Latin style
dances are the samba, cha-cha, rumba, paso doble and jive; in the Latin
formation several couples dance the choreography in synchronicity. After
our first meeting and many activities together, the dancers offered
what is today a legendary performance on top of the gold medallion by
Martin Pfeifle and Wanda Sebastian at the Eichbaum subway station,
celebrating the opening of B1|A40.
ALLAN AND INGE One of the surprise discoveries made while researching
the project was that even high culture was once part of this
neighborhood at Berggate 69. While talking with the dancers about the
building’s history, a photograph of a bearded man in a bathtub right here
on the A40 appeared. He turned out to be Allan Kaprow, and I found out
that the building that now houses the dance club and the S&M studio
was once the first location of Inge Baecker’s gallery, which still owns
the building. In this place, now described as a “non place” on the edge
of the A40, one of the great artists, Kaprow, had his first solo exhibition
in Europe, which was opened by Harald Szeemann. Here, in front
of the building that stands right next to the A40, Allan Kaprow also carried
out his first so-called Activity with the help of Wolf Vostell and other
greats of the Fluxus movement in 1971. Here, and in her large public
art projects in the nearby Ruhrpark shopping center, Inge Baecker also
showed Mauricio Kagel, Wolf Vostell, Al Hansen, Geoffrey Hendricks,
and other Fluxus artists.
MARKUS AMBACH
204

BERGGATE 69 205

STAHLWERK ONLINE Das bizarre Stahlwerk ist eines
der größten SM-Studios der Region und warb bis
vor zwei Jahren mit einer besonderen Liebeserklärung
an die A40 im Internet. Die „Stahlwerkerinnen“ posierten
in Lack und Latex direkt vor ihrer Haustür an der
großen Straße. Auch das Jubiläumsbild zeigt deutlich,
welch sympathische Truppe man hier trifft. Die museal
anmutende (Schlag-) Stöcke-Sammlung dagegen verweist
eher auf das professionelle Angebot des Hauses.
STAHLWERK ONLINE Das bizarre Stahlwerk is one
of the biggest S&M studios in the region. Until two years
ago it advertised on the internet with a special declaration
of love to the A40: The Stahlwerk girls posed
in leather and latex at the autobahn directly in front of
their building. The jubilee picture shows a sympathetic
group. The collection of truncheons, however, despite
its museum-like character, indicates the true professional
proposition of the establishment.
206

BERGGATE 69 207

MUSEUM
BERGGATE 69
Das zu B1|A40 eingerichtete temporäre Museum Berggate 69 dokumentierte
die wechselhafte Geschichte dieses besonderen Hauses am Rande
der großen Straße anhand von aktuellen und historischen Artefakten.
Im besonderen Ambiente des ehemaligen K1-Kampfsportstudios
im Souterrain mit Havanna-Bar wurde eine Entwicklung deutlich, die
keiner Planung entspringen kann. Im Museum wurde in vier Abteilungen
mit Vitrinen und wandgroßen Fotografien, Kunstwerken, Grafiken,
Alltagsgegenständen, historischen Zeitzeugen und Fundstücken dargestellt,
wie heterogen sich Orte und Nachbarschaften entsprechend ihrer
Nutzung entwickeln.
Alltags- und Hochkultur durchdrangen sich dabei wechselseitig im gesamten
Museum. Nach dem Eintritt fiel der Blick zunächst auf die Tätigkeit
von Inge Baecker als geheimem Nukleus des Hauses. Die Zeitdokumente
zeigten sie mit Harald Szeemann und Allan Kaprow bei der
Eröffnung der Galerie. Telegramme von Kaprow oder die Korrespondenz
zwischen ihr und Manfred Schneckenburger belegten ihre Bedeutung
für den damaligen Kunstdiskurs.
Im Anschluss gab es eine ausführliche Dokumentation der ersten Activity
unter dem Titel City Works, die Kaprow an der Schallschutzwand direkt
vor dem Haus mit Vostell und den Gästen durchgeführt hatte. Zwei Originalarbeiten
von Kaprow aus der Serie Calender und mehrere Vitrinen
mit Originalplakaten, Text- und Bildauszügen zur Galeriegeschichte an
der A40 wurden mit dem sechs Meter langen Porträt des Ruhr- Casinos
Bochum in Formationsaufstellung konfrontiert, das den hinteren Teil
des Raums dominierte und als Prospekt für die Ausstellung diente.
Gleich daneben verwies die umfangreiche Pokalsammlung des Vereins
auf die erfolgreiche Arbeit im ersten Obergeschoss des Hauses.
Eine bei der Recherche entdeckte Porträtserie der Tänzer des Bochumer
Fotografen Stefan Schneider, die die Tanzsportler im Ambiente des
SM-Studios zeigt, dokumentierte die offene Haltung der Protagonisten
dieses ungewöhnlichen Raums und die ungezwungene wie humorvolle
Umgangsweise zwischen den ungleichen Nachbarn. Dass auch die
Stahlwerkerinnen bei aller Härte ihres Jobs diese Leichtigkeit teilen,
belegte ein Auszug aus einer älteren Website, auf der sich die Damen
in Lack und Latex direkt vor der Tür an der A40 ablichten ließen – eine
charmante wie ungewöhnliche Liebeserklärung an die große Straße.
Im selben Raum befanden sich weitere Artefakte des bizarren Stahlwerks
in Form von Gynäkologenstuhl und Gewinnspiel mit genretypisch
schmerzhaften Preisen. Neben den klassischen Verliesen und Folterkammern
waren auch recht unscheinbare Dekors zu entdecken, deren
manchmal drastischer Gebrauch für den Laien nur schwer nachvollziehbar
ist. Klinische Geräte, die von (echten) Schwestern nach Dienstschluss
fachmännisch eingesetzt werden, verwiesen auf skurrile Formen
der Lust am medizinischen Schmerz und dem Ausgeliefertsein.
Die museal präsentierten Latexmasken und die komplexe Sammlung
an Schlagutensilien, vom Rohrstock bis zum Kochlöffel, erzählten auch
208

209

210

211

von einer Kulturgeschichte des Strafens, die sich hier vergegenständlichte.
Im Umfeld der Domestizierungsmethoden des 19. Jahrhunderts
folgte ein ganzes Genre auch begrifflich dem Prinzip der Erziehung und
ihrer Terminologie von Unterwerfung, Dominanz, Strafe und Schmerz.
Wo Gummi und Latex die Ästhetik der Präsentation bestimmten, tauchte
als unscheinbarer Übergang zurück zur Kunst ein weiteres Wandbild
auf. Über Werkzeug und Autoreifen fand sich eine Galerie einschlägiger
Pin-up-Kalender, die zusammen mit dem übrigen Interieur auf eine
Werkstatt schließen ließen. Dass in den heute so genutzten Räumen
damals Allan Kaprow ausstellte, konnte der Besucher nur anhand der
Bildlegende nachvollziehen. Die Analogie zu seinem Tire Tower, den er
mit Inge Baecker im Jahr 1979 im nahe gelegenen Ruhrpark-Center realisierte,
scheint da wohl greifbarer zu sein.
Die Darstellung des Tire Tower führte über zu dem vierten Segment der
Ausstellung, das die engagierten Aktivitäten der Galerie im öffentlichen
Raum abbildete. Neben dem Turm und Bildern zahlreicher Arbeiten von
Mauricio Kagel, Al Hansen, Christo, Nam June Paik oder Daniel Spoerri
aus den Ausstellungen im Ruhrpark-Center gab es zudem eine Dokumentation
zu der Theke Olympia-Hymne 1 von Wolf Vostell, die er 1972
anlässlich der ersten Bochumer Kunstwochen samt Registrierkasse in
Beton gegossen hatte.
Vostell war für Inge Baecker Initiations- und Ankerpunkt ihrer Tätigkeit
und nimmt bis heute eine außergewöhnliche Stellung innerhalb
ihrer Arbeit ein. Eine Vitrine dokumentierte darüber hinaus die netzwerkartigen
Verflechtungen der Galerie und zeigte anhand von Originaldokumenten,
wie zum Beispiel ein gewisser Dr. Julian Heynen im
Jahr 1979 bei einem von Inge Baecker organisierten Preisausschreiben
im Ruhrpark-Center alle (Kultur-) Fragen richtig beantwortet und das
Wolkenauto von Geoffrey Hendricks gewonnen hatte, das sich heute noch
im Bestand des Lehmbruck-Museums in Duisburg befindet.
Ein spezieller Raum war dem Hupkonzert von Al Hansen gewidmet. In
direkter Nachbarschaft konnte man in einer Auswahlaudiothek Stücken
von Mauricio Kagel lauschen, die auf einer speziell entworfenen Hi-Fi-
Anlage des Hauses abgespielt wurden. Denn Paul Nozynski, einer der
aktuellen Bewohner des Hauses, baut vom hier gezeigten Basismodell
bis zur High-End-Version selbstkonzipierte Anlagen der Spitzenklasse.
Die etwa 400 Quadratmeter großen Räume, deren Interieur in Form der
Havanna-Bar aus den Zeiten des K1-Kampfsportstudios restauriert
worden war, spiegelten die heterogene Geschichte eines unscheinbaren
Orts an der A40, dem man von außen nicht allzu viel zutrauen würde.
Das Museum auf Zeit, in dem auch Nachbarschaftsbesuche bei den
Tänzern und Diskussionsveranstaltungen mit Inge Baecker stattfanden,
verlieh einer Kultur der Praxis und des Handelns, die sich in ihren
Zusammenhängen nur im Aktuellen und in situ ereignet, um sich dann
ohne sichtbare Zeichen im Raum zu verlieren, für einen Moment eine
Sprache, die ebenso flüchtig ist wie dieser Raum. Als Museum widmete
es sich damit nicht der Akkumulation von Werten, sondern der Vermittlung
einer Ästhetik des Flüchtigen, das sich außerhalb seines „Sich-
Selbst-Ereignens“ der Sichtbarkeit entzieht. MARKUS AMBACH
212

213

214

MUSEUM BERGGATE 69 The temporary museum erected for the
B1|A40, Museum Berggate 69, documents the alternating history of this
special building on the periphery of the great highway, exhibiting current
and historical artifacts. In the special basement ambience of the
former K1-Kampfsportstudio with its Havana bar, you realize that the
development that manifested could not have sprung from any master
plan. The museum was divided into four departments, with vitrines,
wall-sized photographs, works of art, prints, everyday objects, historical
evidence, and found pieces showing how places and neighborhoods
develop heterogeneously, according to usage.
Throughout the museum everyday and high culture intersected. After
entering, the eye first noticed photographs of Inge Baecker, the building’s
secret nucleus, and her activities. Documents showed her with Harald
Szeemann and Allan Kaprow at the gallery opening. Telegrams from Kaprow
or the correspondence between her and Manfred Schne ckenburger
were evidence of her significance in the art discourse of the time.
NACHBARSCHAFTEN Eine Bildserie des Fotografen
Stefan Schneider zeigt die Tänzerinnen und Tänzer des
Ruhr-Casino Bochum beim Fotoshooting im Bizarren
Stahlwerk. Sie verweist auf den offenen Umgang der
so unterschiedlichen Nachbarn miteinander und wurde
im Museum Berggate neben der Arbeit Calendar von
Allan Kaprow (unten) ausgestellt. Das Bild links zeigt
den aktuellen Zustand der damaligen Galerieräume.
NEIGHBORHOODS The image series by photographer
Stefan Schneider shows the dancers of the
Ruhr-Casino Bochum at a neighborly visit and photo
shooting in the Bizarre Stahlwerk. It demonstrates the
open contact amongst the rather different neighbors
in this house and it was exhibited alongside the work
Calendar by Allan Kaprow (bottom) in the Museum
Berggate. The left picture shows the current situation
of the former gallery.
MUSEUM BERGGATE 69
215

216

217

Then there was extensive documentation of the first Activity, titled City
Works, which Kaprow carried out on the noise barrier directly in front
of the building, assisted by Vostell and guests. Two of Kaprow’s original
works from the series Calendar and several display cases containing
original posters, as well as excerpts from texts and images about the
history of the gallery along the A40 were confronted with the six-meterlong
portrait of the Ruhr-Casino Bochum in formation, which dominated
the back of the room and served as the brochure for the exhibition. Right
next to that, the club’s large collection of trophies alluded to the successful
work performed inside the building’s first storey.
One of the series of portraits of the dancers by the Bochum based photographer
Stefan Schneider, discovered during the research, shows the
dancers in the S&M studio, documenting the protagonists’ open-minded
attitudes and the comfortable, humorous way these disparate neighbors
deal with each other. That the workers at the Stahlwerk also share this
sense of ease, despite the difficulties of their job, can also be seen in a
photo from an older website, in which the ladies were photographed in
leather and latex, posing directly in front of the door, just by the A40 – a
charming, unusual declaration of love for the grand road.
In the same room were other artifacts from Das bizarre Stahlwerk, in
the form of a gynecological chair and a lottery with painful prizes typical
of the genre. Besides the classic dungeons and torture chambers,
there were also very unremarkable decorations to be discovered, whose
occasionally drastic uses were difficult for lay people to imagine. Clini-
cal instruments expertly wielded by (real) nurses after hours alluded to
quirky desires for medically related pain and being at someone else’s
mercy. The museum displays of latex masks and the complicated collection
of spanking utensils, from the cane to the cooking spoon, also told of
a cultural history of punishment that manifested here. The environment
surrounding nineteenth-century domestication methods gave rise to an
entire genre that literally pursued the principles of education and its
terminology of submission, dominance, punishment and pain.
Where rubber and latex defined the aesthetics of the presentation, another
picture on the wall appeared, as an inconspicuous transition back
to art. Above tools and tires hung a gallery of pin-up calendars, which
joined with the rest of the interior to suggest a workshop. That Allan
Kaprow once exhibited in rooms that are now used like this could only be
imagined when you looked at the picture captions, which made it easier
to understand the analogy to his Tire Tower, which he realized with the
help of Inge Baecker in 1979 in the nearby Ruhrpark Center.
The presentation of Tire Tower led to the fourth segment of the exhibition,
which pictured the gallery’s activities in the public space. Besides
the tower and images of numerous works of art by Mauricio Kagel, Al
Hansen, Christo, Nam June Paik, and Daniel Spoerri from the exhibitions
at the Ruhrpark Center, there was also documentation of the
Olympia-Hymne 1 by Wolf Vostell, a counter complete with cash register,
which he cast in concrete in 1972 for the first Bochum Kunstwoche.
Vostell was an initiator of and anchor for Inge Baecker’s activities,
218

219

Bei der Eröffnung des Museum Berggate 69 am
5. Juli 2014 fand ein Gespräch zwischen Inge Baecker,
Sepp Hiekisch-Picard (stellvertretender Direktor des
Kunstmuseums Bochum) und Markus Ambach über
die Anfänge der Galerie Inge Baecker, Fluxus und
Kunst in Bochum statt. Im Anschluss waren alle Besucher
zu einer Tanzaufführung beim Ruhr-Casino
Bochum geladen.
At the opening of the Museum Berggate 69 on 5 July
2014 there was a discussion with Inge Baecker, Sepp
Hiekisch-Picard (Assistant Director of the Kunstmuseum
Bochum) and Markus Ambach about the early
days of the Galerie Inge Baecker, Fluxus and art in Bochum.
Afterwards, all visitors were invited to a dance
performance at the Ruhr-Casino Bochum.
and to this day he occupies an unusual place
in her art. A vitrine also documented the gallery’s
large network of connections. Original
documents showed how, for example, a certain
Dr. Julian Heynen gave correct answers to
all of the culture-related questions during a
competition organized in 1979 by Baecker and
held at the Ruhrpark Center. Dr. Heynen won
Geoffrey Hendricks’ Wolkenauto, which is still
in the Lehmbruck Museum in Duisburg.
A special room was devoted to Al Hansen’s car
horn concert. Next to that, you could choose
from an audio library and listen to pieces by
Mauricio Kagel played on a hi-fi set especially
designed for the museum by Paul Nozynski,
one of the building’s current residents, who designs
and builds players, from the basic model
shown here to top quality, high-end versions.
The approximately four-hundred-square meter
space, whose interior was restored, reflected
the heterogeneous history of an inconspicuous
place along the A40, where, if you only look at
it from the outside, you wouldn’t think much
happened. For a moment, the temporary museum
– where neighbors visited the dan cers and
discussions with Inge Baecker took place –
lent to a culture of practice and activity (which
takes places only in the now and in situ, only to
disappear without leaving any visi ble trace) a
language that is just as ephemeral as this
space. As a museum, it was not devoted to ac cumulating
data, but to communicating a fleeting
aesthetic that avoids visibility outside of “spontaneous
occurrences”. MARKUS AMBACH
220

221

222

MUSEUM BERGGATE 69 223

224

INGE
BAECKER
„ICH HABE MIT VOSTELL DIE ERSTE AUSSTELLUNG IN DER TIEFGA-
RAGE GEMACHT“ 3. März 2015.
in Bad Münstereifel verabredet.
kann, stibitzt Frau Baecker meinen
„erstens“ notiert: „Sie hatten
schlossen und begonnen, Kunst
Inge Baecker: Also, dazu kann
der heißt „Mein Schlüsselerlebnis“,
damit ist die Frage vollkommen
„Also, eigentlich wollte ich Archäologin
ter befand dies als zu brotlose
einigten uns auf Germanistik,
danken, dass man damit ja doch
ne. […] Es ist den großartigen
bildenden Kunst festhielten. […]
die Gespräche kreisten zwischen
Beides ergänzte sich – bisher
Vostell ermutigte mich, selbst
und Fluxusausstellung 1970
Luther´sche Blitzschlag. Ich lernte
Paik und Charlotte Moorman,
und Emmett Williams kennen
mitwirkten. […] Der Lebensgehalt
die distanzierte Betrachtung.
bin mit Inge Baecker in ihrer Galerie
bevor ich meine erste Frage stellen
Fragenkatalog. Darauf habe ich unter
Studium der Kunstgeschichte abge-
verkaufen. Wie kamen Sie auf diese Idee?“
Ihnen einen wunderbaren Text geben,
den drucke ich Ihnen nachher aus,
beantwortet.
werden, aber mein gestrenger Va-
die er nicht unterstützen könne. Wir
Philosophie und Kunst mit seinem Hinterge-
Lehrer am Gymnasium werden kön-
Professoren zuzuschreiben, die mich in der
Besuch bei Vostell wurde zur Initiation:
dialogischer Kunst und dialogischer Logik.
unbeachtet von vielen Kunsttheoretikern.
Galerie zu starten. […] Die Happening-
Kölner Kunsthalle 1 traf mich wie der
Kaprow und Dick Higgins, Nam June
Köpcke und Al Hansen, Alison Knowles
die vielen, die an dieser Ausstel lung
erfüllte die Räume, nicht die Theorie oder
Inge Baecker, Köln, im Juli 2007“ 2 Dann erzählt Inge Baecker weiter:
IB: Als ich 1969/70 für Ingvild Otto, heute Goetz, arbeitete […], lernte ich
Vostell kennen und wir kamen schnell ins Gespräch über die dialogische
Logik, der in seinen Bildern eine zentrale Rolle zukommt. Nachdem ich
die erste Ausstellung 1970 mit Vostell gemacht hatte, sagte er: „Hör
mal, jetzt musst du die anderen auch alle kennenlernen.“
Mittlerweile hat sich Inge Baecker wieder über meinen Fragenkatalog gebeugt.
IB: „Wer war meine Kundschaft? Und wie entwickelte sich diese?“
Barbara Könches: Ja, also Moment … unser Text soll ja in diese Publikation,
die Markus Ambach plant über seine Ausstellung B1|A40 und die
ging ja entlang ‚der großen Straße‘. Nun ist es nicht üblich, dass man an
der Stelle, an der Sie die Galerie gemacht haben, eine Galerie eröffnet,
nämlich in der Berggate 69, im Schatten der heutigen Autobahn. Aber
ich glaube, damals war es eine Schnellstraße. Konnte man die Straße zu
der Zeit noch überqueren?
IB: 1970 nicht mehr, 1970 war die Schnellstraße schon da, aber es war
noch keine Autobahn. Als ich dort aufwuchs, war das eine normale Straße
und man konnte einfach so von einer zur anderen Seite die Straße
überqueren. Und dann bin ich als Kind rüber und bin am Wochenende
auf dem großen Schlachthof Rollschuh gefahren. Das war wunderbar.
Zurück zur Kundschaft. Mein erster Kunde war Hans Schalla. 3 Und der
hat damals den Lippenstiftbomber von Vostell gekauft.
BK: Aber Anfang der 1970er war es nicht so üblich, dass eine sehr junge
Frau, gerade mit dem Studium fertig, einfach so eine Galerie eröffnet.
IB: Vostell hat mir einen großen Karteikasten zu Verfügung gestellt
Ich
Noch
1968 Ihr
zu
ich
Kunst,
noch
Ein
eine
in der
Allan
Addi
und all
225

mit den Namen seiner Sammler, seiner Leute.
So kam ich in Kontakt mit einer ganzen Reihe
wichtiger Leute. Vostell brachte alle Fluxusund
Happening-Künstler von Köln 4 nach Bochum.
Da saßen die dann alle zuerst bei mir
in der Kulmer Straße: Allan Kaprow, Dick Higgins,
Robert Filliou, Ben Vautier.
BK: Bald nach der ersten Ausstellung 1970 mit
Vostell in ihrer ersten Wohnung in der Kulmer
Straße zogen Sie mit der Galerie um in das
Haus bzw. in die dazugehörige Tiefgarage Ihrer
Mutter in die Berggate 69, Bochum-Hamme.
Warum?
IB: Genau im Oktober 1970 hatte ich die erste
Ausstellung in der Kulmer Straße gemacht.
Und das fand mein Hauswirt natürlich im
Privathaus unmöglich, völlig zu Recht. […]
Daraufhin habe ich mit meiner Mutter gesprochen
und wir hatten diese Tiefgarage im Hof
frei. Schnell war klar: Wir streichen die Wände
weiß an, legen Teppich rein und ruck, zuck
konnte ich loslegen. Dann hab ich da angefangen
mit der ersten großen Vostell-Ausstellung
[…]. 1971 hatte ich bereits Anfang Oktober
Werke von Allan Kaprow ausgestellt. Das hatte
Vostell schon in die Wege geleitet. Und ich
hatte Kaprow auch vorher bereits kennengelernt,
denn ich war nach Mailand gefahren und
hatte ihn bei Gino di Maggio getroffen. Pierre
Restany war auch dort und wir haben über die
Ausstellung gesprochen. Und dann ging die
Planung hin und her und ich habe gemeinsam
mit Vostell überlegt: Wer soll denn die Ausstellung
eröffnen? Da sagte er: „Da musst du
am besten den Charlie Ruhrberg fragen.“ Und
so habe ich eben Karl Ruhrberg, den Leiter der
Kunsthalle Düsseldorf, näher kennengelernt.
Der aber entgegnete auf mein Angebot: „Na,
besser ist, wenn der Szeemann das macht, der
hat ja schon die Happening-Fluxus-Ausstellung
in Köln gemacht.“ Karl Ruhrberg stellte
den Kontakt zu Harald Szeemann her und der
machte die Eröffnung am 1. Oktober. Kaprow
fand die Ausstellung toll, denn alle Partituren,
die er ausgesucht hatte, hingen schon an
der Wand. Es war unglaublich voll, rappelvoll:
Ruhrberg war da, ebenso Vostell, Filliou und
Feelisch, Ruhnau und Stockhausen mit Mary
Bauermeister. Die Galerie erstreckte sich auf
immerhin 300 Quadratmeter Ausstellungsfläche
und der ganze Hof, alles war voller Menschen.
BK: Dann hatte sich die Ausstellung ruck, zuck
in der Szene rumgesprochen.
IB: Das Gute war, die Galerie lag parallel an
der A40, also B1 damals, und das konnte man
ganz leicht finden. Woher man auch kam: die
Abfahrt runter Richtung Stadt, erste links,
durchfahren. Und es waren genug Parkplätze
vorhanden. […]
BK: Sie haben ja – jetzt komm´ ich wieder auf
meinen kleinen Fragenkatalog zurück – auch
über die Galerie hinaus sehr viele Ausstellungen
gemacht. Sie sind und waren mehr als eine
Galeristin, nämlich eine Ausstellungsmacherin
in einer Zeit, als diese Berufsbezeichnung
nur in der männlichen Form existierte. Zu den
wichtigsten Ausstellungen gehören – unabhängig
von den in der Galerie allzeit gezeigten
Einzel- oder Gruppenausstellungen – die
Bochumer Kunstwochen im Einkaufszentrum
Ruhr-Park 5 und Sehen um zu hören – Objekte
und Konzerte zu visueller Musik der sechziger
Jahre in der Kunsthalle Düsseldorf 6 . Was reizte
Sie daran, die Galerieräume immer wieder
zu verlassen? Wie kam es zu den Veranstaltungen
in der Shoppingmall?
IB: Die Veranstaltungen im Ruhr-Park, diese
Kunstwochen, das ist hier (sie zeigt auf die
Zeitung aus dem Bochumer Kunstmuseum von
2012) auch groß drin behandelt.
In dem Ausstellungskatalog erläutert Claudia
Rinke, dass zu Beginn der 1970er-Jahre das
Ruhr-Park-Einkaufszentrum von der Bevölkerung
noch nicht angenommen wurde. „Sie hielten
den Ruhr-Park für etwas Ähnliches wie die Ratio
[ein Großmarkt] und dachten unter anderem,
sie bräuchten eine Einkaufskarte, um dort einkaufen
gehen zu können. So sah die Bevölkerung
auch keine Notwendigkeit für ihre Besorgungen
in den Ruhr-Park zu fahren, wenn sie diese
ebenso in der Innenstadt erledigen konnten.“ 7
Daher ergriff das Management des Einkaufszentrums
verschiedene Initiativen, um die Kunden
auf ihre damals europaweit größte Shoppingmall
aufmerksam zu machen. Zunächst entwickelten
sie Veranstaltungen für Kaninchenzüchter, dann
für die Kanarienvogelliebhaber, anschließend
für die Taubenbegeisterten, schließlich für alle –
mithilfe der experimentellen Fluxus-Kunst. Die
1. Bochumer Kunstwoche fand vom 5. bis zum 9.
Juni 1972 unter dem Titel Bochum meets fine
arts – Kunst im Ruhrgebiet statt. Das Resümee
der ersten Kunstwoche: „Doch trotz aller Verärgerung
und trotz allem Unverständnis gegenüber
den Aktionen von Wolf Vostell, Al Hansen, Daniel
Spoerri und Robin Page […] war die Kunstwoche
ein voller Erfolg. Tausende von Menschen kamen
in den Ruhr-Park, um zu sehen, was dort passierte.“
8
Die sechste und letzte Kunstwoche erstreckte
sich vom 10. bis zum 15. September 1979 mit dem
Schwerpunkt Mobilität. Hierzu erbaute Allan Kaprow
seinen Tire Tower – einen 15 Meter hohen
Turm aus alten Autoreifen, dessen innere Stützkonstruktion
ihm ein Architekt angefertigt hatte.
Es dauerte jedoch kaum ein halbes Jahr, bis der
Turm einem Brandanschlag zum Opfer fiel und
nicht mehr neu aufgebaut wurde, da das Ruhr-
Park-Center an einen neuen Besitzer verkauft
worden war, der kein Interesse an der künstlerischen
Arbeit hatte. Wie sich in der Gerichtsverhandlung
über den Brandanschlag herausstellte,
war das Feuer nur gelegt worden, um von einem
Einbruch zur selben Zeit bei Karstadt abzulenken.
IB: Während der Kunstwoche habe ich auch
gelernt, dass selbst die einfachen Leute im
Ruhrgebiet sehr viel offener sind, als man
denkt. Wir hatten dort einen Verkaufsstand
eingerichtet und ich hatte ganz viele Grafiken
mitgebracht. Die konnte man so durchblättern.
Jeden Nachmittag war ich selbst dort.
Und dann kam Er – Sie war einkaufen: „Wat is
dat da?“ Und dann fingen wir an zu reden. Ich
hatte ja während meines Studiums dialogische
Logik gelernt. So haben wir Gedanken
und Ideen entwickelt. „Ach ja, so ist das.“ und
„Ah ja, das ist ja spannend.“ und so ging das
dann weiter und so nach einer Stunde kam
Sie vom Einkauf zurück und Er gleich zu ihr:
„Hör mal, ich muss dir hier was erklären.“
Das war unglaublich, diese Reaktion. Oder wir
hatten eine Arbeit von Christo, einen verpackten
Regenschirm, ausgerechnet in das Fenster
226

einer Bank gehängt. Dadrauf stand: „7000 DM.“
1972. Die Leute: „Hören Sie mal, haben Sie
das gesehen?“, hieß es da. Und dann ging es
los, dann war man mitten im Kunstgespräch.
Wir waren mittendrin. Diese Lebendigkeit des
Ruhrgebiets habe ich in Köln bitter vermisst.
Inge Baecker zog mit ihrer Galerie 1983 nach Köln
und 2007 nach Bad Münstereifel um.
BARBARA KÖNCHES
1| Sello, Gottfried, „Im Kalb liegt die Kunst der Kuh.
Zur Ausstellung Happening & Fluxus in Köln“, in: Die
Zeit, Jg. 1970, Ausg.46 [29.03.2015]. Siehe
auch: Happening & Fluxus. Materialien, hrsg. von Harald
Szeemann und Hanns Sohm, Ausst.-Kat. Kölnischer
Kunstverein 1970/71, Köln 1970.
2| Der gesamte Text wurde abgedruckt in: „Ich fand
Kunst doof und gemein“, in: Mein erstes Kunsterlebnis,
hrsg. von Cornel Wachter, Leipzig 2012.
3| Hans Schalla (1904–1983) war von 1949 bis 1972
Generalintendant am Bochumer Schauspielhaus.
Siehe den Nachruf in: Der Spiegel Jg. 1983, Ausg. 35,
[29.03.2015]
4| Die Künstler waren in der von Harald Szeemann
kuratierten Ausstellung Happening & Fluxus vertreten.
Siehe Fußnote 1.
5| Mit Künstlern wie Mauricio Kagel, Allan Kaprow,
Wolf Vostell, Al Hansen, Geoffrey Hendricks, Anatol
Herzfeld, Daniel Spoerri, Robin Page, Edmund Kieselbach,
Charlotte Moorman, HA Schult, Wolfgang
Stoerch le, Rolf Glasmeier, Friedrich Gräsel, Milan
Sládek, Stefan Wewerka, Joe Jones, Karl-Heinz Zarius,
Klaus Doldinger, Adolf Luther, Ferdinand Kriwet,
Wil Frenken.
6| 17.–26.10.1975 mit Werken von John Cage, Mauricio
Kagel, Nam June Paik, Charlotte Moorman, Giuseppe
Chiari, Joe Jones, Dieter Schnebel und Stephan
von Huene.
7| Rinke, Claudia: „Nach den Tauben kam Fluxus“,
in: Inge Baecker Bochum – Fluxus Ruhrgebiet, hrsg. von
Hans Günter Golinski, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bochum,
Bochum 2012, S. 10.
8| Ebd.
INGE BAECKER | “I DID THE FIRST SHOW WITH
VOSTELL IN AN UNDERGROUND PARKING
GARAGE” March 3, 2015. I have an appointment
with Inge Baecker in her gallery in Bad Münstereifel.
Before I can even ask my first question,
though, Ms. Baecker swipes my list of questions.
Under “number one”, I had noted: “You finished
studying art history in 1968 and then began to sell
art. Where did that idea come from?”
Inge Baecker: Well, I can give you a wonderful
text about that, called “My Crucial Experience.”
I can print it out for you later, and it will
answer your question completely.
“Actually, I wanted to be an archaeologist, but my
very strict father thought that was an unprofitable
art that he could not support. We agreed upon
German, philosophy, and art, with the ulterior
motive being that I could always teach at a high
school. […] I can credit the great professors with
keeping me in the visual arts. […] A visit to Vostell
became an initiation: the conversations oscillated
between dialogic art and dialogic logic. Both complemented
each other – something unobserved
by many art theoreticians up until then. Vostell
encouraged me to start my own gallery. […]
The Happening and Fluxus exhibition in 1970 at
the Kunsthalle in Cologne 1 hit me like a thunderbolt.
I met Allan Kaprow and Dick Higgins, Nam
June Paik and Charlotte Moorman, Addi Köpcke
and Al Hansen, Alison Knowles and Emmett Williams,
and all of the many people who worked on
this show. […] The rooms were filled with life, not
theory or distanced observation.
Inge Baecker, Cologne, July 2007” 2
Then Inge Baecker went on to say:
IB: In 1969/70, when I was working for Ingvild
Otto, now Goetz, I met Vostell and we quickly
started discussing dialogic logic, which plays a
major role in his paintings. After I did the first
show with Vostell in 1970, he said, “Listen, now
you have to meet everyone else.”
In the meanwhile, Ms. Baecker has bent over my
list of questions again.
IB: “Who were my clients? And how did they
develop?”
Barbara Könches: Yes, wait a minute … our
text is supposed to be in this publication that
Markus Ambach is planning about his exhibition
B1|A40, and it goes along “the grand road”,
as it were. Now, it is unusual for someone to
open up a gallery in the location where you
did, namely, in Berggate 69, in the shadow of
the present-day autobahn. But I believe that at
the time it was a highway. Could you cross the
street in those days?
IB: Not in 1970; the highway was there by 1970,
but it wasn’t an autobahn yet. When I grew up
there, it was a normal street, and you could
easily cross from one side to the other. As a
child I crossed over and went roller-skating
at the big slaughterhouse on weekends. It was
wonderful.
Back to the clients. My first client was Hans
Schalla. 3 And he bought Vostell’s Lippenstiftbomber
(Lipstick bomber).
BK: But in the early 1970s it was unusual for a
very young woman, who had just finished her
studies, to simply open up a gallery.
IB: Vostell lent me a big box of index cards
with the names of his collectors, his people.
That way I was able to meet a whole series of
important people. Vostell brought all of the
Fluxus and Happening artists from Cologne 4
to Bochum. At first they were all at my place
in Kulmer Straße: Allan Kaprow, Dick Higgins,
Robert Filliou, Ben Vautier.
BK: Soon after the first show with Vostell in
1970, which was in your first apartment in Kulmer
Straße, you moved the gallery into your
mother’s house, actually into the underground
parking garage that belonged to it, at Berggate
69, Bochum-Hamme. Why?
IB: I produced the first show in October 1970 at
my place in Kulmer Straße. And naturally the
landlord didn’t want to have something like that
in a private house – he was right, of course. […]
So I talked to my mother and we had this unoccupied
underground garage in the courtyard.
It quickly became clear that we could paint the
walls white, put in some carpeting, and I could
get going in no time. That’s when I started, with
the first big Vostell exhibition […].
In early October of 1971 I had shown works by
Allan Kaprow. That set things up for Vostell.
And I had met Kaprow before, because I had
INGE BAECKER
227

gone to Milan and met him at Gino di Maggio’s. Pierre Restany was also
there, and we talked about the show. And then the planning went back
and forth and Vostell and I put our heads together and thought about
who should open the show? He said, “The best thing to do would be to
ask Charlie Ruhrberg”. And so I became better acquainted with the head
of the Kunsthalle Düsseldorf, Karl Ruhrberg. When he heard my offer,
though, he suggested, “Well, it would be better if Szeemann did it, because
he’s already done the Happening/Fluxus exhibition in Cologne”.
Ruhrberg introduced me to Harald Szeemann, and he did the opening
on October 1st.
Kaprow loved the show, because all of the musical scores he had chosen
were already hanging on the wall. It was incredibly full, full to bursting:
Ruhrberg was there, as were Vostell, Filliou and Feelisch, Ruhnau and
Stockhausen with Mary Bauermeister. The gallery itself had 300 square
meters of exhibition space and the entire courtyard, everywhere, was
full of people.
BK: Word of the show quickly got around the scene.
IB: The good thing was that the gallery was parallel to the A40 – the B1
in those days – and it was very easy to find. Wherever you were coming
from: take the exit to the city, the first left, drive through. And there were
enough parking spaces. […]
BK: After all – now I’m going back to my little list of questions – you also
produced many exhibitions outside of the gallery, too.
You are and were more than just a gallery owner; you organized exhibitions
at a time when this profession was considered a men’s club. Among
the most important exhibitions – apart from the solo and group shows
in the gallery – were the Bochumer Kunstwochen at the Ruhr-Park shopping
mall 5 and Sehen um zu hören – Objekte und Konzerte zu visueller Musik
der sechziger Jahre at the Kunsthalle Düsseldorf. 6 What lured you out
of the gallery again and again? How did the events in the shopping mall
come about?
IB: The shows at the Ruhr-Park, these art weeks – there is a great deal
about them in here (she points at the Bochum Kunstmuseum’s newspaper
from 2012).
In the exhibition catalogue, Claudia Rinke explains that in the early 1970s,
residents did not accept the Ruhr-Park shopping center. “They thought the
Ruhr-Park was something like Ratio [a big-box store] and that they needed
special membership cards to shop there, for instance. So people didn’t see
any necessity for going to the Ruhr-Park to shop when they could do all of
their errands downtown.” 7 So the shopping center’s management decided to
take some initiatives to draw customers’ attention to what was at the time
Europe’s largest shopping mall. At first they produced some events for rabbit
breeders, then for canary lovers, later for pigeon enthusiasts, and finally,
something for everyone – with the help of experimental Fluxus art. The first
Bochum Art Week took place from 5 to 9 June 1972; under the title Bochum
meets fine arts – Kunst im Ruhrgebiet [Bochum meets fine arts – art in
the Ruhr district].
To summarize the first Art Week: “Yet, despite all of the indignation and the
lack of understanding about the actions of Wolf Vostell, Al Hansen, Daniel
Spoerri and Robin Page […] the Art Week was a complete success. Thousands
of people went to the Ruhr-Park to see what was going on there.” 8
The sixth and final Art Week ran from 10 to 15 September 1979, with a focus
on the theme of mobility. Here, Allan Kaprow built his Tire Tower – a 15-meter-high
tower made of old tires, with an internal support structure made for
him by an architect. It took less than six months before the tower succumbed
to arson; it wasn’t rebuilt, because the Ruhr-Park Center had been sold to a
new owner, who wasn’t interested in art. During the arson trial, it turned out
that the fire had only been set to distract people from a break-in at Karstadt
at the same time.
IB: During the Art Week I also learned that even the average person in
the Ruhr District is far more open-minded than you might think. We set
up a stand there and had brought a great many prints to sell. You could
just leaf through them. I was there myself every afternoon. And then
a man came while his wife was shopping: “What’s that there?” And so
we began talking. After all, I’d learned dialogic logic at university. So
we developed thoughts and ideas. “Oh, yes, that’s what it is”, and “Oh,
yes, that’s interesting”, and so it went on, and after an hour she returned
from shopping and he said to her, “Listen, I have to explain something
to you here.” That was incredible, this reaction. Or we had a piece by
Christo, a packaged umbrella, hanging in the window of a bank, of all
places. A sign on it read, “7000 DM”. 1972. People said, “Listen, did you
see that?”. And then it began – we were in the middle of a conversation
about art. We were right in the midst of it.
I bitterly missed the vivacity of the Ruhr District in Cologne.
Inge Baecker moved her gallery to Cologne in 1983, and to Bad Münstereifel
in 2007.
BARBARA KÖNCHES
1| Sello, Gottfried, „Im Kalb liegt die Kunst der Kuh. Zur Ausstellung Happening
& Fluxus in Köln“, in: Die Zeit, vol. 1970, ed. 46
[29.03.2015]. See also: Harald Szeemann and Hanns
Sohm, eds., Happening & Fluxus. Materialien, exh. cat., Kölnischer Kunstverein,
1970/71, Cologne 1970.
2| The complete text is printed in: “Ich fand Kunst doof und gemein“. Mein erstes
Kunsterlebnis, Cornel Wachter, ed., Leipzig 2012.
3| Hans Schalla (1904–1983) was head of the Bochum Schauspielhaus (theater)
from 1949 till 1972. See the obituary in: Der Spiegel, vol. 1983, ed. 35, in: [29.03.2015].
4| The artists were represented in the show curated by Harald Szeemann, Happening
& Fluxus. See note 1.
5| With artists such as Mauricio Kagel, Allan Kaprow, Wolf Vostell, Al Hansen,
Geoffrey Hendricks, Anatol Herzfeld, Daniel Spoerri, Robin Page, Edmund Kieselbach,
Charlotte Moorman, HA Schult, Wolfgang Stoerchle, Rolf Glasmeier, Friedrich
Gräsel, Milan Sládek, Stefan Wewerka, Joe Jones, Karl-Heinz Zarius, Klaus
Doldinger, Adolf Luther, Ferdinand Kriwet, Wil Frenken.
6| 17–26 October, 1975, with works by John Cage, Mauricio Kagel, Nam June Paik,
Charlotte Moorman, Giuseppe Chiari, Joe Jones, Dieter Schnebel and Stephan von
Huene.
7| Rinke, Claudia:“Nach den Tauben kam Fluxus”, in: Inge Baecker Bochum – Fluxus
Ruhrgebiet, Hans Günter Golinski, ed., exh. cat., Kunstmuseum Bochum, Bochum
2012, p. 10.
8| Ibid.
228

BUTTERFAHRT Zahlreiche Bustouren führten durch
das Projekt B1|A40. Hier die Tour mit der Kunstakademie
Düsseldorf und der kulinarischen Kunst-Aktion
von und mit Svenja Blanke.
BOOZE CRUISE Many guided bus excursions were organized
within B1|A40. Here the tour with the Düsseldorf
Art Academy and a culinaric artwork by Svenja
Blanke.
229

230 AUS DER LANDSCHAFT DER EIGENSTÄNDIGKEIT

ELKE KRASNY
AUS DER LANDSCHAFT DER
EIGENSTÄNDIGKEIT
VORWORT Die Arbeit Aus der Landschaft der Eigenständigkeit ist eine
Annäherung an die durch die Folgen des Autobahnbaus B1|A40 erzeugte
Stadtlandschaft am Standort Bochum-Hamme. Projektkurator Markus
Ambach stellte mir diese Landschaft erstmals vor. Ich lernte auf diesem
Weg, den er mit mir gegangen ist, die durch diesen verbundenen
Nachbarn und Nachbarinnen kennen: eine Autobahnkirche, ein (ehemaliges)
Bordell, eine (ehemalige) Diskothek, einen Schlachthof, einen Gebrauchtreifenhandel,
einen Friedhof, ein Sadomaso-Studio.
Das Gästezimmer in den Büroräumlichkeiten der Autobahnkirche wurde
zu meiner Artist in Residence. Von hier aus setzte ich mich mit meinen
Nachbarn und Nachbarinnen auseinander. Nachbarschaft ist das Ergebnis
von Geplantem und Ungeplantem. Im konkreten Fall das Ergebnis
des Zusammenwirkens der Mega-Infrastruktur Autobahn und Nutzungen,
die sich in den durch diese abgeschnittenen Räumen, den Resträumen,
den Zwischenräumen, oder anders formuliert, den neuen Räumen
etablierten.
Viele Stunden des Gehens bildeten die Grundlage, um Zugänge zu den
Nachbarn und Nachbarinnen zu entwickeln. Dies führte zur mehrteiligen
Arbeit Aus der Landschaft der Eigenständigkeit, die aus einem Weg,
der durch Fotoinstallationen gebildet wurde, im Außenraum besteht
und aus einer museumsähnlichen Installation im Innenraum des Hauses
in der Berggate 69.
Ich bin den Orten der NachbarInnen nachgegangen. Wörtlich. Konzeptuell.
Methodisch. Methodos ist altgriechisch „der Weg“. Methodeia steht
im griechisch-deutschen Schul- und Handwörterbuch Gemoll direkt vor
„Weg“. Methodeia heißt List. Das Gehen allein ist nicht ausreichend. Die
List muss sich mit dem Gehen verbinden. Die List der Theorie. Die List
der Kritik. Die List der Assoziation. Den Orten der Nachbarn und Nachbarinnen
nachzugehen, bestand für mich in der gehenden Forschung in
der Nähe.
Um sich den Orten anzunähern, mussten sie aber auch verlassen werden,
aus translokaler, transnationaler Verbindung perspektiviert werden.
Ich fuhr in den Senegal, nach Berlin, nach Istanbul, nach London,
um jene Fotografien zu machen, die sich dann zur Installation im Außenraum
in Bochum-Hamme mit den Nachbarorten verbanden und einen
neuen lokalen/translokalen Weg erzeugten.
Mit diesen Fotoinstallationen wurde ein Weg durch die Nachbarschaft
erzeugt, der von der Autobahnkirche über die ehemalige Diskothek
Taksim bis zum Friedhof führte. Ein Weg, der fotografisch von Bochum-
Hamme – die Fotografie vor der Autobahnkirche – über Istanbul – die
Fotografie bei der Diskothek – bis nach London – die Fotografie auf
dem Friedhof – führte. Eine der Fotografien zeigt den senegalesischen
Gebrauchtreifenhandel neben der Straße von Dakar in die 1952 neugegründete
Stadt Pikine, in die im Zuge der Stadtsanierung und der Slum-
Räumung in Dakar Zwangsumsiedlungen stattfanden. 1952 hatten im
Ruhrgebiet die Überlegungen begonnen, die Bundesstraße 1, die B1,
aufgrund des immer größer werdenden Verkehrsaufkommens sechsspurig
auszubauen. Eine der Fotografien zeigt den Istanbuler Taksim-
Platz, der seit 2013, seit den Protestbewegungen gegen die neoliberale
Stadtentwicklung, zu einem global mediatisierten Ort wurde. Eine der
Fotografien zeigt das 2012 von Dani Karavan entworfene Denkmal für
die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.
Das zentrale Objekt der museumsähnlichen Installation im Innenraum
der Berggate 69 war ein grau gestrichener, auf Böcken stehender Tisch.
Auf diesem lagen zehn Hefte mit handschriftlichen Eintragungen, die
die auf dem Gehen beruhenden Forschungen in Verbindung mit Bezügen
zu Theorie, Kritik, Geschichtspolitik enthielten. Dieses einführende
Vorwort habe ich den zehn Heften, die nun nachfolgend diesen Essay
bilden, vorangestellt. [Heft 6 und 9 befinden sich als Abb. auf S. 238f.]
HEFT 1 „Warum machen Sie hier ein Foto?”, fragt mich der Mann. Unverhohlen
verleiht er seinem Erstaunen Ausdruck. „Was steht hier?” Er
liest. „Ruhr Gestalten“ steht auf dem Sticker. Kopfschüttelnd spricht er
die beiden Worte laut aus. „Wissen Sie, was damit gemeint ist?” Noch
immer kopfschüttelnd geht er weiter.
Gestaltung ist eine Disziplin. GestalterInnen geben Form. Die Gestalter-
Innen des Alltags sprechen nicht von Gestaltung. Sie tun. Sie erfinden.
Sie praktizieren. Alice Rawsthorn spricht vom zufälligen Design. Das
klingt einfacher, ungewollter, unbeabsichtigter als die tatsächlichen
Alltagsgestaltungsverhältnisse es sind. Sie spricht von Intuition und
von Design, das unwissentlich entsteht. Intuition und Wissen sind Verbündete
in der Gestaltung. Die, die wissen, dass sich aus dem gezielten
231

Einsatz der Intuition der Mehrwert abschöpfen lässt, sind die professionellen
GestalterInnen. Die anderen überlassen sich dem Zufall. „Ruhr
Gestalten“ spricht von der „Kreativen Klasse“. (Die Klasse ist immer
eine Fiktion.) Der Sticker klebt fest. Er lässt sich nicht abziehen. Strukturwandel,
Deindustrialisierung, Kreativwirtschaft. Die GestalterInnen
des Alltags sind nicht gemeint. Sie fühlen sich auch nicht angesprochen.
Sie schütteln den Kopf und gehen weiter. Kreativität lässt sich nicht verordnen.
Die GestalterInnen des Alltags wählen ihre Formen. Sie bauen
weiter. Sie bauen um. Sie produzieren.
HEFT 2 Im Gardinenland herrscht Ordnung. Die, die die Ordnung herstellen,
beherrschen sie. Die, die Ordnung herstellen, pflegen sie. Jedes
Fenster wird zu der Fläche, die das Beherrschen und das Pflegen ausstellt.
Zwischen Beherrschen und Pflegen entfaltet sich die Gestaltung
der Subjekte. Gestaltungsspielraum, Gestaltungskraft, Gestaltungsarbeit,
Gestaltung macht Arbeit. Die Gardinen zeigen die GestalterInnen
des Alltags. Sie lassen einen Sehschlitz frei. Sie lassen einen Zeigeschlitz
frei. Ich erkenne dies im Vorbeigehen. Ich kann die Körpermitte
derjenigen sehen, die hinter den Gardinen bei der Arbeit ist. An den Bewegungen
der Hände kann ich erkennen, dass das Geschirr gewaschen
wird. Ich kann nur ein Stück ihres Körpers sehen, nicht die ganze Person.
Ich kann ihr nicht in die Augen schauen. Die Körper werden durch
die Gardinen geteilt. Die Gardinen sind semitransparent. Von innen sieht
man gebrochen, gemustert, gerastert nach draußen. Von außen sieht
man ungebrochen durch den freigelassenen Sehschlitz, der Rest ist
Sicht auf die Gardine. Von innen weiß man, dass man immer gesehen
werden kann, von jedem, der vorbeigeht. Jedes Fenster eine Gardine.
Jede Gardine eine andere. Die Fenster legen beredtes Zeugnis ab von
Einheit und Differenz. Die Gardinen kann man kaufen, in Meterware. Die
Gardine kann man nähen lassen, in der nächsten Umgebung. Das Private
und das Öffentliche sind nicht getrennt. Die Subjekte sind dieselben.
Ihre historische Trennung war eine politische Konstruktion, an der wir
bis heute arbeiten.
HEFT 3 Ich denke an die Nachbarn. Ich folge der Spur der Etymologie.
Der Nachbar ist der nahe Bauer, wird dann, wie der Duden – Das Herkunftswörterbuch:
Etymologie der deutschen Sprache – schreibt, zum
nahebei Wohnenden. Die Vorstellung der Nachbarschaft ist vom Land
in die Stadt eingewandert. Die Spur, die die Wörtlichkeit freilegt, ist für
mich von Interesse. Das Land ist mit den Nachbarn in die Stadt eingewandert.
Raumvorstellungen und soziale Beziehungen des Lands haben
die Stadt weiterentwickelt. Das Rurale verändert(e) das Urbane. In
der Gegenwart geht die Geschichte weiter. Die Nachbarn verändern die
Stadt, sie gestalten und entwickeln.
Die Trennung von öffentlich und privat war eine historische Konstruktion.
Die Trennung zwischen Land und Stadt ebenso. Karl Marx sprach
vom Idiotismus des Landlebens. Henri Lefebvre schreibt, dass das Rurale,
das Industrielle und das Urbane zeitlich aufeinanderfolgen. Solche
Trennungen, räumlich wie zeitlich, ziehen Grenzen. Sie machen Raumpolitik
und Chronopolitik, verweisen auf Machtgefälle.
Davor ist nicht danach, drinnen ist nicht draußen, privat ist nicht öffentlich,
Stadt ist nicht Land. Jedoch, davor ist auch danach, drinnen ist auch
draußen, öffentlich ist auch privat, Stadt ist auch Land, hinter den Gardinen
ist vor den Gardinen.
Nachbarn kommen und gehen. Sie verbinden davor, danach, drinnen,
draußen, privat, öffentlich, Stadt, Land, lokal, global.
Meine Nachbarn sind eine Autobahnkirche, ein (ehemaliges) Bordell,
eine (ehemalige) Diskothek, ein Schlachthof, ein Gebrauchtreifenhandel,
ein Friedhof, ein Sadomaso-Studio. Sie sind Nachbarn. Sie sind keine
Gemeinschaft. Sie sind eigenständig. Sie hängen voneinander ab. Sie
koexistieren.
HEFT 4 Trete ich aus der Kirche, dann stehe ich dort, wo die Überführung
der Dorstener Straße die A40 schneidet. Seit 30. Mai 2010 hat die
Kirche täglich von 8.00 bis 20.00 Uhr geöffnet. Im Rahmen der Kulturhauptstadt
Europas RUHR.2010 hat sich die Kirche neu positioniert. Aus
dem Naheliegenden wurde Programm. Die Autobahn liegt vor der Tür.
Die ersten Autobahnkirchen entstanden in den späten 1950er-Jahren.
Massenmotorisierung, Konsumgut Auto und Religion führten zur Allianz
zwischen Autobahn und Kirche.
Ich erinnere mich an die Crystal Cathedral in Garden Grove in Kalifornien.
1955 begann Robert H. Schuller seine Karriere als Prediger. Er
mietete ein Autokino, das Orange Drive-in Theater. Autokino, Autokirche.
1980 eröffnete ein neues Kirchengebäude für Schullers Gemeinde,
die von Philip Johnson geplante Crystal Cathedral. Als Inspiration für
seinen Entwurf nennt Johnson eine Zeichnung von Ludwig Mies van der
Rohe für das nicht realisierte Turmhaus an der Berliner Friedrichstraße.
Ab 1930 leitete van der Rohe das Bauhaus in Dessau. Die heutige
Autobahnkirche in Bochum-Hamme eröffnete 1930. In ihrer Selbstbeschreibung
bezeichnet sie sich als im Bauhaus-Stil errichtete Kirche.
Heute sind Migrationsgemeinden in Deutschland oft auf der Suche nach
geeigneten Räumlichkeiten für ihren Gottesdienst. An manchen Sonntagen
sind die Nachmittage in der Autobahnkirche an die ghanaische Community
vermietet. Auch die buddhistische Community ist Untermieter.
Offenheit führt zu neuen Ökonomien. Ökonomie führt zu neuer Offenheit.
Die Allianzen sind pragmatisch.
HEFT 5 DL ist die Abkürzung für Dienstleisterinnen. Auf der Website
www.freiercafe.org steht DL für Sexdienstleisterinnen. Das Angebot
von Freude 39, das sich bis Anfang 2014 in der Freudenbergstraße 39
befand, wird detailliert analysiert. Es ist die Rede von Spindgrößen,
Duschen, Frühstücksbüffetauswahl und den Couchen im Aufenthaltsraum.
Die Website www.bordell-tour.de kategorisiert das Angebot der
Sexdienstleisterinnen nach Nationalitäten und Sprachen. Unter Nationalität
finden sich für Freude 39 (nunmehr an einem neuen Standort)
europäisch, asiatisch, afro-amerikanisch, spanisch, südländisch, osteuropäisch
und andere. Unter Sprachen finden sich deutsch, englisch,
französisch, spanisch, russisch, polnisch, türkisch, andere.
1985 forderte das Internationale Komitee für Prostituiertenrechte, dass
Sexarbeiterinnen Menschenrechte garantiert werden: Redefreiheit,
232

Reisefreiheit, Immigration, Arbeit, Ehe, Mutterschaft, Gesundheit und
Wohnen. 1985 lese ich Texte der feministischen Psychoanalytikerin
Luce Irigaray. Ausgehend von Marx‘ Warenanalyse und Wertanalyse
spricht sie vom Wert der Frauen als untereinander konkurrierende und
zwischen Männern getauschte Waren. 2005 macht Elisabeth von Dücker
im Hamburger Museum der Arbeit eine Ausstellung zu Sexarbeit. 2005
wird die Erklärung der Rechte von Sexarbeiterinnen in Europa von 120
Sexarbeiterinnen und 80 Verbündeten aus 30 Ländern im Oktober in
Brüssel verabschiedet. 2009 schreibt die politische Philosophin Susan
Buck-Morss über das Verhältnis zwischen Sklaverei und Prostitution:
“Traffic in women was the prototype of commercial slavery. The slavetrade
in women sold into prostitution, is a booming business of contemporary
globalization. See www.protectionproject.org.”
Ich sehe die Autoreifen, die am Straßenrand gestapelt sind und auf den
Verkauf warten. Ich sehe die Autoreifen unter der Autobahnbrücke. Es
könnten dieselben Reifen sein. Ich lese einen Text von Tom Holert. Er
zitiert Allan Kaprow. Seit 1964 predigt Kaprow, dass reine Forschung
(pure research) in Kunst- und Kunstausbildung wie in jedem anderen
akademischen Feld vorangetrieben werden sollte: „[…] es müsse ein
Avantgarde-Think Tank (!) in Bewegung gesetzt werden, um die allzu
vorsichtige akademische Gemeinschaft zu beleben“. Die Reifen unter
der Autobahnbrücke erinnern mich an die Arbeit Yard von Allan Kaprow
aus dem Jahr 1961. Die Assoziation wird Realität. Die in der Vorstellung
von mir angenommene Verbindung hat tatsächlich bestanden. Kaprow
hat hier gearbeitet. Wie die Zukunft der Geschichte der Assoziationen
weitergehen wird, wird sich im Senegal zeigen.
HEFT 7 „Die Zigeunerwurst ist wirklich beliebt“, betont der Mann vom
Imbiss auf dem Schlachthof. „Bis zu über einer Stunde fahren die Leute
auf der Autobahn, um hier Zigeunerwurst mit Zigeunersauce zu kaufen.”
Für einen Euro und vierzig Cent kann man 400 Gramm Zigeunerwurst
kaufen. Um einen Euro gibt es 400 Gramm Zigeunersauce.
Roma sind die größte europäische Minderheit. Auf dem ersten World
Romani Congress 1971 in Orpington in der Nähe von London erfolgte
die Einigung auf die Selbstbezeichnung Roma. Diese wird international
verwendet. In den 1980er-Jahren haben die Roma- und Sinti-Verbände
in Deutschland durchgesetzt, dass von Roma und Sinti gesprochen wird.
Die Realität der Alltagssprache ist eine andere. Zigeunersenf, Zigeunerletscho,
Zigeunerschnitzel, Zigeunerräder, Zigeneurchips, Zigeunersauce,
Zigeunerwurst. Sie sind in den Regalen der Supermärkte im
Angebot, sie sind in Kochbüchern zu finden, sie stehen auf den Speisekarten,
sie werden gekauft, bestellt, verzehrt.
Die Debatte um die Begriffe Antiziganismus, Antiromaismus, Antisintismus
wird intensiv geführt. Erst 1992 wurde der Porajmos in Deutschland
als Völkermord anerkannt. 2012 wurde das von Dani Karavan entworfene
Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und
Roma eröffnet.
HEFT 10 In der Landschaft der Eigenständigkeit erfindet sich die Zukunft
jenseits des Plans. In weggeworfenen Platinen wird nach Gold gegraben.
Mehrere Gramm pro Woche. In der Straßenbahn 306 sprechen
Türke, Marokkaner und Russe über die Fußball-Weltmeisterschaft. Ich
höre ihnen zu. Ich stelle keine Fragen. Die drei sind sich nicht einig, ob
sie es wollen, dass die Deutschen weiterkommen in der Fußballweltmeisterschaft.
Es wird viel gebaut in Istanbul, sagt der Türke. Es wird
viel gebaut in Moskau, sagt der Russe. Der Marokkaner sagt nichts.
Zwischen den Gräbern fahren die Kinderwagen. Zwischen den Gärten
herrscht die Gewalt. Hinter der Disko die Kunst der Intuition. Die Zufahrt
ist gesperrt. Neben dem Schlachthof führt der Weg ins Grüne. Hier geht
keiner. Hier geht keine. Die Absenz ist spürbar. Die Landschaft braucht
die Menschen. Damit sie eigenständig sein kann, braucht die Landschaft
die Menschen. Das ist das Paradox.
ELKE KRASNY
HEFT 8 Ich sehe den Reifen zu. Ich stehe auf der Autobahnbrücke. Sie
werden aufgebaut. Sie werden gerollt. Sie werden umgeschichtet. Sie
sind in ständiger Bewegung. Sie sind geordnet, sie machen Arbeit. Sie
faszinieren. Ich würde die aus Reifen gewonnenen Formen gerne ästhetisch
betrachten können. Ich würde mich gerne an ihrer skulpturalen
Schönheit, an ihrer choreografischen Präzision erfreuen können.
Ich kann es nicht. Ich könnte es nur unter der fiktiven Annahme einer
Ausschaltung des Wissens um die Verhältnisse. Die Empirie ist stärker.
Viele der Hände, die die Reifen sortieren und bewegen, sind schwarz.
Viele der Hände an den Lenkrädern der Autos, an denen die Reifen in
ihrem zweiten Leben montiert sein werden, sind schwarz. Ich fliege in
den Senegal. Ich erzähle A. von meinen Nachbarn an der Autobahn. Wie
bei jeder meiner Reisen reisen die Erzählungen von den Nachbarn mit.
Mit der Entfernung wächst das Interesse. Die Faszination an der Koexistenz
der Unterschiede ist hoch. Wir fahren von Dakar nach Saint-Louis.
AUS DER LANDSCHAFT DER EIGENSTÄNDIGKEIT ELKE KRASNY
233

FROM THE LANDSCAPE OF AUTONOMY | FOREWORD From the Landscape
of Autonomy is a work that approaches the urban landscape in
Bochum-Hamme created in the aftermath of constructing the B1|A40
autobahn. Project curator Markus Ambach first introduced me to this
landscape. As he accompanied me on the way, I became familiar with
the neighbors connected to it: a motorway church, a (former) brothel, a
(former) discotheque, a slaughterhouse, a used tire store, a cemetery,
and an S&M studio. The guest room in the offices of the motorway church
became my home, as the artist-in-residence. From here I explored the
neighborhood, which is the result of planning and no planning. Specifically,
the results of the collective impact of the mega-infrastructure
created by the autobahn and the facilities established in these isolated
spaces, leftover spaces, interim spaces, or, to put it another way – in
these new spaces. Many hours of walking formed the foundation upon
which I was able to develop access to the neighbors. This led to the multipart
work of art, From the Landscape of Autonomy, which consists of an
outdoor path built through photography installations and a museumlike
installation inside the building at Berggate 69. I tracked through the
places where the neighbors went. Literally, conceptually, methodically.
Methodos is ancient Greek for path, and in the Gemoll Greco-German
concise dictionary, Methodeia comes immediately afterward. Methodeia
means cunning. Walking alone is not enough. Cunning has to be combined
with walking. The cunning of theory, the cunning of critique, the cunning
of association. For me, tracking the places, the neighbors, consisted of
doing research as I walked through the area. In order to get closer to the
places, however, I had to leave them, see them from trans-local, transnational
perspectives. I went to Senegal, Berlin, Istanbul, and London
to take the photographs that linked the outdoor installation in Bochum-
Hamme to the neighboring sites, creating a new local/trans-local path.
This photography installation created a path through the neighborhood
that led from the motorway church to the former Taksim discotheque
to the cemetery. A path that leads through photographs, from Bochum-
Hamme – the photograph in front of the motorway church – to Istanbul –
the photograph at the discotheque – to London – the photograph at the
cemetery. One of the photographs is of a used tire store in Senegal, next
to the street that leads from Dakar to the city of Pikine, newly founded
in 1952; urban renewal in Dakar, which involved clearing the slums, led
to forced migration to Pikine. In 1952 people in Germany began thinking
about expanding the highway 1, the B1, to six lanes in order to accommodate
the increasing amount of traffic. One of the photographs is of
Taksim Square, which has been a global media site 2013, when it was
the site for protests against neoliberal urban deve lopment in Istanbul.
One of the photographs is of Dani Karavan’s 2012 memorial to the Sinti
and Roma who were murdered by the Nazis. The central object in the
museum-like installation inside Berggate 69 was a trestle table painted
gray. On top of this lay ten booklets with handwritten entries about the
research done while walking, referring to theory, critique, and historical
politics. I prepended this introductory foreword to the ten booklets,
which now form the rest of this essay.
BOOKLET 1 “Why are you taking a photograph here?” a man asks me,
openly expressing his astonishment. “What’s here?” He reads. “Ruhr
Gestalten” (designing the Ruhr) are the words on the sticker. Shaking his
head, he reads the two words out loud. “Do you know what they mean by
that?” Still shaking his head, he moves on. Design is a discipline. Designers
provide shape. The everyday designers don’t talk about design. They
do. They invent. They practice. Alice Rawsthorn calls it random design.
That sounds simpler, more unintentional, more inadvertent than actual
everyday design conditions are. They speak of intuition and design that
arise unconsciously. Intuition and knowledge are allied in design. Those
who know that additional value can be had by deliberately implementing
intuition are professional designers. The rest rely on coincidence.
“Ruhr Gestalten” speaks of the “creative classes.” (Class is always a fiction.)
The sticker adheres firmly. It can’t be taken off. Structural change,
de-industrialization, creative economy. This does not refer to everyday
234

designers. They never feel as if they are being addressed, anyway. They
shake their heads and move on. Creativity cannot be regulated. Everyday
designers choose their forms. They keep building. They remodel.
They produce.
BOOKLET 2 Order dominates the curtained suburbs. Those who create
the order dominate it. Those who create the order maintain it. Every
window becomes a surface that exhibits this dominance and maintenance.
Between ruling and maintaining, the subjects’ form unfolds.
Room for design, the power of design, the work of design, design makes
work. Curtains show the designers of everyday life. They leave open a
small slit through which things can be seen. They leave open a small
slit through which things can be shown. I recognize this as I walk by. I
can see the torso of the person working behind the curtains. From the
movement of the hands I can see that dishes are being washed. I can only
see a part of her body, not the whole person. I can’t look her in the eyes.
The curtains separate the bodies. The curtains are semi-transparent.
From the inside, one looks out, broken, patterned, screened. From the
outside, one has an uninterrupted view through the small slit; the rest
is a view of the curtains. The person inside always knows that she can
be seen by passersby. A curtain for every window. Every curtain is different.
The windows eloquently attest to uniformity and difference. You
can buy curtains by the meter. You can have curtains sewn nearby. The
private and the public are not separate. The subjects are the same. Their
historical separation was a political construct that we are still working
on today.
BOOKLET 3 I’m thinking about neighbors. I’m tracing the etymology.
The neighbor is the closest farmer, becoming, according to the Duden
etymological lexicon of the German language, the person living nearby.
The notion of neighbors has moved from the country to the city; I’m interested
in the path laid open by literalness. The country moved to the city
with the neighbor. Concepts of space and social relationships in rural
areas have continued to develop the city. The rural changes/d the urban.
The story goes on in the present. Neighbors change the city, shape and
develop it. The separation between public and private was a historical
construct. The separation between country and city as well. Karl Marx
talked about the idiocy of country life. Henri Lefebvre writes that the
rural, the industrial, and the urban followed each other chronologically.
These kinds of separations, spatial and temporal, draw boundaries.
They create the politics of space and chronology, refer to an imbalance
of power. Before is not after, inside is not outside, private is not public,
city is not country. Yet, before is also after, inside is also outside, public
is also private, city is also country, behind the curtains is in front of the
curtains. Neighbors come and go. They link before, after, inside, outside,
private, public, city, country, local, global. My neighbors are a drive-in
church, a (former) brothel, a (former) discotheque, a slaughterhouse,
a used tire store, a cemetery, and an S&M studio. They are neighbors.
They are not a community. They are independent. They are dependent
upon each other. They co-exist.
BOOKLET 4 If I leave the church, then I’m standing at the point where
the Dorstener Street bridge intersects the A40. Since May 30, 2010, the
church has been open every day from 8 a.m. to 8 p.m. During the Ruhr
2010 – European Cultural Capital celebrations, the church repositioned
itself. From the obvious rose an agenda. The autobahn is right in front
of the door.
Drive-in churches first arose in the late 1950s. Mass-produced cars
appeared, and they forged an alliance between the autobahn and the
church.
I remember the Crystal Cathedral in Garden Grove, California. Robert
H. Schuller began his career as a preacher in 1955. He rented a drive-in
movie theater, the Orange Drive-in Theater. Drive-in cinema, drive-in
church. In 1980 Schuller’s congregation opened a new church building,
the Crystal Cathedral designed by Philip Johnson. Johnson said that one
inspiration for his design was a drawing by Ludwig Mies van der Rohe
for the unrealized tower on the Friedrichstraße in Berlin. Van der Rohe
was head of the Bauhaus in Dessau from 1930 on. The drive-in church
in Bochum-Hamme opened in 1930. It’s described as a church erected in
the Bauhaus style.
Today, migrant communities in Germany are often looking for space suited
for worship services. On some Sundays the drive-in church is rented
for the afternoon to the Ghanaian community. The Buddhist community
is also a subletter. Openness leads to new economies. A new economy
leads to new openness. The alliances are pragmatic.
BOOKLET 5 DL is short for Dienstleisterinnen, which means service
providers. On the website www.freiercafe.org DL stands for female sex
providers. At Freude 39, which was located at Freudenbergstraße 39 until
early 2014, this offer is analyzed in detail. There is talk about locker
sizes, showers, the breakfast buffet selection, and the couches in the
waiting room. The website www.bordell-tour.de categorizes the array
of female sex providers according to nationality and language. Among
the nations represented at Freude 39 (now in a new location) there are
European, Asian, African-American, Spanish, southern, eastern European,
and others. Among the languages are German, English, French,
Spanish, Russian, Polish, Turkish, and others.
In 1985 the International Committee for Prostitutes’ Rights demanded
that sex workers be guaranteed human rights: freedom of speech, freedom
to travel, immigration, work, marriage, health, and life. In 1985 I
read essays by the feminist psychoanalyst Luce Irigaray. Starting with
Marx’s analysis of commodities and values, she says that the women
compete for value among each other and are goods exchanged among
men. At the Hamburg Museum in 2005 Elisabeth von Dücker produced
an exhibition about sex work. In October of 2005 the Declaration of Sex
Workers’ Rights in Europe was passed in Brussels by 120 sex workers
and 80 allies from 30 countries. In 2009 the political philosopher Susan
Buck-Morss wrote about the relationship between slavery and prostitution:
“Traffic in women was the prototype of commercial slavery. The
slave-trade in women sold into prostitution is a booming business of
contemporary globalization. See www. protectionproject.org.”
AUS DER LANDSCHAFT DER EIGENSTÄNDIGKEIT ELKE KRASNY 235

BOOKLET 6 Club Taksim is the name of the Turkish disco. It moved from
Freudenbergstraße 40 to the Rombacher Hütte. Under gecekusu.de you
can find Turkish events, Turkish concerts, and Turkish places. Gecekusu
is an information portal for Turkish events in Germany. Gecekusu means
night owl. For migrants in Germany, the cultural plays a significant role
in organizations. The Aliens Act from 1966 limited political activities in
exile organizations. Culture is regarded as a way to maintain a relationship
to one’s homeland. In the book Musik in der Migration: Beobachtungen
zur kulturellen Artikulation türkischer Jugendlicher in Deutschland
(Music in migration: observations on the cultural articulation of Turkish
youth in German) Maria Wurm writes that “the discos founded from the
mid-1990s onward are fundamentally different from the Turkish pubs
that had existed in Germany until then.” Folklore became globalized
metropolitan culture; the urbane replaced the traditional. Ayse Caglar
argues in her article “Verordnete Rebellion” (Rebellion Enacted) that
“[…] they relate to Turkish cities and urban areas, not to so-called traditional
Turkish culture. Thus, the relationship to the Turkish language
and Turkey itself is not presented as a backward-looking nostalgia, but
as a globalized, urban gesture of openness toward difference, diversity,
and, above all, the West.” Migration determines mobility in cities. Migration
determines mobility between cities. Taksim Square in Istanbul –
after which Club Taksim is named – is no longer what it once was. It
became a synonym around the world for urban resistance to neoliberal
urbanism. Occupy Gezi was a transnational movement. Taksim Square
was occupied. The Turkish diaspora supported the protests.
BOOKLET 7 “The Zigeunerwurst is really popular,” says the man from
the snack bar at the slaughterhouse. “People drive up to an hour on the
autobahn in order to come here and buy Zigeunerwurst with Zigeunersauce.”
For one euro and forty cents you can buy four hundred grams
of Zigeunerwurst. For another euro, you can get four hundred grams of
Zigeunersauce. Roma comprise the largest minority group in Europe. At
the first World Romani Congress in Orpington, near London in 1971, attendees
agreed to call themselves Roma. This term is used around the
world. In the 1980s the Roma and Sinti associations in Germany asserted
the usage of the terms Roma and Sinti in everyday speech. The reality
is different. Zigeunersenf, Zigeunerletscho, Zigeunerschnitzel, Zigeunerräder,
Zigeneurchips, Zigeunersauce, Zigeunerwurst (gypsy mustard, gypsy
stew, gypsy schnitzel, gypsy bikes, gypsy chips, gypsy sauce, gypsy
wurst). They are for sale on the shelves of supermarkets; they can be
found in cookbooks, on menus; they are bought, ordered, consumed.
The debates about terms such as Antiziganismus, Antiromaismus, Antisintismus
(anti-gypsy, anti-Roma, anti-Sinti) are carried on with intensity.
It was not until 1992 that the Porajmos (Roma holocaust) was acknowledged
as genocide in Germany. Dani Karavan’s memorial to the Sinti and
Roma murdered during the Nazi era was opened in Berlin in 2012.
BOOKLET 8 I’m looking at the tires. I’m standing on the bridge over the
freeway. They are piled up. They are rolled. They are re-grouped. They
are in constant motion. They are organized; they make work. They are
fascinating. I would love to be able to consider the shapes formed by the
tires aesthetically. I would like to be able to take pleasure in their sculptural
beauty, their choreographed precision. But I can’t. I could only do
it under the false assumption that I can shut out what I know about the
conditions here. Empirical evidence is stronger. Many of the hands that
sort and move the tires are black. Many of the hands on the wheels of
the cars that have these second-hand tires mounted on them are black.
I fly to Senegal. I tell A. about my neighbors along the freeway. As is
the case with all of my trips, tales about the neighbors come with me.
Interest grows with distance. There is great fascination with the coexistence
of differences. We travel from Dakar to Saint Louis. I see car tires
piled along the edges of streets, waiting to be sold. I see car tires under
freeway bridges. They might just as well be the same tires. I read an
essay by Tom Holert. He quotes Allan Kaprow. Since 1964 Kaprow has
been preaching that, as in every other academic field, pure research in
art and art education should be continued: “[…] an avant-garde think
tank (!) has to be set in motion, in order to bring some life into the alltoo-careful
academic community”. The tires under the freeway bridges
remind me of Kaprow’s piece, Yard, from 1961. The association becomes
reality. The connection I imagined actually took place. Kaprow worked
here. In Senegal it remains to be seen how the history of associations
will continue.
BOOKLET 9 The baby stroller wheels roll across the cemetery. The
place of the dead is a good place for the living. You can’t hear the noise
of the cars. Birds sing louder here than elsewhere. They’ve adjusted to
the location. Greenery grows rampant next to the heating pipes. The
trees are old. I think about Highgate Cemetery in London. The landscape
garden and the cemetery share a common history. Karl Marx, Friedrich
Engels, and the Ruhr District, too. Marx is buried in Highgate Cemetery
in Camden. Marx and Engels followed the workers’ struggles in the Ruhr
District.
There was a miners’ strike in the Ruhr District in 1889. It was a massive
strike. Engels writes: “The miners sent a well-known delegation to the
Emperor [Wilhem II] – a vainglorious, smug, young fool – who received
them with threatening words: if they turned to the Social Democrats and
vilified the authorities, he would have them shot down without mercy.
(That was actually tried in Bochum, where a second lieutenant, a young
boy of nineteen, ordered his soldiers to shoot the striking miners – but
most of them fired into the air.) But regardless, the whole empire quailed
before these striking workers.” There is an S&M studio, Das bizarre
Stahlwerk (the bizarre steel mill) at Berggate 69. I think about the city I’m
from, Vienna. I think about the masochistic tradition. In an outline for an
introduction to a reading of an excerpt from her novel, Franza (the reading
took place in Zurich in January 1966), Ingeborg Bachmann wrote: “I
come from a country – without wanting to curry favor with its geniuses,
which have always studied man, the unknown creature, his inscrutability
and subtleness. [. . .] From the undiscovered Sacher-Masoch to the
great pioneer, Sigmund Freud, however historical he may have become,
this line, this research, has never been broken.”
236

237

BOOKLET 10 In the Landscape of Autonomy there is a future beyond the
plan. Gold is mined in discarded boards. Several grams a week. In the
306 tram, a Turk, a Moroccan, and a Russian discuss the football World
Cup. I listen to them. I don’t ask questions. The three of them can’t come
to an agreement about whether or not they want to see the Germans
advance in the competition. They’re building a lot in Istanbul, says the
Turk. They’re building a lot in Moscow, says the Russian. The Moroccan
says nothing. The strollers roll along among the graves. Between
the gardens, violence dominates. Behind the disco, the art of intuition.
The entrance is blocked. Next to the slaughterhouse, the path leads to a
green area. Nobody goes here. The absence is palpable. The landscape
needs people. The landscape needs people so it can be independent.
That is the paradox.
ELKE KRASNY
238

AUS DER LANDSCHAFT DER EIGENSTÄNDIGKEIT ELKE KRASNY 239

ÜBER DIE KUNST, DIE STADT UND DIE TÜFTLERMENTALITÄT
IM RUHRGEBIET
„Eine Stadt entwirft sich selbst“ ist der Titel des kuratorischen Texts
von Markus Ambach zur ersten Edition von B1IA40 im Kulturhauptstadtjahr.
Und genau in dieser Aussage liegt die große Qualität der Kunstausstellung
verborgen. Mit einem unnachahmlichen Gespür findet der
Projektemacher Besonderheiten in der Stadtlandschaft, die für sich
schon skulptural erscheinen. Er sieht in den Menschen, die dort leben,
eine wichtige Ressource für den nachhaltigen Stadtumbau, fernab von
strukturellen Masterplänen für das Ruhrgebiet.
Masterpläne hat es schon viele gegeben für die Region. Immer angestoßen
durch wirtschaftliche und planerische Notwendigkeiten. Nach
dem explosionsartigen Wachstum während der industriellen Revolution
folgte der Auszug der Industrie aus den Ruhrgebietsstädten, was
eine schrumpfende und alternde Gesellschaft in der Region zurückließ.
Dann kam der Strukturwandel mit großer Förderung der Europäischen
Union zu Zeiten der Internationalen Bauausstellung Emscher Park. Die
Kulturhauptstadt Europas erreichte ein Jahrzehnt später in einer internationalen
Kampagne, das Ruhrgebiet auf der kulturellen Landkarte
Europas zu verorten.
Das sind die großen strukturellen Neuerfindungen, die durch die öffentliche
Hand und das Engagement der großen Unternehmen das Ruhrgebiet
nachhaltig verändert haben. Die ökonomische und gesellschaftspolitische
Situation ist jedoch nach wie vor angespannt. Wachstum ist
bisher lediglich in den großen Städten Dortmund und Essen zu verzeichnen.
Wie kann vor diesem Hintergrund zukünftig die Transformation der
ehemaligen Industrieregion weitergehen und was kann die Kunst in diesem
Prozess bewirken?
Mit dieser zentralen Fragestellung startete im Jahr nach der Kulturhauptstadt
die Nachhaltigkeitsstrategie der RUHR.2010. Urbane Künste
Ruhr bekam eine zentrale Position in dem Anliegen, die Erfolge des europäischen
Festjahrs weiterzuführen. Der programmatische Anspruch
von Urbane Künste Ruhr setzt seitdem auf Projekte, die den Begriff
Kunst im öffentlichen Raum als tiefgreifende Gestaltung von Stadt neu
definieren – immer vor Ort und gemeinsam mit den Menschen, die dort
leben. Urbane Künste Ruhr wagt einen neuen Blick auf das Ruhrgebiet,
auf Stadt an sich und auf die Möglichkeiten der Kunst, Funktionen im
Transformationsanliegen einer ganzen Region zu übernehmen. B1IA40
Die Schönheit der großen Straße war neben der Emscherkunst das zentrale
Kunstprojekt der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 im öffentlichen
Raum, das auch in der Folge für Urbane Künste Ruhr maßstabgebend
war. Beide Ausstellungsprojekte verstanden das Ruhrgebiet mit seinem
spröden Charme als Motivation für die kuratorische Idee, mischten sich
direkt in den Wandel der Stadtlandschaft ein und bewegten sich stets
mitten im Alltag der Stadtbewohner.
B1IA40 ist jedoch weit mehr als ein kuratierter Ausstellungsparcours.
Der Künstlerkurator Markus Ambach hat es geschafft, ein Projekt zu
kreieren, das den teilweise banalen Alltag, die besondere kreative
Tüftlermentalität der Ruhrgebietler, die künstlerischen Arbeiten und
städtebaulichen Kartierungen gleichwertig nebeneinander stellt. Die
sechs Ausstellungsareale im Kreuz Kaiserberg, rund um den Eichbaum
in Mülheim an der Ruhr, in Essen-Frillendorf, am Dückerweg und am
Schlachthof in Bochum sowie unter und neben der Schnettkerbrücke in
Dortmund wurden gezielt durch Ambach gewählt, um so eine schlüssige
Abfolge von Landschaftstypologien herzustellen. Insbesondere die von
ihm erdachten Wanderwege ließen eindrücklich die gekonnte Komposition
von Stadtlandschaftsbildern nachvollziehen. Bei jeder einzelnen
künstlerischen Arbeit der Ausstellung B1IA40 war auch ein Stück des
Kurators und seiner Gesamtvision zu finden.
Partizipation und Kunst ist ein viel diskutiertes Thema der zeitgenössischen
Kunst im öffentlichen Raum. Sie ist oftmals der Kritik ausgesetzt,
die Aufgaben der Sozialarbeit übernehmen zu wollen. Auch immer
gerne kritisiert wird die kurze Projektzeitdauer, die den Künstler
für den begrenzten Zeitraum einer Ausstellungslaufzeit finanziert. Danach
werden die involvierten Stadtbewohner mit der einmal entfachten
Energie wieder allein zurückgelassen. Bei B1IA40 stand genau dieses
Konfliktfeld von Anfang an im Raum und wurde von Markus Ambach in
eine kuratorische Frage übersetzt. Jeanne van Heeswijk realisierte im
Kreuz Kaiserberg 2010 mit großem Erfolg das kollaborative Projekt Der
Widerstand des kleinen Glücks mit der Siedlergemeinde in Werthacker.
Die Rotterdamer Künstlerin motivierte die Menschen vor Ort, eine groß
angelegte Rettungsaktion der Dorfkirche mit Siedlertreff zu starten. Sie
240

gab ihnen als gebautes Zeichen während der Umbauzeit einen großen,
runden Holztisch, der nach wie vor als Symbol der gemeinschaftlichen
Aktivität vorhanden ist. In der Recherchezeit der zweiten Ausstellungsphase
bat Markus Ambach die Künstlerin, ein weiterführendes Projekt
zu ersinnen, das die einmal entzündete Energie vor Ort in die Zukunft
führt. Jeanne van Heeswijk und ihr Team haben mit Trampelpfade – eine
Wanderausstellung zum kleinen Glück die Praktiken der kleinen Siedlergemeinde
in die gesamte Nachbarschaft des besonderen Lebensumfelds
inmitten des Autobahnkreuzes gebracht. Die Siedler aus Werthacker
hatten die Gelegenheit, ihr geballtes Wissen aus der kollaborativen
Arbeit gemeinsam mit der Künstlerin an die Nachbarschaften weiterzugeben
und ebenso viel hinzuzulernen. Ganz neue Allianzen sind so entstanden,
die ohne das Projekt und die Künstlerin niemals eingetreten
wären.
Ein anderer Ort im Ausstellungsparcours B1IA40 hatte ebenfalls ein
Vorleben im Programm der Kulturhauptstadt. Der U-Bahnhof am Mülheimer
Eichbaum ist ein klassisch unwirtlicher Raum der autogerechten
Stadt der 1970er-Jahre. Im Mittelstreifen der Autobahn A40 liegt
eine Haltestelle der U18, die nach Vorstellungen visionärer Städtebauer
das gesamte Ruhrgebiet von Ost nach West durchfahren sollte.
Realisiert wurde lediglich die Strecke von Essen über Mülheim an der
Ruhr bis Duisburg. Die Haltestellen weisen allesamt ein hohes Maß an
Benutzerunfreundlichkeit auf. Das Künstler- und Architektenkollektiv
raumlaborberlin erfand vor diesem Hintergrund 2008 im Auftrag von
drei Theatern der Region die Eichbaumoper als städtebauliches, sozialutopisches
und künstlerisches Experiment. Die Opernaufführung fand
in Straßenbahnen, auf Bahnsteigen und zwischen den Gleisen statt. Die
Opernbauhütte, bestehend aus einer temporären Containerarchitektur
und einem Schriftzug auf dem Dach der Haltestelle, war das weithin
sichtbare bauliche Zeichen der Veränderung. Dort fanden partizipativ
angelegte Bau-Workshops, Planungstreffen und Kompositionsübungen
statt. Sie diente auch als trendige Bar und Nachbarschaftstreff. Ähnlich
wie bei Jeanne van Heeswijks Projekt im Kreuz Kaiserberg entstand ein
neuer öffentlicher Raum. Ein sozialer Raum, geformt allein durch die
Aktivität der Bürgerschaft. Doch ganz anders als bei Der Widerstand des
kleinen Glücks wurde in Mülheim an der Ruhr eine andere Strategie der
Nachhaltigkeit ausprobiert. Raumlaborberlin übergab die Eichbaumhütte
kurzerhand an Markus Ambach und das Projekt B1IA40, um eine
zukünftige Nutzung zu erfinden. Die Künstler Martin Pfeifle und Wanda
Sebastian machten den gekonnten Griff in die Farbpalette, gaben der
ehemaligen Opernbauhütte einen neuen goldenen Überzug und tauschten
ein paar Buchstaben im Schriftzug aus, um so das Eichbaumgold zu
setzen. Im Gegensatz zu den anfänglichen Eichbaum-Aktionen war die
Containerarchitektur lediglich Zeichen und Symbol. Die künstlerischen
Aktivitäten kuratierte Markus Ambach in das weitere Umfeld bis zum
Öko-Bauernhof an der Autobahn. So bauten Christine und Irene Hohenbüchler
ihre Arbeit ... flieg Vogel flieg … als lebende Skulptur, die sich mit
den fahrenden Völkern beschäftigt, mitten in das angrenzende Kornfeld
ein. Volker Lang schuf mit 8 ½ Circus Space im gleichen Feld eine nomadisch
konnotierte Bühne, die vor allen Dingen für die Jugend aus der
Nachbarschaft und die täglichen U-Bahnpendler zur Verfügung stand.
Gabriela Oberkofler zeigte ihre Buggelkraxe am Heißener Hof, der im
Übrigen auch die eigens kreierte B1IA40-Wurst im Bauerhofladen zum
Kauf anbot.
Beide Ausstellungsareale und ihre künstlerischen Werke zeigten auf
eindrückliche Weise, wie auf Teilhabe angelegte Projekte eine nachhaltige
Wirkung entfalten können, ohne dauerhaft zu sein. An beiden Orten
haben Laien und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen die Möglichkeiten
der Kunst erprobt, sich in den planerischen, politischen und
sozialen Diskurs einzubringen.
Die große Qualität von B1IA40 Die Schönheit der großen Straße, die dem
Kurator Markus Ambach und den eingeladenen Künstlern zu verdanken
ist, ist die Ausgewogenheit der Beziehungen zwischen Lokalität,
Kunst und Nutzern vor Ort. B1IA40 hat meiner Meinung nach die Kunst
im öffentlichen Raum im Ruhrgebiet und deren internationale Rezeption
nachhaltig verändert und damit auch die programmatische Ausrichtung
von Urbane Künste Ruhr geprägt.
Wenn „sich eine Stadt selbst entwirft“, wie Markus Ambach es ausdrückt,
dann können wir bei genauer Beobachtung sehr viel lernen für
zukünftige Planungen im Ruhrgebiet.
KATJA AßMANN
241

ON ART, THE CITY, AND THE TINKERER’S MENTALITY IN THE RUHR
DISTRICT “A City Invents Itself is the title” of curator Markus Ambach’s
text written for the first edition of B1IA40 in 2010, the year the region was
the European Capital of Culture. And it is precisely within this statement
that the high quality of the art exhibition lies hidden. With inimitable
sensitivity, the project’s creator was able to find the special characteristics
of an urban landscape that already seem sculptural in and of themselves.
He regards the people who live there as an important resource
for sustainably reconstructing the urban region, far from the structural
master plans for the Ruhr District.
Many master plans have already been conceived for the region, all of
them initiated by economic and planning necessities. After the explosive
growth of the Industrial Revolution, industry moved out of the Ruhr
District’s cities, leaving behind a shrinking, aging society. Then came the
structural changes, during the period of the Emscher Park International
Architectural Exhibition, generously supported by the European Union.
A decade later, through an international campaign, the European Capital
of Culture managed to put the Ruhr District on the European cultural
landscape’s map.
These great structural innovations, supported by public financing and
the commitment of large corporations, have lastingly altered the Ruhr
District. The economic and socio-political situation is, however, still
tense. Growth has only been seen in the big cities of Dortmund and Essen.
Considering this, how can the former industrial region continue to
change, and what can art do to aid this process?
A year after the European Capital of Culture, RUHR.2010 used these major
questions to begin planning its sustainability strategy. Urbane Künste
Ruhr was assigned a central position in following up on the success of
the celebratory year. Ever since then, Urbane Künste Ruhr has striven to
create projects that redefine the concept of public art as a pervasive way
of shaping the city – always on site and working with the people who live
there. Urbane Künste Ruhr dares to create a new perspective of the Ruhr
District, of the city as such, and of the possible ways that art can take on
various functions in the process of transforming an entire region.
Besides Emscherkunst, the exhibition B1IA40 The Beauty of the Grand
Road was the main public art project for the European Capital of Culture
in 2010, and it also later set the standards for Urbane Künste Ruhr. Both
exhibition projects regarded the Ruhr District and its rough charm as
motivation for the curatorial ideas, and they became directly involved
not only with the transformation of the urban landscape, but with the
everyday lives of the region’s residents, as well.
B1IA40 is, however, much more than a curated exhibition parcours. The
artist-curator Markus Ambach succeeded in creating a project that assembled
the occasionally banal everyday, the special, creative tinkerer’s
mentality of the Ruhr District’s residents, the artworks, and the urban
planning maps on the same level, side by side. The six exhibition areas –
Kreuz Kaiserberg, around the Eichbaum in Mülheim an der Ruhr, Essen-
Frillendorf, Dückerweg, the slaughterhouse in Bochum, and the area
below and next to the Schnettker bridge in Dortmund – were deliberately
chosen by Ambach in order to create a coherent series of different
landscapes. His Wanderwege (hiking paths) in particular impressively
allowed one to comprehend the skilled composition of images of urban
landscapes. In every single one of the artworks in B1IA40, you could also
find a bit of the curator and his overall vision.
Participation and art is a much-discussed theme in contemporary public
art. It is often criticized for trying to take over social work. The brief
length of the projects also comes under fire, since the artists are only financed
for the exhibition’s limited time period. Afterward, the local residents
involved are left alone with all of the energy that has been kindled.
This field of conflict was present from the start of B1IA40, so Markus Ambach
translated it into a curatorial question. Jeanne van Heeswijk had a
great success in 2010 with the project The Resistance of Small Happiness
realized at the Kreuz Kaiserberg in collaboration with the community
in Werthacker. The Rotterdam-based artist motivated people there to
242

start an action to save the village church and community meeting place.
As a physical symbol during the remodeling period, she gave them a
large, round wooden table, which still serves them as a symbol of community
action. During the research period of the exhibition’s second
phase, Markus Ambach asked the artist to devise a sequel that would
carry the energy kindled into the future. Jeanne van Heeswijk and her
team came up with Trails – a traveling exhibition about small happiness,
bringing the practices of the small community to everyone in the special
living environment around the highway junction. The artist and
the people from Werthacker had the opportunity to pass on everything
they had learned from the collaborative work to the neighbors, while
learning just as much from them. Entirely new alliances were created,
which never would have existed without the project and the artist.
Another site in the B1IA40’s parcours also had a previous life as part of
the European Capital of Culture’s program. The subway station Mülheim
Eichbaum is a classically inhospitable space from the car-friendly city
of the 1970s. On the A40’s median strip is a stop for the U18, which,
according to visionary urban planners, was supposed to traverse the
entire Ruhr District from east to west. Only the stretch from Essen to
Duisburg via Mülheim an der Ruhr was actually constructed, however.
All of the stations are extremely unwelcoming. In 2008, three regional
theaters commissioned a collective of artists and architects, raumlaborberlin,
to create the Eichbaumoper, as an experiment in urban
planning, social utopia, and art. The opera was performed in streetcars,
on train platforms, and in between the tracks. The Opernbauhütte,
a temporary piece of architecture made of containers and a sign on the
station’s roof, was an architectural symbol of change visible for miles
around. There, participatory building workshops, planning meetings,
and compositional practice took place. It also served as a trendy bar and
local hangout. As was the case with Jeanne van Heeswijk’s project at
the Kreuz Kaiserberg, a new public space was created – a social space,
shaped entirely by the activities of citizens. However, unlike The Resistance
of small happiness, other strategies for sustainability were tested
in Mülheim an der Ruhr. Raumlaborberlin temporarily loaned the Eichbaumhütte
to Markus Ambach and the B1IA40 project, looking to invent
a future use for it. The artists Martin Pfeifle and Wanda Sebastian skillfully
employed paint in giving the former Opernbauhütte a new golden
coat and changed a couple of letters in the title, turning it into Eichbaumgold.
In contrast to these earlier actions at the Eichbaum, the container
architecture was simply a sign and a symbol. Markus Ambach curated
the artistic activities farther afield, all the way to the organic farm near
the autobahn. Thus, Christine and Irene Hohenbüchler built their piece,
which deals with itinerant people, … Fly, Bird, Fly …, as a living sculpture
in an adjacent wheat field. With 8 ½ Circus Space, Volker Lang created
a kind of nomadic stage in the same field, which was essentially made
available to local youth and the commuters who pass through the subway
station every day. Gabriela Oberkofler showed her Buggelkraxe in
the Heißener Hof, where also, by the way, the farm’s store sold a special
type of sausage that was not only made especially for the B1IA40, but
also named after it.
Both exhibition areas and their works of art impressively demonstrated
how participatory projects can indeed achieve a lasting effect without
being permanent. In both places, non-experts and experts from various
disciplines tested the possible ways that art can be brought into the
planning, political, and social discourses.
B1IA40 The Beauty of the Grand Road’s finest quality – which is owed to
the curator, Markus Ambach and the artists he invited – consists of the
balanced relationships among locale, art, and the regional users. In my
opinion, B1IA40 has lastingly altered public art in the Ruhr District and
its international reception, and hence influenced the direction of Urbane
Künste Ruhr’s agenda.
When “a city invents itself,” as Markus Ambach put it, then we can learn
a great deal through closer observation and apply this knowledge to future
plans for the Ruhr District.
KATJA AßMANN
ÜBER DIE KUNST, DIE STADT UND DIE TÜFTLERMENTALITÄT IM RUHRGEBIET
243

244

DO-SCHÖNAU245

246

REKONSTRUKTION EINER
LANDSCHAFT
Der Ortsteil Dortmund-Schönau verkörpert auf den ersten Blick keine
problematische, fragwürdige oder skurrile Situation an der A40. Schönau
gleicht einem idyllisch gelegenen Dorf mit Einfamilienhäusern und
Villenbebauung. Geradezu luxuriös scheinen die Lagen im hügeligen
Teil, kurz bevor man die monumentale Schnettkerbrücke erreicht. Sie
schirmt den Lärm der A40 heute nach ihrer Sanierung ausreichend ab,
um dem Ort, der bis vor Kurzem durch den Baustellenverkehr einer
Großbaustelle glich, ein wenig Ruhe zu geben. In nahezu dörflichem
Idyll schlängeln sich nun Emscher und Rüppingsbach renaturiert entlang
von Villen, Schrebergärten und Flutungswiesen durch Schönau,
Emschertal und unter der A40 hindurch.
B1|A40 fragte hier entlang eines zweistündigen Wanderwegs nach heutigen
Vorstellungen von Landschaft. Wo sie manchem noch als Inbegriff
von Natur erscheint, ist sie längst Kulturlandschaft geworden und den
jeweils aktuellen Moden unterworfen. 1 Sie artikuliert ein Thema, das in
einer Region mit signifikanter Ausbeutungsgeschichte bezüglich natürlicher
Ressourcen und einem erhöhten Erneuerungsbedarf omnipräsent
ist.
Die hier erst vor Kurzem abgeschlossene Sanierung der Emscher unterstreicht
das. In der Nachkriegszeit war unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten
ein möglichst geradliniger Flusslauf fortschrittlich, in
dem die Gewässer – ob sauber oder nicht – möglichst schnell abflossen.
Dies besonders bei der Emscher, die als Abwasserkanal einer ganzen
Region die giftigen Abfälle der Industrie in Richtung Rhein beförderte.
Dass bei diesem Konzept einer offenen Entsorgung keine Verweildauer
der kontaminierten Flüssigkeiten gewünscht war, ist nachvollziehbar.
Die Emscher wurde in einen schnurgeraden Hochgeschwindigkeitstrakt
verwandelt.
Heute und seit 30 Jahren bemüht man sich, die Emscherlandschaft zurückzuverwandeln.
Die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher
Park und ihre Nachfolgeprojekte tun damit sicherlich Gutes, das allerdings
ab und zu den Eindruck von Omnipotenz vermittelt. Wo der Mensch
die Landschaft zerstört hat, soll in Zukunft wiederum durch seine Hand
eine blühende Flusslandschaft mäandernd gen Westen ziehen. Hier im
Schnettkertal, wo diese Zukunft schon begonnen hat, zeigt sich der Fluss
aktuell im geschwungenen Bett umgeben von Wasserlilien, Rohrkolben
und Schilf. Was man nicht (mehr) sieht, ist der weiterhin vorhandene
Abwasserkanal, der aufwendig unter den renaturierten Fluss verlegt
wurde. Eine ambivalente Situation, in der Landschaft mit ausgefeilten
Techniken reproduziert wird.
Ob die künstliche Künstlichkeit dieser Landschaft so kaschiert werden
muss, wie aktuell geschehen, oder die historischen Gegebenheiten in
ihr aufgezeichnet werden sollten, bleibt zu diskutieren. Die Vorspiegelung
falscher Tatsachen macht den Istzustand sicherlich lebenswerter
und ist als Verbesserung nicht von der Hand zu weisen. Das historische
Gedächtnis der Landschaft als Ort ambivalenter Entwicklungen an sich
verschwindet allerdings hinter der Patina einer Rekonstruktion.
Das Prinzip der Rekonstruktion der Landschaft begegnete einem auf
dem Rundgang in verschiedenen Formen. Der Weg führte vom Dorf zur
Gabelung von Emscher und Rüppingsbach, um unter der mächtigen Brückenkonstruktion
einen der markanten Brüche zu zeigen, den die A40 in
die Landschaft einschreibt. Unter der massiven Stahlkonstruktion konkurrierte
Christian Odzucks Arbeit Polytopos Dortmund* mit minimalen
Mitteln erfolgreich mit der Brücke. Die Konstruktion, die den Blick ins
Tal, aber auch die Brücke und den Ort zwischen Dorf und Schrebergärten
systematisierte, um ihn auf der anderen Seite mit landschaftlichen
Fragmenten in Form modellhafter Schüttungen zu konfrontieren, war
nicht nur Ort und Zeichen, sondern auch Raum für Handlungen. In einer
Kooperation mit der TU Dortmund wurde die Arbeit, die sonst als architektonische
Skulptur ihr Umfeld skalierte, zum Ort für Studium und
247

248

REKONSTRUKTION EINER LANDSCHAFT 249

Diskussion. Studenten des Fachbereichs Raumplanung stellten hier
einerseits ihr Forschungsgebiet entlang der A40 vor und diskutierten
andererseits die Ergebnisse mit Anwohnern und dem Publikum. Die
Schnittstelle zwischen zwei Landschaften wurde zum Ort der Auseinandersetzung
über die Genese eines aktuellen Landschaftsbegriffs.
Im Folgenden bietet die sanierte Brücke eine neue Verbindung zwischen
Schönau und Dortmund. Entlang des Treppenaufgangs erreicht man –
immer begleitet von einem sich faszinierend hebenden Ausblick auf die
Landschaft – die Fahrebene der A40. Hier schaut man ungläubig auf den
Verkehr, der nahezu lautlos direkt an einem vorbeirauscht. Die gläserne
Schallschutzwand verwandelt ihn in ein kinematografisches Ereignis
und die Wand zu einem gigantischen Bildschirm im öffentlichen Raum
des Verkehrs. Einige Meter weiter schaut man auf die renaturierten Flächen
der Emscher, die sich unter einer klassischen Schrebergartenanlage
ausdehnen. Das Schild des Wanderwegs erläuterte hier den schon
beschriebenen Umstand der Künstlichkeit dieser so natürlich wirkenden
Landschaft mit Abwasseruntertunnelung.
Erreichte man die eher unscheinbare Anhöhe direkt über der Autobahn,
eröffnete sich einem ein an der A40 ungewöhnliches wie unerwartetes
Landschaftspanorama mit 360-Grad-Rundumblick. Hier oben
zeigt sich Dortmund mit dem Signal Iduna Stadion in Borussia-Farben,
Westfalenhalle und Dortmunder U bis zum technokratischen Bau der TU
Dortmund. Der in den verschachtelten Räumen des Ruhrgebiets unübliche
Überblick und die windige Situation wurden von der Gruppe Performance
Electrics genutzt, um eine Windkraftanlage der besonderen
Art zum Einsatz zu bringen. Die Arbeit Offroad besteht aus einer Gruppe
von Windrädern, die aus recyceltem Straßenbauzubehör entstanden
sind und faktisch Strom erzeugen. Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit
aktueller Energie- und Transportformen wurde in der unmittelbaren
Nähe zur Autobahn kontrovers diskutiert. Einerseits standen erneuerbare
Energien und Recycling als Begriffe im Raum, andererseits lud die
Anlage dazu ein, Strom zu verbrauchen, um neue Kunst im öffentlichen
Raum zu fördern. Denn das Angebot, den Stromanbieter zu wechseln
und zu Performance Electrics zu kommen bedeutet auch, dass das investierte
Geld zur Kunstproduktion verwendet wird.
Der Weg zurück nach Schönau führte dann über eine weite Wiese, die
erneut ein Panorama des berühmten Stadions anbietet und noch einmal
die Bedeutung des Fußballs in der Region unterstreicht. Die Besonderheit,
dass hier zahlreiche Hochsitze auf eine intensive Bejagung dieses
fast noch innerstädtischen Terrains hinweisen, zeigt die kontrastreiche
Verknüpfung verschiedenster Nutzungen der Landschaft. Eine daran
anschließende Schrebergartenanlage neuester Bauart bestätigt, wie
diese Typologie gerade auch bei Neubaumaßnahmen und jungen Familien
wieder aus dem Abseits geraten ist und Konjunktur hat.
Auf dem Weg zurück zum Ausgangspunkt kreuzte man den heute ebenfalls
mäandernden Rüppingsbach, der vor Kurzem noch schnurgerade
durch Schönau schoss. Am Hauptplatz hatte John Miller seine Arbeit
A False Mirror installiert. Zwei Litfaßsäulen konfrontierten wortlos die
Bilder einer in den USA legendären Einfamilienhaussiedlung und eines
stereotypen Inselparadieses mit der lokalen Bebauung. Die traditionsreichen
Häuser, von denen das größte einst das Casino des Orts war,
verhielten sich historisch und fremd gegenüber den als stereotyp erachteten
Träumen einer amerikanischen Gesellschaft, die in der Gated
Community der Vorstadtquartiere das Äquivalent zum europäischen
Dorf vermuten mag. Fremd blieb auch die analoge Form der Bewerbung
dieses Traums, die heute in der Litfaßsäule anachronistisch erscheinen
mag, dem Habitus des Orts wiewohl entspricht. Millers Installation
changierte so zwischen Gestern und Zukunft in einem Heute, das
merkwürdig aus der Zeit geraten scheint – ganz wie der Ort, der sie hier
umgibt.
Die Perspektive auf den Begriff der Landschaft wird für das Ruhr gebiet
wichtig bleiben. Die Landschaft, die im romantischen Sinne eben nicht
das Natürliche, sondern den Übergang vom kulturell geprägten Raum
über seine Zwischenformen bis hinein in die ursprüngliche Natur
wiedergibt, beschreibt gleichzeitig auch die Struktur der Übergänge,
Wechselwirkungen und Nachbarschaften heterogener Raumgefüge.
Sie ist dabei immer auch Parabel für die Beziehung des Menschen
zu seinen unterschiedlichen Kontexten, seinen Verhältnissen untereinander
und jenen zum Raum an sich. Landschaft nicht nur als Territorium,
sondern auch als politische Größe zu sehen, die sich im Ruhr -
gebiet als gesellschaftliche Landschaft neu formieren muss, um
zukunftsfähig zu bleiben, ist dabei als Diskussionshintergrund wichtiger
denn je.
MARKUS AMBACH
1| Naturlandschaften gibt es heutzutage in Europa kaum mehr. Die vermeintlich
dafür Gehaltenen entstehen meistens durch den regulierenden Eingriff des Menschen.
Im Ruhrgebiet sind nur noch Kulturlandschaften zu sehen. Selbst das Naturschutzgebiet
und der Naturpark als Typologien entstehen künstlich durch den
Ausschluss des Menschen. Das Reservat lebt ebenfalls von der künstlichen Form
der Isolation.
250

251

RECONSTRUCTING A LANDSCAPE At first
glance, the district of Dortmund-Schönau does
not embody any sort of problematic, questionable,
or bizarre situation along the A40.
Schönau is like an idyllic village of single-family
homes and mansions. Its locale, in the hilly
area just before the monumental Schnettker
bridge, seems practically luxurious. Now, after
being renovated, the bridge provides enough
protection from the noise of the A40 to give the
town – which, until recently, resembled a large
construction site due to the construction traffic
– a little bit of peace and quiet. In this nearly
village-like idyll, the restored Emscher River
and the Rüppingsbach wind their way past villas,
gardens, and flood-meadows through Schönau,
the Emscher Valley, and beneath the A40.
Along a two-hour hiking trail, B1|A40 questioned
today’s notions of landscape. While some consider
it the epitome of nature, land here has actually
long been a cultivated landscape subject
to the fashions of each era. 1 It articulates an omnipresent
theme in a region with a significant
history of exploiting natural resources – one
that is currently in great need of renewal.
The recently completed restoration of the Emscher
here underscores this. During the postwar
era, the economy demanded progress in
the form of the straightest river possible, where
water, clean or not, would flow as quickly as
possible. This was especially true of the Emscher,
which served as a sewage canal for the
entire region, transporting poisonous industrial
waste to the Rhine. Of course, it’s understandable
that this concept of open waste disposal did
not include the notion of anyone spending much
time around the contaminated waters. The Emscher
was transformed into a ramrod-straight,
high-speed channel. Today, and for thirty years
prior, people have been trying to turn the Emscher
landscape back into what it once was. The
Emscher Park International Architectural Exhibition
(IBA) and its successors certainly do
their best, but every once in a while they convey
an impression of omnipotence. Where humans
have destroyed the landscape, humans
should once again recreate a fertile river that
will meander westward in the future. Here in the
Schnettker Valley, where this future has already
begun, the river actually flows in a curving bed
surrounded by water lilies, cattails, and reeds.
What you no (longer) see is the sewage canal,
which is still there, placed below the restored
river with a great deal of effort. An ambivalent
situation in which landscape is reproduced with
clever technology.
Whether the artful artificiality of this landscape
will have to remain hidden, as it currently is, or
whether the historical facts about it should be
recorded, remains to be seen. The pretense, the
falsification of facts, certainly makes the current
situation easier to live with and should not
be denied. The history of the landscape as a site
of ambivalent developments, however, is disappearing
behind the patina of reconstruction.
On the trail, you encountered various forms of
the reconstruction principle. The path led from
the village to the fork of the Emscher and Rüppingsbach;
beneath the mighty bridge it showed
one of the A40’s striking breaks in the landscape.
Underneath the massive steel structure,
Christian Odzuck’s work of art, Polytopos
Dortmund* employed minimal means to compete
successfully with the bridge. The structure
systematized the view of the valley, as well as
the bridge and the site between the village and
252

the allotment gardens, while confronting it on the other side with landscape-like
fragments in the form of small heaps of gravel. It was not just
a site and a symbol, but also a space for activity, as well. In partnership
with the TU Dortmund, the piece – which was an architectural sculpture
that puts its surroundings into scale – was also a place for study and discussion.
Students from the Department of Planning presented their research
topics here along the A40 and also discussed the results with residents
and the general public. This site where two landscapes intersect
also became a place where people could explore the genesis of an updated
concept of landscape.
Afterward, the renovated bridge offers a new link between Schönau and
Dortmund. Accompanied by a fascinating view of the landscape, one took
the staircase to the level of the A40. Here, you could look incredulously
at the traffic rushing almost quietly past you. The glass noise barriers
transform it into a cinematic experience, and the wall becomes a gigantic
projection screen in the public transportation area.
A few meters further, you could see the restored surface of the Emscher
River spreading out below a classic allotment garden enclosure. The sign
along the trail explained here the above-mentioned artificial conditions in
this natural-looking landscape with the underground sewage tunnel.
When you reached the rather unprepossessing hill directly above the
autobahn, a 360-degree panorama of the landscape opened up in front
of you – a sight that is as unusual as it is unexpected along the A40. Up
here, you can see Dortmund, with the Idunapark Stadium in Borussia
colors, the Westfalenhalle, and the Dortmunder U, all the way to the
technocratic architecture of the TU Dortmund. The view – so unusual
in the labyrinthine Ruhr District – and the windy situation were used by
the group Performance Electrics to deploy a special kind of wind turbine
farm. Their piece, Offroad, consists of a group of wind turbines made of
recycled road construction materials that actually create electricity.
Right next to the autobahn, the question of whether or not current forms
of energy and transportation will be viable in the future was a topic of
some controversial discussions. On one hand, renewable energy and recycling
were present as concepts, and on the other, the farm invited people
to consume electricity in order to support new public art; offering
them a chance to leave their electricity company and sign up with Performance
Electrics also meant that the money invested would be used
to produce art.
The way back to Schönau led across a wide meadow that offered another
panoramic view of the famous stadium, once again underscoring the importance
of football (soccer) to the region. The many hunting blinds here
allude to intensive hunting in this nearly urban terrain and point up the
contrasting ways the land is used. Next, an allotment garden enclosure
built in the latest style shows how this typology has made a comeback,
and is enjoying a boom, particularly for new construction projects and
among young families. On the way back to the starting point, you’ll cross
the equally meandering Rüppingsbach, which, until recently, shot straight
through Schönau. On the main square, John Miller installed his piece, A
False Mirror. Two advertising pillars wordlessly featured pictures of a legendary
single-family development in the United States and pictures of a
stereotypical island paradise, and confronted them with the surrounding
local architecture. The traditional houses, the largest of which was
once the town’s casino, seemed historical and strange in comparison to
the stereotypical dreams of an American society, in which the suburban,
gated community is considered the equivalent of a European village. Also
strange is the analogue way of advertising this dream: the advertising pillar,
which today may seem anachronistic, although it corresponded to the
habitus of the place. Thus, Miller’s installation alternated between the
past and the future in a present that, oddly enough, seems to have fallen
out of time – just like the place surrounding it.
For the Ruhr District, how the concept of landscape is viewed will remain
important. Landscape does not describe the natural in the romantic
sense, but the transition from a space marked by culture to its interim
forms, all the way to pristine nature; at the same time, it describes the
structure of transitions, interplay, and proximities of heterogeneous
modules of space. It is also always a parable about the human relationship
to various contexts, to each other, and to space as such. It is more
important than ever to discuss the perception of landscape; it needs to
be seen not just as territory, but also as a political mass that has to be
re-shaped as a social landscape in the Ruhr District, in order to remain
viable in the future.
MARKUS AMBACH
1| There are hardly any natural landscapes left in Europe. Those that are supposedly
preserved are usually kept that way through human interventions and regulations.
In the Ruhr District, only cultivated landscape exists. Even nature preserves
and natural parks are artificial types of landscape created by excluding people. The
reserve also survives on an artificial form of isolation.
REKONSTRUKTION EINER LANDSCHAFT
253

254

255

256

CHRISTIAN ODZUCK
POLYTOPOS
DORTMUND*
Christian Odzuck liebt das Buch. Weniger als Medium für Text und Literatur,
denn als archivarisches Kompendium, als Skizzenbuch, das den
Beginn einer Arbeit, eigene Analysen, Skizzen, Gedanken, Recherchen
bis nach ihrer Fertigstellung in allen Facetten dokumentiert. Häufig
entstehen daraus eigene Künstlerbücher, die mit einer dezidiert reduzierten
Gestaltung und ohne weitere Kommentierung für sich sprechen
und mit ihrem oft umfangreichen Korpus, ihrer Materialität, selbst als
plastische Objekte, als konzeptuelle architektonische Projekte lesbar
werden. 1 Dabei ist das Buch für Odzuck vor allem ein utopischer Ort, der
freien Denkräumen ungeachtet ihrer Realisierbarkeit zur Anschauung
verhilft. Müssen Skulpturen oder wahnwitzige architektonische Entwürfe
überhaupt realisiert werden oder reicht ihre Manifestation als Bild?
Ab wann sind Modelle nötig? Und ist nicht die Skulptur selbst ein Modell,
das primär als Instrumentarium einer weiterführenden Wahrnehmung
unserer urbanen und architektonischen Umwelt dienen sollte?
In den letzten Jahren hat Christian Odzuck zahlreiche Projekte und Konzepte
realisiert, die sich dem architektonischen Raum und seinen objekthaften
Qualitäten widmen. Dabei zielt sein Interesse – wie er selbst
mehrfach formulierte – auf die Architektur als Ordnungssystem, welches
immer einen historischen, politischen und ideologischen Subtext
aufweist. Seine Vorliebe gilt dem geometrischen, grafischen, mathematischen
und abstrakten Form- und Sprachvokabular der Architektur der
1950er- und 1960er-Jahre und ihren vielschichtigen sozialen und politischen
Referenzgeflechten. Hier kalkuliert Odzuck nicht vordergründig
mit architektonischen und touristischen Highlights. Eher rückt er seine
Arbeit über Umwege und Rezeptionsketten in Auseinandersetzung mit
den Säulenheiligen der Moderne. 2 Viele Interventionen setzen da an, wo
Nichtbeachtung und Verwahrlosung im Umgang mit dem architektonischen
Erbe dieser Zeit einsetzt oder umfangreicher Restaurierungsbedarf
vonnöten ist. Andere Projekte knüpfen da an, wo es bereits zu spät
ist oder Wertschätzung zunächst durch die Rettung ehemals sorgfältig
gestalteter Bauelemente funktionaler Architektur erfolgt; wie jüngst
die langwierig vorbereitete Bergung zahlreicher sogenannter Horten-
Kacheln einer Kaufhaus-Fassade in Düsseldorf. 3
Zu den aktuell meist zitierten Projekten von Christian Odzuck gehören
die für das über drei Jahre angelegte Projekt Ein ahnungsloser Traum
vom Park entstandenen Skulpturen Temporäre Abkühlung (2013) und
Geozentrik (2014) in Mönchengladbach. 4 Erstere bestand aus einem zu
einer Liege verformten Plateau aus Schwimmbadfragmenten 5 und einem
betriebsfähigen Wasserhydranten und bot als funktionale Skulptur
tatsächlich temporären Wassersegen. Geozentrik ist eine formal höchst
komplexe Synthese aus recycelten Materialien und zitierten Formen
aus unmittelbarer Umgebung. Die als metaphorische Pergola angelegte
Inselzone im Park besteht aus verschrotteten Lüftungsschächten eines
stillgelegten Bads und Abflussrohren. Drei dazugehörige Sitzbänke aus
Beton sind detailgetreue Abgüsse eines ausgemusterten Burger-King-
Mobiliars aus den 1980er-Jahren, alles Fundstücke aus dem Umfeld
in Mönchengladbach. Der Grundriss des Ensembles wiederum führt
zurück zu dem diagonalgeometrischen Raster der Neondecken im benachbarten
Museum Abteiberg des Architekten Hans Hollein. Kurz und
gut: ein schräger Ort, der sich unmittelbar als spontaner Treffpunkt vor
allem für Jugendliche durchsetzte.
Odzucks Archäologie der Gegenwart ist immer situations- und ortsbezogen,
formal präzise durchformuliert, inhaltlich und ästhetisch ausbalanciert,
nicht Partei ergreifend oder ideologisch. Sie ist geprägt vom
ambivalenten Wissen um den drohenden Zerfall moderner Baukultur,
dem Ruinösen und auch Rostigen, dem Ressourcenschwund, wie es die
Künstler der 1970er-Jahre (Robert Smithson, Sol LeWitt, Gordon Matta-
Clark) gelehrt haben. Sie speist sich von der Ahnung, dass auch im Neubau
die zerfallende Ruine bereits sichtbar wird und erinnert zugleich
257

258

259

daran, was zuvor an derselben Stelle stand oder in Zukunft dort stehen
könnte. Dabei leben seine Arbeiten, die immer auch Momente des
utopisch Kristallinen bewahren, zunächst von dem, was da ist, von der
Bricolage und dem Konzept des Recyclings, um im nächsten Schritt das
ehemals „utopische Potenzial“ von Architekturen und Räumen durch
neue Fiktionalisierungen möglicher Gestaltungs- und Handlungsräume
zu reaktivieren. Dabei scheut Odzuck nicht vor architektonischer Größe,
gar monumentalen Setzungen im öffentlichen Raum, die er mit dem
Konzept eines „ephemeren Monumentalismus“ untermauert. Odzuck
versteht seine Interventionen, wenn er sich zu ihrer Realisierung entschließt,
als „Ausdruck einer neuen Leiblichkeit“, als Erfahrungsräume,
die eben nicht nur konzeptuell funktionieren, sondern sich verkörperlichen
und ereignen müssen und darin einmalige Erlebnisse bleiben.
Ihre Rechtfertigung erhält die Monumentalität primär in ihrer befristeten
Dauer und Vergänglichkeit, die es ermöglicht, mit der gegebenen
Realität auch spielerisch zu interagieren, Transformationsmodi zu anderen
interdisziplinären Bereichen wie Literatur, Musik, Design etc. zu
erproben und neue Fragestellungen über die Wahrnehmung des Umfelds
zu eröffnen.
Natürlich ist das Argument der Temporalität nicht neu, waren Skulpturen
im öffentlichen Raum immer schneller akzeptiert, wenn man von ihrem
baldigen Rückbau wusste. Angesichts der bereits länger andauernden
Krise des Kapitalismus, des Ressourcenschwunds, gravierender
Verschiebungen öffentlicher und privater Interessen und Möglichkeiten,
des Wissens um die Grenzen des Fortschritts (und der Bauflächen) und
der dringenden Notwendigkeit neuer Ideen und Nutzungsmöglichkeiten
öffentlicher Räume ist das Konzept eines „ephemeren Monumentalismus“
da bezwingend, wo sich Skulpturen in ihrer inspirierenden Qualität,
ihrer ästhetischen Wirkmacht als frei zugängliche Werkzeuge neuer
Wahrnehmungs- und Handlungsräume entfalten und auch in den Dienst
stellen lassen.
Polytopos Dortmund* ist ein solcher überraschender Ort, der seinen
Titel dem griechischen Architekten und Komponisten Iannis Xenakis
(1922–2001) verdankt. Xenakis, zwölf Jahre enger Mitarbeiter von Le
Corbusier (1887–1965), hat mit seinen Rauminszenierungen weniger auf
Raumkonstruktionen durch Umfassungswände (Grenzflächen) gesetzt,
sondern Raum durch immaterielle Qualitäten wie Licht, Klang und Klima
definiert. Dabei verstand er die Dimensionen eines Raums nicht als
synchrone, sondern sich durchaus widersprechende, unabhängig voneinander
agierende und steuerbare Polytope. Xenakis’ Musik war stark
von mathematischen und außermusikalischen Gesetzmäßigkeiten, so
dem Einbezug von Alltagsgeräuschen, geprägt. Viele Kompositionen
basierten zunächst auf visuellen Vorstellungen und Formen und wurden
dann mittels rechnerischer und auf Zufall basierender Systeme wieder
zu Klangmassen und -flächen umgewandelt.
Odzucks monumentale architektonische Konstruktion, die sich im urbanen
Ensemble wie ein skulpturaler Keil in die Landschaft bettet, ist voller
solcher Referenzen und Zitate. Die über 35 Meter lange gerüstartige
Struktur verzichtet ebenso auf Umfassungswände und ist den immateriellen
Konditionen von Licht, Klang und Klima unmittelbar ausgesetzt.
Die Skulptur Polytopos Dortmund* kondensiert förmlich Proportionen,
Strukturen und Formen ihrer Umgebung, vor allem die der über ihr
befindlichen Schnettkerbrücke, die mit ihrem roten Bogen selbst ein
minimalistisches, signetartiges Zeichen setzt. Die 328 Meter lange
Konstruktion kombiniert die Bauweisen einer Bogen-, Stabbogen- und
Balkenbrücke mit eben nur einem Mittelbogen und bezieht damit auch
optisch Stellung. Man muss die 75 Jahre alte Geschichte der Schnettkerbrücke,
die bis 2012 gänzlich erneuert wurde, gar nicht unbedingt
kennen, um ihre spezifische urbanistische Bedeutung zu entdecken. Für
die Autofahrer auf der B1/A40 führt die Schnettkerbrücke als „Tor nach
Dortmund“ in den zentralen Stadtbereich. Für die Bewohner des Ortsteils
Dortmund-Schönau und die Pächter zahlreicher Schrebergärten
eine ungewöhnliche Atmosphäre: im direkten Blickfeld ziehen täglich
mehr als 100 000 Kraftfahrzeuge über die vierspurige Schnelltrasse.
Zudem ist die Brücke über eine Wendeltreppe für Fußgänger und Radfahrer
zugänglich.
Wie ein visuelles Echo der mehrstöckigen Landschaftsschichtungen
dockt Odzucks Skulptur dynamisch an den „Nicht-Ort“ unter der Brücke
an. Odzucks Skulptur ist vor allem aus der Fernsicht und den perspektivischen
Annäherungen der Bewohner zugänglich, nicht den vorbeiziehenden
Autofahrern.
Fünf containerartige Einbauten unterbrechen die abstrakte Gerüstkonstruktion
von Polytopos Dortmund* und öffnen sich zur Schauseite hin.
Von dieser Seite dienen sie als Display für großformatige, schwarz-weiße
Schautafeln, die das Spiel zwischen Licht und Schatten, Raum und
Nichtraum nur verstärken. Auf der Rückseite dominieren die zwischen
den Elementen aufgetürmten Halden aus insgesamt 135 Tonnen Schüttgut,
die funktional als sicherndes Gegengewicht zur Windlast eingesetzt
werden. Hier bleibt die Skulptur vor allem „Selbstdarsteller“, hybride
Denkfigur, Architektur- und Skulpturzitat (Sol LeWitt, Robert Morris, Le
Corbusier etc. ...), aber auch Metapher für das Noch-Nicht-Fertige oder
Schon-Wieder-Abgebrochene; eine tägliche Erfahrung für den stauerprobten
Ruhrgebietsbewohner an der Dauerbaustelle Autobahn.
Im Kontext der Ausstellung hatte die Skulptur eine weitere spezifische
Funktion. Für die Planungen am Projekt an der Schnettkerbrücke bei
Dortmund galt es von Beginn an, eine Schnittstelle für eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit mit dem Institut für Raumplanung der TU-
Dortmund zu berücksichtigen. Das Institut widmet sich mit dem Forschungsprojekt
„Schichten einer Region“ den „wandelnden räumlichen
Strukturen des Ruhrgebiets in siedlungs geografischer, ökonomischer,
landschaftlicher und ökologischer, sozialer und (bau-)kultureller Hinsicht“
und entwickelt dafür verschiedene Visualisierungstechniken,
Informationsgrafiken und Kartografien. So ging es Odzuck nicht nur darum,
mit und via der Skulptur künstlerisch einen Landschaftsraum zu
rekonstruieren, sondern auch eine Art erweiterten Campus zu schaffen,
der dem Forschungsanliegen der Mitarbeiter und Studierenden eine
andere Form der Öffentlichkeit verschafft und zugleich als Auditorium
für Open-Air-Veranstaltungen dient. Dies wurde mittels einer fragilen
Grasfläche definiert. Ansonsten wurde das Gelände den Bewohnern zur
eigenen Gestaltung (und temporären Bestuhlung) überlassen.
260

Polytopos Dortmund* ist Skulptur als Architektur,
Display und funktionsloser Baukörper,
Widmung und Umwidmung einer Situation,
die Raum zu Diskurs und Betrachtung direkt
am Schauplatz des Geschehens ermöglicht.
Mit diesem temporären Ensemble verweist
der Künstler auf all die Phänomene und Dinge,
die man normalerweise nie sieht: die Verfasstheit
einer über Jahre veränderten und
entwickelten spezifisch gestalteten Landschaft,
wie es sie nur im Ruhrgebiet zu geben
scheint.
SABINE MARIA SCHMIDT
1| Eine Übersicht findet sich auf der Homepage
des Künstlers [05.08.2015].
2| „Das architektonische Zitat sagt mehr über den
Zitierenden aus als über das Zitierte. Welche Referenzen
werden zu Rate gezogen und welches Weltbild
offenbart sich? Oft spielt Sehnsucht eine große
Rolle; Zukunft als Wunschvergangenheit. Über das
Kontextualisieren entstehen neue Verbindungen und
Zusammenhänge, die in ihrer Bedeutung etwas Eigenes
schaffen. Das Zitat kann sich aber auch auf einen
archetypischen Kanon beziehen, so wie Aldo Rossi immer
wieder Typologien bemühte. Jedoch ist die Grenze
sehr schmal zwischen den Kategorien des Narrativen
beziehungsweise Symbolischen zum Dekorativen einer
kapitalistischen Konsumatmosphäre.“ Christian
Odzuck, zit. aus: Ausst. Kat. Podróbka - Die Avantgarde
gibt nicht auf, Städtische Galerie Danzig 2014, S. 84. Für
die Gruppenausstellung konzipierte Odzuck die raumgreifende
Skulptur Die indische Sonne, die zugleich als
Möbel und Display diente und sich auf die Lichtdramaturgie
der Fassade des High Court Buildings von Le
Corbusier in Chandigarh bezog.
3| Das Fassadenmodul wurde 1960 basierend auf
einem Geschmacksmuster von Egon Eiermann für
die Firma Horten weiterentwickelt und zu einer historischen
Design-Ikone. Für die Düsseldorfer Fassade
(Kaufhof, Berliner Allee) war allerdings Helmut
Hentrich, Begründer von HPP Architekten, zuständig,
der ebenfalls ein wabenähnliches Fassadenelement
entwickelte. Im Gegensatz zu Egon Eiermann ließ
sich HPP den Entwurf nicht patentieren, weshalb es
oftmals zu Verwechslungen über die Urheberschaft
kommt.
4|
[05.08.2015].
5| Die „Schwimmbadplatte“ wurde aus neuem Material
nachgebaut, da Originalmaterialien aus dem aus
Kostengründen geschlossenen städtischen Berliner
Bad in Mönchengladbach nicht verwendet werden
konnten. Diese dienten aber als Vorlage für die Form.
POLYTOPOS DORTMUND* Christian Odzuck
loves books. Not so much as a medium for text
and literature as for an archival compendium,
a sketchbook that documents the beginning of
a work in all of its facets, from his analyses,
sketches, and ideas, to research and completion.
Frequently, these become artist’s books,
whose minimal design speaks for themselves,
without further commentary. Their often-expansive
physical and material qualities allow
them to be read as sculptural objects or conceptual,
architectural projects. 1 For Odzuck,
the book is, above all, a utopian place that
helps one to visualize free ideas, regardless of
whether they can be realized or not. Do sculptures
or crazy architectural designs have to be
realized, or is it enough to manifest them in images?
From what point on are models necessary?
And isn’t sculpture itself a model that is
primarily intended to serve as an instrument
for the continual perception of our urban and
architectural environment?
In recent years Christian Odzuck has realized
many projects and concepts devoted to architectonic
space and its object-like qualities.
Here, as he often says, his interest is focused
on architecture as a system of order that always
boasts a historical, political, and ideological
subtext. He prefers the geometrical,
graphic, mathematical, and abstract formal
and linguistic vocabulary used by architecture
in the 1950s and 1960s, along with its multilayered
network of social and political references.
Odzuck doesn’t superficially reckon with
architectural and tourism highlights. Rather,
he approaches his work via detours and chains
of reception, in a confrontation with the sacred
pillars of Modernism. 2 Many interventions
begin when neglect of this period’s architectural
legacy sets in, or when a great deal of
renovation is necessary. Others start when it
is already too late, or when people realize that
once carefully designed elements of functional
architecture need to be rescued – such as the
recent, time-consuming salvage of so-called
Horten tiles from a department store’s façade
in Düsseldorf. 3
Two of Odzuck’s most frequently cited projects
are the sculptures Temporäre Abkühlung (Temporary
chilling, 2013) and Geozentrik (Geocentric,
2014) in Mönchengladbach, 4 which were
made for the three-year project, Ein ahnungsloser
Traum vom Park (An Innocent Dream of a
Park). The first consisted of a plateau of swimming
pool fragments shaped into a lounger 5
with an operational water hydrant; as a temporary
sculpture, it actually offered water so that
people could temporary cool off. Geozentrik is,
formally speaking, a highly complex synthesis
of recycled materials and shapes that cite
the immediate surroundings. An island zone
in the park, set up like a metaphorical pergola,
is made of drainpipes and scrapped air
ducts from a defunct swimming pool. Three
accompanying concrete benches are faithfully
detailed casts of discarded Burger King furniture
from the 1980s. Everything is composed
of pieces found in and around Mönchengladbach.
In turn, the ensemble’s design goes back
to the diagonal, geometric pattern of the neon
ceilings in the neighboring Museum Abteiberg,
designed by the architect Hans Hollein. In a
nutshell: it was a strange place that immediately
became a spontaneous meeting spot, especially
for young people.
Odzuck’s present-day archeology is always
related to a situation or a site; it’s precisely
formulated, aesthetically balanced, and never
favors sides or ideologies. It is marked by ambivalent
knowledge about the threatened decay
of modern architecture, about the ruined and
the rusty, the depletion of resources, as artists
from the 1970s (Robert Smithson, Sol LeWitt,
Gordon Matta-Clark) taught. It feeds on the notion
that even in a new building you can see its
decaying ruin; at the same time it reminds you
of what once stood in the same place or of what
might stand there at some point in the future.
His works, which also always retain aspects
of a kind of crystalline utopia, at first seem to
subsist on what is there, on bricolage and the
concept of recycling, and then they reactivate
the former “utopian potential” of architecture
and spaces by re-fictionalizing spaces that
could be used for creativity and action.
Odzuck does not shy away from architectural
size – even monumental setups in public spaces
– which he undermines with the concept of
“ephemeral monumentalism.” When he decides
to realize them, the artist understands
POLYTOPOS DORTMUND* CHRISTIAN ODZUCK
261

262

his interventions as “an expression of a kind of new corporeality,” as
experiential spaces that not only function conceptually, but must also
materialize and appropriate themselves, while remaining unique experiences.
The monumentalism is primarily justified by its limited existence
and temporality, which also makes it possible to interact playfully
with the given realities, to test transformations to other interdisciplinary
fields such as literature, music, design, etc., and to open up new
questions about perceiving the environment.
Of course, the temporality argument is not new; public sculpture has
always been quickly accepted whenever it is known that it will soon be
taken away again. Considering the long crisis that capitalism finds itself
in, the depletion of resources, serious shifts in public and private interests
and opportunities, the knowledge of the limitations of progress (and
of land that can be developed), and the urgent necessity for new ideas
about functional public space, the concept of “ephemeral monumentalism”
is necessary wherever sculptures and their inspiring quality, their
effective aesthetic power are revealed and used as freely accessible instruments
that enable new spaces for perception and action.
Polytopos Dortmund* is this kind of surprising place. It owes its title to
the Greek architect and composer Iannis Xenakis (1922–2001). Xenakis
spent twelve years working closely with Le Corbusier (1887–1965); in his
stagings of space, he relied less on constructing space with surrounding
walls (boundaries) and more on defining space through intangibles such
as light, sound, and climate. He did not regard the dimensions of a space
as synchronous, but as contradictory, maneuverable polytopes that act
independently of each other. Xenakis’ music was strongly influenced by
mathematical and non-musical regularities, such as the use of everyday
noises. Many compositions were initially based on visual ideas and
forms and were then transformed into masses and surfaces of sound
through the means of systems based on mathematics or coincidence.
Odzuck’s monumental architectural structure, embedded in the urban
ensemble like a sculptural wedge in the landscape, is full of such references
and quotations. The more than thirty-five-meter-long, scaffoldlike
structure also dispenses with surrounding walls and is directly
exposed to intangible conditions such as light, sound, and climate. As
a sculpture, Polytopos Dortmund* literally condenses the proportions,
structures, and shapes of its surroundings, especially the Schnettker
bridge above it, with its red arch that sets a minimalist, signet-like accent.
The 328-meter-long structure combines the construction methods
of an arched bridge, a tied-arch bridge, and a girder bridge with just a
middle arch, and in this way takes up an optical stance.
You don’t necessarily have to be familiar with the seventy-five year history
of the Schnettker bridge, which was restored to its old glory in 2012,
in order to discover its specific meaning to its urban surroundings. For
the drivers on the B1/A40, the Schnettker bridge is the centrally located
“gateway to Dortmund.” For the residents of the Dortmund-Schönau
district and the tenants of many allotment gardens, it has an unusual
atmosphere: every day, more than one hundred thousand vehicles cross
the four-lane highway directly in front of their eyes. In addition, the
bridge is accessible to pedestrians and cyclists via a spiral ramp.
Like a visual echo of the multi-storied landscape layers, Odzuck’s sculpture
dynamically docks on the “non-place” beneath the bridge. Above
all, Odzuck’s sculpture is accessible through the inhabitants’ vision and
perspectival approaches, not the drivers passing by.
Five container-like fixtures interrupt the abstract, scaffold-like structure
of Polytopos Dortmund*, opening up towards the visible side. From
this side, they display large, black-and-white posters that only reinforce
the play of light and shadow, space and non-space. The back side is
domi nated by the 135-ton piles of scrap in between the elements, employed
as a safety measure to counterbalance the wind load. Here, the
sculpture remains a “self-promoter,” a hybrid figure of thought, a citation
of architecture and sculpture (Sol LeWitt, Robert Morris, Le Corbusier,
etc.), but also a metaphor for what is still unfinished or already
torn down – a daily experience for the traffic-jam-tested inhabitants of
the Ruhr District, who drive on the perpetual construction site known as
the autobahn.
POLYTOPOS DORTMUND* CHRISTIAN ODZUCK
263

In the context of the exhibition, the sculpture had yet another specific
function. In planning the project at the Schnettker bridge near Dortmund,
it was important from the start to take into consideration an intersection
for interdisciplinary collaboration with the Institute of Spatial
Planning at the TU Dortmund. The institute’s project “Layers of a Region”
was devoted to changing spatial structures in the Ruhr District, “in
terms of settlement, geography, economy, landscape, ecology, society,
and architecture.” For the project, the institute developed a variety of
visualization technologies, informational graphics, and maps. Odzuck
was not interested in artistically reconstructing a landscape with and
via sculpture, but in creating a kind of expanded campus, which created
a different kind of public for the employees’ and students’ research, and
at the same time, served as an auditorium for open-air events. This was
defined by a fragile surface of grass. Otherwise the property was left to
the inhabitants, to design as they wished (and for temporary seating).
Polytopos Dortmund* is sculpture as architecture, display, and nonfunctional
structure, dedication and non-dedication to a situation, which
provides space for discourse and observation directly in the arena
of events. With this temporary ensemble, the artist refers to all of the
phenomena and things that we normally do not see: the constitution of
a specifically designed landscape that alters and develops over the
years – the kind of landscape that only seems to exist in the Ruhr District.
SABINE MARIA SCHMIDT
1| For an overview, please see the artist’s home page: [05.08.2015].
2| “The architectural citation says more about the person making the quote than
about the quote itself. Which references are called upon and what sort of worldview
is revealed? Longing often plays a large role: the future as the longed-for past.
Through contextualization new connections and associations are created, which
create something of their own through their own meaning. The citation can, however,
refer to an archetypal canon, just as Aldo Rossi always attempted a variety of
typologies. However, the boundary between the narrative or symbolic categories
and the decorative category that is part of the capitalist, consumer atmosphere is
very narrow.” Christian Odzuck quoted in: Podróbka - Die Avantgarde gibt nicht auf,
exh. cat., Städtische Galerie Danzig 2014, p. 84. For the group exhibition Odzuck
conceived the three-dimensional sculpture Die indische Sonne, which was both furniture
and display simultaneously, and referenced the dramatic light on the façade
of Le Corbusier’s High Court Building in Chandigarh.
3| The façade module, based on one of Egon Eiermann’s registered designs,
was further developed in 1960 for the Horten Company‘s department stores and
ultimately became a historical design icon. Helmut Hentrich, founder of HPP Architects,
was however responsible for the Düsseldorf façade (Kaufhof, Berliner Allee);
he also invented a hive-like façade element. Unlike Eiermann, however, HPP
did not patent the design, which is why there is often confusion about who actually
designed it.
4| See [05.08.2015].
5| The “swimming pool tiles” were made of new materials, since original materials
from the closed Berliner Bad, a city pool in Mönchengladbach, could not be used
due to the cost. They did, however, serve as models for the mold.
264

POLYTOPOS DORTMUND* CHRISTIAN ODZUCK 265

RUHRBANITÄT
RUHRBANITÄT – FORSCHUNGSLABOR ZUR URBANITÄT IM RUHRGEBIET
Städtische Zentren in einer polyzentralen Stadtlandschaft, Grenzräume,
die zugleich Verbindungen darstellen, temporäre Elemente, die an
Bestand gewinnen, lokale, auf das Quartier fokussierte Aktionen mit
regionaler Wirkung – das Ruhrgebiet ist in vielfacher Hinsicht eine einzigartige
Region. Die Besonderheiten dieser Region hat das Fachgebiet
Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung, Fakultät Raumplanung,
TU Dortmund, im Rahmen des Projekts RUHRBANITÄT – Forschungslabor
zur Urbanität im Ruhrgebiet untersucht. Als Projekträume dienten Quartiere,
die durch ihre direkte Lage an der B1und A40 gekennzeichnet sind
und jeweils eigene Charaktere aufweisen:
Duisburg, Kreuz Kaiserberg
Thema: Landschaft, urbane Landwirtschaft
Mülheim an der Ruhr, Eichbaum Thema: Transit, Verkehr
Essen-Frillendorf Thema: Wohnen
Bochum, Dückerweg
Thema: Gewerbeagglomeration, Kulturelle Kreuzung
Dortmund, Schnettkerbrücke
Thema: Landschaft, Rekonstruktion einer Landschaft
Ziel des Projekts war es, anhand der Analyse dieser Räume die Eigenarten
der Urbanität im Ruhrgebiet zu erkennen, Gemeinsamkeiten der
Räume zu identifizieren und zu prüfen, wie sich spezifische Merkmale
im Sinne einer Identitätsbildung weiterentwickeln lassen. Wie stellt
sich diese spezifische Urbanität im Ruhrgebiet in den einzelnen Quartieren
dar? Welche unterschiedlichen Schichten wie Bau- und Freiraumstruktur,
Nutzungen der Gebäude und des Freiraums, Atmosphären
und Gestalt wirken an den jeweiligen Orten zusammen und prägen die
spezifische Urbanität? Und wie lassen sich diese Merkmale im Sinne
der Identitätsbildung weiterentwickeln? Unter diesen Fragestellungen
wurden die fünf Projekträume untersucht.
RUHRBANITÄT Die extreme Heterogenität von Räumen, nicht nur bezogen
auf offensichtliche, physische Gegebenheiten wie Nutzungen und
Gebäudestrukturen, sondern auch auf Nachbarschaften, soziale Strukturen
und planerische Strategien, ist dabei ein wichtiges Charakteristikum
aller untersuchten Räume. Auf der anderen Seite existieren viele
Gemeinsamkeiten: Die Räume verfügen über eine hohe Anpassungsfähigkeit
und endogene Potenziale für die eigene Weiterentwicklung.
DAS SPEZIFISCHE
Wie jeder Raum, jedes Quartier, besitzen auch die
Räume entlang der A40 eigene Identitäten, bedingt durch Historie, Nutzungen
und Nutzer, Morphologie und Strukturen. Es mag sich aufdrängen,
dass alle Räume durch die Straße belastet sind – doch haben sich
alle Räume mit ihr arrangiert, das vermeintlich Negative in Positives
umgewandelt beziehungsweise mit in ihre spezifische Identität aufgenommen.
Die spezifischen Elemente von RUHRBANITÄT, die diese Räume
abbilden, können wie folgt identifiziert werden:
• Heterogenität von Räumen, Nutzungen und Typologien
• Spezifische Schichtung von Raumqualitäten
• Differenzierte Innen- und Außensicht
• Erarbeitung langfristiger Strategien und Visionen
• Verkehrlicher Transit
• Sozialer Transit
• Nutzerbezogene Raumwahrnehmung und –bewertung
• Ausbildung von „Möglichkeitsräumen“
• Fähigkeit zur Anpassung / Robustheit von Räumen
• Wandelbarkeit von Räumen
• Positive Nutzung von Herausforderungen und äußeren Vorgaben
• Lokale Interventionen und Ausblenden von Regularien
• Kontraste
• Glokalität
• Wohnkulturen
266

DAS GEMEINSAME Viele dieser Elemente waren in unterschiedlichen
Räumen und in unterschiedlichen Intensitäten erfassbar und analysierbar.
Auf der Basis dieser Elemente und Eigenarten können folgende Gemeinsamkeiten
herausgestellt werden:
AGGLOMERATION RUHR Allen Räumen gemein ist die Lage in der polyzentralen
Stadtregion. Die Vielfalt an Spezifika bedeutet, dass der Raum
Ruhr nicht vergleichbar mit anderen Agglomerationen ist.
VERKEHRSBAND / TRANSITRAUM Die A40 | B1 ist Verbindung und
ge meinsamer Identitätsträger, eine Art „Identifikationsband“, das die
Ausprägung unterschiedlicher Dimensionen in Form eines spezifischen
Raumcharakters dennoch ermöglicht. Die Räume werden physisch von
der A40 beeinflusst, aber in der entwickelten Kultur der Räume spielt
die physische Trasse keine Rolle. Sie haben sich individuell angepasst:
Das Quartier in Essen funktioniert als Wohnquartier, das „lediglich“
von der Trasse begrenzt wird. In Duisburg wird der Landschaftsraum
topografisch durch die Trassen begrenzt und zu einer eigenen Landschaft
geformt. Der Raum unter der Schnettkerbrücke in Dortmund
ist eine Verbindung zwischen Norden und Süden und lässt ganz andere
Wege zu, als die eigentliche Brücke es vorsieht. In Bochum ist die A40
fast logische Grenze zwischen den konträren Nutzungen Industrie und
Kleingarten und in Mülheim hat sich objektiv ein anonymer, funktionaler
Knotenpunkt ausgebildet, wie es ihn auch an anderen Stellen gibt. Neben
dieser Funktion ist er aber auch Identifikationsort und Aufenthaltsraum,
eine Art soziale Mitte für Jugendliche.
ANPASSUNGSFÄHIGKEIT Diese Anpassungsfähigkeit von Räumen
stellt die Möglichkeit heraus, aus vermeintlich negativen Eigenschaften
bzw. Einflüssen das Beste zu machen.
ADAPTIONSFÄHIGKEIT Eng verbunden mit der Fähigkeit, sich anzupassen,
ist die Begabung, Offenheit und Wandel zu adaptieren.
STEUERUNG UND WEITERDENKEN Geht es um ein Weiterdenken der
Schlüsselbegriffe und die Frage, wie RUHRBANIÄT gesteuert, spontan
erzeugt oder langfristig geplant werden kann, fällt mit Blick auf
die Untersuchungsräume auf, dass weder Top-down-Strategien noch
Bottom-up-Initiativen alleine urbane Qualitäten entstehen lassen können.
„Die Verantwortlichen der Stadt müssen Freiräume anbieten, die
einerseits eine Aneignung durch ihre Bewohner ermöglichen, Initiativen
auf lokaler Ebene unterstützen und andererseits steuernde Lenkungs-
und Förderungsmaßnahmen für übergeordnete Programme in
transparenter Form einsetzen. […] Die Aufgabe der Planerinnen muss
es sein, begleitende Imagekampagnen als Teil einer integrativen Stadtplanung
zu verstehen.“ 1 Vielfach sind mit dem gewachsenen Charakter
der Räume eine Selbstregulation und ein bewusstes Fehlen von politischer
Aufmerksamkeit verbunden. Oft finden Interventionen auf Basis
von Selbstverantwortung oder „spontanem“ Eingreifen statt. Markus
Ambach spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Räume, die
sich ausgebildet haben, nicht aus einer langfristigen Gesamtplanung
hervorgehen, sondern sich langsam entlang der städtischen Bedürfnisse
entwickeln: „Wo niemand eine Autobahn direkt durch das engmaschige
Herz der Städte schlagen würde, hat sich die ehemalige B1 als
die Städte verbindende Landstraße und als alter Handelsweg ‚Hellweg‘
langsam zur Autobahn ausgewachsen. Dies begründet ihre außergewöhnliche
Form, die tief in das urbane Geflecht der Ruhrstädte einschneidet
und in ihrem Umfeld mannigfaltig problematische Nachbarschaften
produziert.“ 2
1| Smetana, Kurt: „Urbanität und Image der Stadt“, in: Reicher, Christa / Jansen,
Hendrik / Mecklenbrauck, Ilka (Hrsg.): URBANITÄTen. Dortmund, voraussichtliche
Veröffentlichung 09/2015, S. 40.
CHRISTA REICHER, ILKA MECKLENBRAUCK
2| Ambach, Markus: „B1|A40 Eine Stadt entwirft sich selbst“, in: B1|A40 Die Schönheit
der großen Straße. The Beauty of the Grand Road, hrsg. von MAP Markus Ambach
Projekte und Stadtbaukultur NRW, Ausst.-Kat. Stadtraum der A40 von Duisburg bis
Dortmund 2010, Berlin 2010, S. 16–22, hier: S. 17.
267

DUISBURG KAISERBERG
urbanity of the individual locations? And in which way could these characteristics
be enhanced so as to contribute to the generation of a distinct
local identity? These were the issues on which the examination of the
five project areas focused.
RUHRBANITY The enormous heterogeneity of spaces, not only with
regard to obvious physical conditions such as utilizations and architectural
structures but also readily discernible in neighborhoods, social
structures and urban planning strategies, is one major characteristic
shared by all areas examined here. On the other hand, however, there
are also many other things the areas have in common: the spaces are
marked by a high degree of adaptability and endogenous potentials for
enhancement and development.
RUHRBANITY – LABORATORY FOR URBANITY RESEARCH IN THE RUHR
REGION Urban centers in a polycentric cityscape, zones which are at
once border areas and junctions, temporary elements gaining a foothold
in permanence, local activities focused on the individual district yet
simultaneously relevant for the region as a whole – the Ruhr region is
in many respects a truly unique area. The faculty of regional development
planning at the department of urban development, urban design
and land-use planning at the TU Dortmund has examined the specific
characteristics of the region within the framework of the project RUHR-
BANITY – Laboratory for Urbanity Research in the Ruhr Region. The special
focus of the project was on districts united by their geographical proximity
to the B1 and A40 motorway and marked by their own individual
peculiar features:
Duisburg, Kaiserberg junction subject: landscape, urban agriculture
Mülheim an der Ruhr, Eichbaum subject: transit, traffic
Essen-Frillendorf subject: habitation
Bochum, Dückerweg
subject: commercial agglomeration, cultural intersection
Dortmund, Schnettkerbrücke
subject: landscape, reconstruction of a landscape
In analyzing the situation at the various locations, the purpose of the
project was to determine the salient specifics of urbanity in the Ruhr region,
to identify common traits of the various areas and to examine how
specific characteristics might be enhanced with a view to the creation
of a distinct identity. What are the characteristics of a specific urbanity
displayed by the individual districts? What is the role of the various
elements such as the interrelation of land- and cityscape, the utilization
of buildings and urban open spaces, local atmosphere and individual
conformation, and in which way do they interact and define the specific
SPECIFIC TRAITS
In common with all spaces and districts, the areas
along the A40 motorway have their own peculiar identity, determined by
history, utilizations and users, morphology and structures. The conclusion
that all these spaces are in some way impaired by the road might
be an obvious one – yet all spaces have also made their individual peace
with it, have turned an ostensible negative into a positive or have in some
way incorporated it into their own specific sense of identity. The specific
elements of RUHRBANITY displayed by these areas can be identified as
follows:
• Heterogeneity of spaces, utilizations and typologies
• Specific stratification of spatial qualities
• Differentiated insider’s and outsider’s views
• Development of long-term strategies and visions
• Traffic transit
• Social transit
• User-related perception and evaluation of spaces
• Development of “zones of potentiality”
• Adaptability / resilience of spaces
• Variability of spaces
• Positive adaptation of challenges and external prescriptions
• Local interventions and disregard of regulations
• Contrasts
• Glocality
• Styles of habitation
SHARED CHARACTERISTICS Many of these elements could be registered
and analyzed, in varying degrees of intensity, in the several areas
under examination. On the basis of these elements and idiosyncrasies,
the following shared traits can be determined:
RUHR AGGLOMERATION The location in a polycentric urban region is a
characteristic shared by all areas. The multiplicity of specific local traits
means that the Ruhr region is distinctly dissimilar to other agglomerations.
TRAFFIC ROUTE / TRANSIT AREA The A40 / B1 motorway is the one
central link and shared identity-establishing factor, a form of “identifi-
268

catory bond” which at the same time makes possible the emergence
of divergent dimensions in the guise of a specific spatial character. Although
the areas are physically influenced by the A40, the road itself
plays no part in the actual culture of these spaces; they have found individual
ways of adaptation:
The district in Essen is a residential quarter “merely“ delimited by the
road. In Duisburg, the open spaces are topographically confined and demarcated
as a landscape in its own right by the roads. The space below
the Schnettker Bridge in Dortmund is a link between the north and the
south, opening up a multitude of paths below the strictly regulated route
provided by the bridge. In Bochum, the A40 motorway is an almost obvious
boundary between the contrary spheres of industrial utilization
and gardening; and in Mülheim an der Ruhr, an anonymous, functional,
unremarkable junction has emerged which yet at the same time is also a
kind of social refuge for the local youths, serving as an element of identification
and a recreation area.
ADAPTABILITY This adaptability accentuates the potential for turning
ostensibly negative traits and influences to good account. The talent for
the adaptation of openness and change is closely linked to this ability of
adapting to existing circumstances.
MANAGEMENT AND ELABORATION With regard to any elaboration of
these key elements and the question about how RUHRBANITY might be
managed – by dint of either spontaneous creation or long-term planning
–, the analysis of the areas under examination makes clear that any
attempt to generate urban qualities cannot rely exclusively on either
top-down strategies or bottom-up initiatives alone. “The local authorities
have to offer ‘free’ spaces which can on the one hand facilitate their
appropriation by the local residents and support local initiatives, and on
the other hand employ, in a transparent manner, directive management
and development measures for superordinate programs. […] The task of
the planners must be to understand concomitant image campaigns as a
part of any integrative urban planning.” 1
In many cases, the evolved character of the areas is accompanied by
self-regulation and a conscious lack of political attention. Frequently
interventions are based on self-reliance or “spontaneous” interference.
With regard to this Markus Ambach mentions the fact that the
areas under examination have not been determined by any long-term
overall plan but rather have gradually evolved in accordance with urban
requirements:”In a place where nobody would dare to carve a path for
an autobahn through the closemeshed cores of the cities, the former B1,
as a secondary road linking the various cities along the course of the old
‘Hellweg’ trade route, has slowly evolved into an autobahn. This fact explains
its extraordinary structure, which cuts deep into the urban fabric
of the Ruhr cities and produces a large variety of problematic neighborhoods
in its surroundings.“ 2 CHRISTA REICHER, ILKA MECKLENBRAUCK
1| Smetana, Kurt: „Urbanität und Image der Stadt“, in: Reicher, Christa (ed.):
URBANITÄTen. Dortmund, publication scheduled for 2015, p. 40.
2| Ambach, Markus: „B1|A40 A City Invents Itself“, in: B1|A40 Die Schönheit der großen
Straße. The Beauty of the Grand Road., MAP Markus Ambach Projekte und Stadtbaukultur
NRW eds., exh. cat., urban space of the motorway A40 between Duisburg
and Dortmund 2010, Berlin 2010, p. 24–29, here p. 24.
DORTMUND SCHNETTKERBRÜCKE
DORTMUND SCHNETTKERBRÜCKE
RUHRBANITÄT
269

270

271

JOHN MILLER
A FALSE MIRROR
„Plakatwände sind beinahe in Ordnung.“
R. Venturi, D. Scott Brown, S. Izenour in: Lernen von Las Vegas
STRASSENGLAUBWÜRDIGKEIT Im Passagen-Werk beobachtete Walter
Benjamin das asynchrone Verhältnis der Entwicklungen von Kunst und
Industrie in Europa. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, konstatierte
er, war die Entwicklung der Technik viel langsamer als die der Kunst
verlaufen: „Die Kunst konnte sich Zeit nehmen, die technischen Verfahrungsweisen
mannigfach zu umspielen. Der Wandel der Dinge, der
um 1800 einsetzt, schrieb der Kunst das Tempo vor und je atemberaubender
dieses Tempo wurde, desto mehr griff die Herrschaft der Mode auf
alle Gebiete über. Schließlich kommt es zum heutigen Stand der Dinge:
die Möglichkeit, daß die Kunst keine Zeit mehr findet, in den technischen
Prozeß sich irgendwie einzustellen, wird absehbar. Die Reklame ist die
272

List, mit der der Traum sich der Industrie aufdrängt.“ 1 Tatsächlich war
es spätestens die Pop Art, mit der sich die Kunst Ende der 1950er-Jahre
der Reklame zuwandte, um „in den technischen Prozeß sich irgendwie
einzustellen“ und dabei ihr Verhältnis zum Markt im Allgemeinen und ihren
eigenen Status als Konsumobjekt im Besonderen zu thematisieren.
John Millers Installation von zwei Litfaßsäulen auf einem Rasenplatz
in Dortmund-Schönau verweigert sich der Anforderung, technologisch
zeitgemäß aufzutreten. Die Litfaßsäule – benannt nach ihrem Berliner
Erfinder, der dieses Werbe- und Nachrichtenmedium erstmals um die
Mitte des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Raum einsetzen durfte – ist
längst von diversen elektronischen Nachfolgemodellen weitgehend
verdrängt. Ein kontinuierlich wachsender Prozentsatz von Werbung
wird heute maßgeschneidert anhand von Benutzerprofilen im Internet
verbreitet. Miller reagiert auf die alle Lebensbereiche durchdringende
Digitalisierung mit einem gezielten Archaismus. So adaptierte er schon
2011 ein Paar Litfaßsäulen mit dem Titel Self-Made Man für den musealen
Innenraum, um das Phänomen von Online-Kontaktbörsen zu verhandeln,
die bei Miller in einem umfassenderen Sinn für die Tendenz zu
einer möglichst effizienten Selbstvermarktung stehen: „Der Werber in
eigener Sache trifft bei der Online-Kontaktbörse auf eine ähnliche Herausforderung
wie der Künstler, der mit der Managerebene des Kunstmarkts
verhandelt. Denn er muss die Suche nach Schönheit (das Versprechen
von Glück) als Verwaltungsaufgabe bewältigen.“ 2
Der Rückgriff auf die technisch überholte Litfaßsäule ist also offenkundig
strategischer Natur. „Künstlerische Neuschöpfung kann oft auch die
geschickte Auswahl des Alten, schon Vorfindlichen sein“, beobachteten
auch Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour, die Erforscher
des Las Vegas Strip, einer anderen „großen Straße“, von der
es etwas zu lernen gab. 3 Die Obsoletheit Millers plakatierten Säulen
schärft den Blick für das, was sie wortlos anzubieten haben. Ihre Motive
stammen aus digitalen Bilddatenbanken und präsentieren zwei entgegengesetzte
Pole städtebaulicher Planung: einen vollständig durchstrukturierten
urbanen Raum am Beispiel von Levittown, New York,
und einen vermeintlich paradiesischen Urzustand. Levittown – benannt
nach ihrem Planer William Levitt – ist die exemplarische amerikanische
Vorstadtsiedlung der Nachkriegszeit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
lösten Levitts groß angelegte Siedlungen die Wohnungsprobleme
der zurückkehrenden GIs und ihrer Familien. Mit ihnen erfüllte sich
der – nicht nur amerikanische – Traum vom Eigenheim, allerdings um
den Preis rassistischer Exklusion. Schwarze und jüdische Interessenten
wurden abgelehnt, da Levitt unterstellte, dass seine Klientele eine
homogene Nachbarschaft bevorzugen würde.
Dem Archetyp der Eigenheimsiedlung ist mit dem weißen Palmenstrand
ein nicht weniger – durch Massentourismus und Umweltkatastrophen –
kontaminiertes Wunschbild gegenübergestellt. Ein berühmtes Pariser
Graffiti vom Mai 1968 brachte die Kritik am sogenannten Traumurlaub
im Süden, Marke Club Med, auf die Formel vom „billigen Urlaub im Elend
anderer Leute“, die bekanntlich nicht nur Eingang in einen Song und eine
Cover-Gestaltung der Sex Pistols fand, 4 sondern auch John Miller 2010
als Ausstellungstitel diente. 5
Die beiden Säulen von A False Mirror lassen sich in mindestens zweierlei
Hinsicht kontextualisieren: zum einen im Hinblick auf ihre Funktion
als Teil einer Großausstellung, zum anderen mit Blick auf ihren Status
als Kunst im öffentlichen Raum. Es ist offenkundig, dass Großprojekte
wie die documenta, die skulptur projekte münster oder der Kulturhauptstadt-Titel
immer auch von Ansprüchen begleitet werden, für ihre
Standorte vielfältige Werbewirkungen zu entfalten. 6 Der für eine Litfaßsäule
irritierende Sprachverzicht von A False Mirror könnte auch als
stummer Kommentar hierzu gelesen werden.
Was die Kunst im öffentlichen Raum betrifft, hat Miller eine durchaus
kritische Bilanz gezogen. „Der Bruch mit Museum und Galerie“, schrieb
er, „wurde in den späten 1970er-Jahren zu einem probaten Mittel, um
auf der Straße Glaubwürdigkeit (street credibility) zu erlangen. Doch
kurz darauf erwies sich, dass die Straße nicht länger als Gegenwelt zu
den Institutionen dienen kann, sondern deren Versuchsgelände geworden
ist. Was draußen gewesen war, ist nun drinnen.“ 7 Doch immerhin
273

scheint es, dass auch im Zeitalter der fortgeschrittenen
Digitalisierung dem Materiellen
unter bestimmten Umständen noch eine gewisse
Widerständigkeit zugeschrieben werden
kann. „Denn trotz allem“, bemerkt er, „ist
Information nichts wert, wenn sie von der materiellen
Welt ab getrennt ist.“ 8 Oder mit einer
Akzentverschiebung formuliert: Trotz allem
ist Kunst nichts wert, wenn sie von der Öffentlichkeit
abgetrennt ist. In ihrer demonstrativen
Unbewegtheit beharrt John Millers Installation
darauf, ihren Platz zu haben und ihre potenziell
aufklärerische, ein breites Publikum
adressierende Funktion in der Öffentlichkeit
nicht aufzugeben.
BARBARA HESS
1| Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 1, Frankfurt
am Main 1983, S. 232.
2| Miller, John: „Der Gegenstand der Kunst und der Self-Made Man“, in: John
Miller. Wolfgang-Hahn-Preis 2011, hrsg. v. Carla Cugini, Ausst.-Kat. Museum Ludwig,
Köln 2011, S. 35–55, hier: S. 41.
3| Venturi, Robert, Denise Scott Brown und Steven Izenour: Lernen von Las Vegas.
Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt, Basel/Berlin 1997, S. 16.
4| Holidays in the Sun (1977); siehe hierzu: Marcus, Greil : Lipstick Traces. Von Dada
bis Punk – eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, übers. von Hans M.
Herzog und Fritz Schneider, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 19 f.
5| A Holiday in Other People’s Misery, Galerie Nagel Draxler, Köln 2010.
6| Für eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Kulturhauptstadt-
Titel für das Ruhrgebiet 2010 siehe exemplarisch: [27.06.2015].
7| Siehe Fußnote 2, hier: S. 54. Millers eingangs erwähnter Transfer des Litfaßsäulen-Formats
in den musealen Raum korrespondiert mit dieser Analyse.
8| Ebd.
274

„Billboards are almost all right.“
R. Venturi, D. Scott Brown, S. Izenour in: Learning from Las Vegas
A FALSE MIRROR | STREET CREDIBILITY In his Arcades Project, Walter
Benjamin reflected upon the asynchronous relationship of the artistic
and industrial development in Europe. Until the early 19th century, he
stated, the development of technology proceeded at a much slower rate
than the development of art: “Art could take its time in variously assimilating
the technological modes of operation. But the transformation of
things that set in around 1800 dictated the tempo to art, and the more
breathtaking this tempo became, the more readily the dominion of fashion
overspread all fields. Finally, we arrive at the present state of things:
the possibility now arises that art will no longer find time to adapt somehow
to technological processes. The advertisement is the ruse by which
the dream forces itself on industry.” 1 Indeed it was, at the latest, through
Pop Art in the late 1950s that the sphere of art turned towards the world
of advertising in order to “adapt somehow to technological processes”
and, in the process, to focus on its relationship to the marketplace in
general and its own status as an object of consumption in particular.
John Miller’s installation of two advertising pillars on a lawn in Dortmund-Schönau
refuses to comply with any demand for an up-to-date
technological format. The advertising pillar (“Litfaßsäule” in German,
so called after its inventor hailing from Berlin who was first permitted
to use this advertising and news medium in public space in the mid-19th
century) has long been to all intents and purposes displaced by various
electronical successors. A continually growing percentage of adverti -
sing today is distributed on the internet via elaborate user profiles. Miller
reacts to the digitalization of all spheres of life by knowingly employing
an archaism. Thus, he has also in 2011 adapted a pair of advertising
pillars, under the title of Self-Made Man, for their use in the interior of
a museum in order to explore the phenomenon of online dating sites,
which according to Miller are to be seen, in the broadest sense, as representative
of the tendency towards ultra-efficient self-marketing: “On
online dating sites, the persons advertising themselves are facing a
challenge similar to that of the artist entering into negotiations with the
management level of the art world, as they are forced to deal with the
search for beauty (the promise of happiness) as if it were an administrative
task.” 2
The recourse to the technologically outdated advertising pillar thus
is obviously strategically motivated. “For the artist, creating the new
may mean choosing the old or the existing”, according to an observation
of Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour on researching
the Las Vegas Strip, another “grand road” where something elementary
could be learned. 3 The obsolescence of Miller’s placarded pillars raises
the observer’s awareness of that which they are offering. The images
displayed on them have been culled from image databases and present
two opposite poles of urban planning: a comprehensively structured urban
space in the form of Levittown, New York, and an ostensibly paradisiacal
aboriginal site. Levittown – named after its originator William
Levitt – is the prototypical American post-war suburb. After the end
of the Second World War, Levitt’s large-scale residential estates resolved
the housing problems faced by the returning GIs and their families,
promising them the fulfillment of the – by no means exclusively –
American-Dream of a home of their own, if also at the price of racist
exclusion: potential Black and Jewish buyers were turned away as Levitt
maintained that his customers would prefer to live in a homogeneous
neighborhood.
The archetypal private residential area is juxtaposed with a white beach
studded with palms, another dreamscape no less contaminated (in this
case by mass tourism and environmental disasters). A famous Paris
graffiti dating from May 1968 turned the repudiation of the so-called
dream holiday in the South epitomized by Club Med into the slogan “A
Cheap Holiday in Other People’s Misery”, which not only found its way
into a Sex Pistols song and album cover 4 but, in 2010, also served as the
title of an exhibition by John Miller. 5
A FALSE MIRROR JOHN MILLER
275

The twin pillars of A False Mirror can be put into context in at least two
ways: for one thing with respect to their function as one element of a major
exhibition, for another thing with regard to their status as art in public
space. Large-scale projects such as documenta, skulptur projekte
münster or the capital of culture nomination are obviously invariably attended
by demands for such projects to generate manifold advertising
effects for the respective location. 6 A False Mirror’s irritating decision
to eschew the use of language could also be perceived as a non-verbal
commentary on such structures. As regarding art in public space, Miller
has come to a quite critical conclusion: “In the late 1970s, breaking with
museums and galleries became an effective means of gaining street
credibility. But shortly afterwards it became obvious that the street
could no longer serve as an alternative arena to the established institutions
but had rather turned into their testing ground. What used to be
outside now was inside.” 7 Nevertheless, however, it seems as if material
objects might, in some circumstances, still be ascribed a certain resistant
obstinacy even in the age of progressive digitalization. “After all“, as
Miller notes,”information has no value as long as it is separated from
the material world.” 8 Or, to put it slightly differently: after all art has no
value as long as it is separated from the public sphere. In its demonstrative
immobility, John Miller’s installation insists on standing its ground
and on maintaining its potentially enlightening function in addressing
the general public.
BARBARA HESS
1| Benjamin, Walter: The Arcades Project, tr. Howard Eiland and Kevin McLaughlin,
Cambridge/Mass. and London, 2002, p. 171.
2| Miller, John: „Der Gegenstand der Kunst und der Self-Made Man“, in: John
Miller. Wolfgang-Hahn-Preis 2011, ed. Carla Cugini, exh. cat., Museum Ludwig, Köln
2011, p. 35–55, here: p. 41.
3| Robert, Denise Scott Brown and Steven Izenour: Learning from Las Vegas.
Revised Edition, Cambridge 1977, p. 6.
4| Holidays in the Sun (1977); see also: Marcus, Greil: Lipstick Traces. A Secret History
of the Twentieth Century, Cambridge/Mass., 2003, p. 14f.
5| Holiday in Other People’s Misery, Galerie Nagel Draxler, Cologne 2010.
6| A constructive critique of the capital of culture nomination awarded to the Ruhr
region in 2010, see: [27.06.2015].
7| See note 2, here: p. 54.
8| Ibid.
276

277

278

PERFORMANCE ELECTRICS
OFFROAD
Auf freiem, sanft ansteigendem Hügel drehen sich sieben schlanke
Windrad-Skulpturen. Sie unterscheiden sich merklich von den bekannten,
mittlerweile weit verbreiteten industriellen Energieproduzenten.
Als Gruppe stehen sie dicht beieinander, mit ihren acht Metern Höhe ist
ihre Konstruktion gut erkennbar, sodass man ihnen aufgrund ihrer aus
harmonierenden Einzelteilen gebastelten Gestalt skulpturalen Charakter
beimessen kann. Hergestellt wurden sie aus recyceltem Material
von Straße und Autobahn, also sinngemäß aus jenem Raum, aus dem
sie jetzt herausragen: Als tragende Gestelle dienen ausrangierte Laternenmasten
der Bahn, als Rotorblätter Straßenpfosten, die durch Pressen
in Form gebracht wurden, rot-weiße Vorfahrtschilder übernehmen
die Aufgabe des Gegengewichts zu den Rotoren und kleine Leitkegel in
derselben Farbigkeit geben dem Zentrum ein belebendes Gesicht.
Dieses ruhende Reservoir der Straße hat die Firma Performance Electrics
aktiviert, indem sie es in eine versteckte Quelle für elektrische
Energie umgewandelt hat. Selbige wird bei Wind in einer mittig auf Stelzen
ruhenden Powerstation gesammelt und von dort aus zu einer Anschlussstelle
des öffentlichen Stromnetzes geführt.
Performance Electrics ist ein Kunstunternehmen, das der Künstler
Pablo Wendel 2012 in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH
ins Leben gerufen hat und in dem er als Geschäftsführer agiert. Sein
Hauptanliegen ist, eins der entscheidenden Probleme von Gegenwart
und Zukunft, nämlich die Frage nach der Art von Energiegewinnung,
mit künstlerischen Installationen und Aktionen ins Bewusstsein zu
heben. Es gilt, den Spagat zwischen künstlerischer Ambition und wissenschaftlich-technischem
Know-how sowohl verantwortungsvoll wie
auch gewinnbringend zu meistern. Stammsitz des Unternehmens ist
Stuttgart, wo das System Powerstation als Herzstück und multifunktionaler
Repräsentant genutzt wird. Die architektonischen Skulpturen
dienen einerseits „als transdisziplinäre Plattformen für Forschung und
Entwicklung, andererseits beherbergen sie die Technik für die netzgerechte
Umwandlung des Kunststroms und dessen Einspeisung in das
öffentliche Stromnetz.“ (Projektkatalog November 2014). Hier werden
Ideen entwickelt, Prototypen gebaut und die Grundlagen für unterschiedliche,
äußerst geistreiche Skulpturen und Aktionen geschaffen.
Mittlerweile findet zwischen einzelnen Institutionen und der Kunstfirma
ein anregendes Geben und Nehmen von elektrischer Energie statt, mal
legal ausgehandelt, mal subversiv betrieben. So lässt sich zum Beispiel
das Ottomobil, eine umfunktionierte Mülltonne, überall aufstellen und
als Tankstelle für Kleinverbraucher wie Laptop oder Handy nutzen. Zu
diesem Zweck ist die schwarze Außenhaut mit zahlreichen Steckdosen
bestückt. Als witzige Variante des Ottomobils tritt eine auf der Basis eines
großen Müllcontainers geformte Rikscha in Erscheinung, womit für
regensichere Lowtech-Mobilität in der Stadt gesorgt ist. Sie zeigt beispielhaft,
wie einfach Elektromobilität flächendeckend umgesetzt werden
könnte. Auch hat sich das Anzapfen von Kirchturmuhren bewährt,
um durch die Bewegungsenergie der Zeiger Kunststrom zu erzeugen –
ein wohl nicht ganz legales, aber intelligentes wie waghalsiges Schmarotzermanöver.
Mittlerweile haben sich einige Firmen und vor allem auch Museen zu
dem Projekt Performance Electrics bekannt und in ihrem Hause Apparaturen
zur Energiegewinnung installiert. Durch den Kunststrom fördern
die Institutionen wiederum die Kunst, weil die Gewinne zu 100 Prozent
in neue Projekte, will heißen in den Ausbau kreativer Energie investiert
werden. Sinnreicher können wirtschaftlicher Nutzen, ethischer Anspruch
und künstlerischer Freiraum nicht zur Deckung kommen.
Für das umfangreiche, von Markus Ambach initiierte, Projekt B1|A40
ist der Beitrag Offroad von Performance Electrics besonders bedeutsam.
Der Standort auf ehemaliger, heute grasbewachsener Abraumhalde
erinnert an die lange Geschichte von Bergbau und Industrie. Da
die Windrad-Skulpturen in unmittelbarer Nähe zur Autobahn bei Dortmund
weithin sichtbar positioniert sind und das Potenzial der Straße
als Material aufgreifen, liefern sie ihrem performativen Charakter
entsprechend fruchtbare Diskussionen für die zukünftige Gestaltung
des Ballungsraums A40. Vermehrt stehen drängende Fragen im Raum
wie etwa: Woraus soll in Zukunft Energie gewonnen werden, welchen
Stellenwert hat die Energiegewinnung bei der Umstrukturierung des
gesamten Ruhrgebiets von einem Ballungsraum der Schwerindustrie
hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft in renaturierter Umgebung,
sind weiterhin so große Mengen Energie erforderlich oder lässt sich die
Menge zurückfahren und allgemein, welche Art der Energiegewinnung
ist überhaupt zukunftstauglich, kurzum: wann, woher und wie viel Energie
wollen und müssen wir uns aneignen? Es gilt zu entscheiden, wie deren
Verbreitung vonstattengehen und gesichert werden kann. Anliegen
von Performance Electrics ist es, Denkanstöße zu einer breit gefächerten
Debatte zwischen Industrie, Politik und Bevölkerung zu geben. Dass
es bei der Installation in Dortmund zu Problemen mit der Versicherung
kam, belegt, wie sensibel das gesamte Unternehmen ist und wie viel dip-
279

280

281

lomatisches Geschick angesagt ist, um dieses ebenso real nützliche wie
auch utopische Projekt über alle Hürden zu manövrieren. Pablo Wendel
scheut die Auseinandersetzungen nicht, im Gegenteil, er betrachtet die
Kontroversen als bereichernd für das Funktionieren der heute durchaus
gefährdeten demokratischen Kultur. Vorrangig ist die Frage zu klären,
ob es sich bei Offroad um ein Kunstprojekt oder um eine wirtschaftlich
verwertbare Einrichtung handelt, ob die Windrad-Skulpturen also als
Kunstwerk oder als Kraftwerk zu versichern sind. In diesem Fall wurde
dadurch der Kunststrom in den öffentlichen Stromraum überführt, dass
kleinere Endabnehmer wie Autos oder Elektrofahrräder in den Genuss
unentgeltlichen Stroms gelangten. Die Kontroverse hat aber durchaus
auch ein positives Ergebnis, denn sie hat die Nahtstelle zwischen Kunstprodukt
und kommerziell erstelltem und genutztem Reservoir ausgelotet.
Überdies hat ein Kunstprojekt erst dann eine Versicherung einzugehen,
wenn es wirtschaftlich betrieben wird. Damit kommt die Grundidee
von Performance Electrics besonders gut zur Geltung: erstmalig sind
die Sphären von Kunst, Technik und Wirtschaft nicht auseinanderzudividieren.
Ein Ausblick: Der neue Standort von Offroad in der Nähe von
Greifswald wird möglicherweise keinerlei Schwierigkeiten mit der Versicherung
mit sich bringen – so unterschiedlich kann eine letztlich politisch
zu wertende Situation gehandhabt werden. RENATE PUVOGEL
OFFROAD On a gently sloping, solitary hill, the rotors of seven slim
wind wheel sculptures are turning. They are obviously different from
the by now familiar ubiquitous industrial structures for the generation
of electricity. Standing together in a dense cluster, their height of
eight meters enables the observer to make out the individual elements
of their construction and to determine the sculptural characteristics of
their overall design put together from parts harmonizing with one another.
They have been constructed from recycled roadside materials, in
a sense from the very ground they are now towering above: obsolete
railway lampposts are used as supporting beams; compressed roadside
reflector posts make up the rotor blades; red-and-white road signs are
counterbalancing the rotors; and small traffic cones of the same colors
are enlivening the center.
This fallow roadside reservoir has been activated by the company Performance
Electrics by transforming it into a hidden source of electric
power. Provided there is some wind, this energy is collected at a power
station on stilts positioned in the center, from whence it is relayed to a
connector of the public power grid.
Performance Electrics is an art company founded in 2012 as a noncommercial
limited liability company by the artist Pablo Wendel who
also serves as its managing director. Its main objective is to bring one
282

of the major contemporary and future issues,
the problem of the generation of energy, to the
consciousness of the general public by means
of art installations and interventions. Its aim is
to successfully achieve the balancing act between
artistic ambition and scientific-technical
know-how in a manner that is both responsible
and financially rewarding. The company’s
headquarters are located in Stuttgart, where
the power station system is used as core component
and multi-functional representative.
The architectural sculptures simultaneously
serve as “interdisciplinary platforms for research
and development and house the actual
technology for the transformation of artistically
generated electric power and its feed
into the public power grid.” (Project catalogue,
November 2014). Here, ideas are generated,
prototypes are developed, and the foundations
for various extraordinarily sophisticated
sculptures and activities are laid. By now, a
busy give and take of electric energy has been
established between individual institutions
and the art company, whether in the form of a
legal contract or by subversive means. Thus
for example the Ottomobile, a converted trash
bin, can be repositioned at will and used as a
power station for minor energy consumers
such as laptops and mobile phones; to this end
its black exterior has been dotted with multiple
sockets. A funny version of the Ottomobile is
presented in the form of a rickshaw modeled
along the lines of a large dumpster, providing
rain-proof low-tech mobility in urban areas. It
demonstrates exemplarily how easy it could be
to provide widespread electric mobility. Another
successful ploy is the tapping of church
tower clocks, using the kinetic energy of their
hands to generate artistic-electric power – an
intelligent and daring (if also probably not altogether
legal) sponging maneuver.
By now several companies and of course also
museums are supporting the Performance
Electrics project, and have installed power
generators at their facilities; by generating
artistic-electric power, the institutions in turn
tap into art sponsoring as the revenues are invariably
fully invested in new projects, that is
the development of creative energies: the ultimate
form of generating economic profit while
satisfying ethical demands and supporting artistic
freedom.
In the context of the extensive B1|A40 project
initiated by Markus Ambach the contribution
Offroad by Performance Electrics assumes a
particularly significant role. Its location on a
former slag heap – now covered with grass – is
a reminder of the important historical role of
mining and industry for the area. As the windwheel
sculptures have been positioned in the
immediate vicinity of the motorway near Dortmund,
visible from afar, and as they incorporate
the potential of the road in its use of local
materials, they are offering fertile impulses
for the discussion about the future shape of
the A40 conurbation in accordance with their
performative character. There is a growing
importance of questions such as what source
materials are to be used to generate energy,
which role the generation of energy will have
to assume in the restructuring of the Ruhr region
from a conurbation marked by large-scale
industrial production towards a service-sector-oriented
society in a renaturated environment,
whether and in which way the use of
energy can be scaled back, and in general the
question about which form of energy generation
is appropriate for future needs; in short,
about the origins and amounts of the energy we
want and have to appropriate. We have to decide
how its distribution is to be managed and
safeguarded. The objective of Performance
Electrics is to create impulses for a comprehensive
debate between the industrial sector,
the political sphere and the general public.
The fact that the installation in Dortmund was
faced with insurance issues demonstrates the
sensitivity of the whole project and the extent
of diplomatic skills required to remove all
obstacles encountered by this at once useful
and utopian project. Pablo Wendel does not
shy away from disputes; on the contrary, he
regards controversy as an important stimulus
for the vibrancy of a democratic culture which
is increasingly pressurized by contemporary
challenges. The insurance problem centered
on the question whether Offroad was to be regarded
as an art project or as an economically
viable concern, whether the wind-wheel sculptures
were to be insured as works of art or as
power plants. In this case, the solution was to
feed the artistic-electric power into the public
grid, thus providing minor consumers such as
cars or bikes with electricity free of charge.
Nevertheless, the controversy has also led to
a positive result, as it has explored the boundary
between art project and commerciallyminded
and -used reservoir. Moreover an art
project only has to be insured when it is run on
an economic basis. Thus the fundamental ideas
of Performance Electrics are once again highlighted:
for the first time the spheres of art,
technology and economics cannot be separated
any more.
It should be noted that the new location of Offroad
near Greifswald will probably raise no
insurance-related problems – a reminder of
the different ways in which a situation that is in
the last analysis defined by political concerns
can be handled.
RENATE PUVOGEL
OFFROAD PERFORMANCE ELECTRICS
283

284

ALLES KÖNNTE ANDERS SEIN, SOGAR DAS
RUHRGEBIET
Als ehemaliger Bewohner des Ruhrgebiets, der es nicht gemocht hat
und daher eine Außenseiter- und Beobachterposition einnehmen konnte,
fiel mir immer die ganz außergewöhnliche Rolle auf, die dem Auto
in dieser Region zukommt. Nirgendwo in der Republik, schon gar nicht
in urbanen Ballungsräumen, wird dieses Zentralsymbol fossiler Mobilität
intensiver genutzt als hier. Aber genau hier, zwischen Dortmund,
Bochum, Essen und Duisburg hat sich der aus dunkler Zeit stammende
Anspruch, dass auch der deutsche Arbeiter Anspruch auf ein Automobil
habe, fest in der Mentalität verankert. Das mag auch damit zu tun haben,
dass die Mentalität des Ruhrgebietsbewohners in der Tiefe damit imprägniert
ist, dass diese Region für Energie zuständig ist, die mit eigner
Hände Kraft erzeugt wird, wovon eine gewisse Rußigkeit in Aussehen
und Verhalten bis heute Zeugnis ablegt (und von den Bewohnerinnen
und Bewohnern irrtümlich als „Herzlichkeit“ bezeichnet wird). Trotz
der ganz und gar veränderten Zeitläufte wird solcher Habitus hier noch
tradiert, was dann etwa dazu führt, dass, wie im Rahmen der Europäischen
Kulturhauptstadt geschehen, eine siebenstellige Zahl von Ruhris
die einmalige Chance nutzt, auf ihrer geliebten A40 ausnahmsweise mal
nicht mit dem Auto, sondern nunmehr auch zu Fuß im Stau stehen zu
dürfen. „Janz doll“, sprach man da den Fernsehreportern ins Mikrofon,
„datt jibt et nur im Ruhrjebiet!“.
Welcher Ort könnte also für Performance Electrics Installation Offroad
sinnfälliger sein als die Autobahn. Die aus Hinterlassenschaften von
Mobilitätsinfrastrukturen wie Streckenpfosten von der Landstraße, Signalmasten
von der Bahn und ausrangierten Vorfahrtachtenschildern
gebauten und funktionierenden Windräder werden konsequenterweise
so platziert, wie es Windkraftpioniere wie Hermann Scheer schon immer
gefordert hatten: entlang der Autobahnen, wo die Landschaft eh
schon verhunzt ist. Aber Wendels Arbeit verweist nicht nur auf die Tiefenstruktur
der mentalen Landschaft des Ruhrgebiets, indem sie Relikte
fossiler Mobilitätsinfrastrukturen nutzt und damit Energie erzeugt,
sie wendet auch das Prinzip der Nutzungsinnovation konsequent an. Wie
in anderen Arbeiten, etwa dem zur Rikscha umfunktionierten Müllcontainer
oder im Abzapfen öffentlich fließenden Stroms, findet Wendel mit
verblüffender Sicherheit Gegebenheiten in der Benutzeroberfläche der
fossilen Normalgesellschaft, die sich eben auch ganz anders nutzen lassen
als ursprünglich gedacht. Damit nimmt er mindestens drei Traditionen
auf, die in der langen Geschichte der Subversion immer erfolgreich
angewendet wurden: erstens nämlich die Verwendung von Artefakten
im Gegensinn, im ganz und gar überraschenden Gebrauch und in bedenkenloser
Kombinatorik. Das hat seine historischen Verwandtschaften
im Surrealismus genauso wie etwa in den Stummfilmkunstwerken Buster
Keatons oder in der zeitgenössischen Kunst bei so unterschiedlichen
Künstlern wie Andreas Slominski oder Roman Signer. Zweitens in Alltagspraktiken,
die man mit Erving Goffman als Strategien des „Unterlebens“
gesellschaftlicher Benutzeroberflächen bezeichnen kann: wenn
Bastler herausfinden, was man mit den Dingen „auch noch machen“
kann, wenn in Mangelgesellschaften höchst kreativer Gebrauch von gar
nicht dafür gedachten „Ersatzteilen“ gemacht wird; der Damenstrumpf
als Keilriemenersatz kann hier als Klassiker gelten. Und schließlich,
drittens, die Umleitung vorhandener Energie überhaupt – wie im Judo,
in Ironie und Spott, im Diebstahl und in Schwindel und Betrug.
All das kommt in den Arbeiten von Performance Electrics souverän zur
Anwendung, und dass es ihnen bei all dem wesentlich um Energie geht,
macht ihr Werk in Zeiten scheinbar unbegrenzten Energiebedarfs eminent
politisch. Denn in seinen variantenreichen Nutzungsinnovationen
beweist Performance Electrics ja, dass Energie keineswegs ein knappes
Gut ist, sondern eines, das in einer expansiven Kultur unablässig
verschwendet wird, ja, dass Verschwendung in dieser Spielart von Kultur
zum eigentlichen Bewegungsprinzip geworden ist. Man wird sehen,
dass diese auf nie endendes Wachstum ausgelegte Kultur die erneuerbaren
Energien nur als willkommenes Additiv zu den fossilen einsetzen
wird und dass der Gesamtbedarf an Energie so lange steigen wird, als
das Heil weiter und weiter in materieller Erhöhung von Lebensqualität
gesucht wird. Performance Electrics’ ebenso intelligente wie gegensinnige
Vorschläge, wie man mit den Dingen und dem ganzen Leben auch
umgehen könnte, bilden Wirklichkeitsbehauptungen ganz eigener Art,
und diese Behauptungen werden umstandslos in funktionierende Strategien
umgesetzt. „Schaut mal“, teilen die Arbeiten mit, „alles könnte
anders sein.“ Und damit ist schon alles anders. HARALD WELZER
285

In Kooperation mit der RWE Stiftung – Förderer der
Arbeit Offroad und des Gesamtprojekts B1|A40 – fand
das Diskursive Picknick zur energetischen Lage des
Ruhrgebiets statt. Lukas Crepaz und Markus Ambach
diskutierten mit Künstler und Performance-Electrics-
Geschäftsführer Pablo Wendel und Harald Welzer,
Schriftsteller und Mitbegründer von Futurzwei, über
Ökologie, Alltagspraktiken und innovative Ideen.
The Discursive Picnic on the Energy Situation in the Ruhrgebiet
was realized with the collaboration of the RWE
Stiftung, which was also sponsor of the work Offroad
and B1|A40. Lukas Crepaz and Markus Ambach had a
discussion with artist and Perfomance Electrics executive
Pablo Wendel and writer and co-founder of Futurzwei,
Harald Welzer, on ecology, everyday practices
and innovative ideas.
ANYTHING CAN CHANGE, EVEN THE RUHR DISTRICT As a former
resident of the Ruhr District who didn’t like it and could therefore take
the position of an outside observer, I’ve always noticed the unusual role
assigned to the automobile in this region. Nowhere else in the republic –
certainly in no other urban center – is this major symbol of fossil-reliant
mobility more intensively utilized than it is here. Yet it is right here,
amid Dortmund, Bochum, Essen, and Duisburg, that an earlier, darker
period’s idea that the German worker is also entitled to an automobile
is strongly anchored in the mentality. This may also have something
to do with the fact that the mindset of the Ruhr District’s inhabitants is
deeply impregnated with the notion that the region is responsible for
energy produced by the power of one’s own hands, attested to by a
certain sootiness of appearance and behavior to this day (something
that is erroneously described by local inhabitants as “heartiness”). Despite
all of the changes over the course of time, this habit is still passed
down. This leads to something like that event during the European Cultural
Capital year, when a seven-figure number of Ruhris took advantage
of the unique opportunity to stand still in traffic on their beloved A40 –
not, for once, in cars, but on foot. “Really terrific,” said one man into a
television reporter’s microphone, “this could only happen in the Ruhr
District!”
For Performance Electrics’ installation Offroad, what site could therefore
make more sense than the autobahn? Functioning wind turbines made
out of leftover bits and pieces of transportation infrastructure – such as
highway posts, railway signal masts, and discarded traffic signs – are
systematically positioned precisely as the wind power pioneer Hermann
Scheer had always called for: along the autobahns, where the landscape
is already spoiled. Yet, by using relicts of fossil-fuel transportation infrastructure
to create energy, Performance Electrics’ work not only
references the deep structure of the Ruhr District’s mental landscape,
it also methodically applies the principle of innovation to utilities. As in
the other works, such as the trash container converted into a rickshaw,
or the practice of siphoning off public electricity, Performance Electrics
discover, with astonishing certainty, circumstances on the surface of
normal, fossil-fuel-based society that can be utilized in completely different
ways than they were originally intended for. Hence, they pick up
on at least three traditions that have always been successfully employed
in the long history of subversion. First, artifacts can be utilized for antithetical
purposes, in entirely surprising ways and unscrupulous combinations.
This can be historically related to Surrealism or Buster Keaton’s
silent films, or to diverse contemporary artists such as Andreas
Slominski and Roman Signer. Second, everyday practices that Erving
Goffman calls strategies for living beneath society’s radar: when tinkerers
discover “what else” can be made out of things, or when societies
living with scarcity make highly creative use of “replacement parts” –
here, the classic example is the lady’s stocking as a fan belt replacement.
Third and last, the redirection of energy in general – as in judo,
irony, sarcasm, thievery, swindling, and fraud.
In Performance Electrics’ work all of this is confidently applied, and
since all of it is essentially concerned with energy, it makes their work
eminently political in an era of seemingly unlimited energy demands.
After all, in the varied and inventive utilizations, Performance Electrics
prove that energy is in no way a limited resource, but one that is incessantly
wasted in an expansive culture, and that, in this type of culture,
waste has become the real principle of motion. It will be seen that a culture
based on infinite growth will simply welcome renewable energy as
an additive to fossil-based fuels, and that the overall demand for energy
will continue to increase as long as we persist in seeking well-being by
materially improving the quality of life. Performance Electrics’ equally
intelligent and opposing suggestions for new ways of dealing with things
and life in general are unique assertions of reality, and these claims
are realized without further ado as functioning strategies. “Look here”,
their work says, “everything could be different.” And with that, everything
actually is different.
HARALD WELZER
286

ALLES KÖNNTE ANDERS SEIN, SOGAR DAS RUHRGEBIET 287

288

289

290

RAUM VS. PRAXIS
Die westliche Hemisphäre ist seit Langem von einer Kultur des Raums
geprägt. Während andere Kulturen einen wesentlichen Teil ihres Wissens
durch Überlieferung und Erzählung aufbewahren, dominiert in der
christlich-abendländischen Kultur die Akkumulation von Wert und Wissen
in Räumen und Dingen. Wo andernorts analog dazu eine Kultur der
Praxis entstanden ist, in der religiöse wie gesellschaftliche Rituale und
Handlungen im Vordergrund stehen, entwickelte sich in christlichen
Kulturen der Raum als Zeichen von Macht, als Ort von Beteiligung oder
Ausschluss. Die akkumulativen Eigenschaften des Raums treten in einer
Gesellschaft in den Vordergrund, die ihre kulturellen Werte aus der
Zirkulation in der Gemeinschaft auszulagern und stattdessen festzuschreiben
sucht, um sie als handelbare Werte zu generieren. Der Raum
als solcher wird zum Zeichen von Besitz und Wert, besonders aber von
Potenz. Nach außen hin wirkt die Architektur als Repräsentation dieser
Potenz, die sie in die Straßen der Städte und den öffentlichen Raum
kommuniziert.
Das Vexierspiel zwischen Raum und Potenz, Architektur, Stadt und
Macht zeigt sich noch weitaus eindringlicher im Diskurs der Moderne
und ihren Hochhausfassaden. Die Türme, die in der Reproduktion ihres
Gegenübers auf ihren verspiegelten Oberflächen Offenheit und Transparenz
simulieren, sind hermetisch verschlossene Monolithen einer
Macht, die sich verbirgt und gleichzeitig alles sieht. Sie nutzt die halbdurchlässige
Oberfläche der Fassade, um von deren panoptischen Effekten
zu profitieren. Wo jeder den potenziellen Beobachter hinter der
Fassade immer vermuten muss, kontrolliert der Turm die Stadt allein
durch die suggerierte Möglichkeit, unbemerkt und jederzeit alles zu sehen.
Das subtile Spiel von Macht, Potenz und Möglichkeit erfährt im gebauten
Raum eine Permanenz, eine andauernde Präsentation und Repräsentation,
gerade auch in der Abwesenheit von demjenigen, der sie besitzt.
Ihre Zeichen beherrschen die Städte, die Landschaft wie auch die sozialen
Räume. Sie dominieren überdies die Handlungen einer Praxis, die
temporär ist und deren Zeichen verschwinden, sobald ihre Ausübung
endet.
RUHR Im Ruhrgebiet hat der gebaute Raum eine besondere Qualität.
Wo im Herzen der Städte keine Bürotürme stehen, sondern Fördergerüste,
Hochöfen und Produktionshallen, sind sie zu Insignien einer
montanindustriellen Macht und von deren Strukturen geworden. Im Gegensatz
zu den panoptischen Bürotürmen mit ihrer verdeckten Rhetorik
von Information, Kontrolle, Möglichkeit und Potenz sind sie eindeutige
Zeichen einer Zeit, die mit latenter Gewalt die Interessen der Industrie
vertrat. Wird über die Mythologisierung der Arbeit der Versuch unternommen,
den ehemaligen Arbeitern eine symbolische Teilhabe an den
Gewinnen der Produktion zu suggerieren, die sie nie gehabt haben,
dient die Verklärung der Härte und Gewaltsamkeit dieser Zeit vor allem
dazu, diesen Mythos zu musealisieren, auszustellen und als Bühne zu
nutzen. In der Transformation der Industrieanlagen und Gebäude wie
bei Zollverein, einer ehemaligen Zeche und Kokerei in Essen, wird die
Maschinerie, die die Körper der Arbeiter zerschlagen hat, zum historisch
musealen Hintergrund einer Inszenierung der Hochkultur: Opern
und luxuriöse Dinners finden heute dort statt, wo sich andere die Knochen
brachen.
Eine solche Kultivierung der Stätten und Räume der Arbeit muss dem
Arbeiter selbst zynisch erscheinen. In einer omnipotenten Geste zeigt
jenes Kapital, das immer über diesen Raum geherrscht hat, wie leicht es
ihn wenden kann. Die aufgepeppten Räume von Zollverein dienen eben
in ihrer aktuellen Situation nicht mehr dem Arbeiter als Zeichen seiner
Geschichte, sondern als Bühne für rauschende Feste, zu denen er nicht
eingeladen ist.
So wohnen die Arbeiter seit jeher um die Fabrik herum, von dessen Terrain
sie weiterhin ausgeschlossen sind. Wo früher, reguliert durch Zäune
und Mauern, nur arbeitsfähige Männer in die Fabrik gelangten, bildet
heute die Kultur eine unsichtbare Demarkationslinie zwischen drinnen
und draußen, von Inklusion und Exklusion. Wo jeder rein darf, aber nur
wenige es können, wird die Oper wieder einmal zum Hochkulturfilter,
der die sozialen und gesellschaftlichen Milieus segmentiert.
Einer adäquaten Rückaneignung der Stätten der Arbeit durch die ehemaligen
Protagonisten und deren Familien wird nur marginal Raum
291

gegeben. Eines der wenigen positiven Beispiele ist vielleicht der Landschaftspark
Duisburg Nord. Dort bietet sich die Inszenierung einer
leicht romantisch verklärten Ruine, deren Zeichen der Industrialisierung
langsam von Neubepflanzungen und Brachlandgrün überwuchert
werden und so dem Blick entschwinden – eine geeignete Metapher,
ein latentes Vergessen als Grundlage von Zukunftsfähigkeit zu veranschaulichen.
An einigen Stellen erlaubt oder fördert man zudem eine
Umnutzung des Orts durch die Bewohner. Der Alpenverein Duisburg hat
mit einfachsten Mitteln eine Kletteranlage an alten Schloten eingerichtet,
sodass die Menschen durch eine aktive Praxis neue Nutzungen in
den verbrauchten Raum einschreiben können. Die Mühelosigkeit dieses
Eingriffs ist zudem verblüffend und steht zugleich symbolisch für eine
Kultur der Umnutzung und Praxis: Durch das Setzen nur weniger Löcher
und Haken wird die Transformation vollzogen.
Auch die Umnutzung des gigantischen Gasometers der ehemaligen
Fabrik durch eine Tauchschule ist ein gutes Beispiel dieser aktuellen
Praxis. Das Schwimmbad der Künstlergruppe Phantombuero in einem
verlängerten Container ist eine löbliche Ausnahme auf dem ansonsten
komplett musealisierten Gelände Zollverein in Essen. Die Rückeroberung
des Raums findet also fast ausschließlich im Hobbybereich statt –
eine schier unerschöpfliche Ressource in einer von so hoher Arbeitslosigkeit
geprägten Gegend, in der sich die „Freizeit“ zum Normalzustand
entwickelt zu haben scheint. Die Frage nach einem Leben ohne Arbeit
und mit bedingungslosem Grundeinkommen wird hier unbewusst, aber
höchst aktuell und faktisch thematisiert.
Es ist verständlich, dass gerade die Arbeiter die Zeichen der Industriekultur
oft ablehnen. Sie stehen für viele von ihnen eher für die eigene
Ausbeutung, Unterdrückung und Zerschlagung als für den Mythos der
Arbeit. Sie sind für viele Insignien einer ambivalenten Zeit, die unwiderruflich
vorbei ist. Während Politik, Industrie und Gewerkschaften weiterhin
versuchen, die montanindustriellen Machtstrukturen durch sie
ersetzende Metasysteme 1 und Metropolfantasien zu erneuern, handeln
die Menschen konkret in der Realität der fragmentierten, durch variierende
Spannungsverläufe und Aufmerksamkeiten geprägten Räume
einer heterogenen Landschaft. Die immer wieder heraufbeschworene
Vergangenheit der Kohle bildet für diejenigen, die sie einst gefördert
haben, keine Zukunftsperspektive, im Gegenteil. Die Reproduktion
machtökonomischer Strukturen von damals, die weiterhin bleiern auf
der Region lasten, behindert jene dabei, eine aktuelle Form von Zukunft
zu denken, zu entwickeln und zu leben.
FREIES HANDELN IN BESETZTEN RÄUMEN Wo dem Arbeiter per se
die Teilhabe am Raum verweigert wurde, entwickelte sich analog eine
Kultur der Praxis, ein Handeln in Räumen, die einem zwar nicht gehören,
jedoch von der Gesellschaft freigesetzt werden (müssen). Darin
haben es die Bewohner des Ruhrgebiets heute zu einiger Meisterschaft
gebracht: Auf Parkplätzen und Industriebrachen, entlang von Verkehrswegen
oder innerhalb von Autobahnkreuzen sind Handlungsräume mit
eigenwilligem kreativen Potenzial und verborgener Sprengkraft entstanden.
Ohnehin ist das Handlungspotenzial, das sich mehr oder weniger
unabhängig macht vom Besitz des Raums oder der Dinge, eine der
bedeutendsten Ressourcen derjenigen, die sonst nichts haben. Nicht
nur Revolten, auch stille Aufstände und Umwälzungen organisieren sie
mittels ihrer autonomen Handlungsfähigkeit, die auf die Straße drängt.
Auch bei den wochenendlichen Demonstrationen von Fußballfans auf
dem Weg zum Stadion, den Gesinnungstreffen von Autotunern auf dem
Parkplatz, illegalen Autorennen oder in umgenutzten benachbarten
Brachen erzeugt ihre (sub-)kulturelle (Alltags-)Praxis unterschiedlichste
Ausdrucksformen freien Handelns in der informellen Nutzung
des Raums.
Der Schrebergarten galt vielleicht deshalb einer Arbeiterschaft ohne
Besitz so lange als Ikone, weil er diese Kultur schon früh demonstrierte:
Im Zeitalter der Industrialisierung wurden ökonomisch unbrauchbare
Parzellen (Schienenrandlagen, Resträume, Straßenbegleitzonen), die
trotzdem unter sozialer Kontrolle gehalten werden mussten, den Arbeitern
als vermeintlich geldwerter Vorteil und Befriedungsmaßnahme
überlassen. Die symbolische Teilhabe am Raum sollte Verantwortung
und Leidensfähigkeit in einer entfremdeten Lebenslage erhöhen. Die
Arbeiter machten sich den Raum durch die Praxis zu eigen. Das Gärtnern
– durch learning by doing und den Austausch mit den Nachbarn erlernt
– ist relativ mittellos durchführbar. Inzwischen haben sich manche
Kolonien als wahre Widerstandslager und Parallelgesellschaften entwickelt.
Hinter dem biederen Gartenzaun hat sich hier und da auch eine
illustre Mikrogemeinschaft gegründet, die sich in der Unsichtbarkeit
der Nicht-Orte nicht nur an der A40 ein gutes Leben macht.
Was das historische Beispiel des Schrebergartens, das bis in die Gegenwart
hineinreicht, andeutet, verschärft sich in aktuellen Prozessen.
Politik und Ökonomie abstrahieren sich zunehmend in den Netzen und
Systemen virtueller Werteproduktion, während der Raum an sich mehr
und mehr verwaist. Schon lange kann im Ruhrgebiet nicht mehr von
Restflächen und Zwischenzonen gesprochen werden, wenn ganze Landstriche
aus der Nutzung fallen und Stadtviertel flächendeckend verlassen
sind. Auch hier beginnen zwischen Landflucht und Zusammenbruch
einige Nutzer, sich neu zu organisieren. Autonome Zellen in selbstgewählter
Unsichtbarkeit nutzen die Schattenlagen mitten im Zentrum
als alternative Lebensräume jenseits der Märkte und Methoden. Ohne
revolutionären Anspruch folgen sie vielmehr den von Michel de Certeau
beschriebenen Taktiken 2 der Umnutzung und Reorganisation bestehender
Systeme und Räume.
Dabei hat die latente Autonomie dieser Orte subtile Bedeutung im politischen
Sinn. Wo sich der Abstand zwischen politisch-ökonomischer
Macht und der Bevölkerung so stark vergrößert, dass der Faden reißt,
entwickelt sich nicht nur eine parallele Welt, sondern ein polypolitisches
Feld. Während Politik und Ökonomie in immer neuen Formen (Stichwort
292

Strukturwandel oder Kreativindustrie) versuchen, jene virtuellen Metastrukturen
über die Region zu stülpen, die die montanindustrielle Macht
reproduzieren, organisieren sich die Menschen in der fragmentierten
Realität der Orte neu. Mit kontextbezogenen Taktiken und informellen
Praktiken erobern sie sich langsam jene Orte als Handlungsräume zurück,
die die Virtualität von Wertehandel, Politik und Ökonomie (ver)
fallen lässt.
Inwiefern sich diese Gesellschaft politisieren wird, bleibt abzuwarten.
Die entschleunigte Restpopulation neben den Zentren und Peripherien,
den Highspeed-Korridoren, Datenautobahnen und Infoportalen sucht
jedenfalls nicht mehr den Anschluss. Sie verbündet sich aktuell mit dem
(verlassenen) Ort, der über Jahrzehnte zugunsten der Netze und Systeme
diffamiert wurde: als national im Habitus und exklusiv im Inhalt. Sie
sorgt für die Emanzipation des Orts als Ort der reinen Praxis, der den
Wert der „Scholle“ negiert und als lokalen Handlungsraum mit globalen
Zusammenhängen und sinnlicher Qualität neu entwirft – durch eine
aktive, immer aktuelle Praxis, im steten Gebrauch der Dinge und eben
nicht über akkumulierte Werte und Monumente.
Das damit einhergehende Desinteresse dieser Kultur des Handelns an
aktuellen Formen von Staatspolitik und Ökonomie kann nicht mehr als
Politikverdrossenheit bezeichnet werden, sondern markiert eine klare
und bewusste Abwendung. Denn im Sinne dieser Kultur ist das gezielte
Desinteresse keine Achtlosigkeit, sondern eine operierende Strategie.
Es drückt keine Abwendung, sondern eine gewollte Beziehungslosigkeit
gegenüber demjenigen und dessen Strategien aus, die einem kaum Perspektiven
lassen.
Gleichzeitig zeigt sich eine Hinwendung zu eigenen „Taktiken“, die durch
die Rückaneignung der eigenen Handlungsfähigkeit jenseits des Besitzes
von (Handlungs-) Raum sich zur Basis für nun „eigene, zukunftsfähige
Strategien“ transformieren. Eine solche Handlungsfähigkeit im Sinne
de Certeaus ermöglicht in der Ablehnung des Diktats „Kein Handeln
ohne (eigenen) Raum“ eben jenen Ort, an dem auch der (Raum-)Besitzlose
eigene Gewinne „kapitalisieren“ und zukünftige Perspektiven
ent wickeln kann. Die Protagonisten der vernakulären Landschaft überschreiten
damit den von dem amerikanischen Landschaftsforscher John
Brinckerhoff Jackson konstatierten Horizont der Zukunftslosigkeit und
begründen ein Subsystem, das die Aufspaltung und Verteilung der Interessen
nach virtuellen und realen Räumen, nach Repräsentation und
Sein, nach abstrakten Werten und solchen des Gebrauchs offenlegt. Sie
definieren damit auch eine aktuelle Gesellschaft als polypolitisches Feld,
in dem eine Kultur der Praxis Alternativen zu einer Kultur des Raumes
entwirft, die sich in Zukunft spezifizieren werden. MARKUS AMBACH
1| Aktuelles Beispiel wäre die Kreativindustrie, die ohne Rücksicht auf Verluste
jeden erdenklichen Industriestandort mit einem Kreativquartier besetzt – natürlich
ohne nach der Sinnhaftigkeit oder Zukunftsperspektive am jeweiligen Standort zu
fragen.
2| de Certeau, Michel: Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 23.
RAUM VS. PRAXIS 293

SPACE VS. PRACTICE The western hemisphere has long been shaped
by a culture of space. Whereas other civilizations preserve a major portion
of their knowledge by means of oral transmission and narratives, in
western civilization the accumulation of value and knowledge in spaces
and objects is dominant. While in an analogous manner a culture of practice
centering on religious and social rituals and activities has emerged
elsewhere, in Christian societies space has come to be understood in
terms of power, as the place one is either admitted to or excluded from.
The accumulative characteristics of space come to the fore in a society
which strives to remove its cultural values from communal circulation
and to rigidify them in order to make them available as marketable assets.
Space as such is turned into an emblem of ownership and value,
but more particularly of potency. Architecture correspondingly acts as
an outward representation of this potency, communicated in the city
streets and in public space.
The game of deception involving space and potency, architecture, cityscape
and authority is particularly manifest in the discourse of modernism
and its high-rise façades. While simulating openness and transparency
in their visual reproduction of any opposite object on their mirrored
surfaces, the towers are actually hermetically sealed monoliths of an
omnipotence which is pervasively hiding itself from view yet to which
nothing remains undisclosed. It uses the semi-transparent surfaces of
the façade to profit from its panoptic effects. Where anyone must reckon
at all times with the observer hiding behind the mirror, the tower is controlling
the city simply by suggesting its capability for monitoring everything
unnoticed at all times.
In built-up spaces, the subtle game of power, potency and potential is
granted permanence, pervasive presentation and representation even
in the absence of those who control them. Their emblems are dominating
the cities and landscapes as well as the social spaces. Moreover they
are governing the activities of a practice which is temporary and whose
signs are vanishing as soon as they are discontinued.
RUHR In the Ruhr region, built-up spaces have a quality altogether
their own. Where the inner cities are not occupied by office blocks but
rather by gallows frames, blast furnaces and production halls, they
have become the insignia of the authority of the steel and coal industry
and of its structures. In contrast to the panoptic office towers with their
oblique rhetorics of information, control, potential and potency, they
are unambiguous emblems of a latently violent era catering first and
foremost to industrial interests. While the mythologization of labor is
used to try to persuade the former workers of their (illusory) share in
the symbolical gains of production, the idealization of the hardships and
violence of this era serves above all to turn the myth into a museum, a
display and a stage. In the transformation of the industrial facilities and
buildings such as the Zollverein, a former coal mine and coking plant
in Essen, the machinery which fed on the bodily labor of the workers is
turned into the historically-museified backdrop for a dramatization of
high culture: today, operas and deluxe dinners are staged where people
were once literally worked to the bone.
Such a cultivation of the sites and spaces of labor must seem cynical to
the workers themselves. In an omnipotent gesture, just those economic
forces which have always held sway over this space demonstrate how
easy it is for them to transform it. In its current guise, the jazzed-up
area of the Zollverein is no longer serving the workers as an emblem of
their history, but is used instead as a stage for exuberant celebrations
to which they are not invited. Thus the workers are continuing to live in
close proximity to the factory from whose terrain they are now being excluded.
Where in earlier times fences and walls ensured that only those
capable of hard work would be permitted to enter the factory, today high
culture is drawing an invisible demarcation line separating the inside
from the outside and determining the boundary between inclusion and
exclusion. If everybody is permitted to enter, yet only the chosen few can
actually afford to do so, the opera once again serves as a high-cultural
filter segmenting the communal and social milieu.
The adequate reappropriation of the places of work by their former protagonists
and their families only plays a marginal role. The Duisburg
Nord landscape park might possibly serve as one of only a handful of
positive illustrations for such a reappropriation. It offers the dramatization
of a slightly romanticized ruin whose industrial traits are being
slowly covered by new greenery and flourishing creepers, thus gradually
disappearing from view (but from view only) – a suitable metaphor
demonstrating that future viability might also be based upon a gradual,
latent oblivion. At some points, moreover, the authorities permit or even
actively propagate the adaptation of the place for a new use by the local
residents. The Alpenverein Duisburg has, by ultra-simple means,
installed a climbing wall on the old chimneys where people can turn the
abandoned space to a new use by means of active practice. Moreover
there is a striking simplicity to this operation, marking it as an emblematic
instance of the culture of conversion and practice: the transformation
requires only the proper placement of some few holes and pitons.
The adaptation of the giant gasometer of the former factory by a diving
school is another fine example of appropriate contemporary practice.
The swimming pool created by the artist group Phantombüro in an
elongated container is a commendable exception on the terrain of the
Zollverein in Essen, which has otherwise been wholly converted into a
museum. The reappropriation of space thus seems to be almost exclusively
restricted to the sphere of recreational activities – a virtually limitless
resource in a region marked by such high levels of unemployment
that “leisure time” seems to have become almost the norm. Here, the
subject of a life without a job and with an unconditional basic income
is addressed unconsciously if also indubitably in a highly contemporary
fashion.
It stands to reason that the emblems of industrial culture are frequently
rejected by the workers themselves. For many of them, they symbolize
their own exploitation, suppression and fragmentation rather than
embodying the myth of labor. They seem to be insignia of an ambivalent
era which has irrevocably passed. While a coalition of politics, industry
and trade unions is continually trying to renew the power structures of
the steel and coal industry by replacing them with meta-systems 1 and
294

metropolitan fantasies, the local people prefer concrete action bound up
with the tangibility of the fragmented spaces of a heterogeneous landscape,
marked by varying tensions and receptivities.
The perennially re-evoked past splendor of the coal era is unable to offer
any viable future prospects to those who once staffed the mines. On
the contrary: the pervasively reproduced politico-economic structures
of the past which are still pressing down on the region like a lead weight
are impeding their attempts at conceiving, developing and living a contemporary
mode of future sustainability.
FREE ACTS IN OCCUPIED SPACES Where the workers have from the
start been denied any share in the existing spaces, a culture of practice
has sprung up, an analogous development of activities in spaces which,
although they are owned by others, are (and have to be) opened up by
society. This is the sphere where the residents of the Ruhr region have
had to develop a fair degree of expertise: on parking lots and industrial
wastelands, along traffic routes and at the heart of motorway junctions,
spaces imbued with an idiosyncratic creative potential and hidden subversive
significance have emerged ready for the taking.
The discretion to act, which is forced to become at least to some degree
independent from the possession of spaces or objects, is one of the major
resources of those who do not have any other assets at their disposal.
Not only revolts, but also unobtrusive insurrections and upheavals are
organized by means of their autonomous capacity to act, which demands
to extend itself into the streets outside. The weekend demonstrations
of football fans on their way to the stadium, the gatherings of car tuning
enthusiasts on parking lots, illegal car races, the adaptation of adjacent
wastelands to new uses: their (sub-) cultural (everyday) practice generates
manifold modes of expression of their freedom of action via the
informal utilization of spaces.
Maybe the allotment garden has for so long been regarded as a major
icon of an unpropertied working class because it manifested this culture
already early on: in the age of industrialization, economically worthless
tracts of land (fringes of railways tracks and roads, leftover spaces)
which nevertheless had to be kept under social control were handed
over to the workers, aiming at the preservation of social peace while
pretending to provide them with a valuable asset. The symbolic share in
the spaces was meant to increase both the sense of responsibility and
the capacity for suffering in an alienated way of life. The workers actively
adapted the spaces to their own purposes; gardening – one’s knowledge
gradually increasing through learning by doing and the exchange of information
with one’s neighbors – is an activity for which relatively little
material input is needed. By now, some garden colonies have developed
into veritable pockets of resistance and parallel micro-societies. Beyond
the prim garden fence, in places an illustrious micro-community
has sprung up which is enjoying life in the invisibility of the non-places,
not only along the A40.
The problems indicated by the historical example of the allotment garden,
which is still continuing to prosper today, are currently growing
more acute. The political and economic spheres are growing increas-
295

ingly abstract in the nets and systems of a production of virtual values,
while the actual tangible spaces are correspondingly increasingly
neglected. In the Ruhr area, the time when talk of leftover spaces and
intermediate zones held any meaning is long gone, as whole tracts of
land are fallen into disuse and whole city districts have been abandoned.
Here, too, in an atmosphere both determined by the growing migration
to the cities and infused by a sense of dissolution, some users are beginning
to reorganize their activities. Consciously invisible autonomous
cells are using the neglected spaces right in the heart of the cities as
alternative habitats beyond markets and methods. Without any discernable
revolutionary bent, they rather choose to apply the tactics of adaptation
and reorganization of existing systems and spaces as described
by Michel de Certeau. 2
Nevertheless the latent autonomy of these places assumes a subtle importance
with regard to politics. Where the gap between political authority
and economic power on the one hand and the general population
on the other is widening to an extent that the existing structures are
stretched to breaking point, it is not only a parallel world but a polypolitical
field which emerges. While the political and economic sectors
are starting ever new attempts (cf. the catchphrase of structural
change or the courting of the creative industries) to superimpose those
virtual meta-structures upon the region which are merely reproducing
the power structure of the steel and coal industry, residents have begun
to reorganize themselves in the fragmented reality of the actual locations.
By means of context-related ploys and informal practices, they
are slowly regaining those sites as potential zones of action which are
being neglected (occasionally to the point of ruin) by the virtuality of the
commerce in values and the political and economic spheres.
It remains to be seen to what degree this society will repoliticize itself.
The decelerating residual population beyond the centers and peripheries,
the high speed corridors, data highways and internet portals has
at any rate ceased trying to catch up. Currently it is allying itself to the
(abandoned) locations which have for decades been denounced in favor
of the various nets and systems. It initiates the emancipation of these
places as zones of pure practice, negating the material value of the “soil”
while redesigning it as a local zone of potential activity, embedded in the
global matrix and imbued with sensual qualities – by means of an active,
perennially relevant practice, the continuous use of things, rather than
via accumulated assets and monuments.
The attendant distinct lack of interest in current forms of politics and
economics shown by this culture of practice can no longer be termed
a mere disenchantment with politics, but rather marks a clear-cut and
conscious renunciation. Within the framework of this culture any deliberate
show of disinterest is no mere indication of indifference, but rather
an operational strategy. Rather than expressing a withdrawal, it emphasizes
a conscious unrelatedness to those who are limiting one’s perspectives
to the point where all prospects are blocked. At the same time
one can discern a shift towards idiosyncratic “tactics” which can provide
a basis for “self-controlled, future-oriented strategies” by reappropriating
one’s individual capacity to act beyond the ownership of spaces (of
potential activity). Such a capacity to act, in the sense of de Certeau, in
refusing to obey the dictate “No practice without space (of one’s own)”
generates the very place where even those who are unpropertied (also
in the sense of a non-ownership of space) may “capitalize” their own
gains and develop future perspectives. Thus the protagonists of the
vernacular landscape are crossing beyond the horizon of a closed-off
future described by the American landscape expert John Brinckerhoff
Jackson, establishing the basic structures of a subsystem which reveals
the fragmentation and distribution of interests according to a differentiation
between virtual and actual spaces, representation and existence,
abstract values and values of use. In this process they are also defining
contemporary society as a poly-political field in which a culture of practice
is developing alternatives to the culture of space, which will become
increasingly specific in time.
MARKUS AMBACH
1| The latest illustration is provided by the creative industries, occupying all manner
of traditional industrial locations without ever asking about the validity or future
prospects of such an appropriation.
2| de Certeau, Michel: The Practice of Everyday Life, Berkeley/Los Angeles/London,
1984.
296

297

298

KÜNSTLERBIOGRAFIEN
DANICA DAKIĆ * 1962 lebt lives in Düsseldorf/Sarajevo
2014 São Paulo Biennale, São Paulo
2009 Istanbul Biennale, Istanbul
2007 documenta 12, Kassel
www.danicadakic.com
MICHAEL FEHR * 1949 lebt lives in Berlin
Autor und Kurator von Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, Kulturgeschichte
und Stadtplanung. Author and curator of exhibitions on contemporary
art, cultural history and urban planning.
2005 – 2014 Direktor head of Institut für Kunst im Kontext, UdK Berlin
1987 – 2005 Direktor head of Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen
www.michaelfehr.net
MANUEL FRANKE * 1964 lebt lives in Düsseldorf
2014 double whammy, Parkhaus Malkastenpark, Düsseldorf
2013 achat, Kunst am Bau Projekt, U-Bhf Graf-Adolf-Platz, Düsseldorf
2012 space race, Neuer Kunstverein Wuppertal
JEANNE VAN HEESWIJK | MARCEL VAN DER MEIJS | BRITT JÜRGENSEN
Im at Kreuz Kaiserberg mit with Barbara Draeger, Yulia Kryazheva, den Bewohnern
von the residents of Werthacker, Dörnerhof, Wagenplatz, Kreuz Kaiserberg
und and Familie Evertz.
2014 Trampelpfade – eine Wanderausstellung zum kleinen Glück
2013 Teilhaben bringt Glück
2009 – 2012 Widerstand des kleinen Glücks
www.jeanneworks.net
LENI HOFFMANN * 1962 lebt lives in Karlsruhe/Freiburg/Düsseldorf
Professorin an der professor at Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
2014 tronten, palmer e, blinky, passadena, pomona, ubik , Kunstmuseum Bonn;
sand, che, adèle, Stadtraum Ouagadougou, Goethe Institut
2012 sid, sansibar, Städelmuseum Frankfurt
2009/10 memnun oldum, flipper, munka, harah, pizzicato, ma, Museum Ludwig, Köln;
Kölner Stadtanzeiger; Stadtraum Bischofsgartenstr.
1992 manna 42, Portikus Frankfurt , Schöne Aussicht 2 /Straße/Verkehrsinsel/Park
CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
* 1964 leben in Eichgraben/Wien/ Münster
Christine Hohenbüchler ist Professorin an der is professor at TU Wien,
Irene Hohenbüchler ist Professorin an der is professor at Kunstakademie Münster
2015 ... auch zeichnen, Kunstraum St. Virgil, Salzburg
1999 Venedig Biennale, Venedig
1997 documenta x, Kassel
JAKOB KOLDING * 1971 lebt lives in Berlin
2015 World with Difficulties, Team Gallery, New York
2014 Masquerades, Galerie Martin Janda, Wien
2013 Balancing Acts, Galerie Nicolai Wallner, Kopenhagen
ELKE KRASNY *1965 lebt lives in Wien
Kuratorin, Kulturtheoretikerin, Autorin und Professorin an der curator, cultural
theorist, writer and professor at Akademie der Bildenden Künste, Wien
2013 Hands-On Urbanism, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig
2012 13. Architektur-Biennale, Venedig
www.elkekrasny.at
KUNSTREPUBLIK Matthias Einhoff (*1972), Philip Horst (*1972),
Markus Lohmann (*1970), Harry Sachs (*1974) leben live in Berlin
Gründer des founder of ZK/U, Berlin
2015 Orakel von Uljanowsk, Park der Sowjetrepubliken, Uljanowsk
2013 SENEN, Jakarta Biennale, Jakarta
2006 Skulpturenpark Berlin_Zentrum, Berlin
www.kunstrepublik.de
VOLKER LANG *1964 lebt lives in Hamburg
2014/15 Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS- Justiz, Hamburg
2012 Behind Landscapes, Zentrum für Gegenwartskunst, Augsburg
2011 Runge heute, Kunsthaus Hamburg
JOHN MILLER *1954 lebt lives in New York/Berlin
2015 1989, Galerie Barbara Weiss, Berlin
2015 Mary, Miller, Mosset, Overton’, Triple V, Paris
2014 A Maveable Feast – Part XIII, Campoli Presti, Paris
www.lownoon.com
GABRIELE OBERKOFLER *1975 lebt lives in Stuttgart
2015 Entreissungen, Atelier Lienz
2014 Alles wieder zurück, Stadtgalerie Saarbrücken, Kunstverein Ulm
2014 Room Service, Kunsthalle Baden-Baden
www.gabrielaoberkofler.de
CHRISTIAN ODZUCK *1978 lebt lives in Düsseldorf
2014 Geozentirk, Museum Abteiberg, Mönchengladbach
2014 Nachtfoyer, Kunsthalle Düsseldorf, Düssseldorf
2013 Capital social – Hotel Charleroi, Charleroi
www.christianodzuck.de
PERFORMANCE ELECTRICS | GmbH zur Produktion und Distribution von
company for production and distribution of Kunststrom®, gegründet von
founded by Pablo Wendel
2015 Curating the station, Brüssel
2014/2015 PV Guerilla, Kunsthalle Göppingen, Göppingen
Niederlassungen in: Städtische Galerie Villingen-Schwenningen | Stadtgalerie
Saarbrücken www.performance-electrics.com
MARTIN PFEIFLE *1975 lebt lives in Düsseldorf
2015 Einfach dreifach., Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt
2015 ArtZuid Amsterdam, International Sculpture Route, Amsterdam
2015 Ein Drittel Weiß, KIT, Düsseldorf
www.pfeifle.de
WANDA SEBASTIAN *1976 lebt lives in Düsseldorf
2012 I am Here You Are There, Institut für Skulpturelle Peripherie, Düsseldorf
2011 Polly Put the Kettle on, Bunker, Wuppertal
2008 If I Shoot, High Beam, Düsseldorf
299

IMPRESSUM
Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung
B1|A40 DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE 2014
Ein Ausstellungsprojekt im Stadtraum der A40
von Duisburg bis Dortmund
B1|A40 THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD 2014
An exhibition project within the urban space of the motorway A40
between Duisburg and Dortmund
14.06. – 07.09.2014
KATALOG CATALOG
Herausgeber Editor
MAP Markus Ambach Projekte
Urbane Künste Ruhr
Redaktion Editorial staff
Irina Weischedel, MAP
Grafische Gestaltung Graphic design
Melanie Sauermann, MAP
Übersetzung Translation
Allison Moseley, Michael Nassl, Christoph Wilde
Lektorat Proofreading
Anne Dillmann, Sybille Petrausch, Irina Weischedel, Christoph Wilde
Abbildungen Pictures
Markus Ambach: Cover, S. 6–37, 43–45, 55–59, 65–79, 82–85, 88/89,
92–141, 150–177, 180–195, 199–205, 207–219, 221–239, 241–242, 244–
253, 262, 264/265, 270–278, 282–290, 295, 298–303
Johannes van Assem: S. 46–53
Andreas von der Au (avda-foto.de) / Creative Commons: S. 293
Katrin von Buttlar: S. 297
Casino Zollverein: S. 293
Catering Imhoff: S. 293
Khaled Daouk: S. 196/197
Das bizarre Stahlwerk: S. 206/207
Klaus-Dieter Gogoll: S. 40/41
Leni Hoffmann / VG Bild-Kunst: S. 142–149, 300
Katja Illner: S. 174, 178–181
Elke Krasny: S. 238/239
Sofia Mello: S. 75, 78, 81, 84, 86–90,114,132–133, 220, 265, 287, 300
Christian Odzuck / VG Bild-Kunst: 254–259, 263
Performance Electrics: S. 278–281
raumlaborberlin: S. 243
Lea Ruthe: S. 266–269
Dorothea Schmid: S. 295
Stadtarchiv Duisburg: S. 38/39
Stefan Schneider: S. 218
Egbert Trogemann / VG Bild-Kunst: 60–63
Frank Vinken: S. 91
Projektmanagement Verlag Project management publisher
Kerstin Schütte
Druck und Bindung Printing and binding
Passavia Druckservice GmbH & Co. KG
Erschienen im published by
Wienand Verlag
Weyertal 59, 50937 Köln
www.wienand-verlag.de
© 2015 Wienand Verlag, die Künstler, Autoren und Fotografen
Wienand publishing, the artists, authors and photographers
© 2015 VG Bild-Kunst für for: Danica Dakić, Leni Hoffmann,
Christine und and Irene Hohenbüchler, KUNSTrePUBLIK, Volker Lang,
Christian Odzuck, Martin Pfeifle, Egbert Trogemann
ISBN 978-3-86832-301-6
www.b1a40.de
www.markusambachprojekte.de
www.urbenekuensteruhr.de
300

AUSSTELLUNG EXHIBITION
B1|A40 DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE 2014
Ein Ausstellungsprojekt im Stadtraum der Autobahn A40
von Duisburg bis Dortmund
B1|A40 THE BEAUTY OF THE GRAND ROAD 2014
An exhibitionproject within the urban space of the motorway A40
between Duisburg and Dortmund
14.06. – 07.09.2014
Ein Projekt von MAP Markus Ambach Projekte und Urbane Künste Ruhr
A project of MAP Markus Ambach Projekte and Urbane Künste Ruhr
Kurator | Projektautor Curator | Author of the project
Markus Ambach, MAP
Projektträger | Veranstalter Organizer | Project administration
Urbane Künste Ruhr, Künstlerische Leitung: Katja Aßmann
Kuratorische Assistenz Curatorial assistance
Irina Weischedel, MAP
Projektmanagement Project management
Irina Weischedel, MAP
Aurel Thurn, Urbane Künste Ruhr
Stephanie Regenbrecht, MAP
Kommunikation | Marketing Communication | marketing
Bettina Steindl , Urbane Künste Ruhr
Presse Publicrelations
Virgilio Pelayo, Urbane Künste Ruhr
Förderer Supporters
Kunststiftung NRW
RWE Stiftung
StiftungKunstfonds
Königreich der Niederlande
The Danish Arts Foundation
Projektpartner Project partner
Familie Breuer
Delikatfisch Braun
Epiphanias-Gemeinde, Bochum
Galerie Inge Baecker
Heißener Hof
Kunstmuseum Bochum
Lolo Bashno
MCO Motorsport / Jennifer und Markus Ohrem
Nedjo Osman
RGR Reifen Gruppe Ruhr
Ruhr-Casino Bochum e. V.
Siedlergemeinschaft Werthacker e. V.
Straßen NRW
Terno Drom e. V.
TU Dortmund / Fachbereich Städtebau
Unimo Property Management GmbH
Via Verkehrs GmbH
Zoo Duisburg
Weitere Unterstützer Further supporters
ART Engineering
Beilharz
Braun Windturbinen
Dyckerhoff Beton GmbH & Co. KG
Ernst Weirich GmbH
Ertl Tragewerk GmbH
Nolte Ingenieur Holzbau
Schemel & Co. Asphalt- und Straßenbau GmbH
Walsroder CaseTech GmbH
Aufbauleitung Installation
Axel Brandt und Team, MAP
Städtepartner Partner cities
Stadt Bochum
Stadt Dortmund
Stadt Duisburg
Stadt Essen
Stadt Mülheim
Regionalverband Ruhr
301

302

303

DANICA DAKIC´
MICHAEL FEHR
MANUEL FRANKE
VAN HEESWIJK | VAN DER MEIJS | JÜRGENSEN
LENI HOFFMANN
CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
ALLAN KAPROW
JAKOB KOLDING
ELKE KRASNY
KUNSTREPUBLIK
VOLKER LANG
JOHN MILLER
MY!LAIKA
GABRIELA OBERKOFLER
CHRISTIAN ODZUCK
PERFORMANCE ELECTRICS
MARTIN PFEIFLE | WANDA SEBASTIAN
RAUMLABORBERLIN
CHRISTA REICHER | ILKA MECKLENBRAUCK
RUHR-CASINO BOCHUM
TUNERMEETING DÜCKERWEG
AUTOBAHNKIRCHE BOCHUM
MUSEUM BERGGATE 69
LANDSCHAFTSPARK B1|A40
B1|A40 DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE
EINE AUSSTELLUNG IM STADTRAUM DER A40
VON DUISBURG BIS DORTMUND 2014