Ein ahnungsloser Traum vom Park - Von den Strömen der Stadt

EIN
AHNUNGSLOSER
TRAUM
VOM PARK
VON
MUSEUM ABTEIBERG MÖNCHENGLADBACH
MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE
DEN
STRÖMEN
DER
STADT

EIN
AHNUNGSLOSER
TRAUM
VOM PARK
MUSEUM ABTEIBERG
MAP MARKUS AMBACH PROJEKTE VON
Baltensperger + Siepert
David Bernstein
Meg Cranston
Isabella Fürnkäs und Lukas von der Gracht
Jessica Gispert
Vesko Gösel
Tanja Goethe
Taisiya Ivanova
Christian Jendreiko
Felix Kalmenson
Tomas Kleiner und Marco Biermann
Seb Koberstädt
Jakob Kolding
Thomas Locher
Stephan Machac
Antje Majewski
Rita McBride
Ulrike Möschel
Alex Morrison
Christian Odzuck
Rhein Verlag
Philipp Rühr und Henning Fehr
Arne Schmitt
Seira’s
Fari Shams
Andreas Siekmann
Pola Sieverding
Studio for Propositional Cinema
Britta Thie
Palina Vetter
Ina Weber
Alex Wissel und Jan Bonny
Anna Witt
DEN
STRÖMEN
DER
STADT
VERLAG DER BUCHHANDLUNG WALTHER KÖNIG, KÖLN

GRUSSWORT
Ein ahnungsloser Traum vom Park und Von den Strömen der Stadt
sind zwei Metaphern, die sehr plastisch für das stehen, was 2012 als
Gemeinschaftswerk von Museum Abteiberg und MAP Markus
Ambach Projekte begann. Ziel ist es, der Vision „Museum und Stadt“
näherzukommen in einer räumlichen, aber mehr noch einer
inhaltlichen Annäherung.
Beide genial gewählten Metaphern verführen wegen ihrer scheinbar
sprachlichen Unsinnigkeiten zu Interpretationen. Ist der Traum
ahnungslos, oder der Träumende? Meint „ahnungslos“ bar jeder Kenntnis,
oder unschuldig? Strömt die Stadt, oder strömt es in der Stadt?
So reizvoll diese Fragen sind, ist es doch besser, die überraschend
zusammengesetzten Begriffe einfach wirken zu lassen; ihnen das
Geheimnisvolle nicht zu nehmen, das im besten Sinne Romantische,
vergleichbar dem geheimnisvollen Weg des Novalis, der immer
nach innen geht, gleich, welches Innere gemeint ist.
Das Museum Abteiberg in Mönchengladbach ist ein Höhepunkt der
deutschen Museumslandschaft. Es zeigt eine herausragende
Architektur und bedeutsame Sammlungen, dazu kontinuierlich
hochkarätige Ausstellungen – so die Begründung des Internationalen
Kunstkritikerverbands AICA, der es 2016 zum Museum des Jahres
kürte. Aller Ruhm und das damit einhergehende Lob genügen
dem Museum und seiner Stadt jedoch nicht. Der Bau am steilen Südhang
des Abteibergs soll nicht nur bewundert und die Kunst darin
von passiven Besuchern besichtigt werden – das Museum und seine
Kunst sollen vielmehr Teil der Stadt sein. Beide sollen sich berühren,
vielleicht einmal durchdringen. So begann 2012 ein erstes Projekt
der Annäherung: Im Skulpturengarten hinter dem Museum wurde
eine Bühne errichtet. Bei Veranstaltungen aller Art trafen sich
Besucher, Nachbarn, Jugendliche aus dem Jugendzentrum. Vom
Skulpturengarten waren es dann nur wenige Schritte zu den unbekannten,
teils ungenutzten Gassen und Grünräumen bis hin zum
verwunschenen Hans-Jonas-Park. Überall zog Kunst ein: die Lampen
von Alex Morrison, Geozentrik von Christian Odzuck, Emissionsmantel
von Andreas Siekmann. Im September 2016 war die Stadt
erreicht: Auf dem neu angelegten Sonnenhausplatz stehen nun die
Esel von Rita McBrides Donkey’s Way. Zwischendurch, 2015, bereicherten
schon die Apfelbäume von Antje Majewski die ganze Stadt.
Mit diesen Projekten hat man in nur fünf Jahren zweierlei erreicht,
ohne dass bereits die gesamte Vision Realität geworden wäre: Die
Besucher des Museums werden nun in die Stadt geführt und –
wichtiger – die Bürger der Stadt und potenziellen Besucher finden
einen Weg zum Museum, durch die Stadt, den Park und den Garten,
immer begleitet von Kunst – Kunst zum Erleben und nicht nur
zum passiven Betrachten.
Der Stifter Hans Fries war vom Museum Abteiberg begeistert, als
er nach Jahrzehnten der Abwesenheit 2006 seine Heimatstadt
besuchte und sich entschloss, sein Vermögen zum Großteil diesem
Museum zu stiften. Wir glauben, in seinem Sinne zu handeln,
wenn wir uns mit der Hans Fries-Stiftung für die Vision „Museum
und Stadt“ einsetzen.
Prof. Dr. Michael Loschelder
Vorstand der Hans Fries-Stiftung
An Innocent Dream of a Park and On the Currents of the City are
two very vivid metaphors for what started in 2012 as a joint
effort between Museum Abteiberg and MAP Markus Ambach
Projekte. The goal is to get closer to the vision of a “museum
and city” – closer in terms of space, but even more so in terms of
content.
Both ingeniously-chosen metaphors have an apparent linguistic
absurdity that seems to invite interpretation. Is the dream innocent
or is it the dreamer? Is it “innocent” in the sense of guileless, as in
“without any knowledge,” or “without guilt”? Is it the city flowing in
currents, or currents in the city? As appealing as these questions
are, it is better to simply allow the surprisingly composed terms to take
effect, not to deprive them of their mystery – romantic in the best
sense, not unlike Novalis’s journey. It is a journey that always leads
inwards, leaving open which inside is meant.
Museum Abteiberg in Mönchengladbach is a true bright spot in the
German museum landscape. It is an institution with outstanding
architecture and no less important collections, not to mention highcaliber
exhibitions – according to the International Association
of Art Critics (AICA), which voted it Museum of the Year in 2016. But
all this fame and the accompanying praise are not enough for this
museum and its city. They are not content with admiring glances at
the building on the steep south slope of the Abteiberg, the art
within its walls being passively appreciated by visitors. The museum
and its art should be part of the city. Each should touch, perhaps
even penetrate the other. And so a first project of rapprochement started
in 2012. A stage was erected in the sculpture garden behind the museum.
It became a venue for all kinds of events where visitors, neighbors,
and young people from the youth center would meet.
From the sculpture garden, it was only a few steps to the unknown,
partly unused streets and green spaces, all the way to the
enchanted Hans-Jonas-Park. Art is everywhere: Alex Morrison’s
lamps, Geocentrics by Christian Odzuck, Emissions Cloak by
Andreas Siekmann. In September 2016, it reached the city. Rita McBride’s
donkeys stand on the newly-installed Sonnenhausplatz. Before
that, in 2015, Antje Majewski’s apple trees enriched the entire urban
area.
In a span of just five years, these projects have achieved two results
without the entire vision having become reality: visitors to the
museum are guided to the city and, more importantly, inhabitants
of the city and potential visitors find a path to the museum –
through the city, the park and garden, always accompanied by art,
art to experience, not just to passively contemplate.
Donor Hans Fries was delighted with Museum Abteiberg when
he revisited his home city in 2006 for the first time in decades, and
decided to donate the bulk of his fortune to this museum. Our
commitment to this vision of a “museum and city” is, we believe,
exactly what he would have wanted.
Prof. Dr. Michael Loschelder
Executive Board, Hans Fries Foundation

VORWORT
Susanne Titz
links / left
Abteiberg als Kultur- und Bildungsberg,
Städtebauliche Planung, um 1970
Abteiberg as culture and education hill,
urban planning, around 1970
rechts / right
Museum Abteiberg, Entwurf Außenanlagen, 1980
Museum Abteiberg, landscape design, 1980
Ein ahnungsloser Traum
Der Entwurf des Museums Abteiberg (1972–1982) war ursprünglich
sehr urban. Die Verbindung zwischen Museum und Stadt leitete
als zentrales Ideal den Architekten Hans Hollein und den damaligen
Museumsdirektor Johannes Cladders, der zu seinem Programm
auch Kunst im öffentlichen Raum, an öffentlichen Gebäuden und in
den Schulen der Stadt Mönchengladbach zählte. Der Bau des
Museums Abteiberg sollte gemeinsam mit VHS, Musikschule und
Gymnasium nebenan einen Kultur- und Bildungsberg begrün -
den und er sollte sich mit der Innenstadt verbinden. In der Metaphorik
des Entwurfs ist das Museum selbst gar eine urbane Collage oder
Landschaft: Als Ensemble aus diversen Baukörpern, mit öffentlichen
Wegen, die über das Gebäude geführt werden, und einem öffentlichen
Platz auf dem Dach bildet es eine „begehbare Architektur“ (Hollein).
Bereits mit dem „Museum X“, das während der Generalsanierung des
Museums Abteiberg 2006 / 2007 für mehr als ein Jahr mitten in
der Mönchengladbacher Innenstadt stand und in seiner großen
potemkinschen Geste für eine neue Beziehung zwischen Museum
und Stadt warb, kam es zu einer Wiederentdeckung der vergangenen
Visionen und es begann eine neue Diskussion über das Museum
Abteiberg, die auch eine Diskussion darüber wurde, die damals
ausgebliebene Umsetzung seiner Erschließung von der Stadt her nun
nachzuholen.
Ein ahnungsloser Traum vom Park knüpfte hier an. Das wohl charakteristischste
Merkmal des Projekts ist tatsächlich das Ahnungslose,
das hier zum Prinzip wurde – in der Vorstellung einer längeren Entwicklung,
die aus künstlerischen Ideen, den ihnen folgenden
Ereignissen, den Reaktionen des Publikums und den weiteren
Prozessen einer Stadt heraustritt.
Markus Ambach, der nach dem Kunststudium besonders auch zum
Ausstellungsmacher und Urbanisten wurde und für die Umsetzung
neuartiger kultureller Strategien 2002 in Düsseldorf die Projektplattform
MAP gründete, ist mit seinem Büro der wichtige Partner bei
der Konzeption, Kuratierung und Durchführung dieses Langzeitprojekts,
das letztlich auch von einer neuen Kommunikation
zwischen Kunst und Gesellschaft handelt. Markus Ambach reißt
diese Felder im Folgenden an, wobei er sowohl die diversen
Aktivitäten und Erfolge des ahnungslosen Traums in den vergangenen
vier Jahren beschreibt als auch generelle Perspektiven der
Entwicklung von Stadt, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Erstere
führten zu einer neuen Situation des Museums, dessen urbaner Plan
Holleins nun endlich umgesetzt werden könnte. Letztere – die
akuten Veränderungen der gesellschaftlichen Räume in der Gegenwart
– führten uns 2016 zu einem bewussten Schritt zurück ins
Museum, wo es unter dem Titel Von den Strömen der Stadt um die
Wahrnehmung von Öffentlichkeit unter gegenwärtig neuen
Blickwinkeln in der ganz jungen Generation von Künstlern ging. Mit
der Eröffnung von Donkey’s Way und dem Sonnenhausplatz
gelang schließlich eine erste gemeinsame Produktion, die ausgehandelt
zwischen Kunst, Stadtplanung und Stadtgesellschaft wegweisend
für die Zukunft sein könnte.
Großer Dank gilt den Förderern, die dieses Langzeitprojekt ermöglicht
haben. Zunächst der Hans Fries-Stiftung und der Kunststiftung
NRW, deren frühes und kontinuierliches Engagement den Impuls gab,
und dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und
Sport des Landes Nordrhein-Westfalen. Besonderer Dank gilt dem
Unternehmen mfi Management für Immobilien, heute Unibail-
Rodamco, für die Finanzierung und Schenkung der Kunst für den
neuen Sonnenhausplatz. Reydan und Roger Weiss, einst Initiatoren
des mfi-Preises für Kunst im öffentlichen Raum, gaben hierzu
dankenswerterweise den Impuls.
Dank gilt auch der Stadtsparkasse Mönchengladbach, vielen
engagierten Unternehmen und Privatförderern sowie insbesondere
den Nachbarn, den engagierten Bürgern und Initiativen in der
Stadt und im Museumsverein als auch den vielen Mitwirkenden in
der Stadtverwaltung. Abschließender Dank gilt allen beteiligten
Künstlerinnen und Künstlern, den Musikbands, Aktivisten und
Theoretikern, die bei diesem Projekt mitdachten und teils weiterhin
mitdenken. Und es gilt dann wiederum Markus Ambach besonders
zu danken, da er viele gute Gedanken und eine grandiose Energie in
die Stadt brachte. Im Büro MAP haben Irina Weischedel und
Melanie Sauermann wunderbare Arbeit geleistet. Allen dreien und
allen in diesem Absatz genannten nochmals Danke – im Sinne
einer Fortsetzung.
6

An Innocent Dream
The design of Museum Abteiberg (1972–1982) was originally a very
urban one. The connection between museum and city was a
deeply-held ideal for both architect Hans Hollein and the then director
of the museum, Johannes Cladders, whose program also included
art in the public space, on public buildings and in the schools of the
city of Mönchengladbach. The structure of the museum envisaged
a cultural and educational mountain complete with a community
college, a music school and a high school next door, and it was to be
connected to the city center. The design metaphor imagines the
museum itself as an urban collage or landscape: as an ensemble of
diverse structures with public paths leading across the building
and a public square on the roof – a “walkable architecture” (Hollein).
We had already seen something of a rediscovery of past visions
with Museum X, which was installed in the center of Mönchengladbach
for more than a year during the complete renovation of
Museum Abteiberg in 2006 / 2007, and in the way its great, Potemkinesque
gesture campaigned for a new relationship between the museum
and the city. It started a new discussion about Museum Abteiberg,
which also became a debate about how to compensate for its
still-unrealized connection to the city.
This is where An Innocent Dream of a Park came in. The project’s
most characteristic feature is indeed its innocence, which in this case
became a principle – the idea of a long-term development born of
artistic ideas, the ensuing events, public reactions and the further
processes of a city.
Markus Ambach, who turned to urbanism and exhibition-making
after completing studies in fine art, and who was the founder
of the project platform MAP in Düsseldorf in 2002, remains the most
important partner in the conception, curation and implementation
of this long-term project. Ultimately this also concerns a new kind of
communication between art and society. Ambach touches on these
areas in the following, describing the various activities and successes
of the Innocent Dream over the past four years, as well as offering
general perspectives on developments in the city, society and “the
public.” The former led to a new situation for the museum, finally
making Hollein’s vision a reality. The latter – the current acute changes
transforming social spaces – led us to take a conscious step back
into the museum in 2016: the exhibition On the Currents of the City
dealt with the changing perception of “publicness” with new insights
and perspectives from the youngest generation of artists. Meanwhile,
the inauguration of Donkey’s Way and the Sonnenhausplatz
represented the first successful collaborative production between
art, city planning and urban society – one that can hopefully pave
the way to the future.
We would like to express our deepest gratitude to the sponsors who
made this long-term project possible. First, to the Hans Fries
Foundation and Kunststiftung NRW, whose early and continuous
commitment provided the initial impetus, and to the Ministry
for Family, Children, Youth, Culture and Sports of the State of North
Rhine-Westphalia. Special thanks also to the company mfi Management
für Immobilien (now Unibail-Rodamco) for the financing
and donation of art for the new Sonnenhausplatz. For this we owe
thanks to Reydan and Roger Weiss, erstwhile initiators of the
mfi Prize for Art in Public Space.
We are also grateful to Stadtsparkasse Mönchengladbach, to the many
dedicated and engaged companies and private sponsors, and
most especially the neighbors, committed citizens and initiatives in
the city and in the museum association. Thanks also to our many
collaborators in the City Council. Finally, we would like to thank all
the participating artists, music bands, activists and theorists who
contributed their thoughts and ideas, and in some cases continue to
do so. And here again, special thanks to Markus Ambach, who
brought so many good ideas and magnificent energy to the city. MAP
office staff Irina Weischedel and Melanie Sauermann also did a
wonderful job. I would like to thank all three and those mentioned
here once again – in the spirit of continuation.
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INHALT
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242
260
268
GRUSSWORT Michael Loschelder
VORWORT Susanne Titz
EIN AHNUNGSLOSER TRAUM VOM PARK Markus Ambach
INA WEBER BAHNHOFSVIERTEL Stephanie Regenbrecht
JESSICA GISPERT SUBLIMATIONS Stephanie Regenbrecht
HENNING FEHR / PHILIPP RÜHR DER TOTENKOPF; DAS INTERNATIONALE SYMBOL DER IDIOTEN Henning Fehr
MEG CRANSTON PILE OF DIRT (WATER AVAILABLE) Markus Ambach
MEG CRANSTON MEADOW (WIESE) Markus Ambach
CHRISTIAN JENDREIKO I WAS HERE, I THINK Susanne Titz
ALEX MORRISON TRAUMSTRASSE Barbara Hess
TANJA GOETHE SIR HANS SLOANE’S PLATES Tanja Goethe
CHRISTIAN ODZUCK THE RISING OF THE MILKY WAY - EIN KOLLEKTIV AUS FLEISCH UND BLUT Markus Ambach
CHRISTIAN ODZUCK GEOZENTRIK Markus Ambach
ULRIKE MÖSCHEL VERSUNKENE WIPPE Stephanie Regenbrecht
ANTJE MAJEWSKI DER APFEL. EINE EINFÜHRUNG. (IMMER UND IMMER UND IMMER WIEDER) Susanne Titz
ANDREAS SIEKMANN ZUM BEISPIEL EMISSIONSMANTEL Susanne Titz
INA WEBER WARTEHÄUSCHEN Irina Weischedel
VESKO GÖSEL PENTAPRISMA MÖNCHENGLADBACH Irina Weischedel
THOMAS LOCHER IMPERATIV / AUFFORDERUNGEN, BEFEHLE UND KOMMANDOS Thomas Locher
JAKOB KOLDING OHNE TITEL Irina Weischedel
VON DEN STRÖMEN DER STADT Markus Ambach
ÖFFENTLICH –PRIVAT–ÖKONOMISCH–POLITISCH Markus Ambach
TOMAS KLEINER / MARCO BIERMANN ANLIEGER Susanne Titz
POLA SIEVERDING CONCRETE BODIES Florian Matzner
ARNE SCHMITT DAS GEMEINSAME DRITTE / ABBRUCH ALLER BEZIEHUNGEN Moritz Scheper
HENNING FEHR / PHILIPP RÜHR POLYRHYTHM TECHNOIR PT. III: LEISURE TIME FUTURE: THE RATTLESNAKE Domingo Castillo
ANNA WITT RADIKAL DENKEN / DIE RECHTE DES GEHSTEIGS Diana Baldon / Ursula Maria Probst und Anna Witt
DAVID BERNSTEIN MG ACTION TOWN Susanne Titz
INTIMITÄT UND ÖFFENTLICHKEIT Markus Ambach
TAISIYA IVANOVA REALLY LILLY Susanne Titz
PALINA VETTER OHNE TITEL Markus Ambach
BRITTA THIE Markus Ambach
ISABELLA FÜRNKÄS / LUKAS VON DER GRACHT SELFIECALYPSE – TEEN HUNGER ULTRA DEATH ATTACK 1.0 Susanne Titz
SELBSTVERÖFFENTLICHUNG UND ANDERE BÜHNEN DER STADTGESELLSCHAFT Markus Ambach
ALEX WISSEL / JAN BONNY RHEINGOLD Noemi Smolik
RHEIN VERLAG Susanne Titz
SEIRA’S Seira’s
BEDINGUNGEN DER SICHTBARKEIT Markus Ambach
STUDIO FOR PROPOSITIONAL CINEMA ON THE FIGURE IN RELATION TO REPRESENTATIONAL SYSTEMS Susanne Titz
FARI SHAMS DAS PARADIES IM QUADRAT Barbara Hess
FELIX KALMENSON A YEAR IN REVENUE Markus Ambach
BALTENSPERGER + SIEPERT DESTI-NATION Markus Ambach
STEPHAN MACHAC GERMAN ANGST / GRAVITATIONAL WAVES Susanne Titz
FILMLOUNGE / PROGRAMM
RITA MCBRIDE DONKEY’S WAY Markus Ambach
KLEINE ESELEI Walter Grasskamp
PERSPEKTIVEN Susanne Titz und Markus Ambach

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EIN
AHNUNGSLOSER
TRAUM
VOM PARK
EIN
PROJEKT IM STÄDTISCHEN UMFELD DES MUSEUMS ABTEIBERG
KURATIERT VON MARKUS AMBACH UND SUSANNE TITZ
Meg Cranston
Jessica Gispert
Vesko Gösel
Tanja Goethe
Christian Jendreiko
Seb Koberstädt
Jakob Kolding
Thomas Locher
Antje Majewski
Ulrike Möschel
Alex Morrison
Christian Odzuck
Philipp Rühr und Henning Fehr
Andreas Siekmann
Ina Weber
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12

EIN
AHNUNGSLOSER
TRAUM
VOM
PARK
Markus Ambach
Kontext
Museum Abteiberg, Skulpturengarten,
Hans-Jonas-Park und die Mönchengladbacher
Innenstadt – Nachbarn, die nahezu
unerkannt nebeneinander liegen. Am
Abteiberg hat sich mitten im Zentrum der Stadt
ein eigenwillig fragmentiertes Terrain
etabliert, das historische Ensembles wie das
Mönchengladbacher Münster und die
legendäre Museumsanlage von Hans Hollein,
aber auch zergliederte Parkstrukturen,
nahezu vergessene Landschaftsfragmente,
urban geprägte Innenstadtlagen und
eine heterogene Anliegerschaft umfasst. Teils
unwirtliche, teils romantisch anmutende
Passagenräume verknüpfen diese Melange
verschiedenster Raumtypen zu einem
diffusen Teppich informeller Nachbarschaften.
Gleichwohl zerstreut, jedoch mit erheblichen
Potenzialen ausgestattet, stellt das Terrain
am Abteiberg hohe Anforderungen wie auch
komplexe Fragen an seine Zukunft. Wie
können sich diese öffentlichen Räume zu
einem neuen Zentrum verbinden, das sich als
Gemeinschaftsraum der Stadtgesellschaft
definiert? Wie können sich die verschiedenen
Anlieger zu einer produktiven Nachbarschaft
zusammenfinden und diesem Terrain
eine neue Choreografie verleihen, die seine
verborgenen Potenziale hervorhebt und miteinander
in Beziehung setzt?
Analog stellen sich Fragen im künstlerischen
Kontext: Kann kulturelle Arbeit einen
interdisziplinären Dialog anregen, der zu
einem neuen gemeinsamen Denken der
Stadtgesellschaft bei der Gestaltung ihrer
öffentlichen Räume führt? Welche
Potenziale birgt die fragmentierte Landschaft
am Abteiberg auch für künstlerisches
Denken? Können neue Narrative gerade
den informellen, ambivalenten und
gebrochenen Räumen, ihren Protagonisten
und Erzählungen eine neue Bedeutung
im gesellschaftlichen Diskurs verleihen?
Ein Anfang
Das Projekt Ein ahnungsloser Traum vom
Park sucht nach einer gemeinsamen
Zukunft für diese Orte und verknüpft den
Mönchengladbacher Abteiberg in
verschiedenen Phasen und Jahren zu einem
großen städtischen Ensemble aus Museum
und Kunst im öffentlichen Raum, Stadt und
Park, traditionellen Anliegern und neuen
Nachbarschaften. In der Zusammenarbeit
des Museums Abteiberg und der Projektplatt -
form MAP, die im Hintergrund auch neue
Formen der Kooperation zwischen Institutionen,
freien Partnern und der Stadt diskutiert,
wird seit 2012 kontinuierlich ein komplexes
Projekt entwickelt und durch geführt, das zu
beispielhaften Veränderungen des städtischen
Kontexts am Abteiberg geführt hat.
Ausgangspunkt dieser fortgesetzten Zusammenarbeit
war das Museum samt seinem
Skulpturengarten, der mit einem beeindruckenden
Konvolut zeitgenössischer Kunst
im Außenraum aufwartet und trotzdem
nahezu unbemerkt hinter dem Museum liegt.
Selbst zahlreichen Museumsbesuchern
ist der seit seiner Eröffnung im Jahr 1982
kontinuierlich mit Arbeiten von namhaften
Künstlern wie Claes Oldenburg, Mauro
Staccioli, Larry Bell, Giuseppe Penone, Jorge
Pardo, Dan Peterman oder Franz West
bestückte Teil des ehemaligen Abteigartens
unbekannt. An dieser eigentümlichen
Unsichtbarkeit leidet das landschafts architektonisch
von Peter Latz gestaltete Gelände,
das Hans Hollein im Zusammenhang mit
seinem spektakulären Museumsentwurf
plante und umsetzte, seit jeher. Obwohl der
Hollein’sche Entwurf eine dem post modernen
Denken verpflichtete labyrinthische
Verknüpfung des Museums mit seinem
Garten und dem städtischen Umfeld durch
verschiedenste Wege und Eingänge
vorsah, blieb der Skulpturengarten von Stadt
und Museum weitgehend abgehängt.
13

Umwege
Diese Sonderrolle hat ihren Grund. Die auf
Einladung des Museums Abteiberg
vorgenommene Recherche ergab, dass nicht
etwa fehlende Attraktivität der hervorragenden
Kunst im Skulpturenpark die
Ursache für seine Unsichtbarkeit ist, sondern
die räumlich gestörte Beziehung zwischen
Museumsbau und Garten sowie die
dysfunktionale Einbindung des Terrains in
sein städtisches Umfeld. Gerade die
vielfältigen, labyrinth artig angelegten
Wegebeziehungen des Ensembles, die noch
heute so manchen vor Orientierungsprobleme
stellen, wurden vielfach durch die
Verlegung von Eingängen und anderen
Bezugsgrößen in ihrem architektonischen
Arrangement gestört.
Nukleus dieser Störung ist der Haupteingang.
Da der von Hollein geplante zentrale
Zugang von der Hindenburgstraße als
wichtigster Innenstadtachse, der über das
Hochplateau des Museumsbau führen
sollte, bis dato nicht realisiert werden konnte, 1
nutzt das Museum zwangsläufig weiterhin
einen Nebenzugang als Haupteingangsbereich.
Der eigentliche Haupteingang, zu dem Hollein
den Besucher zunächst von der Stadtmitte
über die luxuriöse Außenterrasse zum
Museumsgebäude führen wollte, um ihm
einen grandiosen Blick über die damals
neuen „Reisterrassen“ hinunter in den alten
Abteigarten zu gewähren, wird heute
lediglich als Seiteneingang genutzt. Dadurch
entgehen den meisten Besuchern die die
großzügige Freifläche der Terrasse durchbrechenden
Architekturen, mit denen
Hollein eine modellhafte postmoderne
Stadtlandschaft par excellence inszenierte,
genauso wie die kongeniale Dramaturgie
des verborgenen Abstiegs in das Sammlungsgebäude
durch einen Glaspavillon, der
das Museum als Bergwerk der Kulturen
zelebriert und damit romantische Überlegungen
ähnlich denen eines Heinrich von
Ofterdingen aufruft. 2
Die bis heute unvollendet gebliebene
architektonische Dramaturgie Holleins, die
als theatrale Choreografie gesehen werden
muss, hat nicht nur Folgen für die Wahrnehmung
des gesamten Ensembles, sondern
besonders für den Skulpturengarten: Der
Park kommt im Bewusstsein der Besucher
schlichtweg nicht vor.
14

15

Fragmente
Neben diesen Problematiken werden Museum
und Garten zudem von einer Gemengelage
stark fragmentierter Stadträume umspült. Beim
Rundgang über das komplexe Terrain um
den Abteiberg sind heterogenste Raumqualitäten
vorzufinden. Vom Skulpturengarten des
Museums, der städtischen Passanten haupt -
sächlich als Abkürzung zwischen Münster
und Innenstadt bekannt ist, bis zum neuen
Stadtzentrum am heutigen Sonnenhausplatz
reihen sich disparate wie auch stimmige,
kaum miteinander verknüpfte Raumtypen
aneinander, die ein zwar unorganisiertes,
doch auch ungeahnt interessantes städtisches
Potenzial bieten.
Naturnahe Raumfragmente wie der mit
mächtigen Buchen bestandene, nur marginal
kultivierte Teil des Hans-Jonas-Parks, aber
auch sein weitgehend ausgearbeiteter Teil
mit spannenden Anrainern wie dem Jugendzentrum
STEP, der VHS und einigen qualitätsvollen,
gleichwohl versprengt wirkenden
Plastiken von Ferdinand Kriwet oder
Wolfgang Hahn werden durchkreuzt von
unklaren Passagenräumen und städtischen
Sequenzen, die oft unfertig erscheinen.
Besonders die Konstellation vor dem Haupteingang
des Museums, die aus dem im
klassizistischen Stil erbauten Haus Erholung,
einer Parkhauseinfahrt, der Museumsanlieferung
und einer Grünwiese besteht, in die
sich teils wunderbare Arbeiten von Robert
Morris, Thomas Rentmeister und Gregor
Schneider hineingeschoben haben, verstärkt
unfreiwillig die Ambivalenz dieser
Gemengelage.

echts / right
CHRISTIAN ODZUCK
Teatro di Mondo (for A.R.)
Holz, Silikon / timber, silicone
2012–2015
Mit dem Teatro di Mondo entwickelte
Odzuck eine skulpturale Struktur
für verschiedene Nutzungen.
With Teatro di Mondo Odzuck developed a
sculptural structure for various uses.
Kunst und Kontext
Vor diesem Hintergrund erschien es so
reizvoll wie notwendig, nicht nur das Terrain
des Museums ins Auge zu fassen, sondern
den gesamten Abteiberg in seiner Komplexität
zu thematisieren. Die städtischen Möglichkeitsräume,
die hier mehr oder weniger
ungenutzt nebeneinander liegen, bildeten
fortan das ambivalente Potenzial eines
Projekts, das sich auf den Weg machte, den
ungewöhnlichen Kontext des Abteibergs
aus der Perspektive von Kunst und Kultur,
aber auch der Anwohner, Anlieger und
Nachbarn zu diskutieren und ihm durch eine
sinnvolle Choreografie ein neues Narrativ
zu verleihen.
Come together
Dabei arbeitet das Projekt konsequent
mit dem Bestand. Nicht nur die verschiedenen
Raumfragmente, sondern auch die Beziehungen
zur Nachbarschaft wurden zum
zentralen Kapitel und ersten Teil des
Projekts. Wie die Veranstaltungsreihe im
Skulpturengarten 2012 zeigte, sind gerade
lokale Nachbarschaften beim offenen
Spiel mit den Potenzialen des Ortes wichtig.
Während die Museumsbesucher ent -
sprech end ihrer spezifischen, touristisch
geprägten Nutzung den Park oft nur
einmal besuchen, hat die Nachbarschaft die
Möglichkeit, ihn dauerhaft in einen vital
genutzten urbanen Raum zu verwandeln. So
galt die Aufmerksamkeit im ersten Jahr
des Projekts eben dieser Nachbarschaft, die
sich als unerschöpfliches Potenzial
offenbarte. Ob STEP, VHS oder Jugendmusikschule:
Das Umfeld des Museums erwies
sich als kreatives Zentrum der Stadt.
20

21

22
Nachbarn
Besonders das Jugendzentrum STEP wurde
zum dauerhaften Partner des Projekts. Die
verschiedenen Interessen der Jugendlichen,
vor allem natürlich im musikalischen
Bereich, standen dabei im Mittelpunkt und
bildeten die Basis für die Entwicklung
eines kontinuierlichen Programms, das auf
einer von Christian Odzuck eigens dafür
entworfenen Bühne im Skulpturengarten
gezeigt wurde. Die Jugendlichen organisierten
im Teatro di Mondo zwischen 2012
und 2015 alljährlich und autonom eine
Konzertkompilation mit einer musikalischen
Bandbreite, die von Independent bis hin zu
Death Metal reichte.

23

Konzerte / concerts
MANUEL GÖTTSCHING
STABIL ELITE
DIRTY MIRRORS
rechts / right
SEB KOBERSTÄDT
ohne Titel / untitled
lackiertes Papier
painted paper
2012
Liveauftritte legendärer Musiker und Bands
wie Manuel Göttsching und Stabil Elite 3
bildeten das Musik programm und wurden
durch Künstler bands wie die Dirty Mirrors 4
um John Miller ergänzt.
Auf der gleichen Bühne fanden auch
verschiedene Diskussionen statt – beispielsweise
zu dem Philosophen Hans Jonas,
dem Namensgeber des benachbarten Parks,
oder zum aktuellen Stand der Stadtplanung.
Poetry-Slams und Lesungen, Stadt- und
Parkführungen wie auch Kinovorführungen
unter freiem Himmel gehörten zum Programm.
Bei Veranstaltungen wie gemeinsamen
Picknicks oder einem Essen des Künstlers
Arpad Dobriban wurde außerdem die
Nachbarschaft eingeladen, den Skulpturengarten
aktiv als Stadtraum zu nutzen und
ihn sich wieder anzueignen.
24

25

Programm
2012
23.06. Congress (Magdalena Kita / Giulietta Ockenfuß)
23.06. Manuel Göttsching E2 – E4 live
07.07. Tanja Goethe, Hidden Friends – Ruderales Grün – Eine Führung durch
das Umfeld des Skulpturengartens / Guided tour through the sculpture garden
07.07. Speaker’s Corner – Poesie mit / Poetry with Jonas Jahn und Gästen / guests
07.07. Marc Pepper, Unbeflecktes Ende – Performance mit / with Steffen Paesler
01.09. Ein Schritt voraus 1 mit / with Rhythm of Hell, Teddy, Joker, ScaMir,
Yoshi & Friend, All Hail The New Flesh, Full of Emptiness, Klangwerfer
01.09. Mark Wehrmann, Vortrag über / Lecture on Death Metal
15.09. Das Prinzip Verantwortung – Ein Gespräch über Hans Jonas
und die Zukunft des öffentlichen Raums in Gladbach / The Imperative of
Responsibility – A talk on Hans Jonas and the future of the public space in
Mönchengladbach mit / with Andreas Siekmann und Dr. Ralf Seidel
15.09. Ein ganz konkreter Traum vom Park – Diskussion zur stadtplanerischen
Zukunft des Abteibergs / A Concrete Dream of a Park – Discussion on the future
of the Abteiberg’s urban planning mit / with A. Wurff, Dr. G. Fischer, F. Otten,
M. Walter, E. Viehof, B. Sieverts, S. Titz, M. Ambach
15.09. Arpad Dobriban, Sensitive Habitats
Ein Vortrag mit Speisenfolge / An Essay Dinner
15.09. Open Air Kino: The Draughtsman’s Contract
23.09. Open Air Kino: Der Lieblingsfilm der Gladbacher 2012
The favorite movie of Gladbach 2012
2013
26.05. Stabil Elite (Croon, Hein, Sonnensberger, Szymanski)
16.06. Wunschgärten – Spaziergang durch die Gärten der Stadt
A walk through the gardens of the city
28.06. Ein Schritt voraus 2, mit / with 150 Liter Freibier,
Barn in Haze, Laboum Melodys, All Hail the New Flesh, ScaMir
05.07. Punkergrill und Spießerdecke, Ein Picknick / a picnic
07.07. Dirty Mirrors (Lutz, Miller, Rosenberg)
13.07. Hans Jonas und das Prinzip Verantwortung
Hans Jonas and the Imperative of Responsibility
19.07. Literatour im Wartehäuschen
31.08. Was war? Was bleibt? Was kommt? – Diskussion zum Parkprojekt
What was? What remains? What may come? – A discussion on the park project
31.08. Open Air Kino: Der Lieblingsfilm der Gladbacher 2013
The favorite movie of Gladbach 2013
2014
28.06. Stabil Elite (Croon, Hein, Sonnensberger, Szymanski)
28.06. Rosa Sijben, Things are Happening #6. Fittest, Performance
20.09. Ein Schritt voraus 3, mit / with The Bombing Jacks,
Barn in Haze, Full of Emptyness, The Wastones, INLE
2015
27.06. Baumpatenschaften / Tree Sponsorship
06.09. Tanja Goethe, Über Bienen und Beinwell – Vortrag / Lecture
12.09. Ein Schritt voraus 4 mit / with Firebrick, The Wastones, Barn in Haze,
Rising Glory, Sir Collapse
19.09. Apfelfest / Apple Festival
2016
25.08. Alex Morrison, Traumstraße / Dream Street, Eröffnung / Opening
26

27

Ein ahnungsloser Traum vom Park 2013
Eine Ausstellung
Im zweiten Projektjahr ging vom
Skulpturen garten verstärkt ein künstlerischer
Impuls in die umliegende Stadt und in die
reaktivierte Nachbarschaft aus. In einer
großen Ausstellung im öffentlichen Raum
des gesamten Abteibergs interpretierten
Künstler ungenutzte und unscheinbare
Situationen neu, um zu zeigen, wie man auch
verwaisten Orten durch Fokussierung
und Interesse eine aktuelle, einprägsame
Identität verleihen kann. Sie verknüpften teils
unbekannte Wege, Pfade und öffentliche
Räume zwischen dem Skulpturengarten und
dem neu entstehenden Stadtzentrum zu
einer schlüssigen Choreografie. Die Ausstellung
zeigte bildhauerische und interventionistische
Arbeiten, kritische Raumskizzen,
visionäre Ideen und Neu betrachtungen
für das zukünftige Ensemble. Der Bestand
wurde dabei konsequent genutzt, inszeniert
und interpretiert. Kontext bezogene Arbeiten
zeigten, wie eine subtile Beobachtung und
Neuorganisation des vorhandenen Potenzials
städtische Räume auch ohne großen
Aufwand revitalisieren und aktualisieren
kann.
Wird dieses Ensemble von Teilräumen also
nicht nur kritisch gesehen, sondern als
Chance verstanden, setzt das bis dahin un -
er schlossene Potenzial des Bestandes
ungeahnte Möglichkeiten frei. Im Jahr 2013
zeigte das Ausstellungsprojekt, wie die
lose nebeneinanderliegenden Fragmente
ohne großen Aufwand zu einem spannenden
Quartier zwischen Kultur, Stadtzentrum
und Lebensraum entwickelt werden können.
Im Dialog zwischen Kunst, Stadt und Planung
entstand aus den Teilräumen zunächst
temporär ein beispielhaftes Ensemble, das
sich geradezu zur gemeinsamen Weiterentwicklung
anbot.
28
Ahnungslos im Park
Der hier angewendeten Strategie ist die
Nähe zum Situationismus anzumerken. Was
Guy Debord und seine Kollegen zum
Stadterkundungsprinzip in Form der dérive
als unvoreingenommenem Schlendern
beschrieben und umgesetzt haben, nutzt das
Projekt für seine eigene kuratorische Arbeit
und die aktuelle Stadtplanung des Zentrums.
Ohne vorgefasstes Ziel folgt es den Spuren
und Linien des Raums in ein noch unergründetes
Terrain aus verschiedensten
Bruchstücken und Wegebeziehungen. Im
Ahnungslosen verbirgt sich dabei eine
subtile, nahezu interesselose Unvoreingenommenheit,
die bar jeder Erwartung
der Ökonomie des Ziels und des Gewollten
entgeht und – wenn auch nur vielleicht –
das Unerwartbare zum Vorschein bringen
kann.
Die darin verborgene, nahezu romantische
Vorstellung einer kuratorischen Arbeitshaltung,
die dem Individuellen, Gewollten
zugunsten eines Gemeinsamen, sich selbst
Entwerfenden entkommt, wird auf der
Arbeitsebene durch etwas beschrieben, das
auch der nüchternen Terminologie der
Arbeitswelt entspringt. Denn das, was
all gemein unter „ergebnisoffenem Arbeiten“
gemeint und selten wirklich umgesetzt wird,
realisiert sich hier im ahnungslosen Traum
vom Park auf ebenso eigentümliche wie
konsequente Weise.
Situative Stadtentwicklung
Die entlang des Weges entwickelte Vorgehensweise
könnte man heute als „situative
Stadtentwicklung“ durch Kunst und Kultur
beschreiben. Die Artikulation und Transformation
der im Stadtraum auf ge spürten
Linien und Erzählungen durch Künstler und
Anlieger bezeichnen eine neue Form, Stadt
entlang ihrer meist unschein baren,
manchmal offensichtlichen, immer aber
gewachsenen Strukturen situativ weiter zudenken
und mit den unkonven tio nellen
Vorstellungen der Künstler zu verweben. Der
dadurch gegebene gemeinsame Aushandlungsprozess
in der Stadt gesell schaft initiiert
neben dem engeren nachbar schaftlichen
Klima einen Prozess gesellschaftlicher
Emanzipation der Akteure und die Übernahme
sozialer Verantwortung.

Weiterdenken
Das ursprünglich als temporäre Ausstellung
gedachte Projekt, das über verschiedene
Phasen langsam und behutsam in den
öffent lichen Raum diffundierte, anstatt ihn
mit feststehenden Tatsachen zu konfrontieren,
erwies sich als ein profundes und
äußerst nachhaltiges System, um die
verschiedenen städtischen Akteure miteinander
ins Gespräch zu bringen. Über die
Ausstellung kamen mehr und mehr städtische
Akteure zusammen, um gemeinsam über
die Zukunft des Abteibergs nachzudenken.
Mit der Stadtplanung wurde ein weitreichender
Diskurs über kommende Vorhaben
und Investitionen in das Ensemble aufgelegt.
Das STEP hat im allgemeinen Planungsprozess
für den Abteiberg dabei eine
fundamentale Standortbestätigung erfahren
und will sich zusammen mit VHS und
Musikschule zu einer räumlichen Einheit
verdichten. Diese machten wiederum zugleich
Vorstöße, sich stärker in das Ensemble
einzubringen und ihre Eingänge zum Park
hin zu verlegen.
Schon früh wurde auch die Düsseldorfer
Immobiliengesellschaft mfi (ab 2015
Unibail-Rodamco) als Bauherrin des Einkaufszentrums
Minto von MAP und Museum
in diesen nachbarschaftlichen Kommunikationsprozess
eingebunden. Sie konnte dafür
gewonnen werden, eine künstlerische Arbeit
für den neu entstehenden Sonnenhausplatz,
der heute den wesentlichen Teil des
Ensembles am Abteiberg darstellt, zu stiften.
Die Arbeit Donkey’s Way von Rita McBride
bildet heute den Nukleus des neuen
Innenstadtzentrums.
29

Unverhofft
Infolge des gemeinsamen Denkprozesses
öffneten sich dem Projekt auch unverhoffte
wie gemeinsam erarbeitete Möglichkeiten für
dauerhafte künstlerische Arbeiten im
öffentlichen Raum. So entschloss sich der
Museumsverein, die Arbeit Traumstraße von
Alex Morrison, die einen unwirtlichen
Hohlweg zwischen Museum und Innen stadt
in eine fabulös anmutende Passage verwandeln
konnte, anzukaufen und dauerhaft
einzurichten. 5 Die begehbare Installation
Geozentrik von Christian Odzuck, die bis
heute einem einst wenig frequentierten
Bereich des romantischen Buchenwalds im
Hans-Jonas-Park eine neue Widmung als
Treffpunkt ermöglicht, soll ebenfalls
zukünftig erhalten werden. Ein unauffälliger
Randstreifen entlang des Weges hat sich
durch Tanja Goethes unermüdlich
kultivierende Hand in einen stattlichen
Beinwellgarten verwandelt. Der Apfelgarten
von Antje Majewski verspricht erste Ernten,
und Ulrike Möschels Versunkene Wippe
oder Andreas Siekmanns Schimpfmantel
behaupten sich bis heute dank ihrer Beliebtheit
und der Fürsorge der Anlieger im öffentlichen
Raum. Zusammen mit anderen Arbeiten
der Ausstellung wie der von Thomas
Locher verknüpfen sie sich mit dem Bestand
städtischer Skulpturen und bescheren
Mönchengladbach unerwartet einen hoch -
karätigen Kunst- und Skulpturenweg im
öffentlichen Raum, der das gesamte kulturelle
Ensemble am Abteiberg miteinander
verbindet.
30
Von den Strömen der Stadt
Um den im öffentlichen Raum geführten
Diskurs auch im Fachkontext des Museums
fortzusetzen, kuratierten Markus Ambach
und Susanne Titz im Jahr 2016 gemeinsam
die Ausstellung Von den Strömen der Stadt.
Bewusst im Umfeld aktueller Kunst produktion
angesiedelt, fragte sie analog zum
Projekt im öffentlichen Raum gerade
eine junge Künstlergeneration unter 35 nach
der aktuellen Lage des Öffentlichen an
sich: Welche Bedingungen stellen sich an die
Veröffentlichung spezifischer Verhältnisse,
Personen und Räume? Wie interagieren
Intimität, Subjekt und Integrität mit einem
exhibitionistischen Öffentlichkeitsdiktat?
Welche Ökonomien diktiert das Öffentliche,
und sind sie transformierbar? Wie konstituieren
sich neue Formen des Öffentlichen –
gerade auch in der Kunst als Ort kultureller
Produktion?
Mit der umfangreichen Ausstellung wurde
dem Projekt Ein ahnungsloser Traum
vom Park also ein adäquater Diskurs im
klassischen Feld der Kunst zur Seite gestellt,
um beide Bereiche wieder aufeinander
zuzuführen. Die Auseinandersetzung mit
dem Begriff des „Öffentlichen“ im Kunstdiskurs
des Museums bereicherte wiederum
die Ein griffe, Aktionen und Ereignisse im
städtischen Raum um einen reflektierenden
wie eigenständigen Kommentar.
Von der Stadt und dem Esel
Mit dem Sonnenhausplatz und der Arbeit
Donkey’s Way von Rita McBride wurde
im Jahr 2016 schließlich das erste gemeinsam
erarbeitete Teilensemble des Stadtent wicklungsprozesses
eröffnet. In einem koopera tiven
Prozess zwischen Kunst und Stadtplanung
konnten zwei gemeinsam organisierte Wett -
bewerbe zur Gestaltung des Platzes mit
einer umfangreichen Umfeldrecherche und
den Anliegern zusammengeführt werden.
Die Landschaftsplaner von lohrer.hochrhein
arbeiteten dabei vorbildlich kollegial mit
der Künstlerin zusammen, um mit allen
Akteuren und Anliegern einen Ort zu
schaffen, der als neues Zentrum der Stadt und
urbane Mitte des Abteibergs gesehen
werden kann.
Ganz im Sinne jener Logik, die Rita McBrides
Arbeit in ihrer subtilen Symbolik der
Eselswege aufgreift, widmete sich also auch
das Projekt Ein ahnungsloser Traum vom
Park den verschlungenen Pfaden der
städtischen Protagonisten, um seinen eigenen
Weg erst beim Gehen zu entwerfen. Zu -
nächst als Idee einer Ausstellung begonnen,
entwickelte es sich mit den Gegebenheiten,
Umständen und städtischen Bedürfnissen,
aber besonders entlang der Energie,
Begeisterungsfähigkeit und Initiative der
Anlieger, Künstler und Bewohner zu einem
komplexen, kooperativen Prozess der
Stadt, der heute als beispielhaft bezeichnet
werden darf. Er macht deutlich, wie sich
die Stadt in der Erschließung der oft
unbemerkten vielfältigen Potenziale einer
heterogenen Urbanität wieder als Raum einer
Polis aufstellt, in der ihre Zukunft gemeinsam
verhandelt wird. Dass dieser offene
Prozess gerade das Neue, noch nicht Gedachte
– und somit Zukünftige – zu entwerfen
vermag, hat die ahnungslose Suche nach einer
neuen Stadt am Abteiberg gezeigt.
Markus Ambach
1| Im Gesamtentwurf des Museums Abteiberg
blockiert ein Privathaus, das ursprünglich von einer
Passage durchbrochen bzw. von der Stadt
angekauft und umgestaltet werden sollte, den von
Hollein geplanten Durchbruch vom Museum zur
Hindenburgstraße.
2| Novalis, Heinrich von Ofterdingen, Frankfurt am
Main 1982 (Erstausgabe 1802).
3| Stabil Elite sind Lucas Croon, Nikolai Szymanski,
Martin Sonnensberger und Timo Hein.
4| Dirty Mirrors sind Aura Rosenberg, John Miller und
Dan Walworth.
5| Gefördert durch das neu konzipierte städtische
Förderprogramm zur Wohnumfeldverbesserung durch
bürgerliches Engagement 2015 / 2016.

31

An Innocent Dream of a Park
Context
Museum Abteiberg, the Sculpture Garden,
Hans-Jonas-Park, and Mönchengladbach’s
inner city – neighbors seemingly unaware of
their mutual proximity. Around the Museum
Abteiberg, in the heart of the city, a wayward
and fragmented terrain has established
itself, comprising historical ensembles
such as the Mönchengladbach Basilica and
Hans Hollein’s legendary museum, as
well as dismembered park struc tures, almost
forgotten landscape fragments, urban
inner-city areas, and a heterogeneous neighborhood.
Partly inhospitable, partly
romantic passageways connect this mélange
of the most diverse types of spaces, creating
a tapestry of informal neighborhoods.
Simul taneously scattered, yet possessing
considerable potential, the terrain surrounding
the Abteiberg poses great challenges and
raises complex questions about its future. How
can public spaces connect with each other to
form a new center that defines itself as a
communal space for the city’s inhabitants?
How can the various neighbors come
together to form a productive neighborhood
and lend this terrain a new choreography
that underscores its potential and its relations
to its surroundings?
Similarly, certain questions arise in an artistic
context as well. Can cultural work prompt
an interdisciplinary dialogue which leads to
a new collective conception of urban
society in planning its public spaces? What
potential for artistic thought is concealed
within the fragmented landscape surrounding
the Abteiberg? Can new narratives give the
informal, ambivalent, and broken spaces of its
protagonists and stories new meaning within
the broader social discourse?
32
A Beginning
The project Ein ahnungsloser Traum vom
Park [An Innocent Dream of a Park] searches
for a collective future for these places and,
over several phases and years, has been
co nnec ting Mönchengladbach’s Museum
Abteiberg with the larger urban ensemble of
museum and public art, city and park,
traditional neighbors and new neighborhoods.
Since 2012 Museum Abteiberg and the
project platform MAP have collaborated on
this project. In addition to discussing new
forms of cooperation between institutions,
independent agents, and the city, it has
continuously developed and implemented a
series of complex interventions that have
led to the exemplary transformation of the
urban context of Museum Abteiberg. The
initial point of departure for this ongoing
collaboration was the museum and its
sculpture garden – an impressive outdoor
ensemble of contemporary art that nonetheless
remains in relative obscurity behind the
museum. Since its opening in 1982, the
continually expanding collection of works
by renowned artists such as Claes Oldenburg,
Mauro Staccioli, Larry Bell, Giuseppe
Penone, Jorge Pardo, Dan Peterman, and Franz
West populating the garden seems to have
escaped the notice of the museum’s numerous
visitors. The grounds, which Hans Hollein
planned and executed with landscape
architect Peter Latz in concert with his
spectacular museum, seem to have suffered
from this peculiar invisibility right from
the start. Even though Hollein’s rigorously
postmodern design foresaw a variety of
labyrinthine connections between the
museum, its garden, and its urban surroundings
through various passages and
entryways, the sculpture garden has by and
large remained detached from both the
city and the museum.
Detours
This is not without cause. The research
conducted by Markus Ambach and MAP at
the museum’s request showed that their
poor visibility could not be blamed on any
lack of attractiveness on the part of the
artworks in the sculpture park. Rather, the
main culprits were found to be the spatially
dysfunctional relationship between the
museum and its garden, as well as the
dysfunctional integration of the terrain into
its urban environment. In particular, the
original architectonic arrange ment of the
labyrinthine paths, with their manifold
connections within the ensemble, which may
present orientation challenges for some
visitors, had been disrupted by the relocation
of entryways and other significant points
of reference.
The main entrance is the nucleus of this
disturbance. To date it has not been possible
to use the central entryway as originally
planned by Hollein – leading from the
Hindenburgstraße, an important urban axis,
over the museum building’s plateau and
into the museum itself. 1 Instead, the museum
has been forced to use a side entrance as
its main point of entry.
The actual main entrance – which, according
to Hollein’s plans, would have led visitors
toward the museum from the city center via
a luxurious outdoor terrace that would
allow them a grandiose view onto the then
new “rice terraces” below, as well as the
old Abtei garden – is today merely used as a
side entrance. Most visitors thus miss out
on the terrace’s generous open spaces, which
disrupt the architecture, and which
Hollein planned to use to stage an example
of postmodern urban landscape par
excellence. The same goes for the congenial
dramaturgy of the hidden passageway into
the building that houses the collection,
through a glass pavilion, which celebrates
the museum as a mine of cultures, invoking
romantic ideas worthy of Heinrich von
Ofterdingen. 2
The unfinished state of Hollein’s architectural
dramaturgy, which should be understood
as theatrical choreography, does not just
affect the perception of the entire ensemble.
It has also had an impact on the sculpture
garden: for many visitors, the park simply
doesn’t exist.

33

Fragments
Worse still, the ensemble is entrenched in
what seems like a battlefield of highly
fragmented urban spaces. Walking through
the complex terrain surrounding the
Abteiberg, one encounters the most hetero -
geneous spatial qualities. The route from
the museum’s sculpture garden, which urban
pedestrians primarily use as a shortcut
between the basilica and the downtown area,
to the new city center at Sonnenhausplatz,
comprises a series of disparate harmonious
spaces that are barely linked to each other.
Even in their original form, these spaces
offer a dis organized yet unimagined urban
potential. More “natural” spatial fragments
such as the marginally cultivated part of
the Hans-Jonas-Park, populated by towering
beech trees, as well as significantly more
developed parts with exciting neighbors including
the STEP youth center, the community
college, and other high-quality yet seemingly
scattered sculptures by artists such as
Ferdinand Kriwet and Wolfgang Hahn, are
all criss crossed by unclear passageways and
urban sequences that often seem incomplete.
In particular, the constellation in front of the
museum’s main entrance – consisting of
the classical Haus Erholung, the entrance to
a parking garage, the delivery entrance
for the museum, as well as various abandoned
areas, all mixed in with wonderful works
by Robert Morris, Thomas Rentmeister, and
Gregor Schneider – involun tarily serves
to intensify the impression of an ambivalent
conflict zone.
34
Art and Context
Against this backdrop, it seemed both
necessary and appealing not just to concen -
trate on the terrain surrounding the museum,
but also to thematize the entire Abteiberg
in all its complexity. Thus the more or less
unused urban spaces of possibility lying right
next to each other formed the basis of the
project’s ambivalent potential. The project
soon found itself organizing discussions about
the unusual context from the perspectives
not only of art and culture, but also of the
residents and neighbors, while also trying to
lend the site a new narrative by developing
a more coherent choreography.
Come Together
The project consistently worked with what
was already there. It was not just the various
spatial fragments, but also the relationships
with the neighborhood that became the
first and central chapter of the project. As
the series of events held in the sculpture
garden in 2012 showed, local neighborhoods
are especially important in reconceptualizing
the potential of a location. Whereas
museum visitors, during their specific
touristic activities, would only visit the park
once, the neighborhood has the ability to
permanently transform the park into a vital
and useful urban space. Thus in the
project’s first year, attention was primarily
focussed on this neighborhood, and it
soon became evident that this was a source
of inexhaustible potential. Whether
through the STEP, the community college, or
the music school, the museum’s surroundings
soon proved to be the city’s creative center.
Neighbors
The STEP youth center even became a
permanent partner in the project. Young
people’s various interests, especially in
the field of music, were of central importance
in forming the basis for the development
of a continuous program, to be presented on
a stage in the sculpture garden especially
designed by Christian Odzuck. For their
Teatro di Mondo, the youth groups autonomously
organized an annual series of
concerts between 2012 and 2015, ranging
from Indie to Death Metal. The music
program was supplemented with live perfor -
mances by legendary musicians such as
Manuel Göttsching and Stabil Elite, 3 as well
as artist bands such as Dirty Mirrors, 4
which centered around John Miller.
On the same stage, various discussions were
also held: on the philosopher Hans Jonas,
for example, after whom the neighboring park
was named, or on the current state of
urban planning. Poetry slams, readings, city
and park tours as well as open-air film
screenings supplemented the extensive
program. Events like communal picnics or a
lunch organized by the artist Arpad Dobriban
also invited the neighborhood to actively
use the sculpture garden as an urban space
and appropriate it for themselves.

An Innocent Dream of a Park 2013
In the project’s second year, the artistic
impulse increasingly moved outward from
the park and into its rejuvenated neighborhood
and the surrounding city. In a large
exhibition throughout the entire public
space of the Abteiberg, various artists re -
in ter preted unused and inconspicuous
situations to show how even abandoned
sites can be given an up-to-date and
memorable identity through focus and interest.
These artists connected unfamiliar paths,
passages, and outdoor spaces between
the sculpture garden and the new city center,
producing a coherent choreography. The
exhibition presented sculptures and various
interventions, critical spatial sketches,
visionary ideas, and new considerations for
the future ensemble. The inventory was
thoroughly put to use, staged and interpreted.
Context-specific works showed how subtle
observation and reorganization of the
potential already existing in urban spaces
can revitalize and update them without
enormous effort.
As this ensemble of partial spaces was seen
not only in critical terms but also as an
opportunity, the project was able to develop
the untapped potential of the existing
spaces into unimagined possibilities. The
2013 exhibition project showed how, without
too much effort, the adjacent but loosely
connected fragments could be developed into
an exciting quarter comprising art, the
city center, and various living environments.
As a result of this dialog between art, the city,
and planning, the partial spaces were
transformed into a model ensemble which
offered many possibilities for further,
collective development.
Innocent in the Park
A certain proximity to situationism can be
recognized in the strategies used here.
The method of exploring the city that Guy
Debord and his colleagues described and
practiced in the form of dérive – impartially
wandering through the city – has been
adapted by the project for its own curatorial
work as well as in current planning for
the city center. Without a preconceived goal,
it follows the traces and lines of the space
into uncharted territory consisting of the most
diverse fragments and footpaths. Innocence,
in this sense, contains a subtle and almost
disinterested impartiality devoid of any
expec tations, which thus manages to escape
the economy of goals and intentions –
perhaps, or only possibly, bringing the unex -
pected into play.
Implicit here is the almost romantic idea of a
curatorial practice and attitude which shy
away from individual intentionality in favor
of a collective, self-unfolding process. In
terms of work, a term borrowed from the
sober vocabulary of the workplace can be
applied. What is generally intended by “openended
work” is rarely achieved in practice,
though it has been realized here in a peculiar
and consistent way.
MEG CRANSTON
PIle of Dirt
(water available)
Dreckhügel
(Wasser verfügbar)
S. 31
INA WEBER
Bahnhofsviertel
Train Station Quarter
HENNING FEHR
PHILIPP RÜHR
Der Totenkopf;
das internationale
Symbol der Idioten
The Skull; International
Symbol of the Idiots
ULRIKE MÖSCHEL
Versunkene Wippe
Sunken Seesaw
ALEX MORRISON
Traumstraße
Dream Street
CHRISTIAN ODZUCK
The Rising of the Milky
Way – Ein Kollektiv aus
Fleisch und Blut
The Rising of the Milky
Way – A Flesh-and-Blood
Collective
35

Situational Urban Development
Today, therefore, the approach developed in
the processes sketched above could be
described as “Situational Urban Development”
through art and culture. The articulation
and transformation of the city’s lines and
narratives by artists and neighbors marks a
new form of thinking the city along its
inconspicuous, though occasionally obvious,
and always preexisting structures, as well
as a new way of combining these with artists’
unconventional ideas. The resulting process
of collective negotiation within the urban
community initiates a neighborly atmosphere,
and a process of social emancipation for
the agents involved and the transfer of social
responsibility.
Thinking Further
The originally temporary exhibition project,
whose various phases spread slowly and
carefully into public space, as opposed to
confronting it with fixed situations, ultimately
proved to be a profound and extremely
sustainable method of getting various agents
within the urban environment to engage in
a conversation. Through the exhibition,
more and more urban agents came together
to think about the future of the ensemble
at the Abteiberg. With respect to urban
planning, the project has brought about a farreaching
discourse about future plans
and investments in the ensemble. The STEP
youth center has received fundamental
recognition in the planning process for the
Abteiberg and will be consolidated into a
spatial ensemble together with the community
college and the music school. This likewise
involved initiatives to integrate the
ensemble more strongly and accordingly to
relocate their entrances to the park.
36
MAP and the museum integrated the
Düsseldorf real estate company mfi (Unibail-
Rodamco Germany from 2015 on), builder
of the Minto shopping center, into the neigh -
borhood communications process at an
early stage. The company was eventually
persuaded to sponsor an artistic work for the
newly developed Sonnenhausplatz, which
makes up the most essential part of the
ensemble today. Thus the work Donkey’s
Way by Rita McBride now forms the nucleus
of the new inner-city center.
Unexpectedly
In the course of this collective thought process,
the project also opened up unexpected
and collectively developed possibilities for
permanent artworks in the public space.
Thus the museum decided, for example, to
purchase and permanently install Alex
Morrison’s work Traumstraße [Dream Street],
which could transform an unappealing
path between the museum and the city center
into a fabulous passageway. 5 Similarly, the
usable installation Geozentrik by Christian
Odzuck, which enabled one of the most
rarely frequented locations in the Hans-Jonas-
Park’s romantic beech forest to be repurposed
as a meeting place, is also scheduled to
be preserved. An inconspicuous strip of land
alongside the path has also been transformed
into an impressive comfrey garden by
Tanja Goethe’s tireless cultivation efforts.
Antje Majewski’s Apfelgarten [Apple Garden]
is scheduled for its first apple harvest,
while Ulrike Möschel’s Versunkene Wippe
[Sunken Seesaw] and Andreas Siekmann’s
Schimpfmantel [Cloak of Abuse] are still
holding their ground thanks to their popularity
and the care they get from the
museum’s neighbors. Other works from the
exhibition, such as Thomas Locher’s,
have been combined with the city’s collection
of sculptures, unexpectedly endowing
Mönchengladbach with a high-grade art and
sculpture garden in this public space that
links together all the various elements of the
entire cultural ensemble at the Abteiberg.
On the Currents of the City
In order to continue the discourse, previously
conducted in the public space, within the
specialist context of the museum, in 2016
Markus Ambach and Susanne Titz cocurated
the exhibition Von den Strömen der Stadt
[On the Currents of the City]. Consciously
positioned within the framework of contem -
po rary art production, the exhibition, like
the public project, asked a selection of young
artists – all aged under 35 – questions
about the current state of the public arena as
such. What conditions are connected with
the publicization of specific relations, persons,
and spaces? How do intimacy, subject, and
integrity interact with the public dictates of
exhibitionism? What economies does the
public arena dictate, and can they be transformed?
How are new forms of what is
public being constituted in art as a site of
cultural production?
The extensive exhibition complements the
project Ein ahnungsloser Traum vom Park
with a discourse more adequate to the classical
field of art, hopefully bringing them closer to
each another. The engagement with the
concept of “the public” within the artistic
discourse of the museum in turn enriches the
interventions, actions, and events in the
urban environment with reflect and independent
commentary.

On the City and the Donkey
The first collectively developed partial
ensemble in the urban development process
was finally opened in 2016 along with the
new Sonnenhausplatz and Rita McBride’s
work Donkey’s Way. In a collaborative
process between art and urban planning, it
was possible to combine two collectively
organized competitions for the design of the
square with extensive environmental
research and the neighborhood. The landscape
designers lohrer.hochrein worked collegially
with the artist Rita McBride and various
other agents and residents of the city, to create
a location that functions as the city’s new
center and the urban midpoint of the Abtei -
berg.
Much like the logic subtly embodied by Rita
McBride’s donkey paths, the project Ein
ahnungsloser Traum vom Park is devoted to
the intertwining paths of the city’s protagonists,
and it too has figured out its own path
in the process. Initially conceived as an
exhibition, it developed in response to existing
facilities, conditions, and urban needs, but it
could not have done so without the energy,
eagerness, and initiative of the various
neighbors, artists, and residents who worked
in tandem with the project to develop a
complex, cooperative urban process, which
can be described as exemplary today. It
shows clearly how the city can establish itself
as the space of a polis in which the future
is negotiated collectively, by tapping into the
often unnoticed potential of its heterogeneous
urban environment. That such a process
is capable of conceptualizing the new, the as
yet unthought – and thus the future – has
been ably demonstrated by our innocent quest
for a new city at the Abteiberg. Markus Ambach
ANDREAS SIEKMANN
Zum Beispiel Emissionsmantel
Emissions Cloak, for Example
INA WEBER
Wartehäuschen / Bus Shelter
VESKO GÖSEL
Pentaprisma Mönchengladbach
Pentaprism Mönchengladbach
RITA MCBRIDE
Donkey’s Way
THOMAS LOCHER
Imperativ / Aufforderungen, Befehle und Kommandos
Imperative / prompts, orders and commands
JAKOB KOLDING
ohne Titel / untitled
1| Hollein’s overall design for Museum Abteiberg
envisioned outward expansion toward Hindenburgstraße,
which is blocked by a privately-owned building
that was originally meant to be penetrated by a
passageway or purchased by the city and redesigned.
2| Novalis, Heinrich von Ofterdingen, Frankfurt am
Main 1982. First published in 1802.
3| Stabil Elite are Lucas Croon, Nikolai
Szymanski, Martin Sonnensberger, and Timo Hein.
4| Dirty Mirrors are Aura Rosenberg,
John Miller, and Dan Walworth.
5| Supported by the newly-conceived urban
development program to improve the living environment
through civic engagement 2015 / 2016.
37

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INA WEBER
Bahnhofsviertel
2013
Das Bahnhofsviertel von Ina Weber ist eine tiefe Schlucht verschiedener Hochhäuser mit
Ladenzeile im Erdgeschoss. Lakonische Bauten, die sich durch sparsame Zitate von
Bauformen an die Jahrhundertwende anlehnen und durch serielle Elemente der 1950er-
Jahre zusammenfügen. Es sind Versatzstücke einer allseits bekannten Architektur, einer
betongemachten Ideologie deutschen Städtebaus der Nachkriegszeit, wie sie überall zu
finden sind. In dieser Häufigkeit wirken sie so charakteristisch und vertraut, dass erst der
körperliche Kontakt ihre Dimensionen ins rechte Licht rückt: Am harten Beton kann
man sich das Schienbein stoßen. Die tiefe Schlucht ist in Wahrheit ein Stolperstein, ein
wiederverwendbarer architektonischer Bestandteil, ein Objekt aus undurchlässigem
Baustoff.
Ein Bahnhofsviertel ist üblicherweise eine lebendige Durchgangssituation, geprägt von
ständiger Fluktuation und stetiger Veränderung – hier ist sie jedoch massiv gewordener Block.
Durch die serielle Aneinanderreihung der Hauselemente und eine gewisse Detailarmut
verringert sich die Spezifik dieses Ortes. Anders als bei Webers Wartehäuschen, das durch
wenige Elemente aus einem einfachen Bushäuschen einen speziellen Ort, eine beleuchtete
Szenedisco macht, wird durch die Wegnahme alles Besonderen – etwa der Leuchtreklame
und aller menschlicher Spuren – sowie das Schrumpfen zur Miniatur dem Viertel seine
Eigenheit genommen. Der Grad der Abstraktion überträgt sich auch auf die Maßstäblichkeit.
Der Bau ist keineswegs auf Grundlage eines existenten Vorbilds 1:1 herunterskaliert. Die
Fenster stehen in einem eigenartigen Größenverhältnis zur Tür und sind damit weder durch
den Schrumpfstrahl gegangene Realität noch kann das Viertel umgekehrt als auf Vergrößerung
angelegter, utopischer Modellvorschlag einer realen Nutzung intendiert sein.
So ist man zurückgeworfen auf die Vermessung des Kunstwerks in Bezug auf andere
Körper: den der Künstlerin im Entstehungsprozess, den eigenen beim Betrachten und den
des Umraums der Skulptur. Die Wahrnehmung des Viertels in seiner skulpturalen
Qualität lässt also auch seine Umgebung als Ort mit spezifischen Eigenschaften hervortreten:
die Plattenebene des Museums Abteiberg. Ein Ort mitten in der Stadt, der sich trotz
seiner zentralen Position immer wieder mit seiner schwierigen Erreichbarkeit, seiner versteckten
Lage beschäftigen muss. So regt er auch dazu an, über die Funktionszusammenhänge
von Architektur, moderner Städteplanung, den Vorstellungen und Zielen eines modernen
Zusammenlebens nachzudenken. Orte haben schließlich eine Umgebung, mit der sie
umgehen und sich in Bezug setzen müssen; Bedürfnisse, die zu erfüllen gut für sie wäre.
Stephanie Regenbrecht
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INA WEBER
Bahnhofsviertel
Train Station Quarter
Beton / concrete
Courtesy Galerie
Hammelehle und Ahrens
2013
Bahnhofsviertel [Train Station Quarter]
Bahnhofsviertel [Train Station Quarter] by Ina Weber is a deep canyon of different high-rises
with storefronts all along the ground floor. Laconic buildings that allude to the turn of the
century through their spare citations of architectural forms, but whose serial elements from
the 1950s allow them to coalesce. Set pieces for a type of architecture known everywhere – a
mighty, concrete, ubiquitous ideology applied to the building of German cities in the
post-war era. Seen all around, these buildings become so typical and familiar that they can
only be viewed in the right light by making physical contact with them and their actual
dimensions: shins can be barked on hard concrete. The deep canyon is actually a stumbling
stone, an architectural prop, an object made of impermeable construction materials.
The area around a train station is a lively place, full of transitions, characterized by constant
fluctuation and change; here, it’s been turned into a massive block. By setting up the
building elements serially, side by side, and dispensing with details, Weber diminishes the
specifics of this place. Unlike her Wartehäuschen [Bus Shelter], which uses a few compo -
nents taken from the simple structure of a bus shelter to create a popular, illuminated nightclub,
here the subtraction of everything specific – neon signs, all traces of humanity – and the
miniaturization of the buildings robs the whole quarter of its idiosyncrasy. This strong
abstraction is carried over to its scale. The structure is not scaled down to match an existing
model. The windows are out of proportion to the door; they are not like something real
that has been zapped with a shrink ray, nor can the neighborhood be considered a utopian
model that can be enlarged for actual use. The only remaining possibility is that we’re
meant to measure it in relation to the physical body: the artist’s body, while it was being
made; our own bodies, while we’re looking at it; and the body of the environment surrounding
the sculpture. Thus perceiving its sculptural quality allows its sur round ings to emerge
as a place with qualities of its own: the flat planes of the Museum Abteiberg. A place in the
midst of the city, which, despite its central position, always has to deal with its accessibility,
its hidden location. This also allows us to think about the functional context of architecture,
modern urban planning, and ideas and goals for modern co-existence. Even places have
surroundings that they have to deal with, as well as needs that would be good for them to
fulfill.
Stephanie Regenbrecht
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JESSICA GISPERT
Sublimations
2013
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In ihrer Arbeit Sublimations transformiert Jessica Gispert Reproduktionen verschiedener
Werke der großen Sammlung des Museums Abteiberg. Sie spannt die Bilder, setzt sie
Wind und Wetter und vor allem der Materialität ihres Untergrunds aus, indem sie die Bilder
auf andere Materialien überträgt: Stoff, Stretch, Leggings – dieses Kleidungsstück, das
in der urbanen Jugendkultur aktuell sein bunt gemustertes Revival erlebt. In der zunächst
unkonventionell erscheinenden Methode, nämlich dem kraftvollen Spannen durch
Gispert, die an den Stoffen zerrt, sie so dehnt und anschließend unter und über Stock und
Stein der Reisterrassen des Abteibergs wickelt – wirken die Bedeutung des Inhalts und
die Leichtigkeit des Materials kollektiv.
In den Naturwissenschaften wird der Prozess des unmittelbaren Übergangs eines Stoffes
vom festen in den gasförmigen Aggregatzustand als Sublimation bezeichnet. In der
psychoanalytischen Deutung beschreibt die Sublimation die Überführung von sexuellen
Trieben in andere Bereiche; quasi die Nutzung ihres energetischen Potenzials für die
Umsetzung höherer Ziele. Dieser Deutung folgend, führt mancher die Entstehung der gesamten
menschlichen Kultur oder ihrer Produkte auf diese Prozesse zurück.
Die Sublimation in der Arbeit Gisperts funktioniert damit eigentlich vice versa und verursacht
so ein Schmunzeln. Indem sie sie als Dekor auf popbunten Textilien verwendet, über -
führt die Künstlerin die bereits durch Aufnahme in die renommierte Museumssammlung
zu Hochkultur geadelten Kunstwerke in die Populärkultur. Dabei werden ihre Motive
als Muster modischer Kleidungsstücke keineswegs ihrem Zweck entfremdet, sondern erhalten
als gestaltendes Element überhaupt erst einen solchen – und zurren so die heute immer
enger wirkenden Bereiche von Kunst und Design einmal mehr zusammen. Der Stretch ist
als elastisches Gewebe bereits auf Verformung, aber auch auf schmiegsame Anpassung
ausgelegt. Roh ist diese Form der Installation im Sinne des direkten Krafteinsatzes, der es
vermag, das Abgebildete in Spannung zu sich selbst und seinem Kontext zu setzen und
so jene Anstrengung zu versinnbildlichen, die es in der künstlerischen Praxis bedeuten kann,
überhaupt eine Form zu erhalten. Doch der kreative Prozess findet in der bildenden Kunst –
ob bewusst oder unbewusst – auch immer in der Auseinandersetzung mit Vorbildern
und Vorgängern statt. Diese manifestieren sich in einer kanonischen, kulturell oftmals ein -
bahnigen Kunstgeschichte, in deren Grenzen sich die Akteure des Kunstbetriebs zu
bewegen haben und die zu durchstoßen einen ebensolchen Kraftakt erfordert, wie ihn
Jessica Gispert hier bildhaft vor Augen führt.
Stephanie Regenbrecht

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JESSICA GISPERT
Sublimations
Sublimationen
Leggings, Garn
leggings, yarn
2013
S. 43 mit / with
JORGE PARDO
Garbage Cans / Mülleimer
Bronze / bronze
2002
S. 45 mit / with
CLAES OLDENBURG
Soft Inverted Q
Weiches umgedrehtes Q
Beton, Kunstoffbeschichtung
concrete, coating
1976–1979
Sublimations
In her piece Sublimations Jessica Gispert transforms images of various works from the Museum
Abteiberg’s large collection. She stretches them, exposes them to wind and weather, and
above all, subjects them to the material they are printed on: textiles. Or, more specifically, stretch
fabric, or leggings – an item of clothing that is currently enjoying a colorfully patterned
revival among urban youth. In what at first seems to be an unconventional method – the strong
gesture of stretching – Gispert twists, stretches, and wraps the fabric under and over the
rough and smooth surfaces of the Abteiberg’s terrace. The contextual significance and the
lightness of the material have a combined, collective effect.
In the natural sciences “sublimation” describes a process in which a material’s aggregate state
is directly transformed from a solid to a gas. In psychoanalysis, “sublimation” means
the transference of sexual drives from one area to another, using their energetic potential for
realizing higher goals. Pursuing this interpretation, some trace the creation of all of human
culture or its products back to this process.
In Gispert’s work sublimation actually functions in the opposite way, thus giving rise to
the occasional smirk. By printing onto trendy, colorful clothing works of art that have become
“high culture” through being exhibited in the museum’s renowned collection, these works
have been transferred to popular culture. As patterns on fashionable clothing, the motifs are
not at all disengaged from their purpose; rather, using them like this allows them to
function as an element of creativity, and in this way the artist binds the fields of art and design
even more closely together than they already are these days. As an elastic kind of textile,
stretch fabric is already intended for deformation, as well as for smooth adaptation. This type
of installation is raw in its direct use of strength; through its capacity to put an image into
a tense relation ship with itself and its context, it visualizes the effort that artists must make
in order to find forms in the first place. Yet in the visual arts the creative process also
always occurs – consciously or unconsciously – through the exploration of role models and
precursors. A canonic kind of art history that is often a cultural one-way street needs to
have its boundaries moved by those in the art world, and breaking through these boundaries
requires an act of strength of the kind Jessica Gispert displays here. Stephanie Regenbrecht
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HENNING FEHR / PHILIPP RÜHR
Der Totenkopf; das internationale Symbol der Idioten
2013
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Es macht vielleicht Sinn, einmal ernsthaft darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn
die vielen kleinen Hinterhöfe der großen Stadthäuser ihre Mauern loswerden und zusammen
einen größeren öffentlichen Platz für alle Anwohner bilden würden.
Die verschiedenen Umweltzonen in den deutschen Innenstädten resultieren aus den
Katalysatoren beziehungsweise den Abgasen der Autos, die dort unterwegs sind. Autos sind
gefährlich, teuer, laut und zerstören die Welt, in der wir leben. Es gibt gerade in letzter Zeit
vermehrt kommerzielle Initiativen wie Carsharing oder ähnliche Geschäftsmodelle, die den
Versuch unternehmen, das Autoproblem durch die gemeinschaftliche Nutzung zu lösen.
Nebenbei wird damit auch das Platzproblem adressiert. Bislang wird annähernd jeder
verfügbare Raum links und rechts der Straßen als Parkplatz für gerade nicht benutzte Autos
verwendet, um den enormen Raumbedarf der Automobile und ihrer Besitzer zu befriedigen.
Die vereinzelt dazwischen aufgestellten Bäume sind eher Naturzitat als Naturersatz.
Straßen werden bundesweit ausgebaut und zunehmend miteinander verbunden. Der Baukrebs
wuchert. Innerstädtisch findet und fand mithilfe von Fußgängerzonen eine teilweise
Subtraktion von der Wachstumsgleichung statt – eine Reaktion auf die Dummheit vorangegangener
Entscheidungsträger.
Macht man sich Gedanken zur modernen Stadt im sozialen, umwelttechnischen und
räumlich- baulichen Kontext, so steht das Auto auf der Liste der zehn wichtigsten alltäglichen
Probleme.
Wenn das Nachdenken über Autos jedoch weiterhin überwiegend der Industrie überlassen
wird, wird es keine wesentlichen Fortschritte im Bereich der Stadtgestaltung geben.
Ein gutes Spektrum an Versicherungen kann mich von den finanziellen Folgen meiner
Unfähigkeiten befreien. Meine jeweiligen Fehltritte aber gehören dann schon längst
anderen Kreisläufen an. Einem Filmschnitt gleich, der zwei Bilder aneinanderbinden kann,
oder dem Semikolon, das die Sätze voneinander trennt, verläuft hier die Grenze zwischen
Zeichen und Erfahrung.
Der Totenkopf ist das am häufigsten tätowierte Motiv. Adolf Loos hatte sicherlich unrecht
damit, in seinem weithin bekannten Vortrag Ornament und Verbrechen Tätowierte als
Verbrecher zu diskreditieren. Ein allgemeines Prinzip, dessen Loos sich hier bedient, besteht
darin, eine bestimmte Schnittmenge als negativ zu deklassieren, um sie ausschließen zu
können und anderen Aspekten damit mehr Raum zu verschaffen. Sein Ergebnis bei der
Anwendung dieses Verfahrens: ein Plädoyer für freie Flächen und keine Zeichen, um später
freie Flächen als Zeichen zu formulieren. Der Totenkopf; das internationale Symbol der
Idioten soll eurem Geist als Stütze dienen. Henning Fehr, 2013

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PHILIPP RÜHR / HENNING FEHR
Der Totenkopf; das internationale Symbol der Idioten
The Skull; International Symbol of the Idiots
BMW 3er, Schriftzug sandgestrahlt
BMW 3, sandblasted font, 2013
S. 46 / 47, im Hintergrund / in background
LARRY BELL
Arolsen Piece
Farbglas / colored glass, 1992
The Skull; International Symbol of the Idiots
It would make sense to seriously imagine what it would be like if all the small backyards of
the big apartment buildings lost their walls and merged into a bigger public space for all
inhabitants.
The various low emission zones in German cities are addressed at the catalytic convertors and
exhaust pipes on the city streets. Cars are dangerous, expensive, and loud. They destroy
our environment. The recent increase in commercial initiatives like car-sharing or similar
business models represents an attempt to solve the cost and space issues posed by cars
by apportioning them. Almost every free space to left and right of the street has to be used as
parking space for idle cars in order to satisfy the enormous spatial demands of automobiles
and their owners. The scattered trees between them seem more like mere citations of nature
than any kind of compensation. Networks of roads are expanding and being consolidated
nation wide. The constructive cancer is proliferating. In inner cities, at least, pedestrian areas
subtract from this growth equation – a response to the stupidity of previous decision makers.
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The automobile is one of the ten most important everyday problems that we need to
consider in thinking about the modern city in terms of social, environmental, and spatialarchitectural
concerns.
If we continue to leave critical reflection on cars to the automobile industry, there will be no
substantial improvements in the city, and by extension humanity. A broad spectrum of
insurance contracts can free me from the financial consequences of my incompetence. My
missteps have long belonged to another metabolism. Like a cut joining two images or a
semicolon that separates sentences, this is where the border runs between sign and experience.
The skull is the most frequently tattooed motif.
Adolf Loos was certainly wrong to revile people with tattoos as criminals and degenerates
in his famous article Ornament and Crime. He did, however, succeed in serving a more
general principle: negatively formulating a particular group in order to exclude it and create
more space for other components. His conclusion: free surfaces, no symbols, so that we
could later formulate free surfaces themselves as symbols.
The Skull; International Symbol of the Idiots should support your mind. Henning Fehr, 2013
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MEG CRANSTON
Pile of Dirt (water available)
2013
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Der gepflegte Skulpturengarten wirkt mit seinen zahlreichen künstlerischen Arbeiten für
einen öffentlichen und zugleich naturnahen Ort teilweise überformt. Als Park eines
Museums scheint er zudem mehr den musealisierenden und akkumulierenden Elementen
kultureller Räume zugetan als den vitalen, fluktuierenden Formen eines städtischen
Lebensraums.
Im Zuge des Ausstellungsgedankens, den Skulpturengarten wieder stärker als städtischen
Lebensraum zu etablieren, bricht die Arbeit von Meg Cranston auf, die Brücke zwischen
beiden Ansprüchen zu schlagen. Ihre sehr wohl künstlerische Arbeit Pile of Dirt (water
available), die lediglich aus einem großen Hügel Dreck beziehungsweise Erde besteht, ist
Provokation und Angebot, den Park wieder wortwörtlich als Spielwiese der Stadtgesellschaft
zu besetzen. Der Hügel lädt besonders junge Parkbesucher zum unverhohlenen Spiel mit
dem ein, was sonst als Schmutz verpönt ist, aber oftmals Künstlern als Ausgangsmaterial
und Inspirationsquelle dient.
Auch wenn das unprätentiöse, belebende Spiel im Vordergrund steht, forciert Cranston doch
den Aspekt des Gestaltens durch die Zugabe von Wasser, das die Erde formbar und den
Dreck noch dreckiger macht. Ohne so weit gehen zu wollen, in diesem Sinne eine Affinität
zwischen der Arbeit und der Land-Art zu behaupten, unterstreicht sie damit doch ihren
skulpturalen und landschaftlichen Charakter. In ihrer offenen Struktur, die weiterhin und
endlos ihre Form und Aktualisierung in der permanenten Umgestaltung durch Kinderund
Besucherhände sucht, kommentiert sie dabei subtil die sie umgebenden Plastiken der
monolithischen Ära, die gerade durch ihre dauerhaft festen, abgeschlossenen Formen
und Statements ihre eigene Musealisierung suchen.
Markus Ambach

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MEG CRANSTON
Pile of Dirt (water available)
Dreckhügel (Wasser verfügbar)
Mutterboden, Wasser / topsoil, water
2013
S. 55 im Hintergrund / in background
MAURO STACCIOLI
Anello / Ring
Corten Stahl / corten steel
2001
Pile of Dirt (water available)
For a public place that is also close to nature, the well-tended sculpture garden with its
many works of art seems somewhat too carefully shaped. Moreover, as the park surrounding
a museum, it also seems more partial to the elements of cultural space that speak to the
accumulation and musealization of objects than to the vital, fluctuating forms of the urban
environment.
Pursuing the idea that the exhibition should reinforce the notion of the sculpture garden as
a stronger part of urban life, Meg Cranston’s piece, Pile of Dirt (water available), begins
building a bridge between the two different aims. Her highly artistic work, composed simply
of a large pile of dirt and soil, is both a provocation and an offer to occupy the park again,
literally as a playing field for urban communities. The pile invites young visitors to the park to
play openly with material that is otherwise frowned upon as filth, but which also serves
as a basis for art and a source of inspiration.
Even though the emphasis is on unpretentious, lively play, Cranston nevertheless accentuates
the aspect of creation by adding water that makes the soil even easier to shape and the
dirt even dirtier. Without wanting to go as far as to insist upon an affinity with Land Art, this
piece still underscores its sculptural and landscaping qualities. Its open structure continues
endlessly to seek both form and actualization in the act of being permanently redesigned by
the hands of children and other visitors. In so doing, it also comments subtly on the
surrounding sculptures from the monolithic era, which seek for their own musealization
precisely through their enduringly solid, complete forms and statements. Markus Ambach
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MEG CRANSTON
Meadow (Wiese)
2013
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Das, was wir normalerweise für Natur halten, ist zumeist ein Produkt konsequenter
Kultivierung. Die Wiese, die sich sonst glatt, grün und wohlgeschoren zu Füßen der Flause
von Franz West und Morellets Sphère-Trames erstreckt, erscheint uns inzwischen so
selbstverständlich und natürlich wie der Park in der Stadt selbst.
Meg Cranstons Arbeit zeigt dagegen nicht nur deutlich, dass die grüne Wiese ein Produkt der
Domestizierung von Natur ist, sondern artikuliert gleichzeitig auch die latente Unbändig keit
von unterdrückten natürlichen Prozessen. Ihr ebenso einfaches wie kongeniales Konzept
verordnet den Prozessen der Kultivierung während der Ausstellung eine radikale Denk pause
und zeigt, was passiert, wenn nichts passiert: Die Wiese, die gemäß ihrem Konzept im
Jahr der Ausstellung nicht mehr gemäht werden darf, entwickelt sich vom monochromen
Grün zu einer wilden Vielfalt verschiedenster Pflanzen, die bis dato meist unter dem
Titel „Unkraut“ verpönt, diffamiert und weggeschnitten wurden. Diese im englischen Zier rasen
unwillkommenen Gäste befanden sich nichtsdestotrotz weiterhin im Fundus des Bodens
und verwandeln ihn in der kulturellen Denkpause, die ihm Cranston verordnet hat, flugs in
eine Wildwiese, die vor Artenvielfalt und Blütenpracht nur so strotzt.
Die sich auf Dauer überbordend entwickelnde Vielfalt, die hier temporär aufkeimt und heutzutage
als das liebliche „Natürliche“ wieder salonfähig wird, enthält zugleich für die
Kultur eine düstere und bedrohliche Konnotation. Das kultivierende Werk, das im korrekten
Rasenschnitt verbildlicht wird, ist nämlich an eine dauerhafte Arbeit von Erstellung
und Erhaltung geknüpft. Wie Cranstons Arbeit in einem ganz romantischen Sinne zeigt, wird
es sofort vom „natürlichen Luxus“ und dessen überbordenden Formen eingeholt, überwuchert
und überschrieben, wo die unermüdliche Tätigkeit der menschlichen Hand einmal
pausiert.
Markus Ambach

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MEG CRANSTON
Meadow (Wiese)
2013
S. 59 mit / with
FRANZ WEST
Flause
Aluminium, lackiert
aluminum, painted
1998
S. 62 / 63 mit / with
FRANÇOIS MORELLET
Sphère Trames / Rasterkugel
Edelstahl / stainless steel
1962 / 1976
Meadow (Wiese)
What we usually think of as nature is mostly a product of persistent cultivation. Meaanwhile
the meadow, with its smooth, green, and well-manicured expanse at the foot of Franz
West’s Flause and François Morellet’s Sphère-Trames, seems to us to be as obvious and natural
as any city park.
In contrast, Meg Cranston’s work clearly demonstrates that the green meadow is a product of
natural domestication. At the same time it articulates the latent wildness of a natural
process that has been suppressed. Her concept, as simple as it is brilliant, prescribes a radical,
contemplative break in cultivation during the period of the exhibition, and shows what
happens when nothing happens. The meadow, which, according to her concept, may not be
mowed during the exhibition year, turns from monochromatic green into wild overgrowth
with a wide variety of plants, most of which have, to date, been snubbed, disparaged, and cut
back because they are considered “weeds.” Nevertheless, these unwelcome guests in
English lawns persist in the soil and will rapidly transform the meadow into a wild place full
of species diversity, bursting into bloom during the pause in cultivation that Cranston has
ordered.
The ebullient diversity of species that will develop here over time, sprouting temporarily, is
now socially acceptable again, considered something “naturally” charming. Yet there is
within it also a bleak, threatening connotation for culture, because the work of cultivation
visible in the properly mown lawn is connected to the time-consuming work of making
and maintaining something. Even though Cranston’s work can be regarded in a very romantic
sense, it’s immediately overtaken, overrun, and overwritten by the “luxuriance of nature”
and its excessive forms, wherever the tireless activity of human hands ceases. Markus Ambach
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CHRISTIAN JENDREIKO
I was here, I think
2013
Dieser Beitrag zur Ausstellung besteht aus einem Schild. Es ist identisch zu den Beschilderungen
der Kunstwerke im Skulpturengarten und im Stadtraum, auf denen dicht neben allen
Objekten deren Künstler, Titel und Entstehungsjahr zu finden sind – als Plakette oder aufgepfählt
auf einem Schilderständer. Da das Objekt hier fehlt, ist das Schild selbst schwerer
zu finden. Doch einmal gesehen, steht es für sich und lässt hier anstelle eines Objekts eine
Erinnerung erscheinen: Ich war hier, vermutlich, denke ich – jedenfalls im Jahr 2013.
Es ist interessant zu wissen, dass Christian Jendreiko sehr oft mit Musik arbeitet und
beinahe jede Arbeit von ihm sich auf eine bestimmte Situation oder Zeit bezieht. Von daher
ist das Fehlen des Objekts weniger auffällig, wenngleich man hier auch zu dem Schluss
geführt wird, dass ein weiteres Objekt in diesem Skulpturengarten eines zu viel sein könnte.
Jendreiko setzt Raum und Zeit auf das Schild und umschreibt damit ganz knapp und
einfach das Phänomen des Flanierens und innerlichen Gehens, um das es in der kulturellen
Natur der Stadtparks und -gärten eigentlich geht.
CHRISTIAN JENDREIKO
I was here, I think
Aluminium, beschriftet
aluminum, inscribed
2013
I was here, I think
This contribution to the exhibition consists of a sign. It is identical to the signage on
artworks in the sculpture garden and in the city, where information about the artist, title and
year of production are placed close to each object, either as a plaque or set on a sign holder.
The object is missing here, so the sign itself is harder to find. But once seen, it stands as a work
in its own right, leaving viewers with a reminder in place of a thing: I was here, at least I
think so now, in the year 2013.
It’s interesting to know that Christian Jendreiko very often works with music, and almost
every work by him points to a situation or time. This makes the absence of object less
conspicuous, though one also concludes that adding another object in this sculpture garden
might be too much. Jendreiko puts space and time on the sign, and in doing so simply,
succinctly describes the phenomenon of strolling-through, and internal journeys taken in
and around the cultural nature of the city park and gardens.
Susanne Titz
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ALEX MORRISON
Traumstraße
2013 / 2016
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„Passagen sind Häuser oder Gänge, welche keine Außenseite haben – wie der Traum.“
- Walter Benjamin -
Die Beleuchtung des urbanen öffentlichen Raums hatte seit ihren Anfängen, besonders aber
seit der Einführung der Gassenbeleuchtung in Paris 1667 eine doppelte Funktion: Sie galt
ebenso der Beförderung des Handels und der Sicherheit wie der Kontrolle und Überwachung
eines Nachtlebens, das die Illuminierung überhaupt erst möglich gemacht hatte. Walter
Benjamin widmete den verschiedenen „Beleuchtungsarten“ – den mit Öl, später mit Gas und
ab 1857 elektrisch betriebenen Straßenlaternen und Lampen der Pariser Cafés, Theater
und überdachten Durchgänge – in seinem Passagen-Werk eine eigene Materialsammlung. 1
Auch Alex Morrisons Traumstraße in Mönchengladbach ist eine Art Passage. Der
unauffällige Fußweg verbindet zwei steile Parallelstraßen – Spatzenberg und Fliescherberg –
und bildet einen Durchgang vom Skulpturengarten des Museums Abteiberg zum
Hans-Jonas-Park. Er verläuft unterhalb eines Schulgeländes und die zahlreichen bunten
Graffiti auf den dunklen Ziegelmauern der Gasse deuten auf eine transgressive Jugendund
subkulturelle Nutzung. Dieser periphere, fast verwilderte Schauplatz bildet
gewissermaßen den Gegensatz zur vom Konsum geprägten Innenstadt. Morrison hat diesen
Nebenweg mit einer neuen Beleuchtung versehen, die auf verschiedene Weisen lesbar
ist: als funktionaler Gegenstand, als aufwertende Dekoration für einen vernachlässigten Ort
und als serielle Skulptur. Sein Interesse an Straßenlaternen als mehrdeutige Objekte, die
en passant und daher naturgemäß eher aus dem Augenwinkel wahrgenommen werden, geht
auf seine Erfahrungen als jugendlicher Skateboarder zurück – genauer gesagt auf eine
spezifische, fast filmische Wahrnehmungserfahrung der gebauten Umgebung, die Walter
Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz als „Rezeption in der Zerstreuung“ bezeichnet hat. 2
Morrisons Reihe von fünf identisch gestalteten Laternen aus farbigem Glas und schwarzem
Metall zitiert die Ästhetik der britischen Arts-and Crafts-Bewegung, die Mitte des
19. Jahrhunderts von dem Künstler William Morris, dem Kunsthistoriker John Ruskin und
anderen gegründet wurde, um dem aufkommenden „seelenlosen“ Industrieprodukt traditionsverbundenere
kunsthandwerkliche Erzeugnisse entgegenzusetzen. Ein Jahrhundert
später wurden solche Phänomene des Historismus neu rezipiert und aufgewertet. Als das
Fortschrittsdenken in eine Krise geriet, brach die Postmoderne des späten 20. Jahrhunderts
mit dem industriell geprägten, funktionalistischen Dogma der Moderne und erweiterte
ihr Repertoire um vormoderne, eher erzählerische Vorbilder. Das Museum Abteiberg zeugt
von diesem Paradigmenwechsel. Hans Holleins collageartiges Gebäude mit seinen
Anspielungen auf das benachbarte romanisch-gotische Münster, auf die Textilfabriken von
Mönchengladbach-Rheydt und die Propyläen der Akropolis gilt als eine der Gründungsbauten
der postmodernen Architektur. An einen solchen Umgang mit tradierten Formen knüpft
Morrisons Entwurf an. Der Künstler wuchs in einem entlegenen Teil Kanadas auf, der
erst 1841 besiedelt wurde; an einem Ort, wo „die Architektur und die Ästhetik importiert
waren. Und damit auch die Geschichte.“ 3 Seine Straßenlaternen erinnern durch ihr Spiel mit
„alten“ Formen nicht nur an die historistischen Impulse des 19. Jahrhunderts, sondern
auch an Holleins eklektischen Umgang mit historischen Baustilen. Dadurch werfen sie im
buchstäblichen wie im übertragenen Sinne ein neues Licht auf das Recyceln vorhandener
Modelle, in dem sich das Streben nach Schönheit, ein Hang zu Nostalgie und Kitsch sowie –
durch Konventionsbrüche und die Herstellung neuer Bezüge – ein subversives Potenzial
miteinander verbinden können.

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ALEX MORRISON
Traumstraße / Dream Street
5 Straßenlampen / 5 streetlamps, 2013
1| Walter Benjamin, Das Passagen-Werk. Zweiter
Band, hg. von Rolf Tiedemann,
Frankfurt am Main 1982, S. 698–707.
2| E-Mail-Korrespondenz mit dem Künstler,
17.02.2017.
3| Ebenso.
4| Aldous Huxley, Die Pforten der Wahrnehmung.
Himmel und Hölle. Erfahrungen mit Drogen, übers.
von Herberth E. Herlitschka, München / Zürich 1981.
5| Siehe https://www.artforum.com/index.php?
pn=picks&id=55613&view=print.
6| „Radical Gestures? Alex Morrison and Mai Thu
Perret in conversation“, in: Again For Tomorrow,
Ausst.-Kat. Royal College of Art, London 2006,
S. 153–155; http://www.alexmorrison.org/RCA_
interview.html.
Der Titel Traumstraße steht offenkundig in Beziehung zum Titel der Ausstellung Ein ahnungsloser
Traum vom Park, für die Morrisons Installation 2013 in einer ersten, provisorischen
Version entstand. Zugleich weist er über diesen Kontext hinaus und suggeriert die Vorstellung
von einem psychischen Raum. Die Sprache der Psychologie, und besonders die der
Psychoanalyse, ist voller räumlicher Metaphern. In den Schriften Sigmund Freuds ist bei
der Beschreibung psychischer Prozesse häufig von „Bahnung“ und „Spur“ die Rede; den
Traum bezeichnete der Erfinder der Psychoanalyse bekanntlich als „Königsweg des Unbewussten“.
Auch künstlich induzierte Träume und Halluzinationen werden oft in topischen
Begriffen wiedergegeben – man denke etwa an Aldous Huxleys Publikationen Die Pforten
der Wahrnehmung (1954) und Himmel und Hölle (1956), in denen der englische Dichter
und Philosoph Erfahrungen mit Meskalin und anderen bewusstseinserweiternden Substanzen
festhielt, die sich unter anderem in einer gesteigerten Wahrnehmung von Licht und Farbe
manifestierten. 4 Doch auch ohne chemische Einflüsse kann farbiges Licht aus Huxleys Sicht
beim Betrachter visionäre Erfahrungen auslösen – die Buntglasfenster mittelalterlicher
Kirchen ebenso wie die Leuchtreklamen an Londoner Hausdächern, die aus der nebligen
Dunkelheit hervorleuchteten; die Scheinwerferbeleuchtung von Gebäuden oder flackerndes
Stroboskoplicht. In Morrisons Werk findet sich ein „visionäres“ Motiv in Form halluzinogener
Pilze in dem Wandbild Something Nasty in the Woodshed (2015). Es entstand in
Ceperley House, einem 1909 im Tudor-Stil errichteten Gebäude in Burnaby, British Columbia,
und erinnert an dessen Nutzung durch eine studentische Community in den 1960er-Jahren. 5
Doch selbst in der nüchternen Alltagserfahrung verbinden sich Bewusstes und Unbewusstes,
rationale Überlegungen und irrationale Impulse. In einem Interview beschrieb Morrison
das Leben als eine ständige Bewegung zwischen dem Realen und dem Imaginären. In diesem
Prozess ist die Vergangenheit einer ständigen Nacherzählung, Neuschreibung und
Umdeutung unterworfen: „Die Handlung, das Ich durch die Gesellschaft zu steuern, zwingt
einen dazu, ständig zwischen Fakten und Fiktionen hin- und herzugleiten. Wir leben
durch unsere Projektionen, die im Gegenzug unseren Willen anschaulich machen und uns
zu dem antreiben, was wir uns für die nahe und ferne Zukunft wünschen. Wir sind
ewige Romantiker, die ständig nach etwas Verlorenem suchen, ohne zu wissen, was eigentlich
verloren gegangen ist.“ 6 Morrisons Traumstraße ist eine begehbare Metapher für dieses
unvermeidliche Navigieren. Darüber hinaus ist sie in einer ganz praktischen, gesellschaftlichen
Hinsicht ein wahrgewordener Traum. Zunächst als Provisorium realisiert, wurde der
Lampenentwurf 2016 technisch überarbeitet, neu konstruiert und permanent installiert.
Möglich wurde dies durch das bürgerschaftliche Engagement des Museumsvereins,
der beschloss, dem traumhaften Szenario zur Dauer zu verhelfen.
Barbara Hess
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Traumstrasse [Dream Street]
“Arcades are buildings or passageways that have no exterior sides – like a dream.”
- Walter Benjamin -
Right from the start, but most especially since the introduction of gas lamps to Paris in 1667,
illuminating public urban space has served a double purpose: it supports trade and
safety, and aids in the policing and surveillance of the nightlife that was made possible by
lighting in the first place. Walter Benjamin devoted a collection of materials in his
Arcades Project 1 to various kinds of lighting – oil lamps, then later gas, and, from 1857 on,
electric streetlamps and the lights in Parisian cafés, theaters, and arcades.
Alex Morrison’s Traumstrasse [Dream Street] is also a kind of arcade. The unremarkable path
connects two steep parallel streets, Spatzenberg and Fliescherberg, while forming a
passageway through the Museum Abteiberg’s sculpture garden and the Hans-Jonas-Park. It
runs along a school property and the many colorful graffiti on the dark brick walls of the
alleyway indicate transgressive, youthful, and subcultural utilization. To a certain extent, this
peripheral, practically overgrown area is a counterpart to the consumer-oriented down -
town area. Morrison illuminated the byway with new lighting, which can be read in various
ways, as a functional object, as gentrifying ornamentation for a neglected spot, and as a
serial sculpture. His interest in streetlights as ambiguous objects – noticed en passant with
what tends to be a sideways glance – can be traced back to his experiences as a young
skateboarder, or more precisely, to a specific, nearly cinematic experience of perceiving his
architectural surroundings – something Walter Benjamin described as the “reception of
distraction” in his essay on the work of art. 2
Morrison’s series of five identical lamps, made of colored glass and black metal, cites the
British Arts-and-Crafts aesthetic. The goal of this movement, founded in the mid-nineteenth
century by the artist William Morris, the art historian John Ruskin, and others, was to
counter the rise of the “soulless” industrial product through more traditional, artisanal
craftsmanship. A century later these kinds of historical phenomena are being reexamined
and reevaluated. In a crisis of progressive ideas, late twentieth-century postmodernism
also broke with the industrial, functionalist dogma of modernism and expanded its repertoire,
adding premodernist, somewhat narrative role models. With its allusions to the neighboring
Romanesque-Gothic minster, the textile factories of Mönchengladbach-Rheydt, and the
Acropolis’s propylaea, Museum Abteiberg is evidence of this paradigm change. Hans Hollein’s
collage-like building is considered a fundamental piece of postmodern architecture.
71

72
Morrison’s design joins in with this method of dealing with traditional forms. The artist grew
up in a remote part of Canada which was first settled in 1841, in a place where “architecture
and aesthetics were imported. And thus history as well.” 3 Due to the way that they play with
“old” forms, his streetlights not only recall the historical ideas of the nineteenth century,
but also Hollein’s eclectic manner of dealing with historical architectural styles. Thus, by
breaking with convention and producing new references, the streetlamps literally cast
new light upon the practice of recycling existing models, in which the process of striving for
beauty, with a tendency toward nostalgia and kitsch, could be connected to a subversive
potential.
The title, Traumstrasse, obviously refers to the title of the exhibition, Ein ahnungsloser Traum
vom Park [An Innocent Dream of a Park]. Morrison created an initial, temporary version
of this installation in 2013. At the same time it transcends this context and suggests the idea
of a psychological space. The language of psychology, especially psychoanalysis, is full
of spatial metaphors. In Sigmund Freud’s writings, descriptions of mental processes often
include references to Bahnung (literally, “canalization,” although the scientific translation is
“neural facilitation”) and Spur (“trace,” “vestige”); the founder of psychoanalysis famously
defined the dream as the “royal road to the subconscious.” Even artificially induced dreams
and hallucinations are often reflected in topical terms; one is reminded of Aldous Huxley’s
books The Doors of Perception (1954) and Heaven and Hell (1956), in which the English
author and philosopher captured his experiences with mescaline and other mind-altering

substances, characterized by increased awareness of light and color, among other things. 4 Yet,
accord ing to Huxley, colored light can trigger visionary experiences in viewers, even without
chemical influences, as do the stained-glass windows in medieval churches, the neon
signs on London roofs shining out in the darkness, the illumination of buildings with spotlights,
and flickering strobe lights. In Morrison’s oeuvre, the “visionary” motif of hallucinogenic
mushrooms can be found in his mural Something Nasty in the Woodshed (2015); it was made
at Ceperley House, a Tudor-style building erected in 1909 in Burnaby, British Columbia,
and recalls the days when it was used by a student community in the 1960s. 5
Yet even in the sobering experience of everyday life, the conscious and subconscious, rational
thought and irrational impulses are linked. In an interview Morrison described life as constant
slippage between the real and the imaginary. Here, the past is always subjected to retelling,
rewriting, and reinterpretation: “The act of navigating oneself through society forces one to
constantly slip between fact and fiction. We live through our projections, which in turn
illuminate and drive our will towards what we desire in the future. Eternal roman tics, we are
forever looking for what was lost, but never knowing what was lost in the first place.” 6
Morrison’s Traumstrasse is an accessible metaphor for this inevitable navigation. Further more,
in a very practical, social regard, it’s also a dream come true. Initially created as a temporary
project, the streetlight’s technology was revamped, and the lamp was reconstructed and
installed permanently in 2016. This was made possible by the commitment of members of the
Friends of the Museum, who decided to help the dreamlike scene endure. Barbara Hess
1| Walter Benjamin, Das Passagen-Werk. Zweiter
Band, Rolf Tiedemann (ed.), Frankfurt am Main 1982,
pp. 698–707. Published in English as
The Arcades Project, Rolf Tidemann (ed.), Howard
Eiland and Kevin McLaughlin (trans.), New York,
Belknap Press, 2002.
2| E-mail correspondence with the artist,
February 17, 2017.
3| Ibid.
4| Aldous Huxley, The Doors of Perception and
Heaven and Hell [1952, 1954], London / New York /
Sydney, Thinking Ink, 2011.
5| See https://www.artforum.com/index.php?pn=
picks&id=55613&view=print.
6| “Radical Gestures? Alex Morrison and Mai Thu
Perret in Conversation,” in Again For Tomorrow, exhib. cat.,
Royal College of Art, London, 2006, pp. 153–155;
http://www.alexmorrison.org/RCA_interview.html.
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TANJA GOETHE
Sir Hans Sloane’s Plates
seit 2012
76
Infolge einer Reihe situativer Beobachtungen und Studien im urbanen Raum begannen 2012
die Recherchen im Umfeld des Museums Abteiberg. Agrarisch geprägter Raum, Architektur
und Stadtplanung bilden einen wichtigen Teil dieser Recherchen und Inhalte, sowie der
künstlerischen Auseinandersetzung für den ahnungslosen Traum vom Park. Objekt ist eine
Brache im Hans-Jonas-Park, deren heutige Gestalt sich wesentlich auf den geschützten
Rahmen eines privaten Parks zurückführen lässt. Neben Tennisplätzen und Beeten bestand
der Park aus einem Rundweg vorbei an Lichtungen, architektonischen Staffagen und
Aussichtsplattformen, die heute nicht mehr den unverstellten Blick in ländliche Strukturen
ermöglichen. Die Stadt ist über den Berg in das Umland hinaus gewachsen.
In den Jahren vor dem Ausstellungsprojekt war im westlichen Bereich des Parks der
ursprüngliche Baumbewuchs gerodet worden. Eine Gesellschaft von Wildpflanzen hat sich
auf den gut 240 Quadratmetern entlang der Turnhalle eingestellt. Einige der 25 Arten,
die hier bestimmt wurden – wie Brennnessel, Knoblauchsrauke, Tollkirsche, Schöllkraut
und Zitronenmelisse – sind pflanzenheilkundlich oder als Nahrungsmittel relevant.
In diesem Prozess rückte die Sammlung seltener Pflanzen des irischen Arztes und Botanikers
Sir Hans Sloane (* 16. April 1660 in Killyleagh; † 11. Januar 1753 in Chelsea), die er auf
seinen Forschungsreisen anlegte, in den Mittelpunkt der Recherche. Mit dem Chelsea Physic
Garden hatte Sloane ein Zentrum des botanischen Wissens und Diskurses zur Zeit der
Aufklärung aufgebaut. Der Pflanzenmaler und Gärtner Georg Dionysus Ehret (* 30. Januar 1708
in Heidelberg; † 9. September 1770 in Chelsea) wurde von ihm beauftragt, seine Sammlung
zeichnerisch zu dokumentieren. Nach Sloanes Tod wurden einige dieser Illustrationen
von Ehret in der Porzellanmanufaktur von Chelsea für eine Serie von Porzellantellern als
hand gemaltes Motiv reproduziert; heute sind sie Sammlerstücke. Diese botanischen
Teller wurden um 1755 hergestellt und tragen den Titel „Chelsea Hans Sloane botanical plates“.
Der lebendige Naturalismus dieser Porzellanmalerei spiegelt ein zunehmendes öffentliches
Interesse der bürgerlichen Schicht an der natürlichen, belebten Welt und deren inneren
Mechanismen wider. Durch beginnende globale Handels- und Forschungsreisen kamen
exotische Pflanzenarten in großer Stückzahl aus der Karibik, Amerika und Asien lebend
und nicht nur als Trockenpräparate für Herbarien nach Europa.

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TANJA GOETHE
Sir Hans Sloanes Plates
verschiedene Pflanzen, Marmorplatten
different plants, marble tiles, seit / since 2012
1| Lucius Burckhardt, Warum ist Landschaft schön?
Die Spaziergangswissenschaft, Berlin 2011, S. 113.
Durch Flüchtigkeit, Endlichkeit und ein Reaktionsfeld multipler Materialien hat die Intervention
Sir Hans Sloane’s Plates eine besondere und komplexe Bindung an die Zeit. Bestehend
aus Beinwellpflanzen und Marmorplatten, existiert sie zwischen Gartenkunst, Land Art,
Environment und Bildhauerei. Der Beinwell, ein Raublattgewächs mit medizinisch
wirksamen pflanzlichen Inhaltsstoffen, der zudem als Blattgemüse verwendet werden kann
und als Bienenweide dient, etablierte sich in den vergangenen Jahren auf der ehemaligen
Brachfläche. Die Wurzeln haben den Erdboden nachhaltig verändert, indem sie das Bodenleben
mit Nährstoffen, stabilen Strukturen und Wasser fördern.
Ausgewachsen reichen die Stauden und ihre Beipflanzen den Passanten bis zur Körpermitte
und geleiten sie durch den westlichen Eingangsbereich des Parks. Bei guten Bedingungen
blühen die Stauden von April bis September. Entlang dieser Ebene aus weißen, violetten und
rot-violetten Blüten fliegen vom Sonnenaufgang an stetig verschiedene Wildbienen, die
Nahrung sammeln. Der Hauch von Schrift auf den Marmorplatten, die im Erdboden eingelassen
sind, ist eine sekundäre, individuelle Entdeckung. Vordergründig markieren die
Bodenplatten Bereiche im Beet, die trockenen und sauberen Fußes betreten werden – und
von denen aus Passanten ihren gewohnten Weg und Habitus verlassen – können, um über
ihr individuelles, persönliches Verhältnis zum öffentlichen Grün zu reflektieren oder der
Frage nachzugehen, worauf die schlecht lesbaren Schriftzüge „Ruderal“, „Shrubs“ und „Fruit
Tree“ verweisen. Die Höhe und die punktuelle Verteilung der Stauden laden auch zum
Spielen ein. Der polierte Marmor bleibt ein Fremdkörper mit seiner wertvollen Materialität,
die im Kontrast steht zur alltäglichen Geste des Müllwerfens entlang des Weges. Mit
dieser milden, individuellen Form „sozialer Reibung“ entsteht eine Irritation der Passanten,
die diese auch all den gärtnernden Personen mitteilen, die seit Jahren zu verschiedenen
Zeiten im Beet anzutreffen sind. Die scheinbar willkürliche, selektive Bemühung um die
Pflanzen steht im Widerspruch zum Verhältnis von Aufwand der händischen Zuwendung
an einem öffentlichen Ort, der niemandem wirklich gehört und zu dem doch alle ein
emotionales Verhältnis haben.
Dieses gleichzeitige, zufällige Auftreten menschlicher Muße und Tätigkeit im öffentlichen Raum
ist für Lucius Burckhardt eine „neue, denkbare Form künstlicher Landschaft“. 1 Tanja Goethe
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Sir Hans Sloane’s Plates
Following a series of observations and studies of situations in urban spaces, research into the
environment around the Museum Abteiberg began in 2012. Spaces marked by agrarian
cultivation, architecture, and urban planning comprise an important part of this research and
its themes, along with the artistic exploration of Ein ahnungsloser Traum vom Park [An
Innocent Dream of a Park]. The object of study is a fallow field in the Hans-Jonas-Park, whose
current form can essentially be traced back to the protected space of a private park.
Besides tennis courts and planted beds, the park consisted of a circular path running past
clearings, architectural props, and observation platforms that no longer provided an open
prospect of the rural landscape. The city had spread over the hill and out into the
surrounding countryside.
In the years before this exhibition project, most of the trees in the park were cleared. A
community of wild plants has established itself across the stretch alongside the gym – a good
240 meters. Some of the 25 species that have been identified here – nettles, garlic mustard,
deadly nightshade, chelidonium, and lemon balm – have uses in herbal medicine or as food.
Over time the process came to focus on the collection of rare plants assembled on research
expeditions by the Irish-born physician and botanist Sir Hans Sloane (* April 16, 1660, in
Killyleagh; † January 11, 1753, in Chelsea). In establishing his Chelsea Physic Garden, Sloane
also constructed a center of botanical knowledge and discourse during the Enlightenment.
Sloane commissioned the painter and gardener Georg Dionysus Ehret (* January 30, 1708, in
Heidelberg; † September 9, 1770, in Chelsea), to document his collection by means of
illustrations. After Sloane’s death a few of Ehret’s illustrations were used to produce a series
of hand-painted porcelain plates made by the Chelsea Porcelain Works; today, they are
collector’s items. They were manufactured around 1755 and are known as Chelsea Hans Sloane
botanical plates. Their lively naturalism reflects the growing middle-class interest in the
natural, animate world and its internal mechanisms. The nascent development of global trade
and exploration brought large numbers of live, exotic plant species from the Caribbean,
the Americas, and Asia – not just dried specimens for European herbaria.
A sense of the temporal, of mortality, and a field of reactions involving multiple materials lend
the intervention Sir Hans Sloane’s Plates a special, complex connection to time. Consisting
of comfrey plants and marble plates, it is a combination of landscaping, Land Art, environment,
and sculpture. Comfrey, from the borage family, is a medicinally beneficial plant, a leafy
green vegetable that attracts wild bees. In recent years it has been able to establish itself in a
formerly empty field. Its roots have produced a lasting change in the soil by supporting life
in it with nutrients, stable structures, and water.
Growing waist-high, the shrubs and neighboring plants line the path of passersby through the
west entrance to the park. Under good conditions they will bloom from April to September.
From sunup to sundown various types of wild bees fly across this plain of white, purple, and
reddish-purple blooms, gathering pollen. The wisps of writing on the marble plates embedded
in the ground are a secondary, individual discovery. Ostensibly, the plates mark the spots
in the plant beds where dry, clean feet may tread. But they also enable passersby to abandon
their usual paths and habits to reflect upon their own, personal relationship to the public
green space, or to wonder what the barely legible words “ruderal,” “shrubs,” and “fruit tree” refer
to. The height of the shrubs and their spotty distribution across the land also invite play.
Yet the polished marble remains a foreign body made of valuable material that contrasts with
the ordinary gesture of discarding rubbish along the path. A mild, particular form of
“social friction,” a disturbing feeling comes over passersby, who then communicate this to
the people who can be spotted gardening in the beds at various times of the year. These
apparently random, selective efforts made on behalf of the plants contrast with the amount
of work done by hand in a public space that doesn’t really belong to anyone, yet has an
emotional relationship with everyone.
This simultaneous, random appearance of leisurely human activity in a public space is,
according to Lucius Burckhardt, a “conceivably new form of artificial landscape.” 1 Tanja Goethe
1| Lucius Burckhardt, Warum ist Landschaft schön?
Die Spaziergangswissenschaft [Why Is Landscape
Beautiful? The Science of Strollology], Martin
Schmitz Verlag, Berlin, 2011, p. 113.
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CHRISTIAN ODZUCK
The Rising of the Milky Way – Ein Kollektiv aus Fleisch und Blut / Temporäre Abkühlung
2013
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Der Hans-Jonas-Park bildet ein merkwürdig fragmentiertes Ensemble unterschiedlicher
Natur- und Kulturlandschaften, die verschiedensten Epochen geschuldet sind. Über
die Dekaden seiner landschaftsplanerischen Bearbeitung hinweg scheint sich die verbindende
Choreografie des Parks verloren zu haben. Teilweise unnachvollziehbar, jedoch mit dem
erheblichen Charme des Zufälligen liegen kultivierte Parksequenzen neben vergessenen
Mikrokosmen, nahezu romantische Szenarien neben ganz und gar unwirtlichen
Passagenräumen.
In dem Teil des Parks, der von einem für innerstädtische Verhältnisse außergewöhnlichen
Buchenwald geprägt ist, zeigen historische Pläne zudem eine am englischen Landschaftsgarten
orientierte Planung, die dem Ort eine romantische Prägung und poetische Tiefe verleihen
sollte. Damals vorgesehene Attraktionen wie ein Brunnen und eine Grotte, die der Wege- und
Flächenchoreografie eine sinnfällige Dramaturgie verliehen hätten, fehlen allerdings bis
heute.
Christian Odzucks Interesse richtet sich in einer über die Jahre fortgesetzten Arbeit der
Fragmentierung und Unvollendung dieses Ensembles, die sich im städtischen Umfeld auffällig
wiederholt. Gleich dem zergliederten Terrain des Parks umspülen ihn die Restbestände
des ehemaligen Berliner Bads, die bis dato eher isoliert existenten Ideen Holleins in Form
des Museums Abteiberg wie auch die Relikte verschiedener städtischer Typologien –
etwa eines niedergegangenen Schnellrestaurants. Das scheinbar wieder und wieder aufgegebene
Vorhaben einer kongruenten Gestaltung von Park und Umfeld, das hier in
einzigartiger Weise unaufhörlich einen Raum der Zitate, Bruchstücke und Fragmente
produziert, wurde zum Nukleus von Odzucks Arbeit, die sich selbst erst in Intervallen entlang
der Rhetorik dieses Kontexts entwickelte.
Mit seiner ersten Intervention zeigte Christian Odzuck eindringlich, wie solch undefinierte
Orte durch eine neue Nutzung ihre unentdeckten Potenziale entfalten können, und
leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur Neubewertung des Terrains. Als Referenz nicht
nur zur hier einst geplanten Brunnenanlage, sondern auch zum stillgelegten benachbarten
Hallenbad stellt sich die erste hier realisierte monumentale Struktur als ein Hybrid zwischen
kontextbezogenem Werk und nutzbarem Architekturfragment dar. Das durch drei geflieste
Flächen rezitierte Becken von Schwimmbad und Brunnen wurde jeden Freitag zum Treffpunkt
derer, die in der Sommerhitze nach temporärer Abkühlung suchten. Gleich einer Fontäne
schoss dann aus einem benachbarten Hydranten kurzfristig ein frischer Strahl kühles Nass
in den heißen Sommertag, landete auf der offenen Fliesenfläche und belebte den Ort als
gesellschaftlichen Baderaum. Eine aus Backstein geformte und in Düsseldorf erbeutete Spolie
bot zudem eine bequeme Sitzgelegenheit für distanzierte Beobachter des entspannten
Sommervergnügens.
Wo die offene Andeutung von Brunnen und Bassin auf klassische Parknutzungen reflektierte,
verwies der offene Hydrant auf die spielerische (Um-)Nutzung öffentlichen Raums durch
die Stadtbewohner sowie auf informelle Praktiken der Rückaneignung desselben. Wenn in
New York Kinder und Jugendliche an heißen Tagen die Straße durch das illegale Öffnen
der Hydranten fluten und kurzfristig in eine Wasserlandschaft verwandeln, beginnt das
formenreiche Spiel urbaner Räume zwischen reglementierender Norm, produktiver Anarchie
und intelligenter Umnutzung, die mit Odzucks Arbeit in ihrem stadtgestaltenden Potenzial
auch in Mönchengladbach Einzug hält.
Markus Ambach

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CHRISTIAN ODZUCK
The Rising of the Milky Way –
Ein Kollektiv aus Fleisch und Blut
The Rising of the Milky Way –
A Flesh-and-Blood Collective
Holz, Fliesen, Wasserfontäne, Fundstück
timber, tiles, water fountain, found object, 2013
The Rising of the Milky Way - Ein Kollektiv aus Fleisch und Blut / Temporäre Abkühlung [Temporary Cooling]
The Hans-Jonas-Park is a curiously fragmented ensemble of various natural and cultural
landscapes drawn from the most diverse epochs. After decades of scenic reworking of
the landscape, the park’s unifying choreography seems to have been lost. Somewhat incom -
pre hensibly, yet offering the considerable charm of the accidental, cultivated park scenes
adjoin forgotten microcosms, with almost romantic scenarios adjacent to altogether inhospi -
table passageways.
In the part of the park dominated by a beech forest – unusual by inner-city standards –
historical plans show that the intended landscaping was oriented toward an English garden,
which was supposed to lend the site a romantic character and poetic depth. But to this
day there is no sign of the attractions foreseen at the time such as fountains and grottos, which
would have lent a more discernible dramaturgy to the choreography of paths and surfaces.
Christian Odzuck’s interest is directed toward the fragmentation and incompletion of this
ensemble, which has been attained over the years and which can be seen to recur all too
conspicuously in the park’s urban surroundings. Much like its dissected terrain, the park itself
is surrounded by the remains of the former Berliner Bad swimming pool, the Museum
Abteiberg – one of Hans Hollein’s few ideas to be realized to date – and the relics of various
urban typologies, such as that of a run-down fast food restaurant. The repeatedly abandoned
attempts to give the park and its environment a congruent design have produced a unique
space of incessant citations, snippets, and fragments. This space in turn becomes the
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nucleus of Odzuck’s work, which has developed at intervals along the rhetoric of this context.
With his first intervention, Christian Odzuck emphatically showed how such undefined
locations could unfold their undiscovered potential through new uses, making a decisive
contribution to the reassessment of the terrain. As a reference not just to the once
planned fountain but also to the decommissioned indoor swimming pool next door, the first
monumental sculpture he realized here was conceived as a sort of hybrid, somewhere
between site-specific work and usable architectural fragment. Every Friday, the three tiled
surfaces, an echo of the swimming pool and fountain, become a meeting place for anyone
seeking a momentary reprieve from the summer heat. Like a fountain, a fresh jet of cool
water shoots through the hot summer day at short intervals from the nearby hydrant, hitting
the tiled surfaces and reviving the site as a public bath. Brick spolia found in Düsseldorf
offer comfortable seating for more distanced observers of the relaxed summer fun.
While the direct insinuation of fountains and basins reflects more classical uses of parks,
the open hydrant suggests a playful repurposing of public space by the city’s inhabitants, as
well as informal practices of reappropriation. When children and youth in New York City
temporarily flood the streets and transform them into waterscapes on hot summer days by
illegally opening fire hydrants, this starts a generative play of spaces between regimented
norms, productive anarchy, and intelligent repurposing. These aspects also find their way into
Odzuck’s work and its potential for restructuring urban space.
Markus Ambach
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CHRISTIAN ODZUCK
Geozentrik
2014
90
Die Transformation der in Temporäre Abkühlung angelegten Gedanken in Form einer neuen
Installation an selber Stelle forcierte im Jahr 2014 deren inhaltliche Haltung und entwickelte
sie zum hybriden Monument einer zergliederten Landschaft. Als fortan kongenialer Nukleus
ebendieser zieht die Arbeit unter dem Titel Geozentrik typologische wie räumliche Zitate
des beschriebenen Umfelds in einem architektonisch-installativen Konglomerat zu einer
Einheit zusammen, die dem Gelände zu fehlen scheint. Auf einer oktogonal entwickelten Basis,
die das prägnante Deckenraster des Hollein’schen Museumsbaus zitiert, erhebt sich
turmgleich ein monumentaler Triumphbogen, gebildet aus dem Berliner Bad entnommenen
Lüftungsschächten. Gleich einer Pergola umspielen Druckrohre – ebenfalls aus dem
Hallenbad – die Situation. Unter dem zentralen Bogen bietet eine in Beton verewigte Sitzbank
des geschlossenen Schnellrestaurants Burger King dem Parkbesucher eine elegante wie
die Frivolität der Wegwerfkultur rezitierende Aufenthaltsgelegenheit. Nachts erhellt das
hoffnungsvolle Leuchten einer ausgemusterten Straßenlaterne das Ensemble.
In Geozentrik werden die Fragmente, räumlichen Reststücke und Spolien erst jüngst
vergangener Epochen ebenso wie deren Erzählungen, Andeutungen oder Spekulationen zu
einem neuen Narrativ komprimiert, das eben jenen Räumen des Sporadischen, Spekulativen,
Ephemeren und Unbeständigen den Vorzug vor dem monolithisch durchdachten
Entwurf gibt. Geozentrik recycelt nicht die Fragmente einer ambivalenten wie unbewussten
Geschichte der Zwischen-, Rest- und Rückräume, der Brachen und jener städtischen
Terrains, die in einem permanenten Erwartungszustand der Vollendung, des Rückbaus oder
ihrer eigenen Überschreibung zu verharren scheinen. Die Arbeit erzählt die Geschichte
jener Landschaften, die in ihrer latenten Temporalität ein ungeahntes Potenzial für Selbsterneuerung
und Selbstaktualisierung entwickeln. Die genannten Räume, die den
Nutzungen und Umnutzungen durch die Stadtbewohner wesentlich intensiver ausgesetzt
sind als vollendete städtische Ensemble, dokumentieren nämlich in sich die in der Stadt
oft nicht vorgesehen Nutzungen, Funktionen und Bedürfnisse, die die Stadtbewohner in sie
einschreiben.
So synthetisiert Geozentrik denn auch nicht nur die physischen Artefakte und Fragmente
dieser Geschichte zu einem kongenialen Ort, sondern organisiert aus sich selbst heraus
seine eigene Aktualisierung in verschiedenen Handlungsoptionen. Wo man die Sitzbank
noch eindeutig als Einladung interpretieren kann, bietet die Bühnenhaftigkeit der
Struktur subtilere Hinweise auf weitere Qualitäten. Den Turm- und Torbogen als triumphales
Denkmal einer ephemeren Landschaft, den oktogonalen Sockel mit Pergola als Bühne
oder die Bank und Beleuchtung als düster-romantisches Set eines ungeschriebenen Stücks
zu sehen bietet sich hier ganz zurückhaltend lediglich an. Die Interpretationen der
Parkbesucher, die sich der monumentalen Struktur im Nu durch diverse Handlungen
ermächtigten, reichen heute vom banalen Treffpunkt bis zur Knutschecke, von der
umfangreich genutzten Partylocation bis zum Ruhepol, vom kriminellen Geschäftsstandort
der Dealer bis hin zur illegalen Leinwand diverser Street-Artisten.
Dass an der landschaftlich komplexen Stelle, die von dem hochaufragenden Buchenwald
ganz besonders dramatisiert wird, auch das romantische Bild des Beobachters und
die subtile Symbolik der Ruine in die Dramaturgie der Fragmente mit eingeht, verleiht dem
recht leicht daherkommenden Wurf eine profunde Tiefe. Dem stillen Beobachter, der
auf der als einzigem Element aus dem Vorjahr verbliebenen Spolie Platz nimmt, kommt eine
zentrale Rolle bei der Zirkulation der symbolischen Werte innerhalb der Arbeit zu. Von
der einzigen Außenposition im Ensemble aus übernimmt er nicht nur den symbolträchtigen
Part der Friedrich’schen Rückenfigur. Er konstituiert – ob an- oder abwesend – durch
seine Position das Außen der Arbeit an sich und weist damit diese glorreiche Ruine als weiteres
Teatro di Mondo aus, in dem sich das Schauspiel des Lebens historisch wie aktuell,
vergangen wie zukünftig, ganz neu wie erneut, auf jeden Fall aber immer und ewig: selbst
inszeniert.
Markus Ambach

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CHRISTIAN ODZUCK
Geozentrik / Geocentrics
Fragmente aus dem Berliner
Bad, Straßenlaterne, Beton
fragments of the Berliner
Bad, streetlamp, concrete
2014
Geozentrik [Geocentrics]
The transformation of the ideas inherent in Temporäre Abkühlung into the new form of an
installation on the same site also transformed the work’s content, developing it into a
hybrid monument of a dissected landscape. As the congenial nucleus of this landscape, the
architectural and installational work Geozentrik consolidates various typological and
spatial citations of the previously described environment. This creates a certain unity that is
otherwise missing from the terrain. On an octagonally unfolding base, which references
the concise ceiling grid of Hollein’s museum, a monumental triumphal arch rises like a tower
and takes on the shape of the ventilation shafts from the Berliner Bad. Pressure pipes,
likewise taken from the hall of the swimming pool, encircle the situation, creating the
impression of a pergola. Under the central arch, a bench taken from the closed Burger King
restaurant has been immortalized in concrete, offering park visitors a place to linger
while making reference to the frivolousness of throwaway culture. At night, the hopeful light
of a decommissioned streetlamp illuminates the ensemble.
In Geozentrik, the fragments, remnants, and spolia of recent bygone eras and their narratives,
suggestions, and speculations are compressed into a new narrative that privileges the
spaces of the sporadic, speculative, ephemeral, and volatile over studied monolithic designs.
Geozentrik does not recycle the fragments of an ambivalent and unconscious story of
the spaces in between, behind, or left over, the fallow land of urban terrain which seems to
be permanently waiting to be completed, renatured, or superseded. The work tells the
story of landscapes that unfold an unimagined potential for self-renewal and self-actualization
through their latent temporality. This is because the spaces described are far more
intensively subjected to use and repurposing by the city’s residents than more accomplished
urban ensembles. The often unforeseen uses, functions, and needs of the city’s inhabitants
are inscribed and documented within them.
Geozentrik thus not only synthesizes the physical artifacts and fragments of this history
into a congenial site, it also organizes its own actualization by itself creating various options
for action. While the bench can be interpreted as an unequivocal invitation, the structure’s
stage-like character subtly points toward other qualities. The arch as a triumphant memorial
to an ephemeral landscape, the octagonal pedestal with the pergola as a stage, or the bench
and lighting as a darkly romantic set for an unwritten play – these are all subtly offered here.
The interpretations of visitors to the park, who can at any moment appropriate the monumen
tal structure through their various actions, range from banal meeting point to make-out
corner, from extensively used party location to place of rest, from somewhere for dealers
to conduct their illicit business to the illegal backdrop for diverse street artists.
This scenically complex patch that is especially dramatized by the towering beech forest, the
romantic image of the observer, and the subtle symbolism of the ruins all flow into the
dramaturgy of the fragments, lending a profound depth to the seemingly effortless design.
The quiet observers who occupy the spolia – the only remaining element from the
previous year – acquire a central role in the circulation of symbolic values within the work.
As the only external position within the ensemble, they do not only take on the highly
symbolic part of one of Caspar David Friedrich’s wanderers seen from behind. Whether or
not they are present, by their very position they also constitute the work’s exterior,
thereby revealing this glorious ruin as another Teatro di Mondo, in which the theater of life –
be it historical or contemporary, past or future, new or renewed, but always and eternally
– stages itself. Markus Ambach
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ULRIKE MÖSCHEL
Versunkene Wippe
2013
Fragt man Ulrike Möschel selbst, so ist ihre Versunkene Wippe „ein Spielzeug mit Frustrationspotenzial“.
Eine Wippe ist ein Spielgerät, das jeder kennt; eines, das die Künstlerin hier
durch kleine bis kleinste Eingriffe subtil verändert hat. So subtil, dass man immer noch zum
Aufsteigen verführt wird, obgleich die Wippe steckenbleibt – beziehungsweise schon längst
steckengeblieben ist. Ein Störfaktor für den Betrachter: eine Wippe, die nicht wippen
kann. Ein Spielzeug, das nicht bespielbar ist. Wie aber ist es dazu gekommen? Wer hatte solche
Energie und Kraft, eine Wippe tief im Boden zu versenken? Ein Kinderspielzeug, von
Fliegengewichten genutzt, das starr und fest im Boden steckt – und doch unversehrt scheint.
Seine monochrom lackierte Oberfläche rückt das Spielzeug in die Nähe eines Ausstellungsstücks,
dichter an den musealen Kontext und zu der Frage, was überhaupt künstlerisches
Objekt und entsprechende Funktion sein können. Hier draußen aber vermögen nur noch Wind
und Wetter etwas, indem sie das glatt polierte Äußere der Versunkenen Wippe mit Patina
überziehen.
Das frustrierende Spielgerät entwickelt allerdings über die Zeit seiner Ausstellung, die
nunmehr seit Jahren andauert, ganz neue Potenziale. Die Besucher des Parks – in diesem
Areal vorwiegend Kinder und Jugendliche – transformieren den düster-romantischen
Habitus der Wippe in verschiedener Weise, indem sie sie mal als Gruppensitzplatz, mal als
Untergrund für Liebesschwüre oder sonstige öffentliche Mitteilungen mißbrauchen.
Nahezu unbemerkt wird der bisher verwaiste Ort so zum verborgenen Treffpunkt und der
ihn krönende Laubenbogen mit seinem üppigen Glyzinienbewuchs zur Knutschecke.
Die leicht düstere Stimmung des Platzes, die an Antonionis legendär morbiden Park im Film
Blow up erinnert, wird von der traurig-voluminösen Konifere bestimmt, von Wolfgang
Hahns bis dato einsamer Plastik Konversationsstuhl unterstrichen, von Ulrike Möschel potenziert
und schließlich von den Besuchern transformiert. Möschels Arbeit bildet den
Initiationspunkt, an dem sich die bisher disparaten Elemente und Potenziale des Platzes zu
einer sinnigen Choreografie zusammenfinden, um ihm ein markant-melancholisches
Gesicht zu geben.
Stephanie Regenbrecht
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Versunkene Wippe [Sunken Seesaw]
If you ask Ulrike Möschel, her Versunkene Wippe [Sunken Seesaw] is “a potentially frustrating
toy.” A seesaw is a plaything that everyone is familiar with, but here the artist has subtly
altered it through the smallest of interventions. So subtle that the thought of climbing onto it
is still seductively inviting, even though it’s stuck, and has been stuck for a long time. A
disturbing factor for the viewer: a teeter-totter that does neither. A toy that can’t be played with.
But how did this happen? Who would have the kind of energy and strength needed to sink
a seesaw deep into the ground? A child’s toy used by flyweights is stuck firmly in the
ground, yet it seems to be undamaged. Its monochromatically painted surface shifts the toy
in the direction of an exhibition piece, closer to the context of a museum, and to the
question of what an art object and its proper function might possibly be. Here outside, however,
only wind and weather are capable of doing something – such as covering the smoothly
polished surface of the Versunkene Wippe with a patina.

However, over the years that it will be on display, the frustrating toy will develop an entirely
new potential. Visitors to the park, mainly children and teens, will transform the seesaw’s
gloomy, romantic disposition by using it in various ways: as a place for groups to sit, or as a
foundation for lovers’ vows and other public disclosures.
Almost unnoticeably, the seesaw will turn this previously deserted spot into a secret meeting
place, and the arbor crowned with lush wisteria will become a make-out spot. The slightly
dreary atmosphere of the place, which recalls the legendary, dismal park in Antonioni’s film
Blow-Up, is defined by the mournful, voluminous conifers and underscored by Wolfgang
Hahn’s previously lone sculpture Konversationsstuhl [Conversation Chair]. Möschel adds to
its potential, and visitors will ultimately transform it altogether. Möschel’s work is the
starting point where formerly disparate elements unite with the potential of the place to
produce some ingenious choreography and lend it a remarkable, melancholy visage.
Stephanie Regenbrecht
ULRIKE MÖSCHEL
Versunkene Wippe
Sunken Seesaw
Stahl, lackiert / painted steel
Courtesy Galerie Rupert Pfab
2013
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ANTJE MAJEWSKI
Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) /
200 Apfelbäume in Lódz ´ und Mönchengladbach
2015
Die von Antje Majewski und Paweł Freisler initiierte Ausstellung zum Thema Äpfel ist
ein Projekt, dessen tiefster Ursprung in einem künstlerischen ennui (frz. für „Verdruss“) liegt.
Es ist ein zugleich künstlerisches und natur- wie kulturwissenschaftliches Vorhaben und
wurde von diesen beiden Künstlern in einem inneren Einverständnis darüber erfunden, dass
den Institutionen Kunst, Kunstausstellung und Kunstmuseum ein anderes und dringlicheres
Denken und ein anderes institutionelles System entgegengesetzt werden muss: Ein
Denken über die Welt, die Ökologie, die Ökonomie, die große Spanne von Zeit und Existenz,
Mensch und Natur; ein kommunizierendes Netz von Orten und Initiativen, Aktivisten
und Zuhörern, Zuschauern und Mitwirkenden unterschiedlichster Provenienz.
Der in Schweden lebende polnische Konzeptkünstler Paweł Freisler, den seit Beginn seines
selbstgewählten Exils im Jahr 1976 kaum jemand aus der Kunstwelt je wiedergetroffen
hat, und die zwei Generationen jüngere Künstlerin Antje Majewski, die nach ihrem Studium
als Kunsthistorikerin, Geistes- und Naturwissenschaftlerin konzeptuelle Kunst als ein
didaktisches Medium entdeckte, arbeiten als Team, das aus dem Museumsraum heraus in die
reale Welt verweist und vom Publikum eine eigene humane Aktivität, eigenes Denken
und eigenes Handeln fordert. Paweł Freisler bleibt dabei in der Verborgenheit seines Exils.
Er schildert über E-Mails seine Gedanken und sendet in Postpaketen seine hochgradig
überraschenden jüngeren Kunstobjekte: aufwendig eingeschnittene und beschnitzte, in ihrer
Verdorrtheit fragil und vergangen wirkende Äpfel. Antje Majewski nimmt Freislers
Gedanken und Produkte an und als Botschaften ernst. Sie hat eine Verwandtschaft zu ihrem
eigenen Denken entdeckt, das aus dem Betriebssystem Kunst ausbrechen will.
Aus diesen komplexen Gedanken heraus bildet Der Apfel. Eine Einführung im Verlauf vom
ahnungslosen Traum vom Park nicht nur eine passende Thematik: die Nutzung öffentlicher
Räume als grüne Allmende (vgl. essbare-stadt.de, mundraub.org) beziehungsweise als
generell neu bestimm- und gestaltbare Orte der Gesellschaft (konkret in Mönchengladbach:
waldhaus12ev.de). Es ging den Künstlern darüber hinaus auch um eine Bestimmung der
möglichen Energien und Effekte von intellektueller Aktivität. Konkret standen dabei Fragen
im Zentrum wie diejenige, ob das künstlerische Bild eines Apfels, dieses wichtigen
natürlichen Produkts, eine Auswirkung auf die Zukunft hat – oder ob es die wissenschaftliche
Erkenntnis ist, das Erlernen und Verarbeiten von Wissen oder das Tun und Handeln im
realen Raum.
Die Ausstellung verschränkt Kunst und Wissenschaft ineinander, indem sie beispielsweise
Paweł Freislers Kollektion an Äpfeln zugleich in Vitrinen, in Fotografien von Piotr Życieński
sowie als Kopien aus dem 3-D-Drucker zeigt. Sie präsentiert den Apfel als Meditationsobjekt,
das über Natur und Zeit nachdenken lässt; als natürlicher und künstlicher Klon –
denn Äpfel und ihre Hightech-Repliken bringen die überraschende Parallele von Natur und
Technologie ins Bewusstsein.
Antje Majewskis Gemälde alter und neuer, auch genmanipulierter Apfelsorten stehen in der
Tradition der nature morte und führen die Stilllebenmalerei über die Lebensmittelfotografie
in die Gegenwart.
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Agnieszka Polskas Videoarbeit beschäftigt sich mit der Klassifizierung von Pflanzen. Sie führt
den Betrachter in Freislers legendären Garten, in dem sich neben unzähligen Pflanzenarten
auch ein perfektes Ei findet. Dieses Ei stand am Anfang des Austauschs zwischen Paweł Freisler
und Antje Majewski, der seit fünf Jahren über E-Mail stattfindet, ohne dass ein Ende
absehbar wäre, denn es geht darum, „Ab ovo usque ad mala“ zu kommen (dt. vom Ei bis zu
den Äpfeln / vom Anfang zum Ende). Jimmie Durhams Apfelsaftflaschen schließlich
wurden für die documenta 13 produziert, bei der auch zwei Apfelbäume gepflanzt wurden.
Sie zeigen den Garten Eden, in dem Eva sich gerade unter einem Apfelbaum zu einem
dejeuner sur l’herbe trifft: nicht mit Adam, sondern mit einem Wolf und einem Bären. Bären waren
es auch, die in den kasachischen Bergen nur die süßesten Äpfel fraßen und so die Vorform
des Kulturapfels entwickelten. Während dort noch heute Millionen unterschiedlicher
Apfelarten wachsen, wird die Landwirtschaft global von etwa zehn Sorten bestimmt, die
ungeschlechtlich vermehrt (geklont) werden. Antje Majewski unternimmt mit ihrem
Film Die Freiheit der Äpfel eine große Fallstudie zur Biodiversität und vergegenwärtigt die
komplexen Beziehungen zwischen der globalen Lebensmittelwirtschaft und dem technologischen
Fortschritt.
Die Ausstellung im Kunstraum wird zu einem Labor, das sich mit dem Außenraum beschäftigt
und dort wiederum konkretes Handeln initiiert: Antje Majewski und Paweł Freisler sahen
die Ausstellung als eine Möglichkeit, auch real Stellung zu beziehen und die Gesellschaft dazu

aufzufordern, sich für den Erhalt der genetischen Vielfalt, der Individualität der Äpfel
einzusetzen. Erstmals erweitert sich so eine Ausstellung des Museums Abteiberg zu einem
künstlerisch-ökologischen Projekt für die Stadt. 1 Als Teil des Außenprojekts Ein ahnungsloser
Traum vom Park starteten Majewski und Freisler im Frühjahr 2015 einen Aufruf und
stellten so eine große Gruppe von Baumpaten auf die Beine, die auf das gesamte Stadt -
gebiet verteilt einhundert Bäume alter niederrheinischer Apfelsorten pflanzten. Der erste Ort
lag im hinteren Bereich des Hans-Jonas-Parks, der jetzt als Apfelgarten fungiert und von
Schülern der benachbarten Schule betreut wird. Generell sind es ausschließlich öffentliche
Orte, denn die Äpfel sollen allen Mönchengladbachern zur Verfügung stehen. Als weitere
Initiation fungierte im Herbst 2015 eine Wiederbelebung der niederrheinischen Tradition des
Apfelfests.
Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) wurde zunächst im Muzeum
Sztuki in Łódź realisiert und auch dort mit der Anpflanzung von einhundert Bäumen alter
Apfelsorten abgeschlossen, die sich über verschiedene Viertel von Łódź verteilen. Die polnischen
Ökologen der Fundacja Transformacja (Łódź) waren auch Fachberater und Coaches für
die Baumpaten in Mönchengladbach. Dort waren außerdem die Initiativen Transition Town
Initiative BergGartenOase, Margarethengarten und der NABU NRW beteiligt; das Jugendzentrum
JUKOMM im STEP, das Stiftische Humanistische Gymnasium, die VHS und das
städtische Grünflächenamt wirkten mit als Projektbetreuer und Multiplikatoren. Susanne Titz
S. 96
ANTJE MAJEWSKI
Der Wächter aller Dinge die der Fall sind
The Guardian of All Things That Are the Case, 2009
Apfelkreis / Apple Ornament, 2015
1| Als kleinerer Vorläufer mit Standort in Museumsnähe
ist die Beinwellwiese von Tanja Goethe zu
nennen, die seit 2013 im Hans-Jonas-Park wächst.
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Apple. An Introduction (Over and over and once again) / 200 apple trees in Lódz and Mönchengladbach
Initiated by Antje Majewski and Paweł Freisler, this exhibition about apples is a project whose
deepest origins can be found in artistic ennui. It is an at once artistic, scientific and cultural
project invented by two artists with a shared, internalized understanding that the
institutions of art, art exhibitions and art museums must be confronted with a different,
more urgent manner of thinking and an alternative institutional system: a new way of concei -
ving the world, ecology, the economy, the great span of time and existence, man and
nature – a communicative network of places and initiatives, activists and listeners, spectators
and contributors with diverse backgrounds.
Polish conceptual artist Paweł Freisler – who has lived in Sweden and met with almost no one
from the art world since the start of his self-imposed exile in 1976 – and Antje Majewski –
an artist two generations younger, who discovered art as a didactic medium after her studies
in art history, the humanities and natural sciences – work as a team to direct attention
outside of the museum space and into the real world, calling on their audiences to question their
own human activity, their own thinking and actions. Paweł Freisler remains in the
seclusion of his exile throughout the process. He describes his thoughts in e-mails to Majewski
and sends his latest, deeply astonishing, art objects through packages in the post: elaborately
incised and carved, fragile and seemingly bygone dried apples. Antje Majewski receives
Freisler’s thoughts and output, and takes them seriously as messages. In them she sees a kinship
with her own way of thinking, which is also eager to break out of the typical art system.
Starting with these complex thoughts, Apple. An Introduction. becomes more than a fitting
topic during An Innocent Dream of a Park: the use of public spaces as green commons
(cf. essbare-stadt.de, mundraub.org) or as generally new and definable social spaces (specifically
in Mönchengladbach: waldhaus12ev.de). What is more, the artists were also interested in
determining the possible energies and effects of intellectual activity. Specifically, they focused
on questions such as whether the artistic image of an apple, this important natural product,
has an effect on the future – or whether it is scientific insight, the learning and processing of
knowledge, or doing and acting in real space.
The exhibition interweaves art and science, showing, for example, Paweł Freisler’s collection
of apples in glass cases alongside photographs of those same apples by Piotr Życieński and
copies from a 3-D printer. It presents the apple as an object of meditation that recalls nature
and time, but also as a natural and artificial clone, because apples and their high-tech replicas
draw awareness to surprising parallels between nature and technology.
Antje Majewski’s paintings of old and new, but also genetically manipulated apple varieties
stand in the tradition of nature morte, following a course from life painting to food
photography to the present.

Agnieszka Polska’s video work deals with the classification of plants. She leads the viewer
into Freisler’s legendary garden where, besides countless plant species, a perfect egg can also
be found. This egg was at the beginning of the e-mail exchanges between Paweł Freisler
and Antje Majewski – which have been continuing for over five years, with no end in sight –
with the intention of coming “Ab ovo usque ad mala” [“from the egg to the apple / from
the beginning to the end”]. The exhibition also included Jimmie Durham’s apple juice bottles,
produced for dOCUMENTA (13), where he also planted two apple trees. The label shows
the Garden of Eden, with Eve sitting down to a déjeuner sur l’herbe under an apple tree when
she meets … not Adam, but a wolf and a bear. It was also bears who ate only the sweetest
apples in the mountains of Kazakhstan, thus creating an early form of the cultivated apple.
While millions of different apple varieties still grow there today, modern agriculture
continues to be globally dominated by about ten varieties that are reproduced asexually (cloned).
Majewski’s film The Freedom of Apples represents a major case study on biodiversity,
offering a look at the complex relationships between the global food industry and technological
progress.
The art-institutional exhibition becomes a laboratory that also deals with the outdoors and
there, once again, initiates concrete action: Antje Majewski and Paweł Freisler saw the
exhibition as a way of taking a real position and urging society to work to preserve genetic
diversity and the individuality of apples. For the first time, an exhibition of this kind at the
Museum Abteiberg expanded into an artistic and ecological project for the city. 1
As part of the outreach project, in the spring of 2015 Majewski and Freisler put out a call
for tree adopters, organizing and motivating a large group of local residents to plant a
hundred trees of old Lower Rhine apple varieties throughout the entire urban area. The first
spot was a back area of Hans-Jonas-Park, which now functions as an apple orchard
and is supervised by pupils from the neighboring school. In general, the apples are planted
exclusively in public places, so that they are freely available to all residents of Mönchengladbach.
Another initiative started the following fall with the revival of the Lower Rhine tradition
of the Apfelfest [apple festival].
Apple. An Introduction (Over and over and once again) was first realized at Muzeum Sztuki
in Łódź, and also concluded with the planting of one hundred trees of old apple varieties
across various districts of Łódź. Polish ecologists Fundacja Transformacja (Łódź) also served
as consultants and coaches for tree adopters in Mönchengladbach. Other project super -
visors and multipliers included the initiatives Transition Town Initiative BergGartenOase,
Margarethengarten and NABU NRW, the youth center JUKOMM im STEP, the high
school Stiftisches Humanistisches Gymnasium, the local community college and the municipal
authorities responsible for open spaces.
Susanne Titz
1| A smaller forerunner located close to the museum
is Beinwellwiese by Tanja Goethe, a comfrey meadow
that has been growing in Hans-Jonas-Park since 2013.
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ANDREAS SIEKMANN
Zum Beispiel Emissionsmantel
2013
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Ein Denkmal wird ergänzt: Hans Jonas erhält einen verlängerten Mantel. Rund um die Säule
fällt er breit auf den Boden; schwer und tragend wie Rodins Bronzemantel für Balzac,
rahmt und vergrößert er die von Hans Karl Burgeff gestaltete Porträtfigur. 1903 in Mönchengladbach
geboren, 1933 aus Deutschland emigriert, 1993 gestorben in New York als einer
der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, veröffentlichte Hans Jonas 1979 Das Prinzip
Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation – eine Aufforderung
zur gesellschaftlichen und ökologischen Wende am Ende der Moderne. In Abwandlung des
kategorischen Imperativs von Immanuel Kant schrieb er damals einen neuen Imperativ
für die Zukunft: „Handle so, dass die Wirkung deiner Handlungen verträglich ist mit der
Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Siekmann erinnert mit seinem Mantel daran, dass Hans Jonas mit diesen Worten bereits die
Nachhaltigkeit meinte, von der wir heute alle sprechen, und illustriert in Piktogrammen,
Begriffen, Figuren und Zahlen deren Aktualität und das fragwürdige Geschäft damit. Zum
Beispiel im Emissionshandel der Unternehmen, den Zertifikaten zur Reduzierung von
CO 2
, die kaum Klimaschutz, sondern neuartige Unternehmensgewinne erbringen. Jonas’
verlängerter Mantel ist wie ein Schimpftuch (vgl. als grandiose Referenz: Sigmar Polke, Das
große Schimpftuch, 1986); das durch diesen Eingriff temporär radikalisierte Denkmal lässt
Hans Jonas für einen Moment in die Gegenwart treten und stellt dabei auch die Frage nach
dem faktischen Erinnerungspotenzial von Denkmälern, Stelen oder anderen Erinnerungsmonumenten
in den Raum.
Die langfristige Position des Denkmals für Hans Jonas ist noch unklar. Die neue Topografie
des Parks, der nach der Fertigstellung des Sonnenhausplatzes eine groß angelegte Freischneidung
und völlig unerwartete Sichtachsen vom Platz zur Volkshochschule und zu den
hinteren Bereichen des Areals erhielt, wird voraussichtlich zu einem anderen Ort dieses
Denkmals führen. Der ursprüngliche Sockel befindet sich jetzt am unteren Rand des Parks,
seit Beginn der Baumaßnahmen verlassen und eingehaust. Ungeachtet dessen, wie
tendenziös und problematisch das physiognomisch-skulpturale Porträt des Philosophen
erscheint, wird es darum gehen, eben jene ambivalente Bedeutung des „real schreitenden“
bronzenen Hans Jonas von Burgeff zu erhalten und zu vermitteln. Es könnte zu weiteren
Denkmälern kommen, die von ihm handeln.
Susanne Titz

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Zum Beispiel Emissionsmantel [Emissions Cloak, for Example]
A memorial is completed. Hans Jonas is given a long cloak. It hangs on a pillar, pooling in a
wide circle on the ground. Weighty and cumbersome like Rodin’s bronze frock coat for
Balzac, it frames and enlarges the statue by Hans Karl Burgeff. Born in Mönchengladbach in
1903, Hans Jonas emigrated from Germany in 1933, and died in New York in 1993 as one
of the most important philosophers of the 20th century. In 1979, he published The Imperative
of Responsibility: In Search of an Ethics for the Technological Age – a call for social and
ecological change at the end of the modern era. In a modification of Immanuel Kant’s Categorical
Imperative, he wrote a new imperative for the future: “Act so that the effects of your action
are not destructive of the future possibility of such life on earth.” 1
Siekmann reminds us that Hans Jonas was talking about the same sustainability we all know
today, and illustrates its relevance and the dubious business associated with it in the form
of pictograms, terms, figures and numbers – for example, the emissions trading practiced by
companies, and carbon emissions reduction certificates, which provide hardly any climate

protection and only create new ways for companies to profit. Jonas’ extended coat is like a
Schimpftuch [cloth of abuse]; it is a temporarily radicalized monument that allows Hans Jonas
to enter into the present for a moment, but also raises questions about the factual memorial
potential of monuments, steles and other commemorative structures.
It is still unclear where this monument to Hans Jonas will be placed in the long term. The
park’s topography changed dramatically after the completion of the Sonnenhausplatz, which
opened wide swaths of open space and created completely unexpected sight-lines from
the square to the community college and rear areas of the outdoor space, so that a repositioning
of this monument seems imminent. The original base is now located at the lower edge of
the park, covered and abandoned since construction began. Even though the philosopher’s
physiognomically sculptural portrait appears tendentious and problematic, the aim is to
preserve and mediate the ambivalent significance of the “really pacing” Hans Jonas bronze
by Burgeff. Further, future works could shed even more light on this aspect. Susanne Titz
ANDREAS SIEKMANN
Zum Beispiel Emissionsmantel
Emissions Cloak, for Example
Styropor, GFK, Eisen, Farbe
Polystyrene, GFK, iron, color, 2013
mit / with
HANS KARL BURGEFF
Hans-Jonas-Denkmal, Bronze, bronze, 1997
S. 102 / 103 im Hintergrund / in background
FERDINAND KRIWET
Lesewald, 1980 / 1981
1| The Imperative of Responsibility: In Search
of an Ethics for the Technological Age,
University of Chicago Press, 1984, p. 11.
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INA WEBER
Wartehäuschen
2013
Was geschieht mit öffentlichem Raum, wenn er seiner vorgegebenen Funktion enthoben wird?
Was ist eine Bushaltestelle an einem Ort, an dem kein Bus fährt? Geht es nach Ina Weber,
so wird daraus ein Treffpunkt für Jugendliche; ein Aufenthaltsort zum Verweilen, Reden,
„Abhängen“, Tanzen und Warten – warten auf irgendetwas … Ihr Wartehäuschen stand
im Sommer 2013 noch vor dem Umbau des Sonnenhausplatzes direkt am Rand der damals
stark frequentierten, noch nicht verkehrsberuhigten Stepgesstraße in direkter Nähe des
Jugendzentrums JUKOMM im STEP.
Diese Arbeit zeigt Ina Weber bereits zum zweiten Mal. Entstanden ist sie für ein Skulpturenprojekt
im öffentlichen Raum in Wuppertal. Dort stand sie an einer wirklichen Haltestelle
und wurde von den Wartenden genutzt. In Mönchengladbach fuhr kein Bus vor diesem
Häuschen ab. Damit erhält Webers Wartehäuschen hier eine gesellschaftspolitische Dimension.
Mit der Wahl des Aufstellungsortes adressierte Weber insbesondere die Jugendlichen,
Gothics und Punks, die sich auf der Wiese des Hans-Jonas-Parks rund um das Jugendzentrum
allwöchentlich zum Feiern treffen – mehr geduldet als erwünscht, dem ein oder anderen
Bürger ein Dorn im Auge. Für sie changierte das Wartehäuschen zwischen Outdoor-Disco
und Regenunterschlupf.
„Gepimpt“ mit Neonröhren, Discolicht, farbigen Innenwänden und Spiegeln, war diese
Haltestelle nicht dem eilenden, gestressten Verkehrsteilnehmer zugedacht, der von einem
Punkt zum anderen hetzt. Das Vorwärtskommen war bei Webers Wartehäuschen nicht
das vorherrschende Thema; es ging vielmehr ums Verweilen, Abschweifen, Sich-Treiben-
Lassen. Ein Graffiti außen an der Seitenwand verwies auf Müßiggang: „Watching Paint Dry“
– „Farbe beim Trocknen zusehen“. Was auf den ersten Blick wie ein schnell dahingesprühtes
Graffiti wirkte, entpuppte sich aus der Nähe betrachtet als ein in mühevoller Kleinarbeit
zusammengesetztes Mosaik aus einzelnen farbigen Steinchen. „Watching Paint Dry“ – die
Redewendung bedeutet im englischen Sprachraum so viel wie „sich langweilen“.
Langeweile – das ist ein Gefühl, das eintritt, wenn man nichts zu tun hat. Langeweile nicht
als Makel, sondern als Gegenmodell zum allgegenwärtigen Gebot zur Eile, Optimierung,
zu Überfluss und vermeintlicher Perfektion? Eine Oase des Nichtstuns mitten im Innbegriff
der Geschäftigkeit – im Verkehrsknotenpunkt eines Innenstadtplatzes mit Blick auf ein
im Entstehen begriffenes Einkaufszentrum. Denjenigen zur Verfügung gestellt, die bei Fortschritt
und ständiger Veränderung schnell übersehen werden, nicht immer erwünscht
sind – und für die eigentlich kein Ort im Stadtraum vorgesehen ist.
Irina Weischedel
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Wartehäuschen [Bus Shelter]
What happens to a public space when it is relieved of its intended function? What is a bus stop
where no busses go? For Ina Weber, it becomes a meeting point for young people: a place
to spend time, talk, “hang out,” dance and wait – wait for anything … In the summer of 2013
her Wartehäuschen [Bus Shelter] stood in front of the Sonnenhausplatz reconstruction
site, right at the edge of Stepgesstraße, a formerly heavily frequented road, at that point still
not yet traffic-free, near the JUKOMM youth center in the STEP.
This was the second time that Ina Weber had shown the work. It was produced for a public
sculpture project in Wuppertal, positioned at an actual bus stop and used by people
waiting for the bus. No busses were running past it in Mönchengladbach, though. In this
context Weber’s Wartehäuschen takes on a sociopolitical dimension. With this choice
of installa tion site, Weber addressed the youth in particular: the goths and punks who meet
at Hans-Jonas-Park near the youth center every week to party – more tolerated than
celebrated, with some residents considering them an eyesore. For them, the Wartehäuschen
alternated between outdoor disco and shelter from the rain.
“Pimped out” with neon and disco lights, colorful interior walls and mirrors, this bus stop
wasn’t intended for the rushed, stressed-out public transit user, trying get to get from point A
to point B. Forward movement wasn’t the prevailing theme of Weber’s Wartehäuschen. It was
much more about lingering, digression and going with the flow. “Graffiti” on the exterior
referenced idleness: “Watching Paint Dry.” What at first came across as hastily sprayed graffiti
turned out, upon closer examination, to be a painstakingly detailed mosaic composed of
single, colored pebbles. Boredom, a feeling that arises when there is nothing to do. Or boredom
not as a flaw, but rather as a counter-model to the omnipresent demand for haste, optimization,
excess and superficial perfection? An oasis of inactivity at the heart of all the bustle – at
the traffic intersection of an inner-city square in sight of a nascent shopping mall. Provided
for those who are easily overlooked in the pursuit of progress and constant change, who
aren’t always wanted, and who have no other place in the city devoted to them. Irina Weischedel
INA WEBER
Wartehäuschen
Bus Shelter
div. Materialien
various materials
Courtesy Galerie
Hammelehle und Ahrens
2013
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VESKO GÖSEL
Pentaprisma Mönchengladbach
2013
Den Blick über den Sonnenhausplatz schweifen lassen konnte man zur Zeit der Ausstellung
2013 nicht. Hier herrschte das Interim: Das Einkaufzentrum Minto befand sich noch im
Bau, der Sonnenhausplatz als solcher existierte noch nicht. An seiner Stelle stand die von zwei
Straßen umgebene Übergangshalle, die die Geschäfte des zukünftigen Einkaufszentrums
beherbergte. Eine Zwischenlösung, die Lust machte auf die Zukunft; auf das, was noch
kommen sollte – denn besser würde es allemal werden.
Genau diesen merkwürdigen Charakter einer Zwischensituation hat Vesko Gösel in seiner
Arbeit Pentaprisma Mönchengladbach eingefangen. Zwischen Einkaufsstraße, Hans-
Jonas-Park und Museum Abteiberg bildete die temporär errichtete Stahlleichtbauhalle der
Mönchengladbach Arkaden Vis-à-Vis einen urbanen Schnittpunkt. Hier, wo der neue
Stadtplatz entstehen sollte, trafen Stadt und Natur, Konsum und Kultur aufeinander.
Gösels polygonales Banner, eingespannt in einen Metallrahmen, entwickelte durch seine
Größe eine starke skulpturale Präsenz. Direkt an die metallene Halle angebracht, zeigte es
das fotografische Abbild eines fünfeckigen Prismas. Einem Spiegel gleich fing es die
Gegensätze dieser Raumsituation ein und brachte sie in eine kristallartige Form. Teilweise
durch Spiegelungen abstrahiert, zeigt es die Urbanität der Baustelle, das schillernde
Farbspiel der Natur und die Faszination der Lichtbrechung. Wo man normalerweise auf
Werbebanner trifft, bündelte das Pentaprisma das Licht aus allen Ecken des Platzes und
erzeugte für den Betrachter ein leuchtendes Abbild der Umgebung. Es sorgte für Sichtbarkeit
und übernahm so – überführt in die zweidimensionale Fläche – eine ähnliche Funktion
wie das in Spiegelreflexkameras eingebaute Prisma, das die einfallenden Lichtstrahlen von
Objekten bricht und sie auf diese Weise für den Fotografen sichtbar macht.
VESKO GÖSEL
Pentaprisma Mönchengladbach
Pentaprism Mönchengladbach
Banner, Stahl / banner, steel, 2013
Pentaprisma Mönchengladbach [Pentaprism Mönchengladbach]
There was no view of the Sonnenhausplatz at the time of the exhibition in 2013. This area was
the domain of the interim: the Minto shopping center was still under construction, the
Sonnenhausplatz as such did not yet exist, and in its place stood the interim hall, housing all
of the future shopping center’s stores. A provisional solution that generated a desire for
the future, for what was to come – because it couldn’t be any worse.
It is precisely this odd “in-between” character that Vesko Gösel captured in his work
Pentaprisma Mönchengladbach [Pentaprism Mönchengladbach]. The temporarily erected
lightweight steel shed housing Mönchengladbach Arcades’ Vis-à-Vis formed an urban
intersection between the shopping street, Hans-Jonas-Park and Museum Abteiberg. Here, in
the future location of the central city square, the city came into contact with nature,
commerce, and culture.
Gösel’s polygonal banner, given its size and metal frame, made for a strong sculptural
presence. Attached directly to the metal hall, it displayed the photographic image of a fivesided
prism. Like a mirror, it captured the antagonisms of its spatial setting, bringing it
into a crystalline form. Partially abstracted by the mirror, the sculpture exhibited the urban
quality of the construction site, nature’s dazzling color palette and the allure of refracted
light. Where there would normally be advertising banners, the Pentaprism gathered the light
from all corners of the space, giving the viewer an illuminated image of the surroundings.
It provided visibility and – transferred to a two-dimensional plane – acted like the prism built
into a reflex camera, which fractures the incoming light-rays from an object, thereby
making them visible.
Irina Weischedel
114

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117

THOMAS LOCHER
Imperativ / Aufforderungen, Befehle und Kommandos
2013
118
Imperative, Projet Unité D’Habitation Le Corbusier, Firminy 1993
Das ortsspezifische Projet Unité d’Habitation Firminy wurde 1993 von dem Kurator Yves
Aupetitallot entwickelt. Die Ausstellung fand auf einer Etage des von Le Corbusier entworfenen
Wohnkomplexes statt, da infolge der Auswirkungen einer Landflucht Teile des Gebäudes
unbewohnt waren und leer standen. Für mein Projekt stellte ich zunächst ein Konvolut an
einfachen Befehlen und Aufforderungen aus der Alltagssprache zusammen. Teile dieser
Textsammlung wurden in einer der leeren Wohnungen in der Unité auf mehrere unterschied -
liche Wände appliziert. Als Susanne Titz und Markus Ambach mich fragten, ob die für
einen bestimmten Ort entwickelte Textarbeit auch an einem anderen Ort – an einer der Straßen
zum Museum Abteiberg und einer Wand im Außenraum – gezeigt werden könnte, zögerte
ich zunächst.
Für die Arbeit war nicht nur die ursprüngliche, heute historische Kontextualität des Ortes
wichtig, sondern vor allem der Bezug zur Le Corbusier’schen Architektur. Es ist die
„reine und moderne“ Funktionalität des Gebäudes, die als ein Gefüge von Raum, Präsenz
und Repräsentation, von Sein und Inszenierung sichtbar macht, was an sozialen Verhältnissen
beabsichtigt, geplant und hergestellt werden soll und wird. In diesem Sinne zeigt
die Unité nicht nur Möglichkeiten einer Behausung; vielmehr macht sie, weil ihre Architektur
„regiert“, die Determinierung sozialen Seins und dessen Handlungen lesbar: die Idee des
Gebäudes als Maschine; der Entwurf einer verminderten Küchenfunktion für die Wohnungen
zugunsten einer allgemeinen, kollektiven Küche; die Organisation eines Hauses, in dem
man leben kann, ohne es zu verlassen, und das seine BewohnerInnen mit dem Allernötigsten –
einer Einkaufsetage, einem Kindergarten und einem Freizeitareal auf dem Dach – versorgt.
Mir ging es darum, die angesprochenen architektonischen Determinierungen in Sprache
zu übersetzen und somit die Architektur in ihrer Sprachlichkeit lesbar werden zu lassen. Diese
Entscheidung zu einer Sammlung von Imperativen steht ferner in Bezug zu Charles Fourier,
einem französischen Gesellschaftstheoretiker und Vordenker des Sozialismus. Sein
zentrales Projekt war das Phalanstère – eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf dem Lande,
in welcher alles öffentlich sein sollte. Nie ist ein architektonisches Projekt von Fourier
realisiert worden; übrig geblieben sind seine Schriften: Überlegungen, Listen, Klassifizierungen.
Hier, in der Imagination seiner detaillierten Beschreibungen, liegt das „Phantasmatische
der Utopie“, schrieb Roland Barthes: die Empfindungen, die Art des Zusammenlebens, das
Begehren, die Lust, die Freiheit, der Reichtum, die Zeit, die Ernährung, die Feste, die Erziehung,
das Glück. Nichts wird ausgelassen; alles wird erwähnt. „Das Phalanstère scheint eher
ein Ort der Inszenierung zu sein als ein wirklicher Ort des Zusammenlebens, passagenhaft
und mit dekorhafter Ausstattung, ein operettenhafter karnevalesker Ort, ein Folies-Bergère
des vorsozialistischen Denkens“ 1
In diesem Sinne greifen die an die Wände geschriebenen Reihen mit alltags- und umgangssprachlichen
Befehlen die endlosen Aufzählungen Fouriers auf; seine obsessive Versprachlichung
dessen, was sich eigentlich der Sprache entzieht. Hinzu tritt die desillusionierende Auffassung
von Deleuze und Guattari, die der Sprache erst in zweiter Linie die Aufgabe des Austauschs
von Informationen und Wissen zuschreiben. In erster Linie, so ihre These, sei Sprache
vielmehr dazu da, mit Sätzen, Aussagen und Anweisungen die Gesellschaft ordinativ zu
konfigurieren.

119

1| Roland Barthes, Sade, Fourier Loyola,
Frankfurt am Main 1984, S. 133.
Bereits die Realisierung in Firminy basierte auf der Haltung, dass jedes ortsspezifische
Projekt zwar mit einer Verpflichtung zum Ort, dessen Geschichte und seinen „Funktionen“
einhergeht und nicht ohne Weiteres übertragbar, zugleich aber auch jede Ortsspezifik
gleichermaßen immer schon Wiederholung ist, weil die Präsentation einer Sache nicht möglich
sei und daher grundsätzlich die Form einer Repräsentation annehmen muss. Selbst der
Ursprung eines Projekts stellt somit eine Verschiebung dar und kann, weil sie immer schon
Wiederholung ist, immer wieder wiederholt werden.
Zudem kam für mich ein rein dokumentarischer Ansatz, der eine Historisierung verstärken
würde und nicht im Außenraum, sondern im Museum hätte gezeigt werden müssen,
nicht infrage. Insofern stellte sich in Bezug auf eine erneute Wiederholung – ich vermeide
die Begriffe „Re-Inszenierung“ und „Wiederaufführung“ – eines ehemals ortspezifischen
Ansatzes an einem anderen Ort und auch in einer anderen Zeit die Frage, ob und auf
welche Weise das ursprüngliche Projekt erzählt werden kann. Und: Beginnt damit eine ganz
neue Erzählung? Trennt diese Verschiebung die Verbindungen zum ursprünglichen
Bezugssystem und macht diese unkenntlich? Oder bleiben Elemente davon – zumindest als
Spuren dieser alten Verbindungen – erhalten?
Vor diesem Hintergrund interessierte mich zu sehen, was diese Arbeit an einem anderen Ort
leistet, der kein Monument des Modernismus ist, sondern eine profane Wand an einer
Straße im Umfeld des Abteibergs in Mönchengladbach. Insbesondere in einer Zeit, in der die
ordinativ territorialen Eigenschaften von Sprache auf die Illusion eines kommunikativen
und sozialen Sprechens treffen, in dem das Sender-Empfänger-Verhältnis vermeintlich
ausgeglichen ist.
Thomas Locher
120

Imperative, Projet Unité d’Habitation Le Corbusier, Firminy, 1993
The site-specific project Projet Unité d’Habitation Firminy was developed by curator Yves
Aupetitallot in 1993. The exhibition was held on one floor of the residential complex
designed by Le Corbusier, as a rural exodus had left parts of the building uninhabited and
empty. I started my project by compiling a collection of simple commands and prompts
from everyday language. Parts of this text collection were applied to several different walls
in one of the empty apartments in the Unité. When Susanne Titz and Markus Ambach
asked me whether the text piece I developed for a certain site could also be shown at another
location, on one of the streets leading to Museum Abteiberg (and an outdoor wall), I was
at first hesitant.
It wasn’t just the original, now historical contextuality of the site that was important to the
work, but above all the relationship to Le Corbusier’s architecture. It is the “pure and modern”
functionality of the building that – as a framework of space, presence and representation,
being and staging – presents a vision of what kinds of social relationships are intended, planned,
should be and are created. In this sense, Unité not only shows what is possible for a
dwelling – as a “governing” architecture, it makes the determinism of social being and its
activities readable: the idea of building as machine; design that reduced kitchen functionality
in apartments in favor of a general, collective kitchen; the organization of a house you
can live in without leaving it, one that provides its inhabitants with all the necessities including
a shopping mall, a kindergarten and a rooftop recreation area.
I wanted to translate the mentioned architectural determinations into language, making the
linguistic quality of the architecture readable. The decision to make a collection of
imperatives is also related to Charles Fourier, a French social theorist and socialist visionary.
His main project was the phalanstère (or phalanstery) – a countryside residential and
working community in which everything was to be public. No architectural project by Fourier
was ever realized; all that remains are his writings in the form of reflections, lists and
classifications. It is here, Roland Barthes writes, in the imagery evoked by his detailed descrip -
tions, that the “phantasm of utopia” lies: the sensations, the way of living together, desire,
pleasure, freedom, wealth, time, nutrition, festivals, education, happiness. Nothing is left out,
everything is mentioned. “The phalanstery seems to be a place of staging rather than a
real place of coexistence, arcade-like and fitted with decor, a carnival-like conjunction of
transgression and opera, a Folies Bergère cabaret of pre-socialist thought”. 1
In this sense, the series of everyday and colloquial commands written on the walls are also a
reference to Fourier’s endless lists, his obsessive verbalization of things that actually
evade language. Adding to this is the disillusioning perspective of Gilles Deleuze and Félix
Guattari, who see the exchange of information and knowledge as only a secondary
function of language: the primary function, they theorize, is the ordinative configuration of
society by means of sentences, statements and instructions.
The realization in Firminy was already based on the assumption that every site-specific project
is inherently also obliged to the site itself, its history and its “functions,” and is not easily
transferable. But at the same time, every site-specific work is also always a repetition already,
because it isn’t possible to present a thing and so it must, in principle, take the form of a
representation. Thus even a project’s origin represents a shift and can always be repeated again
and again, because it is always in itself a repetition. This was compounded by the fact that
a purely documentary approach was out of the question for me, as it would have reinforced a
historicization and would have had to be shown not outdoors, but inside the museum.
In this respect, with regard to a renewed repetition (I’m avoiding the terms “re-staging” and
“reenactment”) of a previously site-specific approach at another place and also another
time, the question arises as to whether and in what way the original project can be told. And:
is this the starting point for an entirely new story? Does this shift sever ties to the original
reference system; does it render them unrecognizable? Or do they retain elements of it – at
least as traces of these old connections?
With all this in mind, I was interested in seeing what this work does in a different place – one
that is not a Modernist monument, but a profane wall on a street near the Abteiberg
in Mönchengladbach. Especially at a time when the ordinative, territorial characteristics of
language meet the illusion of a communicative, social speech where the sender-receiver
relationship is supposedly balanced.
Thomas Locher
THOMAS LOCHER
Imperativ / Aufforderungen, Befehle und Kommandos
Imperative / prompts, orders and commands
300 Imperative, französisch / deutsch
300 imperatives, French / German
1993 / 2013
1| Roland Barthes, Sade, Fourier Loyola,
University of California Press, Berkeley, 1989, p. 115.
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JAKOB KOLDING
Ohne Titel
2013
124
Eine Kreuzung, ein Platz oder doch nur ein Parkhausdeck? Um Jakob Koldings mehrteilige
Arbeit fassen zu können, ist zunächst ein genauer Blick auf die städtebauliche Situation des
Ortes zu werfen, an dem sich Abteistraße, Spatzenberg und Krichelstraße kreuzen.
Unvermittelt treffen hier ein klassizistisches Bürgerhaus, eine Tiefgarage, ein postmodernes
Museum, ein ebensolches Gymnasium und ein Wohn- und Geschäftskomplex mit
brutalistisch anmutendem Parkdeck aufeinander. Auf die ungeklärte Straßensituation
nimmt hier schon Thomas Rentmeister mit seinem blauen Autobahnschild ironisch Bezug –
seine Arbeit Museum wurde im Rahmen der Euroga 2002plus aufgestellt.
Spielerisch fasst Jakob Kolding den Platz, ohne ihn zu vereinheitlichen, mit seinen schwarzweißen,
meist lebensgroßen konturgeschnittenen Figuren. Sie sind alles andere als zufällig
aufeinandergetroffen: Präzise auf ihre Umgebung abgestimmt, definieren, kommentieren
und deuten sie den Raum. Dabei steht jede Figur für sich. Auch wenn sie wie kulissenhafte
Darsteller eines Theaterstücks wirken – eine übergeordnete, verbindende Erzählung,
nach der man als Betrachter unwillkürlich sucht, fehlt.
Die Arbeit ist vielmehr ein positiver, künstlerischer Kommentar, der sich an die Nutzer des
Raumes richtet, sie dazu animiert, durch diesen unwirtlichen Ort nicht einfach hindurchzugehen,
sondern ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Veränderung kann schließlich nur dort
entstehen, wo auch hingeschaut wird. Der künstlerische Eingriff fokussiert den Blick
auf diesen üblicherweise unbeachteten Transit-Ort – ein Versuch, Chancen aufzuzeigen und
allgemeine Fragen zum Stadtraum zuzulassen: Wie stark hängt die Nutzung öffentlicher
Räume von ihrer Gestaltung ab? Wie verändert sich städtischer Lebensraum durch die Art
seiner Nutzung? Lässt sich öffentlicher Raum individuell definieren, ohne gleichzeitig
eine allgemeingültige Nutzung für andere vorzugeben? Ein Appell gegen die bloße Kritik hin
zum Neudenken, Mitgestalten, konstruktiven Handeln.
Irina Weischedel

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JAKOB KOLDING
ohne Titel / untitled
Folie auf Siebdruckplatte, Stahl
Foil on plywood, steel
2013
S. 128
THOMAS RENTMEISTER
Museum / museum
Aluminium, Folie / aluminum, foil
2002
An intersection, a square or just a parking garage? To grasp the multipart work by Jakob
Kolding, one must take a closer look at the urban development of the area around the junction
of Abteistraße, Spatzenberg and Krichelstraße. Here a neoclassical townhouse, an underground
garage, a postmodern museum and high school, and a commercial / housing complex
with a brutalist-style parking garage all intersect abruptly. Thomas Rentmeister had
ironically referred to the ambiguity of the road situation in his work Museum – a blue highway
sign – which was exhibited at Euroga 2002plus.
Without trying to unify it, Jakob Kolding playfully takes on the square with his black-and-white,
almost life-sized, cut-to-contour figures. Their coming together is anything but random:
precisely adapted to their settings, they define, annotate, and interpret the space. Each figure
stands for itself. Even if they appear to be background performers in a theater piece, they
lack the unifying narrative that the viewer subconsciously seeks.
The work is much more a positive, artistic commentary addressed to the occupants of this
inhospitable space, encouraging them to pay attention to it rather than simply pass through.
Change can only occur where the need for change is observed. The artistic intervention
focuses on this normally overlooked space of transition – an attempt to identify opportunities
and pose questions about the city space in general. To what extent does the use of public
space depend on its design? Can public space be defined on an individual basis without, at the
same time, attending to the needs of others? An appeal raised against facile criticism and
for more innovation, co-design and constructive action.
Irina Weischedel
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NEUE POSITIONEN ZUM VERHÄLTNIS VON KUNST,
URBANITÄT UND ÖFFENTLICHKEIT
3. JULI – 23. OKTOBER 2016
Baltensperger + Siepert
David Bernstein
Henning Fehr und Philipp Rühr
Isabella Fürnkäs und Lukas von der Gracht
Taisiya Ivanova
Felix Kalmenson
Tomas Kleiner und Marco Biermann
Stephan Machac
Rhein Verlag
Arne Schmitt
Seira’s
Fari Shams
Pola Sieverding
Studio for Propositional Cinema
Britta Thie
Palina Vetter
Alex Wissel und Jan Bonny
Anna Witt
VON
DEN
STRÖMEN
DER
STADT
EINE AUSSTELLUNG IM MUSEUM ABTEIBERG
KURATIERT VON MARKUS AMBACH UND SUSANNE TITZ
133

VON
DEN
STRÖMEN
DER
STADT
Markus Ambach
Hintergrund
Lange schon konstituieren sich westliche
Gesellschaften im Wesentlichen entlang ihrer
räumlichen und territorialen (Besitz-)Ver -
hältnisse. Städte und urbane Räume sind
daher immer auch als Verräumlichung gesellschaftlicher
Beziehungen zu interpretieren.
Während die Stadtplanung diesen in der
Struktur der Stadt eine verborgene Syntax
verleiht, zeigt sich die Architektur im
gebauten Raum als ihre dauerhafte Repräsentation
in der Öffentlichkeit. Der Besitz
von Raum macht seinen gesellschaftlichen
Einfluss dabei nicht nur im Sinne von
In- und Exklusion geltend, sondern
vielmehr im Bild des Möglichkeits raums.
Die reine Potenz, einer Handlung oder
einem Geschehen Raum geben zu können,
um sie damit zu ermöglichen oder eben
auszuschließen, formuliert heute eine
Macht, die mit einem Erwartungszu stand
operiert und ihre Ökonomie nach der Doktrin
konstituiert: Kein Handeln ohne Raum. 1
Während die Gesellschaft ihre Macht über
die Ökonomie des Möglichkeitsraums
und der Potenz ausbaut, wird die Stadt als
Handlungsraum mehr und mehr privatisiert.
Wo der Bürgersteig als eine der letzten
verbliebenen Restzonen des Öffentlichen in
den Metropolen dauerhaft unter dem
Druck ökonomischer Verwertbarkeit steht
und nahezu verschwindet, 2 schließen
sich die letzten Freiräume kollektiven
städtischen Handelns.
Wo das „Öffentliche“ als reale Größe mehr
und mehr verloren geht, wird es als Begriff
und Vorstellung überstrapaziert. Über
alles gestülpt, was nur entfernt dieses Prädikat
134
verdient, verschwimmen die vormals
differenzierten Qualitäten vom Intimen über
das Private bis hin zum Öffentlichen samt
ihrer Graustufen. Ob in gesellschaftlichen
Partizipationsdiskursen (nicht nur bei Kunst
im öffentlichen Raum), in der unbedachten
„Veröffentlichung“ – also Öffnung – von
einst spezifischen Teilöffentlichkeiten (wie
Museen, Kultureinrichtungen und anderen
Fachdisziplinen), ob im Sinne der unbe -
grenzten Selbstveröffentlichung von Subjekten
in Sozialen Medien und Internetforen oder
im politischen Willen, alles jedem zugänglich
zu machen: Was heute nicht öffentlich ist
(und woran nicht partizipiert werden kann),
scheint der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit
anheimzufallen.
Dabei geht die Gesellschaft weiterhin von
einem Begriff des Öffentlichen als demokratischem
Terminus für ein kollektiv Geteiltes
aus, ohne die Frage zu stellen, ob nicht
längst ein Paradigmenwechsel stattgefunden
hat. Das Öffentliche scheint heute
vielmehr einer radikalen Ökonomisierung
unterworfen zu sein, in der die Veröffentlichung
von Dingen weniger ihrer demokratisierenden
Zugänglichkeit als vielmehr
einer Wertschöpfung im Sinne des allgemeinen
Zugriffs auf alles und jeden dient.
Von den Strömen der Stadt
An dieser neuralgischen Stelle der Verpflich -
tung, alles zu teilen (und mitzuteilen) im
Dunstkreis einer Hysterie des Öffentlichen,
fragt die Ausstellung Von den Strömen der
Stadt gerade eine junge Künstlergeneration
unter 35 nach der aktuellen Lage jenes
Öffentlichen: Welche Bedingungen knüpfen
sich an die Veröffentlichung spezifischer
Verhältnisse, Personen und Räume? Wie
interagieren Intimität, Subjekt und Integrität
mit einem exhibitionistischen Öffentlichkeits
diktat? Welche Rolle spielt die exzessive
Selbstveröffentlichung der Individuen
dabei? Welche Ökonomien diktieren das
Öffentliche, und sind sie transformierbar?
Wo finden sich Rückzugszonen und
verborgene Resträume in der Totalität des
Öffentlichen, und sind diese erwünscht?
Darüber hinaus fragt die Ausstellung nach
Handlungsoptionen im Sinne einer
Kultur der Praxis versus der Ökonomie des
Raums: Wo entsteht angesichts der Überbewertung
von Möglichkeitsräumen dennoch
eine Praxis des freien Handelns in besetzten
Räumen? Welche Teilöffentlichkeiten sind
vorstellbar als Spezifizierung, Widerlager oder
Perforierung eines universalen Öffentlichkeitsbegriffs?
Wie und über welche Praktiken
differenziert sich die Totalität des Öffentlichen
in spezifischen Verhältnissen
zwischen Gemeinschaft und Intimität? Wie
konstituieren sich neue Formen des
Öffent lichen gerade auch in der Kunst als
Organ kultureller Produktion?
Um die Frage des Öffentlichen also nicht
mehr am Beispiel des Raums zu verhandeln,
sondern vielmehr an den Handlungen,
Taktiken und Praktiken seiner Protagonisten
– und damit an den Strömen der Stadt mehr
als an der Stadt selbst –, bedient sich die
Ausstellung nicht des öffentlichen Raums,
sondern bewusst eines Fachdiskurses
innerhalb einer Institution. Das Museum
Abteiberg, das sich seit 2012 im Projekt
Ein ahnungsloser Traum vom Park intensiv
mit seinem städtischen Umfeld und der
Interaktion mit diesem beschäftigt, erweitert
mit der Ausstellung Von den Strömen der
Stadt den geführten Diskurs zum Verhältnis
von Kunst und Stadt um das Thema des
Öffent lichen und seiner Bedeutung. In diesem
klassischen musealen Ausstellungskontext
zeigt eine junge Generation, die Kunst im
öffentlichen Raum oft kritisch gegenüberzustehen
scheint, wie sie Themen der Stadt,
der Gesellschaft und des Öffentlichen als
Arbeitshintergrund definiert, generiert, be -
greift und wiederum im künstlerischen
Fachdiskurs abbildet. So bestimmen aktuelle
Formate wie medienbasierte Arbeiten,
Rechercheprojekte und künstlerische Projekt -
arbeiten genauso das Bild der Ausstellung
wie klassische Installationsarbeiten, Perfor -
mance, Fotografie und Film.
1| Auch wenn diese Strategie vorgibt, das Handeln
an sich ins Zentrum zu stellen, bildet der Raum als
Bedingung weiterhin den Nukleus der Macht, artikuliert
im territorialen Besitz. Und mehr noch: Die Macht des
Möglichkeitsraums konstituiert sich eben im Moment
der Verhandlung (und gerade nicht der Handlung), der
Zuteilung von Handlungsoption, und endet daher mit
der Handlung selbst (die die Macht des Möglichkeitsraums
und seiner Potenz beendet). Die an die Potenz
des Möglichkeitsraums geknüpfte Macht ist insofern
daran interessiert, den Raum der Verhand lung (z.B. im
Wettbewerb, in politischen Aushandl ungs prozessen)
ins Unendliche zu verlängern, um ihre Macht zu
wahren. Sie ist insofern eine Macht der Vorstellung
und nicht des Ereignisses.
2| Der Bürgersteig wird durch mannigfaltige Privat -
interessen instrumentalisiert. Cafés nutzen ihn als
Erweiterung der eigenen Räumlichkeiten, Geschäfte
zur Ausdehnung der eigenen Werbefläche, Privat -
personen und Hauseigentümer als Verlängerung des
eigenen Vorgartens.

On the Currents of the City
Background
For a long time now, western societies have,
in essence, constituted themselves by
their spatial and territorial (proprietary) conditions.
Cities and urban areas are, then,
always to be seen as the spatial expression
of societal conditions. While the urban
planning process confers a hidden syntax on
the structure of the city, the architecture
of the built space is the permanent representation
of that syntax within the public
sphere.
The ownership of space has social influence
not merely in the sense of inclusion and
exclusion, but also, and to a larger degree, in
proffering a realm of possibility. The pure
power of being able to give space to an action
or an occurrence, thereby making it possible
or, just as likely, excluding its possibility,
constitutes a form of power today, operating
under the condition of speculation and
constituting an economy according to the
doctrine of “no action without space.” 1
As society expands its power through an
economy of spatial possibility and speculation,
the city is increasingly privatized as a space
of action. The last spaces open to collective
urban action are shut down when sidewalks –
among the remaining vestiges of public
space in the city – begin to disappear under
the enduring pressure to maximize economic
utility. 2
While “the public” as a physical variable
continues to shrink, it becomes worn out as a
concept and idea. Applied to everything
that even remotely deserves the term as a
descrip tor, the greyscale that once differentiated
qualities like intimacy and privacy
from “public” begins to blur. Whether in the
sense of participatory, community
discourses (not only about art in public spaces),
in thoughtless “publication” and so the
opening up of once specifically semi-public
spaces (like museums, cultural institutions
and those of other disciplines), in the
boundless self-disclosure of the subject on
social media and internet forums, or in
the political will to make everything accessible
to everyone: what is not public today (and
cannot be participated in) seems to fall victim
to social irrelevance.
At the same time, society continues to base
its idea of the public on the democratic
term for the commons, without seeming to
consider that a paradigmatic shift might
already have occurred. The public sphere
appears today much more subjugated to
radical economization, wherein making things
public serves less to democratize accessi bi lity
than to create value in the sense of offering
general access.
On the Currents of the City
Within the atmosphere of public hysteria
and the attendant, hysterical state of
obligation to share (and disclose) everything,
Von den Strömen der Stadt asks a young
generation of artists (under 35) about the
current state of “the public”. What conditions
are tied to the act of making specific
relations, people, and spaces public? How are
intimacy, subjectivity and integrity
assimilated within the exhibitionist dictates
of the public?
What role does the individual’s excessive
self-publication play in that assimilation?
What economies dictate the terms of the
public, and can they be transformed? Where
can one find zones of respite and hidden
refuge within the totality of the public, and
are such escapes desirable?
The exhibition also looks into courses of
action in terms of a culture of practice that
opposes the economy of space. Where
does the practice of free actions in occupied
spaces occur, given the overvaluation of
spatial potential? What semi-public spaces
could conceivably specify, antagonize or
perforate a universal concept of the public?
How and by what practices does the totality
of the public sphere differentiate between
community and intimacy in specific
conditions? How are new forms of the public
already constituted in art as an organ of
cultural production?
In order, then, to address the issue of the
public sphere, not by continuing to use spatial
examples, but rather by taking examples
of the actions, tactics and practices of its
protagonists – and thereby dealing with the
currents of a city as much as the city itself –
the exhibition does not make use of public
space. Instead it opts to remain a specialist
discourse within an institution. Ever
since the 2012 project Ein ahnungsloser Traum
vom Park [An Innocent Dream of a Park],
Museum Abteiberg has been rigorously
concerned with its urban surroundings
and its interactions with those surroundings.
The exhibition Von den Strömen der Stadt
[On the Currents of the City] elaborates on the
discussion of art’s relation to the city
within the theme of the public sphere and its
significance. In the context of a classic
museum exhibition, a young generation of
artists who often seem to take a critical
stance to art in public generate and grasp the
themes of city, society, and the public
sphere as a backdrop to their work, and in
turn shape an artistic discourse. Contemporary
formats like media-based works,
research, and artistic projects establish these
attitudes alongside classic installation
work, performance, photography, and film.
1| Even when these strategies pretend that trade is at
the center, space, as a condition, forms a further
nucleus of power, articulated as territorial possession.
What is more, the power of the realm of possibility
constitutes itself even in the moment of negotiation, the
allocation of trade options, and finishes with the
action itself (which ends the power of the realm of
possibility and its potential). The power tied up in the
potential of the realm of possibility is interesting
insofar as the space of negotiation (for instance in
competition, in political negotiation) is endlessly
extended, in order to protect its power. In that respect,
it is a power of expectation and not of action.
2| A diverse set of private interests is
instrumentalizing the sidewalk. Cafés use it to extend
their premises, shops to gain some advertising
surface, individuals and homeowners to lengthen their
front yards.
135

ÖFFENTLICH
PRIVAT
ÖKONOMISCH
POLITISCH
Welche Räume heute überhaupt öffentlich
sind, bleibt oft diffus. Die Schnittstellen
zwischen öffentlich und privat, ökonomisch
und politisch, gesellschaftlich und sozial
sind oft kaum auszumachen, obwohl die Be -
griffe weiterhin stark umkämpft sind.
Ohnehin bestimmen territoriale Fragen dabei
nach wie vor übermäßig den Diskurs.
Pola Sieverding verhandelt in ihrer
Installation das Verhältnis zwischen dem
gebauten Raum und seinen Akteuren.
Wo die Protagonisten der Stadt diesen Raum
äußerst selten besitzen, sind sie darauf
angewiesen, in ihm autonom zu agieren. In
Teilöffentlichkeiten, subkulturellen Szenen
und Parallelwelten transformieren sie
den Raum der Macht zur Bühne der Stadt.
Sieverdings Akteure – in diesem Fall
Boxer, Catcher oder Tänzerinnen – agieren
an Orten, die, in der Dunkelheit liegend,
nahezu ausgeblendet sind. Der Körper
fungiert als letztes Refugium eben dieser
(Handlungs-)Autonomie und wird so
zum letztmöglichen Einsatz im Spiel um
Position, Anerkennung, Liebe und Macht.
Dass die antike Tragödie hier weiterhin
den Subtext bildet, ist nur eine der vielschich -
tigen Spuren, die Sieverding von dieser
Zeit ausgehend über die Moderne bis in eine
Zukunft, die aktuell noch verhandelt wird,
nachzeichnet.
138
Philipp Rühr und Henning Fehr folgen in
ihrer Arbeit ebenfalls den Spuren einer
Teilgesellschaft, die sich seit den 1990er-
Jahren über ein Phänomen der Musikkultur
definiert. Die Techno-Szene, der man
anfangs eine relativ kurze Halbwertszeit
zugestanden hat, konnte sich mittlerweile zu
einem der hartnäckigsten Genres entwickeln
und hat die vielfältigsten subkulturellen
Formen hervorgebracht. Rühr und Fehr kon -
zentrieren sich auf Events und Happenings
der amerikanischen Szene, die explizit in
öffentlichen Räumen oder vielmehr: unter
freiem Himmel stattfinden. Dabei zeigt sich,
dass sich im Umfeld dieser Sub- und Pop u-
lärkultur komplexe Rhizome kleinster
Teilgesellschaften und Parallelwelten bilden,
die sich diskret in die Matrix konventioneller
Gesellschaftsstrukturen einweben.
Im Gegensatz zu einer konfrontativen
Haltung bewegen sich diese unabhängig und
zugleich parallel zum Mainstream – wie ein
subtiler Kommentar durch die Gesellschaft.
Indem Fehr und Rühr in ihr Szenegeflecht
sowohl die Analyse von Pilzstrukturen wie
auch Beispiele der amerikanischen Land-Art
einfügen, öffnen sich Fenster zu zwei
Analogien: Der Pilz existiert als weitgehend
unsichtbares, flächendeckendes Myzel im
Boden, um komplexeste symbiotische Be zieh
ungen mit seinem Umfeld einzugehen, die
noch nahezu unerforscht sind. Die amerikanische
Land-Art, die sich aufmachte, den
institutionellen Raum der Kunst zu verlassen,
läutete mit ihrem Landschaftsbezug eine
kontextbezogene Ära der Kunst ein. Diese
beiden lose wie offensichtlich miteinander
assoziierten Analogien bilden nur einen
kleinen Ausschnitt des aus heterogensten
Fragmenten bestehenden Beziehungsgeflechts,
das sich auch außerhalb der film ischen
Arbeit von Rühr und Fehr im Raum fortsetzt.
So fungieren die Bilder von Schneekanonen
eigentlich als Soundeater, die den Klang
im Raum wie Schnee perfekt dämpfen – ein
weiteres auffallendes Element im manchmal
fast rauschartig dich ten Teppich von An -
spielungen und Mutmaßungen, Analogien
und Symbiosen, die die Künstler uns anbieten.
Anna Witt, die sich oft mit den gesellschaftlichen
Schnittstellen von Kunst und
Öffentlichkeit beschäftigt, fragt in ihrer
Arbeit Radikal denken nach den elementaren
Wünschen und Utopien der Protagonisten
der Stadt. Den pointiert formulierten
schriftlichen Statements der Befragten stellt
sie Porträts gegenüber, die jedoch nicht
personifiziert und den Texten zugeordnet
werden können. In ihrer zweiten Arbeit
konfrontiert sie die programmatischen
Aussagen mit der Realität. In einem kurzen
Video befragt sie einen Rechtsexperten
nach Richtlinien und „Gesetzen des Geh -
steigs“. Der ernst gemeinte wie illustre
Kommentar des Beamten zu verschiedenen
Aktionen von Passanten und Künstlern
im öffentlichen Raum dokumentiert die
trockene rechtliche Einschätzung der
Situation. Der öffentliche Raum als vermeintlicher
Freiraum wird just zum stark
reglementierten Minimalhandlungsraum
eingedampft. Vor diesem Hintergrund bleibt
von den Wünschen seiner Protagonisten
noch weniger übrig als eine Utopie: Sie sind
schlicht undenkbar.
Auf der Suche nach den Schnittstellen
zwischen Privatem und Öffentlichem begibt
sich nur ein Künstler nach draußen.
David Bernstein provoziert mit seiner Arbeit
im Außenraum des Museums einen
vermeintlichen Konflikt. Sein Fiat Multipla
parkt mitten auf der grünen Wiese im
Museumsgarten und stört dort den Frieden
der klassischen Skulpturen – besonders,
da aus den offenen Türen selbst eingespielter
Hip-Hop dringt. Das Auto als private Zelle,

die sich sonst ungezwungen durch den
öffentlichen Raum bewegt, erhält hier durch
das ausgewählte Modell und den Park platz
noch eine weitere besondere Komponente. Der
als vielleicht schlechtestes Design geltende
Familienwagen hat inzwischen Kultstatus
erreicht. Als familiäres Element bietet er eine
Schnittstelle zum Umfeld – dem Museumsgarten,
den neuerdings auch Familien mit
Decke und Picknick bevölkern.
Arne Schmitt, dessen Arbeiten sich weitaus
rationaler mit den politischen Umständen
des Entstehens von städtischem Raum und
seinen ökonomischen Determinierungen
auseinandersetzen, untersucht den gebauten
Raum als Repräsentanz dieser Kräfteverhältnisse
und deren symbolischer Zeichen.
Der subtile Hinweis, dass ein Händedruck
meist schon vieles über eine Person
verrät, bildet den Hintergrund für eine Serie
von Fotografien, die Eingangsportale von
Häusern ins Zentrum stellen. Vergleichbar
dem Händedruck sind Türen und Portale
semantische Zeichen des Hauses, um die vom
Besitzer gewünschten Repräsentationen
in die Syntax der Stadt einzuspeisen. Der
hinter dem Portal verborgene Möglichkeitsraum,
dessen Exklusivität sich mehr oder
weniger stark durch die Form der Tür artiku -
liert, bleibt bei Schmitt stets verschlossen
und Ausdruck reiner Potenz, deren ambi valente
politische Bedeutung im Rahmen
städtischer Kommunikation Schmitt hier
souverän durchdekliniert.
Die bei Arne Schmitt fokussierte Übergangszone
zwischen Privatem und Öffentlichem
wird bei Tomas Kleiner und Marco Biermann
zur Verhandlungssache. Sie stellen über
die Grenze von spezifisch determiniertem
Museumsraum und öffentlichem Raum
hinweg eine changierende Verbindung
zwischen Museums-, Alltags- und Privatraum
her. In ihrer Performance Anlieger
wird der Raum der Kunst durch überlange
Kabelstränge, die aus ihm heraus über
Straßen und Plätze in die reale Welt der Stadt
führen, mit dieser und der Intimität ihrer
Bewohner verknüpft. Die Künstler dringen
am Eröffnungstag mit Kamera und
Mikrofon in die Privatsphäre der Nachbarn
des Museums ein, ohne diese jedoch zu
verletzen. Auf den großflächigen und live
ins Museum übertragenen, sehr detailverliebten
Bildern von Badezimmern,
Nacht schränken und Schubladeninhalten
wird trotz äußerst intimer Details nichts
von den Personen preisgegeben. Der nackte
Fuß in der Badewanne entpuppt sich
schnell als der des Künstlers respektive
Kameramanns, der auch über Spiegelungen
und andere Selbstbildnisse dann und
wann im Geschehen auftaucht. Die auf
Kühlschränken zu findenden Arrangements
gesammelter Erinnerungen und andere
Typologien des Privaten bleiben insofern
allgemein und gültig. So bleibt der Betrachter
und Voyeur in diesem Spiel, das die
konstatierten Grenzen zwischen privat und
öffentlich für einen Moment in einer
lässig anmutenden Beiläufigkeit auflöst,
genauso unschuldig wie die Künstler, die
mit ihrer Arbeit eine neue Haltung der
Genera tion „Post-Internet“ zum Begriff des
Öffentlichen aufzeigen. Markus Ambach
139

Public-Private-Economic-Political
The question of which spaces are public at
all today remains diffuse. The points of
inter action between public and private,
economic and political, societal and social
are often difficult to recognize, although
the terms continue to be hotly debated. In any
case, territorial questions still exert an
excessive influence on the discourse.
In her installation Pola Sieverding negotiates
the relationship between con structed
space and its agents. While the city’s prota -
gonists rarely own the space, they are
compelled to act autonomously within it. In
semi-public spaces, subcultural scenes,
and parallel worlds, they transform the space
of power into the city’s stage. Sieverding’s
agents – here boxers, wrestlers, and dancers
– act in spaces that are almost occluded in
darkness. The body functions as the last
refuge of this autonomy and becomes the
last wager that is possible in the competition
for position, recognition, love, and power.
That Greek tragedy persists as a subtext here
is only one of the multilayered traces
outlined by Sieverding, starting from the
present, reaching back into modernity and
out toward a future that is still being
negotiated.
In their work, Henning Fehr and Philipp Rühr
also follow the traces of a subculture that
has defined itself in relationship to a musical
phenomenon of the ’90s. The techno scene,
which in its early stages was expected to have
a relatively brief shelf-life, has by now
developed into one of the most persistent
musical genres and has produced the most
diverse subcultural forms. In their present
work, Fehr and Rühr concentrate on events
and happenings on the American scene
140
that take place in explicitly public spaces or
outdoors. In the work, it becomes apparent
how, in the milieu of this popular subculture,
complex rhizomes of the smallest partial
societies and parallel worlds take shape and
discreetly weave themselves into the matrix
of conven tional societal structures. Far from
having a confrontational attitude, they
operate independently yet in parallel with
the main stream, running like a subtle
comment through society. By interspersing
their portrait of this scene with analyses of
mushroom structures and examples of
American Land Art, they open a window to
two analogies: mushrooms exist as largely
invisible yet expansive mycelia in the soil in
order to enter the most complex of symbiotic
relationships with their environments –
an almost entirely unresearched phenomenon
– while Ameri can Land Art departed
from institutional art spaces and heralded
an era of context-specific art through its
relationship to the landscape. Both of these
loose and freely associated analogies
represent only a small excerpt of the network
of relationships in the artists’ work, consisting
of the most heterogeneous fragments – a
network that expands beyond the filmic work
and continues through the exhibition
space. The paintings of snow cannons thus
actually function as sound eaters, which
muffle the ambient noise in the room just like
snow – another striking element in a
sometimes intoxicatingly dense tapestry of
allusions and conjectures, analogies and
symbioses that the artists offer us.
Anna Witt, who has often worked with
the social intersections of art and the public,
investigates the elemental desires and
utopias of the city’s protagonists in her work
Radikal denken [Radical Thinking].
Sharply formulated written statements by
the respondents are juxtaposed with
portraits that nevertheless refuse to either
personify or be attributed to the texts. In
her second work, she confronts these
programmatic state ments with reality. A short
video shows her asking legal experts for
guidelines concerning the “rights of the
pavement.” The civil servants' earnest and
illustrious remarks on the various actions
of pedestrians and artists in the public space
document the dry legal assessment of the
situation. The sup posed freedom of the public
space is deflated into the most regimented
space of minimal agency. Against this
backdrop, little seems to remain of the
protagonists' desires apart from a utopia: they
are simply unthinkable.
Only one artist has ventured outdoors in his
search for the points of intersection between
private and public. With his work in the
museum’s garden, David Bernstein seems to
be provoking a putative conflict. His Fiat
Multipla is parked in the middle of the
museum’s lawn, disturbing the calm of the
classical sculptures with self-composed
hip-hop pouring out of its open doors.
The car as a private cell that usually moves
casually through public space acquires a
further dimension through the choice of its
parking spot and model, since the Multipla has
by now achieved cult status as perhaps
the most badly designed family car ever. This
familial element also interfaces with the
environment of the park, which families have
recently begun populating with blankets
and picnics.

Arne Schmitt, whose works offer a more
rationalist engagement with the political
conditions surrounding the development of
urban space and its economic determinants,
investigates constructed space as a
representation of these power relations and
their accompanying symbols. The subtle
consideration that a handshake often betrays
much about a person forms the background
for a series of photographs focusing on
the entryways of various buildings. Much
like handshakes, doors and portals are
the semantic signifiers used by homeowners
to inject the desired representation into
the syntax of the city. The space of possibility
concealed behind the portal, whose exclu -
sive ness is more or less strongly articulated
by the form of the door, always remains
closed off for Schmitt – an expression of
pure potentiality whose ambivalent political
meanings within the framework of urban
communication he thoroughly spells out.
The transitions between private and public
space that feature so strongly in Arne
Schmitt’s works become a matter for nego -
tiation for Marco Biermann and Tomas
Kleiner. They create an oscillating relationship
between the museum, everyday space,
and private space that goes beyond the
specifically determined boundaries between
the museum and public space. In their
performance Anlieger [Residents], the space
of art is connected with the city and the
intimacy of its inhabitants via an extraordinarily
long cable, which moves out across
streets and parks into the real world of the city.
On the day of the opening, the artists invade
the private spheres of the museum’s
neighbors with cameras and microphones
without offending their sense of privacy.
In obsessive detail the images livestreamed
onto large-format projections in the
exhibition space document bathrooms, bedside
cabinets, and the contents of drawers. Yet
despite these intimate details, nothing is
revealed about the people who live with them.
The naked foot in the bathtub soon reveals
itself to be that of the artist behind the camera,
who also pops up every now and then in
reflections and incidental self-portraits in the
course of the events. The arrange ments of
keepsakes assembled on refrigerators and
other typologies of the private remain in this
respect general and relevant. The viewer
thus remains a voyeur in this game, which
dissolves the established boundaries between
private and public in a casual moment of
contingency, just as innocently as the artists
present a new view on the concept of the
public through the eyes of the “post-internet”
generation.
Markus Ambach
141

TOMAS KLEINER / MARCO BIERMANN
Anlieger
2016
142
Anlieger ist ein Gefüge von Szenen aus der Nachbarschaft. Es sind insgesamt fünf Kanäle, aus
denen Bild und Ton kommen: drei Kameras und zwei Mikrofone. Die Aufnahmen sind
voneinander getrennt; sie zeigen ein Nebeneinander von drei visuellen und zwei akustischen
Projektionen. Im Museumsraum, der diese Arbeit aufführt, sind drei Projektoren auf Ständern
und zwei Paar Lautsprecher aufgestellt, umgeben von zahlreichen Kabeln.
Diese Berge schwarzer Kabel – in Zeiten von drahtlosen, akku- und elektrowellengetragenen
Medien eine komplett atavistische und sperrige Umständlichkeit dieser Installation –
sind die Verbindung zwischen innen und außen, Museum und Nachbarschaft. Fünf Performer
sind parallel mit verkabelten Geräten in die umgebenden Häuser gezogen, aus dem Museum
hinaus und die Kabel hinter sich herziehend wie eine Nabelschnur. Oder – treffender – wie
einen Rüssel, der Augen und Ohren erweitert und nun versucht, in diese Orte einzudringen,
sich in sie reinzuschieben, über Mauern hinweg, hinter die Mauern.
Die Orte der Aufnahmen bleiben privat und anonym; nur zwei Bewohner zeigen sich, auf
einem Sofa sitzend wie stillgestellt; ansonsten bewegen sich Kamera, Mikrofon, Performer und
Bewohner wie suchend und zoomend durch die Räume, lassen dabei knappe Szenen
erkennen, die auf ein Miteinander hindeuten – Füße waschen, Karten spielen –, doch alles
Weitere bleibt unbestimmt im zufälligen Sammelsurium der Menschen und ihrer Räume
stehen.
Ähnlich wie in ihren koproduzierten Performances geht es Tomas Kleiner und Marco Biermann
auch hier um ein Vorhaben geringstmöglicher Beeinflussung des Alltags in ihrer Video-
Ton-Performance, die Intimes und Privates sichtbar veröffentlicht, doch an diesem Ort belässt
und es gewissermaßen schützend erhält. Die Produktion von Anlieger hat viele mögliche
Referenzen. Psychologisch geht der Blick vom Selbst auf Andere, von den langen Szenen in
Bruce Naumans Studio in die langen Szenen eines jeden Haushalts. Didaktisch drängt
das Prinzip Kleiner / Biermann weg von der Bühne. Dies wirkt sehr akut und gegenwärtig, weg
vom Theatralischen – von jener Bühne, die heute allgegenwärtig ist, unweigerlich und
spontan aufgebaut mit jeder Kamera, jedem Smartphone-Snapshot, jeder Minute Reality-TV.
Die Definition der künstlerischen Performance, seit den Handlungsfiguren von Andrea
Fraser oder Tino Sehgal auch eine didaktische Frage zur Auseinandersetzung mit der
Gesellschaft der Gegenwart, ist in diesen Arbeiten nochmals neu gesetzt. Kleiner und Biermann
betreiben in ihren Performances eine Invasion in den Alltag und schieben sich fast
unbemerkt in ihn hinein. Sie produzieren nahezu unsichtbare Aufführungen vom Privaten
(Kleidertausch, Kunstakademie Düsseldorf 2015) und Bilder vom fast Unsichtbaren, weil
Privaten. Diese visuellen und akustischen „Bilder“, die beispielsweise in Anlieger von einem
Nachbarschaftsraum in den anderen dringen, sind dann letztendlich Porträt und Genre
mit anderen Mitteln, neu formuliert und auf interessante Weise nah an Kollegen wie Wolfgang
Tillmans – das heißt an straight photography.
Susanne Titz

143

144

Anlieger [Residents]
Anlieger [Residents] is an assemblage of scenes from the neighborhood. There are a total of five
channels emitting images and sounds: three cameras and two microphones. The recordings
are separate from one another, presenting three visual and two acoustic projections side by side.
In the area of the museum where the work plays, three projectors on stands and two pairs
of speakers are set up, surrounded by a mass of cables.
In times of wireless, rechargeable and electrical media, the mountains of black cables make for
a completely atavistic and cumbersome installation, which forms the connection between
inside and outside, museum and neighborhood. Five performers moved into the surrounding
houses corresponding to the hooked-up devices, with the cables coming out of the museum
being dragged in tow like an umbilical cord. Or, more accurately, like a snout – the eyes and
ears spread apart – and now penetrating these locations, inserting itself over and behind
walls.
The recording locations remain private and anonymous, with only two residents seen silently
sitting on a sofa. Otherwise the camera, microphone, performer and residents move as if
they are in search of something, zooming through rooms and allowing only brief glimpses of
cohabitation – washing feet, playing cards. Everything else, though, remains halted in a
random mishmash of people and their spaces.
Similar to their co-produced performances, this project by Tomas Kleiner and Marco Biermann
is concerned with minimizing influence on everyday life. Their video-sound performance
makes intimacy and privacy publicly visible, but also leaves it as it is and to some extent
preserves it. The production of Anlieger has many possible references. From the long scenes
in Bruce Nauman’s Studio to the long scenes in all of these households, the piece psychologically
draws one from the self to the other. Didactically, the logic of the work drags Kleiner
and Biermann off the stage. The effect, far from theatrical and any stage, is very urgent
and contemporary. This stage is now ubiquitous, produced inevitably and spontaneously with
every camera and every smartphone snapshot. Every minute is reality television. Since
Andrea Fraser’s or Tino Sehgal’s didactic action figures also a questioning of contemporary
society, the definition of artistic performance is once again being reset in Kleiner and
Biermann’s works. Their performances operate as invasions of the everyday, slipping in
almost unnoticed. They produce almost invisible performances of the private sphere
(Kleidertausch [Clothes Swap], Kunstakademie Düsseldorf, 2015) and images of what is almost
invisible because it’s private. These visual and acoustic images, which, in Anlieger, for
example, penetrate different neighborhoods, are then ultimately a portrait and genre of
another medium, one that is newly formulated and, interestingly, close to the work of
colleagues like Wolfgang Tillmans – that is, to “straight photography.”
Susanne Titz
TOMAS KLEINER
MARCO BIERMANN
Anlieger / Residents
Film von Live-Performance
film of live performance
2016
145

POLA SIEVERDING
Concrete Bodies
2016
148
„Time is fast – space is slow“ / Gedanken zum Werk von Pola Sieverding
„Zeit vergeht schnell, und der Raum ist langsam. Der Raum ist ein Versuch, die Zeit zu orten
und zu verstehen.“ Mit diesen Worten hat Vito Acconci, der Altmeister der amerikanischen
Konzeptkunst, versucht, das Verhältnis von (öffentlichem) Raum und (privater) Zeit zueinander
zu beschreiben. Und weiter: „Raum ist ein Verlangen, dem Lauf der Dinge zu folgen und
an das Prinzip von Ursache und Wirkung zu glauben. Das elektronische Zeitalter löscht den
Raum aus und lässt Orte ineinander übergehen […]. Das elektronische Zeitalter hat die
Überlegenheit der Zeit mit sich gebracht.“ 1 In diesem Netzwerk von Öffentlichkeit und Urbanität
auf der einen, Privatheit und Persönlichkeit auf der anderen Seite bewegen sich auch die
Bildwelten von Pola Sieverding. Die junge Fotografin und Filmerin hat für die Ausstellung Von
den Strömen der Stadt im großen Hauptsaal des Museums Abteiberg ein raumgreifendes
Ensemble realisiert, das verschiedene Werke aus den vergangenen vier Jahren vereint. Thema
ist die Stadt und das Agieren des Menschen in diesem urbanen Gefüge.
Wie ein Bühnenbild wird die gesamte Installation von hochformatigen Fotografien
hinterfangen, die als Mural – so der Titel der Arbeit – direkt auf die Wand aufgespannt sind.
Die vier Fotografien beziehen sich direkt auf drei Filme, die auf einzelnen Flat Screens
gezeigt werden. Insbesondere die Fotografie des 1958 errichteten Corbusier-Hauses in Berlin
mit dem in den Beton eingelassenen Schriftzug „Retablir les conditions de nature“, was
sinngemäß mit „Die Bedingungen / Zustände der Natur wiederherstellen“ übersetzt werden
kann, verweist auf die Absurdität der dargestellten Stadtlandschaft – und den Film Close
to Concrete II von 2014, der auf dem Bildschirm an der linken Säule gezeigt wird: In diesem
Film hat die Künstlerin die menschenleere Hochhaussiedlung einer Vorstadt dokumentiert.
Mit einer langsamen und bewusst ästhetischen Kameraführung entdeckt der Betrachter
Strukturen und Kompositionen in der Betonwüste. Wie in vielen Filmen von Pola Sieverding
entwickelt sich der Film vom Detail zur Gesamtansicht, vom Ausschnitt zum Vollbild:
„Mir gefällt die Nahaufnahme als Affektbild 2 , als Einstellung, die den Blick aktiviert, da die
vermeintliche Begreifbarkeit der Totalen aus (sicherer) Distanz zunächst nicht gegeben ist
und man sich stetig neu orientieren muss. Die Cadrage 3 davon ausgehend zu öffnen auf eine
weitwinkligere Szenerie, erscheint mir als eine attraktive Erkundung des filmischen Raums.“ 4
Darüber hinaus wird mit der langsamen Kameraführung der Aspekt der Ruhe und der
Entschleunigung als konzeptuelles und ästhetisches Motiv eingesetzt. So wird das scheinbar
Objektive und Dokumentarische zur spannungsreichen Erzählung: „Die Entscheidung, in
meinen Filmen Zeitlupen einzusetzen, hat viel damit zu tun, dass ich versuche, eine Entsprech
ung für einen körperlichen Blick zu finden. Durch die Kamera versuche ich die Körper –
egal, ob es menschliche oder architektonische Körper sind – quasi abzutasten … und somit
einen inneren Raum zu erzeugen, in dem eine persönliche Haltung zum Gesehenen vor
einem individuellen referenziellen Hintergrund entstehen kann.“
Der Anonymität der Großstadt und ihrer Vororte, die Pola Sieverding als „in Beton gegossene
Utopien“ beschreibt, setzt die Künstlerin in einer anderen Werkserie die Intimität und
Individualität des menschlichen Körpers gegenüber. Diese wird auf zwei weiteren Screens in
der Rauminstallation gezeigt: Zwei Männer – ein Schwarzer und ein Weißer – stehen sich
gegenüber, kommen sich näher, scheinen sich zu beobachten und gegenseitig einschätzen zu
wollen, umarmen sich – und beginnen dann miteinander zu ringen. On Boxing, die neuste

149

POLA SIEVERDING
Mural (Abteiberg Version)
Latexdruck auf Vlies
Latex print on fleece
350 × 1025 cm, 2016
Cross Metropolis Machine
HD-Video, hochkant, Ton, 14'
HD video, upright, sound, 14'
2012
Close to Concrete II
HD-Video, Ton, 15'20''
HD video, sound, 15'20''
2014
On Boxing
HD-Video, 11'27'', 2016
ARENA #1
Pigmentdruck auf Papier, Holz, Museumsglas
Pigment print on paper, wood, museum glass
117,8 × 174,4 cm, 2014
1| Vito Acconci, „Das Haus verlassen. Anmerkungen
zu Einfügungen in die Öffentlichkeit / Leaving
Home. Notes On Insertions into the Public“, in: Florian
Matzner (Hg.), Public Art / Kunst im Öffentlichen
Raum, Ostfildern 2001, S. 38–46, besonders S. 41.
2| Pola Sieverding bezieht sich hier mit dem
Begriff des „Affektbildes“ auf Gilles Deleuze:
Das Bewegungs-Bild, Kino 1,
Frankfurt am Main 1989, S. 123ff.
3| Der französische Begriff cadrage bezeichnet
ursprünglich den Rahmen. Die Cadrage ist ein
wichtiges Element der Bildgestaltung und beschreibt
Überlegungen, die – bei einem vorgegebenen
Bildformat – zu einem Bildausschnitt führen, der
Personen oder Gegenstände sinnvoll ins Bild setzt.
Dazu gehören konzeptuelle und formale Vorgaben wie
zum Beispiel die klare Erkennbarkeit bestimmter
Details oder dramaturgische Überlegungen. Diese
können das rasche Erfassen einer Szene begünstigen
oder aber – im Gegenteil – die Aufmerksamkeit des
Betrachters steigern, weil sich ihm die Situation nicht
auf den ersten Blick erschließt.
4| Dieses und die weiteren Zitate von Pola Sieverding
stammen aus einem E-Mail-Dialog mit der Künstlerin
vom 27. Januar 2017.
Filmarbeit von Pola Sieverding aus dem Jahr 2016, zeigt diese Szenerie ohne Orts- und Zeit -
angabe vor einem monochrom dunklen Hintergrund. Die Kamera bewegt sich im Kreis
um die beiden Männer. Es entsteht eine körperliche und emotionale Spannung, die die Grenzen
zwischen Tanz und Kampf verwischt; die ursprüngliche Brutalität des Boxkampfs
verwandelt sich in eine erotisch aufgeladene Stimmung. Auch Cross Metropolis Machine von
2012 – auf einem anderen Bildschirm zu sehen – beginnt mit der Darstellung einer isolierten
Frauenhand, die kreisende Tanzbewegungen ausführt. Die daran anschließenden Szenen
zeigen dieselbe Frau im Vollbild, wie sie mal schnell, mal langsam Tanzbewegungen ausführt,
erfasst von grünem Streiflicht und Discoflimmern. Der Film endet mit einer En- face-
Einstellung, in der die Frau beginnt ihre Augen zu schließen, als würde sie einschlafen.
Auch hier findet also ein sinnliches Vexierspiel mit Sport, Erotik und Tanz statt, dem
sich der Betrachter nicht entziehen kann. Die minimalistische Bildsprache stellt viele Fragen,
verweigert jedoch eine klare Antwort.
Im Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Inszenierung entwickelt Pola Sieverding
in ihren Filmen Erzählstrategien, die durch aufwendige Soundtracks aus elektronischer
Musik erweitert werden. Diese hat die Künstlerin zusammen mit Orson Sieverding produziert:
„Mit dem Sound kommt aus meiner Sicht der Raum in die Arbeit – sowohl in der physischen
als auch der konzeptuellen Dimension. In Close to concrete II generiert sich der Sound
unter anderem aus den sogenannten Symphonies of the planets – NASA Voyager Recordings
von 1977 oder Jean-Luc Godards Alphaville von 1965 und einer Art Weltraumklang, der
aus verschiedenen Windaufnahmen und Syntheziserklängen komponiert ist.“ Und weiter:
„Hier unterstreicht die Tonebene für mich die Perspektive der Transformation von der
Idee einer entfernten Zukunft, die zur Gegenwart geworden ist. Bei dieser Gegenwart handelt
es sich um die Mitte des 20. Jahrhunderts; um die damaligen Ideen eines Wettlaufs zum
Mond oder urbanen Konzepten, die das Leben von Menschen in Großbausiedlungen
organisieren sollten. In meinem Film ist es ganz spezifisch die Architektur des Märkischen
Viertels in Berlin – in Beton gegossene Utopien, mit denen wir als Lebensraum konfrontiert
sind und die die oben genannten Überlegungen bei mir provoziert haben. In Cross Metropolis
Machine sind es die sich wiederholenden Klänge des Fließbands, die Geräusche arbeitender
Maschinen wie Züge oder Presslufthämmer, aus denen der Soundtrack komponiert
wurde. Diese waren entscheidend für die Entwicklung der elektronischen Musik und werfen
für mich die Frage auf, in welchem Verhältnis sie zum Körper stehen, wie sie auf ihn
zurückwirken und in welchem Maß sie ihn für ihre Konstitution benötigen. Menschen zu
beobachten, die zum Beipsiel zu Techno oder Gabba tanzen, hat bei mir die Frage aufgeworfen,
wie sich unsere akustische und räumliche Umwelt, vielleicht besonders der uns
umgebende architektonische Raum der Moderne, in unsere Körper einschreibt und wie sich
das zum Beipsiel beim Tanzen wieder in Bewegungen übersetzt.“
So kreisen die Themen der Künstlerin um ihren eigenen Erfahrungskontext, in dem –
um noch einmal Vito Acconci zu zitieren – „der Raum ein Versuch ist, die Zeit zu orten und
zu verstehen“. Im Zentrum stehen die Großstadt und ihre Milieus zwischen persönlicher
Intimität und brutaler Anonymität, zwischen Kultur und Subkultur, die in unterschiedlichsten
Wirklichkeitsstrategien und disparaten Wahrnehmungsebenen die Grenzen zwischen
dem Analogen und dem Digitalen, zwischen der Objektivität und der Subjektivität, zwischen
der Realität und der Virtualität verwischen lassen. An die Wand des Mural angelehnt, in
etwa gleicher Größe wie die Screens der Filme, steht die Fotografie ARENA 1 von 2014, auf der
ein Wrestler in die Dunkelheit verschwindet und möglicherweise die Räume des Urbanen
wie auch den Raum der Installation zur Arena erklärt, in der Körper, Gesellschaften und
Architekturen antreten.
Florian Matzner
152

“Time is fast – space is slow” / Thoughts on the work of Pola Sieverding
“Time is fast, and space is slow. Space is an attempt to place time and understand time.”
With these words, the old master of American conceptual art Vito Acconci tries to describe
the relation between (public) space and (private) time. He continues: “space is a desire to
follow the course of events and to believe in cause and effect. The electronic age obliterates
space and overlaps places … The electronic age establishes the primacy of time.” 1 This
mesh of, on the one hand, publicity and urbanity and, on the other, privacy and personality
informs Pola Sieverding’s visual worlds. The young photographer and filmmaker arranged
an extensive ensemble of her works spanning the last four years in the main hall of Museum
Abteiberg. The theme of the installation is the city and human operations within an urban
framework.
Vertically formatted photographs stretched directly onto walls as a Mural – also the title of
the piece – frame the whole installation as a stage set. These four photographs directly
relate to three films, playing on separate flat-screen monitors. In particular, the photographs
of the concrete lettering on the 1958 Corbusier house in Berlin, which reads, “Retablir les
conditions de nature,” essentially translating to “Revive the conditions …” or “Revive the state
of nature,” refers to the absurdity of the represented cityscape as well as the film Close to
Concrete II (2014), shown on a screen on the left column. In the film, the artist documents
abandoned suburban high-rises. Through its slow and considered, aestheticized camera
movement, the viewer experiences the structures and compositions of the concrete wasteland.
As in many of Pola Sieverding’s films, this film develops overviews out of details, from
small section to full screen: “I like the close-up as an affection-image 2 , as an attitude that
activates the gaze, in which the presumed graspability of the whole from a distance is
initially refused, causing one to have to constantly reorient oneself. Opening the frame up 3 ,
to a wide angle, seems to me an attractive exploration of cinematic space.” 4
Moreover, the motif of slow camera movement brings about aspects of tranquility and
decelera tion as conceptual and aesthetic motifs. That’s how the apparently objective and
expository is transformed into an engaging narrative: “The decision to use slow motion
in my films has a lot to do with my attempt to find a correspondence with a physical gaze. I
make an attempt to simulate the body through the camera, whether it be a human or
architectural body … and thereby produce an inner-space, in which a personal posture toward
what is being seen can emerge against an individual, referential backdrop.”
In another series of works, Pola Sieverding puts the anonymity of the big city and its suburbs,
which she describes as “utopias cast in concrete,” in opposition to the intimacy and
individuality of the human body. Displayed on two further screens in the room installation,
two men – one black and one white – stand opposite each other, approach each other,
mutually seem to want to observe and evaluate each other, hug each other and then begin to
wrestle each other. On Boxing (2016), the newest film piece from Pola Sieverding, depicts
this scenario over a dark, monochrome background without any indication of time or location,
while the camera moves in circles around the two men. It gives rise to visceral and
emotional tension, blurring the line between dance and combat. The primal brutality of a
boxing match turns into an erotically charged atmosphere. On a different screen, Cross
Metropolis Machine (2012) opens with the portrayal of an isolated, female hand, which performs
a circular, dancing movement. The subsequent scene shows the full image of the same
woman as she executes a sometimes languid, sometimes lively movement, covered in green
streaks and with flickering disco lights. The film ends with a full view of the woman’s
face as she begins to close her eyes as if to fall sleep: also at work here is a game of deception
between athletics, the erotic and dance, which the viewer cannot escape. The minimalism of
the film’s visual language raises question after question, while denying a clear answer.
153

1| Vito Acconci, “Leaving Home. Notes on Insertions
into the Public”, in F. Matzner (ed.), Public Art,
Ostfildern, 2001, pp. 38–46, particularly p. 41.
2| Pola Sieverding refers here to Gilles Deleuze’s
concept of the “affection-image.” See Cinema 1: The
Movement Image, Frankfurt am Main, 1989, pp.123ff.
3| The French concept of the cadrage directly
translates to “frame”: the cadrage is an important
element of an image-composition and describes
considerations, which – in a given Image Format –
lead to a specificity, a person or object, which
consolidates the setting. These include conceptual
and formal specificities such as the clarity of
particular details as much as dramatic considerations.
These can facilitate the rapid understanding of a
scene, or, on the contrary, could heighten the
attention of a viewer who has failed to understand the
depicted situation at first glance.
4| This and the other quotations from Pola Sieverding
are drawn from an e-mail exchange with the artist on
January 27, 2017.
In the tension between documentation and staging, Pola Sieverding develops narrative
strategies in her films, heightened by the elaborate electronic music soundtrack she produced
in collaboration with Orson Sieverding: “In my view, in an artwork, with sound comes
space, in both a physical and a conceptual dimension. Close to Concrete II plays sounds from,
among other sources, the so-called Symphonies of the Planets – NASA Voyager Recordings
(1977), Jean-Luc Godard’s Alphaville (1965) and a type of deep-space sound, generated
with various wind recordings and synthesizer-tones.” She continues: “Here, the layers of sound
underscore, for me, the perspective of transformation based on an idea of a distant future,
which has become the present. This present occurs around the middle of the twentieth century,
when ideas of space races or urban development organized humans’ lives into high-rise
buildings. In my film we are very specifically confronted by the architecture of the Märkisches
Viertel in Berlin, utopias cast in concrete, as a habitat, which provokes the above considerations.”
The soundtrack for Cross Metropolis Machine consists of repetitive sounds from the
assembly line and the noise of operating machinery like trains and jackhammers. These
were crucial to the development of electronic music, raising questions about where that
development stands in relation to the body: how it reacts to the body and the extent to which
electronic machin ery’s constitution depends on the body. Observing people who dance to
techno or gabba, for example, raised the issue, for me, of how our acoustic and spatial
environment, perhaps especially the architectural space of modernity that surrounds us,
inscribes itself on our bodies and how this translates back into our movements in dance.”
The artist’s themes, then, revolve around her own experiential context, in which, to quote Vito
Acconci again, “space is an attempt to place time and understand time”: the major city
and its milieus, somewhere between intimately individual and brutally anonymous, between
culture and subculture, in which the various strategies of actualization and disparate
levels of perception blur the boundary between analog and digital, objectivity and subjectivity,
and reality and virtuality. Leaning against the wall of Mural, roughly the same size as
the film screens, is the photograph ARENA 1 (2014), in which a wrestler disappears into the
darkness – and, possibly, the venues of urbanity, like the venue of the installation, come
into view as arenas, in which bodies, societies and architectures compete. Florian Matzner
154

155

ARNE SCHMITT
Das gemeinsame Dritte. 36 Tafeln zur Konfusion von Formen- und Wertekanon
Abbruch aller Beziehungen
2016
156
Geschmack und Gemeinwesen
Wie wohl kaum ein anderer Künstler hat sich Arne Schmitt in den letzten Jahren mit der
Kulturraumverdichtung Stadt, insbesondere mit deren bundesrepublikanischer Ausprägung
auseinandergesetzt. Man ist versucht, bei der Betrachtung von Schmitts Fotografien vorschnell
die Vokabel „Stadtraum“ in Anschlag zu bringen, was sicherlich nicht an den Tatsachen
vorbeigeht, bilden die Arbeiten doch immer die bauliche Formierung von Urbanität ab. Und
doch unterschlägt eine Verengung auf räumliche und architektonische Parameter, wie
Schmitt über die fotografische Isolierung bestimmte Partikel des architektonischen Erschei -
nungsbildes einzelner Städte (und damit immer auch das Konzept von Stadt) als
mentalitätsgeschichtliche Monumente begreift, anhand derer er gesellschaftspolitische und
soziokulturelle (Fehl-)Entwicklungen ebenso herausarbeitet wie kulturhistorische Brüche
und Kontinuitäten.
Diesbezüglich steht die kleinere der beiden in der Ausstellung gezeigten Arbeiten, Abbruch
aller Beziehungen, in einer Linie mit älteren Bildserien Schmitts, reißt sie doch über das
Detail eines abgesägten Brückenträgers die ganze Tragweite stadtplanerischer Eingriffe auf.
Mit den sieben Fotografien der Serie umkreist Schmitt systematisch sein Motiv und
erwirkt eine (durch den Titel zusätzlich verstärkte) Anreicherung des Symbolgehalts, wodurch
der rückgebaute Träger als Ideologem erkennbar wird: Geschliffen wurde hier eine
Überführung, die typisch war für die „autogerechte Stadt“ der 1960er-Jahre, deren Architektur
heute gemeinhin als hässlich empfunden wird. Damit verschwanden die Unterstände und
Freiflächen, welche ein solcher Brückenschlag herstellte, vollkommen aus den Innenstädten.
Bleiben darf nur noch, wer auch konsumiert – was anschaulich macht, wie politische
Gestaltung auch über vorgebliche ästhetische Legitimation betrieben wird.
Während für das Verständnis vorangegangener Serien das Wissen um den Bezug der
Fotografien zu Köln, Bielefeld, Kassel, Hannover oder Koblenz sehr wohl von Bedeutung war,
ist die Verortung des Motivs in Offenbach in diesem Falle nachrangig. Ähnlich verhält
es sich mit den 36 Fotografien von Das gemeinsame Dritte, die zwar erkennbar im Herzen der
alten Bundesrepublik, Bonn, entstanden sind, was aber für die Dechiffrierung der Arbeit
keine zwingende Relevanz hat. Statt der planerischen Makroebene geht Schmitt dabei ans
andere Ende der Skala, zu den kleineren ästhetischen Entscheidungen in der Gesamtkomposition
Stadt. Gemeinsames Drittes der Fotografien ist dabei die Konzentration auf Fassaden,
auf die kalkulierte Erscheinung der Bauten zum städtischen Außenraum – und gleichzeitig ihr
bescheidener Beitrag zu deren optischem Gesamteindruck. Die Distanz der Kamera zu
ihren Objekten schwankt von Aufnahme zu Aufnahme, lässt kaum Vollansichten zu, statt -
dessen dominieren Ausschnitte, von denen manche die Gebäudehülle nur noch als
strukturierte Fläche zeigen.
Diese Herangehensweise ist eher ungewöhnlich für Schmitt, der in Motivwahl und Bild -
komposition bisher eher dem Besonderen Vorzug vor dem Allgemeinen gegeben hat.
Andererseits beugen die großen Unterschiede in den Lichtverhältnissen, Standpunkten und
Aufnahmewinkeln jeder Nüchternheit in der Systematik vor. Formal erinnert die Serie
dann auch nicht an die Bechers, sondern eher an Sol LeWitts systematischen Dokumentarismus
des Stadtraums in seinem Künstlerbuch Photogrids (1977–1978), zu dem auch die gerasterte
Präsentation von Schmitts Fotografien Analogien aufweist. Natürlich zielt Das gemeinsame
Dritte nicht auf die Herstellung objektivierender oder systematisierender Bildkonzeptionen,

wie sie Sol LeWitt und die Bechers verfolgten. Vielmehr adressiert die Serie die ästhetische
Bewertung und infolgedessen die soziale Besetzung der einzelnen Gebäude – immer in
Hinblick auf ihre konstituierende Teilhabe am städtischen Gemeinwesen. Eine solche Lesart
stützt der beigestellte Text, welcher anhand historischer Aussagen verschiedene zeitbedingte
Modi des Sprechens über Architektur als weder unschuldige noch ideologiefreie
Einflussnahmen auf das Geschmacksurteil problematisiert. Wie ein Störsignal perforiert die
Rhetorik des bereitgestellten „architekturkritischen Vokabulars“ die Wertneutralität der
fotografischen Wiedergabe. Wobei unklar bleibt, inwiefern der Datensatz architekturkritischer
Typen im Detail mit den baulichen Typen korrespondiert, was die Zuordnung als grundsätzlich
relativ und damit beliebig ausweist.
Und doch greift Schmitts Dekonstruktion der anspielungsreichen und oft harschen Rhetorik
deutscher Architekturkritik, die ihre Prägung durch den Giftspritzer Schultze-Naumburg
lange nicht leugnen konnte, tiefer: Zum einen arbeitet er im Text die der ästhetischen Beurteilung
von Gebäuden zugrunde liegende Prämisse einer Anthropomorphisierung derselben
heraus, die „wie Mitglieder einer gebauten Gesellschaft beschrieben“ werden. Gleichzeitig
erprobt Schmitt deren Nachhall auf die Lesart der Bilder, indem er mit der Fassade das
„Angesicht“ (nach Lat. facies, dem Ursprung des französischen Wortes façade) von Gebäuden
aufgreift. Also jenen Teil, der sich am stärksten zum Außen verhält, noch immer als
repräsentativ verstanden wird, gleichzeitig aber auch die Schnittstelle von innen und außen,
privat und öffentlich, Individuum und Gemeinwesen markiert. Die Fotografien erfassen
dabei das Spektrum der baulichen Gliederung dieser Schnittstelle über Portal, Arkaden,
Treppen, Balkone, Zäune, gespiegeltes Glas und durchsichtige Garagentore, die wir in einem
Vollzug bewusster Rezeption fälschlicherweise als „Angesicht“ des Gebäudes interpretieren,
das uns analog zu Lavaters Physiognomik einen vermeintlich validen Rückschluss auf
dessen „Charakter“ erlaubt. Dabei wird sichtbar, dass ein derartiges „architekturkritisches
Vokabular“ einem widerlichen Klassismus das Wort redet, der Hochhausbewohnern
wegen einer geschlossenen Fassade den Gemeinsinn abspricht, den der Bürger andernfalls
gratis zum ausladenden Stuck über der Tür dazubekommt. Unter ästhetischer Etikettierung,
das zeigen Arne Schmitts neue Arbeiten einmal mehr, wird über weit mehr als bloße
Geschmacksfragen geurteilt.
Moritz Scheper
157

ARNE SCHMITT
S. 155, 156 / 157
Das gemeinsame Dritte. 36 Tafeln zur Konfusion
von Formen- und Wertekanon
Point of Comparison. 36 Plates on the Confused
Canons of Forms and Values
36 Pigmentdrucke / 36 fine art prints, 2016
S. 158 / 159
Abbruch aller Beziehungen
Severance of All Relations
7 Pigmentdrucke / 7 fine art prints, 2016
S. 156 / 157 im Hintergrund / in background
JOSEPH BEUYS
Poor House Door / Armenhaustür
div. Materialien / various materials, 1981
Taste and Community
Few other artists have engaged as intensively with the cultural-spatial complex we know as
the “city” and its federalist peculiarities as Arne Schmitt has in recent years. Looking at
Schmitt’s photographs, one is tempted to dwell prematurely on the notion of “urban space,”
which wouldn’t be entirely wrong. Indeed, his works always depict the architectural
construction of the urban. Yet to reduce his works to spatial and architectural parameters would
be to ignore the way Schmitt deploys photographically isolated particles of particular
cities’ architectural appearance (and thus their conception of what a city is) as monuments to
the history of their respective mentalities. He then uses these particles to trace their
social, political, and cultural (mis)developments as well as historical ruptures and continuities.
Thus Abbruch aller Beziehungen [Severance of All Relations], the smaller of two works
presented in the exhibition, is in line with Schmitt’s older series. Through a detail of a sawn-off
bridge girder, this series manages to blow wide open the scope of the consequences of
urban planning interventions. In its seven photographs, Schmitt systematically encircles his
motif and enriches the symbolic content that is underlined by the title, to the extent that
the decommissioned girder is revealed as ideological. We see a cut from an overpass typical
of the “automotive city” of the ’60s, whose architecture is now commonly felt to be ugly.
As a result, the shelters and open spaces created by these bridges have completely disappeared
from cities. Only consumers have been allowed to remain, revealing how political planning
decisions are implemented through an ostensibly aesthetic legitimation.
While it was exceedingly important in Schmitt’s former series to have the photographs
identifiably situated in Cologne, Bielefeld, Kassel, Hanover, or Koblenz, the location of this
motif in Offenbach is only of secondary importance. Likewise, the 36 photographs in
Das gemeinsame Dritte [Point of Comparison] have been recognizably taken in the heart of
the former federal capital Bonn, though this fact is of little relevance in deciphering the
work. Instead of working on planning’s macro-scale, Schmitt operates here at the opposite
end of the spectrum, focussing on the smaller aesthetic decisions within the greater
composition of the city. The common element of these photographs is their depiction of façades,
their calculated appearance to the city’s outward-facing side, and at the same time their
humble contribution to its cumulative visual impression. The distance between camera and
object varies from shot to shot, hardly ever allowing a full view. Instead, the series is
dominated by excerpts, some of which only show the buildings’ exteriors as patterned surfaces.
This approach is uncommon for Schmitt, who, until now, has usually privileged the
specific over the general in his selection of motifs and the composition of his images. On the
other hand, the large differences between lighting conditions, camera positions, and
160

shooting angles overshadow any sense of sobriety in his system. Formally, the series doesn’t
evoke the Bechers as much as it does Sol LeWitt’s systematic documentation of urban space
in his book Photo-grids (1977–78), which finds an analog in Schmitt’s grid-like presentation
of photographs. Of course, Das gemeinsame Dritte doesn’t quite follow the conceptions
of the Bechers or Sol LeWitt in objectifying or systematizing images. Rather, the series addresses
the aesthetic evaluation and subsequently the social occupancy of individual buildings,
always with respect to their constitutive role in producing an urban community. This reading
is supported by the work’s accompanying text, which uses historical statements to
problematize temporally specific modes of speaking about architecture as neither innocent
nor ideology-free influences on the establishment of taste. Like a shrill noise, the neutrality
of the photographic documen tation perforates the rhetoric of architectural criticism that
is put on display. Yet it remains unclear how closely the data sets of the types of architectural
criticism correspond with the details of the types of construction; this reveals the process
of attribution as fundamentally relative and thus contingent.
Nonetheless, Schmitt’s deconstruction of the allusive and often harsh rhetoric of German
architecture critics – who have long struggled to disavow the influence of the fascist spitfire
Schultze-Naumburg – operates at deeper levels. On one hand, he excavates an anthropomorphization
of architecture from the premises underlying the aesthetic judgments of
architecture found in the texts, which describe it “like members of a constructed society.” At
the same time, he tests their influence on the interpretation of the images by seizing on
the buildings’ “countenance” via the façade (from the Latin facies, from which the French word
is derived). These are the parts of buildings that have the strongest relation ship to an
outside, and though they are still seen as representative, they simultaneously mark the
interface between inside and outside, private and public, individual and communal.
The photographs record the spectrum of architectural articulations of this interface via portals,
arcades, stairs, balconies, fences, mirrored glass, and transparent garage doors, which we
usually consciously misinterpret as a building’s “countenance.” Much like Lavater’s
physiognomy, we expect them to allow us to make some valid inference about the building’s
“character.” It thus becomes clear that such a vocabulary of architectural criticism pleads
only for an obnoxious classism that denies the inhabitants of high-rise apartment buildings
a sense of community simply because of their closed façade, while any bourgeois with
sprawling moldings over their door seems to have a sense of community handed to them for
free. More and more, Arne Schmitt’s new works show how much more than simply matters
of taste is being adjudicated under the guise of aesthetics.
Moritz Scheper
161

HENNING FEHR / PHILIPP RÜHR
Polyrhythm Technoir Pt. III: Leisure Time Future: The Rattlesnake
(in Zusammenarbeit mit Danji Buck-Moore)
2015
162
Raum ist nicht neutral. Lebewesen und Objekte sind nicht bloß fester Bestandteil einer geometrischen Position,
sondern beeinflussen diese und werden ihrerseits von ihr beeinflusst. Orte sind stets mit Geschichten, Impressionen
und Emotionen aufgeladen. Eine Kommune interagiert mit der Welt immer vom eigenen Standpunkt aus. 1
Der Film Leisure Time Future: The Rattlesnake und die dazugehörigen Soundeater scheinen
in erster Linie zu verhandeln, wie Menschen im Lauf der Geschichte ihre Landansprüche
geltend gemacht beziehungsweise eingefordert haben. Der letzte Teil der Filmtrilogie – Poly -
rhythm Technoir von Danji Buck-Moore, Henning Fehr und Philipp Rühr – sucht eine
Reihe unterschiedlicher Produktionsorte und Community-Spaces verschiedener Technomusikkulturen
auf. Während sich der Film auf einige Charaktere, Events, Landschaften, Soundscapes,
Situationen und Ideologien konzentriert, setzt er sich meditativ damit auseinander, wie
Menschen ihre Freizeit verbringen. Indem die einzelnen Elemente zueinander in Bezug
gesetzt werden, veranschaulicht er das Verhältnis zwischen Körpern und Land sowie den
Schwingungen, die sie teilen.
White Noise
Bei den Soundeatern von Fehr und Rühr handelt es sich um Akustikpaneele, auf die die beiden
Künstler mit Tusche Schneekanonen gezeichnet haben. Sie scheinen das Punctum saliens
für die Kritik an bestimmten im Film dargestellten Environments und Konzepten zu sein. Auf
jedem Soundeater ist eine konstruierte Schneelandschaft abgebildet, wie man sie idealerweise
im Skiurlaub erleben kann. Der Schnee selbst ist allerdings nicht dargestellt – stattdessen
wird man mit weißem Akustikmolton konfrontiert, dessen Materialität an das Sirren von
White Noise denken lässt. Während man sich durch den Raum bewegt, läuft der Soundtrack
des Films im Hintergrund. Man wird sich undeutlich seiner Umgebung gewahr und merkt
allmählich, wie die Soundeater Umgebungsgeräusche dämpfen und absorbieren.
Über Freizeit
Freizeit bietet Gelegenheit zur selbstreflexiven Suche nach tieferen Wahrheiten, die unseren
Existenzmodus erleichtern. Doch ist Freizeit heute zu einem durch zahlreiche Konsumformen
geprägten Dispositiv geworden. Sie bildet den Inbegriff der Industrie: eine gut geölte
Maschine, die sich ständig am Bedarf ihrer Opfer orientiert. Dies wird deutlich am Boom
des Serienfernsehens, an klick-basierten, suchterzeugenden Computerspielen und dem endlosen
Wischen, das fast jede Smartphone-App mit sich bringt. Diese von Geräten dominierte
Freizeitmaschine reproduziert die Welt, in der Server-Farms wachsende Clouds hosten und
Konsumgüter in Lagerhallen gehortet werden. Wie können wir angesichts dieser Art von
Freizeit, die uns keine Ruhe lässt und ausschließlich entfremdete Umgangsformen mit sich
bringt, tiefergehende menschliche Beziehungen eingehen?
Begrenztes Land
Der Film Leisure Time Future: The Rattlesnake greift immer wieder den Kanon amerikanischer
Land-Art auf. Ich muss unweigerlich daran denken, wie Umsetzung und Pflege dieser
Kunstwerke nur durch erhebliche kulturelle und finanzielle Investitionen einiger Personen,
Firmen und Nonprofit-Organisationen möglich wurde. Ich würde sogar behaupten, dass
das altruistische Narrativ dieser Land-Art-Sites den arroganten Geist einer gewissen anglo -
amerikanischen Kunstproduktion der 1960er- und 1970er-Jahre widerspiegelt. Während
People of Color für Selbstbestimmtheit, Bürgerrechte und Repräsentation kämpften, wollten

163

KünstlerInnen wie de Maria, Heizer, Turrell und andere jene vermeintlich aufgezwungene
Begrenztheit ihrer künstlerischen Arbeit durchbrechen. So brachen sie gen Westen auf.
Menschen und Umwelt gegenüber war die Geschichte des amerikanischen Westens immer
von Gewalt geprägt. Der amerikanischen Land-Art mangelte es jedoch am nötigen
Feingefühl, um sich mit wirklich radikalen Belangen auseinanderzusetzen. Obwohl sie sich
auf die Tradition kollektiver Großprojekte der Native Americans bezog, 2 lag ihr immer der
individualistische Anspruch der KünstlerInnen zugrunde. Leider thematisiert kaum eines
dieser Kunstwerke die finstere Realität des amerikanischen Militärindustriekomplexes,
obwohl dieser die oberirdische und unterirdische Landschaft durch Atombombentests und
nukleare Forschung für Jahrhunderte geprägt hat.
1| The Invisible Committee, To Our Friends
(Semiotext(e), Los Angeles), S. 201.
2| Ich denke hier an den Great Serpent Mound in
Ohio, an die Behausungen im Manitou Cliff in
Colorado, die Nazca-Linien in Südperu und die
archäoastronomische Stätte von Chichén Itzá
im mexikanischen Staat Yucatán.
3| Die federgeschmückte Schlangengottheit
Quetzalcoatl der Tolteken- und Aztekenzivilisation.
Aus dem Kodex Telleriano-Remensis, circa 1550 n. Chr.
4| Filmstill aus Polyrhythm Technoir III: Leisure Time
Future: The Rattlesnake
5| Alex Grey, Video: Polyrhythm Technoir II:
Eine Endlose Zigarette.
Underground Resistance
Die uneingelösten Möglichkeiten von Techno – einem Genre, das aus dem afrofuturistischen
Diskurs hervorgegangen ist – gleichen Entwürfen für eine Welt mit anderen Regeln. Einst
konnten Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichem Hintergrund
sich aufgrund dieser Regeln durch Musik austauschen. Dies brachte auch die Wiedereinführung
ausschweifender Rituale und Feierlichkeiten an öffentlichen Orten mit sich. Techno
ist für mich ein Genre, das Veränderung anstrebt und über Schwingungen, die von vielen
wahrgenommen und geteilt werden, kommuniziert. Ist es möglich, über neuartige Formen von
Gemeinschaft zu sprechen, die uns dabei helfen, mit den durch Unterdrückung, Terror,
Bürgerkrieg und Klimawandel verursachten anhaltenden Flüchtlingsströmen an den Grenzen
164

in aller Welt umzugehen? Können wir gemeinsam für die unterschiedlichen Menschen an
öffentlichen Orten Sorge tragen? Können wir temporäre Wohnlösungen für 70.000 oder mehr
Menschen finden, indem wir über Events wie Burning Man nachdenken? Wird es uns
schließlich möglich sein, erneut eine Beziehung zum Land aufzubauen und das Allgemeingut
als Menschenrecht einzufordern?
Domingo Castillo
HENNING FEHR / PHILIPP RÜHR
Polyrhythm Technoir Pt. III: Leisure Time Future: The Rattlesnake
Space is not neutral. Things and beings don’t occupy a geometric position, but affect it and are affected by it.
Places are irreducibly loaded — with stories, impressions, emotions. A commune engages the world from its own place. 1
How humans have used and negotiated their claims on land throughout time seems to be of
primary concern in both Leisure Time Future: The Rattlesnake and the accompanying
panels Sound Eaters. For its part, Leisure Time Future, the final statement in a trilogy of films
by Buck-Moore, Fehr, and Rühr, traverses different sites of production, presenting a prism
of techno music cultures and their surrounding spaces. It is a filmic meditation on how people
spend their time that focuses on a number of characters, events, landscapes, soundscapes,
situations, and ideologies. When combined, these elements articulate a relationship between
bodies, land, and the emanating vibrations they share.
Polyrhythm Technoir Pt. III: Leisure Time Future:
The Rattlesnake, digitales Video, 129' 41'', 2015
in Zusammenarbeit mit Danji Buck-Moore
in collaboration with Danji Buck-Moore
Polyrhythm Technoir Pt. II – Eine Endlose
Zigarette / Polyrhythm Technoir Pt. II – An Endless
Cigarette, digitales Video, 53' 08'', 2014
in Zusammenarbeit mit Danji Buck-Moore
in collaboration with Danji Buck-Moore
Soundeater
Tusche auf Akustikmolton / Ink on acoustic molton
2016
Alex Gray
Schaufensterpuppe, Pullover, Hantarex-Monitor
mannequin, pullover, Hantarex monitor, 2016
165

White Noise
Fehr and Rühr’s Sound Eaters, which depict snowmakers painted in china ink over acoustic
paneling, seem to function as a punctum for the critique surrounding certain environ -
ments and other ideas presented in the film. Each panel illustrates a constructed snowscape
where one would ideally ski when on holiday. Snow, however, is never represented.
Instead we are confronted with acoustic fabric, which brings to mind the hiss of white noise.
As you move through these spaces, and the film’s soundtrack plays in the background,
you become faintly aware of your surroundings and realize that the pieces absorb and deafen
the noise surrounding your body.
3
4
3
4
On Leisure
Leisure can be used as a reflexive time for the self to search for deeper truths that can ease
the weight of existence. But today, it is also a subjugating force composed of endless mutations
of consumption. Leisure is the concept industry: a well-oiled machine constantly learning
and adapting to the needs of its prey. We can see this in the rise and development of serialized
television, addictive click-based games, and the endless swiping required by almost every
smartphone app. This device-based leisure is a machine that reconstructs the landscape, with
server farms hosting the growing clouds and warehouses stockpiling goods for our
consumption. If these forms of leisure don’t allow us a moment to ourselves and only create
detached forms of engagement, how are we then able to develop meaningful relationships
between people?
Land Limits
As the canon of American Land Art is woven throughout the film, I can’t help but consider how
that work is still only possible through substantial cultural and financial investments by a
number of individuals, corporations, and nonprofit organizations. I’d even go so far as to say
that these sites represent the very presumptuous nature of a kind of Anglo-American
arts production from the ’60s and ’70s as it relates to a narrative of an altruistic calling. While
people of color were fighting for sovereignty, civil rights, and representation, artists such
as de Maria, Heizer, Turrell, et al. decided to break from the limitations they felt were imposed
on their practices and began their journey westward.
America’s history with the west has always been violent, toward both people and the
environ ment. These artworks lacked the sensitivity to bring truly radical concerns to light,
and despite referencing a tradition of large-scale projects made collectively by Native
Americans, they nevertheless focused on individualistic artistic claims. 2 Sadly, many of these
artworks can’t help but remain deaf to the grim realities produced by the American
military–industrial complex, where research, testing, and development of nuclear technologies
in the area have altered both the visible landscape and its inherent subterranean presence
for centuries to come.
5
1| The Invisible Committee, To Our Friends
(Semiotext(e), Los Angeles), p. 201.
2| A number of sites come to mind: the Great Serpent
Mound in Ohio, Manitou Cliff Dwellings in Colorado,
the Nazca Lines in southern Peru,
and the archaeoastronomy site of Chichen Itza in
the Yucatán State of Mexico.
3| Illustration of Quetzalcoatl, the plumed serpent
god of the Toltec and Aztec civilizations, from
the Codex Telleriano-Remensis, from 1550 BC.
4| Still from Polyrhythm Technoir Part III: Leisure
Time Future: The Rattlesnake
5| Alex Grey, video: Polyrhythm Technoir Part II:
An Endless Cigarette.
Underground Resistance
When confronted with the possibilities latent in techno, a genre rooted in Afrofuturistic
thought, we’re given proposals for envisioning worlds under different rules — rules that allowed
people from different cultures and backgrounds to connect through music, which in turn
led to the reintroduction of exuberant rituals and celebrations to public spaces. I’ve come to
see techno as a genre that seeks change, communicating by vibrations to be felt and
shared by many. Is it possible to speculate about new forms of collectivity that can provide
better solutions to address the flow of migrants between borders caused by the ongoing
forces of oppression, terror, civil war, and climate change around the world? To collectively
care for various people in public spaces? Could we problem-solve temporary living
solutions for 70,000, or more, by thinking through events such as Burning Man? Could we
then begin collectively to restore our relationship to the land and make claims for the
reintroduction of the commons as a human right?
Domingo Castillo
166

167

ANNA WITT
Radikal Denken, 2009
Die Rechte des Gehsteigs, 2012
Radikal Denken
Anna Witts performative Interventionen und Videoinstallationen adressieren die Wiederholung
des kulturellen Habitus des Individuums sowie jener stereotypen Konstrukte
und deren visuellen Repräsentationen, die von Familienwerten, Alltagspolitiken und den
vorherrschenden Kommunikationsmedien der westlichen Gesellschaft determiniert
sind. Diesen Zugang veranschaulicht die Art und Weise, wie sich ihre Videoinstallation Radikal
Denken (2009) dem Wort „radikal“ annähert. Sie porträtiert anonyme Personen in einem
Einkaufszentrum, die von der Künstlerin gebeten wurden, einen „radikalen Gedanken“ vor
der Kamera zu formulieren. Anstatt diesen Gedanken auszusprechen, schweigen sie
und internalisieren ihn – womit sie die Zuschauer anregen, sich zu fragen, was es ist, das
auszusprechen sie verweigern: Was ist wirklich radikal an diesen privaten Gedanken?
Später laufen alle Gedanken in Textform über die Leinwand und verdichten sich so langsam
zu einem improvisierten Manifest: „Es gibt keine eigenen Entscheidungen mehr, und
keiner ist mehr für etwas verantwortlich“; „Arbeit wird abgeschafft“; „Die Grenzen der Welt
werden ständig neu definiert, und die Welt wird komplett neu aufgeteilt“; „Man kann
unbegrenzt Geld vom Automaten abheben“; „Trends werden abgesetzt“. Wie offenbart sich
Radikalität? Radikal im Gegensatz wozu? Sollen sich Veränderungen in der Sozialpolitik
durch die Notwendigkeit von Radikalität selbst vorantreiben? Witt dreht diese Begriffe; sie
impliziert, dass sie relativ zu Zeit und Kontext bleiben und dabei immer auch eine
Reflexion von Sehnsucht oder Nostalgie sind. 1
ANNA WITT
S. 166 / 167
Radikal Denken / Radical Thinking
2 Kanal-Videoinstallation / 2 channel video installation,
29' und 14', 2009
S. 168 / 169
Die Rechte des Gehsteigs
The Rights of the Pavement
HD-Video, 6', 2012
1| Erstveröffentlichung in: Boston Consulting &
Belvedere Contemporary Art Award 2013, Wien 2013.
2| First published in: Boston Consulting & Belvedere
Contemporary Art Award 2013, Vienna 2013.
Radikal Denken [Radical Thinking]
Manifesting itself through performative interventions and video installations, Anna Witt’s
practice addresses the repetition of stereotypical constructs and the cultural habitus of
individuals and their visual representation as determined by family values, customary politics,
and the prevailing communication media of western society. This approach is exemplified
by the way in which her video installation Radical Thinking (2013) addresses the word “radical.”
It portrays anonymous travelers at Vienna’s Central Railway Station, whom the artist asked
to stage a “radical thought” in front of the camera. Instead of uttering the thought, they
are silent and internalize it – inciting viewers to wonder what the people refuse to pronounce:
what is truly radical about their private thought? Later, each thought scrolls down the
monitor in the form of a text, slowly building up an impromptu manifesto: “Everything banal
is downsized”; “Bureaucracy is forbidden”; “Money has no value any more”; “We produce
only the bare necessities and consume less”; “I imagine becoming another person.” How is
radicality revealed? Radical in opposition to what? Should changes in socio-political
policy promote themselves by the need for radicality? Witt spins such terms around, implying
the ways in which they remain relative to time and context, always a reflection of desire
or nostalgia. 2
Diana Baldon
168

169

Die Rechte des Gehsteigs
In Die Rechte des Gehsteigs setzt sich Anna Witt mit öffentlichen Ausdrucksformen unserer
Zivilgesellschaft auseinander. Zu sehen sind Formen des Protests in ihrer Beziehung zur
rechtlichen Reglementierung des öffentlichen Raums. Das Video zeigt im Internet gefundene
Aufnahmen von politischen und künstlerischen Aktionen im öffentlichen Raum. Aus dem
Off kommentiert ein Wiener Polizeisprecher, dem Witt das Bildmaterial vorlegte, die jeweilige
Situation. Er erläutert die Form des Vergehens und mögliche juristische Folgen. Die
Reglemen tierung des Bürgersteigs und somit des öffentlichen Raums tritt zunehmend in den
Vordergrund.
Im Interview erläutert die Künstlerin ihre Arbeit:
„Viele meiner Arbeiten haben Bezug zu performativen Eingriffen im öffentlichen Raum. In
der Folge habe ich begonnen, ein Archiv mit Bildern von künstlerischen und politischen
Protestaktionen anzulegen. Eine Auswahl aus diesem Archiv habe ich einem Polizeisprecher
vorgelegt und ihn gefragt, was die rechtlichen Konsequenzen der jeweiligen Aktionen
sind. Die Medienebene hat mich interessiert, da Protestaktionen immer mehr auf die mediale
Verbreitung hin ausgelegt sind und an den Orten, an denen sie stattfinden, oft nur von
wenigen Menschen wahrgenommen werden. Die Verbreitung in den Medien ermöglicht
einen größeren Rahmen und Zugang zu mehr Publikum. Ich fand es spannend, wie groß die
Lücke ist zwischen dem, was wir als Recht empfinden und an Möglichkeiten haben, es
durchzusetzen, einerseits und andererseits dem bei uns herrschenden Rechtssystem. In der
Arbeit zeigt sich, welch rigides System von Regeln bei uns angewandt wird. Wenn
Menschen demonstrieren, geht es ihnen um große Ungerechtigkeiten und darum, wie diese
im bürokratischen Umgang ausgelegt werden. Wie kleinkariert der Umgang mit diesen
Vorschriften ist, mag teilweise witzig klingen. Doch bei genauerer Betrachtung ist es schockierend,
wie wenig die Menschenrechte dabei eine Rolle spielen. Für die in der Bürokratie
Tätigen ist wichtig, dass der Abstand zur Straße nicht eingehalten wurde. Ihnen geht es um
Erregung öffentlichen Ärgernisses und Ähnliches. Mein Ziel war es, diesen Kontrast
zwischen der bürokratischen Rechtsprechung und den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten
zu untersuchen.“
Die Rechte des Gehsteigs [The Rights of the Pavement]
In The Rights of the Pavement Anna Witt examines public forms of expression in our civil
society. Visual means of protest are displayed in their relation to the legal regulations of
public space. The video work consists of found footage of political and artistic actions. In a
voice-over one hears an Austrian police press officer commenting on each situation.
He explains the criminal delinquency and possible legal consequences. Regulations for the
sidewalk and consequently for public space increasingly come to the fore.
Interview:
“Many of my works relate to performative interventions in public space. So I began to compile
an archive of images from artistic and political protest actions. I showed select images
from this archive to a police press speaker and asked him what the legal consequences of the
respective actions were.
The media aspect interested me because protest actions are increasingly oriented toward
media coverage and often only perceived by a few people on the actual site where they happen.
Coverage by the media provides a bigger stage and accesses a larger audience.
What fascinates me is the chasm between what we find just and the possibilities we have, on
the one hand, and the realities of the prevailing legal system, on the other. In this work I
reveal the rigid system of rules exercised upon us.
When people demonstrate it is about great injustices and about how they are being dealt
with bureaucratically. These provisions are dealt with so pettily, it might sound a bit funny at
first. But upon a closer look, it is shocking just how small a role human rights play here.
For the representatives of the bureaucracy, things like keeping a certain distance from the street
or causing a public nuisance are important. My aim was to investigate the contrast between
the bureaucratic jurisprudence and the injustices in society.” Ursula Maria Probst / Anna Witt
170

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DAVID BERNSTEIN
MG Action Town
2016
DAVID BERNSTEIN
MG Action Town
by Tofu Gang: David Bernstein, Jokubas Cizikas,
Miriam Hartwig, Géraldine Longueville, Jurgis
Paškevicius, Rosa Sijben
Toninstallation im Auto des Künstlers (Fiat Multipla)
audio installation inside the artist’s car (Fiat Multipla)
2016
1| Diese Fächer hatte er von 2006 bis 2010 am Pratt
Institute in Brooklyn, New York belegt.
2| http://www.spiegel.de/auto/aktuell/die-zehnhaesslichsten-autos-aller-zeiten-a-608186-4.html,
bei Autobild 2012 auf Platz 1: http://www.autobild.de/
klassik/artikel/die-schrillsten-autos-allerzeiten-1754084.html.
Der Fiat Multipla von David Bernstein ist das einzige Außenobjekt in der Ausstellung
Von den Strömen der Stadt. Mit geöffneten Türen und nach außen dringendem Selfmade-
Rap steht das Auto im Skulpturengarten mitten auf der Wiese.
Die nahe Großplastik Ring von Mauro Staccioli, die etwas entfernter ausgestellten Skulpturen
von Giuseppe Penone, François Morellet und Bernhard Luginbühl sowie die gesamte Anlage
des Museumsgartens gehören der High-End-Kultur an, der italienische Großraum kombi
ist hingegen ein Okkupator entschieden minderer beziehungsweise andersartiger Qualität,
der in die Idylle eingedrungen ist und sie zur Party-Location umfunktioniert. Bernsteins
Nutzung des Fiat Multipla begann lange vor der Ausstellung. Das Auto war integraler Bestand -
teil seiner Studienzeit im Fach Kunst in den Niederlanden, wohin der gebürtige Texaner
2011 als Bachelor in Industriedesign und Kunstgeschichte 1 zum Kunststudium kam. Bernstein
entdeckte die besondere Symbolik des Multipla, der von Kritikern einst als eines der
hässlichsten oder gar als das allerpeinlichste Auto der Welt überhaupt 2 bezeichnet wurde,
tatsächlich auch als Sinnbild eines sozialen und kommunikativen Designs, das Autofahren,
Musikanlage und Party unterwegs bedeutet.
Er schrieb für die Autobahnstrecke von Maastricht nach Amsterdam das erste Songheft, A2,
für Mönchengladbach schrieb er das zweite: MG Action Town; darin finden sich Rapgesänge
mit bizarr-schönen, ausgelassenen Hymnen über die Stadt. Die Stücke laufen im Auto
und sind zum Mitsingen gedacht. Ein Textblatt liegt bereit.
Das Auto als private Zelle, die sich sonst durch den öffentlichen Raum bewegt, erhält hier im
Park eine idyllische und familiäre Komponente. Es demonstriert eine weitere Beziehung
zwischen öffentlichem und privatem Raum. Der Multipla nimmt Kontakt zum Parkumfeld auf,
wo im Sommer auch Familien und Gruppen mit Picknickdecken hinkommen, um den
Museumsgarten in ihrer Freizeit zu nutzen.
Susanne Titz
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1| 2006–10, Pratt Institute, Brooklyn, New York.
2| http://www.spiegel.de/auto/aktuell/die-zehnhaesslichsten-autos-aller-zeiten-a-608186-4.html;
German online car magazine Autobild named it
the #1 ugliest car in 2012: http://www.autobild.de/
klassik/artikel/die-schrillsten-autos-allerzeiten-1754084.html.
MG Action Town
David Bernstein’s Fiat Multipla is the only outdoor object in the exhibition Von den Strömen
der Stadt [On the Currents of the City]. Presented with self-created rap music blaring out of
its open doors, the car is parked in the middle of the sculpture garden meadow.
While the nearby, large-scale sculpture Ring by Mauro Staccioli, the somewhat more distantly
placed sculptures by Giuseppe Penone, François Morellet, and Bernhard Luginbühl, and
the entire complex of the museum garden are all high-end culture, the Italian multipurpose
vehicle is an occupier of inferior or different quality that has penetrated the idyll and
turned it into a party spot. Bernstein started using the Fiat Multipla before the exhibition.
The car was part of his studies in the Netherlands, where the native Texan studied fine
art in 2011 after receiving a Bachelor’s degree in industrial design with a minor in art history. 1
Bernstein discovered the special symbolism of the Multipla – which critics once described
as one of the world’s ugliest or even most embarrassing cars 2 – as emblematic of a social
and communicative design that stands for car driving, a music system and impromptu outdoor
parties.
Bernstein wrote A2, his first book of songs, for the highway leading from Maastricht to
Amsterdam. The second, MG Action Town, is devoted to Mönchengladbach, and features rap
songs with bizarrely beautiful hymns about the city. The pieces play in the car so that
viewers can sing along, with handy lyric sheets to help with the words.
Here in the park, the notion of the car as a private cell that otherwise moves through public
space takes on an idyllic and familial component, demonstrating yet another relationship
between public and private. The Multipla is put in contact with the same park surroundings
where families and groups also come with picnic blankets in the summer, to use the
museum garden.
Susanne Titz
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INTIMITÄT
UND
ÖFFENTLICHKEIT
Die Schnittstellen von Gesellschaft und
Intimität nahmen verschiedene Arbeiten zum
Anlass, Öffentlichkeit als ein zumindest
ambivalentes Gut wahrzunehmen, das nicht
einfach uneingeschränkt und affirmativ
übernommen werden kann. Die Problema tiken
und Grenzen der Selbstveröffentlichung
nicht nur vor dem Hintergrund von Social
Media werden subtil und vielschichtig
verhandelt. Das Verschwimmen dieser Grenzen
zwischen den verschiedenen Positionen
wird dabei zum Vexierbild einer Genera tion,
die sich zwanglos über alle Grenzen
hinwegsetzt, um sich selbst unter den ver -
schärften Bedingungen der Selbstoptimier
ungs gesellschaft neue Spielräume und
Handlungsoptionen zu schaffen.
Taisiya Ivanova bewegt sich mit ihrer Arbeit
ohnehin im öffentlichen Raum. An einer
Stelle ihres Films really lilly konfrontiert sie
die von ihr beobachteten Stadtsequenzen
mit einem parallel mit einem Passanten ge -
führten Gespräch, das flugs von der
(öffentlichen) Frage nach ihrem Tun (dem
Filmen) in eine latente Anmache übergeht.
Diese Sequenz markiert die Verschränkung
von Intimität und Öffentlichkeit. Vor dem
Hintergrund einer zunehmenden Aus weitung
dessen, was als „öffentlich“ bezeichnet
wird, stellt sich hier auch die Frage nach
dem Verbleib der Räume von Intimität und
Privatheit sowie ihren Funktionen. Ivanova
stellt dabei weniger die Gegenläufigkeit
dieser Bereiche in den Vordergrund als deren
Verschachtelung und Gleichzeitigkeit: Das
Gespräch mit dem Passanten, das zeitgleich
zu den ganz andersartigen gezeigten
Stadtbildern als Tonspur abläuft, die Kamera -
frau und Künstlerin zwischen der Teilnahme
an der Konversation und dem
Bemühen, die Grenze der Professionalität in
176
ihrer anhaltenden Tätigkeit des Filmens auf -
rechtzuerhalten, wodurch das intime
Gespräch überhaupt erst als Kunstprodukt
generiert wird. Ivanova zeigt damit auf,
wie sich die diskutierten Bereiche stets
durchdringen und wie sich die Intimität im
Öffentlichen verortet.
Auch Palina Vetter bewegt sich an diesem
Übergang, wenn sie in ihrer Dauerperformance
den voyeuristischen Aspekt eines
Poledance, der mit einer exponierten
Intimität jongliert, gezielt negiert und die
Bewegung in eine skulpturale Form
überführt. Tanz und Körper werden durch
die Objektivierung in der Kunst wieder um
zum Objekt einer öffentlichen Betrachtung
jenseits der Intimität des Subjekts, das
performt.
Beide Arbeiten deuten an, dass sich im
Öffentlichen ein merkwürdiger Rückraum
der Intimität abzeichnet. Wo scheinbar
alles öffentlich ist, wo Social Media und
Netzwerkwelten gar einen Zwang zur
dauerhaften Selbstveröffentlichung konsta -
tieren, sucht die Intimität gerade im
Rampenlicht nach Rückzugszonen. Britta
Thie, die in Translantics ihren eigenen
Avatar anhand einer ganzen Batterie
aktueller Bildformate zwischen Dokusoap
und Dokumentarfilm, Werbeclip und
Cinemascope durch eine selbst kreierte
Wunderwelt führt, stellt dieses Kunstprodukt
hier gleichwertig neben ihre anderen
Charaktere wie Model, Schauspielerin oder
einfach nur Freundin. Sie selbst hinter
all den Angeboten auszumachen, erscheint
schwierig. Im Strudel der Bilder findet
die Intimität eine unerwartete Schattenlage,
einen Rückraum, der vollkommen im
Verborgenen bleibt – eine neue Form der
Camouflage, der List oder der Abschirmung,
hinter der sie (vielleicht) wieder agiert.
Dass im Windschatten von so viel Öffentlichkeit
gerade das zu finden ist, was eine
junge Generation vielleicht als Widerlager
sucht, ist allerdings eher unwahrschein -
lich. In Zeiten der andauernden Angleichung
scheint manchem die beste Antwort
vielleicht die Quadratur der Affirmation zu
sein. Isabella Fürnkäs und Lukas von der
Gracht schicken sich selbst in Selfiecalypse –
Teenhunger Ultra Death Attac 1.0 als
Gamecharaktere und Protagonisten in den
tagtäglichen Kampf mit, gegen und um
das eigene Bild – und damit auf die ewige
Jagd nach sich selbst und immer wieder
nur sich selbst. Im Ego-Shooter-Format
arbeiten sie sich, bewaffnet mit Selfiestick
und Mobile Phone, auf dem Split-Screen
ihrer Installation parallel und isoliert von -
einander durch eine brutalistisch betonierte
Stadt, die zur Falle wird und in der sie
sich immer wieder nur selbst erbeuten. Dies
könnte als Persiflage oder auch kritische
Haltung gegenüber aktuellen Egozentrismen
gelesen werden. Glücklicherweise bleiben
die beiden jedoch beim locker vorgetragenen
Sujetmodus des Action-Games und ver -
bannen unsere romantischen Spekulationen
mit viel Selbstironie ins Reich persönlicher
Interpretation.

Intimacy and the Public Sphere
Numerous works take the intersection of
society and intimacy as an occasion to reflect
upon the public sphere as an ambivalent
good, which cannot simply be taken for
granted in an unqualified and affirmative
manner. With subtlety and complexity, the
works negotiate the difficulties and limitations
of self-production, even outside of the context
of social media. The blurring of boundaries
between positions becomes the illusory image
of a generation that would casually cross
any line for a little leeway and better options
in the cutthroat conditions of a self-optimization
culture.
Taisiya Ivanova is already moving into the
public sphere in her work. At one point in
her film really lilly, she confronts a city scene
shot from her viewpoint as a conversation
with a passerby runs in parallel. The
conversation quickly turns to the (public)
question of what she’s doing (the film), with
the subtext that she is getting hit on. This
scene marks the intertwining of intimacy and
the public sphere. Against this backdrop
of an expansion of what counts as “public,” a
question arises here about the location and
function of intimacy and privacy. What
is paramount in Ivanova’s work is less the
oppo sition of these two spheres than
their interweaving and coincidence. While
her conversation with the passerby runs
in parallel with a sequence of different
cityscape images, the camerawoman and
artist shifts between participating in
the conversation and attempting to maintain
professional boundaries in the act of
making a film – which would generate the
intimate exchange first and foremost as
an artistic production. Ivanova thereby
demon strates how the two spheres constantly
invade each other, and how intimacy can
situate itself within the public.
Palina Vetter also operates in this realm with
her continuous performance, which deals
with a precariously exposed intimacy by
translating it into a sculptural form, deliber -
a tely negating the voyeuristic aspect of a
pole dance. Dance and body again become the
object of a public gaze, beyond the intimacy
of the performing subject.
Both works suggest that in the public sphere,
a strange enclave of intimacy emerges.
When everything seems to be public, when
social media and a networked world instill
in one the compulsion to persistently
publish one’s self, intimacy seems to seek a
retreat especially within the limelight. Britta
Thie presents her work in this exhibition on
an equal footing with the other roles
(model, actress, and simply friend) she’s
developed through her own avatar in
Translantics, a self-devised wonder-world,
conveyed via an entire arsenal of contemporary
media formats from docusoap
and documentary film to promo tional videos
and cinemascope. Locating Britta Thie
herself behind all of the media seems complicated.
In the vortex of images, intimacy
finds an unexpected spot in the shadows: a
nook that remains completely hidden –
the conceit of the screen, behind which she
operates (maybe), becomes a new form of
camouflage. Nevertheless, it is unlikely that
what a younger generation might seek as
a refuge is to be found directly in the slipstream
of so much publicity. But in a time of
constant assimilation, the best answer for
some might be the quadrature of affirmation.
In Selfiecalypse – Teenhunger Ultra Death
Attack 1.0, Isabella Fürnkäs and Lukas
von der Gracht pose as game characters and
protagonists in the daily struggle with,
against and for their own image – an eternal
pursuit of the self, always and forever
only the self. In their first-person shooter
game, they operate in parallel with and
isolated from each other in their split-screen
installation, armed with selfie-sticks and
mobile phones. They navigate a brutalist,
concrete city, which keeps leading them into
traps and in which they can only ever
capture themselves. It could be read as light
mockery or as a critical treatment of ego -
centrism today. Fortunately, both remain only
loosely rendered subject-modes of the
action game, their self-irony serving to do
away with our romantic speculations in the
realm of personal exploration. Markus Ambach
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TAISIYA IVANOVA
really lilly
2015
TAISIYA IVANOVA
really lilly
Video, 22’, Sound, Loop, 2015
*Alle Wörter und Wendungen, die in die Kategorie
einer spekulativen Wertung fallen, könnten
herausgenommen und imaginativ durch ihr Gegenteil
ersetzt werden. Das Spektrum, das sich zwischen
diesen beiden Punkten öffnet, ist der angestrebte
Zustand, den die Künstlerin mit ihrer Arbeit erreichen
möchte und könnte, wenn ideale Produktionsbedingungen
gegeben wären.
(Ergänzung von Taisiya Ivanova, 5. März 2017)
1| Der Titel really lilly stammt aus seinem
„really“, das sich für Ivanova wie „Lilly“, sinngemäß
„the name of any girl“ anhörte. Information von
Ivanova im Gespräch mit der Autorin, 2. März 2017.
2| Vgl. Taisiya Ivanovas Performance reinigung /
cleaning für den Rundgang an der Düsseldorfer
Kunstakademie 2017. Auszug aus der Ankündigung:
„Meine Mutter und ich, wir werden gemeinsam meine
Wohnung reinigen. Am Mittwoch, 15.02.17, 10:00–
20:00 Uhr. Diese Untersuchung geht am nächsten
Tag in der Akademie weiter. Im Flur /1. Stock.“
3| Dabei kann es sich um Digitalität, anonyme
Verabredung, OMing, Polyamorie o.a.m. handeln. Für
ihren Beitrag zur Ausstellungszeitung zu Von
den Strömen der Stadt wählte Ivanova ein Interview
mit Nicole Daedone (Autorin des Bestsellers
Slow Sex: The Art and Craft of the Female Orgasm)
über die Funktionen des weiblichen Orgasmus. In den
Ausstellungsgesprächen am 28.08. und 23.10.2016
betonte sie, dass Intimität und Öffentlichkeit heute
keine Gegensätze mehr sind, sondern ineinander
übergehen. Ihre Mutter war bei den Ausstellungsgesprächen
anwesend und stellte aus dem Publikum
heraus kritische Rückfragen zur Lebensrelevanz einiger
künstlerischer und kulturtheoretischer Konzepte.
4| Bereits der erste Film von Ivanova,
Das Dritte Bild (2015), zeigt ihre explizit medienreflexive
Herangehensweise.
Kameraauge Kameraohr
Die zunächst distanzierten* Filmaufnahmen einer Stadt – eine Reihe von Kindern und
Erwachsenen auf Skulpturenensembles an einem öffentlichen Platz, eine Reihe von Kirmesbuden
und ihre Betreiber, eine Reihe von Enten auf einer Wiese – reihen sich wie endlos
variabel* aneinander, bis die Tonaufnahme eines Gesprächs in die Bilder eindringt und die
Frau hinter der Kamera in den Fokus rückt. Ein Mann spricht die Filmerin an, stellt ihr
Fragen und beginnt einen Flirt, der mehr und mehr zur offensiven* Anmache wird, und alle
Reaktionen der Frau – ihre zunächst irritierten, dann freundlichen, dann distanzierenden
Äußerungen – förmlich überrennt*. Die Kommunikation verläuft auf Englisch, der Ton des
Mannes ist reggaemäßig locker und breit; 1 er ist zwischen 18 und 30. Irgendwann sagt er,
dass er aus Nigeria kommt. Dass Mikrofon und Tonspur in der Aufnahme ein späteres Mithören
des Gesprächs möglich machen, war diesem Mann vermutlich nicht bewusst*. Es gibt
dem Film von Ivanova aber eine zweite Ebene, die auf die Kamera zurückverweist und sie
selbst, die Filmerin, als Subjekt und Objekt zum doppelten Inhalt macht. So beginnt in
dem Moment, da der Mann auf Ivanova reagiert, sie in einen Dialog verwickelt, eine Performance
zur (weiblichen) Ausgesetztheit im öffentlichen Raum. Und zwar eine, die völlig
ohne Nacktheit oder ähnlich spektakuläre Zeichen auskommt; sich lediglich aus dem Plot
eines übergriffigen Gesprächs ergibt. Im gleichen Moment setzt die Darstellung einer
anderen Gewalt ein – in Form der Kamera, die selbst übergriffig ist, indem sie das Gespräch
aufnimmt, so zu einer Wanze wird, die das Gelingen der Anmache und damit auch die
Macht des Gegenübers bricht.
Es folgt eine zweite Gesprächsszene auf der Tonspur, die sich erneut über die Bildaufnahmen
des Films legt und offenkundig Bezug auf die erste nimmt: ein Gespräch zwischen zwei
Frauen, eine Stimme erkennbar als die der Filmerin und eine zweite, die Fragen dazu stellt
und Kommentare abgibt, in einer sehr unaufgeregten, interessierten Tonlage, die dennoch
Spannung in sich hat, da sie von spontanen Einordnungen und Empfindungen beim
Anschauen der gefilmten Situationen und – wie in einer Rückkoppelung zur Selbstreflexion
– von der Haltung der Filmerin als Frau und Künstlerin handelt. Die zweite Person ist
tatsächlich Ivanovas Mutter; inzwischen eine häufige Mitakteurin in ihrer Arbeit. 2 Daraus
erklärt sich auch die Vertrautheit der Konversation, die für die Auseinandersetzung mit
dieser Arbeit interessant ist.
Es ist eine performative und prozessuale Arbeit, die auf mehreren Ebenen Intimität thematisiert,
dabei eine eigene Ausgesetztheit und Verletzlichkeit riskiert, die in sehr aktuelle und
radikale Vorstellungen von Intimität mündet. Als ein Bei-sich-Sein, eine eigene Privatheit,
die wie eine Kapsel mitten in der Öffentlichkeit existieren kann. Und als eine Sexualität,
die Verschiebungen aus dem Verborgenen in den öffentlichen Raum und von der traditionellen
Beziehung in offene Systeme unternimmt. 3
Der Plot dieses Films ist formal sehr präzise konstruiert, da er Bild und Ton in eine Performance
überführt, die sowohl das eine als auch das andere Element förmlich subjektiviert,
sie zu Auge und Ohr macht. Schlüsselbild ist das Eintauchen der Kameralinse in die
Grasflächen, die Konzentration und Abkapselung, das Für-sich-Sein mit den Grashalmen, um
die Nähe des redenden Mannes zu blockieren. So entsteht im Live-Moment der Aufnahme
auch ein Spannungsmoment zwischen künstlerischer Distanz und akuter Involviertheit. Es
ist die Spannung / suspense einer unabsehbaren Konfrontation im öffentlichen Raum,
von den prinzipiellen Mitteln einer Filmkamera ausgelöst und zugleich von ihr in Szene
gesetzt. 4
Susanne Titz
178

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*“Any words which fall into the category of speculative
value judgments can be removed and imaginatively
replaced by an opposite state. The spectrum that
opens up between these two points is the state that
the artist wishes to achieve with her work, and
could achieve under ideal conditions of production.”
Supplementary remark by Taisiya Ivanova,
03 / 05 / 2017.
1| The title really lilly comes from his word “really,”
which for Ivanova sounded like “Lilly,” taken in
the sense of “the name of any girl.” Information from a
conversation the author had with Ivanova on
03 / 02 / 2017.
2| See Ivanova’s performance reinigung / cleaning
performed at the Kunstakademie Düsseldorf’s 2017
Rundgang. Excerpt from the announcement:
“My mother and I, we, will clean my apartment
together. On Wednesday 02 / 15 / 17, 10am–8pm.
This investigation will continue on the following day in
the academy. On the first floor.”
3| Be it digitality, anonymous appointments, OMing,
polyamory, or others. For the magazine published
in conjunction with Von den Strömen der Stadt,
Ivanova selected as her contribution an interview with
Nicole Daedone (author of the bestseller Slow Sex:
The Art and Craft of the Female Orgasm) about
the function of the female orgasm. In the talks held at
the exhibition on 08 / 28 and 10 / 23 / 2016, she
emphasized that, today, intimacy and publicity are no
longer opposites and often blend into each other.
Her mother was present at these conversations and
posed critical questions from the audience
concerning the real-life relevance of certain artistic
and art theory concepts.
4| Even Ivanova’s first film, Das Dritte Bild
[The Third Image] (2015), demonstrates her explicitly
medium-reflexive approach.
Camera-Eye Camera-Ear
The initially impersonal* shots of a city – a number of children and adults amidst an ensemble
of sculptures in a public square, carnival stalls and the people who work there, ducks on a
lawn – follow one another like seemingly endless variables* until the sound of a conversation
enters the images and reveals the woman behind the camera. A man starts speaking to
the camerawoman, asks some questions and begins flirting with her in what becomes an
increasingly offensive* advance while at the same time plainly ignoring* her reactions – her
initially irritated, then friendly, then distancing remarks. The communication takes place
in English. The man’s tone is casual and slow, like reggae. 1 He’s probably aged between 18 and
30. At some point, he says he’s from Nigeria. The function of the microphone and audio
track, a sort of witness in the recording that this man probably didn’t notice,* gives Taisiya
Ivanova’s film a second layer that points back to the camera and makes the filmmaker
into both the subject and object of the content. Thus at the moment when the man reacts to
Ivanova, a perfor mance of (female) susceptibility in public space begins – one that makes
do without nudity or any other spectacular signs and simply results from the plot of an intrusive
conversation. At the same time, the representation of another form of violence also begins.
In recording the conversation like a sort of bug, the camera, itself intrusive, undermines any
chance of the advance succeeding and the power of the man making it.
A second conversational scene follows on the audio track, which is laid on top of the video
recording and overtly refers to the first conversation: a conversation between two women with
the voice of the camerawoman and a second female voice, which asks questions and makes
comments in a non-agitated, interested tone but nonetheless has a certain tension. The
voice offers spontaneous classifications and sensations while watching the filmed situation
and – like self-reflexive feedback – speaks about the filmmaker’s attitude both as a
woman and as an artist. The second person is her mother, by now a frequent collaborator in
Ivanova’s work, 2 which explains the conversation’s familiarity and is important background
knowledge for this work.
It is a performative and processual work that thematizes intimacy on several layers and results
in very contemporary and radical ideas of intimacy while risking the artist’s own susceptibility
or vulnerability. Intimacy is presented as a sort of being-oneself, in which one’s own
private sphere is like a capsule that can exist in the middle of public space, and also as a
form of sexuality that displaces what is otherwise hidden into the public space and transfers
traditional relationships into open systems. 3
The plot of this film has a very precise formal construction. It brings both sound and image
into a performance that makes them subjective, turns them into eyes and ears. A key
image is produced through the way the camera lens dives into the grass – the concentration,
encap sulation, the being-oneself with the blades of grass – in order to block out the
proximity of the speaking man. In the moment of filming, there is a tension between artistic
distance and acute involvement. It is the suspense of an unforeseeable confrontation in
the public space, which is triggered and brought into focus by the fundamental means of a
film camera. 4
Susanne Titz
181

PALINA VETTER
Ohne Titel
2016
182
Die Schnittstelle zwischen privat und öffentlich wird von verschiedenen Künstlerinnen
und Künstlern thematisiert. Dabei bildet sich eine neue Form ab, die sich in einer deutlichen
Diffusion der Grenze zwischen beiden artikuliert. Aktuell scheint entgegen dieser Differenzierung
vielmehr die Frage relevant, welche Formen des Öffentlichen auch das Private
aufzunehmen vermögen und welche Formen des Privaten die Möglichkeit illustrieren,
der immer stärker werdenden Ökonomisierung des Öffentlichen eine kollektive Form desselben
entgegenzusetzen.
Palina Vetter bewegt sich an diesem Übergang, wenn sie ambivalente Formen einer Öffentlichkeit
aufgreift, um sie zu transformieren und im Sinne eines öffentlichen Kunstbegriffs
neu zu definieren. Wenn sie in ihrer Dauerperformance den voyeuristischen Aspekt eines
Poledance, der mit einer prekär exponierten Intimität jongliert, gezielt negiert und die
Bewegung in eine skulpturale Form überführt, treffen sich die skulpturale Geste einer sich
bewusst exponierenden Kunst und ihre gesellschaftlich wie kulturell relevante Aussage
mit der Intimität des Körpers (und nicht etwa der Künstlerin) im öffentlichen Raum des
Museums. Tanz und Körper werden so durch die Objektivierung in der Kunst wiederum zum
Objekt einer öffentlichen Betrachtung jenseits der Intimität des Subjekts, das performt.
Die formal ganz skulptural zu verstehende Geste an der hochpolierten Stange, die nicht nur
durch die direkte Nähe zu Pistolettos Spiegelarbeit ein komplexes Vexierspiel zwischen
Hoch-, Alltags- und Subkultur in Gang zu setzen vermag, tut selbiges also gleichzeitig mit
den Begriffen vom Privaten, Öffentlichen und der Intimität. Dass sich die Künstlerin im
performativen Dauergerüst ihrer Arbeit als Individuum vollkommen zu entziehen versteht,
verweist auf die Möglichkeit, dass all diese Formen nicht mit- oder nebeneinander,
sondern eben ineinander agieren können.
Gleichzeitig fügt Vetter dem Ausstellungsraum durch ihre Präsenz ein aktives Moment hinzu –
eine Temporalität, die sich wiederum als Statement für den Wert des Ereignisses an sich
versteht. Die in ihren akrobatisch wie ästhetisch prägnanten Figuren artikulierte Dynamik
unterstreicht die Zirkulation der genannten Positionen im Raum, der sich der Zuschauer
nicht mehr so leicht durch die Betrachterposition entziehen kann. So aktiviert Palina Vetters
Arbeit subtil, aber bestimmt den gesamten Ausstellungsraum und integriert den Besucher
in den symbolischen Austausch seiner verschiedenen Elemente.
Markus Ambach

183

PALINA VETTER
ohne Titel / untitled
Tanzstange, Performance
dance pole, performance
2015
S. 138 rechts / right
MICHELANGELO PISTOLETTO
Attori e spettatori / Ragazzo che porta
una chitarra
div. Materialien / various materials
1983 / 84
Ohne Titel [Untitled]
Numerous artists have addressed the intersection between the public and the private, and a
new form has subsequently emerged. This form has been described as a clear diffusion
of the two spheres. Rather than focusing on what makes them distinct, it seems much more
relevant today to ask which forms of the public are also able to accommodate the private
sphere, and which forms of the private make possible a collectivity that could oppose the everincreasing
economization of the public sphere.
Palina Vetter approaches this intersection by taking up ambivalent forms of the public
sphere, transforming and redefining them within the idiom of public art. If she deliberately
negates the voyeuristic aspect of a “pole dance” in her continuous performance, which
deals with precariously exposed intimacy and translates it into a sculptural form, the sculptural
gesture of an art of conscious self-exposure, and its social and cultural implications, are
brought into contact with the intimacy of the body (and not the artist) in the public space of
the museum.
Through their objectification in a work of art, dance and body again become the objects of a
public gaze beyond the intimacy of the performing subject. Not only because of its
proximity to Pistolleto’s mirror work, the polished pole’s purely formal and sculptural gesture
initiates a complex interplay between highbrow, lowbrow, and subculture. It does the
same for the concepts of public, private, and intimacy. That the artist sees herself, the individual,
as having eluded her performing body’s function as temporary scaffolding speaks to the
possibility that, rather than with or next to one another, these forms are able to operate within
one another.
At the same time, Vetter adds a sense of activity to the exhibition space through her pre sence:
a temporality which, as such, serves to testify to the value of the event. This dynamic,
arti culated in her acrobatic and aesthetically concise figures, underscores the circulation of these
various positions in the space; the viewers can no longer easily escape their position as viewers.
In this way, Palina Vetter’s work subtly but unmistakably activates the entire exhibition space
and integrates the visitor into the symbolic exchange of its various elements. Markus Ambach
186

187

BRITTA THIE
2016
BRITTA THIE
Translantics
directed by Britta Thie and Julia H. Burlingham
Text: Britta Thie, Musik: Ville Haimala
produziert von Stella Heath Keir und Schirn Kunsthalle
in Zusammenarbeit mit ARTE Creative
je 20–30', 2015
Shooting (Arrogant Suffering), 1' 21'', 2009
Infomercials, co-directed by Julia H. Burlingham
1' 49'', 2016
Alien Babies, directed by Easter, 4' 29'', 2012
Lexus, directed by Specter, 1' 38'', 2013
S. 188
Filmstills aus Translantics,
Alien Babies, Translantics, Lexus, Infomercials
S. 189
Shooting (Arrogant Suffering)
Das wilde Herz im Rausch des 21. Jahrhunderts
Verschiedene Arbeiten in der Ausstellung deuten an, dass sich im permanenten Lärm des
Öffentlichen vielleicht doch ein ungeahnter wie merkwürdiger Rückraum der Intimität
abzeichnet. Wo alles öffentlich zu sein scheint, wo Social Media und Netzwerkwelten gar
einen Zwang zur dauerhaften Selbstveröffentlichung konstatieren, sucht die Intimität
vielleicht gerade im Rampenlicht nach Rückzugszonen. Britta Thie, die in Translantics ihren
eigenen Avatar anhand einer ganzen Batterie von aktuellen Bildformaten zwischen Doku soap
und Dokumentarfilm, Werbeclip und Cinemascope durch eine selbst kreierte Wunder welt
führt, stellt dieses Kunstprodukt hier in der Ausstellung gleichwertig neben ihre anderen
Charaktere wie Fotomodell, Schauspielerin oder einfach nur Freundin. Im ungezwungenen
Nebeneinander von Werbevideo und künstlerischer Arbeit, Videoclip und Serienfeature
offenbart die Lounge der Künstlerin den virulenten Austausch von Sprachen und Zeichen
zwischen den einst unterschiedenen Sujets. Wo die Automobilmarke Lexus das Genre
„Musikvideo“ infiltriert und den Körper der Künstlerin und anderer Fotomodelle mit ihrem
rein technischen Produkt klont, tut die Band Easter ein Ähnliches in ganz anderer Weise,
wenn sie Thies besondere Erscheinung im Song Alien Babies latent mit dem Begriff des
Außerirdischen kulminieren lässt. Das hier genutzte Fremde und Befremd liche der Figur des
„Models“ findet sich wiederum in der Videoarbeit Shooting (Arrogant Suffering) als perfide
(Selbst-)Inszenierung enttarnt, die sich entlang einer ausgedehnten Befehlskette zwischen
S und M in Szene setzt: „Leiden … mehr leiden … arrogant leiden … arroganter leiden!“
Britta Thie selbst hinter all den Angeboten auszumachen, scheint schwierig. Im Strudel der
Bilder findet die Intimität eine unerwartete Schattenlage; einen Rückraum, der vollkommen
im Verborgenen bleibt – eine neue Form der Camouflage, der List oder der Abschirmung,
hinter der sie (vielleicht) wieder agiert. Dass Thie hier dem kuratorischen Vorschlag der schein -
bar undifferenzierten Aneinanderreihung von Kunst, Werbevideo und Musikclip folgt, zeigt,
wie die Künstlerin das Changieren zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Positionen
188

aktiv in ihrer künstlerischen Arbeit einsetzt und zum Thema macht. Das vermeintliche
Verschwimmen der Grenzen zwischen den Positionen wird zum Vexierbild einer Generation,
die sich zwanglos über alle Grenzen hinwegsetzt, um sich selbst unter den verschärften
Bedingungen der Selbstoptimierungsgesellschaft neue Spielräume und Handlungsoptionen
zu schaffen.
Dass im Windschatten von so viel Öffentlichkeit gerade das zu finden ist, was eine junge
Generation vielleicht als Widerlager sucht, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Aber in Zeiten
der andauernden Angleichung scheint manchem die beste Antwort vielleicht die Quadratur
der Affirmation zu sein. So riskiert Britta Thie das Missverständnis genauso gerne, wie
manch einer das Scheitern zum produktiven Element künstlerischer Arbeit erklärt. Sich selbst
dabei in solch affirmativer Form aufs Spiel zu setzen, scheint neu und ungewohnt –
besonders, da das gemeinhin dahinter erwartete Versprechen, am Ende doch eben anders zu
sein, nie eingelöst wird. Das Ziel der Arbeit bleibt weiterhin diffus und vermeidet seine eigene
Sublimierung in einem tieferen Sinn. Thie führt uns nicht auf eine klärende Metaebene,
auf der sich alles zum Guten wendet, sondern verschwindet selbst im Strudel der Bilder, die
genauso fantastisch wie oberflächlich, tiefgreifend wie unerträglich, banal wie humoristisch
perfide sein können.
Wenn diese Flut der Bilder nicht immer wieder etwas zu weit ginge, könnte man hinter all dem
Medientrash, der immer mal wieder von nahezu ernsthaften Recherchen, Sequenzen
sinniger Ironie und illustren Milieudarstellungen durchbrochen wird, vielleicht die Auferstehung
des sublimen Schreckens vermuten, der die Kultur dekadenweise heimsucht, wenn er mit
komplexen Landschaften schaurig-schönen Überschwangs konfrontiert wird. Doch auch diese
intellektuelle Konklusion verbietet die zuckersüße Medienoberfläche der Arbeit als
Rettungsanker und lässt uns zurück mit dem unsicheren Gefühl, nicht wirklich zu wissen,
was das alles denn nun soll – und besonders: wo es noch hinführt.
Markus Ambach
189

Wild Heart in the Buzz of the 21st Century
Various works displayed in the exhibition suggest that amidst the permanent noise of
publicity, a strange and unexpected enclave of intimacy might emerge. When everything
seems to be public, when social media and a networked world instill the compulsion to
persistently publish one’s self, intimacy might perhaps seek cover from the limelight. Britta
Thie presents the work in this exhibition on an equal footing with the other roles (model,
actress, and simply friend) she’s developed through her own avatar in Translantics, a selfdevised
wonder-world, conveyed via an entire arsenal of contemporary media formats from
docusoap and documentary film to promotional videos and cinemascope. In a casual
combination of promotional videos and artistic works, advertisements, and series-features,
the artist’s lounge reveals the virulent exchange of language and signs among these
once distinct works. While the automobile brand Lexus infiltrated the “music video” genre
and, with its perfectly engineered product, cloned the body of the artist and other
models, the band Easter makes a similar gesture in a different way: Thie’s unusual appearance
culminates in the suggestion of extraterrestrial life in the music video for the band’s song
Alien Babies. The alienating and alienated figure of the model used here is to be found again
in the video piece Shooting (Arrogant Suffering), this time exposed as a two-faced (self-)
production, in which the figure’s position in the scene’s chain of command vacillates between
S and M: “Suffer … suffer more … suffer arrogantly … suffer more arrogantly!”
Locating Britta Thie herself behind all of the advertisements seems difficult. In the vortex
of images, intimacy finds an unexpected spot in the shadows: a nook that remains
completely hidden – the conceit of the screen, behind which she operates (maybe), becomes
a new form of camouflage. Thie’s curatorial proposition, in seeming not to distinguish
between art, advertisement, and music video, demonstrates how the artist actively thematizes
and incorporates a fluctuation of societal positions in her work. The supposed blurring of
boundaries between positions becomes the illusory image of a generation which would casually
cross any line for a little leeway and better options in the cutthroat conditions of a selfoptimization
culture.
What a younger generation might seek as a refuge is, nevertheless, unlikely to be found
in the slipstream of so much publicity. But in a time of constant assimilation, the best answer
for some might be the quadrature of affirmation. Britta Thie thus risks being misunderstood
in the same way that others make failure a productive element of their artistic practice.
Putting herself on the line in such an affirmative form seems new and unusual, especially since
she defies the tacit expectation that everything will turn out differently in the end. The
goal of the work remains diffuse, and it avoids its own sublimation into a deeper meaning. Thie
does not lead us to a clarifying meta-level where everything can be redeemed. Rather, she
herself disappears in the vortex of images, which proves to be as phantasmal as it is superficial,
as profound as it is unbearable, and as banal as it is humorously deceitful.
If this flood of images did not repeatedly go too far, one might suspect that lingering behind all
of this media trash (occasionally permeated by quasi-serious research, sequences of apt
irony, and illustrious scene-setting) is perhaps the resurrection of a sublime horror that haunts
the culture of every decade when confronted with the terrifying, beautiful abundance of
complex landscapes. The work’s sugar-coated media surface even denies us our intellectual
conclusion, again leaving us to contend with the uncertain feeling of not really knowing
what it’s all about – or where it’s going.
Markus Ambach
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191

ISABELLA FÜRNKÄS /
LUKAS VON DER GRACHT
Selfiecalypse – Teen Hunger Ultra Death Attack 1.0
2015
ISABELLA FÜRNKÄS VS. LUKAS VON DER GRACHT
rechts / right
Selfiecalypse – Teen Hunger Ultra Death Attack 1.0
Video 11', Loop, 2015
im Hintergrund / in background
ANDY WARHOL
Louis M., Nr. 10 of 13 Most wanted Men, 1963
Procès-Verbal, Dax, 28.07.2015, 15:53 Uhr
Druck auf Papier / print on paper, 2015
1| Vgl. Dan Graham, Body Press (1970 / 1972),
Roll. Filming Process (1970), dazu: Dan Graham, „Film
und Performance. Sechs Filme 1969–1974“, und
ders.: „Videos in Beziehung zu Architektur“, in: Ulrich
Wilmes (Hg.), Dan Graham. Ausgewählte Schriften,
Köln 1994, S. 33–43, S. 57–89.
Dass öffentliche Straßen und Räume zu Spielplätzen für Computerspiele wurden, geschah rund
zwölf Monate nach der Produktion dieses Zweikanalfilms von Isabella Fürnkäs und Lukas
von der Gracht. Ein Jahr später, im Sommer 2016, war Pokémon Go dann allgegenwärtig und
die Symbiose von virtuellem und realem Spielplatz zu einer kollektiven Erfahrung geworden.
In Guerilla-Manier völlig ohne Genehmigung war dies auch mit Pokéstops im Skulpturengarten
des Museums Abteiberg sichtbar.
Während des gleichen Zeitraums, von 2015 bis 2016, stieg die Distribution von Foto- und
Film-Selfies in der deutschen Gesellschaft exponentiell. Über die Funktion „Video“ in
marktgängigen Smartphones und mittels zusehends billigerer Kommunikationstarife wurden
die Dokumentarfilme aus dem eigenen Leben und die Aufnahmen von eigenen schauspielerischen
Aktionen – als bürgerliche Umsetzung der neuen Möglichkeit von Enactment
und Reinactment – in immer größeren Kreisen praktiziert und verbreitet. Jedes Smartphone
kann das jetzt, und die Idee von Produzent und Konsument hat sich auf diese Weise
diversifiziert. Allmählich bahnte sich die Ahnung an, dass wir von Ersterem bald zu viel
haben und uns als Zweitere bald massiv Gedanken darüber machen würden.
Isabella Fürnkäs und Lukas von der Gracht inszenieren in der doppelten Adaption von
Spielszenario und Smartphone-Selfie eine Jagd durch einen städtischen Ort, der gut
ausgewählt ist; ebenso sind Outfit und Setting präzise gesetzt. Beides, die Kulisse des grauen
Beton-Parkdecks und die Kleidung und Maske der Ego-Shooter, wirken in der Kombination
wie Stilisierungen: als ein modisches Setting der Gegenwartskultur beziehungsweise
vielmehr als der Versuch einer nächstmöglichen Annäherung an die Ästhetik der steril-glatten
Game-Animationsbilder. Während gewöhnlicherweise die Ästhetik der virtuellen Realität
große Anstrengungen unternimmt, der materiell-faktischen Realität gleich zu werden –
das heißt in der Künstlichkeit des Mediums eine Illusion von Welt zu erzeugen, scheint hier
die Ästhetik der materiell-faktischen Realität sehnsüchtig auf eine Illusion von animierter,
also virtueller und nicht echter Gegenwart zu zielen. Auf dieser Ebene ist schließlich auch
das Parkdeck mitsamt dem darauf stattfindenden Kamerarennen eine Metapher, da
die beiden Protagonisten sich hier in einem Innenraum wie in einer Möbiusschleife jagen
und bewegen. Sie befinden sich in einer Blase oder Kapsel – ganz so, als gäbe es kein Außen.
Die Zweikanalprojektion aus Smartphone-Kameras aktualisiert dabei auf interessante
Weise den Closed Circuit der Konzeptfilmer der 1960er- und 1970er-Jahre: 1 Deren Thematisierung
der Kamera als Spiegel beziehungsweise konkurrierende Realität ist jetzt
Allgemeingut.
Susanne Titz
192

193

oben / top
Filmstills
Selfiecalypse – Teen Hunger Ultra Death Attack 1.0
rechts / right
ISABELLA FÜRNKÄS
LUKAS VON DER GRACHT
2500
Performance Museum Abteiberg, 2016
1| See Dan Graham, Body Press (1970 / 1972), Roll.
Filming Process (1970), Text: Dan Graham, “Film and
Performance. Six Films 1969–1974,” and “Videos
in Relation to Architecture,” in Ulrich Wilmes (ed.),
Dan Graham. Ausgewählte Schriften,
Cologne, 1994, pp. 33–43, 57–89.
Public roads and spaces became sites of computer-gameplay around 12 months after
the production of Isabella Fürnkäs and Lukas von der Gracht’s split-screen film. In the summer
of 2016, Pokémon-Go was omnipresent. The symbiosis of real and virtual fields of game play
entered into the collective experience, and, guerrilla-like, without any authorization, Pokéstops
appeared in the sculpture garden of the Museum Abteiberg too.
Around the same time, Germany saw an exponential rise in its share of photo and video selfies.
With the notable reduction in data fees and the entry of smartphones with “video” functions
into the market, people realized the new potential for enactment and reenactment, and
ever-larger swaths of people produced and disseminated footage of their own performative
actions and documentary videos from their individual lives. Now every smartphone is
equipped with these capabilities, and this has led to diversification of the concepts of producer
and consumer. Gradually the idea emerged that we had been focusing too much on the
former and would soon be much more concerned with the latter.
Isabella Fürnkäs and Lukas von der Gracht stage a hunt through urban space in a hybrid
adaptation of a gameplay mission and smartphone selfie with a well-chosen setting and
carefully devised costumes. Both the gray concrete parking garage backdrop and the first-person
shooter garb and face-paint work as stylization devices: respectively as a fashionable
setting of contemporary culture and as an attempt to approximate the smooth sterility of
video-game animation aesthetics. While it normally takes a lot of effort to render virtual-reality
aesthe tics that accurately reproduce the facts of material reality (that is, artificially generating
an illusion of the world inside the museum), the material reality aesthetic here seems to
be seeking the illusion of an animated (that is, virtual, not actual) referent. And on this level,
finally, the parking garage together with the pacing camera inside of it are ultimately a
metaphor, in which two protagonists chase each other and move through a self-contained
space that is like a Möbius strip – a bubble or capsule, as if it had no exterior. The split-screen
projection from the smartphone cameras is an interesting update of the closed-circuit
thematic of concep tual filmmakers of the 1960s and ’70s 1 ; their camera, posed as both a mirror
and a competing reality, has now become a facet of everyday life.
Susanne Titz
194

195

SELBSTVERÖFFENTLICHUNG
UND ANDERE BÜHNEN
DER STADTGESELLSCHAFT
Die Vervielfachung von Künstlern als
Schauspieler und Performer ihrer eigenen
Charaktere berührt auch die Frage nach
Formaten der Selbstveröffentlichung und
Sichtbarkeit. Verschiedene Künstler
setzen sich in ihrer Arbeit mit den Umständen,
Begleiterscheinungen und Bedingungen
von Öffentlichkeit auseinander – und auch
mit der Frage nach den Konsequenzen
dieses Prädikats.
Alex Wissel, der durch Projekte wie den
Single Club und die damit verknüpfte
Dauerperformance und Selbstveröffentlich
ung als Clubbetreiber bekannt geworden
ist, fragt hier auf ganz anderer Ebene ge mein -
sam mit dem Filmemacher Jan Bonny
am Beispiel des prominenten Falls Helge
Achenbach nach einem Leben, das sich an
der Öffentlichkeit ergötzte, im illegalen
Dunkeln agierte und aktuell im Gefängnis
Zwischenstation macht. Die Trailer, die
letztlich in einer Fernsehserie mit dem Titel
Rheingold gipfeln sollen, zeigen in sensibler
Weise, wie der Einfluss der breiten
Öffentlichkeit das Gefühl der Omnipotenz
bei Achenbach zur visionären Weltfremd heit
steigerte. Der extra für die Ausstellung
neu entstandene Trailer macht das Museum
zur Bühne dieses Geschehens. Wo die
Figur Achenbach, gespielt von Joachim Król,
im nächtlichen Rundgang zum wagnerianischen
Kunstkönig avanciert und die
Kunstproduzenten, unter anderem dargestellt
von der beeindruckenden Bibiana Beglau,
auf der Suche nach besagtem Gold durch den
Museumsbrunnen scheucht, schiebt sich
die Illusion des Schauspiels und der großen
196
Bühne wiederum zwischen Wissel, Bonny
und die Öffentlichkeit. Die Vermutung,
den Künstler selbst zu sehen, wird durch den
Künstler als Schauspieler widerlegt, wo -
durch die Arbeit wiederum in die Genealogie
von Theater, Film und Massen medium
gestellt wird. Die beiden Filmemacher erneu -
ern damit das Angebot der großen Erzählung,
die – knapp an der Realität vorbei –
etwas Gemeinsames in der Vorstellungskraft
und Mythologie der großen kinematografischen
Geste sucht.
Eine andere Bühne der großen kulturellen
Erzählung scheint durch die digitalen
Medien nahezu obsolet wie auch freigegeben
worden zu sein. Das Buch als Gegenstand
hält sich im andauernden Aufmerksamkeitskampf
der Massenmedien zwar hartnäckig,
ist aber möglicherweise ersetzbar geworden.
Der Rhein Verlag (Sarah Kürten, David
Kühne) entdeckt an diesem kritischen Wende -
punkt das Buch als vom Utilitarismus der
Massenveröffentlichung befreites Medium
und Kunstformat. In analog und teils von
Hand gemachten Kleinstauflagen wird das
Buch hier zum künstlerischen Objekt und
Referenzmodell einer immer wiederkehrenden
Beschäftigung mit Veröffentlichungsformaten
und deren Folgen. Die ökonomisch
obsolete technische Reproduzierbarkeit
des Objekts als auch dessen Distribution wird
im Datenzeitalter zum künstlerischen
Handlungsfeld.
Eine besondere Form der Rückaneignung von
verloren geglaubtem Kulturgut verfolgt
die Gruppe Seira’s mit ihren Interventionen
im Pavillon von Dan Graham am Düsseldorfer
K21. Die begehbare Außenplastik in
Form eines spiegelnden Glaspavillons
wurde in den vergangenen Jahren wiederholt
zum Ziel von Vandalismus, dem das
Museum auf Dauer nur schwer etwas ent -
ge genzusetzen hat. Der mittlerweile
problematische Zustand des Objekts veran -
lasste die Gruppe dazu, es in einer emphatisch
zu nennenden Rückaneignung wieder
zum Ort künstlerischen Handelns zu machen
statt den Zustand nur inaktiv zu kritisieren.
Mit verschiedenen Aktionen, Performances
und konzeptuellen Gesten, die mehr oder
weniger unangekündigt und ohne Rücksprache
mit Stadt oder Eigner durchgeführt
wurden, entwickelte sich ein aktiver wie
zurückhaltender Dialog mit dem Ort, der ihn
wieder im Sinne Dan Grahams als Bühne
der Künstlerschaft (re-)generierte. Dass solch
eine Geste jenseits der öffentlichen Meinung
einzig in der Realität des Ortes stattfindet,
wurde in der Ausstellung durch Artefakte der
Aktionen konsequent weitergeschrieben
und weist auf eine subtile Möglichkeit im
Umgang mit einem allzu bekannten Problem
hin.

Self-Publication and Other Stages in Urban Society
The multiplication of artists as actors and
performers of their own character touches on
questions surrounding the formats of
self-publicization and visibility. Several artists
engage with the circumstances, corollaries,
and conditions of being-in-public in their
work, and also with the consequences of this
distinction.
Alex Wissel, who became known for projects
like the Single Club and likewise performatively
publicizing himself as a club manager,
and the filmmaker Jan Bonny use the
prominent case of Helge Achenbach to ask
questions about a life that was enthralled by
publicity, acted illegally in the shadows
and is at present spending time in prison. The
trailer, which will eventually culminate
in a television series with the title Rheingold,
offers a sensitive portrait of how the sense
of having a large audience intensified
Achen bach’s feelings of omnipotence into
a kind of visionary otherworldliness.
Especially made for the exhibition, the trailer
transforms the museum into the stage for
these events. As Achenbach, played by the
actor Joachim Król, rises in the course
of a nightly stroll to the stature of a Wagnerian
art-king, and the art producers, including
the impressive Bibiana Beglau, among others,
are urged to wade through the museum’s
fountain in search of the aforementioned
gold, the illusion of acting and the stage set
come between Wissel, Bonny, and the
audience. The expectation of seeing the artists
themselves is confounded by the artists as
actors, and as a result, the work becomes
positioned in the genealogy of theater, film,
and mass media. Wissel and Bonny thus
renew the promise of a grand na rrative which,
at a certain remove from reality, tries to
discover something collective in the imagi -
nation and mythology of a grand cinematographic
gesture.
There is also another stage for great cultural
narration that seems to have been rendered
obsolete, or at least optional, by digital
media. Although the book as an object still
seems to be resiliently holding its ground
in the ongoing struggle for attention between
the various mass media, it may already
have become replaceable. At this critical
turning point, Rhein Verlag (David Kühne
and Sarah Kürten) have (re)discovered
the book as a medium and an art form freed
from the utilitarian dictates of mass
publishing. As analog and partly handmade
small editions, the book becomes an artistic
object and reference model for a constantly
recurring engagement with publication
formats and their consequences. The object’s
economically obsolete model of mechanical
reproduction in the digital age, as well as
its channels of distribution, become a field
for artistic activity.
Similarly, the Seira’s group pursues a special
form of reappropriating cultural artifacts
otherwise believed to have been lost, with
their investments in Dan Graham’s
pavilion at the K21’s garden in Düsseldorf,
not far from the Schwanenspiegel. His
walk-in outdoor sculpture, in the form of a
mirrored glass pavilion, has in recent
years repeatedly been the target of vandalism,
but the museum has struggled to counter
this in any permanent way. The now pro ble -
matic condition of this sculpture prompted
the group to emphatically reappropriate it as
a site of artistic activity, rather than just
passively criticizing the exis ting state of
affairs. Various actions, per formances, and
conceptual gestures – which took place
more or less without any prior announcement
or consultation with the city or its owners
– enabled an active yet restrained dialogue
with the site to unfold, regenerating it as
a stage for artistic activity, in line with Dan
Graham’s ideas. The concept that such a
gesture only existed within the reality of the
site and well beyond public opinion is
consistently extended into the exhibition
through several artifacts from the various
actions. This points toward the possibility of
a more subtle approach to a problem that is
all too familiar.
Markus Ambach
197

ALEX WISSEL / JAN BONNY
Rheingold
2016
198
Joseph, was haben wir gemacht!
As a result, left-wing goverments coming
to power in the 1970s […]
often ended up having to implement
proto-neoliberal policies in frustrated attemps
to foster a recovery.
- Nick Srnicek, Alex Williams -
Nein, er betrachte sie als Collagen, entgegnete Helge Achenbach, als er sich vor dem Landgericht
Essen wegen gefälschter Rechnungen zu verantworten hatte. Künstler sei er, sagen der
Künstler Alex Wissel und Regisseur Jan Bonny. Und so sitzt Helge in der Filmfolge Rheingold
im Hotel Steigenberger mit einer Schere in der Hand am Tisch und schneidet; er schneidet
Zahlen aus, klebt sie auf Rechnungen und regt sich auf, wenn der Fotokopierer noch nicht zur
Verfügung steht, um die manipulierten Rechnungen fotokopieren zu können. Mit auf
diese Weise gefälschten Rechnungen brachte er als Kunstberater seine Kunden ungefähr um
zwanzig Millionen Euro. Eine schöne Story – dachten sich Wissel und Bonny und begannen,
sie in mehreren Folgen als Satire zu verfilmen. Inzwischen sind zehn Folgen abgedreht.
Doch sie erzählen mehr als nur eine schöne Story: Sie erzählen eine Geschichte von kulturpolitischer
Brisanz. Bevor Achenbach zu einem der einflussreichsten Kunstberater in
Deutschland wurde – er beriet die Deutsche Bank, Siemens, die Aldi-Erben – arbeitete er als
Sozialarbeiter. Er trat in die sozialdemokratische Partei ein, weil ihm deren Weltverbesserungsideen
gefielen. Er war mit dem ewigen Revolutionsnostalgiker, dem Maler Jörg Immendorff,
befreundet. Er kaufte sich aus Joseph Beuys’ Nachlass jenes Auto der edlen Marke Bentley,
in dem schon Joseph zu Eröffnungen fuhr – allerdings immer in einer sicheren Entfernung
parkend, um nicht mit dieser Luxuskarosse in Verbindung gebracht zu werden. Nach
Jahren erfolgreicher Beratungstätigkeit auf höchster politischer wie wirtschaftlicher Ebene
wurde Achenbach 2014 am Düsseldorfer Flughafen verhaftet, als er gerade aus Brasilien
zurückkam, wo er während der Weltmeisterschaft die Unterkunftsräume der deutschen
Fußballnational mannschaft mit Kunst ausstattete. Kunst inspiriert zu mehr Leistung, sagt
in einer der Filmfolgen der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, während er sich
von dem Maler Immendorff porträtieren lässt. Auch Schröder war ein Freund Achenbachs
– und der Kunst. Schließlich verdankt er ihr den Grundpfeiler seiner Agenda: jeder
Mensch ist ein Künstler; jeder kann eine Ich-AG gründen. Diese Beuys- / Schröder-AG wird
dann zu einem der Leitmotive der Filmfolge: Helge sitzt am Tisch und schneidet und
klebt und schneidet …
„Es geht um die Kunst; es geht um die Ideale; von der Kunst kann man lernen“, sagt einmal
einer der Protagonisten. Ja, eben, man kann von ihr lernen und man hat von ihr gelernt.
Das behaupten die französischen Soziologen Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch
Der neue Geist des Kapitalismus. 1 Sie gehen darin einer seit den 1960er-Jahren einsetzenden
Verschiebung innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsproduktion nach, die sie für die Ver -
tiefung der Kluft zwischen Arm und Reich auf globaler Ebene verantwortlich machen.
Innerhalb dieser Verschiebung stellen materielle Produkte keinen Mehrwert her. An ihre Stelle
treten immaterielle Werte; allen voran die Information. Heute sind imaginäre Wertpapiere –
zum Beispiel Helges collagierte Rechnungen, Google, Apple oder Facebook – die größten

199

Akkumulatoren des Kapitals. Ihre Produktionsmittel sind Netzwerke, ihre Produkte Informa
tionen – immaterielle Geister, die sich in den Tiefen eines imaginären Netzes herumtreiben.
Die Triebkraft dieser Geister sind Kreativität, Authentizität und Flexibilität. Diese Verschiebung
setzt in den 1960er-Jahren gleichzeitig mit dem Ruf politischer und künstlerischer Avantgarden
nach Kreativität („Fantasie an die Macht!“), Flexibilität, Authentizität und dem Abbau
der Hierarchien ein, behaupten die beiden Autoren. Sie alle sind jedoch zu den Zauberworten
des Neoliberalismus geworden: „Kunst = Kapital“. Daher werfen die Autoren Boltanski
und Chiapello in ihrem Buch den künstlerischen Avantgarden und den linksliberalen Bewe -
gungen nicht nur vor, Ideengeber dieser Entwicklung zu sein, sondern sogar Komplizen.
Nicht anders sehen das die englischen Autoren Nick Srnicek und Alex Williams in ihrem Buch
Inventing the Future. 2 Der Kapitalismus vereinnahmte die Kunst nicht – wie man so gerne
glauben möchte; die Kunst wurde zum Mittäter. Einer der größten Mythen der künstlerischen
Avantgarden des 20. Jahrhunderts, der von ihrer ethischen Überlegenheit gegenüber der
kapitalistischen Produktion erzählt, zeigt sich immer mehr als unhaltbar. Eine der Filmszenen
in dieser Folge ist besonders rührend: Helge sitzt am Tisch und schneidet. Plötzlich betritt
Joseph den Raum. Wie ein Geist schreitet er langsam durch den Raum; das Gold, mit dem sein
Gesicht überzogen ist, blättert ab. Seine Arme klammern sich an einen Stoffhasen. –
Schweigen. Helge wird unruhig. Mit einer leisen, fast weinerlichen Stimme wendet er sich
an Joseph: „Der Neoliberalismus und die Generation der Babyboomer haben das erfüllt,
was ihr und die Generation der ’68er versprochen haben. Jeder kann arbeiten, wann er will;
keine Hierarchie. Jeder ist sein eigener Chef; keine Gewerkschaften. Jeder darf endlich
für sich selbst verantwortlich sein. Jeder ist ein Künstler.“ Es ist ein leiser, verzweifelter Vorwurf,
der auf Widerspruch hofft. Aber es kommt kein Widerspruch. – Schweigen. Joseph, sag
doch was! – Schweigen. Schritte. Langsam legt sich Joseph aufs Sofa und streichelt mit ver -
steinertem Gesicht den Kopf des Hasen. – Joseph!
Noemi Smolik
Joseph, what have we done!
As a result, left-wing governments coming
to power in the 1970s ...
often ended up having to implement
proto-neoliberal policies in frustrated attempts
to foster a recovery.
- Nick Srnicek, Alex Williams 1 -
1| Luc Boltanski, Ève Chiapello, Der neue
Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006.
2| Nick Srnicek, Alex Williams,
Inventing the Future, London 2016, S. 20.
“No, I thought of them as collages,” was Helge Achenbach’s response when he was brought
before the state court in Essen to answer to charges of forging invoices. He’s an artist,
according to the artist Alex Wissel and director Jan Bonny. And thus, in their 10-part film
series Rheingold, Achenbach finds himself sitting at a table in the Steigenberger Hotel,
holding a pair of scissors, cutting up numbers, gluing together invoices and losing his temper
when the photocopier isn’t readily available to copy his work. With these forged invoices,
the art adviser managed to con his clients out of roughly 20 million euros. “A lovely story,”
Wissel and Bonny thought as they began filming their satire.
Yet the 10 episodes filmed so far recount more than just a lovely story; they tell a tale of
explosive cultural-political relevance. Before Achenbach became one of the most influential
art advisors in Germany – to Deutsche Bank, Siemens, and the Aldi family, just to name
a few – he used to be a social worker. He joined the Social Democratic Party because he liked
their ideas of improving the world. He was a friend of the eternal revolutionary nostalgist,
the painter Jörg Immendorff. He bought an exquisite Bentley from Beuys’ estate – the same
one Joseph would use to drive to openings but always park at a safe distance in order to
avoid being associated with such luxury.
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202
After many successful years as an advisor in the most eminent political and financial
milieus, Achenbach was arrested at Düsseldorf International Airport in 2014, as he was returning
from Brazil, where he had been busy fitting out the accommodation of Germany’s
national football team with art during the World Cup. “Art inspires you to perform better,”
we hear former Chancellor Gerhard Schröder say in one of the episodes as he’s having
his portrait painted by Immendorff. Even Schröder was a friend of Achenbach and the arts.
He ultimately owes the foundation of his agenda to art: everyone is an artist, everyone
can found a You, Inc. This Beuys / Schröder corporation subsequently becomes the episode’s
leitmotif: Helge sits at the table and cuts and glues and cuts …
“It’s about art. It’s about ideals. You can learn a lot from art,” says one of the protagonists in a
later episode. Indeed, one can learn a lot, and we have done. This is one claim that runs
through The New Spirit of Capitalism, 2 by French sociologists Luc Boltanski and Ève Chiapello.
In this book, they outline the shifts within capitalist economic production since the ’60s,
which they hold responsible for the global scale of the growing divide between rich and poor.
Within these shifts, material products have ceased to be the source of surplus value. In
their stead, we witness the ascendancy of immaterial value, with the information industries
leading the way. Today, imaginary instruments like those used by Google, Apple, and
Facebook, or even Helge’s forged invoices, are the greatest accumulators of capital. Their
means of production are networks. Their products are information – immaterial phantoms that
haunt the depths of an imaginary network. Their driving forces are creativity, authenticity,
and flexibility.

According to the authors, these shifts during the ’60s corresponded with growing calls from
the political and artistic avant-gardes for creativity – fantasy for president! – flexibility,
authenticity, and the leveling of hierarchies. Creativity, flexibility, authenticity, and flat hierarchies,
however, have since become Neoliberalism’s magic words. Art = Capital. Boltanski
and Chiapello thus accuse the artistic avant-garde and the liberal left not only of inspiring these
developments, but also of being their accomplices. English authors Nick Srnicek and Alex
Williams hardly see things differently in their book Inventing the Future. Capitalism does
not co-opt art as one would like to believe. Art, rather, has become capitalism’s accomplice.
One of the greatest myths of the 20th-century artistic avant-gardes, around their supposed
ethical superiority in the face of capitalist modes of production, increasingly proves to be
untenable.
One of the scenes in this series is especially touching. Helge is sitting at his table cutting, when
Joseph Beuys suddenly enters the room. He slowly paces through the room like a ghost;
his gold-leafed face is flaking off; his arms embrace a plush-toy hare. Silence. Helge grows
restless. He turns to Joseph with a quiet, almost tearful voice: “Neoliberalism and the
baby-boomer generation have fulfilled everything you and the ’68 generation promised. Everyone
can work whenever they want, no hierarchies. Everyone is their own boss, no unions.
Everyone can finally be responsible for themselves. Everyone is an artist.” It’s a quiet, desperate
accusation that hopes to be challenged, but the objection doesn’t come. Silence. Joseph, say
something! Silence. Footsteps. Joseph slowly lies down on the sofa and strokes his hare, with
a stony-face. Joseph!
Noemi Smolik
ALEX WISSEL UND JAN BONNY
Rheingold
10 filmische Skizzen / 10 film sketches
2016
ALEX WISSEL
Wir sind alle Rheingold / We are all Rheingold
Jeder Mensch ist ein Künstler / Every Person is an Artist
Buntstift auf Papier / Color pencil on paper, 2016
Rheingold Moodboards
5 Buntstiftzeichnungen / 5 Color pencil drawings
2016
1| Inventing the Future: Postcapitalism and
a world without work, Verso, 2015, p. 20.
2| Luc Boltanski and Ève Chiapello, Der neue
Geist des Kapitalismus, Konstanz, 2006.
203

RHEIN VERLAG
2016
204
creative commons
die produktion des rhein verlags in düsseldorf verfolgt gedanken der künstlerischen moderne,
die nicht vergangen sein dürfen. es sind produkte der freien kunst und der angewandten
kunst, die in enger verbindung zueinander stehen – bilder und objekte für ausstellungen in
kunsträumen ebenso wie typografien und gestaltungen für bücher. die produktionsziele
sind veröffentlichungen eigener inhalte sowie denen anderer – zumeist befreundeter kollegen.
die produktionsweisen stammen aus dem 21. jahrhundert. auch die distributions- und
rezeptionswege waren zuvor nicht existent. es ist daher kein nostalgisches oder sentimentales
unternehmen, sondern ein vorhaben in der heutigen gegenwart, kunst und gestaltung
nochmals ganz eng nebeneinander, in einem gemeinsamen anspruch zu betrachten. arts and
crafts, das bauhaus, die ulmer schule stehen hinter diesem projekt, das von einer publikation
zur anderen, einer ausstellung zur anderen strikten regeln der conceptual art folgt, doch
im grunde stets hinter diese zeit zurück in die epoche des visionär avantgardistischen agierens,
riskierens und produzierens zurückgreift.
die website des rhein verlags zeigt die modalitäten der heutigen aktivität: die vermeintlich
handwerklich gesetzten, von ausdrucksstarken typografien, seitenlayouts und papieren
be stimmten publikationen sind pdfs aus dem laserdrucker (ohne druckereiökonomien: maschi -
neneinrichtung etc.), die in kleinauflagen und nach bestellung gedruckt und gebunden
werden, daneben auch zum eigenen ausdrucken oder zum (rohstoff- und regalplatzsparenden)
ansehen im monitor angeboten werden, ohne gebühr. auf diese weise werden die produkte
zu creative commons – schöpferischem gemeingut, das frei zur verfügung steht (bedingungen:
sie dürfen nicht kommerziell sein und müssen die urheberschaft nennen: cc by-nc-nd). 1
die darstellung des verlags abseits der ausstellung in den räumen der museumssammlung,
umgeben von den seriellen, zumeist neutral weißen oder materialsichtigen objekten von
zero, bruce nauman, sol lewitt oder richard serra, verstärkt die strenge der formsprache und
der inhalte seiner publikationen. für die bücher wurde eine metallene struktur gebaut,
deren maße sich aus dem fensterraster von hans hollein herleiten und genauso gut aus sol
lewitts benachbartem wandobjekt stammen könnten. zwei gerahmte einzelarbeiten von
david kühne und sarah kürten, den initiatoren und wesentlichen gestaltern des verlags, hängen
auf augenhöhe mit den arbeiten der älteren kollegen. die wichtigsten formalen elemente
dieser arbeiten entstammen der druckproduktion. kühnes abstrakt wirkende schwarz-weißfotografie
zeigt die abgeschnittenen beschnittzugaben eines buchs, eingerahmt in dünne
linien, die dem unsichtbaren regelschema eines seitenlayouts folgen. kürtens textarbeit ist

205

RHEIN VERLAG
Gestell mit diversen Künstlerbüchern
shelf with artist books, 2016
DAVID KÜHNE
untitled (Paper Cuttings)
Druck auf Hahnemühle
fine art print on Hahnemühle
2016
SARAH KÜRTEN
Servants
Laserdruck auf Offsetpapier
laser print on offset paper
2016
1| siehe wikipedia, dort auch die einführung in
die struktur der 2001 gegründeten internationalen
organisation der creative commons.
2| die funktion unclrd kann auf der internetseite
www.rheinverlag.com in der rubrik sourcecode
heruntergeladen werden. sie ist nach auskunft von
david kühne und sarah kürten besonders beliebt in
japan, wo sie die psychisch-physiologische belastung
durch das internet mindern soll. auf der internetseite
des rhein verlags finden sich auch weitere apps
für alternative distributionsweisen und -wege wie
leerseite.com, radished.com und wikiartis.com.
ein stapel oder stack geschichteter begriffe, zergliedert von den papierrändern der verwendeten
din-a4-blätter, die im digitaldruck nicht bedruckbar sind und daher weiß und gitterartig
aneinanderstoßen. zitate von maßketten, cicero-werten, flächenschnitten, die nicht aus den
ästhetischen prinzipien von malerei / zeichnung, sondern aus den gestaltungsgesetzen
von buch / zeitung stammen, haben automatisch bezug zu letzteren und handeln nicht von
der sogenannten freien kunst, sondern von der angewandten gestaltung. in nachbarschaft
zur maschinenhaften geste von k.o. götz (der neben radikal gestischen auch rasterhafte
mediale kompositionen produziert hat in den jahren 1962, 1963, als richter und polke bei ihm
studierten und auf die idee der auseinandersetzung mit gedruckten massenmedien kamen)
beziehungsweise zu den beiden rohen gussstahlkuben von richard serra (die um 1970 keine
abstrakten formübungen waren, sondern neben aller anderen modellhaften existenz von
materieller rohheit und schwere auch konkretes denkmal für die sterbende montanindustrie
in der spätmoderne) sind diese neuen arbeiten von david kühne und sarah kürten eben -
falls kein ausdruck von formalismus, sondern von industrialisierung und moderne, von regeln
der ästhetik, die regeln der gestaltung, der ethik und der ökonomie sind. die meist schwarzweiße,
selten von signalfarben unterbrochene ästhetik des rhein verlags hat dabei in heutiger
betrachtung eine weitere ökologische dimension: es ist die ästhetik des unclrd (uncoloured,
also unfarbigen), die in internet und digitalspeichern daten reduziert, zugleich ressourcen spart,
speicher reduziert, geschwindigkeit ökonomisiert und in diesem neuen, sehr anstrengen -
den und real wie metaphorisch lauten öffentlichen raum des internets – mit ausschaltung von
farbe und der umstellung auf schwarz / weiss – ein phänomen der beruhigung oder gar
ruhe herstellt. 2
Susanne Titz
206

creative commons
based in düsseldorf, rhein verlag pursues certain trends which should not have been
relinquished, within the artistic trajectory of modernism. its production comprises both
the fine and applied arts, in close relationship to each other: images and objects for
exhibitions in art spaces as well as book typography and design. it aims to publish both its
own content as well as work by other artists in its social circle.
rhein verlag’s methods of production, however, are decidedly 21st century. even the channels
of distribution and reception they deploy simply did not exist before. it is thus neither
a nostalgic nor sentimental enterprise. rather, its goal is to once again bring together art and
design in a contemporary context and consider them according to the same criteria. arts
and crafts, the bauhaus, the ulm school – these form the project’s main points of departure,
and though it follows the strict rules of conceptual art from one publication or one
exhibition to another, it always has recourse to this visionary avant-garde period of action,
production, risk-taking.
the website of rhein verlag demonstrates the modalities of its current activity. the supposedly
artisan-designed publications characterized by expressive typography, page layouts,
and paper choices are ultimately pdfs printed on a laser printer, thus avoiding the economics
of printing offices, machine installation, etc. the publications are printed and bound in
small editions, according to demand, and are also made available as digital files free of cost
so that they can be printed out or simply read on-screen – a resource- and space-saving
alternative. rhein verlag’s products thus become part of the creative commons and are freely
available under the conditions that they are used non-commercially and with proper
attributions of authorship: cc by-nc-nd licenses. 1
the presentation of rhein verlag’s works in the rooms usually reserved for the museum’s
collection, and not in the allotted temporary exhibition space, serves to emphasize the austerity
of its publications’ formal language and content by juxtaposing them with the serial,
often white, or materially identifiable objects by bruce nauman, sol lewitt, richard serra, or
the artists from the zero group. a metal structure was built for the presentation, its
dimensions extrapolated from hans hollein’s window grid, but these could also have been
taken from sol lewitt’s neighboring wall object. two framed works by david kühne and
sarah kürten – the project’s initiators and main designers – hang at eye level along with the
works of their older colleagues. the most important formal elements of these works have
been taken from the process of print production. kühne’s seemingly abstract black-and-white
photograph shows the trimmed bleed margins of a book, framed by thin lines that follow
the invisible schema of a page layout. kürten’s text piece is a pile of stratified terms dissected
by the edges of a4 sheets – which are non-printable for most digital printers – and thus
collide with one another, white and grid-like. quotes from chain dimensions, cicero units, and
stroke values, taken not from the aesthetic principles of drawing or painting but rather
from the design principles of books and magazines, have an automatic relation to the latter
and concern the fine arts less than the applied arts. it becomes clear that these new
works by david kühne and sarah kürten, presented alongside k.o. götz’s machine-like gestures
as well as richard serra’s raw cast-steel cubes, are an expression not of formalism, but
rather of industrialization and modernity, of the rules of aesthetics and design, of ethics and
the economy. (götz, in addition to his radically gestural compositions, also produced more
grid-like, media-based ones – in 1962 / 63 for example, when his then students richter and
polke first came up with the idea of working with printed mass media. and in 1970 serra’s cubes,
in their exemplary material rawness and weight, were not so much abstract formal exercises
as concrete memorials to the dying steel and coal industries.) rhein verlag’s mostly blackand-white
aesthetic, though occasionally interrupted by signal colors, also has a further
ecological dimension in a contemporary context: the (un)clrd (uncolored) aesthetic reduces the
size of files online, at one and the same time saving resources, optimizing storage space
and economizing on load times. and it is in this new, highly stressful, and both literally and
metaphorically loud public space of the internet that switching from color to black and
white can produce a phenomenon of relaxation or calm. 2
Susanne Titz
1| see wikipedia article and the introduction to
the structure of the international creative commons
organization, which was founded in 2001.
2| the unclrd function can be downloaded from the
source code section on the rhein-verlag.com website.
according to david kühne and sarah kürten, it is
especially popular in japan, where it is thought to reduce
the psychosomatic stress caused by the internet.
the website also provides various other alternative
distribution tools, such as leerseite.com, radished.com,
and wikiartis.com.
207

SEIRA’S
2016
SEIRA’S
Modell frei nach Dan Graham, Two-Way Mirror
Hedge–Almost Complete Circle, K21, Düsseldorf
2016, S. 207
KENNETH BERGFELD
Schadensbericht (Graham, Dan; Two–Way
Mirror Hedge–Almost Complete Circle)
Damage Report (Graham, Dan; Two–Way Mirror
Hedge–Almost Complete Circle), 2015, S. 209
FEMINIST LAND ART RETREAT
Plakat für die Performance
Throw Your Voice, Seira’s, 06.09.2015, S. 208
Plakat für die Performance
Duty Free, Studio for Propositional Cinema
04.09.2015–04.10.2015, S. 208
Tonaufnahme der Performance
Throw Your Voice, Seira’s,
06.09.2015, 11' 27''
TOBIAS HOHN / STANTON TAYLOR
Proposal 2 (Reappearing Act), 2015, S. 208 / 209
SHIMON MINAMIKAWA
Forever Now, Gemälde für Performance
mit Ei Arakawa in Düsseldorf
2015, S. 207
YAEL SALOMONOWITZ
And in her dream they met again and he asked
her if this was life or distraction, 2016, S. 207
Seira’s bespielte im Sommer 2015 Dan Grahams Two-Way Mirror / Hedge – Almost Complete
Circle von 2001 vor dem K21 in Düsseldorf. Seira’s bezeichnet eine Performance-Reihe,
die von dem Künstler Kenneth Bergfeld, dem Galeristen Max Mayer und dem Kollektiv Studio
for Propositional Cinema initiiert wurde, die zu diesem Zeitpunkt alle in Düsseldorf ansässig
waren. Von Mai bis September fanden an ausgewählten Sonntagen nach Museums schluss
performative Interventionen statt. Verschiedene KünstlerInnen wurden dazu eingeladen, teils
bereits bestehende performative Arbeiten dort aufzuführen, teils neue Arbeiten zu entwickeln,
die sich in einer besonderen Weise zu Grahams Architektur verhalten.
Seit den späten 1960er-Jahren zählt Dan Graham zu den Pionieren der Performance- und
Videokunst. Seit den 1980er-Jahren sind gläserne Pavillonarchitekturen zu einem Leitmotiv in
seinem Werk geworden. Sie sind Hybride aus quasi funktionalen Räumen und Installationen,
die in ihrer Dualität von Skulptur und Architektur auch mit Grahams Interesse korrespondieren,
zugleich offene und geschlossene Räume darzustellen. Die Pavillons aus zumeist
halbverspiegeltem Glas dienen dazu, den Wahrnehmungsprozess der BetrachterInnen offenzulegen:
Durch reflexive Spiegelung werden Konfrontationsmomente der BesucherInnen
mit sich selbst hergestellt.
Seira’s entstand aus dem Interesse heraus, sich mit dem Zustand des Pavillons am Ständehaus
auseinanderzusetzen. Von der Institution vernachlässigt, gab es an dem (mittlerweile
abgebauten) Pavillon auf der öffentlichen Parkfläche kaum unbeschädigte Stellen. Teils
tiefe klaffende Löcher im Glas, die nur notdürftig mit Panzertape und Pappe verklebt worden
waren, übersäten die Installation. Dieser schlechte Zustand des Pavillons war es, der zu
der Überlegung führte, dort etwas zu veranstalten, wofür die Graham’sche Architektur
eigentlich nicht vorgesehen war. Als Kunstwerk verkümmert, war der Pavillon lange vor Seira’s
von einer anderen als der Kunstöffentlichkeit eingenommen – und dies nicht nur in Form
der genannten Zerstörungen; Jugendliche nutzten den Ort augenscheinlich als Treffpunkt für
verschiedene Zwecke.
Die Performance-Reihe begann Mitte Mai mit der Arbeit Forever Now von Ei Arakawa
und Shimon Minamikawa, in der sich die beiden Künstler auf die Malerei bezogen. Im Juli
folgte die Performance 23 Proposals for a Ghetto Picnic von Stanton Taylor und Tobias
Hohn. Die Künstlerin Lina Hermsdorf präsentierte am nächsten Termin im August ihre
Arbeit The Best Answer You Can Give Is Symmetry, Episode III (mit Andrew Hardwidge), noch
am selben Tag gefolgt von einer Performance von Andrew Hardwidge und Frank Wasser
mit dem Titel Anxious Footnotes – split attention. Den Abschluss des Projekts bildeten die
Performances von Yael Salomonowitz mit True Love Chapter I (mit Isabella Fürnkäs, Lukas von
der Gracht, Alex Wissel und Harkeerat Mangat) und Feminist Land Art Retreats Throw
Your Voice, die sich über ein Wochenende im September erstreckten. Allen Performances war
gemein, dass sie mit sehr spezifischen und flexiblen Positionen ihres Publikums arbeiteten,
die von der Architektur des Pavillons initiiert beziehungsweise angeleitet wurden. Durch die
Präsentation im Museum Abteiberg wurde das Projekt schließlich zurück in den institutionellen
Kontext gebracht: Mit einigen dokumentarischen Materialien, einem Modell, den
Originalabsperrungslatten des Pavillons, Frottagezeichnungen, Audioaufnahmen und
einer erneuten Aufführung der Performance von Lina Hermsdorf wurde eine größere Öffent -
lich keit über das vergangene Projekt informiert. Herausgehoben aus dem kritischen insti -
tu tionellen Kontext der Kunstsammlung NRW, gab es hier eine weniger sensible Öffentlichkeit
als im eigentlichen Projekt, das als Zeitpunkt für die Performances stets die Stunden nach
Museumsschluss am K21 aufgesucht hatte, um Grahams Pavillon zu nutzen.
Seira’s
208

209

Seira’s took place in the summer of 2015, inside of Dan Graham’s 2001 Two-Way Mirror /
Hedge – Almost Complete Circle in front of the museum K21 in Düsseldorf. Seira’s refers to a
performance series initiated by artist Kenneth Bergfeld, gallerist Max Mayer and the
collective Studio for Propositional Cinema, who were all based in Düsseldorf at the time. Per -
formative interventions took place on selected Sundays between May and September,
after the museum had closed. Various artists were invited to put on performance works that
in some cases already existed, or to develop new ones that would interact with Graham’s
architecture in a particular way.
Dan Graham has been a pioneer of performance and video art since the late 1960s. Glass
pavilion architecture has been a leitmotif in his work since the 1980s. These pavilions
are hybrids of quasi-functional spaces and installations that, in their duality as sculpture and
architecture, also reflect Graham’s interest in presenting simultaneously open and closed
spaces. Mainly constructed of half-silvered glass, they expose viewers to their own processes
of perception: reflective mirroring creates a moment of confrontation between the visitors
and themselves.
Seira’s stemmed from an interest in investigating the condition of the pavilion by the
Ständehaus. Neglected by the institution and located on a public parking lot, and with almost
no part remaining undamaged, this installation (which has since been dismantled) was
full of gaping cracks and had huge holes in the glass that had only been patched with duct tape
and cardboard. It was the pavilion’s broken condition that led to the idea of organizing
something for which Graham’s architecture had not actually been intended. Atrophied as an
artwork, it had already been taken over by a different, non-art crowd long before Seira’s
happened. This was not just a result of its destruction, but because young people had apparently
been using the site for various kinds of meetings.
The performance series began in mid-May with the work Forever Now by Ei Arakawa and
Shimon Minamikawa, in which the two artists referenced painting. This was followed in July
by 23 Proposals for a Ghetto Picnic by Stanton Taylor and Tobias Hohn. Artist Lina Hermsdorf
presented her work The Best Answer You Can Give Is Symmetry, Episode III (with Andrew
Hardwidge), followed by a performance on the same day by Andrew Hardwidge and Frank
Wasser entitled Anxious Footnotes – Split Attention. The project concluded with Yael
Salomonowitz’s performance True Love Chapter I (with Isabella Fürnkäs, Lukas von der Gracht,
Alex Wissel, and Harkeerat Mangat) and Feminist Land Art Retreat’s Throw Your Voice,
held over a single weekend in September. All performances were unique in the very specific,
flexible positioning of their audiences, initiated or guided by the architecture of the
pavilion.
The project eventually returned to the institutional context with its presentation at Museum
Abteiberg: a larger audience was familiarized with the past project via a number of
documentary materials, a model, the pavilion’s original barrier slats, frottage drawings, audio
recordings and a reiteration of Lina Hermsdorf’s performance. The audience here, in this
instance removed from the critical institutional context of the K21’s Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen, was less attuned than the audience for the actual project had been,
since the latter had always gathered to use Graham’s pavilion and watch performances after
the K21 had closed for the evening.
Seira’s
212

213

BEDINGUNGEN
DER SICHTBARKEIT
Die Vorteile, ein Teil der Öffentlichkeit zu sein,
scheinen unumstritten. Nahezu alles und
jeder sucht den Anschluss an eine zweifelhafte
Sichtbarkeit, deren Bedingungen
meist nicht hinterfragt werden. Dabei stellen
Differenzierungen im positiven Sinne
Heterogenität und Diversität her. Die kom -
plexen Eigenschaften von Intimität,
Teilöffentlichkeit und Fachdiskurs unbesehen
über Bord zu werfen, scheint fragwürdig,
denn mit der „Veröffentlichung“ von Räumen
ändern sich ihre Konditionen.
Studio for Propositional Cinema investiert
intensiv in Fragen der Veröffentlichung
und Wahrnehmbarkeit. Dass das Diktat der
eigenen Sichtbarkeit an Bedingungen
geknüpft ist, zeichnet sich in der Betrachtung
unvermeidlich ab. Unter seinem anonymisierten
Label versucht das Studio zudem, in
verschiedenen Formaten – vom Ausstellungsraum
über künstlerische Interventionen
bis hin zu Kooperationen mit anderen Akteu -
ren des kulturellen Feldes – diesen
Bedingungen nachzugehen. In der in dieser
Ausstellung gezeigten Arbeit interpretiert
das Studio die Fensterfront des großen
Passagenraums im Museum als sprachliches
Zeichensystem, indem es deren verschiedener
Segmente als Syntax des eigenen Textes
instrumentalisiert. Entgegen der naheliegenden,
aber auch plakativen Erwartung
werden dabei die unauffälligen Rahmen
und Zwischenräume zu Zeilen und Textträgern,
während die großzügigen Fensterflächen
nur Wortfragmente aufnehmen. Der auf diese
Weise zergliederte Text, auf dessen
spiegelnden Lettern sich vor dem Prospekt
von Park und Außenraum der Innenraum
214
abbildet, verhandelt so in zwei getrennt
wahrnehmbaren, gleichwohl verknüpften
Versionen die Repräsentation des Selbst
im eigenen Bild und dessen gesellschaftliche
und ökonomische Bedingungen. Die durch
die horizontale als auch vertikale Lesbarkeit
gegebene Zergliederung des Textes in
vielfache Lesarten verleiht der sachlichen
Analyse seines Sujets eine poetische
Komponente. Kulminiert am Ende die plaka -
tive Ebene der Fenster in einem nahezu
romantischen „We / may / become / free“,
ergänzt die Fußzeile den Text lakonisch
und trocken – wie in einer Vervollständigung:
„of the necessity for acting fictively within
social & optical fields“.
Die Repräsentation als Kernelement unserer
gesellschaftlichen Ordnung spielt auch in
der Analyse von Fari Shams eine tragende
Rolle. In ihrer komplexen Installation
verfolgt sie die Entwicklung und Konditionierung
des Selbst – angefangen beim
uralten biblischen Paradiesgarten bis in die
Zukunft. Wo im Garten die erste Form der
Segmentierung in vier räumlich unterschiedene
Teilbereiche erfolgt, wird auch der
Grundstein für die analytische Erfassung der
Welt und der Dinge darin gelegt. Die
Künstlerin verfolgt diese Spur der immer
weiter ausdifferenzierten Kategorienbildung
und Klassifizierung entlang der Ära der
Forschung und Entdeckung, die ihre Praxis
besonders am Tier verifizierte. Vom
Paradiesgarten über die Menagerie bis zum
Zoo verfeinert sich die Präsentation von
Natur zu deren Repräsentation in urbanen
und gesellschaftlichen Kontexten, um
sich letztendlich auf den Menschen selbst
auszudehnen. An die Feststellung, dass
wir im Medienzeitalter vielmehr nur noch
die Präsentation unseres Selbst als
tatsächlich wir selbst sind, schließt nahtlos
die Frage an, inwieweit wir im digitalen
Zeitalter überhaupt noch mit der Repräsentation
unserer selbst verknüpft sind. Der
ambivalente Moment von Verlust und
Chance, in dem sich diese Repräsentation
von uns ablöst, macht uns zum Publikum
des eigenen Lebensentwurfs. „Existiert
die Welt noch, wenn sie ihr Publikum
verloren hat?“ ist folgerichtig nicht nur die
Frage jener, die fast nur noch durch den
Blick des anderen in den Sozialen Medien und
Co. existieren. Sie ist auch die Antwort
jener, die hinter der Omnipräsenz digitaler
Repräsentation die Chance sehen,
unbemerkt in die Realität einer faktischen
Welt zu entfliehen, die im Netz längst
vergessen wurde – und erneut zur Entdeckung
bereitsteht.
Beschäftigt sich Fari Shams mit der Analyse
eines globalen, wenn auch in der westlichchristlichen
Kulturgeschichte zentrierten
Wertesystems, so führt die Arbeit von Felix
Kalmenson konkret in den globalen
Wertehandel der Märkte. Auf einem Bild -
schirmboard sind unzählige Bilder von
der täglichen Eröffnung und Schließung der
New Yorker Börse und den damit einhergehenden
Börsengängen neuer Firmen zu
sehen, begleitet vom Läuten der dabei
verwendeten Glocken. Die skulpturalen
Podestelemente, die gern auch genutzt
werden können, scheinen einem Bild vom
Börsencrash im Jahr 1987 nachempfunden.

Torte und Symbole aus der Einführung
der Handelsplattform CME Globex ergänzen
das Fragmentensemble, das sich ganz
trocken und lakonisch zwischen globalökonomischer
Umsatzerwartung und kapitalem
Untergang positioniert. Die Arbeit bringt
auf konzeptionelle Weise Kapital und
Ökonomie in die große Debatte um Öffentlich
keit ein, ohne das Thema direkt zu
berühren.
Ebenso assoziativ transportiert die nächste
Arbeit über eine scheinbar angeschwemmte
Boje das Thema internationaler Flüchtlingsströme
in die Ausstellung und
manifestiert, dass Öffentlichkeit und ihre
Werte nur noch vor globalen Handlungshintergründen
zu sehen sind. Das Objekt der
Künstler Baltensperger + Siepert, das
faktisch eine Fluchthilfe darstellt, die – per
Mobiltelefon kostenlos buch- und abrufbar –
Flüchtlinge sicher über das Mittelmeer
nach Europa geleiten soll, führt weit über den
gewünschten wie leicht provokanten
Aufruf zum Nachdenken über die aktuelle
Situation hinaus. Die nachgestellten
Werbevideos und Nachrichtensendungen
im internationalen TV-Duktus veranschaulichen
die mediale und ökonomische
Verwertbarkeit auch solcher Themen.
Hier ist die Schnittstelle naheliegend zur in
diesem Kontext vielleicht wichtigsten
Botschaft am Rande. Die kleinen bearbeiteten
Kolonialkarten der Künstler zeigen nämlich,
dass die Flüchtlinge heute in der Tat auf
den gleichen Routen reisen, auf denen die
ehemaligen Kolonialherren damals wie
heute deren Länder ausbeuten. Der Ursprung
des aktuellen Problems wird hier also als
weiterhin nicht gelöstes Problem der andau -
ern den Kolonialgeschichte identifiziert.
Hier wird klar, dass wir zurzeit nicht in der
Lage sind, die aktuellen Probleme ohne
politische Eingeständnisse und mehr oder
weniger verkraftbare Verluste zum Besseren
zu wenden. Es stellt sich die Frage, warum
sich eine konsumverwöhnte Gesellschaft wie
die unsere so schwer damit tut, Konflikte
offen zu thematisieren, auszutragen und zu
verhandeln. Die Angst vor Veränderung,
die sich schon immer vor allem aus dem
Selbsterhaltungstrieb des Individuums speist
und der progressiven Bewegung einer
entwicklungsgeneigten Gemeinschaft gegen -
übersteht, spielt in der Arbeit von Stephan
Machac eine bedeutende Rolle. Er konfrontiert
enigmatische Bildfragmente einer
ambivalenten Bedrohung in aseptischem
UV-Licht mit einer aktuellen, weltverändernden
These, die sich im Hintergrund als
Großprojektion entfaltet. Die in Vitrinen
isolierten Bilder, die aus dem persönlichen
Archiv des Künstlers stammen und
individuelle Ängste und entsprechende Sujets
anreißen, werden mit dem internationalisierten
Begriff German Angst assoziiert,
während die rotierenden Kugeln im Hinter -
grund sich langsam, aber sicher aufeinander
zubewegen und in ihrer letztendlichen
Verschmelzung die kürzlich erstmals wissen -
schaftlich nachgewiesenen Gravitationswellen
visualisieren, die unser Weltbild
maßgeblich erschüttern. Die Verunsicherung
auf den diametral entgegengesetzten Polen
des individuell Konnotierten und global
Diskutierten konstituiert hier „das Andere“
wiederum als einen diffusen Gefahrenraum,
der jegliche Entwicklung ausbremst statt
identifiziert zu werden als dasjenige, das uns
hilft, über uns selbst hinauszuwachsen.
Markus Ambach
215

Conditions of Visibility
The advantages of being part of the public
seem uncontestable. Almost everything
and everyone is striving for access to a dubious
visibility, whose conditions are hardly
questioned. Differentiations in this process
produce heterogeneity and diversity in a
positive sense. Yet it would seem questionable
to throw the complex properties of intimacy,
partial publicity, and specialist discourse
overboard without some hesitation since “publicizing”
spaces also changes their conditions.
Studio for Propositional Cinema is
intensively invested in questions surrounding
publication and perceptibility. The fact
that the dictates of one’s own visibility are
connected with external conditions leaves
unavoidable traces. Under the anonymity of
its collective label, the Studio likewise
tries to track these conditions through various
formats – from the exhibition space to
artistic interventions and collaborations with
other agents in the cultural field. In its
work for the exhibition, the Studio interprets
the front window of one of the museum’s
large passageways as a system of linguistic
signs by instrumentalizing various segments
of the window as the syntax of the Studio’s
own text. Against our obvious yet striking
expectations, the inconspicuous frames and
spaces in-between become the carriers of
lines and text, while the generous window
surfaces register only fragments of words. In
the mirrored letters of the dismembered
text, the interior is reflected against the backdrop
of the park and the exterior. In this
216
way, the text negotiates two distinctly
perceptible yet linked representations of the
self: one’s own image and its socioeconomic
conditions. Consistently dismembering
the text along both horizontal and vertical
axes creates space for a variety of possible
readings, implying a poetic component
in the otherwise sober analysis of its subject.
While the window’s billboard-like surface
culminates in an almost romantic “W e /
may / become / free,” the bottom line of text
drily and laconically completes it with “of
the necessity for acting fictively within social
& optical fields.”
Representation as a central element of our
social order also plays a major role in Fari
Shams’s analysis. In her complex installation,
she follows the development and conditioning
of the self from the biblical Garden
of Eden all the way into the future. With
the first form of segmentation of the garden
into four spatially distinct areas, the
foundation is laid for the analytic recording
of the world and its objects. The artist
follows this track of the ever more differentiated
formation of categories and
classifications into the era of research and
discovery, which is particularly well
illustrated in the case of animals. From the
Garden of Eden, through the menagerie,
and all the way up to the zoo, the presentation
of nature becomes refined into
representation in urban and social contexts
until it finally expands to include humans
themselves. Given that in the media age we
are much more the presentation of ourselves
than we are ourselves, one could easily
ask how connected we still are to representations
of ourselves in the digital age.
The ambivalent moment of loss and chance
in which these representations become
untethered from us turns us into an audience
for our own life decisions. “Does the
world still exist when it’s lost its audience?”
isn’t just a question for those who almost
only exist through the gaze of others via
social media. It’s also a response to anyone
who sees the opportunity of imperceptibly
escaping the realities of a factual world – a
world that is concealed behind the
omnipresence of digital representations and
is waiting to be newly discovered.
Whereas Fari Shams addresses a global value
system centered in Euro-American,
Christian cultural history, Felix Kalmenson’s
work takes us into the concrete world of value
trading in global markets. There are
countless images marking the introduction
of new stock trading values on the screens,
which are accompanied by the sounds
of bells. The sculptural pedestal elements,
which can also be used by the visitors,
seem to recall images of the 1987 stock market
crash. A cake and other symbols from the
establishment of the CME Globex trading
platform complete the ensemble of
fragments, laconically positioned between
global expectations of sales and the
collapse of capital. The work conceptually
introduces capital and economics into the
larger debate surrounding the public without
directly touching on these themes.

The next work is similarly associative in the
way it uses the figure of a seemingly washedup
buoy to introduce into the exhibition
issues surrounding the international flow of
migrants. It manifests the way in which
the public and its values can only be seen
against the backdrop of global patterns.
Baltensperger + Siepert’s object is in fact an
actual tool to aid migration. It can be
freely booked and ordered by cellphone to
help refugees safely cross the Mediterranean,
and goes well beyond the desirable and
slightly provocative call to think about the
current situation. The simulated advertising
videos and news reports in the flow of
international television showcase how these
themes can be exploited by both the
media and economics. Here we are not too
far from what is perhaps the most important
message lurking at the margins: the small
colonial maps altered and presented by the
artists show how contemporary refugees
travel along the same routes as former
European colonists on their way to exploit
foreign lands. The current issue is thus
identified as yet another unsolved problem
resulting from the ongoing history of
colonialism.
Here it becomes clear that we are not
currently in a position to improve the present
situation without a political admission
and more or less bearable losses. One might
ask why a spoiled consumer society like
ours finds it so difficult to openly thematize
and negotiate conflicts. The fear of
change, fed by the individual’s drive for selfpreservation
and posing an obstacle to
the progressive movements of a developmentprone
community, plays a significant role
in Stephan Machac’s work. He confronts
enigmatic image fragments of an ambivalent
threat in aseptic UV light with a worldchanging
thesis, which unfolds as a largescale
projection in the background. The
images isolated in the vitrine are taken from
the artist’s personal archive and touch
on individual fears and their corresponding
subjects. The artist associates these images
with what has now become an international
term, German Angst, while in the
background rotating spheres slowly move
toward each other, eventually melting
together – a visualization of the interaction
of gravitational waves, whose recent
confirmation has shaken our whole view of
the physical world. The destabilization
on the diametrically opposed poles of what
is individually connoted and what is
globally discussed constitutes the “Other” as
a diffuse space of danger which brings
every kind of development to a halt instead
of helping us to grow beyond ourselves.
Markus Ambach
217

218

STUDIO FOR PROPOSITIONAL CINEMA
ON THE FIGURE IN RELATION TO REPRESENTATIONAL SYSTEMS, 2016
ANYONE ENTERING THIS SPACE / JEDER DER DIESE RÄUME BETRITT, 2014 / 2016
BEHOLD! ..., 2014
STUDIO FOR PROPOSITIONAL CINEMA
On the Figure in Relation to Representational Systems
Text aus Silberfolie auf vorgefundener Oberfläche
text applied as silver foil with adhesive on found
display surfaces, 2016
Anyone Entering This Space …
Jeder Der Diese Räume Betritt …
Text aus Silberfolie auf vorgefundener Oberfläche
text applied as silver foil with adhesive on found
display surfaces, 2014 / 2016
S. 221
Behold! ...,
Offsetdruckplatten, Farbe
offset printing plates, ink
Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin
2014
1| Alex Wissels Single Club war ein Kunstprojekt, das
sein Material auf einer Partyveranstaltung fand und
daher die Genehmigung aller Anwesenden benötigte,
sich während der Party filmen zu lassen und das so
entstandene Material zur Verwendung freizugeben.
Studio for Propositional Cinema lieferte somit
zunächst einen ganz realen Warnhinweis auf die
Ausbeutung und die Beweisbarkeit der Anwesenheit
durch eine Kamera.
2| Vgl. den didaktischen Objekt- und Textmodus von
Dan Graham, nachvollziehbar in „Public Space /
Two Audiences“ [1976], deutsche Übersetzung in:
Ulrich Wilmes (Hg.) Dan Graham. Ausgewählte
Schriften, Köln 1994, S. 90–94.
Seit 2013 produziert Studio for Propositional Cinema Texte, Publikationen, Ausstellungen und
Aktionen, in denen zentrale Anliegen der Conceptual Art eine neue Wende nehmen. In
anonymisierter Autorenschaft (studio / Atelier) und unter Vortäuschung einer anderen Disziplin
(cinema / Kino) wird ein bewusstseinsstiftendes Unternehmen vorgeführt (propositional /
aussagenlogisch), dessen Ankündigungen mit diesem doppelten Versprechen von Erkenntnis
und Kino operieren. Und es sind tatsächlich Projektionen – im übertragenen Sinne:
appellative, aufklärerische Worte, die an eine Wand, in eine Aktion oder ein Druckmedium
geworfen werden und so Thesen veröffentlichen, deren Inhalte Aufrufe zum öffentlichen
Denken und Handeln sind.
Entsprechend der Thematik der Ausstellung wurden zwei wichtige frühe Arbeiten mit einem
solchen appellativen Kontakt zu den Betrachtenden in die Schausammlung des Museums
eingebaut. Die Siebdruckplatten von BEHOLD! / Blickt auf!, einer ursprünglich für den öffentlichen
Raum konzipierten Arbeit (2013), wurden in die Nähe von Sammlungsobjekten der
1960er-Jahre sowie Print-Arbeiten von Allen Ruppersberg und Fiona Banner gerückt, um dort
im Kontext vergleichbarer Vorläufer die besondere Materialität öffentlicher Medien zu
aktualisieren. Der Text ANYONE ENTERING THIS SPACE … Jeder, der diese Räume betritt …
(2014) wurde zweisprachig über den Türen der Museumstoiletten installiert und vermittelte –
genau wie die ursprüngliche Warnung am Eingang von Alex Wissels Single Club in
Düsseldorf 1 – die Ausgeliefertheit gegenüber einem mächtigen unsichtbaren Kontrakt: Man
wird beobachtet, kontrolliert, gefilmt und dokumentiert; verliert die Selbstkontrolle,
sobald man diesen Raum (Club oder WC) betritt.
Speziell und ortsspezifisch für das Museum entwarf Studio for Propositional Cinema eine
neue Textarbeit für die Rahmen der großen Fensterfront in der Straßenebene, die den
Übergang vom Innenraum der Kunstinstitution zum Außenraum der Stadt beziehungsweise
des öffentlichen Skulpturengartens bilden. Das rektanguläre Gerippe der metallgrauen
Fensterrahmen wurde als Grenzlinie und Spiegelmedium mit semi-tautologischer, da faktisch
funktionierender Botschaft entdeckt. Ähnlich wie in Dan Grahams legendärer Installation
Public Space / Two Audiences (1976) 2 sind die Betrachter in exakt jener Situation, die von dem
betreffenden Kunstobjekt markiert und thematisiert wird: Der Blick aus dem Museum
hinaus in dessen Garten durchbricht die Membran zur Öffentlichkeit, zur Existenz in der
Gesellschaft, ihrem Raum und ihren Medien. Der Text ist weniger appellativ als in den ersten
Arbeiten, doch er wirkt umso grundsätzlicher und intellektueller. In ihm liegt die Kraft
einer Theorie, die bekannter klingt, als sie ist. Es sind keine Zitate, die hier erscheinen, keine
Theoreme wichtiger Medienwissenschaftler oder Philosophen, sondern Texte vom Studio
for Propositional Cinema, die mit der ihnen eigenen Eleganz und Inszenierung gewissermaßen
eine neue Forderung aufstellen: dass es verstärkte Anstrengungen im Hinblick auf
Thesen, Theoreme und Theorien zur heutigen Existenz der Menschen in der Öffentlichkeit
geben muss. Studio for Propositional Cinema wirkt wie eine anonyme aktivistische
Einheit, die sich damit beschäftigt, ebendies einzufordern.
Susanne Titz
219

1| Alex Wissels Single Club was an art project that
used a series of parties as its primary material and
thus required everyone present to consent to being
filmed and having their image used. Studio for
Propositional Cinema then provided a very real
warning about “exploitation” and the way a camera
could be used to document the presence of visitors.
2| Compare with the didactic mode of text and object
recognizable in Public Space / Two Audiences (1976).
German translation in Ulrich Wilmes (ed.), Dan
Graham: Ausgewählte Schriften, Oktagon Verlag,
Cologne, 1994, pp. 90–94.
Since 2013 Studio for Propositional Cinema has produced texts, publications, exhibitions,
and actions in which the issues central to the tradition of Conceptual Art take a new
turn. Under anonymous authorship (studio) and the simulation of another discipline (cinema),
an awareness-raising enterprise is carried out (propositional), its proclamations operating
with a double promise of knowledge and cinema. They are actually projections in an expanded
sense: exhorting, enlightening words cast on a wall, in an action or a print medium,
publicizing propositions that call their audience to public thought and action.
In line with the exhibition’s themes, two important early works that directly address the
viewer have been integrated into the display of the museum’s collection. The offset printing
plates from the work BEHOLD! (2013), a work originally conceived for the public space,
have been installed near some of the collection’s work from the ’60s as well as print works by
Allen Ruppersberg and Fiona Banner in order to update the work of earlier artists who’ve
likewise engaged with the materiality of public media. The text ANYONE ENTERING THIS
SPACE ... / Jeder, der diese Räume betritt … (2014) has been installed in two languages
above the doors to the museum’s toilets and – much like the original disclaimer at the
entrance to Alex Wissel’s Single Club in Düsseldorf 1 – conveys the state of being subjected to
an invisible yet overarching contract: to be controlled, filmed and documented, to lose
control of oneself, or at least one’s image, upon entering the space, be it a club or a toilet. For
the exhibition, Studio for Propositional Cinema has also developed a site-specific work
in stalled on the frames of the large windows at street level, the transition between the art
institution’s interior and the city’s outdoor space as well as the public sculpture garden.
The rectangular skeleton of the windows’ gray metal frames has been rediscovered as both a
boundary and a mirror laden with a semi-tautological, since factual, message. Much as in
Dan Graham’s legendary installation Public Space / Two Audiences (1976), 2 viewers find
themselves in exactly the same situation as that being marked and thematized by the art object.
The view from the museum out into the garden pierces the boundary to the public, to
existence in society, its space and media. This text is less insistent than the previous works,
yet it seems all the more axiomatic and intellectual. It holds the power of a theory that sounds
more familiar than it is. The text is not comprised of quotes or propositions by important
media theorists or philosophers. Rather, it’s a text by Studio for Propositional Cinema that
establishes new demands with its own elegance and staging, calling for greater effort
with respect to theses and theories about human existence in public. Studio for Propositional
Cinema seems like an anonymous activist unit that is engaged in making the very same
demands.
Susanne Titz
222

223

FARI SHAMS
Das Paradies im Quadrat
2016
Fari Shams’ Paradise in a Square: Epochenraum des posthumanen Zeitalters
Michel Foucaults Studie über Die Ordnung der Dinge beginnt bekanntlich mit einer
ausführlichen Beschreibung von Diego Velázquez’ Gemälde Las Meninas. Sein close reading
der Blickbeziehungen innerhalb des Bildes sowie zwischen Bild und Betrachter entziffert
das Werk als eine Repräsentation von Repräsentation, die um ein leeres Zentrum – den
abwesenden König – organisiert ist. Am Ende seiner Untersuchung kommt der Philosoph zu
dem Schluss, „daß der Mensch lediglich eine junge Erfindung ist, eine Gestalt, die noch
nicht zwei Jahrhunderte zählt, eine einfache Falte in unserem Wissen, und daß er verschwinden
wird, sobald unser Wissen eine neue Form gefunden haben wird.“ 1 Fünfzig Jahre
nach dieser Prognose arbeiten Programmierer wie Andrej Karpathy und Li Fei-Fei in Stanford,
Kalifornien intensiv daran, neue Formen für unser Wissen zu finden. Sie entwickeln
Recurrent Neural Networks – Software, die aus eingespeisten Bild-, Text- oder Musikdateien
neue Bilder, Texte oder Musik generiert. 2 Es wäre interessant zu wissen, was Foucault zu
einer RNN-generierten Bildbeschreibung von Las Meninas gesagt hätte. Sicher ist nur, dass
diese in hohem Maße von seiner eigenen abweichen würde.
Das Denken Foucaults, seine kritische Analyse kategorialer Ordnungen bildet in Fari Shams’
künstlerischer Praxis eine wiederkehrende Referenz. So inszenierte sie in ihrer zweiteiligen
Fotoarbeit Batterie, Brieföffner, Button … (2013) eine alphabetische „Ordnung der Dinge“
in zwei Sprachen (Deutsch und Englisch), sodass zwei alternative Anordnungen von Alltagsgegenständen
in ihrer Willkürlichkeit sichtbar werden. 3 Konzeptueller Ausgangspunkt
ihrer Installation Paradise in a Square (2016) ist eine räumliche Ordnung, deren Geschichte bis
ins 6. Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Im Persischen bezeichnet das Wort pari-daiza
einen umfriedeten Garten mit quadratischem Grundriss; einen Schutzraum für Menschen,
224

225

1| Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge.
Eine Archäologie der Humanwissenschaften [frz. Les
mots et les choses, 1966], übers. von Ulrich Köppen,
Frankfurt am Main 1974, S. 27.
2| http://cs.stanford.edu/people/karpathy/
deepimagesent/.
3| http://farishams.com/home/battery-bandagescissors/.
4| Siehe Rosi Braidotti, Posthumanismus. Leben
jenseits des Menschen, übers. von Thomas
Laugstien, Frankfurt / New York 2014,
hier bes. das erste Kapitel „Posthumanismus:
Leben jenseits des Selbst“, S. 19–59.
5| Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation,
Frankfurt am Main 2003, S. 15, 288.
Tiere und Pflanzen. Paradise in a Square – selbst ein geschützter Raum mit einem Innen und
einem Außen – betrachtet eine historische Entwicklung, die vom persischen Garten über
den hortus conclusus des europäischen Mittelalters, über Menagerien, Tiergärten und Freizeit -
parks bis zu digitalen walled gardens – von Firewalls geschützten Online-Umgebungen –
reicht. Eine großformatige Projektion innerhalb der Installation skizziert diese Entwicklung
in einem Filmessay aus found footage und vorgefundenen Bildern. Sichtbar wird darin
eine fortlaufende Dialektik von Schutz und Kontrolle, Entdeckung und Kolonisierung, Pionier -
geist und Erzeugung virtueller Identitäten durch wissenschaftliche Kategorisierung. In
einer weiteren, zweiteiligen Projektion wird diese Tendenz zur Verlagerung der (analogen)
Existenz in die (virtuelle) Repräsentation am Beispiel der Künstlerin, Performerin und
japanischen Cartoonfigur Nora Hansen noch einmal exemplarisch vorgeführt. Die permanente
fotografische und filmische Selbstdokumentation von Hansens Leben und Werk, ihre
Erfindung von Charakteren erscheint dabei als Vorlage für die Schaffung ihres Avatars mithilfe
der 3-D-Animationssoftware Maya® – ein Programm, dessen Name in Sanskrit „Täuschung“
und „Illusion“ bedeutet. Zweifellos lebt Nora Hansen ein „Leben jenseits des Selbst“, von
dem die Theoretikerin des Posthumanismus Rosi Braidotti spricht. 4
Im Unterschied zum Humanismus geht der Posthumanismus nicht von einem Dualismus von
Natur und Kultur, sondern von einem Natur-Kultur-Kontinuum aus. Ein entsprechendes
Kontinuum, eine Verwischung zwischen Fakten und Fiktionen im „Zweiten Großen Zeitalter
der Entdeckungen“ vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, konkretisiert Paradise in a Square anhand
der Reisetagebücher des schottischen Missionars und Afrikaforschers David Livingstone. Der
erste Band seiner Last Journals wird in zwei gedruckten Versionen zur Lektüre angeboten:
als Originalausgabe und als RNN-generierte, nun ungrammatische Anordnung der ursprüng -
lichen Fassung. Auf einem dazugehörigen Display kann man dem Algorithmus in Realzeit
bei der Arbeit zusehen. Wenn Roland Barthes 1968 den Tod des Autors als maßgeb lichem
Urheber von Bedeutungen verkündete und zugleich die Geburt des interpretierenden Lesers
feierte, so ist mit dem RNN eine dritte, zwischen Autor und Leser geschaltete, quasi
autonome Instanz ins Spiel gekommen, die beide gleichermaßen zu verabschieden scheint.
Das Zentrum der Installation wird von einem großen Tisch eingenommen, dessen quadratische
Platte mit einem roten Silikonmaterial beschichtet ist, wie man es von Tischtennisschlägern
kennt – ein hybrides Objekt, das an einen Spieltisch und entfernt an Malewitschs Rotes
Quadrat (1915) erinnert – den utopischen Abgesang der Moderne auf den Ballast der gegen -
ständlichen Repräsentation. Das quadratische Format rekurriert noch einmal auf ein
wesentliches Motiv der Installation, den walled garden der Online-Games, deren Teilnehmer
sich als Spieler empfinden, deren Verhaltensweisen jedoch überwacht und beispielsweise
mit Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale ausgewertet werden können. Auf dem Tisch liegt
eine dreibändige, mehr als zweitausend Seiten umfassende Enzyklopädie mit grünem
Einband. Das alphabetische Inhaltsverzeichnis listet die Begriffe, die am Beginn von Shams’
Recherche zu Paradise in a Square standen, und bündelt – von Advanced capitalism bis
Zoology – die zentralen Bezugspunkte der Installation. Die Einträge stammen aus der
Online-Enzyklopädie Wikipedia, laut eigenen Angaben mit derzeit ungefähr 39,5 Millionen
Artikeln das „umfangreichste Lexikon der Welt“. Shams’ kuratierter Wikipedia-Auszug
im statischen Printmedium erscheint als bewusster Anachronismus, der die Begrenztheit von
Wissen ebenso veranschaulicht wie die – allein schon angesichts des Umfangs – begrenzten
Möglichkeiten der Nutzer, sich dieses Wissen anzueignen.
In der Installation sind einige antike Stühle verteilt, die von den Besuchern frei platziert und
zur bequemeren Beschäftigung mit den Exponaten genutzt werden können. Sie lassen an
museale Epochenräume denken und verleihen Paradise in a Square den Charakter eines
posthumanistischen Studierzimmers, in dem sich die Gattung Mensch mit ihrer derzeitigen
Lage und ihrem potenziellen Verschwinden konfrontieren kann. Dabei erscheint die
Installation als privilegierte Kunstform für dieses reflexive, aufklärerische Unterfangen. Nicht
nur, weil installative Kunst in besonderem Maß einen Anspruch auf eine demokratische
Öffentlichkeit und auf einen öffentlichen ästhetischen Diskurs erhebt, wie die Philosophin
Juliane Rebentisch feststellte, sondern auch, weil das, was „unter dem Begriff der Installation
entsteht, […] weniger Werke [sind] denn Modelle ihrer Möglichkeit, weniger Beispiele einer
neuen Gattung denn immer neue Gattungen.“ 5
Barbara Hess
226

227

228
Fari Shams’s Paradise in a Square: A Period Room for the Posthuman Era
Michel Foucault’s study The Order of Things famously begins with a detailed study of
Diego Velásquez’s painting Las Meninas. His close reading of the sight-lines within the image,
as well as between the image and the viewer, deciphers the work as a representation of
representation which is structured around an empty center – the absent king. At the end of
this investigation, the philosopher concludes “that man is only a recent invention, a figure
not yet two centuries old, a new wrinkle in our knowledge, and that he will disappear again
as soon as that knowledge has discovered a new form.” 1 Fifty years after this prognosis,
programmers like Andrej Karpathy and Fei-Fei Li in Stanford, California are working
intensively on finding such new forms for our knowledge. They developed Recurrent Neural
Networks, a software which – fed with computerized images, text and music files – is
supposed to produce new texts, images and music. 2 One can’t help but wonder what Foucault
would have to say about an RNN-generated description of Las Meninas, though we can
be sure that such a description would differ greatly from his own.
Foucault’s thought, his critical analyses of categorical systems, is a recurring reference
in Fari Shams’s artistic practice. In her photographic work Batterie, Brieföffner, Button … (2013),
for example, she staged an alphabetic “order of things” in two languages – German in
one instance, English in the other – so that the arbitrariness of the two alternative arrangements
of everyday objects became visible. 3 The conceptual point of departure for her
installa tion Paradise in a Square (2016) is a spatial arrangement whose history goes back at
least as far as the sixth century BC. In Persian, the word “pari-daiza” refers to an enclosed
garden with a square floor plan, a sanctuary for people, animals, and plants. Paradise in
a Square – itself a protected space with an interior and exterior – considers the historical
development of such spaces, from the Persian garden through the medieval European hortus
conclusus, menageries, zoos, and recreational parks, all the way up to digital “walled gardens”
and firewall-enclosed online environments. A large-format projection in the installation
sketches this development in a filmic essay compiled of found footage and images. The essay
visualizes an ongoing dialectic of protection and control, discovery and colonization, the
pioneering spirt and the production of virtual identities as a result of scientific categorization.
In another two-part projection, this tendency to displace (analog) existence into (virtual)
representation is demonstrated once again with the example of the artist, performer, and
Japanese cartoon figure Nora Hansen. The permanent photographic and filmic documentation
of Hansen’s life, work, and invention of characters forms the template for the production
of her avatar made with the help of the 3-D animation program Maya® – a program whose
name alludes to the Indian concept of deception and illusion. Without a doubt, it would seem
that Hansen lives a “life beyond the self,” as outlined by posthumanist theorist Rosi
Braidotti. 4

In contrast to humanism, which is founded on a nature-culture dualism, posthumanism takes
a nature-culture continuum as its point of departure. Paradise in a Square illustrates a
comparable continuum, a blurring of fact and fiction in the “Second Great Age of Discovery,”
between the seventeenth and nineteenth centuries, with the diaries of the Scottish
missionary and Africa explorer David Livingstone. The first volume of his Last Journals is
presented for reading in two printed versions: the original version and an RNN-generated,
ungrammatical arrangement of the original composition. On a corresponding display,
the algorithm can be seen at work in real time. Whereas in 1968 Roland Barthes declared the
death of the author as the definitive originator of meaning and, at the same time, celebrated
the birth of the interpreting reader, it would seem that with the development of RNN, a
third, quasi-autonomous instance has been added to the equation between author and reader,
one which has bid farewell to both.
The center of the installation is occupied by a large table, whose square surface is coated with
a red silicone-based material familiar from table tennis rackets – a hybrid object that
recalls both a playing table and Malevich’s Red Square (1915), Modernism’s utopian swan song
for the burden of figurative representation. The square format draws on one of the
installation’s essential motifs, the walled garden of online games, in which participants
simply perceive themselves as players while their behavior is observed and can be analyzed
with regard to personality traits, for example. On the table there is a three-volume
encyclopedia in green binding that spans over two thousand pages. The alphabetic table
of contents lists the terms that guided Shams’s research for Paradise in a Square from the
very beginning and compiles – from “advanced capitalism” through to “zoology” – the
central reference points for the installation. The entries were drawn from Wikipedia, which
by its own account comprises the “most extensive encyclopedia in the world,” with over
39.5 million entries at present. Shams’s curated Wikipedia excerpts in static print media seem
like an intentional anachronism that exemplifies the finitude of knowledge as well as the
limited capacity of users to internalize it, if only in terms of the sheer scope.
Throughout the installation there are also several antique chairs, which can be freely arranged
by visitors to enable them to engage more comfortably with the work on display. The
chairs evoke period rooms in a museum and lend Paradise in a Square the character of a
posthumanist study, in which the human species can be confronted with its present
situation and the possibility of its disappearance. Here, the installation emerges as a privileged
art form for this reflexive, enlightening enterprise – not just because installation art in
particular makes a claim to a democratic public and public aesthetic discourse, as the philosopher
Juliane Rebentisch has claimed, but also because “what is created under the umbrella
term ‘installation’ is not so much works but models of the possibility of works; not so much
examples of a new genre but ever new genres.” 5
Barbara Hess
FARI SHAMS
Das Paradies im Quadrat / Paradise in a Square
Video- und Objektinstallation
3 Projektionen / 3 projections
16’ 44’’, 280’, 10’, 204’
mit Beiträgen von / with contributions of
Nora Hansen (Selbstdokumentation)
(self-documentation)
Greg Nwosu (Recurrent Neural Network
(RNN) Konfiguration)
div. Materialien / various materials, 2016
1| Michel Foucault, The Order of Things, trans. s.n.,
London, Routledge, 1989, p. xxv.
2| http://cs.stanford.edu/people/karpathy/
deepimagesent/.
3| http://farishams.com/home/batterybandage-scissors/.
4| See Rosi Braidotti, “Posthumanism: Life beyond
the Self,” in The Posthuman, Cambridge, Polity Press,
2013, pp. 13–54.
5| Juliane Rebentisch, Aesthetics of Installation Art,
trans. Daniel Hendrickson and Gerrit Jackson, Berlin,
Sternberg Press, 2012, pp. 14–15.
229

FELIX KALMENSON
A Year in Revenue
2015
230
Öffentlichkeit zeigt sich als zentraler Faktor globaler Märkte und Methoden. Gerade jene Orte,
an denen sich die ökonomischen Werte einer Gesellschaft explizit darstellen und kommunizieren,
werden zu öffentlichen Handelsplätzen einer globalen Welt, die lokale Tendenzen
abstrahiert, um sie unter einem allgemeinen Wertesystem zu subsumieren. Die internationalen
Finanzmärkte werden in Felix Kalmensons Arbeit A Year in Revenue, die in der Ausstell
ung in Fragmenten gezeigt wurde, zum Zentrum des obskuren Spiels zwischen Werten und
Positionen, das sich entlang einer subtilen räumlichen wie symbolischen Sprache selbst
inszeniert.
Der eindrucksvolle Block aus Fernsehbildschirmen, der – wiederum mannigfach unterteilt –
die gesammelten Eröffnungs- und Schließungsprozedere eines ganzen Jahres am NYSE
(New York Stock Exchange) wiedergibt und in Form einer Symphonie aus den täglich erkling
enden Eröffnungs- und Schließungsglocken synchronisiert, bildet das Zentrum der
mehrteiligen Arbeit. Die skulpturalen Podestfragmente, die Pit Sections, die die Architektur
eben jener Kommunikationsstruktur analysieren, in der die Börse Hierarchien, Kommunikationsebenen
und Bezüge zwischen den Akteuren räumlich artikuliert und inszeniert, sind
hier vom Besucher nutzbar. Gleich neben diesen Artefakten der Finanzmärkte, zu denen
auch Tablethalter, Trennungsgeländer und Lüftungsschlitze gehören, kündigt eine opulente
Torte die Einführung der ersten elektronischen Handelsplattform der Welt an: Globex.
Kalmensons „Konzert“ unterlegt den Ausstellungsraum mit dem merkwürdig großräumlich
en wie untergründig sakralen Klang der Börsenglocken. Das Kapital, das im Eröffnungsund
Schließungsritual des NYSE symbolisch jeden Morgen und Abend wieder die eigene
Initiation feiert, stellt sich selbst damit als Nukleus einer globalisierten Welt dar. Dass auf den
Podesten und Stufen, die in der Börse gleich einem Amphitheater einen eigenwilligen
Verhandlungsraum bilden, in dem nichts mehr verhandelt, sondern nur noch gehandelt wird,
auch Untergänge an der Tagesordnung sind, verschweigt das ewig wiederholte Aufersteh
ungsritual der Glocken, um seinem Objekt – dem Kapital – einen ewig gültigen, universalen
Nimbus des über alles Erhabenen zu verleihen.
Markus Ambach

231

FELIX KALMENSON
A Year in Revenue: From Sunrise to Sunset
Mehrkanal-Video / multi-screen video
2015
S. 229 / 231
Pit Sections
div. Materialien / various materials
2015
S. 228 / 231
From the Ground Up
Acryl / acrylic
2015
S. 228 / 229
Celebration
Holz, Gips / wood, plaster
2015
A Year in Revenue
Publicness is a key factor in global markets and methods. In a global world that abstracts local
trends only to subsume them under a general values system, it is precisely those places
where a society’s economic values are explicitly represented and communicated that become
public places of commerce. Presented as fragments within the exhibition, Felix Kalmenson’s
work A Year in Revenue places international financial markets at the center of an obscure play
between values and positions, staged in a subtle spatial, but also symbolic language.
The centerpiece of this multipart work is an impressive block of television screens, each
subdivided many times over, showing the NYSE’s (New York Stock Exchange) opening and
closing procedures for an entire year. It synchronizes the daily opening and closing bells
into a kind of symphony. Visitors can use the sculptural pedestal fragments, the Pit Sections
that analyze the architecture of the same communication structure within which stock
hierarchies, communication levels and relationships between actors are spatially articulated
and staged. Right next to these artifacts of the financial markets (including tablet holders,
dividing balustrades and ventilation slots) is an opulent cake announcing the launch of Globex,
the world’s first electronic trading platform.
Kalmenson’s “concert” fills the exhibition space with the strangely spacious and sublime
sound of the stock market bells, heralding capital – symbolically celebrating its own initiation
every morning and evening with the opening and closing ritual of the NYSE – as the
nucleus of a globalized world. This perpetually repeating resurrection ritual of the bells belies
the fact that the amphitheater-like space, organized by means of steps and pedestals at
the stock exchange, is no longer a place of negotiation, but only of trade, and that even losses
are the order of the day. In doing so, it lends its object – capital – an everlasting, universal
nimbus of overarching sublimity.
Markus Ambach
232

233

BALTENSPERGER + SIEPERT
Desti-Nation
seit 2013
234
Mit der Arbeit des Künstlerduos Baltensperger + Siepert gerät die Ausstellung Von den Strömen
der Stadt in internationales Fahrwasser. Im Rahmen der Globalisierung kann der Begriff
des Öffentlichen nicht ohne seine Ausweitung auf internationale Zusammenhänge diskutiert
werden. Wo Felix Kalmenson die globalen Finanzflüsse ins Spiel bringt, widmen sich die
beiden Künstler den andauernden Spätfolgen des Kolonialismus. Dass heute die Flüchtlinge
auf genau den Routen ihren Weg nach Europa suchen, auf denen die Kolonialwaren
transportiert wurden (und werden), zeigen die unscheinbaren Karten im Hintergrund der
Arbeit als subtiler Verweis. Sie artikulieren damit auch die deutliche Verknüpfung der
Flüchtlingsströme mit den Politiken kolonialer Macht, die bis heute in modifizierter Form
andauert.
Vor diesem subtilen inhaltlichen Prospekt, der sich erst am Ende des Rundgangs durch
die dreiteilige Arbeit erschließt, erscheint die rotleuchtende Boje, die sich im architektonisch en
Konstrukt Holleins verfangen hat, fast monumental und technokratisch. Das offensichtlich
seetaugliche Gerät, das künstlerisch unverbrämt als Gebrauchsgegenstand daherkommt,
ist mit Solarzellen, Leuchtturm, Antrieb und Sendeeinheit ausgerüstet und dazu in der Lage,
Flüchtlinge auf sicherem Weg in europäische Häfen zu führen. In einer täuschend echt
nachempfundenen TV-Nachrichtensendung und einem professionellen Werbevideo wird klar,
dass die Boje ein von Flüchtlingen per Telefon kostenfrei anzufordernder Wegweiser ist,
der sie sicher durchs Mittelmeer nach Europa geleiten soll.
Baltensperger + Siepert leisten mit ihrer Arbeit, die lange vor der Zuspitzung der Flüchtlingskrise
als ernster wie subtiler Kommentar zum europäischen Umgang mit den Folgen kolonialer
Politik entstanden ist, eine wichtige Verschiebung. Die tatsächlich funktionsfähige Boje
soll wider Erwarten weniger im realen Einsatz eine Lücke füllen, da das Finden solcher Lösungen
keinesfalls der Kunst übertragen werden kann. Vielmehr soll ihre Aufstellung im Kunstkontext
als auch ihre Verwendung bei performativen Einsätzen den Diskurs über die politischen
Hintergründe, ökonomischen Bedingungen und sozialen Probleme des Flüchtlingsdramas
anregen, um eines deutlich zu machen: Diejenigen, die sich heute in Europa als Wohltäter
verstanden sehen wollen, lassen allzu gerne ihre eigene Politik außer Acht, die über Jahrhun -
derte durch die Ausbeutung eben jener Länder, aus denen die Menschen heute flüchten,
zum eigenen Reichtum führte (und führt). Die damit verknüpfte Verantwortung lässt man
dabei allzu gerne aus dem Blick. Sie wird hier von den Künstlern in Form ihrer „Einladung
nach Europa“ wieder subtil ins Bild gerückt und eingefordert.
Markus Ambach

235

236
Desti-Nation
The work of artist duo Baltensperger + Siepert takes the exhibition On the Currents of the City
into international waters. The concept of “the public” cannot be discussed within the
framework of globalization without being expanded to international contexts. While Felix
Kalmenson brings global financial flows into play, these two artists devote themselves
to the ongoing, long-term consequences of colonialism. Inconspicuous maps forming the
background of the work subtly reference the fact that refugees are making their way to
Europe via the very same routes that were (and are) used to transport colonial goods. They
also articulate the clear ties between refugee flows and the policies of colonial power,
which continue to this day in a modified form.
In front of this subtle, substantive background – which is revealed only at the end of a walk
through the three-part work – is a bright red buoy with a red light on top. Trapped in
Hans Hollein’s architectural construct, it is almost monumental and technocratic in effect.
The apparently seaworthy device, an artistically unadorned everyday object, is equipped
with solar cells, a lighthouse, means of propulsion and a transmitting unit, and is able to guide
refugees safely to European ports. Through a deceptively real-looking TV news broadcast

and professionally produced advertising video, we learn that refugees can summon the buoy
free of charge via smartphone, and that it is meant to ensure safe passage through the
Mediterranean to Europe.
Created long before the refugee crisis escalated, Baltensperger + Siepert’s work – a subtle,
serious comment on Europe’s handling of the consequences of colonial politics – makes an
important shift. Confounding expectations, the buoy, which actually functions, is not
intended as a stopgap solution to a real problem – a problem that art cannot be expected to
solve. Instead its presentation in the realm of art, along with performative activities,
aims to stimulate discourse about the political background, economic conditions and social
problems of the refugee crisis in order to make one thing clear: those who want to see
themselves as benefactors in Europe today are all too willing to turn a blind eye to their own
policies, which for centuries have enriched (and continue to enrich) their own societies
by exploiting the same countries from which people are now fleeing. The culpability associated
with this is all too readily ignored. Here, the artists’ “invitation to Europe” puts it back in
focus, subtly calling attention to the responsibility at hand.
Markus Ambach
BALTENSPERGER + SIEPERT
Desti-Nation
div. Materialien / various materials
seit / since 2013
HD-Animation 59', Loop, 2013
HD-Film, 2'59'', Loop, 2013
Untitled Maps
Siebdruck auf Archivdruck
silkscreen on map reproduction
2013
S. 233 im Hintergrund / in background
LAWRENCE WEINER
Down a hatch / Up a tree / Arround a town
1973
237

STEPHAN MACHAC
Gravitational Waves (Without Gravity Tears Don’t Fall) / German Angst
2016
„Wenn wir nur herausfinden könnten, was Schwerkraft ist. Wir wissen es nicht. Wir können sie messen. Wir
können mittels der Mathematik die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern und die Rolle, die die Schwerkraft dabei
spielt, zeigen. Aber wir wissen nicht, wodurch sie entsteht. Und wir haben keine Kontrolle über sie.“ 1
STEPHAN MACHAC
Gravitational Waves
(Without Gravity Tears Don‘t Fall)
HD-Video, 2016
German Angst 07–16 Montage #1
2016
German Angst 07–16 Montage #2
2016
1| Chris Hadfield (ISS-Astronaut) im Gespräch mit
Thomas Drayton, Al Jazeera America, 08.01.2015.
Das Zitat lautet im Original: „If we could figure out
what gravity is. We don’t know. We can measure it.
We can do the math that shows the attractive
force between two bodies due to gravity. But we don’t
know what causes it. And we have no control over it.“
World Angst
German Angst ist eine Reproduktion von Fotografien unter UV-Licht. Die aus dem eigenen
analogen und digitalen Archiv stammenden Bilder wurden vor eine fluoreszierende
Farbfläche montiert. Das serielle Montageprinzip von Bildpaaren, bei denen stets eine vor an -
gehende mit einer darauffolgenden Fotografie kommuniziert, orientiert sich an der
filmischen Schnitttechnik der Distanzmontage. Das UV-Licht erzeugt ein Blau-Violettspektrum,
das im übertragenen Sinn auch eine Bedeutung von Desinfektion in sich trägt: UV heilt
Krankheiten, sterilisiert Wasser und Luft – ohne die Gefahr von Resistenzen.
German Angst gilt allgemein als eine Art psychosozialer und dezidiert deutscher Gemütszustand,
der sich in unbestimmter kollektiver Furcht oder auch in kollektiver Zögerlichkeit
äußert, in Angst vor dem Unbekannten oder auch vor vermeintlicher Gefahr. In der Zeit
rund um die Produktion dieser Arbeit verlor der Begriff zunehmend an Spezifität angesichts
des sich ausbreitenden allgemeinen Angstzustands, der nunmehr international eine völlig
veränderte Befindlichkeit der Welt, eine allgegenwärtige Furcht vor der Gegenwart und dem
Unbekannten darin zeigt. Wie in einem Flashback zeigt German Angst eine essayistische
Montage von archivierten Fotos, die Ähnlichkeit mit deutschen Bildstereotypen haben. Stephan
Machac reflektiert und kommentiert sie durch einen Prozess intuitiver Montage mit
anderen Bildern aus seinem Archiv.
Gravitational Waves (Without Gravity Tears Don’t Fall) ist eine Simulation von zwei Schwarzen
Löchern, die einander umkreisen und mit ihrer Kollision eine Gravitationswelle verursachen.
Das für die Tonspur verwendete Soundsample – ein dunkles Krachen, das an die
Magnetfelder in einer MRT-Röhre erinnert – wurde vom Laser Interferometer Gravitational
Wave Observatory (LIGO) veröffentlicht als exakter Frequenzbereich der Gravitations -
welle, die am 14. September 2015 von ihm gemessen wurde und somit die theoretische
Annahme Albert Einsteins bestätigte, wonach im Universum Gravitationswellen existieren,
die aus einer kaum vorstellbaren Entfernung Kräfte auf die Erde richten. Seit 1916 waren
diese Kräfte nur Theorie, jetzt gelten sie als real – samt ihrer Beeinflussung von Raum, Materie
und Zeit.
Die Entscheidung, eine Simulation über die Entstehung der Gravitationswelle als künstlerische
Arbeit zu produzieren, entstand aus Überlegungen darüber, was mit Fotos dargestellt
oder gedacht werden kann und wie Lichtwellen – als Mittel der Fotografie und bisheriges Mittel
zur wissenschaftlichen Erforschung der Außenwelt – in Relation zur heutigen Forschung
treten. Es geht um die medienphysikalische Frage, inwieweit das Lichtwellen auf zeichnende
Medium der Fotografie sich als Transmitter für Lichtwellen schluckende Schwarze Löcher
und Gravitationswellen eignet und somit um die Darstellbarkeit, deren Simulation und deren
Projektion. In der projizierten Simulation von Gravitational Waves werden Lichtwellen
generiert, welche die visuellen Überlegungen transportieren. Anders als in Fotografie oder
Film nehmen sie nichts bereits Existentes als Ausgangspunkt, das mit einer Kameralinse
aufgezeichnet wurde, sondern entstammen einer unmittelbaren visuellen Vorstellung.
Anlässlich der Thematik der Ausstellung wählte Machac Gravitational Waves als Ergänzung
zu German Angst. Die Darstellung einer Energie, die in einem Bereich außerhalb der uns
bekannten Außenwelt entsteht und dennoch auf uns einwirkt, lässt sich auch auf die Beschrei -
bung von gegenwärtigen gesellschaftlichen Wirkungsprozessen adaptieren. Susanne Titz
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“If we could figure out what gravity is. We don’t know. We can measure it. We can do the math that shows the
attractive force between two bodies due to gravity. But we don’t know what causes it. And we have no control over it” 1
1| Chris Hadfield (ISS Astronaut) talks to Thomas
Drayton, Al Jazeera America, 01 / 08 / 2015.
World Angst
German Angst, a reproduction of photographs under UV light. Images sourced from their
respective analog and digital archives were mounted in front of a fluorescent color field. The
serial montage principle states that images are always in communication with preceding
and succeeding photos in the sequence and so are oriented to the filmic cutting technique of
distance montage. The UV light produces a blue-violet spectrum, which is also an allusion
to disinfection: UV cures sickness and sterilizes water and air without the risk of bacterial
resistance.
German Angst describes a type of psychosocial and decidedly “German” disposition, expressed
as an indeterminate, collective dread or as a collective reluctance, a fear of the unknown
and of presumed danger. Before and after the production of this work this concept lost its
specificity to Germany as a fearful disposition spread internationally: the psychic state of the
world was entirely altered, with a pervasive fear about the uncertainty of the present. As
though in a flashback, German Angst presents an essayistic montage of archival photos which
bear some resemblance to stereotypical German images. Stephan Machac reflects on this
and offers a commentary through an intuitive montage process with other images from the
archive.
Gravitational Waves (Without Gravity Tears Don’t Fall) is a simulation of two black holes,
which circle one another and cause a gravitational wave when they collide. The Laser
Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) released the sound sample used in
the audio – a dark noise, like the magnetic resonances of an MRI machine. The sound
plays at the exact frequency of the gravitational waves that were recorded on September 14,
2015 and that confirmed Albert Einstein’s theoretical prediction, derived from his speculation
that universal gravitational waves exist and are directed towards the earth by forces from
an almost inconceivable distance. Since 1916 these forces had been only a theory. Today, they
are accepted as real – as the interaction of space, matter, and time.
The decision to produce a simulation of the origin of gravitational waves as an artistic work
arose out of an interest in the photographic representation and visualization of thinking
processes or, more specifically, what can be represented or thought through photographic images
and how light waves (the vehicle of photography and, until now, of scientific research into
the external world) relate to current research. It raises medial-material questions about the
extent to which the light waves of the representational medium of photography are
appropriate for conveying a light-swallowing black hole and gravitational wave. By extension,
it questions the possibility of their representation through simulation and projection.
The projected simulation of gravitational waves generates light waves that transport visual
reflections. In contrast to photography or film, they do not convey something that was
previously recorded through a camera lens. They result, rather, from an immediate visual idea.
Given the theme of this exhibition, Machac chose Gravitational Waves as a supplement
to German Angst. The representation of an energy which emerges beyond the scope of the
known external world and affects us can be adapted to describe contemporary societal
processes.
Susanne Titz
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FILMLOUNGE
Harkeerat Mangat, Speculations on India, 2015, 29'
Jennifer Rainsford, Stories from the Debris, 2016, 7'
Felix Kalmenson, A House of Skin, 2016, 16' 39''
Steve Paul, Included – Excluded, 2011 / 2012, 22' 39''
PROGRAMM
3. Juli 2016
Anlieger [Residents], Performance von / by Tomas Kleiner, Marco Biermann
The Best Answer You Can Give Is Symmetry, Episode VI,
Performance von / by Lina Hermsdorf mit / with Andrew Hardwidge
Besuch im / visit of Projekt OBERSTADT
12. Juli 2016
Filmabend mit / Movie night with:
Harkeerat Mangat, Speculations on India
Jennifer Rainsford, Stories from the Debris
Felix Kalmenson, A House of Skin
Steve Paul Included – Excluded
28. August 2016
Diskussion mit / Discussion with Timo Feldhaus, Walter Grasskamp, Ilka Helmig,
den Künstlerinnen und Künstlern / the artists, Markus Ambach, Susanne Titz
10. September 2016
Screening Single von / by Alex Wissen, Jan Bonny
Führung ins Mönchengladbacher Nachtleben / a tour into Mönchengladbachs nightlife
mit / with Gero Graf, organisiert von / organized by Alex Wissel
25. September 2016
Anlieger [Residents] Performance von / by Tomas Kleiner, Marco Biermann
2500 Performance von / by Isabella Fürnkäs, Lukas von der Gracht
2become1 von / by Andrew Hardwidge, Louise Trueheart
13. Oktober 2016
Dan Graham und der Schwanenspiegel – Ein Rundgang mit / a walk with
Kenneth Bergfeld, Doris Krystof, Susanne Titz, Markus Ambach
23. Oktober 2016
Diskussion mit / Discussion with den Künstlerinnen und Künstlern / the artists,
Markus Ambach, Susanne Titz
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DONKEY’S
WAY
RITA MCBRIDE
SONNEN
HAUS
PLATZ

RITA MCBRIDE
Donkey’s Way
2016
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Donkey’s Way und der neue Sonnenhausplatz
Selten gelingt es, Stadtplanung und Kunst so früh zusammenzubringen wie bei der
Gestaltung des neuen Sonnenhausplatzes in Mönchengladbach. Im Rahmen des Projekts
Ein ahnungsloser Traum vom Park wurden von Anfang an nicht nur kunstspezifische
Aspekte des Umfelds am Abteiberg diskutiert, sondern die Verknüpfungen der verschiedensten
Akteure des Ensembles ins Auge gefasst. In einem von der Kunst initiierten, von der
Stadtplanung aufgegriffenen und von den Akteuren gemeinsam getragenen Prozess entstand
am Sonnenhausplatz beispielhaft ein erstes schlüssiges Ensemble dieser gemeinsamen
Arbeit, in dem die verschiedenen Anliegen der Platzanwohner, Nutzer und des städtischen
Publikums synergetisch verknüpft sind. Das Beispiel zeigt, wie produktiv und wichtig
ein von Anfang an gemeinsames Denken der stadtgestaltenden Akteure ist und welche
produktiven Synergien es birgt.
Nachbarschaften
Der heutige Sonnenhausplatz schließt stadtseitig direkt mit dem neuen Einkaufszentrum Minto
ab und verknüpft dieses mit städtischen Akteuren wie dem gegenüber gelegenen STEP –
einem vitalen Jugendzentrum, das verschiedensten Gruppen Anlaufstation, Treffpunkt und
soziales Zentrum ist. Direkt im Hans-Jonas-Park gelegen, der hier gegenüber dem mächtigen
Bau des Minto eine bis hin zum Museum Abteiberg reichende großzügige Grünzone eröffnet,
ist es Nachbar weiterer Akteure wie der VHS oder der Musikschule Mönchengladbach.
Namensgebend und in verschiedener Hinsicht prägend für den Platz ist das Sonnenhaus.
Der Wohnbau aus den 1950er-Jahren prägt den Platz mit seiner filigran gestalteten Fassade,
die komplett und durchgehend mit westlich ausgerichteten Balkonreihen ausgestattet ist.
Das Haus bildet damit einen letzten Vertreter der Gattung „innerstädtisches Wohnen“ und
zeigt, wie wichtig diese einem erhöhten Ökonomisierungsdruck zum Opfer gefallene
urbane Typologie ist. Das Sonnenhaus verleiht dem Platz nämlich eine aktive Bewohnerschaft
mit sozialer Verantwortung, die ihn auch zum sozialen Zentrum der Stadt werden lässt.
Dass die Bewohner eine besondere Gemeinschaft bilden, liegt nicht nur am langen Bestehen
des Hauses. Im Erdgeschoss bildet das Café Hoffmanns einen Treffpunkt für die Anwohner,
und Ladenlokale wie der Schmuckladen Clever, der Friseursalon von Christiane Hofmann
oder das Modegeschäft Ell’a sind Teil einer Hausgemeinschaft, die sich nahezu familiär
miteinander organisiert.
Dieses Ensemble, dessen Gegenüber bis 1996 das Theater der Stadt Mönchengladbach bildete,
wurde im Jahr 2012 mit dem Abriss des Theaters und dem geplanten Neubau des heutigen
Minto konfrontiert. Mit dem Interimsprojekt Museum X 1 wies das Museum Abteiberg schon
früh auf die anstehenden Veränderungen hin und diskutierte Folgen wie Möglichkeiten
für den kulturellen und urbanen Raum in verschiedenen Projekten.
Wettbewerb
Im Rahmen des Projekts Ein ahnungsloser Traum vom Park konnte die mfi (heute Unibail-
Rodamco), der Bauherr des Minto, dazu gewonnen werden, statt des Ankaufs eines
Kunstwerks für das Gebäude die dafür gedachten Mittel für einen internationalen, vom
Museum Abteiberg ausgerichteten und von Markus Ambach kuratierten Wettbewerb
für Kunst auf dem Sonnenhausplatz zur Verfügung zu stellen. 2 Im Zentrum stand dabei die
Verknüpfung des neuen Einkaufszentrums mit der städtischen Nachbarschaft. Ausgewählt
wurde von einer hochkarätigen Fachjury 3 die Arbeit Donkey’s Way der Düsseldorfer
Künstlerin und Kunstakademiedirektorin Rita McBride.

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Donkey’s Way
Die Arbeit Donkey’s Way, deren Zentrum sieben in traditionellem Bronzeguss ausgeführte
Esel bilden, von denen gewundene, nachleuchtende Linien über den schimmernden
Asphalt hin zu den verschiedenen Anliegern des fast hügeligen Platzes führen, bildete zunächst
eine wahre Herausforderung für die Bevölkerung als auch den modernen Kunstdiskurs.
Während sich in der Stadtgesellschaft eine rege Diskussion über die Bedeutung jenes Tiers
entwickelte, das verschiedenste Narrative zwischen subtiler Intelligenz und störrischer
Autonomie, sprichwörtlicher Dummheit und mythologischer Sagengestalt aufzurufen weiß, 4
forderte die traditionelle Form der Arbeit die Kriterien und Ansichten eines aktuellen
Kunstbegriffs heraus.
Dass Rita McBride mit dieser Form bewusst auf die ambivalenten Traditionen der Kunst im
öffentlichen Raum reflektiert, die sich bis heute oft traditioneller Themen und lokaler
Symboliken bedienen, um sie in figürliche Formen und klassische Materialien zu gießen, zeigt
den Mut der Künstlerin zum Verwechslungsrisiko. Dass der Esel hier durchaus im Sinne
einer traditionellen anekdotischen Plastik interpretiert werden kann, wie man sie von Brunnenund
Gedenkanlagen her kennt, öffnet den Diskurs weit über den der aktuellen Kunst hinaus
in den Bereich der Kunst im öffentlichen Raum. Diese stellt ihre Diskurse bewusst ins
umfassende wie ambivalente Umfeld allgemeingesellschaftlicher Kommunikationen und
alltagskultureller Bezüge.
Dass dabei auch Aspekte wie die gesellschaftliche und touristische Vereinnahmung von Kunst,
ihre informelle Umnutzung durch die Bürger, moderner Aberglauben und sonstige
kultische Handlungen in den Diskurs der Arbeit miteinfließen, ist also Programm. Dass dies
dazu führt, dass die Tiere als Sitzgelegenheit genutzt werden, sich die Ohren der Esel durch
Abrieb wundersam vergolden oder Millionen von Selfies von EselreiterInnen die
Sozialen Netzwerke bevölkern, offenbart den öffentlichen Raum wiederum als alltagskulturellen
Handlungsort gesellschaftlicher Rituale.
Markant ist bei all den Interpretationsmöglichkeiten, die die konsequent definierte Arbeit
offensichtlich lässt, dass sie widerum einen Kernpunkt der Arbeit von Rita McBride
rezitiert. Wie bei Mae West 5 wird sie entlang ihrer latenten Neutralität zum Objekt der Begierde –
im kulturanthropologischen Sinne zum gesellschaftlichen Fetisch, auf den die Gesellschaft
ihre Vorstellungen und Diskurse projiziert und um den herum sich die Elemente des Platzes
organisieren. Das heftig diskutierte wie umfänglich genutzte Objekt Donkey’s Way wird
zum Treffpunkt und Zeichen, das den Platz als Raum der Gemeinschaft identifiziert.
Le Corbusier und der Esel
Dabei liegt der Arbeit ein profunder Diskurs zur Entwicklung moderner Städte zugrunde.
Rita McBride schreibt dazu in ihrem Projektentwurf: „Der Esel ist das Lasttier, dem der
berühmte Schweizer Architekt Le Corbusier den Entwurf aller vormodernen Städte
zuordnet. Ihm zufolge gestaltete der Esel mit seinen geschwungenen Pfaden, die dem Weg
des geringsten Widerstands folgten, den Grundriss der mittelalterlichen Stadt. Im
Gegenzug steht die Moderne für die reine und ausgewogene Orthogonale, die die geistige
Entwicklung des Menschen feiert.“ 6
Seine Vorstellung vom modernen Menschen, der weiß, was er will und geradeaus zum Ziel
schreitet, anstatt ausweichend und eselsgleich durchs Terrain zu mäandern, hat heute
in zweierlei Hinsicht eine Korrektur erfahren. Einerseits spricht lange nach den Erfahrungen
der Moderne vieles dafür, dass der direkte Weg nicht immer der Beste ist. Die Situationisten
zum Beispiel setzen der Ökonomie des Ziels die Poesie des unbestimmten Weges entgegen.
Mit Guy Debord entdecken sie unter dem Begriff der dérive das ziellose Mäandern
durch die Städte als eine profunde Technik, um eben das zu finden, von dem man noch
nichts weiß. Das ziellose Umherschweifen verbindet zudem bisher unverknüpfte Dinge, Orte
und Ereignisse in neuen, ungeahnten Beziehungen und Nachbarschaften entlang einer
zufälligen Choreografie. Für den Esel bedeutet dies, dass ihm sein pragmatischer Schlingerkurs
des geringsten Widerstands durchaus neue Welten – und somit das „Andere“ – erschließt,
an dem er zwangsläufig vorbeikommt, während Le Corbusiers moderner Mensch immer nur
auf das Eigene und ewig sich selbst zurückgeworfen bleibt.
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So muss die Totalität der Moderne, die sich oft zugunsten gestalterischer Idealvorstellungen
über die Bedürfnisse der Menschen und Nutzer der Städte hinwegsetzte, heute problematisiert
werden – ein Umstand, auf den auch Le Corbusier in seinem Spätwerk reflektiert. Die
Entwürfe, mit denen er ganz Paris im Sinne einer brachialen orthogonalen Struktur ökonomisieren
und für die moderne Gesellschaft funktionstüchtig machen wollte, werden von
ihm selbst in seinem späteren Werk mit organischen Formen und dem menschlichen Maß als
realer Bezugsgröße konfrontiert.
Ein Denkmal
Dass Le Corbusier damals dem Esel in sicher ambivalenter Absicht ein Denkmal setzen wollte,
wird von Rita McBride hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund schließt die Künstlerin
hier nicht nur eine historische Lücke. Ihre Arbeit Donkey’s Way spannt den Bogen von der
mittelalterlichen Stadt über die Totalität einer gescheiterten Moderne hinweg bis ins Jetzt,
in dem den Nutzern der Stadt und ihren komplexen Beziehungen wieder eine elementare
Bedeutung zukommt. „McBride zeichnet in ihrer Arbeit die Spuren und Wege der Bewohner,
Anlieger und Nutzer der Städte auf. Ihr Netzwerk von Linien verbindet die vielschichtigen
und heterogenen Akteure der Stadt – ob Jugendzentrum, Altenheim, VHS, Museum oder Minto
– und lässt sie sich auf Augenhöhe begegnen“, so Jurymitglied und Direktorin des Museums
Abteiberg Susanne Titz. Der Esel wird dabei zum subtilen Symbol einer praxisorientierten
Klugheit, die auf Kontext und Lebensumstände reagiert, statt sich rigoros über sie hinwegzusetzen.
Er wird zum Symbol einer offenen Stadt, die sich aufmacht, ihren Bürgern
zuzuhören, anstatt rigiden Planungsentwürfen zu folgen.
Ein vertikales Konzert
Passend zu dem Verweis auf die neue Bedeutung der Bewohner und Nutzer als städtische
Gemeinschaft wurde die Eröffnung des neuen Sonnenhausplatzes in der Stadt zu einem großen,
gemeinsamen Fest. Das Jugendsymphonieorchester der Musikschule Mönchengladbach
gab unter der Leitung von Christian Malescov und auf eine Idee von MAP hin ein „vertikales
Konzert“ auf den Balkonen des Sonnenhauses. Das Kulturbüro Mönchengladbach organisierte
über den Platz verteilt Auftritte, Konzerte und Poetry-Slams der lokalen Kulturszene. Die
anliegenden Cafés versorgten die Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten, das Museum
Abteiberg und die VHS luden zu Gesprächsrunden und Diskussionen ein. Das gesamte Fest
wurde so aus den Potenzialen der Nachbarschaft heraus bestritten.
Heute zeigt das Bild des Platzes, dessen gelungene ästhetische Gestaltung und gesellschaftliche
Funktion nicht zuletzt der kooperativen Arbeit zwischen den Landschaftsplanern
lohrer.hochrein und der Künstlerin wie auch dem intensiven Zusammenwirken von Planung,
Kunst, Stadt, Politik und Anliegern geschuldet ist, eine vitale Nutzung durch die Stadtgesellschaft,
die ihn als neues Zentrum angenommen hat. Er zeigt, wie wichtig und produktiv
ein frühzeitiges Zusammenwirken aller Teile der Stadtgesellschaft auf dem Weg zu einer
alle verbindenden, lebendigen Urbanität ist.
Markus Ambach
1| Konzipiert von realities:unitied, Tim und Jan Edler,
Berlin.
2| Unser besonderer Dank gilt dabei dem Einsatz
von Frau Reydan Weiss, Herrn Roger Weiss und
Frau Dr. Marion Agthe, die das Kunstprogramm der
mfi (heute Unibail-Rodamco) initiiert und durchgeführt
haben. Gerade die Entscheidung für eine Arbeit auf
dem Sonnenhausplatz wurde von ihnen getragen,
begleitet und umfangreich unterstützt.
3| Stimmberechtigte Mitglieder: Susanne Pfeffer
(Fridericianum Kassel), Prof. Dr. Walter Grasskamp
(Kunstakademie München), Prof. Thomas Locher
(Kunstakademie Kopenhagen), Susanne Titz
(Museum Abteiberg), Dr. Marion Agthe (mfi),
Hans Wilhelm Reiners (Oberbürgermeister, Stadt
Mönchengladbach), Axel Lohrer (lohrer.hochrein
Landschaftsarchitekten). Beratend: Carsten Faust (mfi /
heute Unibail-Rodamco), Herbert Pauls
(CDU, Bezirksvorsteher Nord), Horst-Peter Vennen
(SPD Vorsitzender Planungs- und Bauausschuss),
Simone Huben (JUKOMM / STEP), Dagobertus de
Marie (Stadtplanung Mönchengladbach).
4| Auf die herausfordernde Befürchtung, der Esel
könne zum Symbol der Stadt avancieren, wurde
in Mönchengladbach mit charmantem Engagement
wie ausgewogenem Humor reagiert. Man führte
eine rege Diskussion zur Bedeutung des Esels,
die besonders dadurch gefördert wurde, dass sich
der Oberbürgermeister Wilhelm Reiners flux eine
Anstecknadel aus Wesel kommen ließ, um seine
Sympathie mit der Arbeit und dem sagenumwobenen
Tier zu bekunden. In Folge halfen öffentliche
Einschätzungen der Bürger sowie fachfrauliche
Kommentare aus dem Tiergarten Mönchengladbach
dabei, falsche Ansichten über das Grautier zu
entkräften und seine praxisorientierte Klugheit ins
Zentrum der verschiedenen Auseinandersetzungen
und Charakterstudien zu rücken.
5| Mae West, Rita McBride, 2011, München,
Effnerplatz.
6| Rita McBride, 2014, Entwurf zu Donkey’s Way.
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Donkey’s Way and the New Sonnenhausplatz
Rarely have urban planning and art been brought together as early in the process as in the
design of the new Sonnenhausplatz in Mönchengladbach. Within the framework of the project
Ein ahnungsloser Traum vom Park [An Innocent Dream of a Park], both the art-specific
aspects of the Abteiberg environment and the linkages between the various players of this
ensemble have been envisioned and discussed from the very beginning. In a process
initiated by art organizations, taken up by urban planners and implemented collectively by
various agents, the first conclusive ensemble to result from this collaborative effort has
emerged at the Sonnenhausplatz, in a synergy combining the various needs of residents, users,
and the urban public. This example shows how productive and important it is for various
agents to think about designing the city together from the very beginning, and the productive
synergies this can bring about.
Neighborhoods
Today, the Sonnenhausplatz directly adjoins the new Minto shopping center on its cityfacing
side, linking it with various urban agents, such as the STEP youth center opposite – a
vibrant port of call, meeting place, and social center for the most diverse groups. It is
directly situated in the Hans-Jonas-Park, which in contrast to the Minto’s impressive building
opens up a generous green space stretching to Museum Abteiberg, and it is in the neighborhood
of various other agents such as the local community college and the Mönchengladbach
school of music.
The eponymous Sonnenhaus is in many ways a defining influence on the square. This
residential building dating from the ’50s dominates the square with its filigree-work façade
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composed of a series of west-facing balconies. The building is one of the last examples of
“inner-city living” and shows the importance of this urban type, though it has increasingly
fallen by the wayside as a result of growing economic pressure. This importance lies in
the way the Sonnenhaus supplies the square with active, socially responsible inhabitants, in
turn allowing the square to become the city’s social center. The communal structure
produced by the residents is not only a result of the building’s longevity. On the ground floor,
Café Hoffmanns provides a meeting point for the inhabitants, while other stores
like Clever’s jewelry, the hair salon by Christiane Hofmann, and the fashion retailer Ell’a are
all part of a household whose internal organization is almost family-like.
In 2012 this ensemble was confronted with the demolition of what had been its counterpart
until 1996, the City Theater of Mönchengladbach, and plans for the construction of the
present Minto. With the interim project Museum X, 1 Museum Abteiberg addressed the planned
changes early on and, through various projects, discussed both the consequences and
possibilities for the cultural and urban landscape.
Competition
As a result of the project Ein ahnungsloser Traum vom Park, the builders of the Minto – then
mfi, now Unibail-Rodamco – were convinced that the budget originally intended for the
purchase of artwork for the building should fund an international competition for the
Sonnenhausplatz organized by Musuem Abteiberg and curated by Markus Ambach. 2 The
focus here was on linking the new shopping center with the urban neighborhood. A highprofile
jury 3 selected the work Donkey’s Way by the artist Rita McBride, director of the
Kunstakademie Düsseldorf.
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Donkey’s Way
The work Donkey’s Way initially posed a challenge for both the inhabitants and contemporary
art discourse. Its center is comprised of seven donkeys executed in traditional bronze
casts. Beneath them are several winding, glowing lines that move outward across the shimmering
asphalt to the various neighbors of the almost hilly square. While a lively discussion
about the significance of the animal developed throughout the urban community, invoking
the most diverse narratives from subtle intelligence to stubborn autonomy, proverbial
stupidity and mythological figures, 4 the traditional form of the work also challenged existing
criteria and views on the notion of contemporary art.
Rita McBride’s intentional use of this form reflects on the ambivalent tradition of public art,
which even now often deploys traditional themes and local symbols to produce figurative
forms in classical materials. It also demonstrates the artist’s courage and her willingness to
risk misinterpretation. The donkeys here could easily be interpreted in terms of a traditional
anecdotal sculpture, but the subsequent discourse expanded way beyond the realm of
contemporary art and into the sphere of public art, whose discourse is positioned in the broad
and ambivalent field of general social communication and everyday cultural references.
It was no less part of the program that topics such as the social and touristic cooption of art, its
informal repurposing by citizens, modern superstitions, and various other cultic activities
have all flowed into the conversation surrounding the work. That the animals are often used
as chairs, that the donkeys’ ears have become wonderfully golden from being rubbed, or
that millions of selfies from donkey riders now populate the internet only demonstrates how
much public space also serves as an everyday site for social rituals.
What is perhaps most striking, however, about all the possible interpretations allowed
by this rigorously defined work is that they all echo a central aspect of Rita McBride’s work.
Much like with Mae West, 5 the work’s latent neutrality enables it to become an object of
desire, a social fetish in a cultural and anthropological sense, upon which various ideas and
discourses are projected – the same ideas and discourses around which the square’s
various elements are organized. As a much discussed and widely used object, Donkey’s Way
becomes both a meeting point and a signifier that identifies the square as a communal
space.
Le Corbusier and the Donkey
At the same time, the work is founded on a profound discourse surrounding the development
of modern cities. In her proposal for the work, McBride writes that “The donkey is the
beast of burden to which the famous Swiss architect Le Corbusier attributed the design of all
premodern cities. According to him, the donkey and its winding tracks, which follow the
path of least resistance, structured the layout of the medieval city. Modernity, by contrast,
stands for the pure and balanced orthogonal, which celebrates humanity’s intellectual
development.” 6
Le Corbusier’s idea of the modern man who knows what he wants and strides straight toward
his goal, instead of meandering through the terrain like a donkey, has been subjected to
at least two significant corrections to date. On the one hand, the experience of modernity has
long since taught us that the direct way isn’t always the best one. The Situationists, for
example, opposed the economy of the goal with the poetry of the uncertain path. With Guy
Debord, they discovered the method of dérive, an aimless wandering through the city, as a
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profound technique for finding precisely that which one didn’t already know. On the other
hand, aimless rambling connects previously unconnected objects, places, and events in new
and unimagined relationships and neighborhoods according to an incidental choreography.
For the donkey, this means that its pragmatically wavering path of least resistance can
tap into entirely new worlds – and thus the “other” – which it is bound to encounter along its
path, whereas Le Corbusier’s modern man is always and eternally thrown back onto himself.
Thus the totality of Modernism, which often privileged design ideals over the needs of
people or the city’s users, must be problematized from a contemporary perspective – a circumstance
which Le Corbusier himself even reflected upon in his later work. He thus confronted
his earlier designs, through which he once sought to economize the whole of Paris into
brutal orthogonal structures in the hope of making it more useful for modern society, by using
organic forms and human dimensions as a real point of reference in his later work.
A Monument
Rita McBride thus underscores the ambivalence of Le Corbusier’s desire to erect a monument
to the donkey. Against this backdrop, the artist here does not just close a historical gap.
Her work Donkey’s Way constructs an arc reaching back to the medieval city, passing through
the totalities of a failed modernism and extending into the present, where the city’s users
and their complex relationships to one another have regained an elementary significance.
According to Susanne Titz, jury member and director of the Museum Abteiberg, “In her work,
McBride charts the paths of the city’s residents, neighbors, and other users. Her network
of lines connects the city’s many-layered and heterogeneous agents, be they a youth center,
retirement home, community college, museum, or Minto, and lets them meet on an equal
footing.” The donkey thus becomes a subtle symbol of practice-oriented intelligence, which
reacts to the respective context and conditions of life instead of rigorously attempting to
override them. It becomes the symbol of an open city, a city beginning, one that listens to its
citizens instead of blindly following rigid planning designs.
A Vertical Concert
Reflecting the significance of the residents and users of the city as an urban community, the
opening of the new Sonnenhausplatz became a large and communal urban festival. Drawing
on a suggestion by MAP, the Youth Symphony Orchestra of Mönchengladbach’s music
school held a “vertical concert”, under the direction of Christian Malescov, on the balconies
of the Sonnenhaus. Mönchengladbach’s office of culture organized various performances,
concerts, and poetry slams by local cultural producers throughout the square. The neighboring
cafés and agents provided guests with culinary delights, while the museum and the
community college invited the public to various talks and roundtable discussions. The entire
festival was made possible by the potential of the neighborhood.
Today, the square owes its success, including in its aesthetic design and social functions,
in no small measure to the cooperative work between the landscape architects lohrer.hochrein
and the artist Rita McBride, as well as the intensive collaboration between planning, art,
city administration, local politics, and local residents. It is used in a vital manner by the urban
community, which has adopted it as its new center. The project demonstrates how important
and productive early collaboration between all parts of the urban community is in the
process of producing a consolidating and lively urban environment.
Markus Ambach
1| Concept by realities:unitied, Tim and Jan Edler,
Berlin.
2| We are especially grateful for the efforts of
Mrs. Reydan Weiss, Mr. Roger Weiss, and Dr. Marion
Agthe, who initiated and implemented Unibail-
Rodamcos (then mfi) art program. They were
essential in the decision to fund an artwork at the
Sonnenhausplatz, while they also guided and
extensively supported the process.
3| Jury: Susanne Pfeffer (Fridericianum Kassel),
Prof. Dr. Walter Grasskamp (Kunstakademie
München), Prof. Thomas Locher (Kunstakademie
Kopenhagen), Susanne Titz (Museum Abteiberg),
Dr. Marion Agthe (mfi), Hans Wilhelm Reiners
(Mayor of the city of Mönchengladbach), Axel Lohrer
(Lohrer.hochrein Landscape Architects). Advisors:
Carsten Faust (Unibail-Rodamco, then mfi),
Herbert Pauls (CDU, North Borough Mayor),
Horst-Peter Vennen (SPD, Chairman of the Planning
and Construction Committee), Simone Huben
(JUKOMM / STEP), Dagobertus de Marie
(Department of Urban Planning, Mönchengladbach).
4| In response to the provocative expression of fears
that the donkey could become the symbol of the city,
the residents of Mönchengladbach reacted with
charming engagement and a sensible dose of humor.
Throughout the city, a heated discussion surrounding
the significance of the donkey took place. This, in
turn, was in no small way due to the prompt gesture
by the mayor, Hans Wilhelm Reiners, of having a
lapel pin delivered from Wesel, in a display of
sympathy with the work and the legendary animal.
Public evaluations by the citizens, as well as specialist
commentary from the Mönchengladbach zoo,
subsequently helped to dispel false beliefs about the
animal, making its practice-oriented intelligence
the focus of the various character studies instead.
5| Rita McBride, Mae West, 2011, Munich,
Effnerplatz.
6| Rita McBride, Proposal for Donkey’s Way, 2014.
261

262

KLEINE ESELEI
Walter Grasskamp
Einer islamischen Überlieferung zufolge kennt das Kamel als einziges Lebewesen den
hundertsten Namen Allahs, der den Menschen hingegen ein Geheimnis bleibt. Obwohl es
als Lastenträger und Reittier sowie als Milchlieferant von den Menschen instrumentalisiert
und sogar geschlachtet wird, um Fleisch, Haut und Haar zu verwerten, hat das Kamel
im Morgenland also ein kreatürliches Privileg – nämlich einen eigenen Zugang zu einem
Gott, der nicht nur einer der Menschen ist.
Im christlichen Abendland dient der Name dieses transzendental bevorzugten Tiers dagegen
als Schimpfwort und drückt Verachtung für Dummheit und Ungeschick aus. Das kann
nicht das Resultat einer eingehenden Beobachtung dieses geduldigen und empfindsamen Tiers
sein, das Wasserquellen über Meilen hinweg wittert und damit schon manche Karawane
vor dem Verdursten gerettet hat. Allenfalls provoziert es dadurch, dass es sehr herablassend
ausschaut, während es seine Nahrung zermahlt.
So kann die Rezeptionsgeschichte von Tieren, die seit Jahrtausenden unter dem Zugriff des
Menschen leben, in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich ausfallen und man
muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass der Mensch zu Vorurteilen, Projektionen und
Rassismus auch im Tierreich neigt.
Die Rolle als Schimpfwortgeber teilt das Kamel hierzulande mit dem Esel, der gern als Inbegriff
von Missgeschick und Unverstand herbeizitiert wird. Auch dieses Tier liefert für seinen
metaphorischen Missbrauch eigentlich keinen Grund, außer dass es sich bisweilen bockig zeigt
und Anweisungen des Menschen schlichtweg nicht befolgt.
Seine Qualitäten als Pfadfinder im unwegsamen Gelände als auch seine Genügsamkeit hätten
ihm eigentlich einen besseren Ruf einhandeln sollen als den der Begriffsstutzigkeit. Sein
sehr soziales Verhalten sowie die auf elegante Weise kopflastige Gestalt, die aparte Fellfarbe
und seine agilen Ohren sollten ihm auch ein höheres Ansehen einbringen, selbst wenn der
Mensch auf dieses Tier herabsehen kann, während er zum Pferd aufschauen muss.
Während die Ikonografie des Pferdes in der Bildwelt der von ihm besiedelten Länder von der
Würde und Größe dieses Tieres kündet, die sogar den Reiter so sehr aufwerten, dass er
besonders denkmalfähig wird, fällt die des Esels eher bescheiden aus. So kommt er in Ulrich
Raulffs dickem (und lesenswertem) Buch Das letzte Jahrhundert der Pferde kaum vor,
und selbst Jutta Persons schönes Gattungsporträt Esel fällt ausgesprochen schmal aus –
womit sich die kulturellen Größenunterschiede im Bücherregal noch drastischer abbilden
als die zoologischen.
Und so steht der Esel durchweg im Schatten des Pferdes, das in der Kulturgeschichte eine so
bedeutende Rolle gespielt hat, dass man rückblickend schon von einem „Pferdezeitalter“
(Reinhart Koselleck) gesprochen hat – ja von einem „kentaurischen Pakt“ (Ulrich Raulff), der
lange auch für die Geschichte des Krieges ausschlaggebend war. Den Esel konnte man zum
Zweck der kriegerischen Menschentötung freilich nur im Gebirge so richtig gebrauchen;
für die militärische Heroisierung war er jedenfalls ungeeignet. So ließ Napoleon sich für die
Erinnerung an seine Alpenüberquerung natürlich auf einem Pferd porträtieren. Geritten
ist er dabei allerdings auf einem halben Esel – einem Maultier.
263

264
Auch der Esel muss es ertragen, dass man auf ihm reitet. Doch sieht diese übergriffige
Nutzung durch den Menschen bei ihm noch unpassender aus als bei jedem anderen dafür
missbrauchten Tier. Die Überheblichkeit des Menschen, sich auf ein Tier zu setzen, wird
im disproportionalen Eselsritt geradezu skandalös greifbar, und man ist stets versucht, den
selbstzufriedenen Transportparasiten herunterzustoßen.
In Mönchengladbach stehen nun Eselskulpturen ohne Reiter herum – möglicherweise das
erste Denkmal, das schlicht und ergreifend allein diesem Tier gewidmet worden ist. Das
schließt freilich nicht aus, dass Kinder draufgesetzt werden wollen und möglicherweise auch
der eine oder andere Nachtschwärmer sich aufschwingt, der im nüchternen Zustand einst
Leserbriefe gegen die Aufstellung dieser Tiergruppe geplant hatte.
Ohne den bei Pferdedenkmälern üblichen Sockel stehen die Bronzeesel in einem Wegenetz,
für dessen Nutzung sie gleichsam als Motivatoren ausharren, um die verschiedenen
kulturellen Nutzungsebenen dieser Stadt anzudeuten. Dabei müssen sie den Ortsunkundigen
nicht als Reittiere dienen wie ihre lebenden Kollegen an mediterranen Touristenorten.
Doch hat der Esel nicht nur Menschen getragen, sondern beim legendären Einzug in Jerusalem
auch den Stifter der christlichen Religion: Jesus von Nazareth soll ihn als Reittier ausgewählt
haben, um Demut und Bescheidenheit zu signalisieren – möglicherweise nur ein weiteres
Missverständnis dieses als eigensinnig geltenden Tieres, das sich seinen Willen selbst durch
Prügel nicht abkaufen lässt.
Immerhin brachte ihm diese Bibelszene in zahlreichen Jerusalemsprozessionen des Mittelalters
eine ikonografische Starrolle ein, wo er als Reittier fungierte, nämlich als Holzfigur
auf einer Platte mit Rädern. So steht die bisweilen fast lebensgroße Abbildung noch heute in
manchem Museum. Sie bildet den denkbar größten Kontrast zu zahllosen Reiterdenkmälern
von Feldherren und Herrschern, die zur Feier von Kriegserfolgen errichtet wurden, die
nicht nur mit großen Verlusten an Menschen, sondern auch an Pferden (und Eseln) bezahlt
werden mussten.
Zusammen mit der Palme als Symbol des Friedens gilt die christliche Prozessionsfigur als
„Palmesel“, doch kann man auch die Palme missverstehen, denn in biblischen Zeiten galt sie
auch als Symbol des Sieges, weswegen der scheinbar bescheidene Einzug des Nazareners
in Jerusalem die Römer womöglich ein weiteres Mal provoziert hat.
Langfristig hätte der Ruf des Esels von dieser Szene freilich profitieren können, denn mögen
Pferde auch brutale Feldherren und rücksichtslose Fürsten, schöne Prinzessinnen und
stolze Kavaliere getragen haben, so war es doch ein Esel, der einen charismatischen Reiter auf
seinem Rücken trug, der als viel mehr galt – nämlich als Gottes Sohn. Welches Pferd kann
sich dessen schon rühmen?
Der Palmesel des Alten Testaments ruft in Erinnerung, dass dieses Tier auch im Neuen
Testament eine besondere Rolle spielt – zusammen mit einem anderen schimpfwortbelasteten
Tier: dem Ochsen. Der musste sogar die Demütigung einer Kastration über sich ergehen
lassen. Beide, Ochs und Esel, sind im Neuen Testament Zeugen der Geburt des Gottessohns
in einem Stall in Bethlehem, und das noch bevor die Hirten und später die Heiligen Drei
Könige hereingelassen werden, die – natürlich – auf Pferden herbeigeritten kamen.
„Wir sind schon längst da!“, hätten Ochs und Esel diesen Pferden zurufen können. Nicht
zuletzt waren sie im winterlichen Stall auch als Wärmespender für den Neugeborenen
überlebenswichtig – und zugleich hatten sie die Funktion von – erst viel später etablierten –
Taufpaten. In seinem zauberhaften Buch Kaspar, Melchior und Balthasar, von dem es
eine Kinderfassung und eine für Erwachsene gibt, lässt Michel Tournier das Weihnachtsgeschehen
daher gleich aus der Sicht des Esels erzählen – dem Zeugen eines letztlich
rätselhaften Vorgangs.
Wie dem Kamel im islamischen hat dem Esel im christlichen Kulturraum sein kreatürliches
Privileg der Nähe zu Gott allerdings nichts genutzt; er wurde weiterhin überlastet,
heruntergeritten, eingesperrt, beschimpft, verprügelt und geschlachtet. Menschen können
mit Tieren einfach nicht anständig umgehen.

A Little Bit of Asininity
According to an Islamic story, the camel is the only creature that knows the hundredth
name of Allah that remains a mystery to humankind. Even though in the East it is used as a
beast of burden, a mount, and a provider of milk, and although it is slaughtered for its
meat, skin, and hair, the camel also has a natural privilege – namely, private access to a god
that is not only the god of humans.
In the Christian West the name of this transcendental, favored animal is considered an insult
that expresses disrespect for stupidity and clumsiness. This cannot be attributable to actual
observations of this patient and sensitive animal, which can smell sources of water from
miles away and has thus saved many a caravan from dying of thirst. At most, it provokes this
notion only because it can look very condescending when chewing its cud.
Hence the stories of how animals that have been domesticated for thousands of years are
perceived in various cultures can be very different, and one must accustom oneself to the idea
that, even when it comes to animals, people also tend toward prejudices, projections, and
racism.
Here in the West, “donkey” or “ass” shares the distinction with “camel” of being designated
an insult, an emblem of silly mistakes and foolishness. There is also no real reason why
this animal should be metaphorically abused, apart from the fact that it can be obstinate at
times and refuses to follow directions from humans.
Its good traits, such as its ability to be easily contented, or to act as a pathfinder through
impassable territory, should actually have earned the donkey a better reputation than that of
being slow-witted. Its very social behavior and elegantly top-heavy figure, as well as the
distinctive colors of its fur and its agile ears, also ought to bring it more respect, even though
humans look down on this animal, while they have to look up to the horse.
Iconographic depictions of horses in the lands they inhabit tell of the dignity and grandeur of
this animal. The horse is thought to elevate the status of its rider so much that it has become
a favorite motif in monuments. In contrast, the iconography of the donkey is very humble. In
Ulrich Raulff’s thick (and highly readable) book Farewell to the Horse: The Final Century of
Our Relationship, the donkey barely makes an appearance, while Jutta Person’s beautiful portrait
of the donkey, Esel, turns out to be extremely slim – with the result that the cultural
differences in size are even more dramatic on the bookshelf than they are in zoology.
And thus the donkey certainly stands in the shadow of the horse. The latter has played such
an important role in the history of culture that, in retrospect, one can speak of the “age
of the horse” (Reinhart Koselleck), or even of a “centauric pact” (Ulrich Raulff) that was long
crucial to the history of war. Admittedly, the donkey could only really be used in mountain
warfare; it was not in any way suited to military heroics, which is why Napoleon had
himself portrayed mounted on horseback when commemorating his crossing of the Alps. In
fact, however, he rode across them on a half-breed donkey, a mule.
The donkey is also forced to tolerate being ridden. But this kind of over-exploitation is even
less appropriate for a donkey than it is for any other animal misused in this way. Man’s
arrogance in mounting an animal becomes practically scandalous when one witnesses the
disproportionate relative sizes of rider and mount, and one is always tempted to knock
the self-satisfied parasite from its means of transportation.
In Mönchengladbach the donkeys stand around without riders. It’s quite possible that they
comprise the first monument dedicated purely and touchingly to this animal per se. This
does not, however, preclude the likelihood that children will be set upon their backs, or that
one or two nocturnal revelers will swing themselves up onto them — people who, when
sober, once planned to write letters to the editor protesting the installation of this group of
animals.
Without the pedestal commonly used in horse monuments, the bronze donkeys stand in the
midst of a network of paths. Here, they are motivators, as it were, indicating the various
ways of enjoying the city’s culture; yet they are not obliged to serve as mounts for the locals
like their live comrades in Mediterranean tourist resorts.
265

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Not only has the donkey served as a mount for human beings, but, as a participant in the
legendary entry into Jerusalem, it was also one of the founders of the Christian religion: Jesus
of Nazareth was said to have chosen to ride on one in order to signal humility and modesty.
This may be just another misunderstanding of this supposedly headstrong animal whose will
cannot be bought, even with inhuman beatings.
However, this biblical scenario gave the donkey a solo role in the iconography of numerous
medieval depictions of the entry into Jerusalem. Here, it functioned as a mount, specifically,
as a wooden figure set on top of a board, frequently on wheels. Several museums today
still display these figures, some of which are almost life-sized. This image provides what is
conceivably the greatest contrast to the countless monuments of generals and rulers on
horseback erected to celebrate successes in war – successes that had to be paid for by the great
loss not just of human life but of equine life as well — both horse and donkey.
Together with the palm as the symbol of peace, the Christian processional figure is known
as the Palmesel, or “palm donkey.” But even the palm can be misunderstood, because in
biblical times it could also be seen as a symbol of victory, which is why the Nazarene’s seemingly
modest entry into Jerusalem must have provoked the Romans yet again.
Over the long term, the donkey’s reputation should have benefitted from this. Even though
horses carried brutal field marshals and inconsiderate princes, beautiful princesses and
proud cavaliers, a donkey bore a charismatic rider who was even greater — a man regarded
as the Son of God. What horse could have made this claim to fame?
The Palmesel of the Old Testament reminds us that this animal played a special role even in
the New Testament, along with another animal whose name is burdened with the reputation
of being an insult: the ox, which even had to undergo the humiliation of being castrated.
Both ox and donkey witnessed the birth of the Son of God in a stall in Bethlehem, even before
the shepherds were admitted, and way before the Three Wise Men — who, of course, rode
horses — gained access.
Both ox and donkey could have said to these horses, “We’re already here”. Because they provided
warmth, they were important for the survival of the newborn in the wintry stall, and at
the same time, they were something like the very first godparents. In his spellbinding book
Kaspar, Melchior und Balthasar, of which there is one version for children and one for adults,
Michel Tournier tells the Christmas story from the perspective of the donkey, witness to
an ultimately mysterious process.
Just like the camel in Islamic culture, the donkey in Christian culture has not been able to
take advantage of its natural privilege of being close to God – it continues to be overburdened,
ridden into the ground, locked up, berated, beaten, and slaughtered. People simply don’t
treat animals decently.

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268

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PERSPEKTIVEN
In Zukunft
Das Projekt Ein ahnungsloser Traum vom Park hat entsprechend
seiner unkonventionellen Entwicklungsstrategien zu unerwartet
komplexen Ergebnissen geführt. Gerade das situative Vorgehen
entlang der gegebenen Möglichkeiten, in enger Kooperation mit dem
Kontext und den städtischen Akteuren, weist Wege in die Zukunft.
Entgegen der auch aktuell wieder häufigen Kritik an der Partizipation
zeigt dies, dass solche Prozesse auf der Basis gegenseitiger Interessen,
mit der notwendigen Sorgfalt in der Durchführung, speziell
aber auch dem Einräumen realer Teilhabe an städtischen Planungsund
Entwicklungsprozessen ungeahnte Ergebnisse produzieren
können. Die Mönchengladbacher Innenstadt hat sich nicht nur im
kulturellen, sondern auch im soziopolitschen Sinne zu einem Ort
entwickelt, an dem die Stadt offen ihre Belange artikuliert, diskutiert
und Entscheidungen teilt.
Dabei halten auch Fachdiskurse ihre Qualität und Präzision. Gerade
im Bereich von Kunst im öffentlichen Raum bereichert das Projekt
das städtische Umfeld am Abteiberg mit einer komplexen Situation
künstlerischer Arbeiten mehrerer Generationen, die dem Gelände
heute eine subtile Choreografie geben und in die ganze Stadt weitergedacht
werden können. Kunst unterstreicht hier schließlich
nicht nur ihre kommunikativen Fähigkeiten, sondern auch ihr Vermögen
der Re- und Neuinterpretation vermeintlich schwieriger
städtischer Situationen. Sie qualifiziert sich damit als dauerhafter
Denkpartner in der Entwicklung neuer wie historischer urbaner
Zusammenhänge.
Dass weitere Ereignisse im Umfeld des Projekts anstehen, verweist
auf die Zukunftsfähigkeit der gegenwärtigen Strategien. Das
gemeinsame Nachdenken über die Gestaltung des Ensembles am
Abteiberg führt zu weiteren Aktivitäten – etwa der Drehung
der VHS hin zu ihren Nachbarn. Gleichzeitig bemüht sich die Stadt,
nach langer Zeit den von Hollein geplanten Hauptzugang zum
Museum herzustellen und damit die Dramaturgie des Gebäudes zu
vollenden. Dazu werden viele Arbeiten des Projekts von der
Bevölkerung aktiv weitergetragen, einige wurden dauerhaft installiert.
Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen, wie in Mönchengladbach
über die Kunst hinaus ein gesellschaftlicher Prozess angestoßen
wurde, der sich in das städtische Umfeld ausdehnt, sich verräumlicht
und nahezu selbstständig fortschreibt – ob bei aktuellen Planungsprozessen
oder in Zukunftsideen für Kunst im öffentlichen Raum. Das
Projekt wird so ungewollt und unverhofft zum ahnungslosen Traum
einer Stadt, die gemeinsam denkt und handelt – zum offenen
Prozess, der so lange nicht abgeschlossen ist, wie die Notwendigkeit
besteht, Stadt immer wieder neu zu denken.
In the future
The project An Innocent Dream of a Park followed unconventional
strategies, with unexpectedly complex results. Of these strategies, the
situational approach to the possibilities and opportunities at hand
– working in close cooperation with the context and urban actors –
showed ways into the future. Contrary to a commonly heard criticism
of participatory art, it shows that such processes can indeed be
based on mutual interests and lead to unimagined outcomes, so long
as they are implemented with enough care, but particularly if the
project allows for real participation in urban planning and development
processes. Mönchengladbach’s city center has become a place
where the city comes together to openly articulate, discuss and make
decisions not just on culture, but on socio-political issues too.
Meanwhile, the precision and high quality of specialist discourses
has been maintained, particularly in the realm of art in the public
space. Here the project has enriched the urban environment
near Abteiberg, creating a complex situation combining artistic works
by several generations. The terrain has now gained a subtle choreography,
with ideas that can potentially be carried over into the
entire city. The project does not just highlight the communicative
abilities of art, but also its capacity to reinterpret supposedly difficult
urban situations and even to provide new interpretations altogether.
Art can, in this sense, also be seen as a longterm partner in thinking
about the development of both new and historical urban contexts.
The fact that even more events are taking place in the context of the
project points to the future viability of these strategies. Collaborative
thinking about the design of the Abteiberg building ensemble is
leading to further activities, such as the city community college’s active
involvement with its neighbors. At the same time, after a long
hiatus, the city is taking steps to turn Hans Hollein’s planned main
entrance to the museum into a reality, thereby finally achieving
the intended dramaturgy of the building. In addition, many of the
works in the project are being actively taken forward by the population,
with several of them now permanently installed.
These are just a few examples of the kind of social process that is
happening in Mönchengladbach – a process that goes beyond art and
extends into the urban environment, takes up spaces and is almost
self-perpetuating – be it in current urban planning processes or in
forward-looking ideas about public artworks. In this way, the project
has unintentionally and quite unexpectedly become an innocent dream
of a city that thinks and acts together. What we find is an open
process that continues to rethink the city time and again – for as
long as it remains incomplete and there is a need to do so.
Markus Ambach / Susanne Titz
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IMPRESSUM
Publikation
Ein ahnungsloser Traum vom Park / Von den Strömen der Stadt
An Innocent Dream of a Park / On the Currents of the City
Diese Publikation erscheint anlässlich des Projekts Ein ahnungsloser Traum
vom Park im öffentlichen Raum des Mönchengladbacher Abteiberg seit 2012
und der Ausstellung Von den Strömen der Stadt im Museum Abteiberg
Mönchengladbach, 03. 07. bis 23. 10. 2016. / This catalogue is published on the
occasion of the project An Innocent Dream of a Park within the public space of
Abteiberg Mönchengladbach since 2012 and the exhibition On the Currents of
the City at Museum Abteiberg Mönchengladbach, July 3 – October 23, 2016.
© 2017 Künstler / artists, Museum Abteiberg, MAP Markus Ambach Projekte,
Autoren / authors, Fotografen / photographers und / and Verlag der
Buchhandlung Walther König, Köln
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017 für / for Larry Bell, Joseph Beuys, Thomas
Locher, Stephan Machac, Antje Majewski, Rita McBride, Ulrike Möschel,
François Morellet, Christian Odzuck, Thomas Rentmeister, Arne Schmitt,
Andreas Siekmann, Pola Sieverding, Ina Weber, Lawrence Weiner
Herausgeber / Editor: Museum Abteiberg / MAP Markus Ambach Projekte
Redaktion / Editing: Irina Weischedel, MAP
Gestaltung / Design: Melanie Sauermann, MAP
Lektorat / Copy-editing: Textschiff – Christina Bösel, Margaret May
Übersetzung / Translation: Good & Cheap Art Translators,
Amy Patton, Allison Moseley
Lithografie / Lithogaphy: Lösch MedienManufaktur
Druck / Print: gutenberg beuys feindruckerei
Erschienen im / Published by:
Verlag der Buchhandlung Walther König
Ehrenstr. 4, D-50672 Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek:
The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche
Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet
at http://dnb.d-nb.de.
Projekt / Project
Ein ahnungsloser Traum vom Park / An Innocent Dream of a Park
seit / since 2012
Konzept / Concept: Markus Ambach, Susanne Titz
Assistenz / Assistance: Irina Weischedel, Stephanie Regenbrecht
Aufbauleitung / Installation: Achim Hirdes, Florian Szibor,
Bianca Grieger, Jörn Kruse, Angelique Magiera, Frauke Merbecks,
Vanessa Nemitz, Michelle Perplies, Jörg Schlürscheid,
Yannik Weymar, Andrea Wollcott, Lars Wolter
Technische Beratung / Technical Advice: Dr. Paul Meer
Produktion Donkey’s Way: Hildegard und Jürgen Findeisen,
Justin Sebastian, Kristina Stoyanova, Christian Theiß
Förderer / Supporters:
Kunststiftung NRW
Hans Fries-Stiftung
Museumsverein Mönchengladbach
mfi Management für Immobilien / Unibail-Rodamco
Minto
Stadtsparkasse Mönchengladbach
Ernst Kreuder GmbH & Co. KG
Ausstellung / Exhibition
Von den Strömen der Stadt / On the Currents of the City
3. Juli – 23. Oktober 2016
Konzept / Concept: Markus Ambach, Susanne Titz
Assistenz / Assistance: Irina Weischedel, MAP
Aufbauleitung / Installation: Achim Hirdes (Leitung / head),
Bianca Grüger, Jörn Kruse, Florian Szibor, Lars Wolter
Förderer / Supporters:
Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes
Nordrhein-Westfalen
Kunststiftung NRW
Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia
Hans Fries-Stiftung
Printed in Germany
Vertrieb / Distribution:
Germany, Austria, Switzerland / Europe
Buchhandlung Walther König
Ehrenstr. 4, D - 50672 Köln
Tel: +49 (0) 221 / 20 59 6 53 / verlag@buchhandlung-walther-koenig.de
UK & Ireland
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Tel: +44 (0) 161 212 3466 / publications@cornerhouse.org
Outside Europe
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Tel: +1 (0) 212 627 1999 / eleshowitz@dapinc.com
ISBN 978-3-96098-169-5
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Abbildungen / Pictures
Umschlag vorne: Lucas Zimmermann
Umschlag hinten: Markus Ambach
Markus Ambach: S. 3, 6–17, 18, 19-83, 84, 85, 90, 92–95, 102–128, 134 / 135,
142, 143, 155, 160–163, 182 / 183, 185, 189, 210, 217 / 218, 220, 228, 233, 235,
237–239, 245, 248, 257, 260, 265–269
Archiv Museum Abteiberg / Stadt Mönchengladbach: S. 5
BIGALKE / Kunstgeschwister: S. 90
Henning Fehr: S. 164 / 165
Isabella Fürnkäs / Lukas von der Gracht: S. 192
Stefanie Genenger: S. 85
Katja Illner: S. 141 / 142, 177, 184, 186 / 187, 199, 204, 248, 253, 254 / 255, 256 / 257
Taisiya Ivanova: S. 178
Felix Kalmenson: S. 230
Moritz Krauth: S. 193
Achim Kukulis: S. 144 / 145, 147, 148 / 149, 156 / 157, 158 / 159, 167, 169, 171,
181, 184, 191, 197, 203, 204, 207–209, 211, 216, 221, 223, 229, 231, 234, 240
Sofia Mello: S. 18, 170
Klaus Mettig: S. 153
Christian Odzuck: S. 86–91
Anne Pöhlmann: S. 242 / 243, 246 / 247, 248, 250 / 251
Uwe Riedel: S. 96–100
Kai Schmidt: S. 143
Fari Shams: S. 226 / 227
Rosa Sijben: S. 172 / 173
Britta Thie: S. 188
Alex Wissel / Jan Bonny: S. 198, 200 / 201
Matthias Wollgast: S. 222, 224 / 225
Lucas Zimmermann: S. 130 / 131
Museum Abteiberg
Abteistraße 27, D-41061 Mönchengladbach
www.museum-abteiberg.de
mail@museum-abteiberg.de
Direktion / Artistic Director: Susanne Titz
Oberkustodin, stellv. Leitung / Senior Curator, Associate Director:
Dr. Hannelore Kersting
Verwaltung / Administration: Christian Spormann, Stefanie Genenger,
Susanne Jez
PR und Pädagogik: Uwe Riedel
Restaurierung / Conservation: Christine Adolphs, Anika Schmidt
Ausstellungstechnik / Installation: Achim Hirdes (Leitung / head),
Bianca Grüger, Jörn Kruse, Florian Szibor, Lars Wolter
Haustechnik / Technical Installation: Paul Bartholdy, Günther Eßer
Vermittlung / Educational Program: Ulrike Engelke, Astrid Opitz,
Silke Schönfeld, Anke Michels, Daniel Thevissen
Bibliothek / Library: Joëlle Gronen
Aufsicht / Museum Custodians: Alexandra Schwarz (Leitung / head),
Alexa Eimler, Diley Gökpinar, Martina Hörner, Natalie Hofmann,
Claudia Jäger, Ralf Jungwirth, Tobias Koch, Nele Kosten, Udo Kranen,
Maria Mühlenberg, Klaus Naber, Renate Nehlen, Zacharias Pernik,
Andrea Pesch, Valentina Reich, Gabriele Roemer, Petra Schäfer,
Simone Schäfer, Sigrid Scholz, Angelika Schwarz, Wolfgang Sombert,
Marianne Tappert, Silvia Weiskes, Petra Wittka
MAP Markus Ambach Projekte
Harkortstr. 7
D-40210 Düsseldorf
www.markusambachprojekte.de
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Direktion / Artistic Director: Markus Ambach
Projektmanagement / Project Management: Irina Weischedel
Gestaltung / Design: Melanie Sauermann
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DANK / THANKS
Dr. Marion Agthe, Ralf Bender, BergGartenOase / Transition Town
Initiative MG, die Bewohner des Sonnenhauses, Dr. Gregor Bonin,
Egon Bönnen, Paul Brickwedde, Comet Cine-Center, Niels Coppens,
Hanna von Dahlen, Norbert von Dahlen, Dr. Albert Damblon,
Taco De Marie, Dr. Thomas Erler, Dr. Katrin Ernst, exact-eventtechnik
Ingo Schnichels, Carsten Faust, Hildegard und Jürgen Findeisen,
Dr. Gert Fischer, Pawel Freisler, Heiner Frohn Anwendungstechnik,
Fundacja Transformacja, Frank Füser, die Grundstückseigentümer
an der Abteistraße, Gründerzeitviertel-Initiative, Gabriele Gleitzmann,
Albrecht Graefer, Monika Gschaider, Hans Jonas-Gesellschaft,
Dr. Thomas Hoeps, Café Hoffmanns, Christine Hofmann, Simone
Houben, Tobias Hüsgen, Initiative Gründerzeitviertel / Margarethengarten,
Initiative Masterplan 3.0, Johannes Jansen, M. Jörres,
Jugendsinfonieorchester der Musikschule Mönchengladbach, Ralf
Jüngermann, Kempen Krause Hartmann Ingenieurgesellschaft mbH,
Anne-Mie Van Kerckhoven, Johannes Kleef, Dr. Barbara Könches,
Dr. Christian Krausch, Norbert Krause, Ralf Krücken, Dr. Doris Krystof,
Kulturausschuss und Bauausschuss der Stadt Mönchengladbach,
Die Kunstmacher Stephan Marienfeld, Manuel Lederer,
Horst Lieutenant, Johann Loers GmbH, mags AöR, Prof. Dr. Michael
Loschelder, Christian Malescov, Baumschule Morjan Erkelenz,
Moshi Bar, Muzeum Stzuki Łódź, Horst Müßeler Sanitärtechnik,
NABU Mönchengladbach, NEW Netz AG, Pfarre St. Vitus,
Prinzen Werbetechnik, Firma Rademakers GbR, Hans Wilhelm Reiners,
Firma Schiefer & Ercklentz, Dr. Margrethe und Andreas Schmeer,
Inge Schnettler, Sascha Segner, Dr. Ralf Seidel, Kristina Stoyanova,
Weinhaus Straeten, Wissenschaftlicher Verein Mönchengladbach,
Stahlbau Wolters GmbH, Firma Stephan Metalldesign,
Swapnaa Tamhane, Eugen Viehof, Reydan und Roger Weiss,
Dr. Karlheinz Wiegmann
die ehrenamtlich mitwirkenden Jugendlichen des JUKOMM
Jugendzentrums im STEP und des Stiftischen Humanistischen
Gymnasiums
die vielen weiteren mitwirkenden Kolleginnen und Kollegen der
Stadtverwaltung Mönchengladbach, insbesondere im Grünflächenamt,
Amt für Straßenbau und dem Gebäudemanagement, Ordnungsamt,
in der Sozialholding der Stadt, im JUKOMM Jugendzentrum im
STEP, im Stiftisch-Humanistischen Gymnasium, der VHS, der
Musikschule und der Hauptwache der Polizei.
Alle Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker,
Autorinnen und Autoren, Referentinnen und Referenten.

Ein ahnungsloser Traum vom Park / Von den Strömen der Stadt
Museum Abteiberg, Skulpturengarten, Hans-Jonas-
Park und die Mönchengladbacher Innenstadt
– Nachbarn, die nahezu unerkannt nebeneinander
liegen. Das Projekt Ein ahnungsloser Traum
vom Park sucht mit Kunst im öffentlichen Raum,
planerischen Initiativen und der Stadtgesellschaft
nach einer gemeinsamen Zukunft für diese
Orte. Seit 2012 verknüpft es den Mönchengladbacher
Abteiberg in verschiedenen Phasen immer mehr
zu einem großen städtischen Ensemble. Gleichzeitig
diskutiert es im Ausstellungsprojekt Von den
Strömen der Stadt den aktuellen Zustand von Öffentlichkeit
im musealen Kontext.
An Innocent Dream of a Park / On the Currents of the City
Museum Abteiberg, the Sculpture Garden, Hans-
Jonas-Park and Mönchengladbach’s city center –
neighbors located side-by-side, nearly oblivious to
one another. The project An Innocent Dream of a
Park works with art in public space, planning initiatives
and urban society to seek a common future
for these places. Developing in phases since 2012, it
has linked Abteiberg more closely with the surrounding
city of Mönchengladbach, creating a large,
urban ensemble in the process. Another manifestation
included the concurrently-held exhibition On the
Currents of the City, which looked at what “the public”
means today in the museum context.
VERLAG DER BUCHHANDLUNG WALTHER KÖNIG, KÖLN