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Alfred Meyerhuber
Diligentia, die Achtsamkeit
PORTUS
DER ORT
Ein Haus? Ist es ein Haus? Eine Behausung? Ein Tempel, gar?
Wenn ja, von wem wird es behaust, bewohnt, wird es beseelt?
Dieses Gebilde, diese architektonische Form, im wahren Sinne des
Wortes, gibt Rätsel auf.
Die alten Griechen (die Griechinnen auch, diese jedoch alterslos!)
nannten ihn „archein“, den Ersten, den Gebietenden, den Herrschenden,
den „tekton“, den mit hartem Material arbeitenden Handwerker.
Und die griechische „architektonia“, die lateinische „architectura“
benennt damit das mit den Händen gebaute, aus einer ästhetischen
Auseinandersetzung des Menschen mit dem Raum entstandene Werk.
Marcus Vitruvius Pollio, besser bekannt als Vitruv, sprach von der
Architektur als der „Mutter aller Künste“ und forderte bereits im
ersten seiner „Zehn Bücher über Architektur“, vor mehr als zweitausend
Jahren, für Gebäulichkeiten aller Art Festigkeit (firmitas),
Nützlichkeit (utilitas) und Schönheit (venustas), die im Einklang und
Gleichklang miteinander stehen mussten und müssen.
Als weitere Grundbedingungen für ein vollendetes Bauwerk müssen
nach Vitruv erfüllt sein: ordinatio, eurythmia, symmetria, decor,
distributio.
Legen wir die Maßstäbe an!
Achtsamkeit, Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Genauigkeit, Gründlichkeit
nennt das lateinische Wörterbuch als deutsche Bedeutungen für
diligentia.
Vitruv führt die diligentia nicht als eigene Kategorie an, wie es hier
geschieht, jedoch sind alle seine Postulate gleichsam auf dem Fundament
der Achtsamkeit errichtet.
Das Gebäude aber und „sein“ Grundstück in Weidelbach müssen genau
und gründlich in Augenschein genommen werden, um zu verstehen,
mit welch großer Sorgfalt den Gegebenheiten des Ortes Aufmerksamkeit
geschenkt wurde: diligentia!
DAS GRUNDSTÜCK
Das Grundstück hat die Form eines Kuhhornes. Ja, in der Tat!
An der Spitze des Hornes ist es wenige Meter breit, begreiflicherweise,
um an der Hornwurzel sich auf etwa fünfzehn Meter zu verbreitern.
Von zwei Straßen ist es begrenzt, die am Stoßpunkt des Hornes konkav-konvex
ineinander münden. Eine Gesamtfläche von annähernd
sechshundertsechsundsechzig Quadratmetern umspannend. Sechshundertsechsundsechzig,
eine biblische Zahl!
Die obere Straße, der konkave Hornschwung liegt einige Meter höher
als die konvexe Schwester. Der dadurch gebildete Hang nimmt
die Hälfte des Horngrundstückes ein.
An der breitesten Stelle dieses Abhanges stehen zwei mächtige,
alte Bäume, eine Kastanie und eine Eiche, die, eine blanke Selbstverständlichkeit
für den Planer, den Architekten, erhalten werden
mussten und durch die Baumaßnahme keinesfalls negativ beeinflusst
werden durften.
Wenige Schritte nebenan, steht eine walmbedachte Mühle, das Ziegeldach
reckt sich so hoch in die Lüfte, dass es das Maß des zweigeschossigen
Mauerwerkes erreicht.
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