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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

www.dasbiber.at

MIT SCHARF

NEWCOMER

SCHOOL

EDITION

JUNI 2020

+

ANSCHOBER IN

ZAHLEN

+

SCHMUSEN IN

QUARANTÄNE

+

#PRAYATHOME

+

BURN-OUT

MIT 16

NEHMT UNS

ENDLICH

ERNST!


Die Corona-

Checkliste

für unseren Weg

zurück!

Wenn ich mich krank fühle und diese Symptome

habe, rufe ich sofort meinen Hausarzt an oder wähle

die Nummer 1450:

1 Husten

2 Kurzatmigkeit

3 Halsschmerzen

4

5

Entzündung der

oberen Atemwege

plötzlicher Verlust des Geruchsbzw.

Geschmackssinns

! Egal ob mit oder ohne Fieber!

Mehr Informationen auf

oesterreich.gv.at #schauaufdich


3

minuten

mit

TikTok-Star

Stojo

Der 21-jährige Stefan

Stojanović begeistert die

Wiener Balkan-Community

mit klischeehaften Muttersöhnchen-Videos

auf Tik-

Tok. Warum er sich nicht

mehr in die Lugner City traut

und was seine serbischen

Verwandten zu seinen Tik-

Toks sagen, erzählt er uns im

3-Min-Interview.

Von Emily Zens und

Magdalena Zimmermann

Foto: Zoe Opratko

BIBER: Du hast auf TikTok rund

100.000 Follower. Wirst du auf der

Straße erkannt?

STEFAN STOJANOVIĆ: Jedes Mal,

wenn ich in Wien rausgehe, erkennt

mich jemand. In Wien-Favoriten hat

sich schnell mal ein Kreis von über 20

Personen um mich gebildet und alle

wollten Fotos mit mir machen. Das war

Katastrophe (lacht). Dann war ich mal

mit meiner Mutter in der Lugner-City

unterwegs. Nach unserem Besuch

fragte sie mich verwundert, woher ich

so viele Freunde habe.

Apropos deine Mutter: Wie reagiert

sie auf deine Videos, in denen du sie

nachmachst?

Ihre Kolleginnen von der Arbeit schwärmen

von mir und zeigen ihr die Videos.

Manchmal schimpft sie mit mir aus

Spaß.

Kannst du von deiner Tätigkeit als TikToker

leben?

Ich habe einen ganz normalen Beruf

und drehe Videos nur nebenbei. TikTok-

Videos sind erst der Anfang, die mache

ich, um eine größere Reichweite zu

bekommen. Bald möchte ich anfangen,

YouTube-Videos zu drehen. Der Spaß

steht für mich im Vordergrund. Das

Geld kommt dann von allein.

Hast du Tipps für angehende TikTok-

Stars?

Man braucht den Ehrgeiz, jeden Tag

Videos zu posten und dabei eine

gewisse Qualität zu wahren. Das hilft

dabei, Follower auf Augenhöhe anzusprechen

und langfristig an sich zu

binden.

Kennen deine Verwandten in Serbien

deine TikToks?

Mein Cousin hat sie zufällig auf seiner

Jeder Jugo-Junge

kennt das. Die Mutter

ist immer da: Stefan

(links) und seine

Mutter, gespielt von

Stefan, (rechts)

Startseite vorgeschlagen bekommen. Er

hat mich sofort angerufen und hat sich

irre gefreut für mich.

Wie wirst du den Corona-Sommer

verbringen?

Da ich gerade den Zivildienst leiste,

werde ich in Wien bleiben müssen. In

meiner Freizeit werde ich, so oft es

geht, kicken gehen.

WER IST ER?

Name: Stefan Stojanović; TikTok: stojo_official

Alter: 21

Lieblingsverein: Roter Stern Belgrad

Besonderes: Erreichte mit seinem

ersten TikTok knapp vier Millionen

Klicks

/ 3 MINUTEN / 3


Liebe LeserInnen,

Sie saugen Staub, erledigen die Einkäufe, telefonieren mit dem Steuerberater

und lernen mit den Jüngsten der Familie. Die Rede ist nicht von erschöpften

Eltern. Die Rede ist von Schülerinnen und Schülern. Ach ja, nebenbei machen

sie noch Matura. Wenn wir Jugendlichen dieser Tage eines wünschen sollten,

dann wäre das schnödes Faulenzen. Aber viele Teenager wissen gar nicht

mehr, was Langeweile und Pausen überhaupt sind. Dabei ist „einfach mal

nichts tun“ so gesund, gerade in Zeiten von „Corona“.

Ungesund ist nämlich das Burn-out mit 16 Jahren – und jünger. Durch

schulischen Druck, ehrgeizige Eltern und das Gefühl, selbst nie gut genug zu

sein - ob in der Schule oder auf Instagram. Überall geht immer noch mehr. Die

Cover-Geschichte thematisiert, wie psychische Erschöpfungskrankheiten

längst in Österreichs Klassenzimmern angekommen sind, wie Corona die Lage

verschärft und warum mehr Kassenplätze für eine Therapie so wichtig sind. Ab

Seite 16

„Ich bin kein Roboter. Ich

bin keine Maschine. Ich habe

Gefühle und ich habe nur eine

gewisse Energie.“ Das schreibt

der 15 jährige Tobi in seinem

Blog auf Seite 15. Er wünscht

sich, dass die ältere Generation

sich einmal in Schüler wie ihn

hineinversetzt. Ich wünsche

das mit ihm. Denn manche

Jugendliche werden erst ernstgenommen,

wenn das Burnout

diagnostiziert wurde.

Delna Antia-Tatić “

Chefredakteurin

Mit Burn-out kennt auch er sich aus. Da war er allerdings rund 50 Jahre.

Rudolf Anschober, Österreichs Gesundheitsminister, erzählt im Interview

in Zahlen, wie viele Masken er zu Hause hat, wie viele Bekannte von ihm

gestorben sind und vor wie vielen Tagen er das letzte Mal geweint hat. Seite 22

Dass auch Home-Schooling zum Heulen bringt – vor allem Eltern – lesen wir

wöchentlich. Aber wie es den Schülerinnen und Schülern mit dem digitalen

Lernen ergangen ist – darüber herrscht Schweigen. Die E-Newcomer-

Redaktion verschafft Einblicke aus erster Hand. Denn statt wie „früher“

biber-Projektwochen in den Schulklassen zu veranstalten – von März bis Mai

war ja nix mit Schule – hat biber kurzerhand eine digitale Schüler-Redaktion

ins Leben gerufen. Via Zoom trafen wir uns einmal wöchentlich mit 12 bis

20-Jährigen zu Online-Redaktionssitzungen. Das Ergebnis sind eigens

verfasste Blogs darüber, wie die Quarantänezeit für sie war und wie ihnen ihre

Eltern auf die Nerven gingen. Und ein Artikel über die „Corona-Matura“ – die

zwar schlank sein mag, aber trotzdem nicht geschenkt ist, bitteschön! Seite 38

Dass bei all der Belastung auch mal Erleichterung nötig ist – in Form von

Liebe, Sex und Zärtlichkeiten – ist also nur verständlich. Die „Under Cover“-

Reportage „Wir schlichen uns heimlich raus“ erzählt, wie Romantik in der

Quarantäne gehandhabt wurde.

In diesem Sinn, kein Stress! Chillt euch hin, lest diese Ausgabe und nehmt

euch viel Zeit fürs Küssen!

Bussi

Die Redaktion

Marko Mestrović

4 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,

1070 Wien

HERAUSGEBER

Simon Kravagna

CHEFREDAKTEURIN:

Delna Antia-Tatić

STV. CHEFREDAKTEUR:

Amar Rajković

CHEFiN VOM DIENST:

Aleksandra Tulej

LEITUNG NEWCOMER:

Aleksandra Tulej & Amar Rajković

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Todor Ovtcharov, Jad Turjman

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Andrea Grman, Franziska

Liehl, Anna Jandrisevits, Magdalena Zimmermann, Emily

Zens

CONTENT CREATION, CAMPAIGN

MANAGEMENT & SOCIAL MEDIA

Aida Durić

BRANDED CONTENT & DIGITAL CONSULTING:

Timea Zawodsky

CORPORATE SOCIAL INNOVATION:

Andrea Grman (karenziert)

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

REDAKTIONSHUND:

Casper

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4,

1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at

marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at

WEBSITE: www.dasbiber.at

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

LEKTORAT: Birgit Hohlbrugger

Die f

leischlo

s e Kolumne von Zina Sayed

BEZAHLTE ANZEIGE

Schöner als Döner

Salome Dorner

BROWNIES FÜR

NICHT-BÄCKER

Maximaler Geschmack, aber minimale Kalorien (und Aufwand)

- das ist eines meiner Lieblingsmottos beim Kochen.

Diesmal habe ich für Naschkatzen, Fitnessfreaks und Backfaule

gleichermaßen das ideale Rezept: Low-Carb-Brownies.

Ja, ich meine richtig low-carb. Kein Mehl, kein Zucker. Aber

dafür eine Geheimzutat, die das alles möglich macht: S-Budget

Rote Kidneybohnen, aus der Dose! Da schlägt auch das

Studentenherz bei Spar Gourmet höher. Zudem noch: Drei

Eier, etwas Kochschokolade, etwas Kakaopulver und optional

Backpulver für Fluffigkeit – und einen Pürierstab. Die Kidneybohnen

abtropfen lassen und in einer Schüssel mit den Eiern

und den restlichen Zutaten vermengen und mit dem Pürierstab

zu einer glatten Masse machen. Die Kochschokolade am

besten in der Mikrowelle schmelzen, bevor man sie in den

Teig gibt. Den Bohnengeschmack wird man mit etwa einer

Handvoll Schokolade komplett los. Das Ganze dann in einem

Blech auf Urlaub in den 180°C heißen Ofen geschickt. Die

Brownies sind durch, wenn die Mitte des Blechs nicht mehr

weich ist. Voilà – fertig sind die kalorienarmen Leckerbissen.

Unkomplizierter und gesünder geht’s wirklich nicht.

Gutes Gelingen!

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Zweitprüfung im

2. HJ 2018:

Druckauflage 85.000 Stück

verbreitete Auflage 80.700 Stück

DRUCK: Druckerei Berger

Präsentiert von


3 3 MINUTEN MIT

TIKTOK-STAR STOJO

Stefan Stojanović im Schnellinterview.

8 WAS UNS BEWEGT

Capital Bra hat jetzt eine eigene Pizza und

Loredana wird vielleicht abgeschoben.

12 IVANAS WELT

Dieses Jahr ist Heimaturlaub statt Runterfahren

ins Jugodorf angesagt.

14 DIE NEWCOMER-REDAKTION

STELLT SICH VOR

Wir präsentieren euch unsere online

Newcomer-Redaktion!

POLITIKA

16 BURNOUT MIT 16

SchülerInnen sind überfordert und haben mit

ständigem Leistungsdruck zu kämpfen.

22 DER GESUNDHEITS-

MINISTER IN ZAHLEN

Biber fragt in Worten, Rudolf Anschober

antwortet in Zahlen.

24 WERBT DOCH UM DIE

MIGRANTEN!

Chefredakteurin Delna Antia-Tatić ermutigt

die Tourismuswirtschaft dazu, doch mehr um

Österreichs Migranten zu werben.

26 #PRAYATHOME

Wiens Moscheen gehen während Corona online.

30 KATHRIN GAÁL IM

INTERVIEW

Die Wohnbaustadträtin über baumlose Straßen

in der grünsten Stadt der Welt.

RAMBAZAMBA

32 „SINE, ÜBERSETZ MIR DAS.“

Migrantenkinder sind mit ihren Dolmetschfähigkeiten

die unsichtbaren Stützen des Systems.

38 DER CORONA-JAHRGANG

Darüber, wie sich die „verschlankte“ Matura

wirklich anfühlt.

44 DAS HOHE ROSS DER

WOKEN BUBBLE.

Die Diskussion rund um political correctness

findet in einer elitären Bubble statt.

16

NEHMT UNS

ENDLICH ERNST!

Stress, Depressionen

und Angststörungen.

Immer mehr

Jugendliche

sind dem Druck

von außen nicht

gewachsen.

54

„ICH BIN KEIN OPFER, UND

AUCH KEIN TÄTER!“

Der ÖIF und Biber zeigten, wie

Gewaltprävention an Schulen

aussehen soll.

IN

6 / MIT SCHARF /


22

„HERR ANSCHOBER, MIT WIE VIELEN

VIROLOGEN SIND SIE PER DU?“

Gesundheitsminister Rudolf Anschober im

Interview in Zahlen.

HALT JUNI

2020

48

SEX UND

DATING TROTZ

CORONA

Auf Abstand kann

man sich nicht

näherkommen.

Wie Verlangen

und Vernunft sich

duellieren.

© Tina Herzl, Soza Jan, Zoe Opratko, Linda Steiner. Cover: Tina Herzl

48 „ICH HABE MICH

NACHTS EINFACH

RAUSGESCHLICHEN.“

Über Quarantäne-Sex und Dating auf Abstand.

54 „ICH BIN KEIN OPFER,

UND AUCH KEIN TÄTER!“

Biber hat gemeinsam mit dem ÖIF Workshops zu

Gewaltprävention an Schulen veranstaltet.

LIFE & STYLE

60 REISST EUCH ZAM.

Über Ziegenmlich, Tumblr und nicht über

Bananenbrot.

KARRIERE

64 KARRIERE & KOHLE

Über Produktivitätsstress in der Selbstisolation

66 „MATHE WAR MEIN

ABSOLUTES HASSFACH.“

Karim Saad hat eine Mathe-App für Schülerinnen

und Schüler entwickelt.

68 BIBER SAGT „DANKE!“

Unser Dankeschön an alle Partnerinnen und

Partner der Newcomer-Schülerredaktion.

TECHNIK

70 DATENSCHUTZ-

DILETTANTEN

Adam Bezeczky warnt vor der Scheindiskussion

über den Datenschutz in der „Stopp-Corona“-App.

KULTUR

72 KULTURA NEWS

Nada El-Azar hat Tipps für den allmählich

erwachenden Kulturbetrieb zusammengestellt.

REISE

74 TRIP&TRAVEL

Reisekolumnistin Andrea Grman macht Strand-

Office statt Home-Office in Trinidad und Tobago.

74 MEIN ÖSTERREICH

25 Menschen über das, was Österreich für sie

ausmacht.

90 TODOR

Donald Trumps Haare und gefährliche Scherze.

/ MIT SCHARF / 7


AS UNS

Von Magdalena Zimmermann und Emily Zens

Farid Bang

hat jetzt eine

Casting-Show

auf Instagram

HABT IHR SCHON VON

KIM PETRAS GEHÖRT?

Die deutsche Künstlerin Kim Petras lebt

seit Kurzem in den USA. Dass sie dort voll

durchstartet, beweist sie nun auch in ihrem

Musikvideo zu ihrem Song „Malibu“. Darin

sind zahlreiche Home-Videos von den

unterschiedlichsten Mega-Stars zu sehen.

Von Demi Lovato über Paris Hilton bis hin

zu Jessie J. Mit den Stars feiert Kim auf

Distanz quasi eine Online-Pool-Party, bei

der jeder dabei sein kann. Das feiern wir!

Schwere Zeiten für den Deutschrap. Da alle größeren

Veranstaltungen wie Konzerte oder Festivals in absehbarer

Zukunft nicht stattfinden werden, müssen Künstler anders

kreativ werden, um relevant zu bleiben. Deutschrap-King

Farid Bang hat dafür eine Lösung parat: Er hostet seine

eigene Casting-Show. Die nennt sich „DasInsTalent“. Im

Rahmen der Show finden täglich Rapsessions live auf

Farids Instagramseite „faridbangbang“ statt. Danach entscheidet

der „Banger“ dann persönlich, wer in die nächste

Runde kommen soll, denn nur die Besten der Besten sollen

es weiterschaffen. Was die talentierten Nachwuchsrapper

dabei gewinnen können, ist noch eine Überraschung. Ein

Plattenvertrag bei seinem Label „Banger Musik“ ist es

jedenfalls nicht. Farid Bang entschied sich gegen einen

Platz in der DSDS-Jury und geht nun seinen eigenen Weg

mit der neuen Instagram-Live-Show. Ist das wirklich einen

Klick wert? Stay tuned.

8 / MIT SCHARF /


BEWEGT

CAPIS PIZZA, BRA!

Doug Peters / EMPICS / picturedesk.com,, instagram.com/faridbangbang, Gangstarella/Capital Bra, Ben Hider / AP / picturedesk.com, Pamstrong

Capital Bra bringt unter dem Namen

„Gangstarella“ seine eigene Tiefkühlpizza

„mit Street-Credibility“ auf den

Markt. Neben Rindersalami denkt Capi

auch an seine Veggie-Bratans und

Bratinas, denen er mit der Sorte Grillgemüse

und Hanfsauce gönnt. Bislang ist

die #TeamCappi Pizza in drei deutschen

Supermarktketten für jeweils 3,99€ zu

finden. Wir hoffen, dass sie auch nach

Österreich kommt. Lelelelecker!

ABSCHLUSS-ZEREMONIE

MIT LADY GAGA

Durch Corona fallen in diesem Jahr bekanntlich die meisten

Veranstaltungen flach, auf die man sich schon sehr lange gefreut

hat. Dazu zählen nicht nur Geburtstage die man mit Freunden

und Familien feiert, sondern eben auch die Abschluss-Feiern

und Zeugnis-Verleihungen. Youtube Originals schafft hier Abhilfe

und macht mit Stars wie der K-Pop Band BTS und Lady Gaga

gemeinsame Sache: eine riesige online Abschluss-Zeremonie für

alle Schulabgänger im Jahr 2020. Am 6. Juni wird diese Show,

inklusive Reden und Auftritten verschiedenster Künstler und Politiker

live auf Youtube übertragen. Durch die Zeremonie werden

niemand geringeres als Michelle und Barack Obama führen. Das

ist ja mal echt eine Schulveranstaltung der anderen Sorte. Der

perfekte Beginn für den Sommer eures Lebens.

MIT PAMELA REIF FIT DURCH DIE QUARANTÄNE

Bewegung war ja in den letzten

Wochen nur im eingeschränkten

Rahmen möglich. Die deutsche

Fitness-Bloggerin Pamela Reif liefert

hierfür perfekten Content. Mit 3,21

Mio. Abonnenten auf Youtube und

über 5 Mio. Followern ist sie eine

der erfolgreichsten Fitness-Bloggerinnen.

Mit den unterschiedlichsten

Workouts, die von klassischen

Bauchübungen über Booty-Workouts

bis hin zu Full Body Workouts variieren,

liefert sie fast täglich neue

Videos. Alles gratis natürlich. Auch

viele Sportmuffel kamen in Zeiten

von Corona auf den Geschmack,

sich sportlich auszupowern. Dadurch

wuchs auch Pamela Reifs Followerzahl.

Innerhalb der letzten acht

Wochen hat sich diese fast verdreifacht.

Ob Quarantäne oder Normalbetrieb:

Die Workouts ersparen einem

jedenfalls den Weg ins Fitnesstudio.

Top! Doch eines fragen wir uns

immer noch, während wir die Home-

Workouts schweißgebadet und mit

hochrotem Kopf irgendwie rumkriegen:

Warum schaut das bei ihr alles

so einfach aus und vor allem, warum

zur Hölle, schwitzt sie nicht?

/ MIT SCHARF / 9


AS UNS

LOREDANA

DROHT

ABSCHIEBUNG

IN DEN KOSOVO

What the

Hack?

Lil Nas X, Lady Gaga,

Nicki Minaj – sie alle

müssen gerade um ihre

privaten Daten bangen.

Eine Hackergruppe hat es

geschafft, über die New

Yorker Rechtsanwaltskanzlei

„GSM“ die Privatadressen,

Telefonnummern

und Verträge diverser

Superstars zu erbeuten.

Die Hacker drohen, die

Daten zu veröffentlichen,

wenn sie keine 21 Millionen

$ erhalten. Als Beweis

für die Ernsthaftigkeit

ihrer Forderungen teilten

sie bereits einen Screenshot

des Tourvertrags von

Madonna. Über 750GB

persönliche Daten sollen

die Kriminellen in ihren

Besitz gebracht haben. Ob

sie auch von der angeblichen

Schwangerschaft

von Nicki Minaj wissen?

Musikalisch könnte es bei Loredana nicht besser

laufen, erst kürzlich knackte sie mit ihrem Hit

„Nicht verdient“ gemeinsam mit Capital Bra Platz

1 der Single-Charts. Privat sieht es hingegen nicht

so rosig aus: die 24-Jährige soll vor einigen Jahren

ein Ehepaar um 700.000 Schweizer Franken

betrogen haben. Im Juni wird sie nun erneut zu

dem Fall befragt und hofft gemeinsam mit ihrem

Anwalt darauf, dass das Verfahren eingestellt

wird. Passiert das nicht, droht ihr im schlimmsten

Fall die Ausweisung aus ihrer Wahlheimat, der

Schweiz, zurück in ihr Herkunftsland Kosovo, da

sie nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt.

Auch die angebliche Schadenssumme müsste die

Deutschrapperin zurückzahlen. Loredana selbst

sagte bei einer Pressekonferenz im letzten Jahr,

dass das Geld freiwillig übergeben wurde.

RAF CAMORA SPIELT JETZT

IN EINER „ANDEREN LIGA“

Seine Musikkarriere beendete der Rapper

im vergangenen November vorläufig,

um sich stärker auf Newcomerförderung

und seine Modelinien zu fokussieren. Mit

seinem Businesswissen und seiner großen

Reichweite hat der stolze Wiener aus

„Rudolfscrime“ nun knapp eine Million

Euro ganz ohne Musik verdient. Bis zu

seinem Geburtstag am 4. Juni soll ein Tattoo-

sowie auch ein Friseur-Laden eröffnet

werden. Und das Ganze hier in Wien. Raf

Camora gibt wirklich immer „100%“.

10 / MIT SCHARF /


BEWEGT

ZAHLEN UND FAKTEN ZU

TIKTOK

© Dutch Press Photo Agency / Action Press / picturedesk.com, Ian West / PA / picturedesk.com, Raf Camora/wikimedia commons, Instagram, Spotify, antonbe/pixabay.com

INSTAGRAMS

NEUES

ANTI-MOBBING

FEATURE

Cybermobbing ist in

den sozialen Netzwerken

ein allgegenwärtiges

Problem. Instagram

setzt in der Bekämpfung

gegen Mobbing auf drei

neue Features. Die User

können auf einen Schlag

mehrere beleidigende

Kommentare entfernen.

Außerdem können positive

Kommentare jetzt

hervorgehoben werden,

damit sie in der oberen

Hälfte des Kommentar-

Threads angezeigt

werden. Das soll für eine

positive Grundstimmung

auf den Kanälen

sorgen. Das letzte

Feature soll den missbräuchlichen

Einsatz

von „Tagging“ stoppen.

Klartext gesprochen:

Bilder von dir können

nicht mehr von Fremden

mit deinem Profil

verlinkt werden. Durch

die neuen Tools wird die

Kontrolle über den eigenen

Account wesentlich

einfacher. Von uns gibt’s

dafür ein Like!

SPOTIFY

LÖSCHT

FAKE-

ACCOUNTS

Spotify hat in den

letzten Wochen zahlreichen

Fake-Konten

den Garaus gemacht.

Es gehört ja zu den

schlecht behütetsten

Geheimnissen des

Showbusiness, dass

sich Stars gerne mal

mit Fake-Followern

rühmen und ihre

Reichweite damit

aufpolieren. Spotify

macht da nun vielen

Künstlern einen Strich

durch die Rechnung.

Beispielsweise bei der

Deutsch-Rapperin

Loredana, die nach

der Räumungsaktion

rund 50.000 Follower

weniger hat. Auch

weltweit bekannte

Rapper wie Drake

trifft diese Entscheidung

von Spotify

hart – er verliert über

500.000 seiner

Spotify-Follower.

Letztes Jahr ging zur

„Klick-Kauf-Thematik“

im Rap-Business auch

eine spannende Doku

vom Y-Kollektiv auf

Youtube online. Klickt

dort mal rein.

1,5 Milliarden-mal wurde die App TikTok

weltweit im Jahr 2019 heruntergeladen

17der erfolgreichsten TikToker der Welt im Hype

House (eine Art TikTok WG) in Los Angeles leben

2,1 Millionen Follower hat Österreichs

bekannteste TikTokerin Lisa-Marie Schiffner

41% der NutzerInnen sind zwischen 16 und

24 Jahre alt

52 Minuten verbringen NutzerInnen im

Durchschnitt täglich auf der App

Über 75 Milliarden ist die Firma mittlerweile

wert, was sie zum erfolgreichsten Start-up der

Welt macht.

916 Millionen Aufrufe hat der Hashtag vom

aktuellen TikTok-Tanz zu „Say So“ von Doja Cat.

39,6 Millionen Follower hat das erfolgreichste

Hype House Mitglied, die 19-jährige Addison Rae

/ MIT SCHARF / 11


In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

Foto: Igor Minić

STATT RAKIJA AM BALKAN GIBT’S

SPRITZER AUF BALKONIEN

Heimaturlaub wird uns für diesen Sommer nahegelegt. Ja, nichts lieber täten

die Jugos. Runterfahren ins Jugodorf ist damit aber nicht gemeint.

Heuer ist alles ein bisschen anders. Der neue Alltag hat

uns mit Sicherheitsabstand, Masken und Händewaschen

recht gut in Griff. Der Mensch gewöhnt sich ja an vieles.

An das Schlangestehen vorm Ikea zum Beispiel – wir versuchen

seit Wiedereröffnung der Geschäfte eine Küche

für die neue Wohnung zu bestellen, schreckten aber jedes

Mal vor der wartenden Menschenmasse am Eingang

zurück. Bewegungsfreiheit, Köttbullar und Serviettenhalter.

Was die Menschen halt während einer Ausganssperre

so essenziell vermisst haben…

ATTERSEE STATT ADRIA?

Ein neues Normalgewicht hat uns das Zuhausebleiben

auch beschert. Auf welchem Strand wir unseren Krisenspeck

brutzeln dürfen, bleibt abzuwarten. Zuhause

Urlaub machen sollen wir. Also Attersee statt Adria?

Hüttengaudi statt zehn Stunden auf Grenze mit Audi?

Spritzer beim Heurigen statt Rakija im Hochzeitszelt?

Wait. Jetzt mal runter vom Entbehrungs-Gas. Sommerferien

ohne Hochzeitsfeste, da kann die Balkanprinzessin

gleich am Balkon einchecken. Wozu all die Pfuscherei

auf der Baustelle, das „privat“ Putzengehen, das Aufsparen

des gesamten Jahresurlaubs, wenn das Highlight

des Jahres auszufallen droht? Ja, worauf kann sich denn

die geschundene Gastarbeiter-Seele da noch freuen?

Ein Einschnitt in die Grundrechte ist das, liebe Bürgerinnen

und Bürger!

LASST UNS DIE JUGO-HOCHZEITEN!

Die Hochzeitssaison in der alten Heimat hat neben der

wirtschaftlichen Bedeutung für die Region auch eine

soziopolitische Tragweite. Bei der prestigeträchtigsten

Eventreihe des Jahres wird der gesellschaftliche rote

Teppich ausgerollt, auf dem die Diaspora im neuesten

Leasing-Modell vorfährt. Ein Föhnfrisuren-Gipfel zwischen

Tüll, Tradition und der obligatorischen Schlägerei

gegen Morgengrauen. Herrlicher Gossip-Content,

der fürs Home-Kino von mindestens vier Kameras im

in Neonlila getauchten Partysaal festgehalten wird.

Soul Food in den kargen Wintermonaten!

KOLO MIT SICHERHEITSABSTAND

Vorausgesetzt die Lockerungen vor Ort erfolgen nicht

schrittweise, sondern im Galopp. Ich kenne nämlich

keine Balkanbraut, die sich das Make-up vom Belgrader

Celebrity-Visagisten durch einen noch so mit

Strass aufgemotzten Mundschutz entstellen lassen

würde. Und kontaktloses Kolo-Tanzen geht auch nicht.

Oder wie soll ich dem Sänger den Hunderter auf die

Stirn klatschen??

PLAN B(ALKONIEN)

Wir würden unsere Quarantäne-Kilos schon irgendwie

in die viel zu kurzen Glitzer-Roben quetschen. Aber

heuer ist halt alles ein bisschen anders. Also muss Plan

B her. Mit Gold an den Hüften und Spritzer in der Hand

mache ich es mir auf dem Balkon gemütlich und scrolle

mich durch das digitale Hochzeitsarchiv vergangener

Sommer. Bräute, Balkanbeats und bunte Fummel.

Was ich halt so essenziell vermissen werde… ●

cucujkic@dasbiber.at

12 / MIT SCHARF /


Gerechtigkeit

lässt nicht nach.

Besonders in Krisenzeiten braucht es jemanden, der darauf

schaut, dass es gerecht zugeht. Jetzt geht es darum, Österreich

neu zu starten und die Menschen, die täglich daran mitarbeiten,

zu stärken. Für sie setzt sich die Arbeiterkammer mit aller Kraft ein.

Vor der Krise, während der Krise und auch nach der Krise.

ARBEITERKAMMER.AT/NEUSTARTEN

#FÜRIMMER


Yaldas sehr persönlichen

Kommentar zur Herkunftsfrage

findest du links auf

S. 62.

Tobis Plädoyer, junge Menschen

nicht für ihren Fleiss

zu bestrafen, kannst du auf

S. 15 lesen.

DAS IST DIE ZOOM-NEWCOMER-REDAKTION

CORONA

KANN UNS

NICHT

STOPPEN!

Seit Jahren haben wir mit dem biber-Newcomer

ein Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen

Medienszene. Wir touren durch die Schulen, gestalten

eine Projektwoche mit Workshops und journalistischen

Einblicken. Am letzten Tag schreiben die SchülerInnen

Blogs über ihren Alltag oder drehen kurze Videos über

Dinge, die sie wirklich interessieren. Alles in Voll-

Kontakt und ohne Distanz!

In diesem Jahr standen wir vor einer besonderen

Herausforderung. Die Schulen waren bis Mitte/Ende

Mai geschlossen. Würden die SchülerInnen mitmachen

wollen, während sie zu Hause nicht nur lernen, sondern

auch gleich auf ihre Geschwister aufpassen, den

Haushalt schmeißen und Vokabeln pauken müssen?

Über sein erstes Jahr in

Österreich, schreibt Emran

auf S.62. Nicht schlecht für

jemanden, der vor fünf Jahren

noch kein Wort Deutsch

sprach.

Amina Krpuljević als jüngstes

Redaktionsmitglied

schrieb in ihrem Text über

den „Laptop, ihren besten

Freund“ S.43

Sumaiya kannst du auf dem

Cover als überforderten

Teenie bewundern, dazu hat

sie einen auch einen Kommentar

auf S. 34 verfasst.

Und wie sie geglänzt haben! Die Mitglieder der bunt

zusammengewürfelten E-Newcomer-Redaktion (12-

20 Jahre) gaben uns alten Hasen (24-38 Jahre) allen

Grund zu staunen. Klug, reflektiert, kritisch. Nicht

nur, dass sie neben der Belastung durch die Home-

Isolation tolle Texte lieferten, sie hatten auch großes

Verständnis für den Technik-Deppen der biber-

Redaktion, der lieber anonym bleiben möchte und

zugleich diese Zeilen verfasste.

Peter Marković bedauert in

seinem Text auf S.34, dass

er im Sommer höchstwahrscheinlich

nicht nach

Bosnien fahren kann.

Anna Eggers Kommentar

„Zwischen Kondomen und

Konservatismus“ kannst du

auf S. 43 lesen.

Marco Maurer ist 17 Jahre

alt und führte zusammen

mit unserem Politik-Ressortleiter

das Interview mit dem

Gesundheitsminister Rudolf

Anschober. Ab S. 22

Andrea Krapf macht sich

Sorgen um ihre Zukunft,

wie sie in ihrem Artikel

„Corona-Matura“ auf S. 38.

unterstreicht.


MEINUNG

WIR WERDEN FÜR UNSEREN FLEISS BESTRAFT

Mein Name ist Tobias Fastl und ich bin 15 Jahre alt. In meiner Erzählung möchte

ich allen Lesern zeigen, dass die Jugend von heute nicht faul zu Hause sitzt,

sondern mit allen Kräften die ältere Generation unterstützt.

Ich lebe mit meiner um ein Jahr jüngeren Schwester in einem

nicht allzu großen Zimmer, was echt nervt, da sie ein Mädchen

ist. Im Nebenzimmer sind meine Eltern und das nervt auch.

Jeden Tag um ca. sieben Uhr stürmt mein Vater das Zimmer

und weckt mich auf. Gezwungenermaßen muss ich dann auch

aufstehen. Ich quäle mich hoch und halte Ausschau nach

meinem Handy, um mir schon wieder die nächsten Aufgaben

anzusehen. Und siehe da: Englisch, Mathe und Kreative Erziehung

sind schon im Klassenforum, wo uns die Lehrer jeden

Tag neue Aufgaben hineinschreiben.

GIESSEN, EINKAUFEN, HAUSÜBUNGEN

Ich gehe wie betrunken aus meinem Zimmer und wandle

verschlafen ins Badezimmer. Dort wartet meine Mutter schon

und will, dass ich die Wäsche aufhänge, das Geschirr abwasche,

während sie in der Arbeit ist. Ich sag meistens nur „jaja“,

obwohl ich mir denk: „Alter, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.

Was glaubst du? Dass ich etwa den ganzen Tag Computer

spiele?“

Nach dem kleinen Diätfrühstück – seit Corona mache ich eine

kleine Diät, sonst würde ich vor lauter Frustessen schon längst

explodieren - mache ich meine morgendlichen Hausübungen.

Um ca.14 Uhr kommen schon die nächsten Hausübungen.

Noch vor dem Mittagessen schickt mein Vater mich ganz

hektisch zum Einkaufen, da meine Mutter vergessen hat, eine

Zutat für die geplanten Spaghetti einzukaufen. Also jogge ich

zum Lidl nebenan und kaufe die gewünschte Zutat. Wenn ich

dann zu Hause bin und die falsche gekauft habe, kann ich mir

einen Vortrag anhören und es umtauschen gehen.

Ich wünschte, es wäre ganz schnell wieder Schule. Am besten

den ganzen Tag, jeden Tag. Kurz nach dem Essen muss ich

entweder meine Mutter abholen, die beim Merkur arbeitet,

oder ich erledige die Aufgaben, die sie mir aufgetragen hat.

Als ich ganz erschöpft und fertig bin, ruft mein Vater schon.

Ganz gehetzt lauf ich zu ihm und frag, was los sei. „Gar

nichts“, er brauche nur Wasser zum Gießen SEINER Balkonpflanzen.

Also gehe ich wieder und wieder mit der Gießkanne

hin und her. Nach einer Weile sagt er dann endlich stopp. Ich

setzte mich eine EINZIGE Minute hin und schon fragt er mich,

ob ich nicht genug Aufgaben hätte, anstatt faul rumzusitzen.

ICH WILL ENDLICH WIEDER IN DIE SCHULE!

Also gehe ich genervt meine neuen Aufgaben machen. Was

steht heute am Plan? Berufskunde: ätzend. Deutsch: langweilig.

Danach darf ich mit Glück vielleicht eine Stunde in

den Park, wobei meine Schwester mitgeht, was mich nicht so

freut. Und ich als „großer“ Bruder muss noch aufpassen, damit

sie keinen Scheiß baut. Ihr müsst wissen, meine Schwester

liebt es, Scheiße zu bauen. Kaum sind wir wieder zu Hause,

muss ich meine Mutter, wenn sie Abenddienst hat, abholen,

weil sie SCHON WIEDER so viel eingekauft hat. Wenn das nicht

der Fall ist, darf ich die Lieblingsmusik meines Vaters ertragen.

Modern Talking! Juhu!

Wenn ich dann endlich um 22 Uhr schlafen gehen kann, bin

ich so geschlaucht, dass ich sofort einschlafe und am nächsten

Tag der ganze Spaß von vorne anfängt. Ich weiß nicht,

was alle glauben. Ich bin kein Roboter. Ich bin keine Maschine.

Ich habe Gefühle und ich habe nur eine gewisse Energie. Und

die Lehrer? Die wollen immer nur das Beste vom Besten von

mir. Ich sitze nicht vorm Computer oder bin den ganzen Tag

mit Social Media beschäftigt, so wie sie das glauben. Ich habe

ein eigenes freies Leben und seit dieser Virus da ist, sind alle

ganz deppat geworden. Ich will leben und nicht als Sklave in

jede neue Situation hineingestoßen werden. Ich wünsche mir,

dass sich mal die älteren Generationen in uns hineinversetzen

können.

Dann und wirklich erst dann, wird vielleicht einmal die Jugend

respektiert, für das, was sie eigentlich alles macht.

Tobias Fastl ist 15 Jahre alt und geht in die Klasse F4 der Polytechnischen Schule Pernerstorfergasse.

/ MIT SCHARF / 15


BURN-OUT

MIT 16

Die Fotoserie für diese Reportage wurde nachgestellt.

16 / POLITIKA /


Angststörung, Sucht, Depression: Schulischer Druck, elterlicher

Ehrgeiz und das permanente Gefühl, nie gut genug zu sein, führen

zu Stressbelastungen in der Generation Instagram. Die Folge: Burnout

mit 16 – und jünger. „Corona“ verschärft die Situation, doch

Therapieplätze auf Kasse sind Mangelware.

Von Anna Egger und Delna Antia-Tatić, Fotos: Tina Herzl

Geh weg“, sagt sie, „Bitte.“ Sie wagt es nicht, aufzuschauen,

will nicht das besorgte Gesicht ihres

Vaters sehen, will überhaupt niemanden sehen.

Kaum schließt er die Tür ihres Zimmers, versiegen

die Tränen. „Alle schienen zu funktionieren, meine Eltern,

meine Freunde, die ganze Welt – nur ich schaffte es nicht.“ Sie

schließt sich ein, über Wochen. „Ich fühlte mich wie eine Versagerin,

der man ihr Nichtstun vorhält,“ erzählt Daniela über

ihren dunklen Winter 2020.

Dabei tut Daniela * nicht nichts – ganz im Gegenteil. Die

ehrgeizige Schülerin sitzt nach der Schule meist bis Mitternacht

an ihren Hausübungen. Am Wochenende

arbeitet sie als Kellnerin. Freie Zeit,

Ruhe, Abhängen? Fehlanzeige. Ihr Leben

besteht aus Schule, Hausübungen, Arbeit

und schlafen. Im Dezember 2019 erleidet

die 18-Jährige dann ein schweres Burnout.

Sobald sie jemanden sieht, ob Lehrpersonen,

ihre Eltern, ja sogar Passanten

auf der Straße, gerät sie in Panik und weint

unkontrolliert. „Ich habe die Wochen davor

krampfhaft versucht, mich zusammenzureißen

und zu lächeln. Dabei habe ich mir

eigentlich überlegt, wie ich diesen Stift, diese

Gabel, dieses Kabel benützen könnte, um

mich umzubringen. Wie hoch müsste dieses

Gebäude sein? Überlebe ich einen Sturz aus dem 6. Stock?

Irgendwann konnte ich das nicht mehr überspielen.“ Schon

zwei Jahre zuvor hat die AHS-Schülerin ein Burn-out erlebt,

jedoch harmloser. „Ich war sechzehn, als mich das erste Mal

Selbstmordgedanken aufsuchten. Aber damals habe ich mir

gedacht, Daniela, du denkst Blödsinn. Im Winter 19/20 wurde

Selbstmord dann mein ständiger Plan B.“

Ihr Zustand verbessert sich zunächst, als sie anfängt,

weniger zu unternehmen. Sie trifft sich nicht mehr mit Freundinnen,

geht nicht feiern, hört auf, neben der Schule zu arbeiten

und auch ihren Boxsport lässt sie sein. Alles, um mehr Zeit

für sich zu haben. Aber sie bleibt eine ehrgeizige Schülerin.

„Ein Dreier hätte mich gestört, weil ich weiß, dass ich das

besser kann. Dieses Gefühl, ständig gute Leistung erbringen

zu müssen, hat sich in meinem Tun gespiegelt: Zuerst kam die

Ich war sechzehn,

als mich das

erste Mal Selbstmordgedanken

aufsuchten.

Arbeit, dann die Pause.“ Aber was, wenn auf die Arbeit Arbeit

folgt? Und es ein Leben ohne Pause wird?

Vielen Jugendlichen in Österreich geht es wie Daniela. Sie

erleben einen Druck, der krank macht. Ob durch die Schule

wie bei Daniela, durch leistungsorientierte Eltern oder durch

Social Media – oder alles zusammen. Nie gut, schön, cool

genug zu sein und immer etwas korrigieren zu müssen, das

erfahren die meisten schon vor der Pubertät. Ihr Terminkalender

ist voll, das Handy leuchtet nonstop, die Schule zu meistern

ist ein 40-Stunden-Job. Dass die Erschöpfungskrankheit

„Burn-out“ daher schon längst in den Klassenzimmern unserer

Gesellschaft Fuß gefasst hat, wundert

nicht. Und nun auch noch Corona. Auch

wenn die Medien voll sind mit Berichten

von überforderten und überlasteten Eltern,

oft ergeht es ihren Kindern nicht anders. In

den Zoom-Redaktionssitzungen für diese

biber-Newcomer-Ausgabe tauschen sich

12- bis 18-jährige Mädchen und Buben

nicht nur über die Herausforderungen von

E-Schooling aus, sondern über ihre To-Do-

Listen daheim: darüber, wie sie jüngeren

Geschwistern bei den Schulübungen helfen,

wie sie im Haushalt eingespannt sind und

wie ihre Eltern ihnen jede Pause als „Nichtstun“

vorhalten. Es wundert nicht, dass solch

„Manager“-Workload gepaart mit hohem Selbstanspruch für

die Generation „Selfie“ sehr ungesund werden kann. Dazu

belasten Schönheitsideale und Fitnessansprüche.

DRUCK VON AUSSEN UND INNEN

„Eine neue Nase als Wunsch zur bestandenen Matura – ist

alles schon vorgekommen! Der Trend unserer Gesellschaft ist

die Korrektur.“ Romana Wiesinger ist Psychotherapeutin und

behandelt seit Jahren Jugendliche in ihren Praxen in Wien und

Niederösterreich. Ihre Klienten sind meist zwischen 14 und 27

Jahre alt, wenn sie mit Symptomen von Burn-out zu ihr kommen.

„Aber sie werden jünger! Der Druck unserer Gesellschaft

ist bereits in der Volksschule angekommen.“ Und Druck ist es,

der Kindern und Jugendlichen immer mehr und immer früher

zu schaffen macht. Burn-out gibt es in der Therapie zwar nicht

/ POLITIKA / 17


als Diagnose, aber dass die Symptome der Betroffenen wie

Angststörungen, Sucht, Essstörungen und Selbstmordgedanken

auch durch zu viel Belastung ausgelöst werden, beobachtet

Wiesinger. „Burn-out heißt, ausgebrannt zu sein – durch zu

viel Druck von außen und innen. Das System kippt, wenn die

permanente Überbelastung dazu führt, dass sich Kinder und

Jugendliche nie genug fühlen.“ Sie fühlen sich nicht hip genug

auf Social Media und nicht klug genug in der Schule. Wiesinger

bemerkt dieses Gefühl schon bei Volksschulkindern. Wenn

den Eltern ein Dreier nicht genug ist, wenn es unbedingt das

Gymnasium sein muss, wenn schon Neunjährige das Gefühl

bekommen, zu versagen und mit Nachhilfe eingequetscht werden.

„Warum ist der Tischler weniger wert als der Anwalt?“,

fragt die Therapeutin. Sie erlebt, dass die Schule, aber auch

die Eltern eine große Rolle dabei spielen – nach dem Motto:

„Keine Matura – was ist man dann?“. In ihrer Therapie arbeitet

sie daher vor allem am Selbstwert der Jugendlichen und dass

sie wieder lernen, Ruhephasen in ihr Leben zu integrieren.

Gerade wenn es um Sucht geht, alles dient

letztlich dazu, eine innere Leere zu füllen.

Genau darum geht es Daniela, als sie

im Jänner 2020 das erste Mal in Therapie

geht. Eine Psychologin diagnostiziert ihr

eine wiederkehrende, depressive Störung.

Zur Therapie hat die Mutter sie überredet,

die sich um ihre dauer-blasse und dünnerwerdende

Tochter sorgt. Auf Empfehlung

besorgt sie ihr Johanniskraut. „Nach zwei

Wochen haben die Therapie und Kapseln

angefangen zu wirken. Zwar kam es zu

Rückfällen, aber diese Leere, die von innen

heraus auffrisst, ist immer kleiner geworden.

Ich habe die anderen nicht mehr nur dabei

beobachtet, wie sie lachen, Small-Talk führen

oder Zukunftspläne schmieden, ich habe

auch selber wieder mitgeredet und mitgelacht.“

FALSCHE SCHULE MACHT KRANK

Kann Schule also so krank machen, dass sich selbst gute

Schülerinnen und Schüler als Versager fühlen? Ja, nickt die

18-jährige Aurora*. Die AHS-Absolventin trägt dezentes Makeup

und ein weißes Top, das eine Spur zu locker sitzt, während

sie von einem ihrer letzten Zusammenbrüche erzählt. Wenn es

ihr schlecht geht, höre sie auf zu essen. Dieses Jahr war das

mindestens eine Woche im Monat der Fall. „In der Unterstufe

habe ich das Lernen noch geliebt. Irgendwann in der Oberstufe

hat das aufgehört.“ Da hat es dann angefangen, zuerst mit

leichten Depressionen, später dann mit stärkeren. Vor allem

um die Schularbeitsphasen herum wurde es schlimm. „Andauernd

wird man abgeprüft, bewertet. Es geht gar nicht mehr

wirklich um den Stoff, sondern darum, wie gut man ihn abrufen

kann. Im Schulsystem verlieren die Inhalte ihre Substanz.“

Dabei hatte Aurora mit dem Stoff selbst nie ein Problem. Es ist

die Art, wie er vermittelt wird, die sie überfordert.

Das hat Folgen. Aurora fühlt sich dauerhaft erschöpft,

gestresst, schläft viel nach dem Unterricht. Immer wieder

gerät sie in eine Abwärtsspirale. „Es braucht irgendwann nur

In der Unterstufe

habe ich das

Lernen noch

geliebt. Irgendwann

in der

Oberstufe hat das

aufgehört.

mehr etwas Kleines, dass es draußen kälter wird oder dass ich

die Schlüssel vergessen habe, und ich breche zusammen.“ In

der 8. Klasse war es besonders schlimm. Sie erzählt, wie sie

eine ganze Nacht an ihrem Graphic Novel gearbeitet hatte.

Zuerst fein mit Bleistift, dann mit Wasserfarben, abschließend

mit Fineliner. Nicht gut genug, urteilte die Lehrerin. Aurora

verschwand daraufhin auf dem Klo, ihre Hände zitterten, sie

weinte – vor Frust. Doch die Lehrerin fand nur wenig Verständnis.

„Manche Lehrer sind völlig weltfremd und überhaupt

nicht empathisch.“

Dass Lehrern zum Teil die Empathie fehlt, bestätigt auch

Nadja * . „Schüler und Schülerinnen können keine Burnouts

oder Depressionen kriegen“, habe einmal ein Lehrer

behauptet. Bei der 18-Jährigen wurde vor einem Jahr eine

Borderline-Störung diagnostiziert. Das erklärt ihre Depressionen,

ihren Selbsthass und die Selbstverletzung, mit denen sie

seitdem sie vierzehn ist zu kämpfen hat. Seit einer Überdosis

mit Antidepressiva im letzten Oktober lässt sie sich stationär

behandeln. Es schüttet, als die Schülerin mit

den kurzen, blondgefärbten Haaren unter

dem Vordach des Anmeldecontainers vom

Krankenhaus davon erzählt, wie unaufgeklärt

und falsch informiert manche Lehrer

über psychische Krankheiten sind. „Es kommen

so Aussagen wie, ‚Jeder ist mal traurig‘

oder ‚Stell dich nicht so an‘. Vieles wird

auch einfach auf die Pubertät geschoben.

Nicht nur Depressionen, auch gewisse Meinungen.

Jugendliche werden einfach nicht

ernstgenommen.“ Wirklich ernst nimmt

man ihre Symptome erst seit der Diagnose.

Trotzdem, ihr Vater, den sie selten sieht, ist

weiterhin überzeugt, dass sie in Wahrheit

nur an einem Vitaminmangel leidet. Nadja

ist dankbar für die professionelle Hilfe, die

sie nun durch staatliche Unterstützung bekommt. Im Juli wird

ihr im Rahmen von betreutem Wohnen eine eigene Wohnung

zur Verfügung gestellt. Sie lächelt erstmals.

KEINE SICHERHEIT DAHEIM

Schulischer Druck spiele sicher eine große Rolle, bestätigt

die Psychotherapeutin Wiesinger, aber auch ein instabiles

Zuhause belaste ihre jungen Klienten zunehmend. „Der

Trend der Patchworkfamilie und die Tatsache, dass Kinder

und Jugendliche dadurch oft zwei „Zuhause“, zwei Familien

und Elternpaare haben, birgt nicht nur zusätzlichen Stress,

sondern verunsichert. Sie verlieren die Sicherheit und, was

Beziehungen betrifft, die Vorbilder.“ Dadurch falle es Jugendlichen

auch immer schwerer, sich auf Beziehungen einzulassen.

„Alles ist dann nur immer so halb.“ Positiv beobachtet

die Therapeutin allerdings, dass Psychotherapie viel weniger

als früher ein Tabu ist für Jugendliche. Einige 14- bis 17-Jährige

melden sich sogar ganz von selbst bei ihr. „Auch Lehrer

und Schulärzte sind durchaus aufgeschlossen für psychische

Erkrankungen, aber leider ist das ganze System Schule völlig

überlastet. Vor allem die Lehrer!“, so Wiesinger. Daher sind es

dann doch meistens die Mütter, die anrufen. Weil sie Anzei-

18 / POLITIKA /


„Wirklich ernst nimmt man ihre

Symptome erst seit der Diagnose. Ihr

Vater ist weiterhin überzeugt, dass sie

nur an einem Vitaminmangel leidet.“

Dabei ist Burn-Out längst in Österreichs

Klassenzimmern angekommen. Die

Therapeutin appeliert: Nehmt die

Jugendlichen ernst!

/ POLITIKA / 19


Die WHO warnt: Corona verschlimmert

den psychischen Stress.

Schüler sollten

bereits im Unterricht

lernen, dass

ihr psychisches

Wohlbefinden

wichtig ist.

chen bemerken, etwa weil bei der Tochter

plötzlich die schulischen Leistungen abfallen

oder weil der Sohn sich jedes Wochenende

ins Koma säuft. Denn Burschen sind genauso

betroffen, auch wenn in diesem Artikel

nur Mädchen zu Wort kommen. Rund 35

Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Österreich haben laut

einer Studie der Universität Wien und des Ludwig Boltzmann

Instituts eine hohe Wahrscheinlichkeit, zumindest einmal im

Leben psychisch zu erkranken. Wenn Eltern jedoch nicht reagieren

und vor allem nicht aufgeschlossen für Therapie sind,

ist das schlecht für die betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Gerade in bildungsfernen Haushalten sei das der Fall, so Wiesinger.

Aber auch kulturelle Gründe können eine Rolle spielen,

wie die biber-Geschichte „Schrei nach Therapie“ thematisiert.

In vielen Familien mit Migrationshintergrund sind psychische

Erkrankung ein großes Tabu. Oder wenn einfach das Geld

dafür fehlt.

Amra * , mittlerweile eine 21-jährige Studentin, kennt dieses

Problem: Therapeutische Hilfe kostet. Mit 16 Jahren hat sie

sich die meisten Stunden zur Behandlung ihrer Angststörung

selber gezahlt. Herzrasen und Schwindel im Angesicht von

beängstigenden Nachrichten oder Lerninhalten über Krieg:

Ihre Eltern sind der Meinung, dass sie übertreibt und dass

Amra ihre Angstanfälle, die sie damals täglich plagen, selbstständig

überwinden soll. Die finanzielle Unterstützung fehlt

und ihr eigenes Geld reicht selten für zweimal im Monat. „Therapiestunden

sollten zugänglicher und leistbarer werden, vor

allem für Jugendliche“, fordert sie deshalb. „Außerdem sollten

Schüler bereits im Unterricht lernen, dass ihr psychisches

Wohlbefinden wichtig ist und wie sie mit Stresssituationen

umgehen können.“ Ohne Behandlung, betont auch Therapeutin

Wiesinger, können Ängste sich ausweiten. „Deshalb ist es

so wichtig, die Kassenplätze aufzustocken – sowohl die psychotherapeutischen

als auch die psychiatrischen.“ Denn die

Tarife vieler privat behandelnder Psychiater sind kaum leistbar:

Zwischen 140 und 200€ kostet ein Erstgespräch von einer

Stunde, danach etwas weniger, weil nur mehr 30 Minuten lang

behandelt wird. Psychotherapiestunden kosten um die 100 €,

wovon man als Krankenkassenzuschuss 28 € jeder Therapieeinheit

zurückerstattet bekommt. Eine wirkungsvolle, regelmäßige

Therapie geht meist über den Zeitraum eines Jahres.

CORONA KANN TRAUMATISIEREN.

Der Bedarf an Kassenplätzen wird durch „Corona“ noch verschärft.

Der Lockdown und seine Folgen treffen Kinder und

Jugendliche besonders hart. Plötzlich daheim „eingesperrt“ zu

sein, ohne Zufluchtsorte wie Freunde oder

die Schule, dazu die permanente Ungewissheit,

wie es weitergeht, und das steigende

Konfliktpotenzial zuhause. Und zu all dem

schulischer Druck. So kritisiert Stefan T.

Hopmann, Professor für Bildungswissenschaften

an der Universität Wien, schon

Ende März in einem Gastbeitrag in „Die

Furche“: Die politische Konzentration auf

Bildungsversäumnisse bei Schülern würde in

keinem Verhältnis zu der Wichtigkeit stehen,

Kinder und Jugendliche während der Krise

psychisch und physisch gesund zu halten.

„Selbst in Familien, die vom Schlimmsten

verschont sind, machen die Kinder

und Jugendlichen eine oft traumatische

Erfahrung, in der ihr Vertrauen in Gott und die Welt, in ihre

Eltern und in ihre eigene Zukunft nachhaltig gestört wird.“ Er

betont, dass unter solch Katastrophenbedingungen wie dieser

Pandemie ein normales Lernen nur eingeschränkt möglich

ist. Zudem belastet der Wegfall der Freunde. Denn soziale

Kontakte zu pflegen gehört bei Kindern und Jugendlichen zum

Grundbedürfnis. Bei Nadja verstärkte sich in der Quarantäne

ihre Depression – durch die ständigen Streitereien mit ihrer

Mutter und weil das Mädchen mit der Borderline-Störung nicht

wie sonst auf ihr Support-System zurückgreifen konnte, wie

sie das stützende Netz ihrer Freundinnen bezeichnet.

Aber eben auch nicht psychisch vorbelastete Kinder und

Jugendliche sind durch die Pandemie nun anfällig. „Die Angst

nimmt allgemein zu“, bestätigt Birgit Satke, Leiterin von „Rat

auf Draht“ in einem Interview. Die Buben und Mädchen, die

sich bei Österreichs Notruf für Kinder und Jugendliche melden,

sind im Durchschnitt elf bis sechzehn Jahre alt. Um 30

bis 35 Prozent haben ihre Anrufe bereits Mitte April zugenommen,

250 bis 300 Beratungsgespräche wurden täglich

geführt. Alle anonym. Einige Jugendliche flüstern, weil sie

nicht ungestört reden können, oder wählen die Chat-Funktion.

20 / POLITIKA /


Die Eltern sollen nicht wissen, dass sie sich melden. „Zugleich

übertragen sich die Ängste der Eltern um Jobverlust, um Existenz

und die Zukunft auf die Kinder.“ Auch beobachtet Satke

eine Zunahme von familiären Konflikten und Gewalt. Gerade

die psychische Gewalt an Kindern und Jugendlichen habe in

der Quarantäne zugenommen. „Es wurde mehr geschrien und

erniedrigt“, berichtet sie über die Gespräche. Welche Folgen

das haben wird, werden wir alle erst später sehen. „Es ist ja

nicht so, dass alles mit den Lockerungen prompt besser wird.

Im Gegenteil: Folgewirkungen merkt man oft erst viel später.“

Das können psychosomatische Erscheinungen sein, Rückzug

und Abfall von schulischen Leistungen.

Die WHO warnt vor steigender psychischer Belastung

durch die Corona-Auswirkungen. Doch schon vor der Krise

fehlen österreichweit tausende kassenfinanzierte Therapieplätze

für Kinder und Jugendliche, und die Wartezeit beträgt

oft mehrere Monate. Auch was die psychiatrische

Behandlung betrifft sind Kassenplätze

Mangelware. Psychiater unterscheiden sich

von Therapeuten vor allem dadurch, dass

sie aufgrund ihres Ärztestatus Medikamente

verschreiben können. Was in schweren

Fällen wichtig ist. Doch in manchen Bundesländern

gibt es nach wie vor keinen

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie

mit Kassenvertrag. Auch in Wien stehen den

etwa 350.000 Kindern nur sechs Kinder- und

Jugendpsychiater mit Kassenvertrag zur

Verfügung – nötig wären aber laut unabhängiger

Gesundheitsexperten bis zu 30,

so Johannes Steinhart, Obmann der Kurie

niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der

Ärztekammer für Wien. Im Februar diesen

Jahres lehnte die Österreichischen Gesundheitskasse

(ÖGK) eine Aufstockung um nur

fünf weitere Kassenordinationen einfach ab.

„Eine Katastrophe“, so Steinhart. Seit Jahren

weist die Ärztekammer auf die Unterversorgung

der Wiener Kinder und Jugendlichen

in diesem medizinischen Fachgebiet hin.

Bestätigt wird der Warnruf sowohl von Gesundheitsexperten

als auch vom Stadtrechnungshof, vom Leiter des Psychosozialen

Diensts der Stadt Wien und auch vom Gesundheitsstadtrat

selbst, heißt es dazu in der APA-Aussendung von Februar

diesen Jahres. Steinhart kritisiert hier, dass letztendlich auf

Kosten der jüngsten und ärmsten Patientinnen und Patienten

versucht würde, das durch die Kassenfusion verursachte

Defizit mit Einsparungen bei der Gesundheitsversorgung zu

reduzieren.

Trotzdem, Wien tut etwas. So wurde im Februar 2020 das

neue kinder- und jugendpsychiatrische Ambulatorium in Hietzing

eröffnet, ein Baustein im Rahmen des psychiatrischen und

psychosomatischen Versorgungsplans Wien: „Bis 2030 wird

es, zusätzlich zu einem noch weiter ausgebauten stationären

Angebot, sechs spezialisierte Ambulatorien für Kinder- und

Jugendpsychiatrie in ganz Wien geben“, so der Koordinator

für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien,

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Jugendliche und deren

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Notruf steht 24h täglich 365

Tage im Jahr zur Verfügung

(01) 31330

Ewald Lochner. Doch bevor Kinder und Jugendliche im Spital

landen, sollte an der Prävention gearbeitet werden – auch aus

Kostengründen. Die Psychotherapeutin Romana Wiesinger

rechnet vor, wie viel Therapiestunden sich für das Tagesgeld

im Spital ausgehen würden. Immerhin koste ein Bett im Spital

am Tag bis zu 4000 Euro, so Wiesinger. Daher sorgte Gesundheitsminister

Rudolf Anschober für große Hoffnung, als er

Mitte Mai den generellen Ausbau von Psychotherapieplätzen

in Aussicht stellte. Das Ziel sei, Psychotherapie auf Krankenschein

zu verschreiben. Der Österreichische Bundesverband

für Psychotherapie zeigte sich darüber sehr erfreut und

versprach Unterstützung durch Expertise. Dass in Anschobers

Amtszeit die psychische Gesundheit eine wesentlich stärkere

Rolle spielen wird, mag auch an persönlicher Erfahrung auf

diesem Gebiet liegen. Der Politiker erlitt 2012, mit Mitte 50,

ein Burn-out. Er verweist in der Öffentlichkeit darauf, dass

Burn-out eine hartnäckige Erkrankung und

dem Ausbruch ein mehrjähriger Prozess

vorangegangen sei.

BITTE ERNSTNEHMEN!

Bei einem Politiker mag eine Stressüberlastung

nicht verwundern, bei einer

16-jährigen Schülerin schon. Doch genau

das erleben immer mehr Ärzte und Therapeuten.

Der deutsche Kinder- und Jugendpsychiater

Michael Schulte-Markwort

schreibt in seinem Buch „Die Burnout-Kids“,

wie das Prinzip Leistung die Kinder zunemend

überfordert. Gleichzeitig warnt er vor

einem effekthascherischen Umgang mit

dem Begriff. Auch Wiesinger sagt: „Schnell

werden Begriffe zu Modeerscheinungen.

Doch nicht jede Müdigkeit ist ein Burn-out,

genauso wenig wie nicht jede Unruhe gleich

ADHS bedeutet oder nicht jede Beleidigung

gleich Mobbing ist.“ Zudem sind am „Ausbrennen“

der Jugendlichen nicht per se

unsensible Lehrer und förderwütige Eltern

schuld – sondern die Ursache ist komplexer

und liegt viel an unser aller Werte. Für Wiesinger gilt daher:

„Ernstnehmen!“ Wenn Kinder und Jugendliche Anzeichen zeigen,

dann ist ihr Appell an die Erwachsenen: „Nehmt sie ernst!

Kinder und Jugendliche haben tatsächlich Probleme.“ Kleinreden

macht es nur schlimmer. Außerdem leben Erwachsene

oft „ungesunde“ Werte vor: Wenn sie selbst ständig am Handy

sind, ungesunden Schönheitsidealen hinterher fiebern und

ihre Terminkalender zum Bersten voll sind, dann beeinflusst

all das ihre Kinder. „Es kommt einfach keiner mehr runter!“ so

Wiesinger.

So war die Corona-Situation für manche auch ein

Geschenk. Wie für die beiden Mädchen Daniela und Aurora.

Befreit vom schulischen Ballast erlebten sie eine heilende Auszeit

in der Quarantäne. Und auf einmal taten sie etwas, das sie

jahrelang nicht mehr gemacht hatten: Nichts. ●

* Namen von Redaktion geändert

/ POLITIKA / 21


Herr Anschober,

wie viele Bekannte

von Ihnen sind an

Corona gestorben?

Wie viele

Bekannte von

Ihnen sind

an Corona

erkrankt?

Wie viele

Bekannte von

Ihnen sind

an Corona

gestorben?

Wie viele

Nasen-Mund-

Schutz-Masken

werden

wöchentlich

in Österreich

produziert?

Interview in Zahlen:

In der Politik wird schon genug

geredet. Biber fragt in Worten,

Gesundheitsminister Rudolf

Anschober antwortet mit einer Zahl.

0

0

500.000

Von Marco Maurer, Amar Rajković

Fotos: Zoe Opratko

4 Monate brauchte Rudolf Anschober, um sich von seinem

Burnout 2012 vollständig zu erholen.

Der Gesundheitsminister hat keinen einzigen Bekannten, der an

Corona erkrankt ist.

Wie hoch ist die

Wahrscheinlichkeit

in Prozent,

dass die Regierung

bis zur Ende

der Legislaturperiode

hält?

Wie oft waren

Sie bis jetzt

mit türkisen

Kollegen ein

Feierabendbier

trinken?

Wie viel Euro

(netto) sollte

eine Vollzeit-

Pflegekraft

in Österreich

mindestens

verdienen?

Wie viele

Masken

besitzen Sie?

In wie viele

Ländern

werden wir

im Sommer

Urlaub machen

dürfen?

90

1

2000

25

4

22 / POLITIKA /


In welchem

Jahr wird es

spätestens

einen Impfstoff

gegen Corona

geben?

Wie oft

waschen und

desinfizieren

Sie sich Ihre

Hände am Tag?

Wie viele

Pressekonferenzen

haben Sie

seit Corona-

Ausbruch

abgehalten?

Mit wie vielen

Virologen sind

Sie per Du?

Spätestens in

welchem Jahr

wird es die/den

erste/n grüne/n

Kanzler/in geben?

2021

12

60

7

2030

Erst 1 Mal war Gesundheitsminister Anschober mit seinen

türkisen Kollegen ein Feierabendbier trinken.

Mit 7 Virologen ist Rudolf Anschober per Du.

Wie viel Prozent

Ihrer

MitarbeiterInnen

haben

Migrationshintergrund?

Mit wie vielen

afghanischen

Asylwerbern

sind Sie in

Kontakt?

Wie viele Monate

haben Sie

gebraucht, um

vom Burn-Out

2012 zurückzukehren?

Vor wie vielen

Tagen haben

Sie das letzte

Mal geweint?

Wie oft sind

Sie als Schüler

während des

Unterrichts

eingeschlafen?

7

12

4

3

10

/ POLITIKA / 23


ora, 23

tyle

URLAUB IN

ÖSTERREICH:

WERBT DOCH UM

DIE MIGRANTEN!

-of-the-Dirndl-Box

erhosen finde ich cool, am

ten mit Rüschenbluse und

-Heels dazu. Und ein Dirndl,

ar, irgendwann hätte ich auch

e einmal eines. Dann aber ein

r-Extravagantes im Parison-Look

mit Gold und Brokat.

r bis dahin warte ich noch auf

elegenheit eines zu tragen!“

uchenherz vom prater - 6€

t & lederhose (aus leinen) -

rtaler Trachtenwelt - 29,99€

,99€

en von Zillertaller Trachten-

- 19,99€

he - magazin am Getreidet

- 54€

24 / MIT SCHARF /


Das Werben des österreichischen Bundeskanzlers um

deutsche Touristen unterstützt biber-Chefredakteurin

Delna Antia-Tatić zwar persönlich sehr, berufsbedingt

schlägt sie aber eine andere Strategie vor.

Von Delna Antia-Tatić, Foto: Tina Herzl

Der Bundeskanzler will es, die Hotellerie will es, ich

will es. Nur der deutsche Innenminister scheint

nicht erpicht, seine Deutschen uns Österreichern

hier zum Urlauben zu überlassen. Und dann wurden

in einer Fleischfabrik in Nordrhein-Westfalen auch noch

hunderte Mitarbeiter Covid-positiv getestet – weil die Massenhaltung

anscheinend nicht bei Tieren aufhört, sondern osteuropäische

Arbeiter auf engstem Raum zusammengepfercht

werden. Aber dieses Schlamassel ist ein anderes Thema.

Nach solch einer Meldung vergeht womöglich auch Herrn

Kurz und Frau Köstinger der Appetit auf deutsche Urlauber.

Insgesamt lässt die deutsche Performance zu wünschen übrig.

In meinem Heimatland liegt im Mai der zentrale Faktor „R“, der

die Reproduktion des Virus anzeigt, wieder bei über 1 und ist

so hoch wie lang nicht mehr. Was vielleicht nicht nur an Ostern

liegt, sondern an deutschen Prioritäten wie

Fleisch und Fußball. Will man angesichts dieser

„Fahrlässigkeiten“ überhaupt Menschen

aus solch einem Land in Österreich reinlassen,

frage ich mich also bang. Immerhin

stammen meine Eltern aus diesem berüchtigten

Bundesland Nordrhein-Westfalen, das

halb so groß wie Österreich, aber doppelt so

viele Einwohner zählt. Persönlich hoffe ich

natürlich, dass meine Mutter nicht ihre Notfallpläne

umsetzen muss und per Heckenschere

und Floß über die grüne Grenze zu

ihrem Enkelkind kommt. Sondern dass der

deutsche Innenminister endlich die Risikobewertung unseres

österreichischen Kanzlers beherzt. Wie Kurz per Bild-Zeitung

verkündet hatte, sei es ja für Deutsche weniger gefährlich nach

Österreich zu reisen als für Ostdeutsche nach Nordrhein-Westfalen.

Doch wie gesagt, das sind privat motivierte Hoffnungen.

„WIR MIGRANTEN SIND HEUER FIX DIE

BESSEREN DEUTSCHEN!“

Für Österreichs Tourismuswirtschaft schlage ich eine andere

Strategie vor. Und die ist durchaus beruflich motiviert: Liebe

Tourismusgebiete, liebe Hotels und Ferienunterkünfte, statt

sich um die Deutschen zu scheren, werbt‘s doch um die

Migranten! Um all die österreichischen Mitbürger, die noch nie

am Ossiacher See, im Salzkammergut oder auf einem Bauernhof

in der Steiermark waren. Durch meine Arbeit bei biber weiß

ich nur zu gut, dass „unsere“ Zielgruppe als Kunden nicht nur

unterschätzt wird, sie wird oft auch gar nicht gesehen – und

deswegen gar nicht angesprochen. Aber „wir“ sind da! Wir

Wir wollen Berge

erklimmen, an

Kühen vorbeiwandern

oder mit den

Kindern im See

planschen.

sind konsumfreudig, unternehmungslustig und reisehungrig.

Wir wollen Berge erklimmen, an Kühen vorbeiwandern oder

mit den Kindern im See planschen. Dass man das in Österreich

kann, wissen wir von den Werbeplakaten. Dass auch wir

das machen könnten, ist jedoch nicht ganz so klar. Es fehlt die

Erfahrung: Wie, was, wohin überhaupt? Denn seit jeher reisen

unsere Eltern in den Sommerferien mit uns nach „unten“, ob

Bosporus oder Balkan, für uns war Österreich immer nur die

Durchfahrtstraße. „Unten“ ist die Familie, das selbst gebaute

Haus, das Mittelmeer. Und abseits der großen Ferien machen

wir hippe Städtetrips: Istanbul, Paris, Berlin. Als nicht richtiger

Österreicher nun richtig in Österreich Urlaub machen, das müssen

wir erst kennenlernen.

Wie meine bosnischstämmige Kollegin mir beichtete: Die

Schönheit der Berge und Seen in ihrer österreichischen Heimat

lernt sie erst kennen, seitdem sie einen

österreichischen Freund besitzt. Ihre Mutter

hat noch nie in Österreich Urlaub gemacht.

Nun, vielleicht ist jetzt die Zeit dazu. Denn

Balkanreisen oder Türkeibesuche scheinen

derzeit mindestens genauso fraglich wie die

Piefkesaga. Von Städtetrips ganz zu schweigen.

Mein Vorschlag also an die Tourismusbranchen:

Statt vergeblich auf deutsche

Gäste zu hoffen, versucht doch eine neue

Kundschaft für Euch zu gewinnen. Wir

Migranten sind heuer fix die besseren Deutschen:

Wir sind da, sprechen Hochdeutsch

ohne Unwörter wie „lecker“ zu benützen (ich erwähne das hier

zur Sicherheit) und bringen mit unseren Namen trotzdem ein

gewisses internationales Flair in euer Gästebuch. Statt Sabine,

Thomas und Kai Kohlmann, könntet ihr heuer Goran, Ivana und

Sueda Aktas beherbergen. Klingt doch gut, oder? Und nun zur

Eigenwerbung, die in diesen Zeiten moralisch durchaus vertretbar

ist: Wenn ihr nicht wisst, wie man diese „Aktas & Co“ am

Besten erreicht, biber weiß es und hilft gern. ●

Chefredakteurin Delna Antia-Tatić

empfiehlt der Tourismusbranche,

heuer nicht auf deutsche Gäste zu

setzen, sondern eine neue Kundschaft

zu gewinnen: Die Migranten

in Österreich.

antia@dasbiber.at

/ MIT SCHARF / 25


#PRAYATHOME

26 / POLITIKA /


Live-Streams aus der Moschee, Watch-Partys auf Facebook und

Spendenaufrufe über WhatsApp – die Corona-Krise hat muslimische

Gemeinschaften gezwungen, kreative Lösungen für den Wegfall ihrer

Besucher und Einnahmen zu suchen – sogar über einen Moscheebeitrag

wird diskutiert. biber hat sich umgehört in der Community.

Von Muhamed Beganović, Fotos: Zoe Opratko

Vor der Krise war ich jeden Tag in der Moschee“,

erzählt Tarik Deniz*, ein junger Medizinstudent

aus Innsbruck. Mit Freunden betete er die

Morgen- und Nachtgebete in einem der Gotteshäuser

in der Stadt. „Die Moschee war somit auch ein Ort der

Verbundenheit und Gemeinschaft“, erklärt er. Doch dann kam

das Corona-Virus. Die Pandemie breitete sich rasend schnell

aus, ähnlich wie der Schatten nach dem Sonnenuntergang,

weshalb teils drastische Maßnahmen notwendig waren, um sie

einzudämmen.

Dazu zählte auch die komplette Schließung der Moscheen,

die von März bis Mitte Mai andauerte. Das zwang Muslime,

ihre gewohnten Routinen von heute auf morgen aufzugeben.

Für Deniz bedeutete es, dass es keine täglichen Treffen mehr

geben konnte. „Die habe ich gebraucht, um in diesen Zeiten

des ständigen Wandels eine innere Stabilität zu etablieren“,

sagt Deniz, der den Gebetsstätten nachtrauert. Ähnliche Klagen

hört man von praktizierenden Musliminnen und Muslimen,

die besonders im islamischen Monat Ramadan, der heuer

umgerechnet am 24. April begann und am 23. Mai endete,

hart von den Schließungen getroffen wurden.

Denn der Besuch der Moschee ist mehr

als eine physische Tätigkeit. Er geht mit

einer seelischen Komponente einher. „Dort

finde ich mich selbst und vergesse alles

andere, alle Ablenkungen, alle Probleme und

Herausforderungen des Alltags“, sagt Nermin

Ismail, eine 23-jährige Journalistin aus

Wien. „Keine Moschee besuchen zu können

ist für mich eine noch nie dagewesene Realität,

die mich beunruhigt“, fügt sie hinzu.

Den Muslimen, mit denen biber gesprochen

hat, ist jedoch zugleich auch klar,

welch eine wichtige Rolle die Schließungen

für das Allgemeinwohl haben. „Anfangs war

ich etwas genervt, aber dann habe ich verstanden,

dass das die beste Entscheidung

ist, um die Gesundheit von allen zu schützen.

Daher stört es mich auch gar nicht

mehr”, sagt Gehad Samy, eine 22-jährige

Psychologie-Studentin aus Wien, die vor

Corona mehrmals in der Woche Moscheen

Keine Moschee besuchen

zu können ist für

mich eine noch nie

dagewesene Realität,

die mich beunruhigt.

Nermin Ismail, “ Journalistin

aufgesucht hat. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch und

so haben jüngere Muslime wie Samy und Deniz entdeckt, dass

sie ihre Spiritualität auch digital ausleben können. „Um den

Kontakt zu meinen Freunden aufrechtzuerhalten, haben wir

beschlossen, tägliche Onlinetreffen abzuhalten, in denen wir

uns islamisches Wissen aneignen. Das ist unser Versuch, das

Beste aus dieser Situation zu machen”, erzählt Deniz.

FACEBOOK WATCH-PARTYS UND ZOOM-

KONFERENZEN

Doch nicht nur Gläubige, sondern auch die Gemeinden sind

gezwungen, ihre Herangehensweisen zu überdenken. Das hat

zu teilweise kreativen Lösungen geführt. In einem Video, das

die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ)

Mitte April auf Youtube veröffentlichte, fordert Präsident Ümit

Vural die Muslime auf, ihre Wohnungen zu Moscheen umzugestalten.

Er will damit jenen Mut machen, die sich nach den

Gebetshäusern sehnen, und ihnen das social distancing ein

wenig erleichtern. Zugleich hat die IGGiÖ begonnen, Online-

Inhalte wie Webinare anzubieten. Auch einige Moscheen

nutzen soziale Medien, um mit ihren Mitgliedern

in Kontakt zu bleiben. Zu den Pionieren

gehört das Islamische Zentrum Wien (IZW).

Bereits am Anfang der Krise hat das Zentrum

begonnen, jene Einheiten wie Arabisch-

Sprachkurse, Koran-Unterricht oder Wochenendprogramme

für Kinder, die normalerweise

in den Räumlichkeiten der Moschee angeboten

wurden, über die Videokonferenz-

Plattform Zoom abzuhalten. „Das hat in der

Gemeinde großen Anklang gefunden. Es

macht sich bemerkbar, dass es der jüngeren

Generation viel leichter fällt, diese Online-

Angebote zu nutzen, als vielen der älteren

Generation, die mit dieser Art der Mediennutzung

weniger vertraut sind“, berichtet

Salim Mujkanović, einer der drei Imame des

IZW. Zudem bot das Zentrum Livestreams auf

Facebook von den nächtlichen Gebeten im

Ramadan an. Hier sah man allerdings nur den

Imam, da sonst keine Besucher zugelassen

waren. Die Bosniakische Kultusgemeinde

/ POLITIKA / 27


Die Bosniakische Kultusgemeinde nutzt Facebook-

Watchpartys, um mit ihren Mitgliedern zu kommunizieren.

Mitte, die knapp ein Dutzend Moscheen

umfasst, nutzt Facebook Watch-Partys, um

mit ihren Mitgliedern zu interagieren. Das

Angebot würde gut genutzt, heißt es dazu.

Auch Indira Polimac-Hasanović berichtet

nur positiv über solche virtuellen Zusammenkünfte.

Sie ist Teil einer Frauengruppe,

bestehend aus Mitgliedern verschiedener

oberösterreichischer Moscheen, die mehrmals

in der Woche Vorträge über Zoom

veranstaltet. „Etwa 50 Frauen im Alter zwischen 25 und 60

nehmen jedes Mal teil“, sagt Polimac-Hasanović.

RETTUNGSSCHIRM FÜR MOSCHEEN

Diese virtuellen Angebote sind natürlich kein Ersatz für das

Gemeinschaftsgefühl und die soziale Komponente einer

Moschee. „Mir fehlt der persönliche Kontakt mit Freund*innen

und Glaubensgeschwistern“, sagt Medina Velić, eine 32-jährige

Grazerin, die während der Krise die vielen Online-

Angebote des Islamischen Zentrums Graz nutzt. Solange die

Maßnahmen der Regierung aber nicht gelockert werden und

die Krise nicht vorbei ist, werden die Moscheen ihren vollen

Betrieb nicht aufnehmen können. Aktuell darf ein Besucher

pro zehn Quadratmeter Fläche die Moschee betreten. Das

macht Gemeinschaftsgebete großteils unmöglich. Wie lange

das so weitergehen wird, ist noch offen. Für viele der Gläubigen

läuft eine Art Countdown, bis sie Moscheen wieder

normal betreten können. Doch was, wenn das nicht eintrifft?

Bereits im April wurde bekannt, dass ein Drittel der 350

Moscheen in Österreich finanziell besonders hart von der

Corona-Krise betroffen ist. Es drohe manchen sogar die permanente

Schließung. Vor allem kleinere Moscheen seien anfällig,

da sie oft zu wenige Mitglieder haben, die fixe (monatliche

oder jährliche) Beiträge entrichten und so für eine finanzielle

Basis sorgen. „Einige davon sind bereits direkt an uns herangetreten“,

sagt Ümit Vural im Interview mit biber. Die IGGiÖ

hat deshalb eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform

Leetchi zur Rettung der Moscheen gestartet und über 50.000

Euro gesammelt. „Diese Spendengelder werden dann gerecht

auf alle Moscheen aufgeteilt, die einen vollständigen Antrag

bei uns eingereicht haben. Je mehr Spenden eingehen, desto

mehr Moscheen können wir unter die Arme greifen“, sagt

Vural.

Eine von der Krise betroffene Moschee ist die Islamische

Vereinigung in Österreich, die man besser unter dem Namen

Al-Hidaya kennt. Weil ihr die Besucher entgehen, fallen auch

die Spenden, die durch diese lukriert werden, weg. Das sind

durchaus mehrere hundert Euro pro Woche und es macht

sich spürbar. Al-Hidaya musste sich bereits von Mitarbeitern

trennen und konzentriere sich jetzt darauf, die Fixkosten wie

Miete oder Strom zu decken, erzählt Khaled Mohamed, Generalsekretär

der Al-Hidaya Moschee. „Als Allererstes haben

wir als Vorstand in unsere eigenen Taschen gegriffen und

das Budgetloch der Moschee gestopft“, sagt er. Auch Salem

Hassan, Gründer der islamisch-schiitischen Glaubensgemeinschaft

in Österreich sowie Vorstandsmitglied der Ahl-ul-Bayt

Moschee in Hernals, erzählt, dass bestehende

Mitglieder verstärkt Solidarität in der

Je mehr Spenden

eingehen, desto

mehr Moscheen

können wir unter

die Arme greifen.

Krise gezeigt und durch erhöhte Spenden

die Finanzierung, zumindest für eine Weile

gesichert haben. Doch das sei nicht genug

und auch keine langfristige Lösung. Je länger

die Krise andauert und je mehr Menschen

in die Kurzarbeit gehen oder gar den

Job verlieren, desto drastischer werden

die Folgen für die Moscheen. „Wir haben

keinen Krisenfonds“, beklagt Mohamed.

Eine Gruppe von arabischen Moscheen hat sich darum zusammengeschlossen

und einen eigenen Spendenaufruf gestartet,

den sie über soziale Medien und Instant-Messaging-Dienste

wie WhatsApp verbreiten. Auch Al-Hidaya nimmt daran teil

und zeigt sich zufrieden. „Die Kampagne hat sehr gut funktioniert.

Menschen haben Empathie und Solidarität gezeigt. Man

muss sie nicht lange davon überzeugen zu spenden. Es reicht,

sie auf das Problem aufmerksam zu machen“, sagt Mohamed.

„Moscheen haben eine wichtige soziale Rolle für Menschen.

Darum sind viele bereit, sie zu unterstützen“, fügt er hinzu.

EINE „KIRCHENSTEUER“ FÜR MUSLIME

Damit Moscheen in Zukunft Krisen besser standhalten können,

setzt sich IGGÖ-Präsident Ümit Vural seit etlichen Monaten

für einen Moscheebeitrag ein, das muslimische Pendant einer

Kirchensteuer. Damit sollen die Strukturen gestärkt werden.

„Es geht um die Sicherung der Qualität unserer Arbeit und

den professionellen Ausbau unserer Dienstleistungen für die

28 / POLITIKA /


Je mehr Spenden

eingehen, desto

mehr Moscheen

können wir unter

die Arme greifen.

Ümit Vural, “ Präsident der

IGGiÖ

Moscheen zu schließen

ist die beste Entscheidung,

um die

Gesundheit von allen zu

schützen..

Gehad Samy, Psychologiestudentin “

Wir haben in die

eigenen Taschen

gegriffen und das

Budgetloch der

Moschee gestopft.

Khaled Mohamed, “ Generalsekretär

der Al-Hidaya Moschee

muslimische Gemeinschaft“, erklärt Vural. „Am attraktivsten

würde sich wohl das sogenannte italienische Steuermodell

erweisen, bei dem ein bestimmter Prozentsatz der ohnehin

eingehobenen staatlichen Steuereinnahmen auf alle Religionen

abhängig von ihrer Mitgliederanzahl verteilt wird“, fügt er

hinzu, doch dies sei unrealistisch. Daher müsse die IGGiÖ eine

interne Lösung finden. Khaled Mohamed gehört zu den Unterstützern

der Initiative. „Der Moscheebeitrag ist wichtig. In Krisenzeiten

wie diesen ist jede Moschee auf sich alleine gestellt

und muss selbst Wege finden zu überleben”, beklagt er – wohl

auch, weil er aus erster Hand gesehen hat, wie schwer dieser

Kampf sein kann. Die Diskussion um den Moscheebeitrag ist

jedoch hitzig. Eine Zwangsbesteuerung könnte auch Austritte

bewirken, sagen kritische Stimmen. Muhaned Miftaroski, ein

30-jähriger Jus-Student aus Wien, findet, dass man zwar alles

Mögliche tun sollte, um permanenten Schließungen vorzubeugen,

von einem Moscheebeitrag hält er aber nichts, da es

diejenigen, die ohnehin selten oder nie in die Moschee gehen,

abschrecken würde. „Großangelegte Spendenaktionen, die

auch die aktuelle Lage genauer erklären und Bewusstsein

schaffen, würden meiner Meinung nach viel mehr Abhilfe

schaffen“, sagt er.

Andere Muslime sehen es pragmatischer. „Ich wäre offen

für jeden Vorschlag, der die Zukunft der österreichischen

Moscheen zu sichern versucht”, sagt Deniz. Für ihn ist die

Krise aber vor allem eine Chance, weshalb er mit einer moderaten

Menge Optimismus auf sie blickt. „Obwohl manche uns

gewohnte und geliebte Sachen weggefallen sind, haben sich

uns durch die Krise viele neue Möglichkeiten erst eröffnet“,

sagt er. Er glaubt nicht, dass Gebete über Facebook oder

Islam-Unterricht über Zoom davor möglich gewesen wären.

„Die Zeit der Quarantäne war sehr nützlich”, sagt Deniz. ●

*Name von der Redaktion geändert

Das Geld in den Moscheen wird knapp – kommt ein

„Moscheebeitrag“?

/ POLITIKA / 29


„Wir müssen den

Gemeinde bau

nicht zurückerobern.“

Wohnbaustadträtin

Kathrin Gaál (SPÖ) über

ihre Corona-Erkrankung,

die Mietobergrenze im

Neubau, die neuesten

Wohnbaugebiete in der

Stadt und den Kampf um

den Gemeindebau bei den

Wahlen im Herbst.

Von: Aleksandra Tulej

Fotos: Christoph Liebentritt

BIBER: Sie gehören zu den knapp

14.000 Genesenen in Österreich. Fühlen

Sie sich befreit, das Virus schon hinter

sich zu haben?

KATHRIN GAÀL: Ich bin sehr froh und

dankbar, dass ich wieder gesund bin.

Aber befreit fühle ich mich nicht. Neben

dem Gesundheitsaspekt bedeutet Corona

für viele Menschen in unserer Stadt

eine enorme wirtschaftliche Belastung.

Wir kennen das ganze Ausmaß der Krise

noch nicht und der Ausnahmezustand ist

auch noch nicht vorbei. Die Stadt und vor

allem die Bundesregierung müssen nun

mit größter Aufmerksamkeit darauf achten,

dass die von der Krise Betroffenen

nicht alleingelassen werden.

Hätten Sie gerne einen Immunitätsausweis,

wie ihn der deutsche Gesundheitsminister

zuletzt propagierte?

Über Sinn oder Unsinn solcher Maßnahmen

möchte ich nicht urteilen, das

überlasse ich den zuständigen Experten.

Mir persönlich ist es wichtig, dass mit so

einem Ausweis nicht eine Zwei-Klassen-

Gesellschaft eingeführt wird, in der eine

bestimmte Gruppe dann nicht mehr am

öffentlichen Leben teilnehmen darf.

Sie verbrachten in der Quarantäne 14

Tage in einem Zimmer, ohne ihren Mann

oder Kind zu sehen. Viele Familien in

Wien verfügen nicht über diesen Luxus,

genügend Platz zu haben. Ist Platz für

Familien in Wien leistbar?

Fast zwei Drittel der Wienerinnen und

Wiener leben im geförderten Wohnbau.

Das ist weltweit einzigartig und in diesem

Bereich ist lebenswerter Wohnraum für

Familien zum Glück definitiv leistbar.

Aber natürlich gibt es auch das Drittel,

das auf den freien Wohnungsmarkt

angewiesen ist, wo die Preise seit Jahren

steigen. Um das zu verhindern, muss

auf Bundesebene endlich ein neues

Mietrecht beschlossen werden. Aber die

30 / POLITIKA /


ÖVP blockiert das seit vielen Jahren, auf

Kosten der Mieterinnen und Mieter in

ganz Österreich.

Was wäre überhaupt genügend Wohnraum

– sagen wir für eine Familie mit

zwei Kindern?

Eine Orientierung bieten hier die Wohnberatung

Wien und die Richtlinien für

den Erhalt eines Wiener Wohntickets

mit begründetem Wohnbedarf wegen

Überbelag. Nach dieser Regelung gilt

eine Wohnung mit zwei Wohnräumen

ab drei anzurechnenden Personen als

überbelegt. Drei Wohnräume gelten ab

fünf Personen als überbelegt.

Wieviel Prozent des Einkommens sollte

die Miete ausmachen?

Das ist natürlich sehr stark von der Höhe

des Einkommens, der Größe des Haushalts

und auch dem eigenen Wohnbedürfnis

abhängig. Der wesentliche Punkt

ist für mich, dass nach Überweisung der

Miete noch genug Geld für den Rest des

Monats am Konto sein soll.

Viele orientieren sich an der Faustregel,

dass ein Haushalt nicht mehr als ein

Drittel des Netto-Einkommens fürs Wohnen

ausgeben soll. Aber natürlich wird

das nicht immer jeder Lebenssituation

gerecht. Um in Härtefällen als Stadt da

zu sein, haben wir im Zuge der Corona-

Krise die Beantragung der Wohnbeihilfe

erleichtert.

Was macht die SPÖ, damit der kontinuierliche

Mietanstieg gestoppt wird und

auch sozial schwächere Menschen sich

die Mieten leisten können?

Mit der Einführung der Widmungskategorie

„Geförderter Wohnbau“ haben

wir sichergestellt, dass es auch in

Zukunft genug Grund und Boden für den

sozialen Wohnbau gibt. Und wir haben

das SMART-Wohnbauprogramm massiv

erweitert; zwischen 2020 und 2025 wird

die Stadt Wien noch einmal zusätzlich

135 Millionen Euro in die Errichtung der

populären SMART-Wohnungen investieren.

Bei der letzten Gemeinderatswahl hieß

es, der Gemeindebau als rote Hochburg

ist Geschichte. 2015 verlor die SPÖ bei

den Bewohnern ihre absolute Mehrheit

und lag mit der FPÖ ziemlich gleich auf.

Wie wollen Sie die Gemeindebauten

zurückerobern?

Die SPÖ muss den Gemeindebau nicht

zurückerobern, denn sie war hier ja auch

Auch Corona

wird nichts daran

ändern, dass Wien

in jeder Hinsicht

eine extrem attraktive

Stadt ist.

2015 die Nummer eins. Aber ich war nie

eine Freundin davon, sich auf Vergangenem

auszuruhen. Faktum ist, der Flair

des Wiener Gemeindebaus ist weltweit

einzigartig und die Menschen, die dort

leben, fühlen sich sehr wohl. Ich arbeite

jeden Tag daran, damit das Leben im

Gemeindebau noch besser wird. Lassen

Sie mich nur ein aktuelles Beispiel

nennen: Vor einem Jahr haben wir die

Betreuung der Stiegen wieder auf Einzelbetreuung

umgestellt. Bis 2019 hat ein

fünf- bis sechsköpfiges Team eine Stiege

betreut. Nun ist wieder nur eine einzige

Person für die Stiege zuständig. Bei der

Einzelbetreuung hält sich der Hausbetreuer

länger und öfter in der Wohnhausanlage

auf, meist sogar täglich. Dadurch

entsteht ein persönlicher Bezug zu den

Mietern und der Hausbesorger wird zu

einer wichtigen und greifbaren Kontaktperson.

Heute zeigt sich, dass diese Änderung

von allen Seiten hervorragend

angenommen wird. Ich bin überzeugt

davon, dass die Leute am Ende des

Tages schon ein Gespür dafür haben,

wer wirklich für sie arbeitet, und wer nur

so tut.

Warum gibt es keine Mietobergrenze

beim Neubau?

Das Mietrecht kann man leider nur auf

Bundesebene ändern. Und dort blockiert

die ÖVP seit vielen Jahren jede Reform.

Was können Menschen aktuell tun, die

sich ihre Miete durch die Krise nicht mehr

leisten können?

Grundsätzlich ist allen Mietern zu empfehlen,

sich im Fall von absehbaren Zahlungsschwierigkeiten

möglichst früh an

ihren Vermieter zu wenden. Stundungen,

Ratenvereinbarungen und Räumungsaufschübe

müssen vorab mit dem Vermieter

vereinbart werden. Die MieterHilfe Wien

steht hier jedem kostenlos mit Rat und

Tat zur Seite. Und die MieterHilfe fordert

auch zu Recht von der Bundesregierung,

den verfügten Mietzinsaufschub

und Delogierungsstopp unbedingt zu

verlängern - bis absehbar ist, dass die

Corona-Krise und ihre Folgen wirklich

ausgestanden sind.

Werden die Miet- und Kaufpreise durch

die Krise eher nach oben oder unten

gehen?

Auch Corona wird nichts daran ändern,

dass Wien in jeder Hinsicht eine extrem

attraktive Stadt ist. Ein Magnet für Menschen

aus ganz Österreich und Europa.

Das ist grundsätzlich positiv. Aber es

bedeutet auch, dass Wohnraum in Wien

- trotz unserer großen Neubauleistung -

sehr gefragt bleiben wird.

Welche Stadtgebiete werden in naher

Zukunft entstehen?

Wir bauen aktuell etwa im 2. Bezirk am

Nordbahnhof und am Handelskai, im 3.

Bezirk entsteht das Projekt Eurogate,

im 7. Bezirk entwickeln wir das alte

Sophienspital-Areal, in Meidling entsteht

entlang der Wolfganggasse ein neuer

Stadtteil, in Penzing wird gerade die

Körner-Kaserne zu Wohnraum und allein

in Favoriten, Simmering, Floridsdorf,

der Donaustadt und Liesing entstehen

unzählige weitere Projekte. Bis Ende

2020 bringen wir 14.000 geförderte und

daher leistbare Wohnungen und 4.000

Wohnungen im Gemeindebau Neu auf

den Weg.

Wien wurde im „The World’s Greenest

Cities 2020“-Ranking zur grünsten Stadt

gewählt. Wie kann das sein, fragen sich

viele Wiener, in deren Straßenumläufen

kein einziger Baum wächst. Welche

Pläne gibt es abseits von Parks, um mehr

Grün in Wiens Straßen zu bekommen?

Als Wohnbaustadträtin kann ich Ihnen

dazu sagen, dass gerade der Gemeindebau

enorm zur Begrünung Wiens

beiträgt. Wiener Wohnen betreut sechs

Millionen Quadratmeter Grünraum

und mehr als 1.300 Spielplätze. Nicht

umsonst war das Motto des historischen

Gemeindebauwohnprogramms im Roten

Wien "Licht, Luft und Sonne". Das war

unglaublich visionär, davon profitieren

wir bis heute. Eine Verbauung dieser

Grünflächen, wie von der Opposition

immer wieder gefordert, kommt für mich

nicht in Frage. ●

/ POLITIKA / 31


„Sine*,

prevedi

go toa za

mene“

„Sine,

übersetz

mir das“

DIE UNSICHTBAREN

JOBS DER

MIGRANTENKINDER

Wenn die Deutschkenntnisse der Eltern

nicht ausreichen, sind sie diejenigen,

die eingreifen. Mit ihren ständigen

Einsätzen als LaiendolmetscherInnen

und SekretärInnen unterstützen sie ihre

Familienmitglieder wie sonst niemand –

Migrantenkinder sind die unsichtbaren

Stützen des Systems. Das wurde

für unsere Autorin besonders in der

Corona-Krise sichtbar.

Von Šemsa Salioski

* Sine heißt in B/K/S wortwörtlich „Sohn“, wobei die

Bezeichnung auch auf Töchter angewendet wird.

Sine moj, bitte kommst du ins Biro heute. Du musst

Anträge für Corona-Krise anschauen, die mir Steuerberater

hat vorhin geschickt, sonst ist Werkstatt

am Oasch!“. Mit diesen lieblichen Worten wurde ich, als die

Informationen über die konkreten Hilfsmaßnahmen für Selbstständige

Ende März bekannt wurden, von meinem Vater in

sein „Biro“ gerufen. Moment, ich sollte mich um die Zukunft

seines Unternehmens kümmern? Ganz genau. Ich bin nicht

seine Angestellte, aber ich bin seine Tochter und das ist

sowas Ähnliches, zumindest bei Migrantenfamilien. Mein Vater

beherrscht sein Handwerk als Reifenmonteur einwandfrei.

Aber seine Sprachkenntnisse klingen wie eine lustige Mischung

aus Migrantendeutsch aus Brigttenau und Fast-Wienerisch.

Und das reicht nicht aus, um alleine mit der Informationsflut

rund um die Corona-Krise fertig zu werden. So haben ich und

schließlich auch mein älterer Bruder abwechselnd mit seinem

Steuerberater telefoniert, Anweisungen und Formulare übersetzt,

dann ausgefüllt und sogar seine überforderten Mechaniker

mit ebenso mangelnden Deutschkenntnissen und keinen

© privat

32 / RAMBAZAMBA /


eigenen „Dolmetscherkindern“ über ihre Optionen auf dem

Arbeitsmarkt aufgeklärt. Dass wir uns in diesem Chaos wie

Frank Abagnale aus „Catch Me If You Can“ gefühlt haben,

da wir so tun mussten, als wären wir die Experten schlechthin,

damit in dieser ohnehin schon verdammt unbehaglichen

Corona-Situation niemand in Panik gerät, wissen natürlich

nur wir. Dass die meisten Migrantenkinder Ähnliches sogar

seit ihrer Jugend oder gar Kindheit für ihre Familien erledigen

müssen, bleibt vor den Augen der Außenstehenden meist

verborgen.

FINANZAMT IST KEIN NEULAND MEHR

Meine Volksschulklasse bestand beinahe ausschließlich aus

SchülerInnen mit Migrationshintergrund, daher war dieses

Phänomen für mich persönlich bereits als Kind unübersehbar.

Ich kannte fast alle älteren Geschwister meiner

Klassenkameraden, da diese als ÜbersetzerInnen bei allen

Elternabenden anwesend sein mussten. Sie waren oft selbst

nur wenige Jahre älter als ihre jüngeren Geschwister. Die

ältesten Kinder ziehen in diesem Fall eben

die Arschkarte. Mein Bruder hatte das

Glück, dass zumindest unsere Mutter, die

seit ihrem sechsten Lebensjahr in Wien

lebt, diese Art von Unterstützung nie

gebraucht hat. In meinem Freundeskreis

sah das allerdings anders aus, da bei ihnen

beide Elternteile erst viel später nach

Österreich gekommen waren. Spätestens

ab der Unterstufe wurden sie als LaiendolmetscherInnen

eingesetzt und konnten sich

immerhin darüber freuen, dass ihre Eltern

die Eintragungen für Fehlverhalten im Mitteilungsheft

nie verstanden haben. Neben

den zahlreichen Übersetzungen rund um

die Schule folgten schließlich die deutlich schwierigeren

Gespräche mit Ärzten und Behördenvertretern. Sie mussten

verfrüht lernen, wie das System der „Erwachsenenwelt“ funktioniert.

Der einzige Vorteil: Krankenkassa, Finanzamt oder

das Arbeitsamt sind im späteren eigenen Erwachsenenleben

kein Neuland mehr. Neben dem „Nebenjob“ als ÜbersetzerInnen

kommt für Migrantenkinder später außerdem auch

die Dauertätigkeit als persönliche SekretärInnen der Eltern

hinzu. In meinem Freundeskreis ist es nämlich üblich, dass

alle bis heute den Großteil der wichtigen Termine für ihre

Eltern organisieren. Außerdem kümmern sie sich regelmäßig

um Anträge bzw. Formulare und schreiben für sie Briefe und

E-Mails.

Ich kannte fast alle

älteren Geschwister

meiner Klassenkameraden,

da diese

als ÜbersetzerInnen

bei allen Elternabenden

anwesend

sein mussten.

VERBORGENE SCHAMGEFÜHLE UND ZU

HOHE ERWARTUNGEN

Natürlich mussten sich MigrantInnen auch vor der Geburt

ihrer Kinder in Österreichs Spitälern und Ämtern verständigen.

In gebrochenem Deutsch haben sie sich lange alleine

durchschlagen können. Später hatten sie durch den (meist)

in Österreich geborenen Nachwuchs die Möglichkeit, sich

vieles leichter zu machen. Doch je älter die Kinder werden,

desto eher möchten sie ihre Eltern dazu ermutigen, den Alltag

hierzulande zumindest etwas selbstständiger zu bestreiten,

da sie nicht für immer bei ihnen wohnen werden und

dadurch öfter außer Reichweite sein könnten. Eine ziemlich

verkehrte Welt, oder?

Passend dazu ist mir in meinem Gastarbeiterfamilien-

Umfeld außerdem oftmals aufgefallen, dass viele MigrantInnen

eigentlich über ganz passable Deutschkenntnisse

verfügen und sich dennoch nicht dazu überwinden können,

alleine zum Zahnarzt zu gehen. Ihnen sind der Akzent und

die Grammatikfehler beim Sprechen vor ÖsterreicherInnen

schlichtweg peinlich. Deswegen schweigen sie lieber und

bleiben im Teufelskreis der Abhängigkeit stecken. Und auch

das ist mit Sicherheit ein insgeheim unfassbar unangenehmer

Umstand für einen erwachsenen Menschen. Wer genießt es

schon ständig, von anderen Unterstützung zu brauchen? Das

Ganze bleibt eine unausgesprochene Tatsache, von der beide

Parteien wissen und die ebenfalls von beiden Seiten akzeptiert

wird.

Dennoch kommt es zwischen ihnen natürlich ebenso zu

Spannungen. Der häufigste Grund sind die

unrealistischen Erwartungen, vor allem

an die Kinder, die in Österreich geboren

und aufgewachsen sind. Das fehlerfreie

Beherrschen der Landessprache wird

von vielen älteren MigrantInnen nämlich

schon beinahe als eine Art Zauberkraft

betrachtet, die es einem ermöglichen soll

jedes Gesetz, jede Ausnahmeregelung,

jedes Amt, jede Adresse und jeden Arzt

zu kennen. Diese lästigen Fehleinschätzungen

und die scheinbar nie endende

große Verantwortung, die Migrantenkinder

übernehmen müssen, sind auf mentaler

Ebene durchaus belastend. Man darf

nicht vergessen, dass sie ab ihrer Jugendzeit auch mit dem

Erwachsenwerden und somit mit ihren eigenen Problemen

beschäftigt sind.

STUMME DANKBARKEIT FÜR DIE

UNSICHTBAREN HELDINNEN

Migrantenkinder finden sich trotz allem einfach damit ab,

dass sie „unbezahlte Nebenjobs“als LaiendolmetscherInnen

und SekretärInnen auf Lebenszeit haben. Ein Dankeschön

kommt den meisten Eltern eher selten über die Lippen. Einerseits

ist das in familiären Strukturen an der Tagesordnung,

anderseits würde offenkundigere Dankbarkeit den Ist-dochselbstverständlich-weil-du-mein-Kind-bist-Faktor

eliminieren

und ihnen ihre eigene Abhängigkeit nur noch stärker vor

Augen halten. Auf den Lebenslauf kommen die zeit- und

nervenaufwendigen Leistungen der Migrantenkinder natürlich

auch nicht. Sie sind für Außenstehende unsichtbar. Für die

Eltern bleiben sie allerdings sichtbar. Sie wissen ganz genau,

was sie ihren Kindern zu verdanken haben, auch wenn sie es

nicht immer laut aussprechen können und das muss manchmal

auch reichen. ●

redaktion@dasbiber.at

/ RAMBAZAMBA / 33


MEINUNG

CORONA IST EIN

FULLTIMEJOB

Ich erstelle ein Deutschreferat für ein Buch, welches ich nie

gelesen habe und bringe einem Kind mit Rechenschwäche

das Einmaleins bei. Nebenbei setze ich mich mit meiner

Teenager-Schwester hin und helfe ihr beim Bewerbungen

Verschicken und täglich gibt es zusätzlich neue Arbeitsaufträge

vom AMS für meine andere Schwester zu erledigen.

Wegen Corona liegt nämlich nicht nur meine Matura auf

Eis, sondern auch der Unterricht an den Schulen meiner

jüngsten Geschwister und die AMS-Kurse der etwas

älteren. Für mich als Älteste jedoch bedeutet das tagsüber

zwischen den Rollen der Lehrerin, AMS-Beraterin und persönlichen

Assistentin hin und her zu springen.

NEUE NORMALITÄT?

Wenn ich mich jetzt an meine kindliche Freude zurückerinnere,

als verkündet wurde, dass die Schulen zugesperrt

werden, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Was

anfänglich so gewirkt hat wie ein Kindheitstraum, der

in Erfüllung geht (Wer hat früher nicht schon mal davon

geträumt, dass die Schule wegen einer globalen Pandemie

ausfällt?), hat sich schnell als das genaue Gegenteil

herausgestellt. Von der neu gewonnen Freizeit, die ich

mit der zusätzlichen Vorbereitung auf die Matura und auf

den Aufnahmetest für das Medizinstudium (und vielleicht

auch zwischendurch einmal mit Atmen) verbringen wollte,

konnte ich mich dadurch getrost verabschieden. Und dann

noch dazu auf Instagram unter Corona-Beiträgen zu lesen

wie ‘geschenkt’ die Matura heuer ist und wíe gut wir es

haben, dass die Uni-Aufnahmetests verschoben worden

sind, bringt mich zum Staunen. Es ist nicht greifbar, wie selten

die meisten Leute über ihren eigenen Horizont hinweg

sehen können, denn ich weiß, dass der Zustand bei mir

daheim kein Einzelfall ist. Aber Hauptsache die Politik klärt

bald, ob es jetzt ‘neue Normalität’ oder ‘Ausnahmezustand’

heißt.

Sumaiya Elmurzaeva ist 19 Jahre alt und macht die Berufsreifeprüfung

bei Dr Roland in Wien.

JUGOS BLEIBEN

DAHEIM!

Die Grenzen sind geschlossen. Wir müssen Urlaub in Österreich

machen. Die meisten Jugos fragen sich spätestens

jetzt: „Wann sehen wir unsere Verwandten wieder?“ Sehr

viele Jugos (ich verwende diesen Begriff für alle Menschen

aus Ex-Jugoslawien) denken an die Zeit zurück, als sie

spontan übers Wochenende runter nach Kroatien, Bosnien,

Serbien fahren konnten. Eine schöne Zeit war das. Die

ganzen Freunde treffen, eine Grillerei nach der anderen,

Mopedtouren durchs Dorf mit dem Kindheitsfreund hinten

drauf. Ich denke sogar mit Wehmut an das grausame Trinkwasser

unten, das kaum mit dem alpenfrischen Quellwasser

aus dem Salzkammergut zu vergleichen ist.

Wie können wir diese Zeit nachholen, die wir durch die

Krise verloren haben? Das kann uns kein Politiker, kein

Epidemiologe, keiner auf dieser Welt beantworten. Wann

können wir wieder runterfahren? Wann werden die „Jugos“

ihre Häuser auf dem Balkan besuchen können? Dieses

Thema ist allgegenwärtig, wenn ich mit Leuten von „unten“

telefoniere, aber auch unter Austro-Jugos, die es nicht

erwarten können, endlich wieder die besten Ćevape zu

essen. Und zwar in jeder Stadt, die wir mit unserem Golf 2

von Tuzla bis Sarajevo durchfahren.

KEINE ĆEVAPE DIESES JAHR?

„Ich fahre nicht oft runter, aber jetzt, jetzt würde ich sofort

runterfahren! Mein Dorf, meine Leute, alles fehlt mir“, sagt

mir ein Freund und bringt mich auch auf traurige Gedanken.

Wird die schönste Zeit des Jahres dieses Jahr ausfallen?

Abgeblasen? Findet nicht statt?

Wir alle müssen abwarten, wie die Regierungen am Balkan

reagieren und wie es weitergeht. Immer mehr Staaten

öffnen ihre Grenzen. Wir können nur optimistisch sein, dass

wir den Sommer in unseren Häusern in unseren Heimatstädten

verbringen können. Endlich wieder unsere Freunde,

unsere Familien sehen. Und die saftigsten Ćevape mampfen.

Garantiert ohne Zwiebelsenf, dafür mit Kajmak und

Zwiebeln.

Peter Marković ist 19 Jahre alt und geht in die 4BK der HAK Bad Ischl,

Schülervertreter der HAS/HAK Bad Ischl

34 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF //


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POLITISCHE BILDUNG MIT

_ERINNERN.AT_

© _erinnern.at_

Aus der Geschichte lernen heißt, sich mit ihr

auseinanderzusetzen, ernsthaft und aufrichtig.

Gedenktage helfen uns dabei und „verweisen auf

unsere Verantwortung für eine offene Gesellschaft

und ein entschlossenes Eintreten gegen Antisemitismus

und Rassismus“, so Bildungsminister

Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann. Demokratisches

Grundverständnis sei keine Selbstverständlichkeit

und müsse immer wieder neu erarbeitet werden.

Am 27. April 2020 jährte sich die „Proklamation

über die Selbständigkeit Österreichs“ zum 75.

Mal, der 5. Mai steht im Gedenken gegen Gewalt

und Rassismus und am 8. Mai 1945 wurde Europa

vom Nationalsozialismus befreit. Ein guter Anlass,

um die Wichtigkeit politischer Bildung an unseren

Schulen zu thematisieren und aufzuzeigen, wie

kompetenzorientierte Politik- und Geschichtsvermittlung

ganz konkret aussehen kann.

Seit nunmehr 20 Jahren unterstützt das

Institut für Holocaust Education _erinnern.at_


Herbert Traube wurde 1938 als

Jude aus Wien vertrieben, 1945

kehrte er als französischer Soldat

zurück und befreite Vorarlberg

von der NS-Herrschaft.

2019 besuchte Traube Schulen in

Vorarlberg, ein Interview mit ihm

ist auf www.weitererzaehlen.at

zu sehen.

das österreichische Bildungssystem

mit Lernmaterialien, bietet

hochwertige Fortbildungen für

Pädagoginnen und Pädagogen

an, begleitet Zeitzeuginnen und

Zeitzeugen an Schulen, erstellt

Ausstellungen für Schulen, gestaltet

Lernwebsites für Schulen,

beteiligt sich an Forschungsprojekten

und engagiert sich im internationalen

Dialog, insbesondere

mit Israel. Bereits in den 1970er

Jahren besuchten Überlebende

des Holocaust Schulen, Kontakte

wurden intensiviert und gemeinsam

mit Lehrkräften widmete

man sich neuesten Forschungsergebnissen. In

zahlreiche Begegnungen lernten die Schüler/innen

die so unterschiedlichen persönlichen Lebensumstände

der Überlebenden kennen. BM Faßmann

bedankte sich anlässlich des Gedenktages zum

Ende des Zweiten Weltkrieges, der Befreiung von

der NS-Herrschaft und den Beginn eines vereinten

demokratischen Europas bei den Zeitzeuginnen

und Zeitzeugen, „die unermüdlich ihre Überlebensund

Verfolgungsgeschichte an unsere Jugend

weitergeben“.

POLITISCHE BILDUNG IST

FÄCHERÜBERGREIFEND

Die Gespräche mit Verfolgten der NS-Zeit vertiefen

die vermittelten Unterrichtsinhalte in Fächern wie

Geschichte, Politische Bildung, Religion, Ethik und

darüber hinaus. Neben kognitivem Lernen durch

die Begegnung sind aber vor allem die affektiven

und sozialen Aspekte wichtig; die Gespräche stärken

das Einfühlungsvermögen der jungen Menschen

und allgemein ihre soziale Kompetenz.

LEBENSGESCHICHTEN

BEWAHREN

© _erinnern.at_

Zunehmend wird versucht, mit Videointerviews

die Geschichten und Erzählungen der Überlebenden

für die Zukunft zu bewahren und damit auch

künftig für den Unterricht nutzbar zu machen.

Durch die direkte Auseinandersetzung mit persönlichen

Erfahrungen der Zeitzeug/innen ist es

auch gelungen, bislang unentdeckte Inhalte der

Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust

für den Unterricht zu erschließen, neue Materialien

zu entwickeln und vielfältige Online-Angebote zu

erstellen.


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VERMITTLUNG

VON NATIONAL-

SOZIALISMUS UND

HOLOCAUST IN

EINER VON MIGRA-

TION GEPRÄGTEN

GESELLSCHAFT

Weiterbildungsreisen der Pädagog/innen

nach Israel eröffnen

auch neue Betrachtungsweisen,

wenn sie die Themen

Holocaust und Nationalsozialismus

aus israelischer Perspektive

kennenlernen. Darüber hinaus erfahren sie von

den Bemühungen des „Center for Humanistic Education“,

mittels Holocaust Education den jüdischarabischen

Dialog zu bestärken. Dies ist besonders

wichtig angesichts zunehmend multiethnischer

Schulklassen. Und noch ein ganz wichtiger Aspekt

soll in den Unterricht hereingeholt werden, jener

über das jüdische Leben! Wie sah das jüdische

Leben in Europa vor Verfolgung und Vernichtung

aus und wie leben Juden heute, in Israel, auf der

Welt, mitten unter uns?

ÜBRIGENS …

2019 haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

im Rahmen der von _erinnern.at_

organisierten Schulgesprächen insgesamt

178 Schulen besucht und damit

7.698 Schülerinnen und Schüler erreicht.

Lernen mit Video-Interviews von Opfern des Nationalsozialismus

gibt es beispielsweise unter dem

Motto „Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung

mit Geflüchteten“, auch über eine neue Lern-

App. Informationen unter : http://www.erinnern.

at/bundeslaender/oesterreich/zeitzeuginnen/

lernen-mit-video-interviews-von-opfern-des-nationalsozialismus.

Einen spannenden Erfahrungsbericht

eines Wiener Berufsschullehrers kann man

auch hier nachlesen.

Aufgrund der Corona-Pandemie wurde das

Zeitzeugen-Programm ausgesetzt. Für viele Zeitzeug/innen,

die alleine leben, ist die derzeitige

Situation sehr belastend. Die gewohnten regelmäßigen

Kontakte und die Gespräche in den Schulen

bleiben aus, daher unterstützt sie _erinnern.at_

auf Distanz. „Es ist uns ein Anliegen, sie in diesen

Wochen nicht alleine zu lassen und die fehlenden

Sozialkontakte ein wenig auszugleichen“, so Moritz

Wein von _erinnern.at_.

Franc Kukovica, als Kärntner Slowene wurde er und

seine Familie von den Nationalsozialisten verfolgt

und diskriminiert. Kukovica ist engagierter Zeitzeuge

und besucht regelmäßig Schulen, hier im Bild

erzählt er Lehrerinnen und Lehrern seine Geschichte.

(Video-Interview auf www.weitererzaehlen.at)


38 / POLITIKA /


DIE

CORONA-MATURA

Heuer gibt es in Österreich coronabedingt eine „verschlankte“

Matura. Was bedeutet das für die 40.000 MaturantInnen, die

sich dauernd den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie hätten es

dieses Jahr leichter als ihre VorgängerInnen?

Von Anna Egger, Andrea Krapf und Aleksandra Tulej, Fotos: Franziska Liehl

Aber eines ist klar: Ihr werdet

immer der Corona-Jahrgang

bleiben.“ – „Na danke. Wie

oft haben wir MaturantInnen

diesen Satz in den letzten Wochen

schon gehört?“, ärgert sich die 17- jährige

Andrea, die im Mai an einer AHS

in Vöcklabruck maturieren wird. „Wir

haben ja „nur“ die schriftliche Reifeprüfung

ablegen müssen. Wir hätten ja viel

länger Vorbereitungszeit auf die Matura

gehabt.“ All das kann sich Andrea von

ehemaligen und zukünftigen MaturantInnen,

ProfessorInnen, Familienmitgliedern

und den Medien anhören. Es

vergeht kein Tag, an dem die 17-Jährige

nicht mit dem Vorwurf, dass sie es „ach

so leicht hätte“, konfrontiert ist. Doch ist

das wirklich so? Hat man es wirklich „so

leicht“, wenn man sich während einer

Pandemie auf die Reifeprüfung vorbereiten

muss?

Aber man darf auch

nicht sagen, dass das

eine normale Zeit ist,

in der wir leben.

Als die COVID-19-Maßnahmen in

Österreich verhängt wurden, herrschte

zunächst Chaos. Keiner wusste, wie es

weitergeht. An Matura dachte wohl kaum

jemand. Wie soll sie ablaufen? Wird es

überhaupt eine geben? Und wenn ja, in

welcher Form? Einen Monat später stellte

das Bildungsministerium den konkreten

Fahrplan vor. „Aber man darf auch nicht

sagen, dass das eine normale Zeit ist, in

der wir leben“, verlautbarte Bildungsminister

Heinz Faßmann bei einer Pressekonferenz

Anfang April.

Spätestens da war allen Beteiligten

klar: Es wird alles ganz anders als die

Jahre zuvor. Für viele angehende MaturantInnen,

inklusive den Autorinnen dieser

Geschichte, ging das große Bangen erst

richtig los.

„WIR BEKOMMEN NICHTS

GESCHENKT“

Andrea ist eine von rund 40.000 MaturantInnen,

die dieses Jahr in Österreich

die „Corona-Matura“ schreiben wird.

Oder auch die „verschlankte“ Matura,

wie sie in den Medien gern genannt wird.

„Verschlankt“ bedeutet in dem Fall, dass

die mündlichen Reifeprüfungen wegfallen.

Die Matura wird schriftlich nur in drei

Fächern abgelegt – die Note setzt sich zu

einer Hälfte aus der Zeugnisnote und zu

der anderen Hälfte aus der Maturaprüfung

selbst zusammen. In den Fächern,

in denen man eigentlich angetreten

wäre, zählt die Zeugnisnote der achten

Klasse. Im Zweifelsfall sticht die Prüfungsnote.

Konkret: Mit einer Jahresnote

/ POLITIKA / 39


Geschenkt, wie

manche hartnäckig

beteuern,

bekommen wir die

Matura nicht.

problematisch ausfallen: Statt einer

intensiven Maturavorbereitung sitzen

Abschlussklassen teilweise nur zwei Tage

für jeweils zwei Stunden in der Schule,

so Andrea.

HYGIENEMASS-

NAHMEN:

→ Alle Maturantinnen und

Maturanten bekommen

einen Mundschutz.

→ Die Arbeitsflächen werden

desinfiziert und in jedem

Prüfungsraum steht zumindest

ein Desinfektionsmittelspender

bereit.

→ Die Sitzordnung wird so

gewählt, dass der Sicherheitsabstand

gewahrt bleibt.

→ Maturantinnen und Maturanten,

die der Risikogruppe

angehören, also Vorerkrankungen

haben, erhalten die

Möglichkeit, die Matura in

einem separaten Prüfungsraum

zu schreiben.

Geschenkte Matura?

Wohl kaum!

von einem „Befriedigend“ oder besser

hat man die Matura also quasi schon in

der Tasche. Das ist im Grunde genommen

doch schon eine Durchkommensgarantie?

Geschenkte Matura quasi?

„Nein!“, ist Anna, eine Maturantin an

einer Wiener AHS, die dasselbe Schicksal

der Corona-Matura wie Andrea teilt,

überzeugt. „Natürlich wurde uns Arbeit

erspart. Aber geschenkt, wie manche,

so auch meine Schwester, hartnäckig

beteuern, bekommen wir die Matura

nicht. Das zu behaupten, diskreditiert

unsere Leistungen der letzten acht

Jahre“, zeigt sich die 18-Jährige genervt.

„Es ist einfach unfair. Was können

wir dafür, dass wir dieses Jahr Matura

haben?“, fragt sich Anna. Auch Andrea

ist sich sicher: Es gibt in jeder Klasse

mindestens einen Schüler oder eine

Schülerin, welche/r sich dadurch jetzt

mit schlechteren Noten als gewünscht

abfinden muss. Und dabei nicht einmal

die Chance auf eine bessere hat. Und

auch der Ergänzungsunterricht könnte

ES HERRSCHT CHAOS

Die Vorbereitung auf die Matura an sich

gestaltet sich laut der Oberösterreicherin

online schwieriger. Jede Schule betreibt

Homeschooling auf eine andere Art und

Weise. Während manche LehrerInnen

Tag für Tag einen aufwendigen Onlineunterricht

und laut Andrea sinnvolle

Arbeitsaufträge in den Matura-Fächern

vorbereiten, müssen sich andere MaturantInnen

mit Online-Vorbereitungsprogrammen

wie Mathago oder Studyly über

die Runden helfen. Bundesweit gleiche

Voraussetzungen für die Zentralmatura?

Fehlanzeige. Es ist überall anders,

an jeder Schule, bei jedem Lehrer oder

jeder Lehrerin. Gesamtheitlich betrachtet

herrscht Chaos.

„Hätte man uns das zumindest

nicht ein bisschen früher sagen können?

Hätte ich im Nachhinein gewusst,

dass in meinem Abschlusszeugnis nur

meine Jahresnoten stehen, hätte ich

weitaus andere Fächer gewählt“, so

Andrea. Natürlich konnte im Herbst

keiner wissen, dass die Matura dieses

Jahr unter post-pandemischen Bedingungen

geschrieben wird. Alles, was „die

Erwachsenen“ jetzt tun können, ist, den

Jugendlichen die bestmögliche Alternative

zu liefern. Aber die Jungen haben

eigene Ideen: Andrea und Anna würden

sich beide wünschen, dass man die

Matura einfach abschafft – auch für die

Jahrgänge nach ihnen. Das Abschlusszeugnis

der achten Klasse sollte dann

einfach als Matura-Äquivalent gelten.

40 / POLITIKA /


Das würde viel Stress und unnötiges Hinund-Her

ersparen.

Dieses Jahr wird ihr Wunsch aber

noch nicht in Erfüllung gehen. Sie werden

die Matura wohl oder übel schreiben.

Aber auch nach der Reifeprüfung

wird sich vieles anders gestalten als

bislang. Hat man die „Corona-Matura“

dann in der Tasche, ist der Spuk nämlich

noch nicht vorbei: Maturafeiern,

Maturastreich, Schulball, Maturareisen,

der „Sommer nach der Matura“, den

viele mit Freiheit, Unabhängigkeit und

Unbeschwertheit verbinden - das alles

wird es heuer in der bisher bekannten

Form nicht geben. Statt Sonne, Strand

und Saufen erwarten die Jugendlichen

Mindestabstand, Maske und Maßnahmen,

an die sich alle zu halten haben.

Dazu kommen noch die Zukunftsängste:

Die Angst davor, keine Arbeit zu finden.

Oder die, während einer Wirtschaftskrise

einen unkonventionellen Berufsweg

einzuschlagen. Anna will im Herbst Vergleichende

Literaturwissenschaft sowie

WIE SIEHT DIE „CORONA-MATURA“ AUS?

→ Die mündliche Matura entfällt. Es gibt aber die Option,

mündlich anzutreten, wenn man das will.

→ Die schriftliche Matura findet in drei Fächern statt. Das werden

in vielen Fällen Deutsch, eine Fremdsprache und Mathematik

sein. An berufsbildenden Schulen kann eines der drei

Prüfungsgebiete auch eine fachbezogene Klausurarbeit sein.

Die Dauer der Arbeiten wird um jeweils eine Stunde verlängert,

damit der Prüfungsraum nach jeder Stunde ordentlich

gelüftet werden kann.

→ In die Beurteilung wird die Leistung des letzten Schuljahrs

einfließen, und zwar in dieser Form: 50 Prozent der Gesamtnote

macht die Maturaprüfung aus, und mit 50 Prozent

schlagen die bisher erbrachten Leistungen zu Buche. Damit

soll der Einsatz der Schülerinnen und Schüler im Maturajahr

honoriert und außerdem nicht alles von einer einzigen Prüfung

abhängig gemacht werden, heißt es dazu.

In Matura-Prüfungsgebieten, die gewählt wurden und in

denen keine mündliche Prüfung abgelegt wurde, bildet die

Note der 8. Klasse die Maturanote.

→ Wer ein Nicht Genügend erhält, kann dieses Ende Juni bei

einer Kompensationsprüfung ausbessern

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IN WIEN WIRD KEIN KIND

ZURÜCKGELASSEN

Kinder und Jugendliche leiden

besonders unter den Auswirkungen

der Corona-Krise. Wochenlange

Kontaktsperre zu Freunden, zu

wenig Platz in der Wohnung, kein

Laptop fürs E-Learning – das

bringt vor allem lernschwache

Kinder und solche aus sozial

benachteiligten Familien an ihre

Grenzen. Vor allem im Bildungsbereich.

Corona macht Bildung

ungleicher. Jedes Kind hat die gleichen

Chancen verdient.

Damit Kinder beim Lernen zu Hause

nicht zurückfallen, hat die Stadt

Wien 5.000 Laptops für Wiener

SchülerInnen ab der 5. Schulstufe

bereitgestellt. Für alle Wiener Schul-

Christian Fürthner

Josef Taucher,

SPÖ-Klubvorsitzender:

„Ob Groß oder Klein – in

Wien halten wir zusammen.“

klassen wurden E-Learning-Teams

eingerichtet, die dabei helfen, sich

zu Hausübungen und Lerninhalten

abzustimmen. Zudem können

SchülerInnen zwischen 10 und 14

die Gratis-Lernhilfe der Stadt Wien

online nutzen. Förderung gibt es

in den Fächern Deutsch, Mathematik

und Englisch. Dabei stehen

insgesamt 1.500 Kurse für bis zu

15.000 Kinder zur Verfügung.

Die Wiener Kinder- und Jugendarbeit

hat ihre Angebote ins Netz

verlegt, um auch in Krisenzeiten

jungen Menschen Unterstützung

zu bieten. Es freut mich, dass

auch diese wichtige Anlaufstelle

wieder hochgefahren wird.


Kultur- und Sozialantropologie an der Uni

Wien inskribieren, Andrea wird im Juni

die Aufnahmeprüfung für den Bachelor

„Journalismus und Medienmanagement“

an der FH Wien machen. Anna

und Andrea fragen sich, ob zukünftige

Arbeitgeber oder etwa die Uni diese

„verschlankte“ Matura als vollwertig

ansehen werden.

Diese Ängste dürften unbegründet

sein. „Alle Kandidatinnen und Kandidaten

bekommen ein vollwertiges Reifeprüfungszeugnis,

das alle auch bisher damit

verbundenen Berechtigungen mit sich

bringt“, heißt es seitens des Bildungsministeriums.

Auch laut der Uni Wien

brauchen sich die MaturantInnen keine

Gedanken darüber zu machen. „Diese

Sorgen sind völlig unbegründet. Die

diesjährige Matura ist natürlich gleich

viel wert wie die der vorangegangenen

Jahre“ , sagt Cornelia Blum, Pressesprecherin

des Rektorats der Universität

Wien. „Eine Matura von vor 20 Jahren ist

ja inhaltlich auch nicht so, wie eine Matu-

Maske und Abstand

statt Strand

und Chillen

ra heute – und trotzdem formal gleichgesetzt.“

An der Berechtigung ändere

die „verschlankte“ Matura nichts. Auch

große Unternehmen wie beispielsweise

SIEMENS sehen hier kein Problem. Eine

Bewerberin, die dieses Jahr maturiert

und sich dann bei SIEMENS bewirbt,

würde keine Nachteile gegenüber BewerberInnen

aus den Vorjahren bekommen,

heißt es seitens des Unternehmens.

MATURAREISE IST

GESTRICHEN

Bevor der „Ernst des Lebens“ beginnt,

freuen sich viele auf einen letzten

unbeschwerten Sommer. So auch Anna.

„Die ganze 8. Klasse über habe ich mich

auf diesen Juni gefreut. Wenn ich wieder

einmal Stunden für die VWA recherchiert

oder für einen Test gelernt hatte, dann

habe ich mir vorgestellt, wie ich mein

Maturazeugnis in der verglasten Schul-

Cafeteria überreicht bekomme.“ Anna

hatte sich ausgemalt, wie sie gemeinsam

mit ihren MitschülerInnen, LehrerInnen,

Statt mit den

Girls und Boys

am Strand in der

griechischen

Sonne oder an

der italienischen

Riviera zu braten,

sollen wir an einen

heimischen See

fahren.

Eltern und Geschwistern im Schulgarten

bei kleinen Broten und Champagner über

die letzten turbulenten Jahre und über

ihre kleinen und großen Zukunftspläne

plaudern wird. All das wird jetzt nur sehr

eingeschränkt möglich sein. Eine Woche

nach der Matura wäre Anna mit ihrem

besten Freund Lucas nach Argentinien

gereist. Mit einem Mate-Tee in der Hand

wären sie vor den Rainbow Mountains

in Salta gestanden und hätten das Jahr

Revue passieren lassen – dieses Bild

hatte Anna klar in ihrem Kopf. Die Reise

ist storniert, Heimaturlaub ist angesagt.

„Statt dem – seit Jahren geplanten –

Festivalbesuch sollen wir schön zuhause

bleiben. Statt mit den Girls und Boys am

Strand in der griechischen Sonne oder an

der italienischen Riviera zu braten, sollen

wir an einen heimischen See fahren“,

ärgert sich auch Andrea.

Vor zwei Tagen ist Anna in ihrem Zimmer

gestanden und ihr Herz hat angefangen

zu rasen. „Jetzt, wo ich bald meine

Matura habe, sollte mir alles offenstehen.

Doch wenn ich an meine Zukunft denke,

bin ich neugierig aber besorgt, wenn ich

mich meinen Abschluss machen sehe.

Stolz aber enttäuscht.“ So oder so, an

diesen Jahrgang wird man sich erinnern.

Wie Anna resümiert: „Denn wir haben sie

geschrieben, die Corona-Matura.“ ●

* Die Namen sind von der Redaktion geändert.

* Alle Bilder wurden für die Geschichte nachgestellt.

Die auf den Fotos abgebildete Person

kommt nicht in dem Artikel vor.

42 / POLITIKA /


MEINUNG

ZWISCHEN KONDOMEN

UND KONSERVATISMUS

Manchmal gibt mein Suchverlauf Anlass zur Annahme, ich

hätte den gesamten Sexualkundeunterricht geschwänzt. Und

das, obwohl ich mich daran erinnere, mit 13 im Biologieunterricht

offiziell aufgeklärt worden zu sein, wenn auch mit

hochrotem Kopf. Meine Freundin Thery, die damals neben

mir gesessen ist, hat kürzlich Folgendes gesagt: „Ich hab‘

das Gefühl, alles, was ich über Sexualität weiß, weiß ich aus

eigener Erfahrung, oder weil ich recherchiert habe.“

Leider muss ich ihr da zustimmen. Zum Beispiel wüsste ich

nicht, dass mir gegenüber je eine erwachsene Person das

Wort Lust im Zusammenhang mit Sex erwähnt hätte. Vor

allem Mädchen, die sich „da unten“ noch nie angefasst

haben, werden frustriert sein, wenn sie anfänglich erleben,

wie ihre Sexualpartner im Gegensatz zu ihnen sehr bald

einen Orgasmus erleben. Ja, es gibt nicht nur den Pay,

sondern auch den Orgasm Gap. Aber über die Möglichkeit

der Selbstbefriedigung (oder Vibratoren) hat niemand mit

ihnen geredet, genauso wenig wie über Vaginismus oder das

fragwürdige Konzept der Jungfräulichkeit. Dem gängigen

Konzept (Penis in Vagina) zufolge bleiben Lesben nämlich ihr

Leben lang Jungfrauen.

HETERNORMATIVES SPEKTRUM, UND WEITER?

Und da wären wir beim nächsten großen Versäumnis:

Die Existenz von Homosexualität und anderen sexuellen

Facetten, von Lehrpersonen auch liebevoll „Abnormalitäten“

genannt. So haben es Gender-Identität und Asexualität

(zumindest zum damaligen Zeitpunkt) ebenfalls nicht in den

Lehrplan geschafft. Wir Schüler*innen haben also von einem

breiten Spektrum einzig das Heteronormative vermittelt

bekommen – die queere Community lässt grüßen.

Falls ich also demnächst etwas über Fetische lernen möchte,

kann ich mich entscheiden, ob ich lieber meine diesbezüglich

konservativen Eltern oder doch meine Mitschrift von einem

noch konservativeren Unterricht befrage. Obwohl, wenn ich

Realitätsferne suchen würde, könnte ich mir genauso gut

einen Porno reinziehen.

Anna Egger ist 18 Jahre alt und geht in die Maturaklasse eines Wiener

Gymnasiums

DER LAPTOP, MEIN

BESTER FREUND

Das Corona-Virus hat für Chaos auf der Welt gesorgt.

Auch in meiner Klasse ging es chaotisch zu. Von einem

Tag auf den anderen mussten wir uns auf den Digitalisierungswahnsinn

einstellen. In der Schule hatte meine Klasse

keinen intensiven und verpflichtenden EDV-Unterricht und

dann soll man sich von heut auf morgen mit diesen elektronischen

Geräten auskennen? Es waren gefühlt hunderte

von Plattformen, die verstanden werden mussten. In meiner

Klasse hat es zu Beginn viele Komplikationen gegeben.

Eltern haben mit Kindern kommuniziert, Kinder mit Lehrern,

Lehrer mit Eltern. Kurz gesagt: Alle kreuz und quer und

jeder mit jedem. Keiner wusste, wie man sich verhalten soll.

Dann habe ich einen jüngeren Bruder, der genauso Hilfe mit

dem Laptop braucht. Nachdem ich mich also durch meine

30 Seiten Physikaufgaben gewälzt habe, musste ich ihm

noch bei seinen Rechenübungen helfen, was auch nicht

leicht war.

ENDLICH SCHULE

Denn mein 10-jähriger Bruder ist nicht gerade begeistert

von Schulaufgaben. Im Nachhinein bin ich aber stolz, weil

ich mich mittlerweile gut mit Computern auskenne. Außerdem

hat es Spaß gemacht, wenn wir uns in der Klasse

Memes und lustige Gifs geschickt haben. Egal wie sehr

man die Schule mag oder nicht mag, ich gehe davon aus,

dass jedem aus meiner Schule die sozialen Kontakte abgehen.

(Mir jedenfalls schon). Das Begegnen auf dem Gang.

Das Lachen, das Diskutieren und das Blödeln in der Klasse

und mit seinen Freunden ist nicht dasselbe, wenn man es

nicht face2face erlebt. Es gibt Mittel und Wege mit Freunden

und Großeltern zu sprechen und doch ist es traurig

mitanzusehen, wie von Tag zu Tag der Computer oder Laptop

unser „bester Freund“ wird. Bald können die meisten

Kinder wieder zur Schule gehen. Aber die Spannung, wie es

weitergehen soll, bleibt. Trotz all dem freue ich mich schon

sehr auf die Schule und darauf, meine Freunde ENDLICH

wieder zu sehen.

Amina Krpuljević ist 12 Jahre alt und besucht die 3A des GRG3 Radetzkstraße

Gymnasiums in Wien.

43 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF / /

43


Das hohe Ross der

WOKEN BUBBLE

44 / POLITIKA /


Die „woke“ Instagram-Bubble urteilt gerne von oben herab, findet unsere

Autorin. Als Anlass nimmt sie die Kritik an dem „Männerwelten“-Video von

Joko und Klaas. Die Diskussion rund um political correctness darf nicht nur

in einer privilegierten Blase stattfinden, sondern muss raus auf die Straße.

Von Aleksandra Tulej, Foto und Collage: Zoe Opratko

Das wird hart und bitter“ - so beginnt das

„Männerwelten“-Video, das mitte Mai auf Pro 7

und im deutschsprachigen Internet die Runde

machte. Im Rahmen der gleichnamigen fiktiven

Ausstellung machten Joko und Klaas gemeinsam mit Sophie

Passmann, Palina Rojinski, Visa Vie und anderen deutschen

Personen der Öffentlichkeit auf sexuelle Belästigung gegenüber

Frauen aufmerksam. Thematisiert werden Dickpics,

verbale sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen.

Das Video geht viral – stößt auf viel positive Resonanz, aber

auch auf kritische Stimmen. Nicht nur von

Männern, die meinen, „dass das doch alles

eh nicht so schlimm ist und sich die Frauen

nicht so aufspielen sollen.“ Zu denen

kommen wir später. Viel interessanter ist

nämlich das andere Kritik-Lager. Jenes

gestaltet sich in der woken Instagram-

Bubble: In dem Video sind nur weiße,

normschöne Frauen zu sehen – People of

Colour, Frauen mit Behinderungen, Transfrauen,

Intersexuelle sind und fühlen sich

durch das Video nicht repräsentiert. Ist diese Kritik wichtig

und richtig? Natürlich. Liegt das überhaupt in meiner Hand,

so etwas als heterosexuelle, weiße Frau zu entscheiden?

Natürlich nicht.

Dass man in einem Video mit einer solch großen Reichweite,

produziert von Menschen, die dieses Bewusstsein

eigentlich haben sollten, im Jahr 2020 auf mehr Diversität

setzten sollte, sehe ich klipp und klar ein. Aber eben – ist das

jedem klar? Es ist den woken, gebildeten Menschen klar. Ist

Die Mehrheit ist

eben nicht die belesene,

politisch korrekte,

Missstände

aufzeigende Blase.

das beispielsweise den Männern, die Dickpics verschicken,

Frauen auf der Straße nachpfeifen, oder abfällige Hasskommentare

verfassen, klar? Ich denke nicht.

WENN GENDERN SCHON

EIN FREMDWORT IST

Denen ist ja in vielen Fällen nicht einmal klar, dass das, was

sie da tun, überhaupt falsch ist. Um jetzt nicht Birnen mit

Äpfeln zu vergleichen: Das Video zeigt eine Problematik auf,

mit der so ziemlich jede Frau schon einmal konfrontiert war.

Eine Problematik, die vielen Männern,

die sich damit auseinandersetzen wollen,

erst bewusst wird. Eine Problematik, die

genau die Männer ansprechen sollte, die

Täter sind. Eine Problematik, die endlich im

Mainstream angelangt ist. Dass das, was

unzähligen Frauen wiederfährt, wirklich

„hart und bitter“ ist. Na, guten Morgen?

Um das Ganze mal herunterzubrechen:

Der Großteil der Männer, an die dieses

Video gerichtet ist, weiß nicht einmal, wozu Gendern gut ist

oder was das überhaupt bedeutet – was sollen die dann mit

Begriffen wie „intersektioneller Feminismus“ anfangen? Der

Großteil unserer Gesellschaft, egal ob männlich oder weiblich,

bewegt sich nicht in den Kreisen der woken Instagram-

Bubble. Die Mehrheit ist eben nicht die belesene, politisch

korrekte, Missstände aufzeigende Blase. Man kann diese

Debatte nicht auf so einem hohen Level beginnen. Hier muss

man viel weiter unten ansetzen, auch wenn das viele nicht

/ POLITIKA / 45


wahrhaben wollen. Sagen wir einmal, ein

20-jähriger Kevin aus dem Gemeindebau

sieht dieses Video. Kevin ist nicht einmal

einer von den ganz Argen. Nein, Kevin

pfeift regelmäßig Frauen auf der Straße

nach, um sein fragiles männliches Ego zu pushen – ohne

Erfolg. Kevin macht das, weil seine Freunde das auch immer

schon gemacht haben. Er ist ein Mitläufer. Er sieht nun

dieses Video und die Rädchen in seinem Kopf beginnen, sich

zu drehen. Scheinbar ist das, was er tut, ja doch nicht so in

Ordnung. Und dann liest er in den Kommentaren „Aber was

ist mit genderfluiden Personen, was ist mit FLINT-Personen,

was ist mit Frauen, die sich nicht als solche fühlen?“. Kevin

versteht die Welt nicht mehr, schüttelt den Kopf und macht

den Tab wieder zu. Bildungsauftrag verfehlt.

FANGEN WIR MAL

UNTEN AN.

Ganz ehrlich? Ich, als gebildete,

privilegierte Frau, die sich seit

Jahren mit Migration, Diversität und

Geschlechterrollen auseinandersetzt,

sehe mich manchmal in so

einem Kevin wieder. Ich lerne gerne

dazu, verfolge die Diskussionen

zu diesen Themen, und trotzdem

verstehe ich manchmal nicht, was

ein Begriff bedeutet oder wo man

genau bei einer Problematik ansetzen

sollte. Ich lerne ständig dazu.

Was ist dann mit den Menschen,

denen die Bildung, die Zeit oder

ganz einfach das Bewusstsein fehlt,

sich damit zu beschäftigen? Es ist

ja im Grunde genommen immer

dasselbe: Eine Problematik kommt

im Mainstream an, und wird durch

einen oberlehrerhaften Ton der

oberen Zehntausend vom Tausendsten

ins Hundertste diskutiert.

Diese Diskussionen sind unglaublich

elitär. Es sind ironischerweise dieselben Strukturen, die von

den oben genannten oft und gerne kritisiert werden.

Sich mit political correctness, all den Begriffen und

Abwandlungen auseinanderzusetzen und sich damit gut

auszukennen, ist ein wahnsinniges Privileg. Ein Privileg, das

diejenigen, die es haben, auch einsetzen wollen und sollen.

Aber es zeugt gleichzeitig auch von einer gewissen Arroganz

denjenigen gegenüber, die eben noch nicht so weit sind oder

Sich mit political

correctness, all

den Begriffen und

Abwandlungen

auszukennen, ist

ein wahnsinniges

Privileg.

biber-Autorin Aleksandra Tulej

nicht so weit sein können. Von dem hohen

Ross herab lässt es sich leicht urteilen.

Wenn man sich innerhalb einer gewissen

Zielgruppe bewegt, kann man das

auch. Darüber zu diskutieren, was nicht

alles problematisch, ungerecht oder nicht genug inklusiv

ist. Aber wenn alle miteinbezogen werden sollen, wird das

wesentlich komplexer. Ironischerweise ist das dann eben null

inklusiv. Und im Endeffekt geht es ja nicht um diese oberen

Zehntausend - die verstehen diese Debatten innehrhalb der

Debatten. Aber die breite Masse versteht es nunmal nicht.

ES GEHT IN DIE RICHTIGE RICHTUNG

Um nochmal auf das Video Bezug zu nehmen: Joko und

Klaas, die dieser Tage von der halben deutschsprachigen

Welt gefeiert werden, waren es, die

2012 im Rahmen eines Gags einer

Frau auf die Brüste gegrapscht

haben. Wir erinnern uns. Damals

fanden sie so etwas lustig, heute

verabscheuen sie es. Ich sage:

Fortschritt. Augenrollen? „Na Bravo,

dass die das mal gecheckt haben?“.

Eh. Aber daran sieht man, dass die

Entwicklung eben eine schleichende

und sich-ziehende ist. Dennoch

geht es in die richtige Richtung.

Abgesehen von dem Video

und gesamtheitlich betrachtet:

Ich frage mich so oft bei solchen

Debatten, wie Menschen, die sich

nicht damit befassen, da überhaupt

mitkommen sollen. Wir sind als

Gesellschaft noch nicht so weit. Die

woken Menschen, die sich innerhalb

der Bubble bewegen, werden diese

Kritik dankend annehmen. Diejenigen,

die sich damit auseinandersetzen,

werden auch dazulernen.

Aber der Mainstream braucht noch

viel, viel mehr Grundlagen, damit so

eine Debatte in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Um den

Diskurs breitenwirksamer und somit sinnvoller zu machen,

muss man in kleineren Schritten arbeiten. Dazu gehört

natürlich, diese Missstände aufzuzeigen, zu informieren und

zu erklären – durch die, die dieses Bewusstsein haben. Aber

bitte ohne dabei so von oben herab zu handeln, sondern so,

dass es wirklich bei allen ankommt. Gelebte Inklusion. ●

46 / POLITIKA /


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„Ich habe mich nachts

einfach rausgeschlichen.“

48 / RAMBAZAMBA /


Es gibt kaum eine lustfeindlichere Zeit, als die einer

weltweit grassierenden Pandemie. Wie verändert

sich unser Dating-Verhalten durch Corona? Eine

Untersuchung – mit einer Armlänge Abstand.

Von Nada El-Azar, Illustrationen: Linda Steiner

Lars * hatte sein erstes Tinder-

Date mit Anna * am Sonntag,

den 15. März. Das war der

letzte Tag, bevor der Lockdown

in Österreich begann. „Die baldige

Ausgangssperre war uns beiden klar und

das lag bei unserem Treffen auf jeden

Fall in der Luft“, erzählt der 26-jährige

Student. Die beiden machten wegen

des schönen Wetters eine ausgedehnte

Fahrradtour auf die Donauinsel, weit weg

von größeren Menschenansammlungen.

„Ich habe schon eine gewisse Aufregung

gespürt, insbesondere in den nächsten

Tagen, in denen wir uns weiter getroffen

haben.“ Der Reiz des heimlichen, wenn

nicht auch ein bisschen verbotenen Treffens

beflügelte ihre junge Bekanntschaft.

Obwohl Lars und Anna sich erst kennenlernten,

blieb sie gleich mehrere Tage bei

ihm in seiner WG. „Normalerweise würde

ich die Dinge niemals so überstürzen,

aber die Corona-Sache brachte uns dazu,

uns direkter für uns zu entscheiden“,

erzählt er. In seiner WG einigten sich alle

Mitbewohner auf eine „Ausnahme“, was

Besuch betraf. „Und ich hatte noch nie

so ausgedehnten und intensiven Sex wie

in der Quarantäne – oft über mehrere

Stunden. Wir brauchten gar kein Netflix,

wir haben uns mit uns beschäftigt. Das

war etwas ganz Neues.“

CORONA ALS „BEZIE-

HUNGSKATALYSATOR“

Ganz ähnlich ging es auch dem knapp

40-jährigen John * . Der Engländer lebte

bis vor Kurzem viele Jahre polyamor. Das

bedeutet, dass er intime Beziehungen zu

mehreren Frauen hatte, die auch voneinander

wussten. „Viele Leute denken,

dass Polyamorie eine Ausrede dafür ist,

von Bett zu Bett springen zu können.

Aber das ist nicht aufrichtig“, erklärt er.

Für ihn gab es das oberste Prinzip: Er

wollte niemals mit einer Partnerin wohnen.

Selten übernachteten sogar seine

Freundinnen bei ihm. „Ich lebe gerne

allein und plane nicht, das in nächster

Zukunft zu ändern.“ Das war, bevor er

Nadine * über eine Anzeige im Internet

kennenlernte. Binnen Wochen warf John

all seine anderen Beziehungen über

einen Haufen und beschloss, monogam

mit Nadine zu werden. Ihre große Phase

der Verliebtheit wurde durch die Quarantäne

unterbrochen, wo sie sich zunächst

nicht trafen. „Anfangs experimentierten

wir viel mit Cybersex auf Skype, was

zunächst umwerfend war. Aber irgendwann

hat das nicht mehr gereicht. Jetzt

wohnt Nadine vorübergehend bei mir,

arbeitet halbtags am Computer und

es funktioniert sogar erstaunlich gut.“

Sowohl für Lars, als auch John wurde die

Corona-Krise zu einer Art Beziehungskatalysator,

der schneller eine intime

Nähe geschaffen hat, als sie es von

früher kannten. „Manchmal hatte ich das

Gefühl, da draußen geht die Welt unter,

während ich mit ihr im Bett war. Es war

wie ein Druck, der uns enger aneinanderpresste“,

erinnert sich Lars. Dieser

Druck verschwand jedoch genauso

schnell wie er gekommen war, als Anna

zurück nach Deutschland zu ihren Eltern

fuhr. „Sie isolierte sich ganz korrekt zwei

Wochen lang in einem Zelt im Garten,

um ihre Eltern nicht zu gefährden, die im

Krankenhaus arbeiten.“ Lars wurde klar,

dass die Quarantäne einen größeren Einfluss

auf seine Gefühle hatte als gedacht.

„Wir telefonieren ab und zu, aber die

Intensität ist definitiv in dieser Zeit abgeflaut“,

so Lars. Er chattete weiter auf

Tinder, um sich abzulenken. Viele Frauen

schrieben in ihre Beschreibungen, dass

sie sich derzeit nicht treffen würden,

aber Skypen möglich wäre. „Ich weiß

nicht, wie es mit Anna wird, wenn sie

zurückkommt. Aber ich genieße sowieso,

dass ich so viel Zeit für mich habe.“

UNI ALS ALIBI

Für Zeynep * brachte die Corona-Zeit hingegen

keine romantischen Durchbrüche.

Die 22-jährige Studentin mit türkischen

/ RAMBAZAMBA / 49


Ich dachte, ich

müsste so etwas

nicht mehr machene

– aber ich habe

mich nachts einfach

rausgeschlichen,

um mein Gspusi zu

treffen.

Wurzeln wohnt bei ihren Eltern, die eher

konservativ ticken. „Für meine Eltern

kommt ein Freund nicht in Frage, was

es mir in meiner Schulzeit schon sehr

schwer machte, jemanden ernsthaft kennenzulernen

und auf Dates zu gehen.“

Die Universität war für sie das ultimative

Alibi, den ganzen Tag außer Haus zu

sein, ohne störende Anrufe besorgter

Eltern. „Wenn ich um 18 Uhr noch in ein

Café gehen möchte, löst das oft eine

endlose Diskussion zuhause aus. Wenn

ich hingegen sage, ich würde noch in die

Bibliothek oder in ein Seminar gehen,

wünschen mir meine Eltern viel Erfolg.

Die Uni stellen sie niemals in Frage“,

lacht sie. Jetzt, wo es keine Lehrveranstaltungen

gibt und die Bibliotheken

geschlossen sind, braucht Zeynep einen

neuen guten Grund. „Spazieren gehen

tue ich schon ab und zu, aber da kann

man sich momentan auch nicht näherkommen,

ohne wie jemand zu wirken,

dem das Wohl der Menschen egal ist.

Das frustriert mich sehr“, so Zeynep.

Wenn sie mit ihren Freundinnen aus der

Uni über ihre Probleme sprechen will, tut

sie das bei Spaziergängen zum Supermarkt.

„Zuhause habe ich keine Privatsphäre,

wegen meiner Schwester. Die

Wände sind dünn, da kann ich nicht über

mein Liebesleben sprechen. Auch wenn

das momentan nicht existiert.“

In einem Jahr schließt Zeynep die

Universität ab, danach möchte sie in

eine WG ziehen. „Ich hatte sowieso vor

auszuziehen, aber erst Corona hat mir

gezeigt, wie viel schneller das eigentlich

passieren muss. Das wird sicher nicht

einfach werden mit meinen Eltern, aber

irgendwie werde ich das schon hinbekommen.“

Zuhause vertreibt sie sich die

Zeit auf Tinder. „Mir schreiben eindeutig

mehr Typen als vor Corona, wahrscheinlich

aus Langeweile.“ Längere Zeit kam

ihr die App nicht wie eine Dating-App

vor, sondern mehr wie eine Plattform zur

Selbstinszenierung. „Tinder ist wie Instagram

geworden, es geht schon lange

nicht mehr ums Treffen. Sondern um das

gute Gefühl, wenn man zwei Dutzend

Matches in der Inbox hat. Das ist wie

Likes sammeln.“

RAUSSCHLEICHEN WIE

FRÜHER

In Ninas * Innsbrucker WG sorgten zwar

50 / RAMBAZAMBA /


Ich bin mittlerweile

genervt, wie viele

Bekannte sich

von mir nur mehr

sporadisch melden.

keine strengen Eltern für Stress, dafür

aber zwei übervorsichtige Mitbewohnerinnen.

„Ich dachte, ich müsste so etwas

nicht mehr machen, wenn ich nicht mehr

bei meinen Eltern wohne – aber ich habe

mich nachts einfach rausgeschlichen, um

mein Gspusi zu treffen“, so die 28-Jährige.

Ihre Mitbewohnerinnen wollten

nämlich partout nicht, dass Nina sich mit

Leuten trifft. „Sie waren der Meinung,

dass man nicht einmal spazieren gehen

sollte, wie es eben in Tirol so war.“ Zwei

Mal wöchentlich verließ sie nachts das

Haus, um sich in eine andere WG zu

schleichen. „Eine meiner Mitbewohnerinnen

arbeitet beim Bäcker und geht

daher früh schlafen. Die andere hat

ohnehin niemals Dates und ist meistens

genauso um halb zehn im Bett.“ In der

Gspusi-WG war es überhaupt kein Problem,

wenn Nina nachts vorbei kam. „Ich

bin mir ziemlich sicher, dass die beiden

es gemerkt haben, weil sie mit offener

Schlafzimmertür schlafen. Es gibt nämlich

noch einen Hund bei uns.“ Zu einer

Konfrontation kam es zu Ninas Erstaunen

aber nie.

CORONA-SEXPRAKTIKEN

Helena * ist 27 und hat seit einigen

Wochen eine „Fickbeziehung“, wie sie es

nennt. „Wir wissen beide voneinander,

dass wir uns eigentlich ganz gut an die

Abstandsregeln halten. Deshalb treffen

wir uns“, so die Studentin mit kroatischen

Wurzeln. „Obwohl, einmal hat er

mich besucht und hat mir dann plötzlich

einen Polster auf mein Gesicht gelegt,

als wir Sex hatten. Aber nicht auf eine

sexy Art“, lacht sie. „Er meinte, dass er

das macht, damit mein Atem ihn nicht

so trifft, wegen Corona. Ich hab nur den

Polster weggelegt und wir haben normal

weitergemacht. Das war schon ein bisschen

komisch.“

DATINGFAKTOR ABSTAND

Ada * ist seit Wochen mehr als verunsichert.

Einerseits achtet sie auf die Hygiene-Maßnahmen,

andererseits fühlt sie

sich ein wenig einsam. „Ich hätte gerne

eine Person, mit der ich das durchstehen

kann. Ich gehe auf viele Dates, aber meistens

ist nie der Richtige dabei“, erzählt

die 28-Jährige. Seit Jahresanfang wohnt

sie in ihrer ersten eigenen Wohnung,

das lange WG-Leben war damit vorbei.

„Ich wohne wirklich gerne alleine, aber

trotzdem fehlt gerade der ideale Corona-

Buddy. Ich bin mittlerweile genervt, wie

viele Bekannte sich von mir nur mehr

sporadisch melden.“ Ada ist auf allen

gängigen Dating-Plattformen unterwegs

und vereinbart Treffen zum Spazieren

oder Radfahren. „Man fragt sich dann

immer ganz vorsichtig, wie man das mit

dem Abstand so macht und ob man sich

daran hält. Das ist schon ein Faktor, der

immer mitspielt. Wenn man eine fremde

Person trifft, will man ja wissen, ob sie

‚safe‘ ist.“ Das Abstandhalten bestimmt

damit auch die Vertrauenswürdigkeit

einer Person. „Würde man erzählen, dass

man ständig auf Partys geht, wirkt das

fast ein bisschen asozial und gefährlich.

Es wird schwierig, sich näher zu kommen,

auch wenn ein Date mal gut läuft.“

DIE NEUE

GRETCHENFRAGE

„Nun sag, wie hältst du es mit dem

Abstand?“ – das könnte die neue Gretchenfrage

unserer Zeit werden, die sich

mit unserer Vernunft immer wieder aufs

Neue duellieren wird.●

* alle Namen von der Autorin geändert.

/ RAMBAZAMBA / 51


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AN!

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Einfach QR-Code

mit deiner Smartphone-Kamera

abfotografieren!

© Anita Maria Springer


Die biber SUMMER SCHOOL –

Journalismus-Skills mit Aussicht

„Corona“ hat uns gelehrt: Keine Schule ist auch nicht cool. Und ein Sommer ohne Plan macht das

Leben nicht besser. Dein lang ersehnter Sommertrip storniert, das ergatterte Praktikum abgesagt,

stattdessen heißt es nun Geschwister babysitten und Heimaturlaub im Burgenland. Acht Wochen können

lang sein. We feel you.

DAS PROGRAMM DER BIBER

SUMMER-SCHOOL

Biber schafft Abhilfe: In der biber Summer-School

lernst du Journalismus-Skills von der schärfsten

Redaktion des Landes. In kleinen Klassen erfährst

du, wie du deine Storyidee in einer Redaktionssitzung

pitchst, welche Headline wie viele Klicks bringt

und was guten Content für Social-Media ausmacht.

Du wirst recherchieren, schreiben, bloggen und

Videos machen. In Workshops lernst du das „Mobile-Reporting“

kennen und erfährst

von Profis, die bei Krone, Heute

oder dem ORF arbeiten, wie der

österreichische Tagesjournalismus

tickt. Das und vieles mehr.

DIE TERMINE DER BIBER

SUMMER-SCHOOL

Die biber Summer-School findet in

Blöcken im Juli 2020 statt. Jede

Woche startet und endet eine

Klasse. Du hast also vier Terminblöcke

zur Auswahl, wann es eben für dich passt! Die

Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag jeweils

vormittags, von 9 bis 13 Uhr.

DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN

DER BIBER SUMMER-SCHOOL

Die Summer-School kostet nix! Das Angebot gilt

für SchülerInnen ab einem Alter von 16 Jahren +.

Voraussetzungen brauchst du keine erfüllen, Hauptsache

du bist engagiert dabei.

TERMINBLÖCKE

ZUR AUSWAHL:

6.–10. Juli 2020

13.–17. Juli 2020

20.–24. Juli 2020

27.-31. Juli 2020

DEIN ZERTIFIKAT VON DER BIBER

SUMMER-SCHOOL

Uns ist natürlich klar: Nur zum Spaß stehst du in

den Ferien nicht vor Mittag auf. Daher erhältst du in

der Summer-School nicht nur Journalismus-Skills,

sondern wirst am Ende etwas für deine Bewerbungsmappe

zum Vorzeigen haben: Ob Blog, Video

oder Instagram-Content. Last but not least: Für eine

erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.

DIE HYGIENE BEI DER

BIBER SUMMER-SCHOOL

Natürlich achten wir darauf, die

Teilnehmerzahl klein zu halten,

damit stets genügend Babyelefanten

zwischen euch Platz haben.

Wer keinen Laptop mitbringen

kann, dem stellen wir gerne einen

Computer zur Verfügung.

PARTNER DER BIBER

SUMMER-SCHOOL

Neben der schärfsten Redaktion

des Landes sorgen diese Kooperationspartner für

hochwertigen Unterrichtsstoff in der Summer-

School: Forum für Journalismus & Medien (fjum)

und Teach for Austria.

ANMELDUNG FÜR DIE BIBER

SUMMER-SCHOOL

Lust bekommen? Dann JETZT bei Amar Rajković mit

Wunschtermin anmelden: rajkovic@dasbiber.at

Oder per DM auf Instagram: dasbiber

WIR FREUEN UNS AUF DICH!


„Ich bin kein

54 / RAMBAZAMBA /


Opfer…

…und auch kein Täter!“

geht in

die zweite

Runde

In Workshops von biber und ÖIF lernten

Mädchen und Buben in getrennten Gruppen,

wie sie in brenzligen Situationen die

Ruhe bewahren und Gewalt vermeiden.

Themen, die dabei vorkommen: toxische

Männlichkeit, Genderstereotype und

Gewaltprävention.

Von Aleksandra Tulej und Amar Rajkovic, Fotos: Soza Jan

/ RAMBAZAMBA / 55


Wie wehre ich mich gegen sexuelle Belästigung? Trainerin Renate Wenda gibt den Mädchen Tipps.

Ich schreib‘ nicht. Die schreiben für mich.“ – der 14-jährige

Abu sitzt breitbeinig auf seinem Sessel und grinst

uns entgegen. Seine Mitschüler sind am Boden des

Klassenraums im Kreis über ein Plakat gebeugt. Die

Jugendlichen überlegen, welche Stereotype sie den Begriffen

„Frau“ und „Mann“ zuordnen würden. „Mann: Stark, Uhren,

Arbeit, schreibt das!“, schreit Abu* in die Runde. Auf die

Frage, warum er nicht selbst den Edding in die

Hand nimmt, zuckt er mit den Schultern. „Wieso

sollte ich? Keinen Bock.“ Aber zu sagen hat

Abu einiges. „Komm, schnapp dir einen Stift

und mach mit, die anderen machen auch mit“,

versuchen wir ihn zu überzeugen. Nach einigem

Augenrollen schleppt sich der junge Mann dann

tatsächlich vom Sessel auf den Boden und fragt

„Wie schreibt man Uhr? Das schreib ich auf.“

Es folgt eine angeregte Diskussion darüber,

ob denn Frauen keine Uhren tragen. „Ja, na

schon, aber das ist bei Männern halt sowas wie eine Tasche

bei Frauen“, erklärt Abus Klassenkamerad Omar * . Stichwort

Stereotype: Was bedeutet das eigentlich?

KÖNNEN FRAUEN VON GEBURT AN

KOCHEN?

Genau dieser und anderen Fragen ist die biber-Redaktion

gemeinsam mit den Vereinen Drehungen und poika schon im

Winter- und nun auch im Sommersemester an Wiener Neuen

Mittelschulen sowie einer AHS im Rahmen des Projekts „Ich

bin kein Opfer – und auch kein Täter“ nachgegangen.

Die Mädchen und Buben sind in dem Alter, in dem Themen

wie Geschlechterrollen, Gewaltprävention, Stereotype

und Selbstbewusstsein gerade so prägend und wichtig sind.

Es wurde in getrennte Mädchen- und Bubengruppen viel

diskutiert, gesprochen, gelacht, überlegt, und reflektiert.

Mit Erfolg: Jeder der Jugendlichen konnte am

Schluss etwas für die Zukunft mitnehmen – sei

es der Umgang mit MitschülerInnen, Aufbrechen

von Geschlechterstereotypen oder das

Stärken des eigenen Selbstbewusstseins.

„Also, das ist ja nicht so, dass eine Frau von

Geburt an kochen kann“, sagt Martin, als seine

Klassenkameraden beginnen, dem Wort „Frau“

Assoziationen zuzuschreiben. „Ja eh nicht,

aber mein Vater kocht nie. Aber meine Mutter

schon“, zuckt Ali mit den Schultern.

Nachdem sich die Jugendlichen einigermaßen auf Adjektive

geeinigt haben, die sie den beiden Begriffen zuordnen

wollen, präsentieren sie ihre Ergebnisse. Diese sind ziemlich

klar gegliedert: Frau: einfühlsam, Kinder, lange Haare, Makeup,

schön. Mann: stark, Arbeit, Auto, Gucci-Kappe. Das sind

die Begriffe, die sich immer wiederholen. „Muss das denn so

sein?“, fragt Trainer Rick in die Runde der jungen Männer.

„Können nicht beide Geschlechter mit beidem in Verbindung

gebracht werden?“. Es folgt eine Diskussion darüber, ob jede

Stichwort

Stereotype:

Was bedeutet

das eigentlich?

56 / RAMBAZAMBA /


Es folgt eine Diskussion darüber,

ob jede Frau ein Kind bekommen

muss, ob es Männer mit langen

Haaren gibt und wieso Autos etwas

„typisch Männliches“ sind.

Frau ein Kind bekommen muss, ob es Männer mit langen

Haaren gibt und wieso Autos etwas „typisch Männliches“

sind. Dicht gefolgt von einer Debatte über Homo- und Transsexualität.

Von wegen schwaches Geschlecht!

„SCHWUL“ IST KEINE BELEIDIGUNG

Für die Jungs, die so ziemlich alle Migrationshintergrund

haben und oft in stark traditionellen, patriarchalen Elternhäusern

aufgewachsen sind – was man an ihren Aussagen merkt

– ein unbequemes Thema. Trotzdem sieht sogar Klassen-

Babo Abu am Ende ein:“Ich darf das Wort schwul nicht als

Beleidigung benutzen, das habe ich heute gelernt. Aber ich

bin’s nicht. Wollt ich nur sagen“, sagt er kopfschüttelnd.

Bildungsauftrag erfüllt, finden wir.

Und damit sind wir nicht allein: Das Projekt „Ich bin kein

Opfer und auch kein Täter“ macht die Runde – wir bekommen

Anfragen von den verschiedensten Schulen und Lehrkräften,

die von ihren KollegInnen davon gehört haben. So viele, dass

wir einigen absagen müssen. Dabei ist der Bedarf sichtlich da:

Egal ob an einer NMS mit hohem Migrationsanteil oder an der

Maturaklasse einer AHS in einer „feinen“ Gegend.

ES BETRIFFT UNS ALLE

In einer solchen Klasse wird der Wunsch geäußert, vermehrt

auf das Thema sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe

einzugehen. Vor allem bei den Mädchen. Jede Einzelne in

der Klasse hat etwas zu dem Thema zu sagen – leider. Sie

WAS SAGEN DIE COACHES?

RICK REUTHER,

POIKA:

Wir haben es geschafft,

Räume zu kreieren,

in denen sich alle

Teilnehmenden respektiert

und ernstgenommen

gefühlt haben. So

konnte ein interessanter

Austausch von Erfahrungen

wie auch von Ängsten

und Wünschen entstehen.

Viele Teilnehmer in den Burschengruppen haben

schon auf die ein oder andere Weise Erfahrung mit

Gewalt gemacht - und waren dementsprechend oft

sehr motiviert, gemeinsam drüber nachzudenken,

wie ein gewaltfreieres Miteinander möglich sein

könnte. Ebenfalls spannend waren die Gespräche

über männliche Rollenbilder und die Erwartungen,

mit denen du als Junge und junger Mann konfrontiert

bist - und wie man(n) sich respektvoll und solidarisch

gegenüber Mädchen, Frauen und nicht-binären

Personen verhalten kann. Die Teilnehmer haben sich

da auch oft gegenseitig bestärkt, sich nicht wie ein

Ungustl aufzuführen.

Darüber hinaus war das Projekt auch einfach super,

weil die Menschen in der biber-Redaktion sehr lieb

und cool sind und es viel Spaß gemacht hat so intensiv

zusammenzuarbeiten.

Gerne wieder, 11 von 10 Sternen.

/ RAMBAZAMBA / 57


Die Jungs

diskutierten

über toxische

Männlichkeit und

Stereotype.

teilen Geschichten über Übergriffe von Taxifahrern, sexuelle

Belästigung beim Fortgehen, verbale Gewalt von Gleichaltrigen.

Die Liste ist lang. Trainerin Renate Wenda hört den

Mädchen zu und gibt ihnen Tipps, wie sie sich in Zukunft in

solchen Situationen am besten verhalten. Es werden Selbstverteidigungstechniken

gezeigt und selbstbewusstes Auftreten

geübt. Schreien, stampfen, sich bemerkbar machen.

„Das ist schon cool, man fühlt sich gleich irgendwie stärker“,

sagt die 17-jährige Lena. Doch auch beim männlichen Part

der Klasse wird das Thema sexuelle Gewalt – egal, ob verbal

oder körperlich – nicht ausgelassen. „Wenn ich als Mann vom

Fortgehen heimgehe, kann es sein, dass mich wer ausraubt.

Aber mal ehrlich, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Einem

Mädchen kann viel Schlimmeres passieren“, so Markus.

„Mir war ehrlich gesagt nicht bewusst, wie viele Situationen

es für Frauen gibt, die ur unangenehm sind, aber uns

Männern gar nicht auffallen“, resümiert der 17-jährige Felix *

den dreistündigen Workshop. Am Ende ist in jeder Klasse, mit

der wir gearbeitet haben, die Erkenntnis da: Beide Geschlechter

haben mit Stereotypen und Hürden zu kämpfen – egal in

welchem Alter. Überwinden kann man das nur gemeinsam,

wenn alle mit anpacken. Bis wir keine Opfer und auch keine

Täter mehr sind. ●

WAS SAGEN DIE COACHES?

RENATE WENDA,

VEREIN DREHUNGEN

Die Kurzworkshops für

Mädchen nach der Methode

Drehungen „Selbstbewusstsein,

Selbstbehauptung,

Selbstverteidigung“

fanden im Wintersemester

2019/2020 in 6 Wiener

Schulen statt. 3 Stunden zu

den Themen: wie behaupte

ich meine Grenzen, nein sagen, wo beginnt Gewalt, wie

gehe ich mit Gewalt um, wie kann ich sie umgehen?

Themen, die Mädchen in spezieller Weise betreffen.

Drehungen setzt beim Selbstbewusstsein der

Mädchen an, indem die Sichtweise und Erlebnisse der

Mädchen ernst genommen werden. Der Austausch

unter Mädchen ist dafür sehr wichtig. Mädchen erkennen

Unterschiede untereinander, erfahren aber auch,

dass sie einander auch jenseits von Konkurrenz stärken

können.

Einige Teilnehmerinnen haben bereits Situationen

erlebt, in denen sie bedroht, verfolgt, erpresst, belästigt,

betatscht, (sexuell) diskriminiert wurden oder ihr

Nein nicht gehört wurde - sowohl im näheren Umfeld,

als auch in der Öffentlichkeit.

Über Dinge, die ihnen passiert sind, zu sprechen und

diese klar als Übergriffe zu benennen, entlastet sie und

regt die Auseinandersetzung im Umgang damit an. Empathie

durch die Gruppe und gemeinsame Empörung

tut allen gut. Kleine Rollenspiele, wie sie mit Übergriffen

umgehen können, sind für sie sehr spannend und

erkenntnisreich.

Neben dem Ernstnehmen ist auch Spaß ein wichtiger

Faktor in einem Drehungen-Kurs.

Besonderen Spaß haben die Mädchen am Toben und

am laut sein Dürfen. Laut und klar nein zu sagen, eigene

Grenzen mit Worten zu ziehen, macht sie stark und

selbstbewusst. Hinweise auf Haltung, Stabilität und auf

den persönlichen Raum und wie sie diesen schützen

können, sind wichtige Trainingsinhalte.

Einfache Techniken der Selbstverteidigung nach der

Methode Drehungen zu erlernen, stärkt das Selbstbewusstsein

der Mädchen. Viele sind überrascht, wie

einfach sie aus Festhaltegriffen freikommen können.

Wie eine Kursteilnehmerin einmal treffend formulierte:

Am meisten mochte ich die Befreiungen ohne dass es

der andere merkte. Wenn dich jemand z.B. festhält,

befreist du dich und stehst auf einmal von Angesicht

zu Angesicht. Ich war selber überrascht, wie schnell

und einfach das ging. Da hieß es bloß Drehung – in die

Augen schauen - und Schutzposition einnehmen.“

Für mehr Sicherheit mit den Techniken empfiehlt sich

ein 10-stündiger Drehungen-Grundkurs. Schon nach

einem 3-stündigen Kurzworkshop fühlen sich die Mädchen

aber gut gestärkt und haben viel Neues und für

sie Nützliches dazugelernt.

58 / RAMBAZAMBA /


„Das ist schon cool, man fühlt sich irgendwie stärker!“

VEREIN DREHUNGEN

Kurse für Mädchen und Frauen,

um Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen

und Selbstverteidigung zu

fördern. Prävention gegen verbale,

physische und psychische Gewalt

an Frauen und Mädchen.

www.verein-drehungen.at

POIKA

Verein für gendersensible Bubenarbeit

in Ergänzung und Zusammenarbeit

mit Mädchenarbeit.

Poika orientiert sich an emanzipatorischen

Modellen, die es

den Buben ermöglichen sollen, in

reflektierter Umgebung sich mit

diversen Themen wie Geschlechtskonstruktionen

von Weiblichkeit

und Männlichkeit, Berufsorientierung,

Gewalt, Sexualität, uvm.

auseinanderzusetzen.

www.poika.at

ÜBER DAS PROJEKT

„Ich bin kein Opfer!“ und „Ich bin kein Täter!“ – dieses Gefühl und

Selbstverständnis stärkt biber gemeinsam mit dem Österreichischen

Integrationsfonds mit einem gezielten „Selbstverteidigungs- und

Sensibilisierungs“-Projekt zur Gewaltprävention schon bei Schülerinnen

und Schülern. Unter der Leitung von erfahrenen Trainern erlernen die jungen

Mädchen neben körperlichen Verteidigungstechniken auch psychologisch

taktisches Vorgehen. Gleichzeitig setzt das Projekt auf der Seite der

Burschen an – ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen. Mit Rollenspielen

zum Thema Mobbing, sexuelle Orientierung und sexuelle Belästigung soll

auf Tabuthemen eingegangen und das Thema der „Prävention sexualisierter

Gewalt“ erlebbar gemacht werden. So wird sensibel ein Bewusstsein

dafür geschaffen, was sexuelle Übergriffe und Gewalt sind und wo

Grenzen überschritten werden. Im Rahmen dieser Kurse werden den

Schülern Verhaltens- und Handlungsstrategien aufgezeigt und Gespräche

auf Augenhöhe über

eigene Erfahrungen geführt. Biber schafft mediale Aufmerksamkeit für

dieses wichtige Thema, indem wir breitenwirksam auf den biber-Kanälen

darüber berichten: Ob in Videos, Insta-Stories auf Social Media oder in den

Newcomer-Editionen.

DIESES PROJEKT WIRD DURCH DEN ÖSTERREICHISCHEN

INTEGRATIONSFONDS FINANZIERT

/ RAMBAZAMBA / 59


LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Aleksandra Tulej

MEINUNG

Reißt’s euch zam.

Ich war eines von diesen superproduktiven

Quarantäne-Arschlöchern.

Ihr wisst schon, von denen, die

dem ganzen Internet verhasst sind.

Jeden Tag zu Pamela Reif mitgeturnt,

Masterarbeit geschrieben, Homeoffice

strenger genommen als so manch Ausgangsbeschränkung.

Schön für mich?

Find ich auch. Auch schön für diejenigen,

die die Zeit zum Chillen genutzt

haben. Auch geil. Aber jetzt kriechen

die Chiller auf einmal aus ihren Höhlen

und bombardieren mich mit „Boah,

ich wär auch gern so motiviert wie

du! Du machst mir so ein schlechtes

Gewissen…“- Statements. Motiviert ist

nicht das richtige Wort. Motiviert wär

ich wieder mal um 6 Uhr morgens aus

dem Club zu stolpern wie in good old

2019. Wird’s aber länger nicht spielen.

Ich bin weder super organisiert noch

übermäßig ambitioniert. In meinem

Kopf herrscht größeres Chaos als

im Nahen Osten. Aber es gibt ein

Credo, nach dem ich auch ohne

Pandemie lebe: Ich will was, ich tue

was dafür. Und jammere dann nicht

andere voll, wenn nix weitergeht.

So schwer ist das nicht. Bevor ich

hier noch gelyncht werde: Immerhin

hab ich kein Bananenbrot

gebacken.

tulej@dasbiber.at

WIEN DARF

NICHT

ÖSTERREICH

WERDEN

Wiener Modelabel und

Kunstprojekt / Initiatorin

Valentina im Interview

Liebe Valentina, wie würdest du „Wien

darf“? in drei Worten beschreiben?

Frech, provokant, witzig

Was ist die Idee und das Konzept hinter

"Wien darf?" Wie bist du auf die Idee

gekommen, sowas auf die Beine zu

stellen?

Wien darf hat mit dem Spruch „Wien

darf nicht Österreich werden“ meines

Künstlerfreundes Tomak begonnen. Ich

habe daraus T-Shirts gemacht, dann

folgte eine gemeinsame Ausstellung

mit demselben Namen. Es hat somit

als Kunstprojekt gestartet. Nach und

nach kamen weitere Ideen und Designs

Beauty-Tipp

ZIEMLICH

ZIEGENMILCHGEIL

Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen

war, als ich in Polen auf

einem Bauernhof gezwungen wurde,

Ziegenmilch zu trinken. War eklig,

ich hab’s gehasst. Aber irgendwas

machen die Polen in Kombination

mit Ziegenmilch dann doch richtig:

Die polnische Marke ZIAJA, die seit

einiger Zeit auch in Österreich

erhältlich ist, hat eine Linie voller

Produkte mit – ja, ihr habt

es erraten: Ziegenmilch.

Ich benutze das Duschgel, die

Bodylotion, das Serum und

die Cremen seit Jahren. Die

Produkte sind voll mit den

Vitaminen A und D, machen

die Haut super glatt und weich

und riechen einfach extrem

gut. Nicht nach Ziege.

von mir. „Wien darf“ ist mittlerweile

ein Alleinprojekt von mir. Gedruckt und

gestickt wird ausschließlich in Wien.

Wer fällt vorrangig unter deine Zielgruppe?

Komplett durch die Reihe von 15 bis

50. Hauptsächlich aber Wiener und

Wienerinnen.

Was ist die Message? Ist der Spruch

politisch?

Das soll jeder für sich selbst entscheiden!

Wo bekommt man deine Klamotten?

Online auf wiendarf.bigcartel.com. Ein

paar Stücke finden sich aber immer

wieder in der Burggasse 24.

Instagram: wiendarf

VOR EINER DEKADE

WAR ICH MAL COOL

Superkurze Jeans-Hotpants mit zerrissenen

Strumpfhosen. Darüber ein kariertes

Hemd und Lederjacke. Am Kopf eines von

diesen Hippie-Haarbändern, an den Armen

Festival-Bändchen. Die dreckigen Chucks

natürlich immer voll mit dabei. Das war

post-Emo und pre-Hipster. Es war 2010,

das Jahr meiner Matura, das Jahr der neu

gewonnenen Freiheiten. Jenny Humphrey

von Gossip Girl war damals mein Styling-

Vorbild, so retrospektiv betrachtet. Ein

Statement gegen Louis Vuitton und Thomas

Sabo, sehr edgy. So

richtig anders als die

anderen natürlich –

und somit genau wie

halb tumblr. Aber ich

vermisse diese Zeit,

diesen Style und diese

Unbeschwertheit.

Ich wär’ gern wieder

so cool wie damals.

© Marko Mestrovic, Aleksandra Tulej, Ziaja, Wien darf

60 / LIFESTYLE /


COMFORT

ALLE TAGE

FRAU DER

LAGE.

Ob Kuscheldecke oder doch zum

Sport, ob langer Tag oder zu kurze

Nacht – die Produkt-Vielfalt von BI

COMFORT schützt verlässlich und

diskret. Jede Frau, an allen Tagen.

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MEINUNG

IST HERKUNFT GLEICH

HEIMAT?

Am 26. August 2019 nahm mein Leben eine Wende, als

ich die Bundeshymne hörte und einen Eid ablegte, diesem

Land gegenüber treu zu bleiben. Ein unvergesslicher

Tag, an dem ich nach Verleihung der österreichischen

Staatsbürgerschaft die Beamtin Frau Biljonić neugierig

fragte: „Bin ich jetzt Österreicherin?“. Und sie sagte: „Ja,

jetzt bist du Österreicherin.“

ICH BIN EIN TEIL VON ÖSTERREICH

Es heißt, dass der Höhepunkt der Integration der Erwerb

der Staatsbürgerschaft ist, doch ich habe mich nie fremd

gefühlt, um mich zu integrieren. Ich bin zwar nicht hier

geboren, doch die einzige Stadt, die ich von Herzen als

Heimat bezeichne, ist Wien. Immerhin darf ich Österreich

offiziell meine Heimat nennen, doch im Stiegenhaus erlebe

ich noch hasserfüllte Blicke. Eine Pensionistin erzählte

mir von ihren Problemen mit den Türken am Flohmarkt

und beschwerte sich über die ägyptische Familie im

Haus. Mich irritierte besonders der Satz: „Seit die Türken

gekommen sind, ist alles zerstört.“ In diesem Moment

hätte ich sie darauf aufmerksam machen können, dass

sie aufhören soll, mich ständig aufzuhalten, doch ich

schwieg geduldig und hörte ihr zu. Älteren Menschen

gegenüber Respekt zu zeigen und sie nicht zu unterbrechen,

ist Teil meiner afghanischen Erziehung. „Deutsch

ist nicht ihre Muttersprache“, hat meine ehemalige

Deutschlehrerin am Elternsprechtag gesagt. Wieso denke

und fühle ich dann auf Deutsch? Nur bei Köstlichkeiten

ziehe ich die afghanische Küche vor.

Um sich als Teil von Österreich zu fühlen, muss man

nicht Deutsch als Muttersprache oder Eltern aus Österreich

haben. Ich verbinde das Beste aus Afghanistan mit

meiner Heimat.

Yalda Ghodrat ist 20 Jahre alt und geht in die 8C der AHS Geringergasse

in Wien.

MEIN ERSTES JAHR

IN ÖSTERREICH

Ich war sieben, als ich nach Österreich kam. Das war

im Jahr 2014. Wir sind in der Früh angekommen und

mussten zur Polizei gehen, damit sie wussten, dass

wir neu in Österreich sind. Wir haben einen Monat im

Flüchtlingsheim gelebt. Meine Verwandten aus Wien

haben erfahren, dass wir dort sind und kamen uns dann

besuchen. Ich war sehr glücklich darüber, meinen Onkel

und meine Tante zu sehen. Wir haben eine Wohnung in

einem kleinen Dorf in der Steiermark bekommen.

HIER GIBT ES KEINEN KRIEG

Dort in dem Dorf lebte auch eine afghanische Familie,

die uns sehr viel geholfen hat. Die Familie hatte

einen Sohn, der so alt wie ich war. Er und ich sind

gute Freunde geworden. Danach kam ich in Wien in

die Schule. Ich war sehr aufgeregt. Die Schule hier in

Österreich ist anders als in Afghanistan. Die Lehrer sind

sehr freundlich, die Schule ist modern und die Mitschüler

sind nett. Ich konnte am Anfang leider noch kein

Deutsch sprechen und meine Mitschüler wollten wissen,

wer ich bin. Nach ein paar Monaten konnte ich dann

halbwegs Deutsch sprechen. Mein afghanischer Freund

hat mir auch mit Übersetzungen geholfen. Mit Hass

habe ich eigentlich wenig Erfahrung gemacht, alle in der

Schule waren sehr freundlich. Ich habe Fußball spielen

gelernt und in einer Mannschaft gespielt. In Wien leben

auch meine Tante und mein Onkel. Ich bin sehr glücklich,

dass ich sie jetzt oft besuchen kann. Ich vermisse

meine Heimat natürlich, aber ich kann nichts machen.

Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich jetzt in einem Land

lebe, in dem es keinen Krieg gibt.

Emran Ahmadi ist 14 Jahre alt und geht in die 3D der NMS Enkplatz in

Wien

62 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF //


LEHRLINGE

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„Ich zeig, was ich kann.

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und schulischer Leistung während

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IT, der Verwaltung oder der Logistik.

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*Gilt für Eigenfilialen der SPAR AG


MEINUNG

Man muss gar nichts

Auf sozialen Medien wirkte es in den letzten

Monaten fast so, als hätte die Pandemie nur

das Beste aus uns herausgeholt. Es wurden

neue Sprachen gelernt, Podcasts aufgenommen,

Sixpacks antrainiert und Bücher

gelesen. Influencer riefen dazu auf, die Zeit

zuhause sinnvoll zu nutzen. Man hätte ja

regelrecht dankbar sein können: endlich hatte

man Zeit, produktiv zu sein. Und obwohl

ich zustimme, dass Beschäftigungen aller

Art im Ausnahmezustand hilfreich sind, sieht

Produktivität bei jedem Menschen anders

aus. Niemand muss lernen, trainieren,

schreiben oder backen, um als produktiv zu

gelten. Wir definieren uns nicht über unsere

Produktivität und es ist gerade mehr als in

Ordnung, berufliche und persönliche Ziele

nach hinten zu rücken. Vielen war es in

letzter Zeit gar nicht möglich, sich um sich

selbst zu kümmern. Etwa Menschen, die

sich neben dem Home-Office um ihre Kinder

kümmern mussten. Menschen, die die

Selbstisolation durch mentale Krankheiten

an ihre Grenzen brachte. Menschen, deren

Existenz aufgrund plötzlicher Arbeitslosigkeit

gefährdet ist. So positiv sich Produktivität

auf unseren mentalen Zustand auswirken

mag: wer privilegiert genug war, diese Zeit

zur Selbstoptimierung zu nutzen, muss auch

an jene denken, die es nicht sind. Wenn der

größte Erfolg war, in dieser Pandemie zu

überleben, ist das auch ein Erfolg.

jandrisevits@dasbiber.at

KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Anna Jandrisevits

FOMO

(„FEAR OF MISSING OUT“)

WAR GESTERN!

Selbst in der Quarantäne müsst ihr

kein FOMO haben, denn bei der VHS

könnt ihr mit Yoga Online Klassen im

Flow bleiben, neue Sprachen lernen

und gratis Webinare belegen. Beim

Webinar „Distance und Remote

Learning – Einführung“ wird SchülerInnen

zum Beispiel der Umgang mit

der Transformation vom physischen

zum digitalen Klassenzimmer

geholfen. Zum Abschalten nach

der E-Learning Session gibt’s mit

über 600 Onlinekursen eine riesige

Auswahl – egal ob Sport, Sprachen,

Kreativität oder Musik – damit wird

dir fix nicht fad. Ajde schau vorbei

auf http://www.vhs.at/onlinekurse

und http://www.vhs.at/webinare

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Es ist vielmehr eine

Regel: Die positive

Einstellung dann beizubehalten,

wenn Pläne

nicht ganz aufgehen

oder gar komplett aus

dem Ruder geraten. Die

Jetzt-erst-recht-Haltung

kann als Motivation

im Zweifelfall Wunder

bewirken. Erfolge als

auch Misserfolge sind

wie einzelne Puzzleteile,

die nur gemeinsam ein

fertiges Motiv ergeben

können.

Wie läuft Ihr Arbeitstag

momentan ab?

Bis dato verlief er aus

dem Home-Office

in Begleitung von mehreren Kaffeetassen

ab. Mein Einstieg wurden mir

virtuell ermöglicht und verlief dank

des Einsatzes meines Teams und der

KollegInnen reibungslos. In einem Kommunikationsteam

darf vor allem eines

nicht fehlschlagen: die Kommunikation.

Der tägliche Austausch steht an erster

3

FRAGEN AN:

DIVNA IVIC

Neue Pressesprecherin

von Samsung

Für die Erfinder

von morgen

RoboManiac bietet seine Programmier-

Kurse für Kinder und Jugendliche nun

online an. Es stehen Monatskurse für

alle Altersklassen zur Verfügung. 8- bis

12-Jährige erhalten einen kindgerechten

Zugang zum Programmieren,

während 12- bis 16-Jährige spielerisch

die Welt der Programmier-Sprache

entdecken. Die Kids bauen ihr technisches

Verständnis aus und lassen der

Kreativität freien Lauf. Viel cooler als

Fortnite! Anmeldung und Infos: www.

robomaniac.at

Stelle. Ob das Verfassen

von Pressetexten, die

Bearbeitung von Presseanfragen,

Videokonferenzen

über Grenzen

hinweg oder Projektplanungen:

all dies zählt

zu meinem Arbeitstag,

der auch bald wieder

aus dem Büro ausgeübt

wird.

Welchen Karriere-Tipp

würden Sie jungen

Menschen geben?

„Man sollte vor allem

in sich selber investieren.

Das ist die einzige

Investition, die sich

tausendfach auszahlt.“,

wie der Investor, Warren

Buffett, einst sagte. Das

bedeutet auch, Kritik und Misserfolge

anzunehmen und diese in den Lernprozess

miteinzubauen, Geduld mit sich

selber zu haben, Veränderung positiv

entgegenzutreten und an sich selber zu

glauben, vor allem dann, wenn es einem

schwierig erscheint. Es ist eine Investition

für ein ganzes Leben.

© Marko Mestrovic, Robo Maniac, Vincent Bennett

64 / KARRIERE /


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ES SPRICHT VIEL DAFÜR,

ÜBER GELD ZU REDEN!

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ÜBER IHRE KINDER

UMGANG MIT DEM BANKKONTO

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Bei 91 % der Söhne legen die

Eltern Wert darauf, beim Umgang

mit dem Bankkonto zu unterstützen,

bei Mädchen ist dieser

Prozentsatz geringer (82 %).

NOCH EIN PAAR FACTS

ZUR BAWAG:

In der BAWAG Group arbeiten

Mitarbeiter aus 45 Nationen täglich

zusammen.

Im Vertrieb der BAWAG P.S.K. werden

insgesamt 20 Sprachen gesprochen.

FINANZBILDUNG

Mütter (91%) legen

noch mehr Wert auf

die Finanzbildung ihrer Mütter

Kinder als Väter (88%). 91%

Väter

88%

Bei der BAWAG P.S.K. sind 54% der

Vertriebsmitarbeiter weiblich.

27 Jahre alt sind die jüngsten

Filialleiter bei der BAWAG P.S.K.

FAMILIENVERMÖGEN

9 Lehrlinge haben 2019 ihre Lehre als

Bankkauffrau/-mann bei der BAWAG

P.S.K. erfolgreich abgeschlossen.

Mit 6 von 10 Kindern geben Eltern an, offen über das eigene

Vermögen zu sprechen.

Informiere dich jetzt unter folgendem

Link über die Lehre in der BAWAG P.S.K.

www.bawagpsk.com/lehrlinge

GESPRÄCHE ÜBERS GELD

73%

Bei 73% der Kinder zwischen 6 und

14 Jahren geben deren Eltern an,

offen über Geld zu sprechen.


„Mathe war

mein absolutes

Hassfach in der

Schule.“

ClassNinjas ist eine App, die das

Mathelernen für SchülerInnen in

der Unterstufe spielerisch einfacher

gestalten soll. Wir sprachen

mit Gründer Karim Saad

über die Vorteile der App.

Von Nada El-Azar, Foto: Zoe Opratko

BIBER: Warum heißt die App Class-

Ninjas? Und was unterscheidet sie von

anderen Lern-Apps?

KARIM SAAD: Wir haben diese Ninja-

Welt für uns eröffnet, weil ein Ninja

jemand ist, der hochfokussiert lernt,

diszipliniert ist, und sich auf das Wichtige

konzentriert. Jeder und jede kann

sich mit einem Ninja identifizieren, er ist

geschlechtslos und ohne Ethnie. Wichtig

ist, dass die Videos kurz sein müssen,

weil niemand Lust hat nach einem

Schultag nochmal zwei Stunden ins

Lernen zu investieren. Und die Aufgaben

müssen möglichst relevant für den Alltag

sein. Der Ninja nimmt zum Beispiel sein

Smartphone in die Hand, sieht dass er

nur noch 25 Prozent Akku hat und fragt

sich – muss ich mein Handy aufladen

oder schaffe ich es so durch den Tag? So

haben Kinder eine bessere Verbindung

zur Aufgabe, statt der alten Beispiele,

in denen ein Mann 25 Wassermelonen

kauft.

Welche Funktionen gibt es? Und warum

ist es eine App, und nicht etwa eine

Webseite?

Ursprünglich war ClassNinjas tatsächlich

als Webseite gedacht, mit drei

Kernfunktionen: Lernvideos, Übungen,

und Prüfungssimulation. Letzteres ist

mit 2,99 Euro pro Monat das einzige

kostenpflichtige Element. Wir haben

sehr schnell erkannt, dass die Kids keine

Webseiten mehr benutzen, also sind wir

in Richtung App gegangen. Von vornherein

setzten wir auch stark auf Social

Media Plattformen wie YouTube und

Instagram – und auch TikTok, das bei

Kindern bis 14 Jahren besonders beliebt

ist. Als ich meinem Team vorschlug,

TikTok-Videos zu machen, wurde ich

anfangs sehr belächelt. Heute haben wir

142.000 Follower und sind der größte

deutschsprachige Mathe-Influencer auf

TikTok.

Warum tun sich immer noch so viele

Kinder schwer mit dem Fach Mathe?

Viele tun sich schwer, Texte zu verstehen.

Es nichts damit zu tun, woher die

Kinder kommen oder welche Wurzeln sie

haben. Das ist ein generelles Problem im

österreichischen Bildungssektor. Kinder

lesen etwas und haben keine Ahnung,

was sie gelesen haben. Bei Mathematik

66 / KARRIERE /


wird das Problem sichtbar, wenn die

Kinder die Angabe nicht verstehen. Und

wer die Angabe nicht versteht, weiß

nicht, wie gerechnet werden muss. Wir

versuchen deshalb mit audiovisuellen

Elementen Lerninhalte verständlicher zu

machen, und verlassen uns nicht nur auf

Texte. Unsere Animationen und Videos

werden deshalb auch von Lehrern gerne

verwendet.

War Mathe in der Schule dein Lieblingsfach?

Mathe war mein absolutes Hassfach

in der Schule. Ich war selbst einer der

schlechtesten Matheschüler, die es je

gegeben hat. Dazu kam aber noch, dass

ich im Gymnasium in Krems viel Rassismus

erlebt habe – in den 90ern galt die

FPÖ im Vergleich ja noch als Blümchenpartei.

Ich bin zwar nie sitzengeblieben,

weil ich Nachhilfe bekommen habe. Es

ist unvorstellbar: In Österreich allein

werden jährlich etwa 100 Millionen Euro

für private Nachhilfe ausgegeben, davon

etwa drei Viertel in Mathematik.

Ist das der Grund, weshalb ClassNinjas

eine Mathe-App geworden ist?

Das Schöne an Mathematik ist, dass

überall auf der Welt gelernt wird, dass

1+1 gleich 2 ergibt. Deshalb kann Class-

Ninjas deshalb ein globales Produkt sein.

Wie macht man eine Mathe-App attraktiv

für Schüler, sodass sie am Ball bleiben?

Wenn Kinder Spaß an Mathematik haben

sollen, muss man ihnen erklären, wozu

sie Mathe in ihrem Leben brauchen. Die

Skripte für unsere Drehbücher wurden

alle von Lehrenden geschrieben, die

aktiv im Dienst sind. Wir bedienen uns

der Sprache der Jugend, wo etwa Wörter

wie „Ehrenmann“ oder „Ehrenfrau“ oder

„Gönn‘ dir“ Teil der App sind. Natürlich

darf es auch nicht zu umgangssprachlich

werden. Lehrende verwenden unser

Material jetzt auch gern im Distance-

Learning.

Hat die Corona-Krise den Weg für ein

digitaleres Lernen in deinen Augen

gewiesen?

Ob die Veränderungen durch Corona

das Aufrütteln im Schulwesen gebracht

haben, das ich mir wünsche, ist schwer

zu sagen. Eine gute Sache hat die Krise

gebracht: Ein Erkennen, dass das Digitale

nicht nur da ist, sondern auch ordentlich

genutzt werden kann. Distance-Learning

bedeutet aber nicht, dass der Lehrer

eine E-Mail mit Aufgaben schickt und

dann die Antworten bis Freitag retour

bekommt. In dieser Hinsicht bin ich doch

etwas skeptisch.

WER IST ER?

Name: Karim Saad

Alter: 37

Geboren und aufgewachsen in Krems/

Donau, hat ägyptische Wurzeln

Sonstiges: Hat bereits Halaltrip.com,

eine Reiseplattform für muslimische

Reisende entwickelt.

Lehre, eine

Ausbildung

mit Zukunft.

www.lehre-statt-leere.at

Fragen zur Auswirkung von Corona auf

die Lehrausbildung? Lehrlingen, Eltern oder

Ausbilderinnen und Ausbildern stehen unter

0800 22 00 74 gebührenfrei qualifizierte Coaches

mit Rat zur Seite. Sie wissen, wie es weitergeht

und können rasch helfen. Hilfesuchende

Lehrlinge und Ausbildungsbetriebe können auch

das kostenlose Lehrlings-Coaching-Programm

„Lehre statt Leere“ in Anspruch nehmen.

Von

Österreich, für

Österreich.

Danke an

alle, die jetzt

arbeiten!

Entgeltliche Einschaltung des BMDW/Adobe Stock


DIE PARTNER DE

„In Zeiten des Internets und

der Sozialen Netzwerke

ist es wichtig, sich mit

Journalismus und der

Qualität von Nachrichten

auseinanderzusetzen. biber

macht Schülerinnen und

Schüler zu Redakteuren.

Das unterstütze ich sehr gerne.“

Heinz Faßmann

Bildungsminister

„Die biber-Redakteure

engagieren sich im Newcomer-

Projekt, um Jugendlichen

aus oft sozial benachteiligten

Familien neue Perspektiven und

Selbstbewusstsein zu geben.

Das ist eine Idee, die die ÖBB

gerne unterstützen.“

Andreas Matthä

Vorstandsvorsitzender

ÖBB-Holding AG

„Der Stadtschulrat unterstützt

das Projekt ,Newcomer‘, weil es

SchülerInnen die Gelegenheit

bietet, mehr über Medien zu

erfahren und das außerhalb des

klassischen Unterrichts.“

Heinrich Himmer

Bildungsdirektor für Wien

„Das Projekt Newcomer vermittelt

die demokratiepolitische

Bedeutung des Journalismus

und fördert durch Text- und

Videoworkshops die Kreativität

der Jugendlichen. LUKOIL ist mit

Freude Partner des Newcomers. “

Robert Gulla

Geschäftsführer LUKOIL-Holding

Wenn gerade keine Pandemie herrscht, touren biber-RedakteurInnen

im Rahmen des Projekts „Newcomer“ durch Wiener

Schulen und geben im Jahr 2020 rund 100 Jugendlichen

eine Projektwoche lang die Chance, ihre Medienkompetenz

und Persönlichkeit zu stärken und neue (Job-)Perspektiven

zu sehen. Auch in Zeiten von Corona läuft das Projekt weiter

- mittels digitaler Kommunikation. Der biber-Newcomer wird

von Menschen gestaltet, die selbst aus zugewanderten Familien

kommen und daher wissen, mit welchen Schwierigkeiten

die Jugendlichen auf dem Weg ins Arbeitsleben konfrontiert

sind. Wenn wir es geschafft haben, können sie es auch!

„Wien steht für Vielfalt.

SPAR steht für Vielfalt.

biber steht für Vielfalt. Es

ist schön, Partner für ein

Jugendprojekt zu sein, das

diese Vielfalt auch abbildet.“

Alois Huber

SPAR-Geschäftsführer

BMBWF/Lusser, Martin Lusser, SSR / Johannes Zinner, Mario Aigner, SPAR/Johannes Brunnbauer, Georg Hochmuth, ÖBB Hauswirth

68 / NEWCOMER /


R „NEWCOMER“

„Sorgfältige Recherche, kritisches

Hinterfragen und die tiefgehende

Kompetenz der ORF-Journalisten

können weder durch Google noch durch

Facebook oder Instagram ersetzt werden.

Unabhängiger Journalismus ist für eine

demokratische, lebenswerte Welt auch in

Zukunft zwingend notwendig – deshalb

wollen wir Jugendliche dafür begeistern.“

Alexander Wrabetz

ORF-Generaldirektor

Robert Staudinger / Petra Spiola, Markus PRANTL, HBF/ Franz HARTL, Andreas Jakwerth, AK/Sebastian Philipp, Thomas Ramstorfer / ORF

Um Österreichs größte Schülerredaktion aufzubauen,

braucht es mehr als nur guten Willen. Es braucht enorm viel

Zeit, Geld und Know-how sowie verlässliche Partner, die das

Projekt begleiten. Wir danken unseren vielen Leserinnen

und Lesern, die unsere Crowdfunding-Kampagne unterstützt

haben, um das Projekt zu finanzieren.

Wir danken zudem folgenden Institutionen und Firmen für

die Unterstützung des „Newcomer“-Projekts: Bundesministerium

für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF),

Bildungsdirektion Wien, ORF, SPAR, Industriellenvereinigung,

Arbeiterkammer, ÖBB, BAWAG PSK sowie LUKOIL.

„Guter Journalismus schafft

Verständnis: Indem er Einblicke in das

Leben anderer vermittelt, berührt,

verbindet, Probleme und Lösungen

aufzeigt und eine Basis für die

Demokratie und das Zusammenleben

bildet. Es ist super, wenn sich junge

Menschen dafür begeistern.“

Renate Anderl

AK Präsidentin

„Als Partner des Projekts

,Newcomer‘ möchten wir

Jugendliche vor allem ermutigen

ihre Kreativität zu nutzen,

sich gesellschaftlich und

bildungspolitisch einzubringen.“

Christoph Neumayer

Generalsekretär der

Industriellenvereinigung

„Als BAWAG P.S.K. ist es uns ein Anliegen,

visionäre Projekte im Bildungsbereich zu

unterstützen. Im Rahmen des „Newcomer“-

Projekts lädt die biber-Redaktion Jugendliche

ein, einen Blick hinter die Kulissen der Medienwelt

zu werfen und selbst kreativ und gestalterisch

tätig zu sein. Es freut uns, auch heuer wieder

Partner dieses tollen Jugendprojekts zu sein.“

Enver Sirucic

CFO der BAWAG Group

/ NEWCOMER / 69


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

MEINUNG

Datenschutz-

Dilettanten

Der Lockdown ist vorbei, die

Regierung will aber trotzdem eine

Handy-App zum Nachvollziehen

der zwischenmenschlichen

Kontakte. Groß war die Aufregung

darüber. Selbsternannte Datenschutzexperten

rieten von der

Nutzung ab – meist über Facebook,

WhatsApp und Instagram.

Was diesen besorgten Bürgern

aber nicht klar ist: Facebook, die

Muttergesellschaft der drei Apps,

sammelt weit mehr Daten tagtäglich

ein, als die österreichische

„Stopp-Corona“-App es je könnte.

Außerdem bin ich mir ziemlich

sicher, dass das Rote Kreuz oder

die österreichische Regierung die

gewonnenen Daten nicht dazu

nutzen wird, dir Fitnessprodukte

oder Beauty-Blogs zu empfehlen.

Also, mal wieder eine Scheindiskussion

für die Fisch‘. Viel wichtiger

als jede App sind weiterhin

das „social distancing“ und die

Verantwortung des Einzelnen.

bezeczky@dasbiber.at

DIE JAGD BEGINNT

Der unsichtbare Jäger ist wieder auf

Safari. In „Predator Hunting Grounds“

spielen im Multiplayer vier gegen einen.

Und wer glaubt, das wäre unfair, wird

eines Besseren belehrt. Doch mit dem

richtigen menschlichen Team kann auch

die lustige Menschenhatz für den Predator

ins Auge gehen. Wichtig dabei ist

die Kommunikation und natürlich auch

das Teamplay. Predator Hunting Grounds

fängt das beklemmende Flair der Predator

Filme perfekt ein - als menschlicher

Spieler hat man ständig Panik vor dem

unsichtbaren Biest. Empfehlenswert!

ASSASSIN‘S CREED:

VALHALLA

Ubisoft hat das nächste Assassin‘s Creed

angekündigt. Diesmal spielt die ehrwürdige

Reihe im hohen Norden. Vikinger kämpfen

gegen Briten und wir sind

mittendrin. Um sich auf

das Spiel einzustimmen,

lohnt es sich, die Netflix-

Serie „Vikings“ anzuschauen.

Angekündigt für

Ende 2020 erwarten wir

gespannt weitere Informationen,

wie der Reboot

der Assassin‘s Creed

Reihe aussehen wird.

Monsterjagd auf

Google Maps

Urban Gaming verwandelt

die Stadt in ein Spielbrett.

Mithilfe von Google Street

View kann man auch

gemütlich vom Wohnzimmer

aus auf Monsterjagd

gehen. Jeden Tag wird

ein neues Monster in das

Archiv aufgenommen -

der Standort des Monsters

soll mithilfe von Hinweisen

und Street View ermittelt

werden. So kann man

Wien noch besser kennenlernen!

Weitere Infos:

https://citygames.wien/amonster-a-day-de/

© Marko Mestrovic, Ubisoft, Citygames Wien, Sony Interactive Entertainment

70 / TECHNIK /


DIE DOS & DON’TS

FÜR LEHRERINNEN

BEIM E-LEARNING

In den letzten Wochen wurde

der Unterricht an Österreichs

Schulen digital abgehalten. Eine

neue Situation für alle. Über die

Schwierigkeiten, die LehrerInnen

und Eltern beim home-schooling

empfunden haben, wurde medial

ausgiebig berichtet. Aber was

sagen eigentlich die SchülerInnen,

die von dieser Umstellung am

meisten betroffen sind? Wir haben

bei unserer Schüler-Redaktion

nachgefragt und die wichtigsten

Punkte zusammengefasst – Sollte

es zu einem neuerlichen Lockdown

kommen oder sollte der Unterricht

in Zukunft öfter digital abgehalten

werden: Was wünschen sich die

SchülerInnen von ihren Lehrkräften?

DO:

+

Alle Aufgaben und Materialien

übersichtlich auf eine digitale

Plattform stellen

+

Plattformen, die gut funktionieren:

Zoom, Studyly, Digi4school

+

Fixe Termine für die Abgaben:

Jeden Mittwoch Mathe, jeden

Freitag Englisch: So lässt sich der

Stundenplan auch zuhause gut

einhalten

+

Regelmäßiges persönliches Feedback,

das motiviert die SchülerInnen

DON’T:

Zoom-Calls, die länger als eine Stunde

dauern, sind sinnlos. Das bereitet nur

Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten

Im Hinblick auf die Matura, diesem Credo

nachzugehen: „Macht’s doch einfach

das, was wir in den letzten Jahren alles

gemacht haben.“ Die SchülerInnen wünschen

sich konkreteres Übungsmaterial

Ungleiche Verteilung des Arbeitsaufwands:

In „Nebenfächern“ zu viele Aufgaben

geben, was sonst nicht die Norm

ist, in den „Hauptfächern“, die oft für die

Matura relevant sind, dafür zu wenig

Kein genaues Feedback zu geben, oder

sich über eine Woche damit Zeit zu lassen.

Das verwirrt und verunsichert

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KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar

Wir dürfen uns freuen:

Der Museumsbetrieb

erwacht in Österreich

seit Mitte Mai so

allmählich. Hier einige

Ausstellungstipps.

MEINUNG

Entzugserscheinungen

Ich muss offen gestehen: So allmählich

begann ich schwere Entzugserscheinungen

zu zeigen. Keine Museen, kein Theater,

kein Kino – nichts, nada, niente! Für mich

waren das Orte der Entspannung, die meinen

Alltag erfrischten. Und selbstverständlich

auch Teil meiner Arbeit. Ich schätze,

dass ich seit Jahren keine solche Kulturpause

einlegen musste. Das machte aus

meinem guten alten Freizeitstress einen

„Produktivitätsstress“. Plötzlich dachte ich,

ich könnte doch mal wieder den Skizzenblock

in die Hand nehmen, oder meine

Wohnung ausmisten, oder den noch ungelesenen

Bücherstapel in meinem Regal

abarbeiten. Oder einen neuen Trainingsplan

für Zuhause umsetzen, mehr Tagebuchschreiben,

meine lange Film-Watchlist

beginnen wegzugucken. Die Wahrheit ist:

ich bin kläglich gescheitert. Ging es auch

anderen so? Vielleicht erzeugte das Wegfallen

meiner Routinen einen derartigen

Unterdruck, der mich nun denken lässt, ich

hätte meine Zeit nicht ordentlich genutzt.

Es war natürlich nicht alles schlimm – ich

habe sehr wohl auch gute und wichtige

Dinge aus der „Isolation“ mitgenommen.

Noch nie habe ich Nähe so sehr zu

schätzen gelernt wie dieses Jahr. Ich will

nie wieder bei einem Treffen ein Handy in

irgendjemandes Hand sehen.

el-azar@dasbiber.at

Ab 1. Juli im Kunstraum Niederösterreich

Österreichische

Kunst von

1945–1980

Die Eröffnungsausstellung „Albertina

Modern: The Beginning“

beleuchtet österreichische Kunst

an der Schwelle zur Postmoderne.

Bis in die 1970er Jahre wurde

die Kunst als „entartet“ bezeuchnet,

kriminalisiert und verdrängt.

Präsentiert werden Arbeiten vom

Phantastischen Realismus, über

den Wiener Aktionismus, bis

hin zum gesellschaftskritischen

Realismus.

Ab 27. Mai im neuen Standort der

Albertina am Karlsplatz 5, 1010

Wien

DURST

Der Mythos vom Vampir hat

Literatur, Popkultur und Musik seit

jeher fasziniert. Der Kunstraum

Niederösterreich widmet der

mysteriösen und verführerischen

Figur die Ausstellung „Durst“ –

von Bram Stoker’s „Dracula“ bis

„Twilight“. Aber es geht nicht nur

um die verschiedenen Interpretationen

des Blutsaugers – auch

die politische, semantische und

ästhetische Dimension wird

beleuchtet.

© Christoph Liebentritt, Mosfilm, bildrecht, Walter Mussil

72 / KULTURA /


Youtube-Tipp:

Mosfilm

Falls ihr Video-On-Demand Plattformen wie Netflix oder

Amazon Prime schon so gut wie leergeguckt habt, empfehle

ich wärmstens den Youtube-Kanal des Filmkonzerns

„Mosfilm“. Dort kann man unzählige sowjetische Filmklassiker

von Sergej Eisenstein, Leonid Gajdaj oder Andrej

Tarkovskij ganz bequem streamen. Verfügbar sind oft englische

oder teilweise auch deutsche Untertitel.

… von Brot,

Wein, Autos,

Sicherheit

und Frieden

8/3 8/5

4/10 2020

Theater zuhause

Theaterhungrige müssen sich wohl noch etwas länger bis zu

den nächsten Premieren gedulden. Bis dahin haben viele Häuser

Streams von vergangenen Produktionen online zur Verfügung

gestellt. Das ist eine gute Chance, um vergangene und

verpasste Stücke noch aufzuholen.

Das OFF-Theater: „This is What Happened in The Telephone

Booth“

Edition Burgtheater: Freitags und Montags sind auf https://

www.burgtheater.at/edition-burgtheater alte Inszenierungen ab

18 Uhr 24 Stunden lang auf YouTube abrufbar.

Marina Marina Naprushkina, Jetzt! Jetzt! Alles Alles für Alle!, für Alle!, 2019, 2019,

Installationsansicht Kunsthalle Wien, Wien, 2020 2020

Wir Wir haben

wieder geöffnet!

/ KULTURA / 73


TRIP & TRAVEL

Einmal um die ganze Welt

DESTINATION:

TOBAGO

Strand-Office

statt Home-Office

Ja, ich bin immer noch am Reisen. Ja,

ich weiß, die ganze Welt ist gerade

abgeriegelt. Und ja, ich weiß auch, dass

ich selbst schuld bin, wenn ich nicht

mehr nach Hause kommen kann. Aber

ganz ehrlich: Wer wäre nicht lieber eingesperrt

auf einer

karibischen Insel als

in der Meidlinger

Wohnung? Während

die ganze Welt

kopfsteht, tanke ich

massenweise Vitamin

D und genieße

das Meer. Es könnte

wirklich schlimmer

sein.

Ich bin im Jänner

nach Trinidad und

Tobago geflogen,

einen kleinen Inselstaat

in der südlichen

Karibik. Mein

Andrea Grman

der ersten Wochen konnte ich viel

lernen. Auch als alle Touristen das

Weite suchten und es auf Tobago

nichts mehr zu tun gab, bot mir

mein Chef an, hierzubleiben und

weiterhin jeden Tag tauchen zu

gehen. Allerdings tauchen sie hier,

um Fische und Hummer zu fangen

und sich ernähren zu können, was mich

als Veganerin eine völlig neue Welt

entdecken lässt. Doch schließlich muss

ich alles probiert haben, um darüber

urteilen zu können.

Ich habe außerdem gerade mehr Kontakt

mit meiner Familie als jemals zuvor

auf meinen Reisen. Offenbar haben

die auch nichts Besseres zu tun. Dank

E-Learning und Zoom mache ich sogar

mehr für die Uni als vorher. Es geht also

deutlich mehr voran als ich dachte.

Meine restlichen Reisepläne für dieses

Jahr konnte ich natürlich streichen.

Dafür habe ich jetzt mehr Zeit, um mit

Reiseagenturen in Kontakt zu treten

und mich jeden

Tag aufs Neue zu

wundern, welche

Kuriositäten sie

diesmal auspacken.

Als legitimen

Ersatz für meinen

Flieger von Tobago

nach Miami

beispielsweise

erhielt ich einen

Trip von Spanien

in den Iran – ganze

zwei Monate

später. Mein Geld

bekomme ich

natürlich nicht

Ziel war es, mein

Dive-Master-Zertifikat

Quarantäne unter Wasser zurück. Schließlich

ist es nicht ihr

abzulegen, damit ich irgendwann

– falls mir danach ist – Tauchen zum

Beruf machen kann. Jedenfalls hatte

ich extremes Glück bei der Auswahl

Verschulden, wenn ich den von ihnen

vorgeschlagenen Ersatzflug nicht antreten

kann. Danke für nichts.

grman@dasbiber.at

meiner Tauchschule. Nicht nur während

Gewinnspiel

Die Zeit zuhause kann

man gut nutzen. Zum

Schrankausmisten,

Fensterputzen und,

ach ja, Lesen. Was

liest sich besser als

Geschichten übers

Entdecken? Rolf Potts

hat in diesem Klassiker

einige Anekdoten von

seinen unzähligen Reisen

parat, sowie viele

nützliche Tipps für alle,

die es ihm nachmachen

wollen. Vorbereiten kann man sich ja

schon mal. Schick mir ein Mail an grman@

dasbiber.at und erzähl mir deine Reisegeschichte.

Mit etwas Glück hältst du eines

von drei Exemplaren von Weltenbummeln

schon bald in deinen Händen.

KOPFKINO

FÜR ZUHAUSE

Nachdem die meisten Sommer-Reisepläne

im Ausland wohl ins Wasser gefallen sind,

können wir die Möglichkeit zumindest

nutzen, um Österreich besser kennenzulernen.

Wer sich schon einen Vorgeschmack

auf die malerischen Bergseen und ausreichend

Reise-Ideen holen will, kann das

derzeit online machen. Mit #austrianhomestories

hat die Werbung Österreich eine

einzigartige Kollektion zusammengestellt:

von Nationalparks über Museen bis hin

zu Zeitreisen in die Vergangenheit. Jeder

Winkel Österreichs wird beleuchtet. Alle

virtuellen Erlebnisse findest du unter www.

austria.info

© Christoph Liebentritt, Popp-Hackner, privat, bereitgestellt

74 / REISE /


KOLUMNE

„Viele Frauen leben

lebenslang in Quarantäne“

Robert Herbe

Ich darf am Abend nicht mit meinen

FreundInnen feiern gehen.

Ich darf niemanden daten.

Ich darf nicht ins Fitnessstudio gehen.

Ich darf nicht…

Für uns sind diese Einschränkungen durch

Covid-19 temporär, aber für viele, viele

Frauen auf dieser Welt ist das trauriger Alltag

und wird sie ihr Leben lang begleiten.

Auf diesen Gedanken hat mich eine

Frau, die mit ihrer Familie aus Syrien

geflüchtet ist, gebracht. Sie schrieb mir

auf Instagram: „Ich fand es lustig, als ich

gehört habe, dass mein Alltag Quarantäne

heißt“.

Ich dachte an die Zeit vor zehn Jahren,

als ich damals in Damaskus sehen musste, wie meine

Schwester geschlagen wurde, weil sie einen Freund

hatte, während meine Ex-Freundin und ich im Keller

unseren Gefühlen freien Lauf gelassen haben. Ich

habe damals diese verlogene Welt nicht verstanden

und keine Antworten auf meine Fragen gefunden.

Ich habe versucht, unbewusst gegen meine innere

Stimme, die dieses System verabscheut, anzukämpfen

und mich zwanghaft damit abzufinden, dass dies

„die Normalität“ sei.

Jetzt lebe ich in Österreich und setze mich bei

dem Projekt „Heroes“ aktiv für eine gleichberechtigte

Gesellschaft ein.

In meiner Arbeit stoße ich leider oft auf taube

Ohren. Jugendliche reproduzieren festgefahrene

Geschlechterrollenbilder und Denkmuster, die sie

meistens als religiöses Gebot verstehen, die in Wahrheit

jedoch mit der Religion nichts zu tun haben…

Denn ein minderwertiges Frauenbild ist kein

Monopol von muslimischen Flüchtlingen oder

Migranten. Ich erlebe es immer wieder bei bioöster-

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Poetry-Slammer,

Buch-Autor und

Flüchtling aus

Syrien. In seiner

Kolumne schreibt

er über sein Leben

in Österreich.

reichischen Jugendlichen, die solche

Aussagen vertreten wie: „Der Mann ist

von Natur aus stärker, überlegener, das

Familienoberhaupt.“

Ich selbst werde für mein Engagement

von manchen Landsleuten oder Migranten

verspottet. Denn dann heißt es, dass „Männer,

die sich für Frauenrechte einsetzen,

Schwule oder Weicheier sind.“ Tatsache ist

aber: Es erfordert viel Mut und Stärke, die

Frauen als ebenbürtige und gleichberechtigte

Individuen sehen zu können. Es ist viel

einfacher, wenn meine Frau und Schwester

ohne zu argumentieren alles machen, was

ich will. Wenn sie mir nicht auf Augenhöhe

begegnen können, werde ich nie dazu

gedrängt werden, mein Verhalten ihnen gegenüber in

Frage zu stellen.

Ich konnte diese Ungerechtigkeit gegenüber

Frauen erst verstehen, als ich sie selbst mehrmals am

eigenen Leib in Österreich erleben musste. Als ich

angekommen bin, musste ich im Asylheim bleiben,

denn als Asylwerber durfte ich nicht arbeiten. Und die

Weigerung, mich aufgrund meiner Herkunft in einem

Fußballverein in Mondsee aufzunehmen, traf ganz

hart. Ich gehe auch nicht mehr fort, denn ich kann

die Zurückweisung der Türsteher mancher Nightclubs

nicht aushalten.

Die Tatsache, dass Geflüchtete und Migranten

fortlaufend alltäglichem und institutionellem Rassismus

und Diskriminierung ausgesetzt sind, muss eindeutig

bekämpft werden. Aber wir werden nicht weit

kommen, wenn wir uns nicht zuerst mit unserem

eigenen Rassismus auseinandersetzen. Wenn wir

nicht mehr diskriminiert werden wollen, dann dürfen

wir Frauen nicht mehr diskriminieren.

/ MIT SCHARF / 75


MEIN ÖST

Österreich ist mehr als Schnitzel, Mozart und Après-Ski. Hinter

der rot-weiß-roten Fahne stecken viele Religionen, Sprachen und

Identitäten. Wir haben genauer hingeschaut und mit 25 Menschen

gesprochen, die uns von IHREM ganz persönlichen Österreich

erzählen. Von Amar Rajković, Jara Majerus und Hannah Jutz (Text)

Mein Österreich

ist meine neue

Heimat, die mir

und meiner Familie

Sicherheit und

Zukunft gibt.

Eden Weldezghi, 20, Frisörin

Mein Österreich. Ein

Land, wo das „Wir“

mehr zählt als das „Ich“.

Vielfältig, hilfsbereit

und vereint, ein Land,

in dem niemand vergessen

wird. Das ist mein

Österreich.

Derai Al-Nuaimi, 27,

Vorsitzender der

Bundesjugendvertretung

Österreich ist für mich

Heimat und Fremde

zugleich – ein innerer

Zwiespalt, der wohl nie

ganz vergehen wird. Denn

Wiens Straßen fühlen sich

so unglaublich vertraut an

und doch treffen mich in

meinem Wien schon ein

Leben lang Blicke, die mir

sagen: Hier bist du fremd.

Heute weiß ich, Heimat

ist kein Punkt auf einer

Karte, sondern das Gefühl,

angekommen zu sein.

Salma Hassan Imara, 23,

Journalistin

Österreich ist Heimat für mich, ein Land, in

dem Träume wahr werden können.

Ein Land, in dem viele Nationen und Religionen

zusammen leben können. Ich fühle mich

sicher und geborgen hier. Wir halten hier

zusammen. Das macht mein Österreich aus.

Ercan Kara, 24, Fußballer von SK Rapid

In meiner alten Heimat hat

mir gefehlt, dass man ohne

Bedenken und Angst die

eigene Meinung sagen kann

oder die Gesellschaft kritisieren

darf. Das ist Österreich

– die Freiheit zu leben und

leben zu lassen.

Aziz Merza, 32, Dolmetscher

und Student

76 / MIT SCHARF /


ERREICH

privat, Daniel Novotny, Red Ring Shots, Zoe Opratko, Michael Griefing, Dominik Ehrwald

Mit dem Begriff

Österreich an sich

verbinde ich nicht

sonderlich viel, da

jeder Mensch, der

hier lebt, Österreich

auf seine eigene Art

und Weise ausmacht.

Samirah Mohamed, 21,

Studentin soziale Arbeit

Österreich ist

mein Zuhause.

Aber ein Zuhause,

das ich mir als

Frau mit Migrationshintergrund

selbst gestalten

musste. Meine

Mutter hatte das

Glück, hier eine

neue Heimat zu

gründen, in der

wir uns entfalten

konnten.

Ich möchte die

nächsten Generationen

dazu zu

ermutigen, ihren

Träumen und

Wünschen nachzugehen

– obwohl

wir in einem Land

leben, in dem

wir noch immer

nicht vollständig

als InländerInnen

gesehen werden.

Marie Noel-Ntwa, 29,

Schauspielerin

Mein Österreich

mit all seinen sympathischen

Menschen

ist bereit

gegen das Coronavirus

zu kämpfen.

Wir schaffen

es!

Qudratullah Alizai, 27,

Angestellter beim Roten Kreuz

/ MIT SCHARF / 77


Vor 35 Jahren bin ich zum Studieren aus

Luxemburg nach Österreich gekommen – und

geblieben. Die Herkunft hat hier eine große

Bedeutung, für mich als Luxemburger, der aus

einem Land mit einem Ausländeranteil von

über 47% kommt, nicht immer nachvollziehbar.

Wenn es aber darauf ankommt – in Krisenzeiten

wie diesen ist Österreich ein Land,

wo Solidarität und Hilfsbereitschaft großgeschrieben

werden.

Jean-Paul Majerus, 56, Volksschullehrer

Aus meiner deutschen

Sozialisation betrachtet

ist Österreich ein Land

des Ungefähren, liebt die

Konjunktive, mag das Präzise

weniger und ist auch

konfliktscheu. Die Bilderbuchschönheit

der Städte,

Dörfer, Flüsse und Berge

hat was Anmutendes, kitschig

Schönes. Es kommt

mir manchmal so unwirklich

vor, dass ich versucht

bin, hinter die Kulisse zu

schauen, um das Styropor

zu entdecken. Bisher

war ich nicht erfolgreich

damit.

Kenan Güngör, 52, Soziologe

Wien ist für mich wie ein Familienmitglied. Es gehört

einfach zu einem dazu. Wenn man weg ist, fehlt es

einem und ab und zu braucht man Pause, aber man

wäre nirgends lieber als in Wien, wenn‘s kritisch wird.

Leni Charles, 30, Designerin „Kids of The Diaspora“

Österreich bedeutet

für mich Komfortzone.

Bei kleinen Seen und

Bergen fühl ich mich

geborgen, meine Familie

und Freunde sind da,

hier fühl ich mich sicher

und wohl.

Maria-Elisabeth Isidro, 24,

Community- und Project

Manager Innovation Labs

78 / MIT SCHARF /


Ich habe hier viele gleichgesinnte

Menschen mit ebenfalls

mehreren Kulturen und

Abstammungen getroffen.

Diese Österreicher haben

dazu beigetragen, mein

eigentliches Zuhause in

mir selbst zu finden. Mein

Österreich ist offenherzig,

hat Platz für viele Kulturen

und ist bunt.

Juli Atan Kasapoglu, 28,

Tanzlehrerin und Barchefin

privat, Kids of The Diaspora, Magdalena Possert, Christian Hlinak, Marko Mestrovic, Al Tamimi Abd Al Hammed, Maximilian Salzer

Österreich hat mir nicht nur eine neue Sprache

beigebracht, sondern es hat mir auch gezeigt, wie

sich „Zuhause“ anfühlen sollte, in dem mich das

Land seit acht Jahren als Zugewanderte akzeptiert.

Meine Eltern und ich sind unser Leben lang

von einem Ort zum nächsten gezogen, aber ich

habe festgestellt, dass der Umzug nach Österreich

die beste Idee war.

Csilla Stoica, 22, Barista

Ein Land wie ein altes

Kunstwerk, das vom

Staub der Bürokratie,

Regeln und Normen

verdeckt ist – nur darauf

wartend, entdeckt zu

werden.

Al Tamimi Abd Al Hammed, 27,

Case Manager bei Job Service

Tirol

Wie oft wurde mir schon nahegelegt, Österreich

zu verlassen, wenn es mir hier nicht

passe – jeder Schwarzkopf, männlich und

weiblich, kennt das. Jene, die das sagen, sind

aber nicht alle RassistInnen – viele pflegen

einfach die falsche Annahme, dass Kritik

Abneigung und Verachtung bedeutet. Dabei

ist das Gegenteil der Fall: Man kritisiert was

man schätzt, weil man möchte, dass es besser

wird, weil man seinen Platz hier kennt und im

Gegensatz zur Elterngeneration nicht einfach

nur jeden Tag überleben, sondern LEBEN

möchte.

Rami Ali, 27, Politologe und Islamwissenschaftler

Wenn ich am Bodensee

bin oder in der

Natur, fühle ich mich

am meisten zuhause.

Meine ganze Familie

und Freunde sind hier

– und wie man bei uns

im Ländle sagt: Mir

heben zem. Hier ist

immer alles geregelt

und hat seine Ordnung.

Das ist mein

Österreich.

Meri Čolić, 48, Facility

Managerin

/ MIT SCHARF / 79


Österreich ist ein Land

der Möglichkeiten.

Wenn du den Willen

hast, deine Ziele zu

erreichen, dann gibt es

in unserem Land auch

einen Weg. Genau dies

müssen wir uns beibehalten

und weiter

ausbauen.

Kazim Yilmaz, 38, Rechtsanwalt

HEIMAT: So durfte ich Österreich bezeichnen,

nachdem die ,,Wiederheimkehrfantasien"

meiner Eltern erloschen waren.

AUSGRENZUNG: Die Erfahrung, die ich

leider mit 41 immer noch machen muss

,,Na, jetzt im Ernst, woher kommen'sn wirklich?",

,,Für das, dass sie ned hier geborn san,

sprechn's aber gut Deutsch!"

VORURTEILE: habe ich immer zu spüren

bekommen. Zuerst durch mein ,,nicht-österreichisches"

Aussehen, wie auch manchmal

durch das Gefühl, das Herkunftsland meiner

Eltern rechtfertigen zu müssen.

LIEBE: empfinde ich gegenüber dem Land, in

dem ich ein freies Leben führen kann. HASS:

Das Gefühl, das ich populistischen Tendenzen

gegenüber empfinde, die mir den Punkt oben

madig machen wollen.

Dilek Strojil, 41, Volksschullehrerin

Mein Österreich ist ein sehr

hoher Lebensstandard bei

gleichzeitiger Unzufriedenheit.

Ehrlichkeit, wo es nicht

wehtut und Feigheit, wo

Ehrlichkeit Mut erfordern

würde. Österreich gibt mir

das Gefühl von Zugehörigkeit

und dann wieder von

Abgrenzung. Ohne Österreich

wäre ich nicht ich.

Österreich ist meine große

Liebe. Ich hoffe, sie liebt

mich auch.

Ashkan Noorian, 38, Kardiologe

Mein Österreich ist fair,

multikulturell und hilfsbereit.

Natürlich ist Österreich

nicht perfekt und in

einigen gesellschaftlichen

Aspekten einen Schritt

hinterher. Aber ich bin froh

hier zu leben und meinen

Beitrag zu diesem spannenden

Projekt “Österreich”

als angehender Lehrer

zu leisten.

Cem Güleç, 25, Student und

angehender Lehrer

Mein Österreich ist Mozart, aber auch Raf Camora. A

Eitrige mit an Bugl und Döner mit “scharf”. Pflichtbewusstsein

und Strawanzen. Fortschritt, aber manchmal

auch Rückstand. Berglandschaften, Wälder, aber auch

Großstadt. Burgtheater und Gemeindebau.

Armin Nadjafkhani, 24, Journalist

80 / MIT SCHARF /


In Österreich leben

wunderbar spannende

Menschen wie Gustav,

die Musiker von den

Strottern und Wanda,

Attwenger, Soap & Skin,

Bilderbuch. Ich denke,

es geht uns ganz gut

hier. Ich bin ein Flüchtlingskind

und habe auch

weniger lustige Zeiten

erlebt.

Bogdan Pascu, 51, Künstler

Ich habe Österreich als

zweite Chance für ein

besseres Leben gesehen

und diese auch genutzt.

Ich bin glücklich hier,

fühle mich integriert

und esse genauso gern

Kartoffeln wie Reis.

Emerito Isidro, 60,

Metallfacharbeiter

privat, Marko Mestrovic, Foto Schuster, Zoe Opratko, Delia Anita Tatic, Manfred Weis, Daniel Spicker

In der gleichen Straße Türkisch, Kurdisch, Bosnisch,

Serbisch zu hören und ein Schnitzel essen zu können

– ohne Konflikt, sondern mit Wiener Schmäh,

das ist mein Österreich. Mein Österreich hat so viele

verschiedene Nachnamen, weil es schön ist, dass der

Balkan am Rennweg beginnt.

Dragan Antia-Tatić, 40, Fotograf

In meinem Österreich werden Çay (Tee)

und Simit (Sesamring) auf der Kärntnerstraße

oder am Graben verkauft und

nicht nur in Favoriten oder Ottakring.

Die ZiB wird von einer Frau mit Migrationshintergrund

moderiert. Die sogenannten

„Armutssprachen“ wie BKS

und Türkisch werden auch als lebende

Fremdsprachen in Schulen angeboten.

Eser Akbaba, 40, ORF-Wetter-Moderatorin

In der aktuellen Krisensituation

haben die

Menschen bei ihren

„Hamsterkäufen“ Angst,

dass man ihnen etwas

wegnimmt, dabei sollten

sie einfach froh und

dankbar sein, dass es

ihnen in Österreich so

gut geht.

Luca Thaler, 22, Eventmanager

und Model

/ MIT SCHARF / 81


„Die Leiden des jungen Todors“

Von Todor Ovtcharov

Konspirative Theorien

über den Sinn des Lebens

Trump behauptet hartnäckig, dass das

Coronavirus in einem chinesischen

Labor hergestellt wurde. Die normalerweise

nicht so gesprächigen Geheimdienste

seines Landes meinten, dass es keine

Beweise dafür gibt, aber Trump weiß es besser als

alle anderen. Er habe auch Beweise, will sie aber

nicht öffentlich machen.

Ich hingegen glaube, dass Trumps Haare in

einem noch geheimeren chinesischen Labor hergestellt

wurden. Und das sehr erfolgreich. Denn

zuerst hat man versucht, für Putin eine Frisur

herzustellen und ist kläglich gescheitert. Ich weiß

sogar, wo dieses Labor ist, sage es euch aber

nicht, damit sich nicht alle Kahlen unter euch nach

China stürzen. Denn das erhöht das Risiko für

eine zweite Coronawelle in China. Falls die erste

überhaupt vorbei ist. Denn man weiß nie, was die

Chinesen uns sagen und was sie verheimlichen.

Es ist wie dieser alte bulgarische Witz: Stimmt es,

dass Bulgarien Computer in die USA exportiert?

Ja, es stimmt, aber es sind keine Computer, sondern

Kompott, und man exportiert nicht, sondern

importiert.

In Zeiten der Pandemie stellte sich heraus,

dass man alles, was die Wahrheit ist, nicht glauben

will und alles, was unwahr ist, Realität ist.

Könnte sich jemand vorstellen, dass ein amerikanischer

Präsident jemals Menschen raten würde,

sich Desinfektionsmittel zu spritzen? Danach

meinte er, er habe nur gescherzt. Ich würde den

Medien raten, solche gefährlichen Scherze zu

zensurieren. Mit dem gleichen „Beep“-Geräusch,

das man verwendet, um Schimpfwörter zu vertuschen.

So werden Trumps Reden wie Morsezeichen

wiedergegeben.

Der Präsident Putin wunderte sich und

empörte sich sogar, dass sein Land nicht über

genug Krankenhausbetten für die Coronakranken

verfügt. Wo hat er denn bis jetzt gelebt, wenn

sogar Menschen, die nie in Russland waren,

wissen, dass hinter den Berichten über das wunderbare

Gesundheitswesen Menschen stecken,

die zum Zwecke der Propaganda „fake news“

herstellen.

Und wenn „fake news“ zur offiziellen Politik

werden, wie will man politischen Führern glauben,

dass sie den fake news den Kampf ansagen? Wo

ist dann der Sinn der Sache? Es gibt einen anderen

alten Witz: Einer ging zum Arzt und sagte:

„Herr Doktor, ich trinke nicht, ich rauche nicht und

habe keinen Geschlechtsverkehr, werde ich noch

lange leben? „Ja“, antwortete der Arzt, „aber gibt

es überhaupt einen Sinn, dass Sie leben?“. ●

82 / MIT SCHARF /


DAS LEBEN IST

#JETZT

UND IMMER


GIBT’S DAS:

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