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Information »Silence at 39 Degrees«

Dilek Güngör: »Silence at 39 Degrees« Information in English and German Translated by Anna Galt

Dilek Güngör: »Silence at 39 Degrees«
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Die Erzählung »Schweigen bei <strong>39</strong> Grad« von Dilek Güngör greift eines der extremen<br />

Hitzeereignisse der letzten Jahre in Deutschland auf und geht im Mikrokosmos einer<br />

Familie den möglichen Verflechtungen von Mensch und Klima nach.<br />

Wie eine Klammer verbindet die Hitze die Räume der Erzählung: einen Garten in<br />

Deutschland und einen Ort in der Türkei, an dem der V<strong>at</strong>er der Erzählerin aufgewachsen<br />

ist. Ob die Hitze den V<strong>at</strong>er an die Türkei erinnert, ob er die Hitze sogar braucht, um<br />

sich überhaupt wohl zu fühlen, ob ihm Nähe und Wärme fehlen, all das will die Tochter<br />

von ihrem V<strong>at</strong>er wissen; doch die Fragen gelangen nicht zur Sprache. Das Schweigen<br />

zwischen ihnen dauert an, es scheint in der Hitze regelrecht zu vibrieren. Und doch mag<br />

es vielleicht kein verbittertes Schweigen sein, eher ein hilfloses, tastendes. „Wir haben<br />

geschwiegen und uns wortlos weiter liebgehabt“, schreibt die Erzählerin.<br />

Mit der Hitze verbinden sich in der Erzählung Fragen nach Nähe und Fremdheit. Kann<br />

sie den V<strong>at</strong>er dem Ort seiner Kindheit näherbringen, den er einst verlassen h<strong>at</strong>? Kann<br />

sie der Tochter einen Zugang zur Vergangenheit des V<strong>at</strong>ers eröffnen? Und kann die<br />

Hitze vielleicht sogar Menschen verändern, so wie die Erzählerin als Kind dachte: dass<br />

in einem kalten Land wie Deutschland auch die Menschen kalt seien und umgekehrt?<br />

Mit lautem Gepolter pl<strong>at</strong>zt der Nachbar in die nachmittägliche Ruhe des Gartens. „Ihr<br />

könnt diese Hitze ja ab. Aber unsereins geht dabei fast drauf.“ Euereins und unsereins<br />

– als hätte die als ungewohnt wahrgenommene Hitze nur die herbeifantasierte Kluft zwischen<br />

dem Fremden und Eigenen vertieft, die auch sechzig Jahre nach Ankunft der<br />

ersten ›Gastarbeiter‹ aus der Türkei noch durch das Bewusstsein des Nachbarn geistert.<br />

Der Nachbar stellt sich damit in die Tradition der seit der Antike kulturchauvinistisch<br />

argumentierenden ›Klim<strong>at</strong>ologie‹, die eine Determin<strong>at</strong>ion von Kulturen durch das Klima<br />

zu begründen versucht und eine in einer gemäßigten Zone angesiedelte Kultur als überlegene<br />

konstruiert (Hamel 2017, 421). Dabei verorten sich die Autoren jeweils selbst<br />

in der klim<strong>at</strong>ischen Mitte und suchen ihre eigene geographischen Position als Ausweis<br />

kultureller Überlegenheit zu deuten (Hamel 2017, 421). Die ›Klim<strong>at</strong>ologie‹ war damit<br />

ein zentraler Teil eurozentrischer Machtdiskurse. Diese Konzeption wurde von Johann<br />

Gottfried Herder in Teilen zugunsten einer wechselseitigen Beeinflussung von Mensch

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