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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
NEWCOMER
SCHOOL
EDITION
JUNI 2020
+
ANSCHOBER IN
ZAHLEN
+
SCHMUSEN IN
QUARANTÄNE
+
#PRAYATHOME
+
BURN-OUT
MIT 16
NEHMT UNS
ENDLICH
ERNST!
Die Corona-
Checkliste
für unseren Weg
zurück!
Wenn ich mich krank fühle und diese Symptome
habe, rufe ich sofort meinen Hausarzt an oder wähle
die Nummer 1450:
1 Husten
2 Kurzatmigkeit
3 Halsschmerzen
4
5
Entzündung der
oberen Atemwege
plötzlicher Verlust des Geruchsbzw.
Geschmackssinns
! Egal ob mit oder ohne Fieber!
Mehr Informationen auf
oesterreich.gv.at #schauaufdich
3
minuten
mit
TikTok-Star
Stojo
Der 21-jährige Stefan
Stojanović begeistert die
Wiener Balkan-Community
mit klischeehaften Muttersöhnchen-Videos
auf Tik-
Tok. Warum er sich nicht
mehr in die Lugner City traut
und was seine serbischen
Verwandten zu seinen Tik-
Toks sagen, erzählt er uns im
3-Min-Interview.
Von Emily Zens und
Magdalena Zimmermann
Foto: Zoe Opratko
BIBER: Du hast auf TikTok rund
100.000 Follower. Wirst du auf der
Straße erkannt?
STEFAN STOJANOVIĆ: Jedes Mal,
wenn ich in Wien rausgehe, erkennt
mich jemand. In Wien-Favoriten hat
sich schnell mal ein Kreis von über 20
Personen um mich gebildet und alle
wollten Fotos mit mir machen. Das war
Katastrophe (lacht). Dann war ich mal
mit meiner Mutter in der Lugner-City
unterwegs. Nach unserem Besuch
fragte sie mich verwundert, woher ich
so viele Freunde habe.
Apropos deine Mutter: Wie reagiert
sie auf deine Videos, in denen du sie
nachmachst?
Ihre Kolleginnen von der Arbeit schwärmen
von mir und zeigen ihr die Videos.
Manchmal schimpft sie mit mir aus
Spaß.
Kannst du von deiner Tätigkeit als TikToker
leben?
Ich habe einen ganz normalen Beruf
und drehe Videos nur nebenbei. TikTok-
Videos sind erst der Anfang, die mache
ich, um eine größere Reichweite zu
bekommen. Bald möchte ich anfangen,
YouTube-Videos zu drehen. Der Spaß
steht für mich im Vordergrund. Das
Geld kommt dann von allein.
Hast du Tipps für angehende TikTok-
Stars?
Man braucht den Ehrgeiz, jeden Tag
Videos zu posten und dabei eine
gewisse Qualität zu wahren. Das hilft
dabei, Follower auf Augenhöhe anzusprechen
und langfristig an sich zu
binden.
Kennen deine Verwandten in Serbien
deine TikToks?
Mein Cousin hat sie zufällig auf seiner
Jeder Jugo-Junge
kennt das. Die Mutter
ist immer da: Stefan
(links) und seine
Mutter, gespielt von
Stefan, (rechts)
Startseite vorgeschlagen bekommen. Er
hat mich sofort angerufen und hat sich
irre gefreut für mich.
Wie wirst du den Corona-Sommer
verbringen?
Da ich gerade den Zivildienst leiste,
werde ich in Wien bleiben müssen. In
meiner Freizeit werde ich, so oft es
geht, kicken gehen.
WER IST ER?
Name: Stefan Stojanović; TikTok: stojo_official
Alter: 21
Lieblingsverein: Roter Stern Belgrad
Besonderes: Erreichte mit seinem
ersten TikTok knapp vier Millionen
Klicks
/ 3 MINUTEN / 3
Liebe LeserInnen,
Sie saugen Staub, erledigen die Einkäufe, telefonieren mit dem Steuerberater
und lernen mit den Jüngsten der Familie. Die Rede ist nicht von erschöpften
Eltern. Die Rede ist von Schülerinnen und Schülern. Ach ja, nebenbei machen
sie noch Matura. Wenn wir Jugendlichen dieser Tage eines wünschen sollten,
dann wäre das schnödes Faulenzen. Aber viele Teenager wissen gar nicht
mehr, was Langeweile und Pausen überhaupt sind. Dabei ist „einfach mal
nichts tun“ so gesund, gerade in Zeiten von „Corona“.
Ungesund ist nämlich das Burn-out mit 16 Jahren – und jünger. Durch
schulischen Druck, ehrgeizige Eltern und das Gefühl, selbst nie gut genug zu
sein - ob in der Schule oder auf Instagram. Überall geht immer noch mehr. Die
Cover-Geschichte thematisiert, wie psychische Erschöpfungskrankheiten
längst in Österreichs Klassenzimmern angekommen sind, wie Corona die Lage
verschärft und warum mehr Kassenplätze für eine Therapie so wichtig sind. Ab
Seite 16
„
„Ich bin kein Roboter. Ich
bin keine Maschine. Ich habe
Gefühle und ich habe nur eine
gewisse Energie.“ Das schreibt
der 15 jährige Tobi in seinem
Blog auf Seite 15. Er wünscht
sich, dass die ältere Generation
sich einmal in Schüler wie ihn
hineinversetzt. Ich wünsche
das mit ihm. Denn manche
Jugendliche werden erst ernstgenommen,
wenn das Burnout
diagnostiziert wurde.
Delna Antia-Tatić “
Chefredakteurin
Mit Burn-out kennt auch er sich aus. Da war er allerdings rund 50 Jahre.
Rudolf Anschober, Österreichs Gesundheitsminister, erzählt im Interview
in Zahlen, wie viele Masken er zu Hause hat, wie viele Bekannte von ihm
gestorben sind und vor wie vielen Tagen er das letzte Mal geweint hat. Seite 22
Dass auch Home-Schooling zum Heulen bringt – vor allem Eltern – lesen wir
wöchentlich. Aber wie es den Schülerinnen und Schülern mit dem digitalen
Lernen ergangen ist – darüber herrscht Schweigen. Die E-Newcomer-
Redaktion verschafft Einblicke aus erster Hand. Denn statt wie „früher“
biber-Projektwochen in den Schulklassen zu veranstalten – von März bis Mai
war ja nix mit Schule – hat biber kurzerhand eine digitale Schüler-Redaktion
ins Leben gerufen. Via Zoom trafen wir uns einmal wöchentlich mit 12 bis
20-Jährigen zu Online-Redaktionssitzungen. Das Ergebnis sind eigens
verfasste Blogs darüber, wie die Quarantänezeit für sie war und wie ihnen ihre
Eltern auf die Nerven gingen. Und ein Artikel über die „Corona-Matura“ – die
zwar schlank sein mag, aber trotzdem nicht geschenkt ist, bitteschön! Seite 38
Dass bei all der Belastung auch mal Erleichterung nötig ist – in Form von
Liebe, Sex und Zärtlichkeiten – ist also nur verständlich. Die „Under Cover“-
Reportage „Wir schlichen uns heimlich raus“ erzählt, wie Romantik in der
Quarantäne gehandhabt wurde.
In diesem Sinn, kein Stress! Chillt euch hin, lest diese Ausgabe und nehmt
euch viel Zeit fürs Küssen!
Bussi
Die Redaktion
Marko Mestrović
4 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
CHEFiN VOM DIENST:
Aleksandra Tulej
LEITUNG NEWCOMER:
Aleksandra Tulej & Amar Rajković
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Todor Ovtcharov, Jad Turjman
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Andrea Grman, Franziska
Liehl, Anna Jandrisevits, Magdalena Zimmermann, Emily
Zens
CONTENT CREATION, CAMPAIGN
MANAGEMENT & SOCIAL MEDIA
Aida Durić
BRANDED CONTENT & DIGITAL CONSULTING:
Timea Zawodsky
CORPORATE SOCIAL INNOVATION:
Andrea Grman (karenziert)
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
REDAKTIONSHUND:
Casper
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,
Museumsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at
marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
LEKTORAT: Birgit Hohlbrugger
Die f
leischlo
s e Kolumne von Zina Sayed
BEZAHLTE ANZEIGE
Schöner als Döner
Salome Dorner
BROWNIES FÜR
NICHT-BÄCKER
Maximaler Geschmack, aber minimale Kalorien (und Aufwand)
- das ist eines meiner Lieblingsmottos beim Kochen.
Diesmal habe ich für Naschkatzen, Fitnessfreaks und Backfaule
gleichermaßen das ideale Rezept: Low-Carb-Brownies.
Ja, ich meine richtig low-carb. Kein Mehl, kein Zucker. Aber
dafür eine Geheimzutat, die das alles möglich macht: S-Budget
Rote Kidneybohnen, aus der Dose! Da schlägt auch das
Studentenherz bei Spar Gourmet höher. Zudem noch: Drei
Eier, etwas Kochschokolade, etwas Kakaopulver und optional
Backpulver für Fluffigkeit – und einen Pürierstab. Die Kidneybohnen
abtropfen lassen und in einer Schüssel mit den Eiern
und den restlichen Zutaten vermengen und mit dem Pürierstab
zu einer glatten Masse machen. Die Kochschokolade am
besten in der Mikrowelle schmelzen, bevor man sie in den
Teig gibt. Den Bohnengeschmack wird man mit etwa einer
Handvoll Schokolade komplett los. Das Ganze dann in einem
Blech auf Urlaub in den 180°C heißen Ofen geschickt. Die
Brownies sind durch, wenn die Mitte des Blechs nicht mehr
weich ist. Voilà – fertig sind die kalorienarmen Leckerbissen.
Unkomplizierter und gesünder geht’s wirklich nicht.
Gutes Gelingen!
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Zweitprüfung im
2. HJ 2018:
Druckauflage 85.000 Stück
verbreitete Auflage 80.700 Stück
DRUCK: Druckerei Berger
Präsentiert von
3 3 MINUTEN MIT
TIKTOK-STAR STOJO
Stefan Stojanović im Schnellinterview.
8 WAS UNS BEWEGT
Capital Bra hat jetzt eine eigene Pizza und
Loredana wird vielleicht abgeschoben.
12 IVANAS WELT
Dieses Jahr ist Heimaturlaub statt Runterfahren
ins Jugodorf angesagt.
14 DIE NEWCOMER-REDAKTION
STELLT SICH VOR
Wir präsentieren euch unsere online
Newcomer-Redaktion!
POLITIKA
16 BURNOUT MIT 16
SchülerInnen sind überfordert und haben mit
ständigem Leistungsdruck zu kämpfen.
22 DER GESUNDHEITS-
MINISTER IN ZAHLEN
Biber fragt in Worten, Rudolf Anschober
antwortet in Zahlen.
24 WERBT DOCH UM DIE
MIGRANTEN!
Chefredakteurin Delna Antia-Tatić ermutigt
die Tourismuswirtschaft dazu, doch mehr um
Österreichs Migranten zu werben.
26 #PRAYATHOME
Wiens Moscheen gehen während Corona online.
30 KATHRIN GAÁL IM
INTERVIEW
Die Wohnbaustadträtin über baumlose Straßen
in der grünsten Stadt der Welt.
RAMBAZAMBA
32 „SINE, ÜBERSETZ MIR DAS.“
Migrantenkinder sind mit ihren Dolmetschfähigkeiten
die unsichtbaren Stützen des Systems.
38 DER CORONA-JAHRGANG
Darüber, wie sich die „verschlankte“ Matura
wirklich anfühlt.
44 DAS HOHE ROSS DER
WOKEN BUBBLE.
Die Diskussion rund um political correctness
findet in einer elitären Bubble statt.
16
NEHMT UNS
ENDLICH ERNST!
Stress, Depressionen
und Angststörungen.
Immer mehr
Jugendliche
sind dem Druck
von außen nicht
gewachsen.
54
„ICH BIN KEIN OPFER, UND
AUCH KEIN TÄTER!“
Der ÖIF und Biber zeigten, wie
Gewaltprävention an Schulen
aussehen soll.
IN
6 / MIT SCHARF /
22
„HERR ANSCHOBER, MIT WIE VIELEN
VIROLOGEN SIND SIE PER DU?“
Gesundheitsminister Rudolf Anschober im
Interview in Zahlen.
HALT JUNI
2020
48
SEX UND
DATING TROTZ
CORONA
Auf Abstand kann
man sich nicht
näherkommen.
Wie Verlangen
und Vernunft sich
duellieren.
© Tina Herzl, Soza Jan, Zoe Opratko, Linda Steiner. Cover: Tina Herzl
48 „ICH HABE MICH
NACHTS EINFACH
RAUSGESCHLICHEN.“
Über Quarantäne-Sex und Dating auf Abstand.
54 „ICH BIN KEIN OPFER,
UND AUCH KEIN TÄTER!“
Biber hat gemeinsam mit dem ÖIF Workshops zu
Gewaltprävention an Schulen veranstaltet.
LIFE & STYLE
60 REISST EUCH ZAM.
Über Ziegenmlich, Tumblr und nicht über
Bananenbrot.
KARRIERE
64 KARRIERE & KOHLE
Über Produktivitätsstress in der Selbstisolation
66 „MATHE WAR MEIN
ABSOLUTES HASSFACH.“
Karim Saad hat eine Mathe-App für Schülerinnen
und Schüler entwickelt.
68 BIBER SAGT „DANKE!“
Unser Dankeschön an alle Partnerinnen und
Partner der Newcomer-Schülerredaktion.
TECHNIK
70 DATENSCHUTZ-
DILETTANTEN
Adam Bezeczky warnt vor der Scheindiskussion
über den Datenschutz in der „Stopp-Corona“-App.
KULTUR
72 KULTURA NEWS
Nada El-Azar hat Tipps für den allmählich
erwachenden Kulturbetrieb zusammengestellt.
REISE
74 TRIP&TRAVEL
Reisekolumnistin Andrea Grman macht Strand-
Office statt Home-Office in Trinidad und Tobago.
74 MEIN ÖSTERREICH
25 Menschen über das, was Österreich für sie
ausmacht.
90 TODOR
Donald Trumps Haare und gefährliche Scherze.
/ MIT SCHARF / 7
AS UNS
Von Magdalena Zimmermann und Emily Zens
Farid Bang
hat jetzt eine
Casting-Show
auf Instagram
HABT IHR SCHON VON
KIM PETRAS GEHÖRT?
Die deutsche Künstlerin Kim Petras lebt
seit Kurzem in den USA. Dass sie dort voll
durchstartet, beweist sie nun auch in ihrem
Musikvideo zu ihrem Song „Malibu“. Darin
sind zahlreiche Home-Videos von den
unterschiedlichsten Mega-Stars zu sehen.
Von Demi Lovato über Paris Hilton bis hin
zu Jessie J. Mit den Stars feiert Kim auf
Distanz quasi eine Online-Pool-Party, bei
der jeder dabei sein kann. Das feiern wir!
Schwere Zeiten für den Deutschrap. Da alle größeren
Veranstaltungen wie Konzerte oder Festivals in absehbarer
Zukunft nicht stattfinden werden, müssen Künstler anders
kreativ werden, um relevant zu bleiben. Deutschrap-King
Farid Bang hat dafür eine Lösung parat: Er hostet seine
eigene Casting-Show. Die nennt sich „DasInsTalent“. Im
Rahmen der Show finden täglich Rapsessions live auf
Farids Instagramseite „faridbangbang“ statt. Danach entscheidet
der „Banger“ dann persönlich, wer in die nächste
Runde kommen soll, denn nur die Besten der Besten sollen
es weiterschaffen. Was die talentierten Nachwuchsrapper
dabei gewinnen können, ist noch eine Überraschung. Ein
Plattenvertrag bei seinem Label „Banger Musik“ ist es
jedenfalls nicht. Farid Bang entschied sich gegen einen
Platz in der DSDS-Jury und geht nun seinen eigenen Weg
mit der neuen Instagram-Live-Show. Ist das wirklich einen
Klick wert? Stay tuned.
8 / MIT SCHARF /
BEWEGT
CAPIS PIZZA, BRA!
Doug Peters / EMPICS / picturedesk.com,, instagram.com/faridbangbang, Gangstarella/Capital Bra, Ben Hider / AP / picturedesk.com, Pamstrong
Capital Bra bringt unter dem Namen
„Gangstarella“ seine eigene Tiefkühlpizza
„mit Street-Credibility“ auf den
Markt. Neben Rindersalami denkt Capi
auch an seine Veggie-Bratans und
Bratinas, denen er mit der Sorte Grillgemüse
und Hanfsauce gönnt. Bislang ist
die #TeamCappi Pizza in drei deutschen
Supermarktketten für jeweils 3,99€ zu
finden. Wir hoffen, dass sie auch nach
Österreich kommt. Lelelelecker!
ABSCHLUSS-ZEREMONIE
MIT LADY GAGA
Durch Corona fallen in diesem Jahr bekanntlich die meisten
Veranstaltungen flach, auf die man sich schon sehr lange gefreut
hat. Dazu zählen nicht nur Geburtstage die man mit Freunden
und Familien feiert, sondern eben auch die Abschluss-Feiern
und Zeugnis-Verleihungen. Youtube Originals schafft hier Abhilfe
und macht mit Stars wie der K-Pop Band BTS und Lady Gaga
gemeinsame Sache: eine riesige online Abschluss-Zeremonie für
alle Schulabgänger im Jahr 2020. Am 6. Juni wird diese Show,
inklusive Reden und Auftritten verschiedenster Künstler und Politiker
live auf Youtube übertragen. Durch die Zeremonie werden
niemand geringeres als Michelle und Barack Obama führen. Das
ist ja mal echt eine Schulveranstaltung der anderen Sorte. Der
perfekte Beginn für den Sommer eures Lebens.
MIT PAMELA REIF FIT DURCH DIE QUARANTÄNE
Bewegung war ja in den letzten
Wochen nur im eingeschränkten
Rahmen möglich. Die deutsche
Fitness-Bloggerin Pamela Reif liefert
hierfür perfekten Content. Mit 3,21
Mio. Abonnenten auf Youtube und
über 5 Mio. Followern ist sie eine
der erfolgreichsten Fitness-Bloggerinnen.
Mit den unterschiedlichsten
Workouts, die von klassischen
Bauchübungen über Booty-Workouts
bis hin zu Full Body Workouts variieren,
liefert sie fast täglich neue
Videos. Alles gratis natürlich. Auch
viele Sportmuffel kamen in Zeiten
von Corona auf den Geschmack,
sich sportlich auszupowern. Dadurch
wuchs auch Pamela Reifs Followerzahl.
Innerhalb der letzten acht
Wochen hat sich diese fast verdreifacht.
Ob Quarantäne oder Normalbetrieb:
Die Workouts ersparen einem
jedenfalls den Weg ins Fitnesstudio.
Top! Doch eines fragen wir uns
immer noch, während wir die Home-
Workouts schweißgebadet und mit
hochrotem Kopf irgendwie rumkriegen:
Warum schaut das bei ihr alles
so einfach aus und vor allem, warum
zur Hölle, schwitzt sie nicht?
/ MIT SCHARF / 9
AS UNS
LOREDANA
DROHT
ABSCHIEBUNG
IN DEN KOSOVO
What the
Hack?
Lil Nas X, Lady Gaga,
Nicki Minaj – sie alle
müssen gerade um ihre
privaten Daten bangen.
Eine Hackergruppe hat es
geschafft, über die New
Yorker Rechtsanwaltskanzlei
„GSM“ die Privatadressen,
Telefonnummern
und Verträge diverser
Superstars zu erbeuten.
Die Hacker drohen, die
Daten zu veröffentlichen,
wenn sie keine 21 Millionen
$ erhalten. Als Beweis
für die Ernsthaftigkeit
ihrer Forderungen teilten
sie bereits einen Screenshot
des Tourvertrags von
Madonna. Über 750GB
persönliche Daten sollen
die Kriminellen in ihren
Besitz gebracht haben. Ob
sie auch von der angeblichen
Schwangerschaft
von Nicki Minaj wissen?
Musikalisch könnte es bei Loredana nicht besser
laufen, erst kürzlich knackte sie mit ihrem Hit
„Nicht verdient“ gemeinsam mit Capital Bra Platz
1 der Single-Charts. Privat sieht es hingegen nicht
so rosig aus: die 24-Jährige soll vor einigen Jahren
ein Ehepaar um 700.000 Schweizer Franken
betrogen haben. Im Juni wird sie nun erneut zu
dem Fall befragt und hofft gemeinsam mit ihrem
Anwalt darauf, dass das Verfahren eingestellt
wird. Passiert das nicht, droht ihr im schlimmsten
Fall die Ausweisung aus ihrer Wahlheimat, der
Schweiz, zurück in ihr Herkunftsland Kosovo, da
sie nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt.
Auch die angebliche Schadenssumme müsste die
Deutschrapperin zurückzahlen. Loredana selbst
sagte bei einer Pressekonferenz im letzten Jahr,
dass das Geld freiwillig übergeben wurde.
RAF CAMORA SPIELT JETZT
IN EINER „ANDEREN LIGA“
Seine Musikkarriere beendete der Rapper
im vergangenen November vorläufig,
um sich stärker auf Newcomerförderung
und seine Modelinien zu fokussieren. Mit
seinem Businesswissen und seiner großen
Reichweite hat der stolze Wiener aus
„Rudolfscrime“ nun knapp eine Million
Euro ganz ohne Musik verdient. Bis zu
seinem Geburtstag am 4. Juni soll ein Tattoo-
sowie auch ein Friseur-Laden eröffnet
werden. Und das Ganze hier in Wien. Raf
Camora gibt wirklich immer „100%“.
10 / MIT SCHARF /
BEWEGT
ZAHLEN UND FAKTEN ZU
TIKTOK
© Dutch Press Photo Agency / Action Press / picturedesk.com, Ian West / PA / picturedesk.com, Raf Camora/wikimedia commons, Instagram, Spotify, antonbe/pixabay.com
INSTAGRAMS
NEUES
ANTI-MOBBING
FEATURE
Cybermobbing ist in
den sozialen Netzwerken
ein allgegenwärtiges
Problem. Instagram
setzt in der Bekämpfung
gegen Mobbing auf drei
neue Features. Die User
können auf einen Schlag
mehrere beleidigende
Kommentare entfernen.
Außerdem können positive
Kommentare jetzt
hervorgehoben werden,
damit sie in der oberen
Hälfte des Kommentar-
Threads angezeigt
werden. Das soll für eine
positive Grundstimmung
auf den Kanälen
sorgen. Das letzte
Feature soll den missbräuchlichen
Einsatz
von „Tagging“ stoppen.
Klartext gesprochen:
Bilder von dir können
nicht mehr von Fremden
mit deinem Profil
verlinkt werden. Durch
die neuen Tools wird die
Kontrolle über den eigenen
Account wesentlich
einfacher. Von uns gibt’s
dafür ein Like!
SPOTIFY
LÖSCHT
FAKE-
ACCOUNTS
Spotify hat in den
letzten Wochen zahlreichen
Fake-Konten
den Garaus gemacht.
Es gehört ja zu den
schlecht behütetsten
Geheimnissen des
Showbusiness, dass
sich Stars gerne mal
mit Fake-Followern
rühmen und ihre
Reichweite damit
aufpolieren. Spotify
macht da nun vielen
Künstlern einen Strich
durch die Rechnung.
Beispielsweise bei der
Deutsch-Rapperin
Loredana, die nach
der Räumungsaktion
rund 50.000 Follower
weniger hat. Auch
weltweit bekannte
Rapper wie Drake
trifft diese Entscheidung
von Spotify
hart – er verliert über
500.000 seiner
Spotify-Follower.
Letztes Jahr ging zur
„Klick-Kauf-Thematik“
im Rap-Business auch
eine spannende Doku
vom Y-Kollektiv auf
Youtube online. Klickt
dort mal rein.
1,5 Milliarden-mal wurde die App TikTok
weltweit im Jahr 2019 heruntergeladen
17der erfolgreichsten TikToker der Welt im Hype
House (eine Art TikTok WG) in Los Angeles leben
2,1 Millionen Follower hat Österreichs
bekannteste TikTokerin Lisa-Marie Schiffner
41% der NutzerInnen sind zwischen 16 und
24 Jahre alt
52 Minuten verbringen NutzerInnen im
Durchschnitt täglich auf der App
Über 75 Milliarden ist die Firma mittlerweile
wert, was sie zum erfolgreichsten Start-up der
Welt macht.
916 Millionen Aufrufe hat der Hashtag vom
aktuellen TikTok-Tanz zu „Say So“ von Doja Cat.
39,6 Millionen Follower hat das erfolgreichste
Hype House Mitglied, die 19-jährige Addison Rae
/ MIT SCHARF / 11
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Foto: Igor Minić
STATT RAKIJA AM BALKAN GIBT’S
SPRITZER AUF BALKONIEN
Heimaturlaub wird uns für diesen Sommer nahegelegt. Ja, nichts lieber täten
die Jugos. Runterfahren ins Jugodorf ist damit aber nicht gemeint.
Heuer ist alles ein bisschen anders. Der neue Alltag hat
uns mit Sicherheitsabstand, Masken und Händewaschen
recht gut in Griff. Der Mensch gewöhnt sich ja an vieles.
An das Schlangestehen vorm Ikea zum Beispiel – wir versuchen
seit Wiedereröffnung der Geschäfte eine Küche
für die neue Wohnung zu bestellen, schreckten aber jedes
Mal vor der wartenden Menschenmasse am Eingang
zurück. Bewegungsfreiheit, Köttbullar und Serviettenhalter.
Was die Menschen halt während einer Ausganssperre
so essenziell vermisst haben…
ATTERSEE STATT ADRIA?
Ein neues Normalgewicht hat uns das Zuhausebleiben
auch beschert. Auf welchem Strand wir unseren Krisenspeck
brutzeln dürfen, bleibt abzuwarten. Zuhause
Urlaub machen sollen wir. Also Attersee statt Adria?
Hüttengaudi statt zehn Stunden auf Grenze mit Audi?
Spritzer beim Heurigen statt Rakija im Hochzeitszelt?
Wait. Jetzt mal runter vom Entbehrungs-Gas. Sommerferien
ohne Hochzeitsfeste, da kann die Balkanprinzessin
gleich am Balkon einchecken. Wozu all die Pfuscherei
auf der Baustelle, das „privat“ Putzengehen, das Aufsparen
des gesamten Jahresurlaubs, wenn das Highlight
des Jahres auszufallen droht? Ja, worauf kann sich denn
die geschundene Gastarbeiter-Seele da noch freuen?
Ein Einschnitt in die Grundrechte ist das, liebe Bürgerinnen
und Bürger!
LASST UNS DIE JUGO-HOCHZEITEN!
Die Hochzeitssaison in der alten Heimat hat neben der
wirtschaftlichen Bedeutung für die Region auch eine
soziopolitische Tragweite. Bei der prestigeträchtigsten
Eventreihe des Jahres wird der gesellschaftliche rote
Teppich ausgerollt, auf dem die Diaspora im neuesten
Leasing-Modell vorfährt. Ein Föhnfrisuren-Gipfel zwischen
Tüll, Tradition und der obligatorischen Schlägerei
gegen Morgengrauen. Herrlicher Gossip-Content,
der fürs Home-Kino von mindestens vier Kameras im
in Neonlila getauchten Partysaal festgehalten wird.
Soul Food in den kargen Wintermonaten!
KOLO MIT SICHERHEITSABSTAND
Vorausgesetzt die Lockerungen vor Ort erfolgen nicht
schrittweise, sondern im Galopp. Ich kenne nämlich
keine Balkanbraut, die sich das Make-up vom Belgrader
Celebrity-Visagisten durch einen noch so mit
Strass aufgemotzten Mundschutz entstellen lassen
würde. Und kontaktloses Kolo-Tanzen geht auch nicht.
Oder wie soll ich dem Sänger den Hunderter auf die
Stirn klatschen??
PLAN B(ALKONIEN)
Wir würden unsere Quarantäne-Kilos schon irgendwie
in die viel zu kurzen Glitzer-Roben quetschen. Aber
heuer ist halt alles ein bisschen anders. Also muss Plan
B her. Mit Gold an den Hüften und Spritzer in der Hand
mache ich es mir auf dem Balkon gemütlich und scrolle
mich durch das digitale Hochzeitsarchiv vergangener
Sommer. Bräute, Balkanbeats und bunte Fummel.
Was ich halt so essenziell vermissen werde… ●
cucujkic@dasbiber.at
12 / MIT SCHARF /
Gerechtigkeit
lässt nicht nach.
Besonders in Krisenzeiten braucht es jemanden, der darauf
schaut, dass es gerecht zugeht. Jetzt geht es darum, Österreich
neu zu starten und die Menschen, die täglich daran mitarbeiten,
zu stärken. Für sie setzt sich die Arbeiterkammer mit aller Kraft ein.
Vor der Krise, während der Krise und auch nach der Krise.
ARBEITERKAMMER.AT/NEUSTARTEN
#FÜRIMMER
Yaldas sehr persönlichen
Kommentar zur Herkunftsfrage
findest du links auf
S. 62.
Tobis Plädoyer, junge Menschen
nicht für ihren Fleiss
zu bestrafen, kannst du auf
S. 15 lesen.
DAS IST DIE ZOOM-NEWCOMER-REDAKTION
CORONA
KANN UNS
NICHT
STOPPEN!
Seit Jahren haben wir mit dem biber-Newcomer
ein Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen
Medienszene. Wir touren durch die Schulen, gestalten
eine Projektwoche mit Workshops und journalistischen
Einblicken. Am letzten Tag schreiben die SchülerInnen
Blogs über ihren Alltag oder drehen kurze Videos über
Dinge, die sie wirklich interessieren. Alles in Voll-
Kontakt und ohne Distanz!
In diesem Jahr standen wir vor einer besonderen
Herausforderung. Die Schulen waren bis Mitte/Ende
Mai geschlossen. Würden die SchülerInnen mitmachen
wollen, während sie zu Hause nicht nur lernen, sondern
auch gleich auf ihre Geschwister aufpassen, den
Haushalt schmeißen und Vokabeln pauken müssen?
Über sein erstes Jahr in
Österreich, schreibt Emran
auf S.62. Nicht schlecht für
jemanden, der vor fünf Jahren
noch kein Wort Deutsch
sprach.
Amina Krpuljević als jüngstes
Redaktionsmitglied
schrieb in ihrem Text über
den „Laptop, ihren besten
Freund“ S.43
Sumaiya kannst du auf dem
Cover als überforderten
Teenie bewundern, dazu hat
sie einen auch einen Kommentar
auf S. 34 verfasst.
Und wie sie geglänzt haben! Die Mitglieder der bunt
zusammengewürfelten E-Newcomer-Redaktion (12-
20 Jahre) gaben uns alten Hasen (24-38 Jahre) allen
Grund zu staunen. Klug, reflektiert, kritisch. Nicht
nur, dass sie neben der Belastung durch die Home-
Isolation tolle Texte lieferten, sie hatten auch großes
Verständnis für den Technik-Deppen der biber-
Redaktion, der lieber anonym bleiben möchte und
zugleich diese Zeilen verfasste.
Peter Marković bedauert in
seinem Text auf S.34, dass
er im Sommer höchstwahrscheinlich
nicht nach
Bosnien fahren kann.
Anna Eggers Kommentar
„Zwischen Kondomen und
Konservatismus“ kannst du
auf S. 43 lesen.
Marco Maurer ist 17 Jahre
alt und führte zusammen
mit unserem Politik-Ressortleiter
das Interview mit dem
Gesundheitsminister Rudolf
Anschober. Ab S. 22
Andrea Krapf macht sich
Sorgen um ihre Zukunft,
wie sie in ihrem Artikel
„Corona-Matura“ auf S. 38.
unterstreicht.
MEINUNG
WIR WERDEN FÜR UNSEREN FLEISS BESTRAFT
Mein Name ist Tobias Fastl und ich bin 15 Jahre alt. In meiner Erzählung möchte
ich allen Lesern zeigen, dass die Jugend von heute nicht faul zu Hause sitzt,
sondern mit allen Kräften die ältere Generation unterstützt.
Ich lebe mit meiner um ein Jahr jüngeren Schwester in einem
nicht allzu großen Zimmer, was echt nervt, da sie ein Mädchen
ist. Im Nebenzimmer sind meine Eltern und das nervt auch.
Jeden Tag um ca. sieben Uhr stürmt mein Vater das Zimmer
und weckt mich auf. Gezwungenermaßen muss ich dann auch
aufstehen. Ich quäle mich hoch und halte Ausschau nach
meinem Handy, um mir schon wieder die nächsten Aufgaben
anzusehen. Und siehe da: Englisch, Mathe und Kreative Erziehung
sind schon im Klassenforum, wo uns die Lehrer jeden
Tag neue Aufgaben hineinschreiben.
GIESSEN, EINKAUFEN, HAUSÜBUNGEN
Ich gehe wie betrunken aus meinem Zimmer und wandle
verschlafen ins Badezimmer. Dort wartet meine Mutter schon
und will, dass ich die Wäsche aufhänge, das Geschirr abwasche,
während sie in der Arbeit ist. Ich sag meistens nur „jaja“,
obwohl ich mir denk: „Alter, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.
Was glaubst du? Dass ich etwa den ganzen Tag Computer
spiele?“
Nach dem kleinen Diätfrühstück – seit Corona mache ich eine
kleine Diät, sonst würde ich vor lauter Frustessen schon längst
explodieren - mache ich meine morgendlichen Hausübungen.
Um ca.14 Uhr kommen schon die nächsten Hausübungen.
Noch vor dem Mittagessen schickt mein Vater mich ganz
hektisch zum Einkaufen, da meine Mutter vergessen hat, eine
Zutat für die geplanten Spaghetti einzukaufen. Also jogge ich
zum Lidl nebenan und kaufe die gewünschte Zutat. Wenn ich
dann zu Hause bin und die falsche gekauft habe, kann ich mir
einen Vortrag anhören und es umtauschen gehen.
Ich wünschte, es wäre ganz schnell wieder Schule. Am besten
den ganzen Tag, jeden Tag. Kurz nach dem Essen muss ich
entweder meine Mutter abholen, die beim Merkur arbeitet,
oder ich erledige die Aufgaben, die sie mir aufgetragen hat.
Als ich ganz erschöpft und fertig bin, ruft mein Vater schon.
Ganz gehetzt lauf ich zu ihm und frag, was los sei. „Gar
nichts“, er brauche nur Wasser zum Gießen SEINER Balkonpflanzen.
Also gehe ich wieder und wieder mit der Gießkanne
hin und her. Nach einer Weile sagt er dann endlich stopp. Ich
setzte mich eine EINZIGE Minute hin und schon fragt er mich,
ob ich nicht genug Aufgaben hätte, anstatt faul rumzusitzen.
ICH WILL ENDLICH WIEDER IN DIE SCHULE!
Also gehe ich genervt meine neuen Aufgaben machen. Was
steht heute am Plan? Berufskunde: ätzend. Deutsch: langweilig.
Danach darf ich mit Glück vielleicht eine Stunde in
den Park, wobei meine Schwester mitgeht, was mich nicht so
freut. Und ich als „großer“ Bruder muss noch aufpassen, damit
sie keinen Scheiß baut. Ihr müsst wissen, meine Schwester
liebt es, Scheiße zu bauen. Kaum sind wir wieder zu Hause,
muss ich meine Mutter, wenn sie Abenddienst hat, abholen,
weil sie SCHON WIEDER so viel eingekauft hat. Wenn das nicht
der Fall ist, darf ich die Lieblingsmusik meines Vaters ertragen.
Modern Talking! Juhu!
Wenn ich dann endlich um 22 Uhr schlafen gehen kann, bin
ich so geschlaucht, dass ich sofort einschlafe und am nächsten
Tag der ganze Spaß von vorne anfängt. Ich weiß nicht,
was alle glauben. Ich bin kein Roboter. Ich bin keine Maschine.
Ich habe Gefühle und ich habe nur eine gewisse Energie. Und
die Lehrer? Die wollen immer nur das Beste vom Besten von
mir. Ich sitze nicht vorm Computer oder bin den ganzen Tag
mit Social Media beschäftigt, so wie sie das glauben. Ich habe
ein eigenes freies Leben und seit dieser Virus da ist, sind alle
ganz deppat geworden. Ich will leben und nicht als Sklave in
jede neue Situation hineingestoßen werden. Ich wünsche mir,
dass sich mal die älteren Generationen in uns hineinversetzen
können.
Dann und wirklich erst dann, wird vielleicht einmal die Jugend
respektiert, für das, was sie eigentlich alles macht.
Tobias Fastl ist 15 Jahre alt und geht in die Klasse F4 der Polytechnischen Schule Pernerstorfergasse.
/ MIT SCHARF / 15
BURN-OUT
MIT 16
Die Fotoserie für diese Reportage wurde nachgestellt.
16 / POLITIKA /
Angststörung, Sucht, Depression: Schulischer Druck, elterlicher
Ehrgeiz und das permanente Gefühl, nie gut genug zu sein, führen
zu Stressbelastungen in der Generation Instagram. Die Folge: Burnout
mit 16 – und jünger. „Corona“ verschärft die Situation, doch
Therapieplätze auf Kasse sind Mangelware.
Von Anna Egger und Delna Antia-Tatić, Fotos: Tina Herzl
Geh weg“, sagt sie, „Bitte.“ Sie wagt es nicht, aufzuschauen,
will nicht das besorgte Gesicht ihres
Vaters sehen, will überhaupt niemanden sehen.
Kaum schließt er die Tür ihres Zimmers, versiegen
die Tränen. „Alle schienen zu funktionieren, meine Eltern,
meine Freunde, die ganze Welt – nur ich schaffte es nicht.“ Sie
schließt sich ein, über Wochen. „Ich fühlte mich wie eine Versagerin,
der man ihr Nichtstun vorhält,“ erzählt Daniela über
ihren dunklen Winter 2020.
Dabei tut Daniela * nicht nichts – ganz im Gegenteil. Die
ehrgeizige Schülerin sitzt nach der Schule meist bis Mitternacht
an ihren Hausübungen. Am Wochenende
arbeitet sie als Kellnerin. Freie Zeit,
Ruhe, Abhängen? Fehlanzeige. Ihr Leben
besteht aus Schule, Hausübungen, Arbeit
und schlafen. Im Dezember 2019 erleidet
die 18-Jährige dann ein schweres Burnout.
Sobald sie jemanden sieht, ob Lehrpersonen,
ihre Eltern, ja sogar Passanten
auf der Straße, gerät sie in Panik und weint
unkontrolliert. „Ich habe die Wochen davor
krampfhaft versucht, mich zusammenzureißen
und zu lächeln. Dabei habe ich mir
eigentlich überlegt, wie ich diesen Stift, diese
Gabel, dieses Kabel benützen könnte, um
mich umzubringen. Wie hoch müsste dieses
Gebäude sein? Überlebe ich einen Sturz aus dem 6. Stock?
Irgendwann konnte ich das nicht mehr überspielen.“ Schon
zwei Jahre zuvor hat die AHS-Schülerin ein Burn-out erlebt,
jedoch harmloser. „Ich war sechzehn, als mich das erste Mal
Selbstmordgedanken aufsuchten. Aber damals habe ich mir
gedacht, Daniela, du denkst Blödsinn. Im Winter 19/20 wurde
Selbstmord dann mein ständiger Plan B.“
Ihr Zustand verbessert sich zunächst, als sie anfängt,
weniger zu unternehmen. Sie trifft sich nicht mehr mit Freundinnen,
geht nicht feiern, hört auf, neben der Schule zu arbeiten
und auch ihren Boxsport lässt sie sein. Alles, um mehr Zeit
für sich zu haben. Aber sie bleibt eine ehrgeizige Schülerin.
„Ein Dreier hätte mich gestört, weil ich weiß, dass ich das
besser kann. Dieses Gefühl, ständig gute Leistung erbringen
zu müssen, hat sich in meinem Tun gespiegelt: Zuerst kam die
„
Ich war sechzehn,
als mich das
erste Mal Selbstmordgedanken
aufsuchten.
“
Arbeit, dann die Pause.“ Aber was, wenn auf die Arbeit Arbeit
folgt? Und es ein Leben ohne Pause wird?
Vielen Jugendlichen in Österreich geht es wie Daniela. Sie
erleben einen Druck, der krank macht. Ob durch die Schule
wie bei Daniela, durch leistungsorientierte Eltern oder durch
Social Media – oder alles zusammen. Nie gut, schön, cool
genug zu sein und immer etwas korrigieren zu müssen, das
erfahren die meisten schon vor der Pubertät. Ihr Terminkalender
ist voll, das Handy leuchtet nonstop, die Schule zu meistern
ist ein 40-Stunden-Job. Dass die Erschöpfungskrankheit
„Burn-out“ daher schon längst in den Klassenzimmern unserer
Gesellschaft Fuß gefasst hat, wundert
nicht. Und nun auch noch Corona. Auch
wenn die Medien voll sind mit Berichten
von überforderten und überlasteten Eltern,
oft ergeht es ihren Kindern nicht anders. In
den Zoom-Redaktionssitzungen für diese
biber-Newcomer-Ausgabe tauschen sich
12- bis 18-jährige Mädchen und Buben
nicht nur über die Herausforderungen von
E-Schooling aus, sondern über ihre To-Do-
Listen daheim: darüber, wie sie jüngeren
Geschwistern bei den Schulübungen helfen,
wie sie im Haushalt eingespannt sind und
wie ihre Eltern ihnen jede Pause als „Nichtstun“
vorhalten. Es wundert nicht, dass solch
„Manager“-Workload gepaart mit hohem Selbstanspruch für
die Generation „Selfie“ sehr ungesund werden kann. Dazu
belasten Schönheitsideale und Fitnessansprüche.
DRUCK VON AUSSEN UND INNEN
„Eine neue Nase als Wunsch zur bestandenen Matura – ist
alles schon vorgekommen! Der Trend unserer Gesellschaft ist
die Korrektur.“ Romana Wiesinger ist Psychotherapeutin und
behandelt seit Jahren Jugendliche in ihren Praxen in Wien und
Niederösterreich. Ihre Klienten sind meist zwischen 14 und 27
Jahre alt, wenn sie mit Symptomen von Burn-out zu ihr kommen.
„Aber sie werden jünger! Der Druck unserer Gesellschaft
ist bereits in der Volksschule angekommen.“ Und Druck ist es,
der Kindern und Jugendlichen immer mehr und immer früher
zu schaffen macht. Burn-out gibt es in der Therapie zwar nicht
/ POLITIKA / 17
als Diagnose, aber dass die Symptome der Betroffenen wie
Angststörungen, Sucht, Essstörungen und Selbstmordgedanken
auch durch zu viel Belastung ausgelöst werden, beobachtet
Wiesinger. „Burn-out heißt, ausgebrannt zu sein – durch zu
viel Druck von außen und innen. Das System kippt, wenn die
permanente Überbelastung dazu führt, dass sich Kinder und
Jugendliche nie genug fühlen.“ Sie fühlen sich nicht hip genug
auf Social Media und nicht klug genug in der Schule. Wiesinger
bemerkt dieses Gefühl schon bei Volksschulkindern. Wenn
den Eltern ein Dreier nicht genug ist, wenn es unbedingt das
Gymnasium sein muss, wenn schon Neunjährige das Gefühl
bekommen, zu versagen und mit Nachhilfe eingequetscht werden.
„Warum ist der Tischler weniger wert als der Anwalt?“,
fragt die Therapeutin. Sie erlebt, dass die Schule, aber auch
die Eltern eine große Rolle dabei spielen – nach dem Motto:
„Keine Matura – was ist man dann?“. In ihrer Therapie arbeitet
sie daher vor allem am Selbstwert der Jugendlichen und dass
sie wieder lernen, Ruhephasen in ihr Leben zu integrieren.
Gerade wenn es um Sucht geht, alles dient
letztlich dazu, eine innere Leere zu füllen.
Genau darum geht es Daniela, als sie
im Jänner 2020 das erste Mal in Therapie
geht. Eine Psychologin diagnostiziert ihr
eine wiederkehrende, depressive Störung.
Zur Therapie hat die Mutter sie überredet,
die sich um ihre dauer-blasse und dünnerwerdende
Tochter sorgt. Auf Empfehlung
besorgt sie ihr Johanniskraut. „Nach zwei
Wochen haben die Therapie und Kapseln
angefangen zu wirken. Zwar kam es zu
Rückfällen, aber diese Leere, die von innen
heraus auffrisst, ist immer kleiner geworden.
Ich habe die anderen nicht mehr nur dabei
beobachtet, wie sie lachen, Small-Talk führen
oder Zukunftspläne schmieden, ich habe
auch selber wieder mitgeredet und mitgelacht.“
FALSCHE SCHULE MACHT KRANK
Kann Schule also so krank machen, dass sich selbst gute
Schülerinnen und Schüler als Versager fühlen? Ja, nickt die
18-jährige Aurora*. Die AHS-Absolventin trägt dezentes Makeup
und ein weißes Top, das eine Spur zu locker sitzt, während
sie von einem ihrer letzten Zusammenbrüche erzählt. Wenn es
ihr schlecht geht, höre sie auf zu essen. Dieses Jahr war das
mindestens eine Woche im Monat der Fall. „In der Unterstufe
habe ich das Lernen noch geliebt. Irgendwann in der Oberstufe
hat das aufgehört.“ Da hat es dann angefangen, zuerst mit
leichten Depressionen, später dann mit stärkeren. Vor allem
um die Schularbeitsphasen herum wurde es schlimm. „Andauernd
wird man abgeprüft, bewertet. Es geht gar nicht mehr
wirklich um den Stoff, sondern darum, wie gut man ihn abrufen
kann. Im Schulsystem verlieren die Inhalte ihre Substanz.“
Dabei hatte Aurora mit dem Stoff selbst nie ein Problem. Es ist
die Art, wie er vermittelt wird, die sie überfordert.
Das hat Folgen. Aurora fühlt sich dauerhaft erschöpft,
gestresst, schläft viel nach dem Unterricht. Immer wieder
gerät sie in eine Abwärtsspirale. „Es braucht irgendwann nur
„
In der Unterstufe
habe ich das
Lernen noch
geliebt. Irgendwann
in der
Oberstufe hat das
aufgehört.
“
mehr etwas Kleines, dass es draußen kälter wird oder dass ich
die Schlüssel vergessen habe, und ich breche zusammen.“ In
der 8. Klasse war es besonders schlimm. Sie erzählt, wie sie
eine ganze Nacht an ihrem Graphic Novel gearbeitet hatte.
Zuerst fein mit Bleistift, dann mit Wasserfarben, abschließend
mit Fineliner. Nicht gut genug, urteilte die Lehrerin. Aurora
verschwand daraufhin auf dem Klo, ihre Hände zitterten, sie
weinte – vor Frust. Doch die Lehrerin fand nur wenig Verständnis.
„Manche Lehrer sind völlig weltfremd und überhaupt
nicht empathisch.“
Dass Lehrern zum Teil die Empathie fehlt, bestätigt auch
Nadja * . „Schüler und Schülerinnen können keine Burnouts
oder Depressionen kriegen“, habe einmal ein Lehrer
behauptet. Bei der 18-Jährigen wurde vor einem Jahr eine
Borderline-Störung diagnostiziert. Das erklärt ihre Depressionen,
ihren Selbsthass und die Selbstverletzung, mit denen sie
seitdem sie vierzehn ist zu kämpfen hat. Seit einer Überdosis
mit Antidepressiva im letzten Oktober lässt sie sich stationär
behandeln. Es schüttet, als die Schülerin mit
den kurzen, blondgefärbten Haaren unter
dem Vordach des Anmeldecontainers vom
Krankenhaus davon erzählt, wie unaufgeklärt
und falsch informiert manche Lehrer
über psychische Krankheiten sind. „Es kommen
so Aussagen wie, ‚Jeder ist mal traurig‘
oder ‚Stell dich nicht so an‘. Vieles wird
auch einfach auf die Pubertät geschoben.
Nicht nur Depressionen, auch gewisse Meinungen.
Jugendliche werden einfach nicht
ernstgenommen.“ Wirklich ernst nimmt
man ihre Symptome erst seit der Diagnose.
Trotzdem, ihr Vater, den sie selten sieht, ist
weiterhin überzeugt, dass sie in Wahrheit
nur an einem Vitaminmangel leidet. Nadja
ist dankbar für die professionelle Hilfe, die
sie nun durch staatliche Unterstützung bekommt. Im Juli wird
ihr im Rahmen von betreutem Wohnen eine eigene Wohnung
zur Verfügung gestellt. Sie lächelt erstmals.
KEINE SICHERHEIT DAHEIM
Schulischer Druck spiele sicher eine große Rolle, bestätigt
die Psychotherapeutin Wiesinger, aber auch ein instabiles
Zuhause belaste ihre jungen Klienten zunehmend. „Der
Trend der Patchworkfamilie und die Tatsache, dass Kinder
und Jugendliche dadurch oft zwei „Zuhause“, zwei Familien
und Elternpaare haben, birgt nicht nur zusätzlichen Stress,
sondern verunsichert. Sie verlieren die Sicherheit und, was
Beziehungen betrifft, die Vorbilder.“ Dadurch falle es Jugendlichen
auch immer schwerer, sich auf Beziehungen einzulassen.
„Alles ist dann nur immer so halb.“ Positiv beobachtet
die Therapeutin allerdings, dass Psychotherapie viel weniger
als früher ein Tabu ist für Jugendliche. Einige 14- bis 17-Jährige
melden sich sogar ganz von selbst bei ihr. „Auch Lehrer
und Schulärzte sind durchaus aufgeschlossen für psychische
Erkrankungen, aber leider ist das ganze System Schule völlig
überlastet. Vor allem die Lehrer!“, so Wiesinger. Daher sind es
dann doch meistens die Mütter, die anrufen. Weil sie Anzei-
18 / POLITIKA /
„Wirklich ernst nimmt man ihre
Symptome erst seit der Diagnose. Ihr
Vater ist weiterhin überzeugt, dass sie
nur an einem Vitaminmangel leidet.“
Dabei ist Burn-Out längst in Österreichs
Klassenzimmern angekommen. Die
Therapeutin appeliert: Nehmt die
Jugendlichen ernst!
/ POLITIKA / 19
Die WHO warnt: Corona verschlimmert
den psychischen Stress.
„
Schüler sollten
bereits im Unterricht
lernen, dass
ihr psychisches
Wohlbefinden
wichtig ist.
“
chen bemerken, etwa weil bei der Tochter
plötzlich die schulischen Leistungen abfallen
oder weil der Sohn sich jedes Wochenende
ins Koma säuft. Denn Burschen sind genauso
betroffen, auch wenn in diesem Artikel
nur Mädchen zu Wort kommen. Rund 35
Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Österreich haben laut
einer Studie der Universität Wien und des Ludwig Boltzmann
Instituts eine hohe Wahrscheinlichkeit, zumindest einmal im
Leben psychisch zu erkranken. Wenn Eltern jedoch nicht reagieren
und vor allem nicht aufgeschlossen für Therapie sind,
ist das schlecht für die betroffenen Kinder und Jugendlichen.
Gerade in bildungsfernen Haushalten sei das der Fall, so Wiesinger.
Aber auch kulturelle Gründe können eine Rolle spielen,
wie die biber-Geschichte „Schrei nach Therapie“ thematisiert.
In vielen Familien mit Migrationshintergrund sind psychische
Erkrankung ein großes Tabu. Oder wenn einfach das Geld
dafür fehlt.
Amra * , mittlerweile eine 21-jährige Studentin, kennt dieses
Problem: Therapeutische Hilfe kostet. Mit 16 Jahren hat sie
sich die meisten Stunden zur Behandlung ihrer Angststörung
selber gezahlt. Herzrasen und Schwindel im Angesicht von
beängstigenden Nachrichten oder Lerninhalten über Krieg:
Ihre Eltern sind der Meinung, dass sie übertreibt und dass
Amra ihre Angstanfälle, die sie damals täglich plagen, selbstständig
überwinden soll. Die finanzielle Unterstützung fehlt
und ihr eigenes Geld reicht selten für zweimal im Monat. „Therapiestunden
sollten zugänglicher und leistbarer werden, vor
allem für Jugendliche“, fordert sie deshalb. „Außerdem sollten
Schüler bereits im Unterricht lernen, dass ihr psychisches
Wohlbefinden wichtig ist und wie sie mit Stresssituationen
umgehen können.“ Ohne Behandlung, betont auch Therapeutin
Wiesinger, können Ängste sich ausweiten. „Deshalb ist es
so wichtig, die Kassenplätze aufzustocken – sowohl die psychotherapeutischen
als auch die psychiatrischen.“ Denn die
Tarife vieler privat behandelnder Psychiater sind kaum leistbar:
Zwischen 140 und 200€ kostet ein Erstgespräch von einer
Stunde, danach etwas weniger, weil nur mehr 30 Minuten lang
behandelt wird. Psychotherapiestunden kosten um die 100 €,
wovon man als Krankenkassenzuschuss 28 € jeder Therapieeinheit
zurückerstattet bekommt. Eine wirkungsvolle, regelmäßige
Therapie geht meist über den Zeitraum eines Jahres.
CORONA KANN TRAUMATISIEREN.
Der Bedarf an Kassenplätzen wird durch „Corona“ noch verschärft.
Der Lockdown und seine Folgen treffen Kinder und
Jugendliche besonders hart. Plötzlich daheim „eingesperrt“ zu
sein, ohne Zufluchtsorte wie Freunde oder
die Schule, dazu die permanente Ungewissheit,
wie es weitergeht, und das steigende
Konfliktpotenzial zuhause. Und zu all dem
schulischer Druck. So kritisiert Stefan T.
Hopmann, Professor für Bildungswissenschaften
an der Universität Wien, schon
Ende März in einem Gastbeitrag in „Die
Furche“: Die politische Konzentration auf
Bildungsversäumnisse bei Schülern würde in
keinem Verhältnis zu der Wichtigkeit stehen,
Kinder und Jugendliche während der Krise
psychisch und physisch gesund zu halten.
„Selbst in Familien, die vom Schlimmsten
verschont sind, machen die Kinder
und Jugendlichen eine oft traumatische
Erfahrung, in der ihr Vertrauen in Gott und die Welt, in ihre
Eltern und in ihre eigene Zukunft nachhaltig gestört wird.“ Er
betont, dass unter solch Katastrophenbedingungen wie dieser
Pandemie ein normales Lernen nur eingeschränkt möglich
ist. Zudem belastet der Wegfall der Freunde. Denn soziale
Kontakte zu pflegen gehört bei Kindern und Jugendlichen zum
Grundbedürfnis. Bei Nadja verstärkte sich in der Quarantäne
ihre Depression – durch die ständigen Streitereien mit ihrer
Mutter und weil das Mädchen mit der Borderline-Störung nicht
wie sonst auf ihr Support-System zurückgreifen konnte, wie
sie das stützende Netz ihrer Freundinnen bezeichnet.
Aber eben auch nicht psychisch vorbelastete Kinder und
Jugendliche sind durch die Pandemie nun anfällig. „Die Angst
nimmt allgemein zu“, bestätigt Birgit Satke, Leiterin von „Rat
auf Draht“ in einem Interview. Die Buben und Mädchen, die
sich bei Österreichs Notruf für Kinder und Jugendliche melden,
sind im Durchschnitt elf bis sechzehn Jahre alt. Um 30
bis 35 Prozent haben ihre Anrufe bereits Mitte April zugenommen,
250 bis 300 Beratungsgespräche wurden täglich
geführt. Alle anonym. Einige Jugendliche flüstern, weil sie
nicht ungestört reden können, oder wählen die Chat-Funktion.
20 / POLITIKA /
Die Eltern sollen nicht wissen, dass sie sich melden. „Zugleich
übertragen sich die Ängste der Eltern um Jobverlust, um Existenz
und die Zukunft auf die Kinder.“ Auch beobachtet Satke
eine Zunahme von familiären Konflikten und Gewalt. Gerade
die psychische Gewalt an Kindern und Jugendlichen habe in
der Quarantäne zugenommen. „Es wurde mehr geschrien und
erniedrigt“, berichtet sie über die Gespräche. Welche Folgen
das haben wird, werden wir alle erst später sehen. „Es ist ja
nicht so, dass alles mit den Lockerungen prompt besser wird.
Im Gegenteil: Folgewirkungen merkt man oft erst viel später.“
Das können psychosomatische Erscheinungen sein, Rückzug
und Abfall von schulischen Leistungen.
Die WHO warnt vor steigender psychischer Belastung
durch die Corona-Auswirkungen. Doch schon vor der Krise
fehlen österreichweit tausende kassenfinanzierte Therapieplätze
für Kinder und Jugendliche, und die Wartezeit beträgt
oft mehrere Monate. Auch was die psychiatrische
Behandlung betrifft sind Kassenplätze
Mangelware. Psychiater unterscheiden sich
von Therapeuten vor allem dadurch, dass
sie aufgrund ihres Ärztestatus Medikamente
verschreiben können. Was in schweren
Fällen wichtig ist. Doch in manchen Bundesländern
gibt es nach wie vor keinen
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie
mit Kassenvertrag. Auch in Wien stehen den
etwa 350.000 Kindern nur sechs Kinder- und
Jugendpsychiater mit Kassenvertrag zur
Verfügung – nötig wären aber laut unabhängiger
Gesundheitsexperten bis zu 30,
so Johannes Steinhart, Obmann der Kurie
niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der
Ärztekammer für Wien. Im Februar diesen
Jahres lehnte die Österreichischen Gesundheitskasse
(ÖGK) eine Aufstockung um nur
fünf weitere Kassenordinationen einfach ab.
„Eine Katastrophe“, so Steinhart. Seit Jahren
weist die Ärztekammer auf die Unterversorgung
der Wiener Kinder und Jugendlichen
in diesem medizinischen Fachgebiet hin.
Bestätigt wird der Warnruf sowohl von Gesundheitsexperten
als auch vom Stadtrechnungshof, vom Leiter des Psychosozialen
Diensts der Stadt Wien und auch vom Gesundheitsstadtrat
selbst, heißt es dazu in der APA-Aussendung von Februar
diesen Jahres. Steinhart kritisiert hier, dass letztendlich auf
Kosten der jüngsten und ärmsten Patientinnen und Patienten
versucht würde, das durch die Kassenfusion verursachte
Defizit mit Einsparungen bei der Gesundheitsversorgung zu
reduzieren.
Trotzdem, Wien tut etwas. So wurde im Februar 2020 das
neue kinder- und jugendpsychiatrische Ambulatorium in Hietzing
eröffnet, ein Baustein im Rahmen des psychiatrischen und
psychosomatischen Versorgungsplans Wien: „Bis 2030 wird
es, zusätzlich zu einem noch weiter ausgebauten stationären
Angebot, sechs spezialisierte Ambulatorien für Kinder- und
Jugendpsychiatrie in ganz Wien geben“, so der Koordinator
für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien,
DU BRAUCHST HILFE?
RAT AUF DRAHT
Telefonberatung für Kinder,
Jugendliche und deren
Bezugspersonen, für alle
Themen, die Kinder und
Jugendliche betreffen. Rund
um die Uhr – ohne Vorwahl –
unter der Notrufnummer: 147
Chat-Option möglich.
PSYCHIATRISCHE
SOFORTHILFE
Hier erhalten Menschen
in psychischen Krisen unverzüglich,
unbürokratisch
und professionell Hilfe. Der
Notruf steht 24h täglich 365
Tage im Jahr zur Verfügung
(01) 31330
Ewald Lochner. Doch bevor Kinder und Jugendliche im Spital
landen, sollte an der Prävention gearbeitet werden – auch aus
Kostengründen. Die Psychotherapeutin Romana Wiesinger
rechnet vor, wie viel Therapiestunden sich für das Tagesgeld
im Spital ausgehen würden. Immerhin koste ein Bett im Spital
am Tag bis zu 4000 Euro, so Wiesinger. Daher sorgte Gesundheitsminister
Rudolf Anschober für große Hoffnung, als er
Mitte Mai den generellen Ausbau von Psychotherapieplätzen
in Aussicht stellte. Das Ziel sei, Psychotherapie auf Krankenschein
zu verschreiben. Der Österreichische Bundesverband
für Psychotherapie zeigte sich darüber sehr erfreut und
versprach Unterstützung durch Expertise. Dass in Anschobers
Amtszeit die psychische Gesundheit eine wesentlich stärkere
Rolle spielen wird, mag auch an persönlicher Erfahrung auf
diesem Gebiet liegen. Der Politiker erlitt 2012, mit Mitte 50,
ein Burn-out. Er verweist in der Öffentlichkeit darauf, dass
Burn-out eine hartnäckige Erkrankung und
dem Ausbruch ein mehrjähriger Prozess
vorangegangen sei.
BITTE ERNSTNEHMEN!
Bei einem Politiker mag eine Stressüberlastung
nicht verwundern, bei einer
16-jährigen Schülerin schon. Doch genau
das erleben immer mehr Ärzte und Therapeuten.
Der deutsche Kinder- und Jugendpsychiater
Michael Schulte-Markwort
schreibt in seinem Buch „Die Burnout-Kids“,
wie das Prinzip Leistung die Kinder zunemend
überfordert. Gleichzeitig warnt er vor
einem effekthascherischen Umgang mit
dem Begriff. Auch Wiesinger sagt: „Schnell
werden Begriffe zu Modeerscheinungen.
Doch nicht jede Müdigkeit ist ein Burn-out,
genauso wenig wie nicht jede Unruhe gleich
ADHS bedeutet oder nicht jede Beleidigung
gleich Mobbing ist.“ Zudem sind am „Ausbrennen“
der Jugendlichen nicht per se
unsensible Lehrer und förderwütige Eltern
schuld – sondern die Ursache ist komplexer
und liegt viel an unser aller Werte. Für Wiesinger gilt daher:
„Ernstnehmen!“ Wenn Kinder und Jugendliche Anzeichen zeigen,
dann ist ihr Appell an die Erwachsenen: „Nehmt sie ernst!
Kinder und Jugendliche haben tatsächlich Probleme.“ Kleinreden
macht es nur schlimmer. Außerdem leben Erwachsene
oft „ungesunde“ Werte vor: Wenn sie selbst ständig am Handy
sind, ungesunden Schönheitsidealen hinterher fiebern und
ihre Terminkalender zum Bersten voll sind, dann beeinflusst
all das ihre Kinder. „Es kommt einfach keiner mehr runter!“ so
Wiesinger.
So war die Corona-Situation für manche auch ein
Geschenk. Wie für die beiden Mädchen Daniela und Aurora.
Befreit vom schulischen Ballast erlebten sie eine heilende Auszeit
in der Quarantäne. Und auf einmal taten sie etwas, das sie
jahrelang nicht mehr gemacht hatten: Nichts. ●
* Namen von Redaktion geändert
/ POLITIKA / 21
Herr Anschober,
wie viele Bekannte
von Ihnen sind an
Corona gestorben?
Wie viele
Bekannte von
Ihnen sind
an Corona
erkrankt?
Wie viele
Bekannte von
Ihnen sind
an Corona
gestorben?
Wie viele
Nasen-Mund-
Schutz-Masken
werden
wöchentlich
in Österreich
produziert?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird schon genug
geredet. Biber fragt in Worten,
Gesundheitsminister Rudolf
Anschober antwortet mit einer Zahl.
0
0
500.000
Von Marco Maurer, Amar Rajković
Fotos: Zoe Opratko
4 Monate brauchte Rudolf Anschober, um sich von seinem
Burnout 2012 vollständig zu erholen.
Der Gesundheitsminister hat keinen einzigen Bekannten, der an
Corona erkrankt ist.
Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit
in Prozent,
dass die Regierung
bis zur Ende
der Legislaturperiode
hält?
Wie oft waren
Sie bis jetzt
mit türkisen
Kollegen ein
Feierabendbier
trinken?
Wie viel Euro
(netto) sollte
eine Vollzeit-
Pflegekraft
in Österreich
mindestens
verdienen?
Wie viele
Masken
besitzen Sie?
In wie viele
Ländern
werden wir
im Sommer
Urlaub machen
dürfen?
90
1
2000
25
4
22 / POLITIKA /
In welchem
Jahr wird es
spätestens
einen Impfstoff
gegen Corona
geben?
Wie oft
waschen und
desinfizieren
Sie sich Ihre
Hände am Tag?
Wie viele
Pressekonferenzen
haben Sie
seit Corona-
Ausbruch
abgehalten?
Mit wie vielen
Virologen sind
Sie per Du?
Spätestens in
welchem Jahr
wird es die/den
erste/n grüne/n
Kanzler/in geben?
2021
12
60
7
2030
Erst 1 Mal war Gesundheitsminister Anschober mit seinen
türkisen Kollegen ein Feierabendbier trinken.
Mit 7 Virologen ist Rudolf Anschober per Du.
Wie viel Prozent
Ihrer
MitarbeiterInnen
haben
Migrationshintergrund?
Mit wie vielen
afghanischen
Asylwerbern
sind Sie in
Kontakt?
Wie viele Monate
haben Sie
gebraucht, um
vom Burn-Out
2012 zurückzukehren?
Vor wie vielen
Tagen haben
Sie das letzte
Mal geweint?
Wie oft sind
Sie als Schüler
während des
Unterrichts
eingeschlafen?
7
12
4
3
10
/ POLITIKA / 23
ora, 23
tyle
URLAUB IN
ÖSTERREICH:
WERBT DOCH UM
DIE MIGRANTEN!
-of-the-Dirndl-Box
erhosen finde ich cool, am
ten mit Rüschenbluse und
-Heels dazu. Und ein Dirndl,
ar, irgendwann hätte ich auch
e einmal eines. Dann aber ein
r-Extravagantes im Parison-Look
mit Gold und Brokat.
r bis dahin warte ich noch auf
elegenheit eines zu tragen!“
uchenherz vom prater - 6€
t & lederhose (aus leinen) -
rtaler Trachtenwelt - 29,99€
,99€
en von Zillertaller Trachten-
- 19,99€
he - magazin am Getreidet
- 54€
24 / MIT SCHARF /
Das Werben des österreichischen Bundeskanzlers um
deutsche Touristen unterstützt biber-Chefredakteurin
Delna Antia-Tatić zwar persönlich sehr, berufsbedingt
schlägt sie aber eine andere Strategie vor.
Von Delna Antia-Tatić, Foto: Tina Herzl
Der Bundeskanzler will es, die Hotellerie will es, ich
will es. Nur der deutsche Innenminister scheint
nicht erpicht, seine Deutschen uns Österreichern
hier zum Urlauben zu überlassen. Und dann wurden
in einer Fleischfabrik in Nordrhein-Westfalen auch noch
hunderte Mitarbeiter Covid-positiv getestet – weil die Massenhaltung
anscheinend nicht bei Tieren aufhört, sondern osteuropäische
Arbeiter auf engstem Raum zusammengepfercht
werden. Aber dieses Schlamassel ist ein anderes Thema.
Nach solch einer Meldung vergeht womöglich auch Herrn
Kurz und Frau Köstinger der Appetit auf deutsche Urlauber.
Insgesamt lässt die deutsche Performance zu wünschen übrig.
In meinem Heimatland liegt im Mai der zentrale Faktor „R“, der
die Reproduktion des Virus anzeigt, wieder bei über 1 und ist
so hoch wie lang nicht mehr. Was vielleicht nicht nur an Ostern
liegt, sondern an deutschen Prioritäten wie
Fleisch und Fußball. Will man angesichts dieser
„Fahrlässigkeiten“ überhaupt Menschen
aus solch einem Land in Österreich reinlassen,
frage ich mich also bang. Immerhin
stammen meine Eltern aus diesem berüchtigten
Bundesland Nordrhein-Westfalen, das
halb so groß wie Österreich, aber doppelt so
viele Einwohner zählt. Persönlich hoffe ich
natürlich, dass meine Mutter nicht ihre Notfallpläne
umsetzen muss und per Heckenschere
und Floß über die grüne Grenze zu
ihrem Enkelkind kommt. Sondern dass der
deutsche Innenminister endlich die Risikobewertung unseres
österreichischen Kanzlers beherzt. Wie Kurz per Bild-Zeitung
verkündet hatte, sei es ja für Deutsche weniger gefährlich nach
Österreich zu reisen als für Ostdeutsche nach Nordrhein-Westfalen.
Doch wie gesagt, das sind privat motivierte Hoffnungen.
„WIR MIGRANTEN SIND HEUER FIX DIE
BESSEREN DEUTSCHEN!“
Für Österreichs Tourismuswirtschaft schlage ich eine andere
Strategie vor. Und die ist durchaus beruflich motiviert: Liebe
Tourismusgebiete, liebe Hotels und Ferienunterkünfte, statt
sich um die Deutschen zu scheren, werbt‘s doch um die
Migranten! Um all die österreichischen Mitbürger, die noch nie
am Ossiacher See, im Salzkammergut oder auf einem Bauernhof
in der Steiermark waren. Durch meine Arbeit bei biber weiß
ich nur zu gut, dass „unsere“ Zielgruppe als Kunden nicht nur
unterschätzt wird, sie wird oft auch gar nicht gesehen – und
deswegen gar nicht angesprochen. Aber „wir“ sind da! Wir
„
Wir wollen Berge
erklimmen, an
Kühen vorbeiwandern
oder mit den
Kindern im See
planschen.
“
sind konsumfreudig, unternehmungslustig und reisehungrig.
Wir wollen Berge erklimmen, an Kühen vorbeiwandern oder
mit den Kindern im See planschen. Dass man das in Österreich
kann, wissen wir von den Werbeplakaten. Dass auch wir
das machen könnten, ist jedoch nicht ganz so klar. Es fehlt die
Erfahrung: Wie, was, wohin überhaupt? Denn seit jeher reisen
unsere Eltern in den Sommerferien mit uns nach „unten“, ob
Bosporus oder Balkan, für uns war Österreich immer nur die
Durchfahrtstraße. „Unten“ ist die Familie, das selbst gebaute
Haus, das Mittelmeer. Und abseits der großen Ferien machen
wir hippe Städtetrips: Istanbul, Paris, Berlin. Als nicht richtiger
Österreicher nun richtig in Österreich Urlaub machen, das müssen
wir erst kennenlernen.
Wie meine bosnischstämmige Kollegin mir beichtete: Die
Schönheit der Berge und Seen in ihrer österreichischen Heimat
lernt sie erst kennen, seitdem sie einen
österreichischen Freund besitzt. Ihre Mutter
hat noch nie in Österreich Urlaub gemacht.
Nun, vielleicht ist jetzt die Zeit dazu. Denn
Balkanreisen oder Türkeibesuche scheinen
derzeit mindestens genauso fraglich wie die
Piefkesaga. Von Städtetrips ganz zu schweigen.
Mein Vorschlag also an die Tourismusbranchen:
Statt vergeblich auf deutsche
Gäste zu hoffen, versucht doch eine neue
Kundschaft für Euch zu gewinnen. Wir
Migranten sind heuer fix die besseren Deutschen:
Wir sind da, sprechen Hochdeutsch
ohne Unwörter wie „lecker“ zu benützen (ich erwähne das hier
zur Sicherheit) und bringen mit unseren Namen trotzdem ein
gewisses internationales Flair in euer Gästebuch. Statt Sabine,
Thomas und Kai Kohlmann, könntet ihr heuer Goran, Ivana und
Sueda Aktas beherbergen. Klingt doch gut, oder? Und nun zur
Eigenwerbung, die in diesen Zeiten moralisch durchaus vertretbar
ist: Wenn ihr nicht wisst, wie man diese „Aktas & Co“ am
Besten erreicht, biber weiß es und hilft gern. ●
Chefredakteurin Delna Antia-Tatić
empfiehlt der Tourismusbranche,
heuer nicht auf deutsche Gäste zu
setzen, sondern eine neue Kundschaft
zu gewinnen: Die Migranten
in Österreich.
antia@dasbiber.at
/ MIT SCHARF / 25
#PRAYATHOME
26 / POLITIKA /
Live-Streams aus der Moschee, Watch-Partys auf Facebook und
Spendenaufrufe über WhatsApp – die Corona-Krise hat muslimische
Gemeinschaften gezwungen, kreative Lösungen für den Wegfall ihrer
Besucher und Einnahmen zu suchen – sogar über einen Moscheebeitrag
wird diskutiert. biber hat sich umgehört in der Community.
Von Muhamed Beganović, Fotos: Zoe Opratko
Vor der Krise war ich jeden Tag in der Moschee“,
erzählt Tarik Deniz*, ein junger Medizinstudent
aus Innsbruck. Mit Freunden betete er die
Morgen- und Nachtgebete in einem der Gotteshäuser
in der Stadt. „Die Moschee war somit auch ein Ort der
Verbundenheit und Gemeinschaft“, erklärt er. Doch dann kam
das Corona-Virus. Die Pandemie breitete sich rasend schnell
aus, ähnlich wie der Schatten nach dem Sonnenuntergang,
weshalb teils drastische Maßnahmen notwendig waren, um sie
einzudämmen.
Dazu zählte auch die komplette Schließung der Moscheen,
die von März bis Mitte Mai andauerte. Das zwang Muslime,
ihre gewohnten Routinen von heute auf morgen aufzugeben.
Für Deniz bedeutete es, dass es keine täglichen Treffen mehr
geben konnte. „Die habe ich gebraucht, um in diesen Zeiten
des ständigen Wandels eine innere Stabilität zu etablieren“,
sagt Deniz, der den Gebetsstätten nachtrauert. Ähnliche Klagen
hört man von praktizierenden Musliminnen und Muslimen,
die besonders im islamischen Monat Ramadan, der heuer
umgerechnet am 24. April begann und am 23. Mai endete,
hart von den Schließungen getroffen wurden.
Denn der Besuch der Moschee ist mehr
als eine physische Tätigkeit. Er geht mit
einer seelischen Komponente einher. „Dort
finde ich mich selbst und vergesse alles
andere, alle Ablenkungen, alle Probleme und
Herausforderungen des Alltags“, sagt Nermin
Ismail, eine 23-jährige Journalistin aus
Wien. „Keine Moschee besuchen zu können
ist für mich eine noch nie dagewesene Realität,
die mich beunruhigt“, fügt sie hinzu.
Den Muslimen, mit denen biber gesprochen
hat, ist jedoch zugleich auch klar,
welch eine wichtige Rolle die Schließungen
für das Allgemeinwohl haben. „Anfangs war
ich etwas genervt, aber dann habe ich verstanden,
dass das die beste Entscheidung
ist, um die Gesundheit von allen zu schützen.
Daher stört es mich auch gar nicht
mehr”, sagt Gehad Samy, eine 22-jährige
Psychologie-Studentin aus Wien, die vor
Corona mehrmals in der Woche Moscheen
„
Keine Moschee besuchen
zu können ist für
mich eine noch nie
dagewesene Realität,
die mich beunruhigt.
Nermin Ismail, “ Journalistin
aufgesucht hat. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch und
so haben jüngere Muslime wie Samy und Deniz entdeckt, dass
sie ihre Spiritualität auch digital ausleben können. „Um den
Kontakt zu meinen Freunden aufrechtzuerhalten, haben wir
beschlossen, tägliche Onlinetreffen abzuhalten, in denen wir
uns islamisches Wissen aneignen. Das ist unser Versuch, das
Beste aus dieser Situation zu machen”, erzählt Deniz.
FACEBOOK WATCH-PARTYS UND ZOOM-
KONFERENZEN
Doch nicht nur Gläubige, sondern auch die Gemeinden sind
gezwungen, ihre Herangehensweisen zu überdenken. Das hat
zu teilweise kreativen Lösungen geführt. In einem Video, das
die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ)
Mitte April auf Youtube veröffentlichte, fordert Präsident Ümit
Vural die Muslime auf, ihre Wohnungen zu Moscheen umzugestalten.
Er will damit jenen Mut machen, die sich nach den
Gebetshäusern sehnen, und ihnen das social distancing ein
wenig erleichtern. Zugleich hat die IGGiÖ begonnen, Online-
Inhalte wie Webinare anzubieten. Auch einige Moscheen
nutzen soziale Medien, um mit ihren Mitgliedern
in Kontakt zu bleiben. Zu den Pionieren
gehört das Islamische Zentrum Wien (IZW).
Bereits am Anfang der Krise hat das Zentrum
begonnen, jene Einheiten wie Arabisch-
Sprachkurse, Koran-Unterricht oder Wochenendprogramme
für Kinder, die normalerweise
in den Räumlichkeiten der Moschee angeboten
wurden, über die Videokonferenz-
Plattform Zoom abzuhalten. „Das hat in der
Gemeinde großen Anklang gefunden. Es
macht sich bemerkbar, dass es der jüngeren
Generation viel leichter fällt, diese Online-
Angebote zu nutzen, als vielen der älteren
Generation, die mit dieser Art der Mediennutzung
weniger vertraut sind“, berichtet
Salim Mujkanović, einer der drei Imame des
IZW. Zudem bot das Zentrum Livestreams auf
Facebook von den nächtlichen Gebeten im
Ramadan an. Hier sah man allerdings nur den
Imam, da sonst keine Besucher zugelassen
waren. Die Bosniakische Kultusgemeinde
/ POLITIKA / 27
Die Bosniakische Kultusgemeinde nutzt Facebook-
Watchpartys, um mit ihren Mitgliedern zu kommunizieren.
Mitte, die knapp ein Dutzend Moscheen
umfasst, nutzt Facebook Watch-Partys, um
mit ihren Mitgliedern zu interagieren. Das
Angebot würde gut genutzt, heißt es dazu.
Auch Indira Polimac-Hasanović berichtet
nur positiv über solche virtuellen Zusammenkünfte.
Sie ist Teil einer Frauengruppe,
bestehend aus Mitgliedern verschiedener
oberösterreichischer Moscheen, die mehrmals
in der Woche Vorträge über Zoom
veranstaltet. „Etwa 50 Frauen im Alter zwischen 25 und 60
nehmen jedes Mal teil“, sagt Polimac-Hasanović.
RETTUNGSSCHIRM FÜR MOSCHEEN
Diese virtuellen Angebote sind natürlich kein Ersatz für das
Gemeinschaftsgefühl und die soziale Komponente einer
Moschee. „Mir fehlt der persönliche Kontakt mit Freund*innen
und Glaubensgeschwistern“, sagt Medina Velić, eine 32-jährige
Grazerin, die während der Krise die vielen Online-
Angebote des Islamischen Zentrums Graz nutzt. Solange die
Maßnahmen der Regierung aber nicht gelockert werden und
die Krise nicht vorbei ist, werden die Moscheen ihren vollen
Betrieb nicht aufnehmen können. Aktuell darf ein Besucher
pro zehn Quadratmeter Fläche die Moschee betreten. Das
macht Gemeinschaftsgebete großteils unmöglich. Wie lange
das so weitergehen wird, ist noch offen. Für viele der Gläubigen
läuft eine Art Countdown, bis sie Moscheen wieder
normal betreten können. Doch was, wenn das nicht eintrifft?
Bereits im April wurde bekannt, dass ein Drittel der 350
Moscheen in Österreich finanziell besonders hart von der
Corona-Krise betroffen ist. Es drohe manchen sogar die permanente
Schließung. Vor allem kleinere Moscheen seien anfällig,
da sie oft zu wenige Mitglieder haben, die fixe (monatliche
oder jährliche) Beiträge entrichten und so für eine finanzielle
Basis sorgen. „Einige davon sind bereits direkt an uns herangetreten“,
sagt Ümit Vural im Interview mit biber. Die IGGiÖ
hat deshalb eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform
Leetchi zur Rettung der Moscheen gestartet und über 50.000
Euro gesammelt. „Diese Spendengelder werden dann gerecht
auf alle Moscheen aufgeteilt, die einen vollständigen Antrag
bei uns eingereicht haben. Je mehr Spenden eingehen, desto
mehr Moscheen können wir unter die Arme greifen“, sagt
Vural.
Eine von der Krise betroffene Moschee ist die Islamische
Vereinigung in Österreich, die man besser unter dem Namen
Al-Hidaya kennt. Weil ihr die Besucher entgehen, fallen auch
die Spenden, die durch diese lukriert werden, weg. Das sind
durchaus mehrere hundert Euro pro Woche und es macht
sich spürbar. Al-Hidaya musste sich bereits von Mitarbeitern
trennen und konzentriere sich jetzt darauf, die Fixkosten wie
Miete oder Strom zu decken, erzählt Khaled Mohamed, Generalsekretär
der Al-Hidaya Moschee. „Als Allererstes haben
wir als Vorstand in unsere eigenen Taschen gegriffen und
das Budgetloch der Moschee gestopft“, sagt er. Auch Salem
Hassan, Gründer der islamisch-schiitischen Glaubensgemeinschaft
in Österreich sowie Vorstandsmitglied der Ahl-ul-Bayt
„
Moschee in Hernals, erzählt, dass bestehende
Mitglieder verstärkt Solidarität in der
Je mehr Spenden
eingehen, desto
mehr Moscheen
können wir unter
die Arme greifen.
“
Krise gezeigt und durch erhöhte Spenden
die Finanzierung, zumindest für eine Weile
gesichert haben. Doch das sei nicht genug
und auch keine langfristige Lösung. Je länger
die Krise andauert und je mehr Menschen
in die Kurzarbeit gehen oder gar den
Job verlieren, desto drastischer werden
die Folgen für die Moscheen. „Wir haben
keinen Krisenfonds“, beklagt Mohamed.
Eine Gruppe von arabischen Moscheen hat sich darum zusammengeschlossen
und einen eigenen Spendenaufruf gestartet,
den sie über soziale Medien und Instant-Messaging-Dienste
wie WhatsApp verbreiten. Auch Al-Hidaya nimmt daran teil
und zeigt sich zufrieden. „Die Kampagne hat sehr gut funktioniert.
Menschen haben Empathie und Solidarität gezeigt. Man
muss sie nicht lange davon überzeugen zu spenden. Es reicht,
sie auf das Problem aufmerksam zu machen“, sagt Mohamed.
„Moscheen haben eine wichtige soziale Rolle für Menschen.
Darum sind viele bereit, sie zu unterstützen“, fügt er hinzu.
EINE „KIRCHENSTEUER“ FÜR MUSLIME
Damit Moscheen in Zukunft Krisen besser standhalten können,
setzt sich IGGÖ-Präsident Ümit Vural seit etlichen Monaten
für einen Moscheebeitrag ein, das muslimische Pendant einer
Kirchensteuer. Damit sollen die Strukturen gestärkt werden.
„Es geht um die Sicherung der Qualität unserer Arbeit und
den professionellen Ausbau unserer Dienstleistungen für die
28 / POLITIKA /
„
Je mehr Spenden
eingehen, desto
mehr Moscheen
können wir unter
die Arme greifen.
Ümit Vural, “ Präsident der
IGGiÖ
„
Moscheen zu schließen
ist die beste Entscheidung,
um die
Gesundheit von allen zu
schützen..
Gehad Samy, Psychologiestudentin “
„
Wir haben in die
eigenen Taschen
gegriffen und das
Budgetloch der
Moschee gestopft.
Khaled Mohamed, “ Generalsekretär
der Al-Hidaya Moschee
muslimische Gemeinschaft“, erklärt Vural. „Am attraktivsten
würde sich wohl das sogenannte italienische Steuermodell
erweisen, bei dem ein bestimmter Prozentsatz der ohnehin
eingehobenen staatlichen Steuereinnahmen auf alle Religionen
abhängig von ihrer Mitgliederanzahl verteilt wird“, fügt er
hinzu, doch dies sei unrealistisch. Daher müsse die IGGiÖ eine
interne Lösung finden. Khaled Mohamed gehört zu den Unterstützern
der Initiative. „Der Moscheebeitrag ist wichtig. In Krisenzeiten
wie diesen ist jede Moschee auf sich alleine gestellt
und muss selbst Wege finden zu überleben”, beklagt er – wohl
auch, weil er aus erster Hand gesehen hat, wie schwer dieser
Kampf sein kann. Die Diskussion um den Moscheebeitrag ist
jedoch hitzig. Eine Zwangsbesteuerung könnte auch Austritte
bewirken, sagen kritische Stimmen. Muhaned Miftaroski, ein
30-jähriger Jus-Student aus Wien, findet, dass man zwar alles
Mögliche tun sollte, um permanenten Schließungen vorzubeugen,
von einem Moscheebeitrag hält er aber nichts, da es
diejenigen, die ohnehin selten oder nie in die Moschee gehen,
abschrecken würde. „Großangelegte Spendenaktionen, die
auch die aktuelle Lage genauer erklären und Bewusstsein
schaffen, würden meiner Meinung nach viel mehr Abhilfe
schaffen“, sagt er.
Andere Muslime sehen es pragmatischer. „Ich wäre offen
für jeden Vorschlag, der die Zukunft der österreichischen
Moscheen zu sichern versucht”, sagt Deniz. Für ihn ist die
Krise aber vor allem eine Chance, weshalb er mit einer moderaten
Menge Optimismus auf sie blickt. „Obwohl manche uns
gewohnte und geliebte Sachen weggefallen sind, haben sich
uns durch die Krise viele neue Möglichkeiten erst eröffnet“,
sagt er. Er glaubt nicht, dass Gebete über Facebook oder
Islam-Unterricht über Zoom davor möglich gewesen wären.
„Die Zeit der Quarantäne war sehr nützlich”, sagt Deniz. ●
*Name von der Redaktion geändert
Das Geld in den Moscheen wird knapp – kommt ein
„Moscheebeitrag“?
/ POLITIKA / 29
„Wir müssen den
Gemeinde bau
nicht zurückerobern.“
Wohnbaustadträtin
Kathrin Gaál (SPÖ) über
ihre Corona-Erkrankung,
die Mietobergrenze im
Neubau, die neuesten
Wohnbaugebiete in der
Stadt und den Kampf um
den Gemeindebau bei den
Wahlen im Herbst.
Von: Aleksandra Tulej
Fotos: Christoph Liebentritt
BIBER: Sie gehören zu den knapp
14.000 Genesenen in Österreich. Fühlen
Sie sich befreit, das Virus schon hinter
sich zu haben?
KATHRIN GAÀL: Ich bin sehr froh und
dankbar, dass ich wieder gesund bin.
Aber befreit fühle ich mich nicht. Neben
dem Gesundheitsaspekt bedeutet Corona
für viele Menschen in unserer Stadt
eine enorme wirtschaftliche Belastung.
Wir kennen das ganze Ausmaß der Krise
noch nicht und der Ausnahmezustand ist
auch noch nicht vorbei. Die Stadt und vor
allem die Bundesregierung müssen nun
mit größter Aufmerksamkeit darauf achten,
dass die von der Krise Betroffenen
nicht alleingelassen werden.
Hätten Sie gerne einen Immunitätsausweis,
wie ihn der deutsche Gesundheitsminister
zuletzt propagierte?
Über Sinn oder Unsinn solcher Maßnahmen
möchte ich nicht urteilen, das
überlasse ich den zuständigen Experten.
Mir persönlich ist es wichtig, dass mit so
einem Ausweis nicht eine Zwei-Klassen-
Gesellschaft eingeführt wird, in der eine
bestimmte Gruppe dann nicht mehr am
öffentlichen Leben teilnehmen darf.
Sie verbrachten in der Quarantäne 14
Tage in einem Zimmer, ohne ihren Mann
oder Kind zu sehen. Viele Familien in
Wien verfügen nicht über diesen Luxus,
genügend Platz zu haben. Ist Platz für
Familien in Wien leistbar?
Fast zwei Drittel der Wienerinnen und
Wiener leben im geförderten Wohnbau.
Das ist weltweit einzigartig und in diesem
Bereich ist lebenswerter Wohnraum für
Familien zum Glück definitiv leistbar.
Aber natürlich gibt es auch das Drittel,
das auf den freien Wohnungsmarkt
angewiesen ist, wo die Preise seit Jahren
steigen. Um das zu verhindern, muss
auf Bundesebene endlich ein neues
Mietrecht beschlossen werden. Aber die
30 / POLITIKA /
ÖVP blockiert das seit vielen Jahren, auf
Kosten der Mieterinnen und Mieter in
ganz Österreich.
Was wäre überhaupt genügend Wohnraum
– sagen wir für eine Familie mit
zwei Kindern?
Eine Orientierung bieten hier die Wohnberatung
Wien und die Richtlinien für
den Erhalt eines Wiener Wohntickets
mit begründetem Wohnbedarf wegen
Überbelag. Nach dieser Regelung gilt
eine Wohnung mit zwei Wohnräumen
ab drei anzurechnenden Personen als
überbelegt. Drei Wohnräume gelten ab
fünf Personen als überbelegt.
Wieviel Prozent des Einkommens sollte
die Miete ausmachen?
Das ist natürlich sehr stark von der Höhe
des Einkommens, der Größe des Haushalts
und auch dem eigenen Wohnbedürfnis
abhängig. Der wesentliche Punkt
ist für mich, dass nach Überweisung der
Miete noch genug Geld für den Rest des
Monats am Konto sein soll.
Viele orientieren sich an der Faustregel,
dass ein Haushalt nicht mehr als ein
Drittel des Netto-Einkommens fürs Wohnen
ausgeben soll. Aber natürlich wird
das nicht immer jeder Lebenssituation
gerecht. Um in Härtefällen als Stadt da
zu sein, haben wir im Zuge der Corona-
Krise die Beantragung der Wohnbeihilfe
erleichtert.
Was macht die SPÖ, damit der kontinuierliche
Mietanstieg gestoppt wird und
auch sozial schwächere Menschen sich
die Mieten leisten können?
Mit der Einführung der Widmungskategorie
„Geförderter Wohnbau“ haben
wir sichergestellt, dass es auch in
Zukunft genug Grund und Boden für den
sozialen Wohnbau gibt. Und wir haben
das SMART-Wohnbauprogramm massiv
erweitert; zwischen 2020 und 2025 wird
die Stadt Wien noch einmal zusätzlich
135 Millionen Euro in die Errichtung der
populären SMART-Wohnungen investieren.
Bei der letzten Gemeinderatswahl hieß
es, der Gemeindebau als rote Hochburg
ist Geschichte. 2015 verlor die SPÖ bei
den Bewohnern ihre absolute Mehrheit
und lag mit der FPÖ ziemlich gleich auf.
Wie wollen Sie die Gemeindebauten
zurückerobern?
Die SPÖ muss den Gemeindebau nicht
zurückerobern, denn sie war hier ja auch
„
Auch Corona
wird nichts daran
ändern, dass Wien
in jeder Hinsicht
eine extrem attraktive
Stadt ist.
“
2015 die Nummer eins. Aber ich war nie
eine Freundin davon, sich auf Vergangenem
auszuruhen. Faktum ist, der Flair
des Wiener Gemeindebaus ist weltweit
einzigartig und die Menschen, die dort
leben, fühlen sich sehr wohl. Ich arbeite
jeden Tag daran, damit das Leben im
Gemeindebau noch besser wird. Lassen
Sie mich nur ein aktuelles Beispiel
nennen: Vor einem Jahr haben wir die
Betreuung der Stiegen wieder auf Einzelbetreuung
umgestellt. Bis 2019 hat ein
fünf- bis sechsköpfiges Team eine Stiege
betreut. Nun ist wieder nur eine einzige
Person für die Stiege zuständig. Bei der
Einzelbetreuung hält sich der Hausbetreuer
länger und öfter in der Wohnhausanlage
auf, meist sogar täglich. Dadurch
entsteht ein persönlicher Bezug zu den
Mietern und der Hausbesorger wird zu
einer wichtigen und greifbaren Kontaktperson.
Heute zeigt sich, dass diese Änderung
von allen Seiten hervorragend
angenommen wird. Ich bin überzeugt
davon, dass die Leute am Ende des
Tages schon ein Gespür dafür haben,
wer wirklich für sie arbeitet, und wer nur
so tut.
Warum gibt es keine Mietobergrenze
beim Neubau?
Das Mietrecht kann man leider nur auf
Bundesebene ändern. Und dort blockiert
die ÖVP seit vielen Jahren jede Reform.
Was können Menschen aktuell tun, die
sich ihre Miete durch die Krise nicht mehr
leisten können?
Grundsätzlich ist allen Mietern zu empfehlen,
sich im Fall von absehbaren Zahlungsschwierigkeiten
möglichst früh an
ihren Vermieter zu wenden. Stundungen,
Ratenvereinbarungen und Räumungsaufschübe
müssen vorab mit dem Vermieter
vereinbart werden. Die MieterHilfe Wien
steht hier jedem kostenlos mit Rat und
Tat zur Seite. Und die MieterHilfe fordert
auch zu Recht von der Bundesregierung,
den verfügten Mietzinsaufschub
und Delogierungsstopp unbedingt zu
verlängern - bis absehbar ist, dass die
Corona-Krise und ihre Folgen wirklich
ausgestanden sind.
Werden die Miet- und Kaufpreise durch
die Krise eher nach oben oder unten
gehen?
Auch Corona wird nichts daran ändern,
dass Wien in jeder Hinsicht eine extrem
attraktive Stadt ist. Ein Magnet für Menschen
aus ganz Österreich und Europa.
Das ist grundsätzlich positiv. Aber es
bedeutet auch, dass Wohnraum in Wien
- trotz unserer großen Neubauleistung -
sehr gefragt bleiben wird.
Welche Stadtgebiete werden in naher
Zukunft entstehen?
Wir bauen aktuell etwa im 2. Bezirk am
Nordbahnhof und am Handelskai, im 3.
Bezirk entsteht das Projekt Eurogate,
im 7. Bezirk entwickeln wir das alte
Sophienspital-Areal, in Meidling entsteht
entlang der Wolfganggasse ein neuer
Stadtteil, in Penzing wird gerade die
Körner-Kaserne zu Wohnraum und allein
in Favoriten, Simmering, Floridsdorf,
der Donaustadt und Liesing entstehen
unzählige weitere Projekte. Bis Ende
2020 bringen wir 14.000 geförderte und
daher leistbare Wohnungen und 4.000
Wohnungen im Gemeindebau Neu auf
den Weg.
Wien wurde im „The World’s Greenest
Cities 2020“-Ranking zur grünsten Stadt
gewählt. Wie kann das sein, fragen sich
viele Wiener, in deren Straßenumläufen
kein einziger Baum wächst. Welche
Pläne gibt es abseits von Parks, um mehr
Grün in Wiens Straßen zu bekommen?
Als Wohnbaustadträtin kann ich Ihnen
dazu sagen, dass gerade der Gemeindebau
enorm zur Begrünung Wiens
beiträgt. Wiener Wohnen betreut sechs
Millionen Quadratmeter Grünraum
und mehr als 1.300 Spielplätze. Nicht
umsonst war das Motto des historischen
Gemeindebauwohnprogramms im Roten
Wien "Licht, Luft und Sonne". Das war
unglaublich visionär, davon profitieren
wir bis heute. Eine Verbauung dieser
Grünflächen, wie von der Opposition
immer wieder gefordert, kommt für mich
nicht in Frage. ●
/ POLITIKA / 31
„Sine*,
prevedi
go toa za
mene“
„Sine,
übersetz
mir das“
DIE UNSICHTBAREN
JOBS DER
MIGRANTENKINDER
Wenn die Deutschkenntnisse der Eltern
nicht ausreichen, sind sie diejenigen,
die eingreifen. Mit ihren ständigen
Einsätzen als LaiendolmetscherInnen
und SekretärInnen unterstützen sie ihre
Familienmitglieder wie sonst niemand –
Migrantenkinder sind die unsichtbaren
Stützen des Systems. Das wurde
für unsere Autorin besonders in der
Corona-Krise sichtbar.
Von Šemsa Salioski
* Sine heißt in B/K/S wortwörtlich „Sohn“, wobei die
Bezeichnung auch auf Töchter angewendet wird.
Sine moj, bitte kommst du ins Biro heute. Du musst
Anträge für Corona-Krise anschauen, die mir Steuerberater
hat vorhin geschickt, sonst ist Werkstatt
am Oasch!“. Mit diesen lieblichen Worten wurde ich, als die
Informationen über die konkreten Hilfsmaßnahmen für Selbstständige
Ende März bekannt wurden, von meinem Vater in
sein „Biro“ gerufen. Moment, ich sollte mich um die Zukunft
seines Unternehmens kümmern? Ganz genau. Ich bin nicht
seine Angestellte, aber ich bin seine Tochter und das ist
sowas Ähnliches, zumindest bei Migrantenfamilien. Mein Vater
beherrscht sein Handwerk als Reifenmonteur einwandfrei.
Aber seine Sprachkenntnisse klingen wie eine lustige Mischung
aus Migrantendeutsch aus Brigttenau und Fast-Wienerisch.
Und das reicht nicht aus, um alleine mit der Informationsflut
rund um die Corona-Krise fertig zu werden. So haben ich und
schließlich auch mein älterer Bruder abwechselnd mit seinem
Steuerberater telefoniert, Anweisungen und Formulare übersetzt,
dann ausgefüllt und sogar seine überforderten Mechaniker
mit ebenso mangelnden Deutschkenntnissen und keinen
© privat
32 / RAMBAZAMBA /
eigenen „Dolmetscherkindern“ über ihre Optionen auf dem
Arbeitsmarkt aufgeklärt. Dass wir uns in diesem Chaos wie
Frank Abagnale aus „Catch Me If You Can“ gefühlt haben,
da wir so tun mussten, als wären wir die Experten schlechthin,
damit in dieser ohnehin schon verdammt unbehaglichen
Corona-Situation niemand in Panik gerät, wissen natürlich
nur wir. Dass die meisten Migrantenkinder Ähnliches sogar
seit ihrer Jugend oder gar Kindheit für ihre Familien erledigen
müssen, bleibt vor den Augen der Außenstehenden meist
verborgen.
FINANZAMT IST KEIN NEULAND MEHR
Meine Volksschulklasse bestand beinahe ausschließlich aus
SchülerInnen mit Migrationshintergrund, daher war dieses
Phänomen für mich persönlich bereits als Kind unübersehbar.
Ich kannte fast alle älteren Geschwister meiner
Klassenkameraden, da diese als ÜbersetzerInnen bei allen
Elternabenden anwesend sein mussten. Sie waren oft selbst
nur wenige Jahre älter als ihre jüngeren Geschwister. Die
ältesten Kinder ziehen in diesem Fall eben
die Arschkarte. Mein Bruder hatte das
Glück, dass zumindest unsere Mutter, die
seit ihrem sechsten Lebensjahr in Wien
lebt, diese Art von Unterstützung nie
gebraucht hat. In meinem Freundeskreis
sah das allerdings anders aus, da bei ihnen
beide Elternteile erst viel später nach
Österreich gekommen waren. Spätestens
ab der Unterstufe wurden sie als LaiendolmetscherInnen
eingesetzt und konnten sich
immerhin darüber freuen, dass ihre Eltern
die Eintragungen für Fehlverhalten im Mitteilungsheft
nie verstanden haben. Neben
den zahlreichen Übersetzungen rund um
die Schule folgten schließlich die deutlich schwierigeren
Gespräche mit Ärzten und Behördenvertretern. Sie mussten
verfrüht lernen, wie das System der „Erwachsenenwelt“ funktioniert.
Der einzige Vorteil: Krankenkassa, Finanzamt oder
das Arbeitsamt sind im späteren eigenen Erwachsenenleben
kein Neuland mehr. Neben dem „Nebenjob“ als ÜbersetzerInnen
kommt für Migrantenkinder später außerdem auch
die Dauertätigkeit als persönliche SekretärInnen der Eltern
hinzu. In meinem Freundeskreis ist es nämlich üblich, dass
alle bis heute den Großteil der wichtigen Termine für ihre
Eltern organisieren. Außerdem kümmern sie sich regelmäßig
um Anträge bzw. Formulare und schreiben für sie Briefe und
E-Mails.
„
Ich kannte fast alle
älteren Geschwister
meiner Klassenkameraden,
da diese
als ÜbersetzerInnen
bei allen Elternabenden
anwesend
sein mussten.
“
VERBORGENE SCHAMGEFÜHLE UND ZU
HOHE ERWARTUNGEN
Natürlich mussten sich MigrantInnen auch vor der Geburt
ihrer Kinder in Österreichs Spitälern und Ämtern verständigen.
In gebrochenem Deutsch haben sie sich lange alleine
durchschlagen können. Später hatten sie durch den (meist)
in Österreich geborenen Nachwuchs die Möglichkeit, sich
vieles leichter zu machen. Doch je älter die Kinder werden,
desto eher möchten sie ihre Eltern dazu ermutigen, den Alltag
hierzulande zumindest etwas selbstständiger zu bestreiten,
da sie nicht für immer bei ihnen wohnen werden und
dadurch öfter außer Reichweite sein könnten. Eine ziemlich
verkehrte Welt, oder?
Passend dazu ist mir in meinem Gastarbeiterfamilien-
Umfeld außerdem oftmals aufgefallen, dass viele MigrantInnen
eigentlich über ganz passable Deutschkenntnisse
verfügen und sich dennoch nicht dazu überwinden können,
alleine zum Zahnarzt zu gehen. Ihnen sind der Akzent und
die Grammatikfehler beim Sprechen vor ÖsterreicherInnen
schlichtweg peinlich. Deswegen schweigen sie lieber und
bleiben im Teufelskreis der Abhängigkeit stecken. Und auch
das ist mit Sicherheit ein insgeheim unfassbar unangenehmer
Umstand für einen erwachsenen Menschen. Wer genießt es
schon ständig, von anderen Unterstützung zu brauchen? Das
Ganze bleibt eine unausgesprochene Tatsache, von der beide
Parteien wissen und die ebenfalls von beiden Seiten akzeptiert
wird.
Dennoch kommt es zwischen ihnen natürlich ebenso zu
Spannungen. Der häufigste Grund sind die
unrealistischen Erwartungen, vor allem
an die Kinder, die in Österreich geboren
und aufgewachsen sind. Das fehlerfreie
Beherrschen der Landessprache wird
von vielen älteren MigrantInnen nämlich
schon beinahe als eine Art Zauberkraft
betrachtet, die es einem ermöglichen soll
jedes Gesetz, jede Ausnahmeregelung,
jedes Amt, jede Adresse und jeden Arzt
zu kennen. Diese lästigen Fehleinschätzungen
und die scheinbar nie endende
große Verantwortung, die Migrantenkinder
übernehmen müssen, sind auf mentaler
Ebene durchaus belastend. Man darf
nicht vergessen, dass sie ab ihrer Jugendzeit auch mit dem
Erwachsenwerden und somit mit ihren eigenen Problemen
beschäftigt sind.
STUMME DANKBARKEIT FÜR DIE
UNSICHTBAREN HELDINNEN
Migrantenkinder finden sich trotz allem einfach damit ab,
dass sie „unbezahlte Nebenjobs“als LaiendolmetscherInnen
und SekretärInnen auf Lebenszeit haben. Ein Dankeschön
kommt den meisten Eltern eher selten über die Lippen. Einerseits
ist das in familiären Strukturen an der Tagesordnung,
anderseits würde offenkundigere Dankbarkeit den Ist-dochselbstverständlich-weil-du-mein-Kind-bist-Faktor
eliminieren
und ihnen ihre eigene Abhängigkeit nur noch stärker vor
Augen halten. Auf den Lebenslauf kommen die zeit- und
nervenaufwendigen Leistungen der Migrantenkinder natürlich
auch nicht. Sie sind für Außenstehende unsichtbar. Für die
Eltern bleiben sie allerdings sichtbar. Sie wissen ganz genau,
was sie ihren Kindern zu verdanken haben, auch wenn sie es
nicht immer laut aussprechen können und das muss manchmal
auch reichen. ●
redaktion@dasbiber.at
/ RAMBAZAMBA / 33
MEINUNG
CORONA IST EIN
FULLTIMEJOB
Ich erstelle ein Deutschreferat für ein Buch, welches ich nie
gelesen habe und bringe einem Kind mit Rechenschwäche
das Einmaleins bei. Nebenbei setze ich mich mit meiner
Teenager-Schwester hin und helfe ihr beim Bewerbungen
Verschicken und täglich gibt es zusätzlich neue Arbeitsaufträge
vom AMS für meine andere Schwester zu erledigen.
Wegen Corona liegt nämlich nicht nur meine Matura auf
Eis, sondern auch der Unterricht an den Schulen meiner
jüngsten Geschwister und die AMS-Kurse der etwas
älteren. Für mich als Älteste jedoch bedeutet das tagsüber
zwischen den Rollen der Lehrerin, AMS-Beraterin und persönlichen
Assistentin hin und her zu springen.
NEUE NORMALITÄT?
Wenn ich mich jetzt an meine kindliche Freude zurückerinnere,
als verkündet wurde, dass die Schulen zugesperrt
werden, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Was
anfänglich so gewirkt hat wie ein Kindheitstraum, der
in Erfüllung geht (Wer hat früher nicht schon mal davon
geträumt, dass die Schule wegen einer globalen Pandemie
ausfällt?), hat sich schnell als das genaue Gegenteil
herausgestellt. Von der neu gewonnen Freizeit, die ich
mit der zusätzlichen Vorbereitung auf die Matura und auf
den Aufnahmetest für das Medizinstudium (und vielleicht
auch zwischendurch einmal mit Atmen) verbringen wollte,
konnte ich mich dadurch getrost verabschieden. Und dann
noch dazu auf Instagram unter Corona-Beiträgen zu lesen
wie ‘geschenkt’ die Matura heuer ist und wíe gut wir es
haben, dass die Uni-Aufnahmetests verschoben worden
sind, bringt mich zum Staunen. Es ist nicht greifbar, wie selten
die meisten Leute über ihren eigenen Horizont hinweg
sehen können, denn ich weiß, dass der Zustand bei mir
daheim kein Einzelfall ist. Aber Hauptsache die Politik klärt
bald, ob es jetzt ‘neue Normalität’ oder ‘Ausnahmezustand’
heißt.
Sumaiya Elmurzaeva ist 19 Jahre alt und macht die Berufsreifeprüfung
bei Dr Roland in Wien.
JUGOS BLEIBEN
DAHEIM!
Die Grenzen sind geschlossen. Wir müssen Urlaub in Österreich
machen. Die meisten Jugos fragen sich spätestens
jetzt: „Wann sehen wir unsere Verwandten wieder?“ Sehr
viele Jugos (ich verwende diesen Begriff für alle Menschen
aus Ex-Jugoslawien) denken an die Zeit zurück, als sie
spontan übers Wochenende runter nach Kroatien, Bosnien,
Serbien fahren konnten. Eine schöne Zeit war das. Die
ganzen Freunde treffen, eine Grillerei nach der anderen,
Mopedtouren durchs Dorf mit dem Kindheitsfreund hinten
drauf. Ich denke sogar mit Wehmut an das grausame Trinkwasser
unten, das kaum mit dem alpenfrischen Quellwasser
aus dem Salzkammergut zu vergleichen ist.
Wie können wir diese Zeit nachholen, die wir durch die
Krise verloren haben? Das kann uns kein Politiker, kein
Epidemiologe, keiner auf dieser Welt beantworten. Wann
können wir wieder runterfahren? Wann werden die „Jugos“
ihre Häuser auf dem Balkan besuchen können? Dieses
Thema ist allgegenwärtig, wenn ich mit Leuten von „unten“
telefoniere, aber auch unter Austro-Jugos, die es nicht
erwarten können, endlich wieder die besten Ćevape zu
essen. Und zwar in jeder Stadt, die wir mit unserem Golf 2
von Tuzla bis Sarajevo durchfahren.
KEINE ĆEVAPE DIESES JAHR?
„Ich fahre nicht oft runter, aber jetzt, jetzt würde ich sofort
runterfahren! Mein Dorf, meine Leute, alles fehlt mir“, sagt
mir ein Freund und bringt mich auch auf traurige Gedanken.
Wird die schönste Zeit des Jahres dieses Jahr ausfallen?
Abgeblasen? Findet nicht statt?
Wir alle müssen abwarten, wie die Regierungen am Balkan
reagieren und wie es weitergeht. Immer mehr Staaten
öffnen ihre Grenzen. Wir können nur optimistisch sein, dass
wir den Sommer in unseren Häusern in unseren Heimatstädten
verbringen können. Endlich wieder unsere Freunde,
unsere Familien sehen. Und die saftigsten Ćevape mampfen.
Garantiert ohne Zwiebelsenf, dafür mit Kajmak und
Zwiebeln.
Peter Marković ist 19 Jahre alt und geht in die 4BK der HAK Bad Ischl,
Schülervertreter der HAS/HAK Bad Ischl
34 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF //
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POLITISCHE BILDUNG MIT
_ERINNERN.AT_
© _erinnern.at_
Aus der Geschichte lernen heißt, sich mit ihr
auseinanderzusetzen, ernsthaft und aufrichtig.
Gedenktage helfen uns dabei und „verweisen auf
unsere Verantwortung für eine offene Gesellschaft
und ein entschlossenes Eintreten gegen Antisemitismus
und Rassismus“, so Bildungsminister
Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann. Demokratisches
Grundverständnis sei keine Selbstverständlichkeit
und müsse immer wieder neu erarbeitet werden.
Am 27. April 2020 jährte sich die „Proklamation
über die Selbständigkeit Österreichs“ zum 75.
Mal, der 5. Mai steht im Gedenken gegen Gewalt
und Rassismus und am 8. Mai 1945 wurde Europa
vom Nationalsozialismus befreit. Ein guter Anlass,
um die Wichtigkeit politischer Bildung an unseren
Schulen zu thematisieren und aufzuzeigen, wie
kompetenzorientierte Politik- und Geschichtsvermittlung
ganz konkret aussehen kann.
Seit nunmehr 20 Jahren unterstützt das
Institut für Holocaust Education _erinnern.at_
Herbert Traube wurde 1938 als
Jude aus Wien vertrieben, 1945
kehrte er als französischer Soldat
zurück und befreite Vorarlberg
von der NS-Herrschaft.
2019 besuchte Traube Schulen in
Vorarlberg, ein Interview mit ihm
ist auf www.weitererzaehlen.at
zu sehen.
das österreichische Bildungssystem
mit Lernmaterialien, bietet
hochwertige Fortbildungen für
Pädagoginnen und Pädagogen
an, begleitet Zeitzeuginnen und
Zeitzeugen an Schulen, erstellt
Ausstellungen für Schulen, gestaltet
Lernwebsites für Schulen,
beteiligt sich an Forschungsprojekten
und engagiert sich im internationalen
Dialog, insbesondere
mit Israel. Bereits in den 1970er
Jahren besuchten Überlebende
des Holocaust Schulen, Kontakte
wurden intensiviert und gemeinsam
mit Lehrkräften widmete
man sich neuesten Forschungsergebnissen. In
zahlreiche Begegnungen lernten die Schüler/innen
die so unterschiedlichen persönlichen Lebensumstände
der Überlebenden kennen. BM Faßmann
bedankte sich anlässlich des Gedenktages zum
Ende des Zweiten Weltkrieges, der Befreiung von
der NS-Herrschaft und den Beginn eines vereinten
demokratischen Europas bei den Zeitzeuginnen
und Zeitzeugen, „die unermüdlich ihre Überlebensund
Verfolgungsgeschichte an unsere Jugend
weitergeben“.
POLITISCHE BILDUNG IST
FÄCHERÜBERGREIFEND
Die Gespräche mit Verfolgten der NS-Zeit vertiefen
die vermittelten Unterrichtsinhalte in Fächern wie
Geschichte, Politische Bildung, Religion, Ethik und
darüber hinaus. Neben kognitivem Lernen durch
die Begegnung sind aber vor allem die affektiven
und sozialen Aspekte wichtig; die Gespräche stärken
das Einfühlungsvermögen der jungen Menschen
und allgemein ihre soziale Kompetenz.
LEBENSGESCHICHTEN
BEWAHREN
© _erinnern.at_
Zunehmend wird versucht, mit Videointerviews
die Geschichten und Erzählungen der Überlebenden
für die Zukunft zu bewahren und damit auch
künftig für den Unterricht nutzbar zu machen.
Durch die direkte Auseinandersetzung mit persönlichen
Erfahrungen der Zeitzeug/innen ist es
auch gelungen, bislang unentdeckte Inhalte der
Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust
für den Unterricht zu erschließen, neue Materialien
zu entwickeln und vielfältige Online-Angebote zu
erstellen.
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VERMITTLUNG
VON NATIONAL-
SOZIALISMUS UND
HOLOCAUST IN
EINER VON MIGRA-
TION GEPRÄGTEN
GESELLSCHAFT
Weiterbildungsreisen der Pädagog/innen
nach Israel eröffnen
auch neue Betrachtungsweisen,
wenn sie die Themen
Holocaust und Nationalsozialismus
aus israelischer Perspektive
kennenlernen. Darüber hinaus erfahren sie von
den Bemühungen des „Center for Humanistic Education“,
mittels Holocaust Education den jüdischarabischen
Dialog zu bestärken. Dies ist besonders
wichtig angesichts zunehmend multiethnischer
Schulklassen. Und noch ein ganz wichtiger Aspekt
soll in den Unterricht hereingeholt werden, jener
über das jüdische Leben! Wie sah das jüdische
Leben in Europa vor Verfolgung und Vernichtung
aus und wie leben Juden heute, in Israel, auf der
Welt, mitten unter uns?
ÜBRIGENS …
2019 haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
im Rahmen der von _erinnern.at_
organisierten Schulgesprächen insgesamt
178 Schulen besucht und damit
7.698 Schülerinnen und Schüler erreicht.
Lernen mit Video-Interviews von Opfern des Nationalsozialismus
gibt es beispielsweise unter dem
Motto „Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung
mit Geflüchteten“, auch über eine neue Lern-
App. Informationen unter : http://www.erinnern.
at/bundeslaender/oesterreich/zeitzeuginnen/
lernen-mit-video-interviews-von-opfern-des-nationalsozialismus.
Einen spannenden Erfahrungsbericht
eines Wiener Berufsschullehrers kann man
auch hier nachlesen.
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde das
Zeitzeugen-Programm ausgesetzt. Für viele Zeitzeug/innen,
die alleine leben, ist die derzeitige
Situation sehr belastend. Die gewohnten regelmäßigen
Kontakte und die Gespräche in den Schulen
bleiben aus, daher unterstützt sie _erinnern.at_
auf Distanz. „Es ist uns ein Anliegen, sie in diesen
Wochen nicht alleine zu lassen und die fehlenden
Sozialkontakte ein wenig auszugleichen“, so Moritz
Wein von _erinnern.at_.
Franc Kukovica, als Kärntner Slowene wurde er und
seine Familie von den Nationalsozialisten verfolgt
und diskriminiert. Kukovica ist engagierter Zeitzeuge
und besucht regelmäßig Schulen, hier im Bild
erzählt er Lehrerinnen und Lehrern seine Geschichte.
(Video-Interview auf www.weitererzaehlen.at)
38 / POLITIKA /
DIE
CORONA-MATURA
Heuer gibt es in Österreich coronabedingt eine „verschlankte“
Matura. Was bedeutet das für die 40.000 MaturantInnen, die
sich dauernd den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie hätten es
dieses Jahr leichter als ihre VorgängerInnen?
Von Anna Egger, Andrea Krapf und Aleksandra Tulej, Fotos: Franziska Liehl
Aber eines ist klar: Ihr werdet
immer der Corona-Jahrgang
bleiben.“ – „Na danke. Wie
oft haben wir MaturantInnen
diesen Satz in den letzten Wochen
schon gehört?“, ärgert sich die 17- jährige
Andrea, die im Mai an einer AHS
in Vöcklabruck maturieren wird. „Wir
haben ja „nur“ die schriftliche Reifeprüfung
ablegen müssen. Wir hätten ja viel
länger Vorbereitungszeit auf die Matura
gehabt.“ All das kann sich Andrea von
ehemaligen und zukünftigen MaturantInnen,
ProfessorInnen, Familienmitgliedern
und den Medien anhören. Es
vergeht kein Tag, an dem die 17-Jährige
nicht mit dem Vorwurf, dass sie es „ach
so leicht hätte“, konfrontiert ist. Doch ist
das wirklich so? Hat man es wirklich „so
leicht“, wenn man sich während einer
Pandemie auf die Reifeprüfung vorbereiten
muss?
„
Aber man darf auch
nicht sagen, dass das
eine normale Zeit ist,
in der wir leben.
“
Als die COVID-19-Maßnahmen in
Österreich verhängt wurden, herrschte
zunächst Chaos. Keiner wusste, wie es
weitergeht. An Matura dachte wohl kaum
jemand. Wie soll sie ablaufen? Wird es
überhaupt eine geben? Und wenn ja, in
welcher Form? Einen Monat später stellte
das Bildungsministerium den konkreten
Fahrplan vor. „Aber man darf auch nicht
sagen, dass das eine normale Zeit ist, in
der wir leben“, verlautbarte Bildungsminister
Heinz Faßmann bei einer Pressekonferenz
Anfang April.
Spätestens da war allen Beteiligten
klar: Es wird alles ganz anders als die
Jahre zuvor. Für viele angehende MaturantInnen,
inklusive den Autorinnen dieser
Geschichte, ging das große Bangen erst
richtig los.
„WIR BEKOMMEN NICHTS
GESCHENKT“
Andrea ist eine von rund 40.000 MaturantInnen,
die dieses Jahr in Österreich
die „Corona-Matura“ schreiben wird.
Oder auch die „verschlankte“ Matura,
wie sie in den Medien gern genannt wird.
„Verschlankt“ bedeutet in dem Fall, dass
die mündlichen Reifeprüfungen wegfallen.
Die Matura wird schriftlich nur in drei
Fächern abgelegt – die Note setzt sich zu
einer Hälfte aus der Zeugnisnote und zu
der anderen Hälfte aus der Maturaprüfung
selbst zusammen. In den Fächern,
in denen man eigentlich angetreten
wäre, zählt die Zeugnisnote der achten
Klasse. Im Zweifelsfall sticht die Prüfungsnote.
Konkret: Mit einer Jahresnote
/ POLITIKA / 39
„
Geschenkt, wie
manche hartnäckig
beteuern,
bekommen wir die
Matura nicht.
“
problematisch ausfallen: Statt einer
intensiven Maturavorbereitung sitzen
Abschlussklassen teilweise nur zwei Tage
für jeweils zwei Stunden in der Schule,
so Andrea.
HYGIENEMASS-
NAHMEN:
→ Alle Maturantinnen und
Maturanten bekommen
einen Mundschutz.
→ Die Arbeitsflächen werden
desinfiziert und in jedem
Prüfungsraum steht zumindest
ein Desinfektionsmittelspender
bereit.
→ Die Sitzordnung wird so
gewählt, dass der Sicherheitsabstand
gewahrt bleibt.
→ Maturantinnen und Maturanten,
die der Risikogruppe
angehören, also Vorerkrankungen
haben, erhalten die
Möglichkeit, die Matura in
einem separaten Prüfungsraum
zu schreiben.
Geschenkte Matura?
Wohl kaum!
von einem „Befriedigend“ oder besser
hat man die Matura also quasi schon in
der Tasche. Das ist im Grunde genommen
doch schon eine Durchkommensgarantie?
Geschenkte Matura quasi?
„Nein!“, ist Anna, eine Maturantin an
einer Wiener AHS, die dasselbe Schicksal
der Corona-Matura wie Andrea teilt,
überzeugt. „Natürlich wurde uns Arbeit
erspart. Aber geschenkt, wie manche,
so auch meine Schwester, hartnäckig
beteuern, bekommen wir die Matura
nicht. Das zu behaupten, diskreditiert
unsere Leistungen der letzten acht
Jahre“, zeigt sich die 18-Jährige genervt.
„Es ist einfach unfair. Was können
wir dafür, dass wir dieses Jahr Matura
haben?“, fragt sich Anna. Auch Andrea
ist sich sicher: Es gibt in jeder Klasse
mindestens einen Schüler oder eine
Schülerin, welche/r sich dadurch jetzt
mit schlechteren Noten als gewünscht
abfinden muss. Und dabei nicht einmal
die Chance auf eine bessere hat. Und
auch der Ergänzungsunterricht könnte
ES HERRSCHT CHAOS
Die Vorbereitung auf die Matura an sich
gestaltet sich laut der Oberösterreicherin
online schwieriger. Jede Schule betreibt
Homeschooling auf eine andere Art und
Weise. Während manche LehrerInnen
Tag für Tag einen aufwendigen Onlineunterricht
und laut Andrea sinnvolle
Arbeitsaufträge in den Matura-Fächern
vorbereiten, müssen sich andere MaturantInnen
mit Online-Vorbereitungsprogrammen
wie Mathago oder Studyly über
die Runden helfen. Bundesweit gleiche
Voraussetzungen für die Zentralmatura?
Fehlanzeige. Es ist überall anders,
an jeder Schule, bei jedem Lehrer oder
jeder Lehrerin. Gesamtheitlich betrachtet
herrscht Chaos.
„Hätte man uns das zumindest
nicht ein bisschen früher sagen können?
Hätte ich im Nachhinein gewusst,
dass in meinem Abschlusszeugnis nur
meine Jahresnoten stehen, hätte ich
weitaus andere Fächer gewählt“, so
Andrea. Natürlich konnte im Herbst
keiner wissen, dass die Matura dieses
Jahr unter post-pandemischen Bedingungen
geschrieben wird. Alles, was „die
Erwachsenen“ jetzt tun können, ist, den
Jugendlichen die bestmögliche Alternative
zu liefern. Aber die Jungen haben
eigene Ideen: Andrea und Anna würden
sich beide wünschen, dass man die
Matura einfach abschafft – auch für die
Jahrgänge nach ihnen. Das Abschlusszeugnis
der achten Klasse sollte dann
einfach als Matura-Äquivalent gelten.
40 / POLITIKA /
Das würde viel Stress und unnötiges Hinund-Her
ersparen.
Dieses Jahr wird ihr Wunsch aber
noch nicht in Erfüllung gehen. Sie werden
die Matura wohl oder übel schreiben.
Aber auch nach der Reifeprüfung
wird sich vieles anders gestalten als
bislang. Hat man die „Corona-Matura“
dann in der Tasche, ist der Spuk nämlich
noch nicht vorbei: Maturafeiern,
Maturastreich, Schulball, Maturareisen,
der „Sommer nach der Matura“, den
viele mit Freiheit, Unabhängigkeit und
Unbeschwertheit verbinden - das alles
wird es heuer in der bisher bekannten
Form nicht geben. Statt Sonne, Strand
und Saufen erwarten die Jugendlichen
Mindestabstand, Maske und Maßnahmen,
an die sich alle zu halten haben.
Dazu kommen noch die Zukunftsängste:
Die Angst davor, keine Arbeit zu finden.
Oder die, während einer Wirtschaftskrise
einen unkonventionellen Berufsweg
einzuschlagen. Anna will im Herbst Vergleichende
Literaturwissenschaft sowie
WIE SIEHT DIE „CORONA-MATURA“ AUS?
→ Die mündliche Matura entfällt. Es gibt aber die Option,
mündlich anzutreten, wenn man das will.
→ Die schriftliche Matura findet in drei Fächern statt. Das werden
in vielen Fällen Deutsch, eine Fremdsprache und Mathematik
sein. An berufsbildenden Schulen kann eines der drei
Prüfungsgebiete auch eine fachbezogene Klausurarbeit sein.
Die Dauer der Arbeiten wird um jeweils eine Stunde verlängert,
damit der Prüfungsraum nach jeder Stunde ordentlich
gelüftet werden kann.
→ In die Beurteilung wird die Leistung des letzten Schuljahrs
einfließen, und zwar in dieser Form: 50 Prozent der Gesamtnote
macht die Maturaprüfung aus, und mit 50 Prozent
schlagen die bisher erbrachten Leistungen zu Buche. Damit
soll der Einsatz der Schülerinnen und Schüler im Maturajahr
honoriert und außerdem nicht alles von einer einzigen Prüfung
abhängig gemacht werden, heißt es dazu.
→
In Matura-Prüfungsgebieten, die gewählt wurden und in
denen keine mündliche Prüfung abgelegt wurde, bildet die
Note der 8. Klasse die Maturanote.
→ Wer ein Nicht Genügend erhält, kann dieses Ende Juni bei
einer Kompensationsprüfung ausbessern
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IN WIEN WIRD KEIN KIND
ZURÜCKGELASSEN
Kinder und Jugendliche leiden
besonders unter den Auswirkungen
der Corona-Krise. Wochenlange
Kontaktsperre zu Freunden, zu
wenig Platz in der Wohnung, kein
Laptop fürs E-Learning – das
bringt vor allem lernschwache
Kinder und solche aus sozial
benachteiligten Familien an ihre
Grenzen. Vor allem im Bildungsbereich.
Corona macht Bildung
ungleicher. Jedes Kind hat die gleichen
Chancen verdient.
Damit Kinder beim Lernen zu Hause
nicht zurückfallen, hat die Stadt
Wien 5.000 Laptops für Wiener
SchülerInnen ab der 5. Schulstufe
bereitgestellt. Für alle Wiener Schul-
Christian Fürthner
Josef Taucher,
SPÖ-Klubvorsitzender:
„Ob Groß oder Klein – in
Wien halten wir zusammen.“
klassen wurden E-Learning-Teams
eingerichtet, die dabei helfen, sich
zu Hausübungen und Lerninhalten
abzustimmen. Zudem können
SchülerInnen zwischen 10 und 14
die Gratis-Lernhilfe der Stadt Wien
online nutzen. Förderung gibt es
in den Fächern Deutsch, Mathematik
und Englisch. Dabei stehen
insgesamt 1.500 Kurse für bis zu
15.000 Kinder zur Verfügung.
Die Wiener Kinder- und Jugendarbeit
hat ihre Angebote ins Netz
verlegt, um auch in Krisenzeiten
jungen Menschen Unterstützung
zu bieten. Es freut mich, dass
auch diese wichtige Anlaufstelle
wieder hochgefahren wird.
Kultur- und Sozialantropologie an der Uni
Wien inskribieren, Andrea wird im Juni
die Aufnahmeprüfung für den Bachelor
„Journalismus und Medienmanagement“
an der FH Wien machen. Anna
und Andrea fragen sich, ob zukünftige
Arbeitgeber oder etwa die Uni diese
„verschlankte“ Matura als vollwertig
ansehen werden.
Diese Ängste dürften unbegründet
sein. „Alle Kandidatinnen und Kandidaten
bekommen ein vollwertiges Reifeprüfungszeugnis,
das alle auch bisher damit
verbundenen Berechtigungen mit sich
bringt“, heißt es seitens des Bildungsministeriums.
Auch laut der Uni Wien
brauchen sich die MaturantInnen keine
Gedanken darüber zu machen. „Diese
Sorgen sind völlig unbegründet. Die
diesjährige Matura ist natürlich gleich
viel wert wie die der vorangegangenen
Jahre“ , sagt Cornelia Blum, Pressesprecherin
des Rektorats der Universität
Wien. „Eine Matura von vor 20 Jahren ist
ja inhaltlich auch nicht so, wie eine Matu-
Maske und Abstand
statt Strand
und Chillen
ra heute – und trotzdem formal gleichgesetzt.“
An der Berechtigung ändere
die „verschlankte“ Matura nichts. Auch
große Unternehmen wie beispielsweise
SIEMENS sehen hier kein Problem. Eine
Bewerberin, die dieses Jahr maturiert
und sich dann bei SIEMENS bewirbt,
würde keine Nachteile gegenüber BewerberInnen
aus den Vorjahren bekommen,
heißt es seitens des Unternehmens.
MATURAREISE IST
GESTRICHEN
Bevor der „Ernst des Lebens“ beginnt,
freuen sich viele auf einen letzten
unbeschwerten Sommer. So auch Anna.
„Die ganze 8. Klasse über habe ich mich
auf diesen Juni gefreut. Wenn ich wieder
einmal Stunden für die VWA recherchiert
oder für einen Test gelernt hatte, dann
habe ich mir vorgestellt, wie ich mein
Maturazeugnis in der verglasten Schul-
Cafeteria überreicht bekomme.“ Anna
hatte sich ausgemalt, wie sie gemeinsam
mit ihren MitschülerInnen, LehrerInnen,
„
Statt mit den
Girls und Boys
am Strand in der
griechischen
Sonne oder an
der italienischen
Riviera zu braten,
sollen wir an einen
heimischen See
fahren.
“
Eltern und Geschwistern im Schulgarten
bei kleinen Broten und Champagner über
die letzten turbulenten Jahre und über
ihre kleinen und großen Zukunftspläne
plaudern wird. All das wird jetzt nur sehr
eingeschränkt möglich sein. Eine Woche
nach der Matura wäre Anna mit ihrem
besten Freund Lucas nach Argentinien
gereist. Mit einem Mate-Tee in der Hand
wären sie vor den Rainbow Mountains
in Salta gestanden und hätten das Jahr
Revue passieren lassen – dieses Bild
hatte Anna klar in ihrem Kopf. Die Reise
ist storniert, Heimaturlaub ist angesagt.
„Statt dem – seit Jahren geplanten –
Festivalbesuch sollen wir schön zuhause
bleiben. Statt mit den Girls und Boys am
Strand in der griechischen Sonne oder an
der italienischen Riviera zu braten, sollen
wir an einen heimischen See fahren“,
ärgert sich auch Andrea.
Vor zwei Tagen ist Anna in ihrem Zimmer
gestanden und ihr Herz hat angefangen
zu rasen. „Jetzt, wo ich bald meine
Matura habe, sollte mir alles offenstehen.
Doch wenn ich an meine Zukunft denke,
bin ich neugierig aber besorgt, wenn ich
mich meinen Abschluss machen sehe.
Stolz aber enttäuscht.“ So oder so, an
diesen Jahrgang wird man sich erinnern.
Wie Anna resümiert: „Denn wir haben sie
geschrieben, die Corona-Matura.“ ●
* Die Namen sind von der Redaktion geändert.
* Alle Bilder wurden für die Geschichte nachgestellt.
Die auf den Fotos abgebildete Person
kommt nicht in dem Artikel vor.
42 / POLITIKA /
MEINUNG
ZWISCHEN KONDOMEN
UND KONSERVATISMUS
Manchmal gibt mein Suchverlauf Anlass zur Annahme, ich
hätte den gesamten Sexualkundeunterricht geschwänzt. Und
das, obwohl ich mich daran erinnere, mit 13 im Biologieunterricht
offiziell aufgeklärt worden zu sein, wenn auch mit
hochrotem Kopf. Meine Freundin Thery, die damals neben
mir gesessen ist, hat kürzlich Folgendes gesagt: „Ich hab‘
das Gefühl, alles, was ich über Sexualität weiß, weiß ich aus
eigener Erfahrung, oder weil ich recherchiert habe.“
Leider muss ich ihr da zustimmen. Zum Beispiel wüsste ich
nicht, dass mir gegenüber je eine erwachsene Person das
Wort Lust im Zusammenhang mit Sex erwähnt hätte. Vor
allem Mädchen, die sich „da unten“ noch nie angefasst
haben, werden frustriert sein, wenn sie anfänglich erleben,
wie ihre Sexualpartner im Gegensatz zu ihnen sehr bald
einen Orgasmus erleben. Ja, es gibt nicht nur den Pay,
sondern auch den Orgasm Gap. Aber über die Möglichkeit
der Selbstbefriedigung (oder Vibratoren) hat niemand mit
ihnen geredet, genauso wenig wie über Vaginismus oder das
fragwürdige Konzept der Jungfräulichkeit. Dem gängigen
Konzept (Penis in Vagina) zufolge bleiben Lesben nämlich ihr
Leben lang Jungfrauen.
HETERNORMATIVES SPEKTRUM, UND WEITER?
Und da wären wir beim nächsten großen Versäumnis:
Die Existenz von Homosexualität und anderen sexuellen
Facetten, von Lehrpersonen auch liebevoll „Abnormalitäten“
genannt. So haben es Gender-Identität und Asexualität
(zumindest zum damaligen Zeitpunkt) ebenfalls nicht in den
Lehrplan geschafft. Wir Schüler*innen haben also von einem
breiten Spektrum einzig das Heteronormative vermittelt
bekommen – die queere Community lässt grüßen.
Falls ich also demnächst etwas über Fetische lernen möchte,
kann ich mich entscheiden, ob ich lieber meine diesbezüglich
konservativen Eltern oder doch meine Mitschrift von einem
noch konservativeren Unterricht befrage. Obwohl, wenn ich
Realitätsferne suchen würde, könnte ich mir genauso gut
einen Porno reinziehen.
Anna Egger ist 18 Jahre alt und geht in die Maturaklasse eines Wiener
Gymnasiums
DER LAPTOP, MEIN
BESTER FREUND
Das Corona-Virus hat für Chaos auf der Welt gesorgt.
Auch in meiner Klasse ging es chaotisch zu. Von einem
Tag auf den anderen mussten wir uns auf den Digitalisierungswahnsinn
einstellen. In der Schule hatte meine Klasse
keinen intensiven und verpflichtenden EDV-Unterricht und
dann soll man sich von heut auf morgen mit diesen elektronischen
Geräten auskennen? Es waren gefühlt hunderte
von Plattformen, die verstanden werden mussten. In meiner
Klasse hat es zu Beginn viele Komplikationen gegeben.
Eltern haben mit Kindern kommuniziert, Kinder mit Lehrern,
Lehrer mit Eltern. Kurz gesagt: Alle kreuz und quer und
jeder mit jedem. Keiner wusste, wie man sich verhalten soll.
Dann habe ich einen jüngeren Bruder, der genauso Hilfe mit
dem Laptop braucht. Nachdem ich mich also durch meine
30 Seiten Physikaufgaben gewälzt habe, musste ich ihm
noch bei seinen Rechenübungen helfen, was auch nicht
leicht war.
ENDLICH SCHULE
Denn mein 10-jähriger Bruder ist nicht gerade begeistert
von Schulaufgaben. Im Nachhinein bin ich aber stolz, weil
ich mich mittlerweile gut mit Computern auskenne. Außerdem
hat es Spaß gemacht, wenn wir uns in der Klasse
Memes und lustige Gifs geschickt haben. Egal wie sehr
man die Schule mag oder nicht mag, ich gehe davon aus,
dass jedem aus meiner Schule die sozialen Kontakte abgehen.
(Mir jedenfalls schon). Das Begegnen auf dem Gang.
Das Lachen, das Diskutieren und das Blödeln in der Klasse
und mit seinen Freunden ist nicht dasselbe, wenn man es
nicht face2face erlebt. Es gibt Mittel und Wege mit Freunden
und Großeltern zu sprechen und doch ist es traurig
mitanzusehen, wie von Tag zu Tag der Computer oder Laptop
unser „bester Freund“ wird. Bald können die meisten
Kinder wieder zur Schule gehen. Aber die Spannung, wie es
weitergehen soll, bleibt. Trotz all dem freue ich mich schon
sehr auf die Schule und darauf, meine Freunde ENDLICH
wieder zu sehen.
Amina Krpuljević ist 12 Jahre alt und besucht die 3A des GRG3 Radetzkstraße
Gymnasiums in Wien.
43 / / RAMBAZAMBA MIT SCHARF / /
43
Das hohe Ross der
WOKEN BUBBLE
44 / POLITIKA /
Die „woke“ Instagram-Bubble urteilt gerne von oben herab, findet unsere
Autorin. Als Anlass nimmt sie die Kritik an dem „Männerwelten“-Video von
Joko und Klaas. Die Diskussion rund um political correctness darf nicht nur
in einer privilegierten Blase stattfinden, sondern muss raus auf die Straße.
Von Aleksandra Tulej, Foto und Collage: Zoe Opratko
Das wird hart und bitter“ - so beginnt das
„Männerwelten“-Video, das mitte Mai auf Pro 7
und im deutschsprachigen Internet die Runde
machte. Im Rahmen der gleichnamigen fiktiven
Ausstellung machten Joko und Klaas gemeinsam mit Sophie
Passmann, Palina Rojinski, Visa Vie und anderen deutschen
Personen der Öffentlichkeit auf sexuelle Belästigung gegenüber
Frauen aufmerksam. Thematisiert werden Dickpics,
verbale sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen.
Das Video geht viral – stößt auf viel positive Resonanz, aber
auch auf kritische Stimmen. Nicht nur von
Männern, die meinen, „dass das doch alles
eh nicht so schlimm ist und sich die Frauen
nicht so aufspielen sollen.“ Zu denen
kommen wir später. Viel interessanter ist
nämlich das andere Kritik-Lager. Jenes
gestaltet sich in der woken Instagram-
Bubble: In dem Video sind nur weiße,
normschöne Frauen zu sehen – People of
Colour, Frauen mit Behinderungen, Transfrauen,
Intersexuelle sind und fühlen sich
durch das Video nicht repräsentiert. Ist diese Kritik wichtig
und richtig? Natürlich. Liegt das überhaupt in meiner Hand,
so etwas als heterosexuelle, weiße Frau zu entscheiden?
Natürlich nicht.
Dass man in einem Video mit einer solch großen Reichweite,
produziert von Menschen, die dieses Bewusstsein
eigentlich haben sollten, im Jahr 2020 auf mehr Diversität
setzten sollte, sehe ich klipp und klar ein. Aber eben – ist das
jedem klar? Es ist den woken, gebildeten Menschen klar. Ist
„
Die Mehrheit ist
eben nicht die belesene,
politisch korrekte,
Missstände
aufzeigende Blase.
“
das beispielsweise den Männern, die Dickpics verschicken,
Frauen auf der Straße nachpfeifen, oder abfällige Hasskommentare
verfassen, klar? Ich denke nicht.
WENN GENDERN SCHON
EIN FREMDWORT IST
Denen ist ja in vielen Fällen nicht einmal klar, dass das, was
sie da tun, überhaupt falsch ist. Um jetzt nicht Birnen mit
Äpfeln zu vergleichen: Das Video zeigt eine Problematik auf,
mit der so ziemlich jede Frau schon einmal konfrontiert war.
Eine Problematik, die vielen Männern,
die sich damit auseinandersetzen wollen,
erst bewusst wird. Eine Problematik, die
genau die Männer ansprechen sollte, die
Täter sind. Eine Problematik, die endlich im
Mainstream angelangt ist. Dass das, was
unzähligen Frauen wiederfährt, wirklich
„hart und bitter“ ist. Na, guten Morgen?
Um das Ganze mal herunterzubrechen:
Der Großteil der Männer, an die dieses
Video gerichtet ist, weiß nicht einmal, wozu Gendern gut ist
oder was das überhaupt bedeutet – was sollen die dann mit
Begriffen wie „intersektioneller Feminismus“ anfangen? Der
Großteil unserer Gesellschaft, egal ob männlich oder weiblich,
bewegt sich nicht in den Kreisen der woken Instagram-
Bubble. Die Mehrheit ist eben nicht die belesene, politisch
korrekte, Missstände aufzeigende Blase. Man kann diese
Debatte nicht auf so einem hohen Level beginnen. Hier muss
man viel weiter unten ansetzen, auch wenn das viele nicht
/ POLITIKA / 45
wahrhaben wollen. Sagen wir einmal, ein
20-jähriger Kevin aus dem Gemeindebau
sieht dieses Video. Kevin ist nicht einmal
einer von den ganz Argen. Nein, Kevin
pfeift regelmäßig Frauen auf der Straße
nach, um sein fragiles männliches Ego zu pushen – ohne
Erfolg. Kevin macht das, weil seine Freunde das auch immer
schon gemacht haben. Er ist ein Mitläufer. Er sieht nun
dieses Video und die Rädchen in seinem Kopf beginnen, sich
zu drehen. Scheinbar ist das, was er tut, ja doch nicht so in
Ordnung. Und dann liest er in den Kommentaren „Aber was
ist mit genderfluiden Personen, was ist mit FLINT-Personen,
was ist mit Frauen, die sich nicht als solche fühlen?“. Kevin
versteht die Welt nicht mehr, schüttelt den Kopf und macht
den Tab wieder zu. Bildungsauftrag verfehlt.
FANGEN WIR MAL
UNTEN AN.
Ganz ehrlich? Ich, als gebildete,
privilegierte Frau, die sich seit
Jahren mit Migration, Diversität und
Geschlechterrollen auseinandersetzt,
sehe mich manchmal in so
einem Kevin wieder. Ich lerne gerne
dazu, verfolge die Diskussionen
zu diesen Themen, und trotzdem
verstehe ich manchmal nicht, was
ein Begriff bedeutet oder wo man
genau bei einer Problematik ansetzen
sollte. Ich lerne ständig dazu.
Was ist dann mit den Menschen,
denen die Bildung, die Zeit oder
ganz einfach das Bewusstsein fehlt,
sich damit zu beschäftigen? Es ist
ja im Grunde genommen immer
dasselbe: Eine Problematik kommt
im Mainstream an, und wird durch
einen oberlehrerhaften Ton der
oberen Zehntausend vom Tausendsten
ins Hundertste diskutiert.
Diese Diskussionen sind unglaublich
elitär. Es sind ironischerweise dieselben Strukturen, die von
den oben genannten oft und gerne kritisiert werden.
Sich mit political correctness, all den Begriffen und
Abwandlungen auseinanderzusetzen und sich damit gut
auszukennen, ist ein wahnsinniges Privileg. Ein Privileg, das
diejenigen, die es haben, auch einsetzen wollen und sollen.
Aber es zeugt gleichzeitig auch von einer gewissen Arroganz
denjenigen gegenüber, die eben noch nicht so weit sind oder
„
Sich mit political
correctness, all
den Begriffen und
Abwandlungen
auszukennen, ist
ein wahnsinniges
Privileg.
“
biber-Autorin Aleksandra Tulej
nicht so weit sein können. Von dem hohen
Ross herab lässt es sich leicht urteilen.
Wenn man sich innerhalb einer gewissen
Zielgruppe bewegt, kann man das
auch. Darüber zu diskutieren, was nicht
alles problematisch, ungerecht oder nicht genug inklusiv
ist. Aber wenn alle miteinbezogen werden sollen, wird das
wesentlich komplexer. Ironischerweise ist das dann eben null
inklusiv. Und im Endeffekt geht es ja nicht um diese oberen
Zehntausend - die verstehen diese Debatten innehrhalb der
Debatten. Aber die breite Masse versteht es nunmal nicht.
ES GEHT IN DIE RICHTIGE RICHTUNG
Um nochmal auf das Video Bezug zu nehmen: Joko und
Klaas, die dieser Tage von der halben deutschsprachigen
Welt gefeiert werden, waren es, die
2012 im Rahmen eines Gags einer
Frau auf die Brüste gegrapscht
haben. Wir erinnern uns. Damals
fanden sie so etwas lustig, heute
verabscheuen sie es. Ich sage:
Fortschritt. Augenrollen? „Na Bravo,
dass die das mal gecheckt haben?“.
Eh. Aber daran sieht man, dass die
Entwicklung eben eine schleichende
und sich-ziehende ist. Dennoch
geht es in die richtige Richtung.
Abgesehen von dem Video
und gesamtheitlich betrachtet:
Ich frage mich so oft bei solchen
Debatten, wie Menschen, die sich
nicht damit befassen, da überhaupt
mitkommen sollen. Wir sind als
Gesellschaft noch nicht so weit. Die
woken Menschen, die sich innerhalb
der Bubble bewegen, werden diese
Kritik dankend annehmen. Diejenigen,
die sich damit auseinandersetzen,
werden auch dazulernen.
Aber der Mainstream braucht noch
viel, viel mehr Grundlagen, damit so
eine Debatte in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Um den
Diskurs breitenwirksamer und somit sinnvoller zu machen,
muss man in kleineren Schritten arbeiten. Dazu gehört
natürlich, diese Missstände aufzuzeigen, zu informieren und
zu erklären – durch die, die dieses Bewusstsein haben. Aber
bitte ohne dabei so von oben herab zu handeln, sondern so,
dass es wirklich bei allen ankommt. Gelebte Inklusion. ●
46 / POLITIKA /
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„Ich habe mich nachts
einfach rausgeschlichen.“
48 / RAMBAZAMBA /
Es gibt kaum eine lustfeindlichere Zeit, als die einer
weltweit grassierenden Pandemie. Wie verändert
sich unser Dating-Verhalten durch Corona? Eine
Untersuchung – mit einer Armlänge Abstand.
Von Nada El-Azar, Illustrationen: Linda Steiner
Lars * hatte sein erstes Tinder-
Date mit Anna * am Sonntag,
den 15. März. Das war der
letzte Tag, bevor der Lockdown
in Österreich begann. „Die baldige
Ausgangssperre war uns beiden klar und
das lag bei unserem Treffen auf jeden
Fall in der Luft“, erzählt der 26-jährige
Student. Die beiden machten wegen
des schönen Wetters eine ausgedehnte
Fahrradtour auf die Donauinsel, weit weg
von größeren Menschenansammlungen.
„Ich habe schon eine gewisse Aufregung
gespürt, insbesondere in den nächsten
Tagen, in denen wir uns weiter getroffen
haben.“ Der Reiz des heimlichen, wenn
nicht auch ein bisschen verbotenen Treffens
beflügelte ihre junge Bekanntschaft.
Obwohl Lars und Anna sich erst kennenlernten,
blieb sie gleich mehrere Tage bei
ihm in seiner WG. „Normalerweise würde
ich die Dinge niemals so überstürzen,
aber die Corona-Sache brachte uns dazu,
uns direkter für uns zu entscheiden“,
erzählt er. In seiner WG einigten sich alle
Mitbewohner auf eine „Ausnahme“, was
Besuch betraf. „Und ich hatte noch nie
so ausgedehnten und intensiven Sex wie
in der Quarantäne – oft über mehrere
Stunden. Wir brauchten gar kein Netflix,
wir haben uns mit uns beschäftigt. Das
war etwas ganz Neues.“
CORONA ALS „BEZIE-
HUNGSKATALYSATOR“
Ganz ähnlich ging es auch dem knapp
40-jährigen John * . Der Engländer lebte
bis vor Kurzem viele Jahre polyamor. Das
bedeutet, dass er intime Beziehungen zu
mehreren Frauen hatte, die auch voneinander
wussten. „Viele Leute denken,
dass Polyamorie eine Ausrede dafür ist,
von Bett zu Bett springen zu können.
Aber das ist nicht aufrichtig“, erklärt er.
Für ihn gab es das oberste Prinzip: Er
wollte niemals mit einer Partnerin wohnen.
Selten übernachteten sogar seine
Freundinnen bei ihm. „Ich lebe gerne
allein und plane nicht, das in nächster
Zukunft zu ändern.“ Das war, bevor er
Nadine * über eine Anzeige im Internet
kennenlernte. Binnen Wochen warf John
all seine anderen Beziehungen über
einen Haufen und beschloss, monogam
mit Nadine zu werden. Ihre große Phase
der Verliebtheit wurde durch die Quarantäne
unterbrochen, wo sie sich zunächst
nicht trafen. „Anfangs experimentierten
wir viel mit Cybersex auf Skype, was
zunächst umwerfend war. Aber irgendwann
hat das nicht mehr gereicht. Jetzt
wohnt Nadine vorübergehend bei mir,
arbeitet halbtags am Computer und
es funktioniert sogar erstaunlich gut.“
Sowohl für Lars, als auch John wurde die
Corona-Krise zu einer Art Beziehungskatalysator,
der schneller eine intime
Nähe geschaffen hat, als sie es von
früher kannten. „Manchmal hatte ich das
Gefühl, da draußen geht die Welt unter,
während ich mit ihr im Bett war. Es war
wie ein Druck, der uns enger aneinanderpresste“,
erinnert sich Lars. Dieser
Druck verschwand jedoch genauso
schnell wie er gekommen war, als Anna
zurück nach Deutschland zu ihren Eltern
fuhr. „Sie isolierte sich ganz korrekt zwei
Wochen lang in einem Zelt im Garten,
um ihre Eltern nicht zu gefährden, die im
Krankenhaus arbeiten.“ Lars wurde klar,
dass die Quarantäne einen größeren Einfluss
auf seine Gefühle hatte als gedacht.
„Wir telefonieren ab und zu, aber die
Intensität ist definitiv in dieser Zeit abgeflaut“,
so Lars. Er chattete weiter auf
Tinder, um sich abzulenken. Viele Frauen
schrieben in ihre Beschreibungen, dass
sie sich derzeit nicht treffen würden,
aber Skypen möglich wäre. „Ich weiß
nicht, wie es mit Anna wird, wenn sie
zurückkommt. Aber ich genieße sowieso,
dass ich so viel Zeit für mich habe.“
UNI ALS ALIBI
Für Zeynep * brachte die Corona-Zeit hingegen
keine romantischen Durchbrüche.
Die 22-jährige Studentin mit türkischen
/ RAMBAZAMBA / 49
„
Ich dachte, ich
müsste so etwas
nicht mehr machene
– aber ich habe
mich nachts einfach
rausgeschlichen,
um mein Gspusi zu
treffen.
“
Wurzeln wohnt bei ihren Eltern, die eher
konservativ ticken. „Für meine Eltern
kommt ein Freund nicht in Frage, was
es mir in meiner Schulzeit schon sehr
schwer machte, jemanden ernsthaft kennenzulernen
und auf Dates zu gehen.“
Die Universität war für sie das ultimative
Alibi, den ganzen Tag außer Haus zu
sein, ohne störende Anrufe besorgter
Eltern. „Wenn ich um 18 Uhr noch in ein
Café gehen möchte, löst das oft eine
endlose Diskussion zuhause aus. Wenn
ich hingegen sage, ich würde noch in die
Bibliothek oder in ein Seminar gehen,
wünschen mir meine Eltern viel Erfolg.
Die Uni stellen sie niemals in Frage“,
lacht sie. Jetzt, wo es keine Lehrveranstaltungen
gibt und die Bibliotheken
geschlossen sind, braucht Zeynep einen
neuen guten Grund. „Spazieren gehen
tue ich schon ab und zu, aber da kann
man sich momentan auch nicht näherkommen,
ohne wie jemand zu wirken,
dem das Wohl der Menschen egal ist.
Das frustriert mich sehr“, so Zeynep.
Wenn sie mit ihren Freundinnen aus der
Uni über ihre Probleme sprechen will, tut
sie das bei Spaziergängen zum Supermarkt.
„Zuhause habe ich keine Privatsphäre,
wegen meiner Schwester. Die
Wände sind dünn, da kann ich nicht über
mein Liebesleben sprechen. Auch wenn
das momentan nicht existiert.“
In einem Jahr schließt Zeynep die
Universität ab, danach möchte sie in
eine WG ziehen. „Ich hatte sowieso vor
auszuziehen, aber erst Corona hat mir
gezeigt, wie viel schneller das eigentlich
passieren muss. Das wird sicher nicht
einfach werden mit meinen Eltern, aber
irgendwie werde ich das schon hinbekommen.“
Zuhause vertreibt sie sich die
Zeit auf Tinder. „Mir schreiben eindeutig
mehr Typen als vor Corona, wahrscheinlich
aus Langeweile.“ Längere Zeit kam
ihr die App nicht wie eine Dating-App
vor, sondern mehr wie eine Plattform zur
Selbstinszenierung. „Tinder ist wie Instagram
geworden, es geht schon lange
nicht mehr ums Treffen. Sondern um das
gute Gefühl, wenn man zwei Dutzend
Matches in der Inbox hat. Das ist wie
Likes sammeln.“
RAUSSCHLEICHEN WIE
FRÜHER
In Ninas * Innsbrucker WG sorgten zwar
50 / RAMBAZAMBA /
„
Ich bin mittlerweile
genervt, wie viele
Bekannte sich
von mir nur mehr
sporadisch melden.
“
keine strengen Eltern für Stress, dafür
aber zwei übervorsichtige Mitbewohnerinnen.
„Ich dachte, ich müsste so etwas
nicht mehr machen, wenn ich nicht mehr
bei meinen Eltern wohne – aber ich habe
mich nachts einfach rausgeschlichen, um
mein Gspusi zu treffen“, so die 28-Jährige.
Ihre Mitbewohnerinnen wollten
nämlich partout nicht, dass Nina sich mit
Leuten trifft. „Sie waren der Meinung,
dass man nicht einmal spazieren gehen
sollte, wie es eben in Tirol so war.“ Zwei
Mal wöchentlich verließ sie nachts das
Haus, um sich in eine andere WG zu
schleichen. „Eine meiner Mitbewohnerinnen
arbeitet beim Bäcker und geht
daher früh schlafen. Die andere hat
ohnehin niemals Dates und ist meistens
genauso um halb zehn im Bett.“ In der
Gspusi-WG war es überhaupt kein Problem,
wenn Nina nachts vorbei kam. „Ich
bin mir ziemlich sicher, dass die beiden
es gemerkt haben, weil sie mit offener
Schlafzimmertür schlafen. Es gibt nämlich
noch einen Hund bei uns.“ Zu einer
Konfrontation kam es zu Ninas Erstaunen
aber nie.
CORONA-SEXPRAKTIKEN
Helena * ist 27 und hat seit einigen
Wochen eine „Fickbeziehung“, wie sie es
nennt. „Wir wissen beide voneinander,
dass wir uns eigentlich ganz gut an die
Abstandsregeln halten. Deshalb treffen
wir uns“, so die Studentin mit kroatischen
Wurzeln. „Obwohl, einmal hat er
mich besucht und hat mir dann plötzlich
einen Polster auf mein Gesicht gelegt,
als wir Sex hatten. Aber nicht auf eine
sexy Art“, lacht sie. „Er meinte, dass er
das macht, damit mein Atem ihn nicht
so trifft, wegen Corona. Ich hab nur den
Polster weggelegt und wir haben normal
weitergemacht. Das war schon ein bisschen
komisch.“
DATINGFAKTOR ABSTAND
Ada * ist seit Wochen mehr als verunsichert.
Einerseits achtet sie auf die Hygiene-Maßnahmen,
andererseits fühlt sie
sich ein wenig einsam. „Ich hätte gerne
eine Person, mit der ich das durchstehen
kann. Ich gehe auf viele Dates, aber meistens
ist nie der Richtige dabei“, erzählt
die 28-Jährige. Seit Jahresanfang wohnt
sie in ihrer ersten eigenen Wohnung,
das lange WG-Leben war damit vorbei.
„Ich wohne wirklich gerne alleine, aber
trotzdem fehlt gerade der ideale Corona-
Buddy. Ich bin mittlerweile genervt, wie
viele Bekannte sich von mir nur mehr
sporadisch melden.“ Ada ist auf allen
gängigen Dating-Plattformen unterwegs
und vereinbart Treffen zum Spazieren
oder Radfahren. „Man fragt sich dann
immer ganz vorsichtig, wie man das mit
dem Abstand so macht und ob man sich
daran hält. Das ist schon ein Faktor, der
immer mitspielt. Wenn man eine fremde
Person trifft, will man ja wissen, ob sie
‚safe‘ ist.“ Das Abstandhalten bestimmt
damit auch die Vertrauenswürdigkeit
einer Person. „Würde man erzählen, dass
man ständig auf Partys geht, wirkt das
fast ein bisschen asozial und gefährlich.
Es wird schwierig, sich näher zu kommen,
auch wenn ein Date mal gut läuft.“
DIE NEUE
GRETCHENFRAGE
„Nun sag, wie hältst du es mit dem
Abstand?“ – das könnte die neue Gretchenfrage
unserer Zeit werden, die sich
mit unserer Vernunft immer wieder aufs
Neue duellieren wird.●
* alle Namen von der Autorin geändert.
/ RAMBAZAMBA / 51
MELD DICH
AN!
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mit deiner Smartphone-Kamera
abfotografieren!
© Anita Maria Springer
Die biber SUMMER SCHOOL –
Journalismus-Skills mit Aussicht
„Corona“ hat uns gelehrt: Keine Schule ist auch nicht cool. Und ein Sommer ohne Plan macht das
Leben nicht besser. Dein lang ersehnter Sommertrip storniert, das ergatterte Praktikum abgesagt,
stattdessen heißt es nun Geschwister babysitten und Heimaturlaub im Burgenland. Acht Wochen können
lang sein. We feel you.
DAS PROGRAMM DER BIBER
SUMMER-SCHOOL
Biber schafft Abhilfe: In der biber Summer-School
lernst du Journalismus-Skills von der schärfsten
Redaktion des Landes. In kleinen Klassen erfährst
du, wie du deine Storyidee in einer Redaktionssitzung
pitchst, welche Headline wie viele Klicks bringt
und was guten Content für Social-Media ausmacht.
Du wirst recherchieren, schreiben, bloggen und
Videos machen. In Workshops lernst du das „Mobile-Reporting“
kennen und erfährst
von Profis, die bei Krone, Heute
oder dem ORF arbeiten, wie der
österreichische Tagesjournalismus
tickt. Das und vieles mehr.
DIE TERMINE DER BIBER
SUMMER-SCHOOL
Die biber Summer-School findet in
Blöcken im Juli 2020 statt. Jede
Woche startet und endet eine
Klasse. Du hast also vier Terminblöcke
zur Auswahl, wann es eben für dich passt! Die
Unterrichtszeit ist von Montag bis Freitag jeweils
vormittags, von 9 bis 13 Uhr.
DIE KOSTEN UND VORAUSSETZUNGEN
DER BIBER SUMMER-SCHOOL
Die Summer-School kostet nix! Das Angebot gilt
für SchülerInnen ab einem Alter von 16 Jahren +.
Voraussetzungen brauchst du keine erfüllen, Hauptsache
du bist engagiert dabei.
TERMINBLÖCKE
ZUR AUSWAHL:
6.–10. Juli 2020
13.–17. Juli 2020
20.–24. Juli 2020
27.-31. Juli 2020
DEIN ZERTIFIKAT VON DER BIBER
SUMMER-SCHOOL
Uns ist natürlich klar: Nur zum Spaß stehst du in
den Ferien nicht vor Mittag auf. Daher erhältst du in
der Summer-School nicht nur Journalismus-Skills,
sondern wirst am Ende etwas für deine Bewerbungsmappe
zum Vorzeigen haben: Ob Blog, Video
oder Instagram-Content. Last but not least: Für eine
erfolgreiche Teilnahme gibt es ein Zertifikat.
DIE HYGIENE BEI DER
BIBER SUMMER-SCHOOL
Natürlich achten wir darauf, die
Teilnehmerzahl klein zu halten,
damit stets genügend Babyelefanten
zwischen euch Platz haben.
Wer keinen Laptop mitbringen
kann, dem stellen wir gerne einen
Computer zur Verfügung.
PARTNER DER BIBER
SUMMER-SCHOOL
Neben der schärfsten Redaktion
des Landes sorgen diese Kooperationspartner für
hochwertigen Unterrichtsstoff in der Summer-
School: Forum für Journalismus & Medien (fjum)
und Teach for Austria.
ANMELDUNG FÜR DIE BIBER
SUMMER-SCHOOL
Lust bekommen? Dann JETZT bei Amar Rajković mit
Wunschtermin anmelden: rajkovic@dasbiber.at
Oder per DM auf Instagram: dasbiber
WIR FREUEN UNS AUF DICH!
„Ich bin kein
54 / RAMBAZAMBA /
Opfer…
…und auch kein Täter!“
geht in
die zweite
Runde
In Workshops von biber und ÖIF lernten
Mädchen und Buben in getrennten Gruppen,
wie sie in brenzligen Situationen die
Ruhe bewahren und Gewalt vermeiden.
Themen, die dabei vorkommen: toxische
Männlichkeit, Genderstereotype und
Gewaltprävention.
Von Aleksandra Tulej und Amar Rajkovic, Fotos: Soza Jan
/ RAMBAZAMBA / 55
Wie wehre ich mich gegen sexuelle Belästigung? Trainerin Renate Wenda gibt den Mädchen Tipps.
Ich schreib‘ nicht. Die schreiben für mich.“ – der 14-jährige
Abu sitzt breitbeinig auf seinem Sessel und grinst
uns entgegen. Seine Mitschüler sind am Boden des
Klassenraums im Kreis über ein Plakat gebeugt. Die
Jugendlichen überlegen, welche Stereotype sie den Begriffen
„Frau“ und „Mann“ zuordnen würden. „Mann: Stark, Uhren,
Arbeit, schreibt das!“, schreit Abu* in die Runde. Auf die
Frage, warum er nicht selbst den Edding in die
Hand nimmt, zuckt er mit den Schultern. „Wieso
sollte ich? Keinen Bock.“ Aber zu sagen hat
Abu einiges. „Komm, schnapp dir einen Stift
und mach mit, die anderen machen auch mit“,
versuchen wir ihn zu überzeugen. Nach einigem
Augenrollen schleppt sich der junge Mann dann
tatsächlich vom Sessel auf den Boden und fragt
„Wie schreibt man Uhr? Das schreib ich auf.“
Es folgt eine angeregte Diskussion darüber,
ob denn Frauen keine Uhren tragen. „Ja, na
schon, aber das ist bei Männern halt sowas wie eine Tasche
bei Frauen“, erklärt Abus Klassenkamerad Omar * . Stichwort
Stereotype: Was bedeutet das eigentlich?
KÖNNEN FRAUEN VON GEBURT AN
KOCHEN?
Genau dieser und anderen Fragen ist die biber-Redaktion
gemeinsam mit den Vereinen Drehungen und poika schon im
Winter- und nun auch im Sommersemester an Wiener Neuen
Mittelschulen sowie einer AHS im Rahmen des Projekts „Ich
bin kein Opfer – und auch kein Täter“ nachgegangen.
Die Mädchen und Buben sind in dem Alter, in dem Themen
wie Geschlechterrollen, Gewaltprävention, Stereotype
und Selbstbewusstsein gerade so prägend und wichtig sind.
Es wurde in getrennte Mädchen- und Bubengruppen viel
diskutiert, gesprochen, gelacht, überlegt, und reflektiert.
Mit Erfolg: Jeder der Jugendlichen konnte am
Schluss etwas für die Zukunft mitnehmen – sei
„
es der Umgang mit MitschülerInnen, Aufbrechen
von Geschlechterstereotypen oder das
Stärken des eigenen Selbstbewusstseins.
„Also, das ist ja nicht so, dass eine Frau von
Geburt an kochen kann“, sagt Martin, als seine
Klassenkameraden beginnen, dem Wort „Frau“
Assoziationen zuzuschreiben. „Ja eh nicht,
aber mein Vater kocht nie. Aber meine Mutter
schon“, zuckt Ali mit den Schultern.
Nachdem sich die Jugendlichen einigermaßen auf Adjektive
geeinigt haben, die sie den beiden Begriffen zuordnen
wollen, präsentieren sie ihre Ergebnisse. Diese sind ziemlich
klar gegliedert: Frau: einfühlsam, Kinder, lange Haare, Makeup,
schön. Mann: stark, Arbeit, Auto, Gucci-Kappe. Das sind
die Begriffe, die sich immer wiederholen. „Muss das denn so
sein?“, fragt Trainer Rick in die Runde der jungen Männer.
„Können nicht beide Geschlechter mit beidem in Verbindung
gebracht werden?“. Es folgt eine Diskussion darüber, ob jede
Stichwort
Stereotype:
Was bedeutet
das eigentlich?
“
56 / RAMBAZAMBA /
„
Es folgt eine Diskussion darüber,
ob jede Frau ein Kind bekommen
muss, ob es Männer mit langen
Haaren gibt und wieso Autos etwas
„typisch Männliches“ sind.
“
Frau ein Kind bekommen muss, ob es Männer mit langen
Haaren gibt und wieso Autos etwas „typisch Männliches“
sind. Dicht gefolgt von einer Debatte über Homo- und Transsexualität.
Von wegen schwaches Geschlecht!
„SCHWUL“ IST KEINE BELEIDIGUNG
Für die Jungs, die so ziemlich alle Migrationshintergrund
haben und oft in stark traditionellen, patriarchalen Elternhäusern
aufgewachsen sind – was man an ihren Aussagen merkt
– ein unbequemes Thema. Trotzdem sieht sogar Klassen-
Babo Abu am Ende ein:“Ich darf das Wort schwul nicht als
Beleidigung benutzen, das habe ich heute gelernt. Aber ich
bin’s nicht. Wollt ich nur sagen“, sagt er kopfschüttelnd.
Bildungsauftrag erfüllt, finden wir.
Und damit sind wir nicht allein: Das Projekt „Ich bin kein
Opfer und auch kein Täter“ macht die Runde – wir bekommen
Anfragen von den verschiedensten Schulen und Lehrkräften,
die von ihren KollegInnen davon gehört haben. So viele, dass
wir einigen absagen müssen. Dabei ist der Bedarf sichtlich da:
Egal ob an einer NMS mit hohem Migrationsanteil oder an der
Maturaklasse einer AHS in einer „feinen“ Gegend.
ES BETRIFFT UNS ALLE
In einer solchen Klasse wird der Wunsch geäußert, vermehrt
auf das Thema sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe
einzugehen. Vor allem bei den Mädchen. Jede Einzelne in
der Klasse hat etwas zu dem Thema zu sagen – leider. Sie
WAS SAGEN DIE COACHES?
RICK REUTHER,
POIKA:
Wir haben es geschafft,
Räume zu kreieren,
in denen sich alle
Teilnehmenden respektiert
und ernstgenommen
gefühlt haben. So
konnte ein interessanter
Austausch von Erfahrungen
wie auch von Ängsten
und Wünschen entstehen.
Viele Teilnehmer in den Burschengruppen haben
schon auf die ein oder andere Weise Erfahrung mit
Gewalt gemacht - und waren dementsprechend oft
sehr motiviert, gemeinsam drüber nachzudenken,
wie ein gewaltfreieres Miteinander möglich sein
könnte. Ebenfalls spannend waren die Gespräche
über männliche Rollenbilder und die Erwartungen,
mit denen du als Junge und junger Mann konfrontiert
bist - und wie man(n) sich respektvoll und solidarisch
gegenüber Mädchen, Frauen und nicht-binären
Personen verhalten kann. Die Teilnehmer haben sich
da auch oft gegenseitig bestärkt, sich nicht wie ein
Ungustl aufzuführen.
Darüber hinaus war das Projekt auch einfach super,
weil die Menschen in der biber-Redaktion sehr lieb
und cool sind und es viel Spaß gemacht hat so intensiv
zusammenzuarbeiten.
Gerne wieder, 11 von 10 Sternen.
/ RAMBAZAMBA / 57
Die Jungs
diskutierten
über toxische
Männlichkeit und
Stereotype.
teilen Geschichten über Übergriffe von Taxifahrern, sexuelle
Belästigung beim Fortgehen, verbale Gewalt von Gleichaltrigen.
Die Liste ist lang. Trainerin Renate Wenda hört den
Mädchen zu und gibt ihnen Tipps, wie sie sich in Zukunft in
solchen Situationen am besten verhalten. Es werden Selbstverteidigungstechniken
gezeigt und selbstbewusstes Auftreten
geübt. Schreien, stampfen, sich bemerkbar machen.
„Das ist schon cool, man fühlt sich gleich irgendwie stärker“,
sagt die 17-jährige Lena. Doch auch beim männlichen Part
der Klasse wird das Thema sexuelle Gewalt – egal, ob verbal
oder körperlich – nicht ausgelassen. „Wenn ich als Mann vom
Fortgehen heimgehe, kann es sein, dass mich wer ausraubt.
Aber mal ehrlich, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Einem
Mädchen kann viel Schlimmeres passieren“, so Markus.
„Mir war ehrlich gesagt nicht bewusst, wie viele Situationen
es für Frauen gibt, die ur unangenehm sind, aber uns
Männern gar nicht auffallen“, resümiert der 17-jährige Felix *
den dreistündigen Workshop. Am Ende ist in jeder Klasse, mit
der wir gearbeitet haben, die Erkenntnis da: Beide Geschlechter
haben mit Stereotypen und Hürden zu kämpfen – egal in
welchem Alter. Überwinden kann man das nur gemeinsam,
wenn alle mit anpacken. Bis wir keine Opfer und auch keine
Täter mehr sind. ●
WAS SAGEN DIE COACHES?
RENATE WENDA,
VEREIN DREHUNGEN
Die Kurzworkshops für
Mädchen nach der Methode
Drehungen „Selbstbewusstsein,
Selbstbehauptung,
Selbstverteidigung“
fanden im Wintersemester
2019/2020 in 6 Wiener
Schulen statt. 3 Stunden zu
den Themen: wie behaupte
ich meine Grenzen, nein sagen, wo beginnt Gewalt, wie
gehe ich mit Gewalt um, wie kann ich sie umgehen?
Themen, die Mädchen in spezieller Weise betreffen.
Drehungen setzt beim Selbstbewusstsein der
Mädchen an, indem die Sichtweise und Erlebnisse der
Mädchen ernst genommen werden. Der Austausch
unter Mädchen ist dafür sehr wichtig. Mädchen erkennen
Unterschiede untereinander, erfahren aber auch,
dass sie einander auch jenseits von Konkurrenz stärken
können.
Einige Teilnehmerinnen haben bereits Situationen
erlebt, in denen sie bedroht, verfolgt, erpresst, belästigt,
betatscht, (sexuell) diskriminiert wurden oder ihr
Nein nicht gehört wurde - sowohl im näheren Umfeld,
als auch in der Öffentlichkeit.
Über Dinge, die ihnen passiert sind, zu sprechen und
diese klar als Übergriffe zu benennen, entlastet sie und
regt die Auseinandersetzung im Umgang damit an. Empathie
durch die Gruppe und gemeinsame Empörung
tut allen gut. Kleine Rollenspiele, wie sie mit Übergriffen
umgehen können, sind für sie sehr spannend und
erkenntnisreich.
Neben dem Ernstnehmen ist auch Spaß ein wichtiger
Faktor in einem Drehungen-Kurs.
Besonderen Spaß haben die Mädchen am Toben und
am laut sein Dürfen. Laut und klar nein zu sagen, eigene
Grenzen mit Worten zu ziehen, macht sie stark und
selbstbewusst. Hinweise auf Haltung, Stabilität und auf
den persönlichen Raum und wie sie diesen schützen
können, sind wichtige Trainingsinhalte.
Einfache Techniken der Selbstverteidigung nach der
Methode Drehungen zu erlernen, stärkt das Selbstbewusstsein
der Mädchen. Viele sind überrascht, wie
einfach sie aus Festhaltegriffen freikommen können.
Wie eine Kursteilnehmerin einmal treffend formulierte:
Am meisten mochte ich die Befreiungen ohne dass es
der andere merkte. Wenn dich jemand z.B. festhält,
befreist du dich und stehst auf einmal von Angesicht
zu Angesicht. Ich war selber überrascht, wie schnell
und einfach das ging. Da hieß es bloß Drehung – in die
Augen schauen - und Schutzposition einnehmen.“
Für mehr Sicherheit mit den Techniken empfiehlt sich
ein 10-stündiger Drehungen-Grundkurs. Schon nach
einem 3-stündigen Kurzworkshop fühlen sich die Mädchen
aber gut gestärkt und haben viel Neues und für
sie Nützliches dazugelernt.
58 / RAMBAZAMBA /
„Das ist schon cool, man fühlt sich irgendwie stärker!“
VEREIN DREHUNGEN
Kurse für Mädchen und Frauen,
um Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen
und Selbstverteidigung zu
fördern. Prävention gegen verbale,
physische und psychische Gewalt
an Frauen und Mädchen.
www.verein-drehungen.at
POIKA
Verein für gendersensible Bubenarbeit
in Ergänzung und Zusammenarbeit
mit Mädchenarbeit.
Poika orientiert sich an emanzipatorischen
Modellen, die es
den Buben ermöglichen sollen, in
reflektierter Umgebung sich mit
diversen Themen wie Geschlechtskonstruktionen
von Weiblichkeit
und Männlichkeit, Berufsorientierung,
Gewalt, Sexualität, uvm.
auseinanderzusetzen.
www.poika.at
ÜBER DAS PROJEKT
„Ich bin kein Opfer!“ und „Ich bin kein Täter!“ – dieses Gefühl und
Selbstverständnis stärkt biber gemeinsam mit dem Österreichischen
Integrationsfonds mit einem gezielten „Selbstverteidigungs- und
Sensibilisierungs“-Projekt zur Gewaltprävention schon bei Schülerinnen
und Schülern. Unter der Leitung von erfahrenen Trainern erlernen die jungen
Mädchen neben körperlichen Verteidigungstechniken auch psychologisch
taktisches Vorgehen. Gleichzeitig setzt das Projekt auf der Seite der
Burschen an – ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen. Mit Rollenspielen
zum Thema Mobbing, sexuelle Orientierung und sexuelle Belästigung soll
auf Tabuthemen eingegangen und das Thema der „Prävention sexualisierter
Gewalt“ erlebbar gemacht werden. So wird sensibel ein Bewusstsein
dafür geschaffen, was sexuelle Übergriffe und Gewalt sind und wo
Grenzen überschritten werden. Im Rahmen dieser Kurse werden den
Schülern Verhaltens- und Handlungsstrategien aufgezeigt und Gespräche
auf Augenhöhe über
eigene Erfahrungen geführt. Biber schafft mediale Aufmerksamkeit für
dieses wichtige Thema, indem wir breitenwirksam auf den biber-Kanälen
darüber berichten: Ob in Videos, Insta-Stories auf Social Media oder in den
Newcomer-Editionen.
DIESES PROJEKT WIRD DURCH DEN ÖSTERREICHISCHEN
INTEGRATIONSFONDS FINANZIERT
/ RAMBAZAMBA / 59
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Aleksandra Tulej
MEINUNG
Reißt’s euch zam.
Ich war eines von diesen superproduktiven
Quarantäne-Arschlöchern.
Ihr wisst schon, von denen, die
dem ganzen Internet verhasst sind.
Jeden Tag zu Pamela Reif mitgeturnt,
Masterarbeit geschrieben, Homeoffice
strenger genommen als so manch Ausgangsbeschränkung.
Schön für mich?
Find ich auch. Auch schön für diejenigen,
die die Zeit zum Chillen genutzt
haben. Auch geil. Aber jetzt kriechen
die Chiller auf einmal aus ihren Höhlen
und bombardieren mich mit „Boah,
ich wär auch gern so motiviert wie
du! Du machst mir so ein schlechtes
Gewissen…“- Statements. Motiviert ist
nicht das richtige Wort. Motiviert wär
ich wieder mal um 6 Uhr morgens aus
dem Club zu stolpern wie in good old
2019. Wird’s aber länger nicht spielen.
Ich bin weder super organisiert noch
übermäßig ambitioniert. In meinem
Kopf herrscht größeres Chaos als
im Nahen Osten. Aber es gibt ein
Credo, nach dem ich auch ohne
Pandemie lebe: Ich will was, ich tue
was dafür. Und jammere dann nicht
andere voll, wenn nix weitergeht.
So schwer ist das nicht. Bevor ich
hier noch gelyncht werde: Immerhin
hab ich kein Bananenbrot
gebacken.
tulej@dasbiber.at
WIEN DARF
NICHT
ÖSTERREICH
WERDEN
Wiener Modelabel und
Kunstprojekt / Initiatorin
Valentina im Interview
Liebe Valentina, wie würdest du „Wien
darf“? in drei Worten beschreiben?
Frech, provokant, witzig
Was ist die Idee und das Konzept hinter
"Wien darf?" Wie bist du auf die Idee
gekommen, sowas auf die Beine zu
stellen?
Wien darf hat mit dem Spruch „Wien
darf nicht Österreich werden“ meines
Künstlerfreundes Tomak begonnen. Ich
habe daraus T-Shirts gemacht, dann
folgte eine gemeinsame Ausstellung
mit demselben Namen. Es hat somit
als Kunstprojekt gestartet. Nach und
nach kamen weitere Ideen und Designs
Beauty-Tipp
ZIEMLICH
ZIEGENMILCHGEIL
Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen
war, als ich in Polen auf
einem Bauernhof gezwungen wurde,
Ziegenmilch zu trinken. War eklig,
ich hab’s gehasst. Aber irgendwas
machen die Polen in Kombination
mit Ziegenmilch dann doch richtig:
Die polnische Marke ZIAJA, die seit
einiger Zeit auch in Österreich
erhältlich ist, hat eine Linie voller
Produkte mit – ja, ihr habt
es erraten: Ziegenmilch.
Ich benutze das Duschgel, die
Bodylotion, das Serum und
die Cremen seit Jahren. Die
Produkte sind voll mit den
Vitaminen A und D, machen
die Haut super glatt und weich
und riechen einfach extrem
gut. Nicht nach Ziege.
von mir. „Wien darf“ ist mittlerweile
ein Alleinprojekt von mir. Gedruckt und
gestickt wird ausschließlich in Wien.
Wer fällt vorrangig unter deine Zielgruppe?
Komplett durch die Reihe von 15 bis
50. Hauptsächlich aber Wiener und
Wienerinnen.
Was ist die Message? Ist der Spruch
politisch?
Das soll jeder für sich selbst entscheiden!
Wo bekommt man deine Klamotten?
Online auf wiendarf.bigcartel.com. Ein
paar Stücke finden sich aber immer
wieder in der Burggasse 24.
Instagram: wiendarf
VOR EINER DEKADE
WAR ICH MAL COOL
Superkurze Jeans-Hotpants mit zerrissenen
Strumpfhosen. Darüber ein kariertes
Hemd und Lederjacke. Am Kopf eines von
diesen Hippie-Haarbändern, an den Armen
Festival-Bändchen. Die dreckigen Chucks
natürlich immer voll mit dabei. Das war
post-Emo und pre-Hipster. Es war 2010,
das Jahr meiner Matura, das Jahr der neu
gewonnenen Freiheiten. Jenny Humphrey
von Gossip Girl war damals mein Styling-
Vorbild, so retrospektiv betrachtet. Ein
Statement gegen Louis Vuitton und Thomas
Sabo, sehr edgy. So
richtig anders als die
anderen natürlich –
und somit genau wie
halb tumblr. Aber ich
vermisse diese Zeit,
diesen Style und diese
Unbeschwertheit.
Ich wär’ gern wieder
so cool wie damals.
© Marko Mestrovic, Aleksandra Tulej, Ziaja, Wien darf
60 / LIFESTYLE /
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Ob Kuscheldecke oder doch zum
Sport, ob langer Tag oder zu kurze
Nacht – die Produkt-Vielfalt von BI
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MEINUNG
IST HERKUNFT GLEICH
HEIMAT?
Am 26. August 2019 nahm mein Leben eine Wende, als
ich die Bundeshymne hörte und einen Eid ablegte, diesem
Land gegenüber treu zu bleiben. Ein unvergesslicher
Tag, an dem ich nach Verleihung der österreichischen
Staatsbürgerschaft die Beamtin Frau Biljonić neugierig
fragte: „Bin ich jetzt Österreicherin?“. Und sie sagte: „Ja,
jetzt bist du Österreicherin.“
ICH BIN EIN TEIL VON ÖSTERREICH
Es heißt, dass der Höhepunkt der Integration der Erwerb
der Staatsbürgerschaft ist, doch ich habe mich nie fremd
gefühlt, um mich zu integrieren. Ich bin zwar nicht hier
geboren, doch die einzige Stadt, die ich von Herzen als
Heimat bezeichne, ist Wien. Immerhin darf ich Österreich
offiziell meine Heimat nennen, doch im Stiegenhaus erlebe
ich noch hasserfüllte Blicke. Eine Pensionistin erzählte
mir von ihren Problemen mit den Türken am Flohmarkt
und beschwerte sich über die ägyptische Familie im
Haus. Mich irritierte besonders der Satz: „Seit die Türken
gekommen sind, ist alles zerstört.“ In diesem Moment
hätte ich sie darauf aufmerksam machen können, dass
sie aufhören soll, mich ständig aufzuhalten, doch ich
schwieg geduldig und hörte ihr zu. Älteren Menschen
gegenüber Respekt zu zeigen und sie nicht zu unterbrechen,
ist Teil meiner afghanischen Erziehung. „Deutsch
ist nicht ihre Muttersprache“, hat meine ehemalige
Deutschlehrerin am Elternsprechtag gesagt. Wieso denke
und fühle ich dann auf Deutsch? Nur bei Köstlichkeiten
ziehe ich die afghanische Küche vor.
Um sich als Teil von Österreich zu fühlen, muss man
nicht Deutsch als Muttersprache oder Eltern aus Österreich
haben. Ich verbinde das Beste aus Afghanistan mit
meiner Heimat.
Yalda Ghodrat ist 20 Jahre alt und geht in die 8C der AHS Geringergasse
in Wien.
MEIN ERSTES JAHR
IN ÖSTERREICH
Ich war sieben, als ich nach Österreich kam. Das war
im Jahr 2014. Wir sind in der Früh angekommen und
mussten zur Polizei gehen, damit sie wussten, dass
wir neu in Österreich sind. Wir haben einen Monat im
Flüchtlingsheim gelebt. Meine Verwandten aus Wien
haben erfahren, dass wir dort sind und kamen uns dann
besuchen. Ich war sehr glücklich darüber, meinen Onkel
und meine Tante zu sehen. Wir haben eine Wohnung in
einem kleinen Dorf in der Steiermark bekommen.
HIER GIBT ES KEINEN KRIEG
Dort in dem Dorf lebte auch eine afghanische Familie,
die uns sehr viel geholfen hat. Die Familie hatte
einen Sohn, der so alt wie ich war. Er und ich sind
gute Freunde geworden. Danach kam ich in Wien in
die Schule. Ich war sehr aufgeregt. Die Schule hier in
Österreich ist anders als in Afghanistan. Die Lehrer sind
sehr freundlich, die Schule ist modern und die Mitschüler
sind nett. Ich konnte am Anfang leider noch kein
Deutsch sprechen und meine Mitschüler wollten wissen,
wer ich bin. Nach ein paar Monaten konnte ich dann
halbwegs Deutsch sprechen. Mein afghanischer Freund
hat mir auch mit Übersetzungen geholfen. Mit Hass
habe ich eigentlich wenig Erfahrung gemacht, alle in der
Schule waren sehr freundlich. Ich habe Fußball spielen
gelernt und in einer Mannschaft gespielt. In Wien leben
auch meine Tante und mein Onkel. Ich bin sehr glücklich,
dass ich sie jetzt oft besuchen kann. Ich vermisse
meine Heimat natürlich, aber ich kann nichts machen.
Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich jetzt in einem Land
lebe, in dem es keinen Krieg gibt.
Emran Ahmadi ist 14 Jahre alt und geht in die 3D der NMS Enkplatz in
Wien
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MEINUNG
Man muss gar nichts
Auf sozialen Medien wirkte es in den letzten
Monaten fast so, als hätte die Pandemie nur
das Beste aus uns herausgeholt. Es wurden
neue Sprachen gelernt, Podcasts aufgenommen,
Sixpacks antrainiert und Bücher
gelesen. Influencer riefen dazu auf, die Zeit
zuhause sinnvoll zu nutzen. Man hätte ja
regelrecht dankbar sein können: endlich hatte
man Zeit, produktiv zu sein. Und obwohl
ich zustimme, dass Beschäftigungen aller
Art im Ausnahmezustand hilfreich sind, sieht
Produktivität bei jedem Menschen anders
aus. Niemand muss lernen, trainieren,
schreiben oder backen, um als produktiv zu
gelten. Wir definieren uns nicht über unsere
Produktivität und es ist gerade mehr als in
Ordnung, berufliche und persönliche Ziele
nach hinten zu rücken. Vielen war es in
letzter Zeit gar nicht möglich, sich um sich
selbst zu kümmern. Etwa Menschen, die
sich neben dem Home-Office um ihre Kinder
kümmern mussten. Menschen, die die
Selbstisolation durch mentale Krankheiten
an ihre Grenzen brachte. Menschen, deren
Existenz aufgrund plötzlicher Arbeitslosigkeit
gefährdet ist. So positiv sich Produktivität
auf unseren mentalen Zustand auswirken
mag: wer privilegiert genug war, diese Zeit
zur Selbstoptimierung zu nutzen, muss auch
an jene denken, die es nicht sind. Wenn der
größte Erfolg war, in dieser Pandemie zu
überleben, ist das auch ein Erfolg.
jandrisevits@dasbiber.at
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Anna Jandrisevits
FOMO
(„FEAR OF MISSING OUT“)
WAR GESTERN!
Selbst in der Quarantäne müsst ihr
kein FOMO haben, denn bei der VHS
könnt ihr mit Yoga Online Klassen im
Flow bleiben, neue Sprachen lernen
und gratis Webinare belegen. Beim
Webinar „Distance und Remote
Learning – Einführung“ wird SchülerInnen
zum Beispiel der Umgang mit
der Transformation vom physischen
zum digitalen Klassenzimmer
geholfen. Zum Abschalten nach
der E-Learning Session gibt’s mit
über 600 Onlinekursen eine riesige
Auswahl – egal ob Sport, Sprachen,
Kreativität oder Musik – damit wird
dir fix nicht fad. Ajde schau vorbei
auf http://www.vhs.at/onlinekurse
und http://www.vhs.at/webinare
Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Es ist vielmehr eine
Regel: Die positive
Einstellung dann beizubehalten,
wenn Pläne
nicht ganz aufgehen
oder gar komplett aus
dem Ruder geraten. Die
Jetzt-erst-recht-Haltung
kann als Motivation
im Zweifelfall Wunder
bewirken. Erfolge als
auch Misserfolge sind
wie einzelne Puzzleteile,
die nur gemeinsam ein
fertiges Motiv ergeben
können.
Wie läuft Ihr Arbeitstag
momentan ab?
Bis dato verlief er aus
dem Home-Office
in Begleitung von mehreren Kaffeetassen
ab. Mein Einstieg wurden mir
virtuell ermöglicht und verlief dank
des Einsatzes meines Teams und der
KollegInnen reibungslos. In einem Kommunikationsteam
darf vor allem eines
nicht fehlschlagen: die Kommunikation.
Der tägliche Austausch steht an erster
3
FRAGEN AN:
DIVNA IVIC
Neue Pressesprecherin
von Samsung
Für die Erfinder
von morgen
RoboManiac bietet seine Programmier-
Kurse für Kinder und Jugendliche nun
online an. Es stehen Monatskurse für
alle Altersklassen zur Verfügung. 8- bis
12-Jährige erhalten einen kindgerechten
Zugang zum Programmieren,
während 12- bis 16-Jährige spielerisch
die Welt der Programmier-Sprache
entdecken. Die Kids bauen ihr technisches
Verständnis aus und lassen der
Kreativität freien Lauf. Viel cooler als
Fortnite! Anmeldung und Infos: www.
robomaniac.at
Stelle. Ob das Verfassen
von Pressetexten, die
Bearbeitung von Presseanfragen,
Videokonferenzen
über Grenzen
hinweg oder Projektplanungen:
all dies zählt
zu meinem Arbeitstag,
der auch bald wieder
aus dem Büro ausgeübt
wird.
Welchen Karriere-Tipp
würden Sie jungen
Menschen geben?
„Man sollte vor allem
in sich selber investieren.
Das ist die einzige
Investition, die sich
tausendfach auszahlt.“,
wie der Investor, Warren
Buffett, einst sagte. Das
bedeutet auch, Kritik und Misserfolge
anzunehmen und diese in den Lernprozess
miteinzubauen, Geduld mit sich
selber zu haben, Veränderung positiv
entgegenzutreten und an sich selber zu
glauben, vor allem dann, wenn es einem
schwierig erscheint. Es ist eine Investition
für ein ganzes Leben.
© Marko Mestrovic, Robo Maniac, Vincent Bennett
64 / KARRIERE /
BEZAHLTE ANZEIGE
ES SPRICHT VIEL DAFÜR,
ÜBER GELD ZU REDEN!
91%
STUDIE VON ELTERN
ÜBER IHRE KINDER
UMGANG MIT DEM BANKKONTO
82%
Bei 91 % der Söhne legen die
Eltern Wert darauf, beim Umgang
mit dem Bankkonto zu unterstützen,
bei Mädchen ist dieser
Prozentsatz geringer (82 %).
NOCH EIN PAAR FACTS
ZUR BAWAG:
In der BAWAG Group arbeiten
Mitarbeiter aus 45 Nationen täglich
zusammen.
Im Vertrieb der BAWAG P.S.K. werden
insgesamt 20 Sprachen gesprochen.
FINANZBILDUNG
Mütter (91%) legen
noch mehr Wert auf
die Finanzbildung ihrer Mütter
Kinder als Väter (88%). 91%
Väter
88%
Bei der BAWAG P.S.K. sind 54% der
Vertriebsmitarbeiter weiblich.
27 Jahre alt sind die jüngsten
Filialleiter bei der BAWAG P.S.K.
FAMILIENVERMÖGEN
9 Lehrlinge haben 2019 ihre Lehre als
Bankkauffrau/-mann bei der BAWAG
P.S.K. erfolgreich abgeschlossen.
Mit 6 von 10 Kindern geben Eltern an, offen über das eigene
Vermögen zu sprechen.
Informiere dich jetzt unter folgendem
Link über die Lehre in der BAWAG P.S.K.
www.bawagpsk.com/lehrlinge
GESPRÄCHE ÜBERS GELD
73%
Bei 73% der Kinder zwischen 6 und
14 Jahren geben deren Eltern an,
offen über Geld zu sprechen.
„Mathe war
mein absolutes
Hassfach in der
Schule.“
ClassNinjas ist eine App, die das
Mathelernen für SchülerInnen in
der Unterstufe spielerisch einfacher
gestalten soll. Wir sprachen
mit Gründer Karim Saad
über die Vorteile der App.
Von Nada El-Azar, Foto: Zoe Opratko
BIBER: Warum heißt die App Class-
Ninjas? Und was unterscheidet sie von
anderen Lern-Apps?
KARIM SAAD: Wir haben diese Ninja-
Welt für uns eröffnet, weil ein Ninja
jemand ist, der hochfokussiert lernt,
diszipliniert ist, und sich auf das Wichtige
konzentriert. Jeder und jede kann
sich mit einem Ninja identifizieren, er ist
geschlechtslos und ohne Ethnie. Wichtig
ist, dass die Videos kurz sein müssen,
weil niemand Lust hat nach einem
Schultag nochmal zwei Stunden ins
Lernen zu investieren. Und die Aufgaben
müssen möglichst relevant für den Alltag
sein. Der Ninja nimmt zum Beispiel sein
Smartphone in die Hand, sieht dass er
nur noch 25 Prozent Akku hat und fragt
sich – muss ich mein Handy aufladen
oder schaffe ich es so durch den Tag? So
haben Kinder eine bessere Verbindung
zur Aufgabe, statt der alten Beispiele,
in denen ein Mann 25 Wassermelonen
kauft.
Welche Funktionen gibt es? Und warum
ist es eine App, und nicht etwa eine
Webseite?
Ursprünglich war ClassNinjas tatsächlich
als Webseite gedacht, mit drei
Kernfunktionen: Lernvideos, Übungen,
und Prüfungssimulation. Letzteres ist
mit 2,99 Euro pro Monat das einzige
kostenpflichtige Element. Wir haben
sehr schnell erkannt, dass die Kids keine
Webseiten mehr benutzen, also sind wir
in Richtung App gegangen. Von vornherein
setzten wir auch stark auf Social
Media Plattformen wie YouTube und
Instagram – und auch TikTok, das bei
Kindern bis 14 Jahren besonders beliebt
ist. Als ich meinem Team vorschlug,
TikTok-Videos zu machen, wurde ich
anfangs sehr belächelt. Heute haben wir
142.000 Follower und sind der größte
deutschsprachige Mathe-Influencer auf
TikTok.
Warum tun sich immer noch so viele
Kinder schwer mit dem Fach Mathe?
Viele tun sich schwer, Texte zu verstehen.
Es nichts damit zu tun, woher die
Kinder kommen oder welche Wurzeln sie
haben. Das ist ein generelles Problem im
österreichischen Bildungssektor. Kinder
lesen etwas und haben keine Ahnung,
was sie gelesen haben. Bei Mathematik
66 / KARRIERE /
wird das Problem sichtbar, wenn die
Kinder die Angabe nicht verstehen. Und
wer die Angabe nicht versteht, weiß
nicht, wie gerechnet werden muss. Wir
versuchen deshalb mit audiovisuellen
Elementen Lerninhalte verständlicher zu
machen, und verlassen uns nicht nur auf
Texte. Unsere Animationen und Videos
werden deshalb auch von Lehrern gerne
verwendet.
War Mathe in der Schule dein Lieblingsfach?
Mathe war mein absolutes Hassfach
in der Schule. Ich war selbst einer der
schlechtesten Matheschüler, die es je
gegeben hat. Dazu kam aber noch, dass
ich im Gymnasium in Krems viel Rassismus
erlebt habe – in den 90ern galt die
FPÖ im Vergleich ja noch als Blümchenpartei.
Ich bin zwar nie sitzengeblieben,
weil ich Nachhilfe bekommen habe. Es
ist unvorstellbar: In Österreich allein
werden jährlich etwa 100 Millionen Euro
für private Nachhilfe ausgegeben, davon
etwa drei Viertel in Mathematik.
Ist das der Grund, weshalb ClassNinjas
eine Mathe-App geworden ist?
Das Schöne an Mathematik ist, dass
überall auf der Welt gelernt wird, dass
1+1 gleich 2 ergibt. Deshalb kann Class-
Ninjas deshalb ein globales Produkt sein.
Wie macht man eine Mathe-App attraktiv
für Schüler, sodass sie am Ball bleiben?
Wenn Kinder Spaß an Mathematik haben
sollen, muss man ihnen erklären, wozu
sie Mathe in ihrem Leben brauchen. Die
Skripte für unsere Drehbücher wurden
alle von Lehrenden geschrieben, die
aktiv im Dienst sind. Wir bedienen uns
der Sprache der Jugend, wo etwa Wörter
wie „Ehrenmann“ oder „Ehrenfrau“ oder
„Gönn‘ dir“ Teil der App sind. Natürlich
darf es auch nicht zu umgangssprachlich
werden. Lehrende verwenden unser
Material jetzt auch gern im Distance-
Learning.
Hat die Corona-Krise den Weg für ein
digitaleres Lernen in deinen Augen
gewiesen?
Ob die Veränderungen durch Corona
das Aufrütteln im Schulwesen gebracht
haben, das ich mir wünsche, ist schwer
zu sagen. Eine gute Sache hat die Krise
gebracht: Ein Erkennen, dass das Digitale
nicht nur da ist, sondern auch ordentlich
genutzt werden kann. Distance-Learning
bedeutet aber nicht, dass der Lehrer
eine E-Mail mit Aufgaben schickt und
dann die Antworten bis Freitag retour
bekommt. In dieser Hinsicht bin ich doch
etwas skeptisch.
WER IST ER?
Name: Karim Saad
Alter: 37
Geboren und aufgewachsen in Krems/
Donau, hat ägyptische Wurzeln
Sonstiges: Hat bereits Halaltrip.com,
eine Reiseplattform für muslimische
Reisende entwickelt.
Lehre, eine
Ausbildung
mit Zukunft.
www.lehre-statt-leere.at
Fragen zur Auswirkung von Corona auf
die Lehrausbildung? Lehrlingen, Eltern oder
Ausbilderinnen und Ausbildern stehen unter
0800 22 00 74 gebührenfrei qualifizierte Coaches
mit Rat zur Seite. Sie wissen, wie es weitergeht
und können rasch helfen. Hilfesuchende
Lehrlinge und Ausbildungsbetriebe können auch
das kostenlose Lehrlings-Coaching-Programm
„Lehre statt Leere“ in Anspruch nehmen.
Von
Österreich, für
Österreich.
Danke an
alle, die jetzt
arbeiten!
Entgeltliche Einschaltung des BMDW/Adobe Stock
DIE PARTNER DE
„In Zeiten des Internets und
der Sozialen Netzwerke
ist es wichtig, sich mit
Journalismus und der
Qualität von Nachrichten
auseinanderzusetzen. biber
macht Schülerinnen und
Schüler zu Redakteuren.
Das unterstütze ich sehr gerne.“
Heinz Faßmann
Bildungsminister
„Die biber-Redakteure
engagieren sich im Newcomer-
Projekt, um Jugendlichen
aus oft sozial benachteiligten
Familien neue Perspektiven und
Selbstbewusstsein zu geben.
Das ist eine Idee, die die ÖBB
gerne unterstützen.“
Andreas Matthä
Vorstandsvorsitzender
ÖBB-Holding AG
„Der Stadtschulrat unterstützt
das Projekt ,Newcomer‘, weil es
SchülerInnen die Gelegenheit
bietet, mehr über Medien zu
erfahren und das außerhalb des
klassischen Unterrichts.“
Heinrich Himmer
Bildungsdirektor für Wien
„Das Projekt Newcomer vermittelt
die demokratiepolitische
Bedeutung des Journalismus
und fördert durch Text- und
Videoworkshops die Kreativität
der Jugendlichen. LUKOIL ist mit
Freude Partner des Newcomers. “
Robert Gulla
Geschäftsführer LUKOIL-Holding
Wenn gerade keine Pandemie herrscht, touren biber-RedakteurInnen
im Rahmen des Projekts „Newcomer“ durch Wiener
Schulen und geben im Jahr 2020 rund 100 Jugendlichen
eine Projektwoche lang die Chance, ihre Medienkompetenz
und Persönlichkeit zu stärken und neue (Job-)Perspektiven
zu sehen. Auch in Zeiten von Corona läuft das Projekt weiter
- mittels digitaler Kommunikation. Der biber-Newcomer wird
von Menschen gestaltet, die selbst aus zugewanderten Familien
kommen und daher wissen, mit welchen Schwierigkeiten
die Jugendlichen auf dem Weg ins Arbeitsleben konfrontiert
sind. Wenn wir es geschafft haben, können sie es auch!
„Wien steht für Vielfalt.
SPAR steht für Vielfalt.
biber steht für Vielfalt. Es
ist schön, Partner für ein
Jugendprojekt zu sein, das
diese Vielfalt auch abbildet.“
Alois Huber
SPAR-Geschäftsführer
BMBWF/Lusser, Martin Lusser, SSR / Johannes Zinner, Mario Aigner, SPAR/Johannes Brunnbauer, Georg Hochmuth, ÖBB Hauswirth
68 / NEWCOMER /
R „NEWCOMER“
„Sorgfältige Recherche, kritisches
Hinterfragen und die tiefgehende
Kompetenz der ORF-Journalisten
können weder durch Google noch durch
Facebook oder Instagram ersetzt werden.
Unabhängiger Journalismus ist für eine
demokratische, lebenswerte Welt auch in
Zukunft zwingend notwendig – deshalb
wollen wir Jugendliche dafür begeistern.“
Alexander Wrabetz
ORF-Generaldirektor
Robert Staudinger / Petra Spiola, Markus PRANTL, HBF/ Franz HARTL, Andreas Jakwerth, AK/Sebastian Philipp, Thomas Ramstorfer / ORF
Um Österreichs größte Schülerredaktion aufzubauen,
braucht es mehr als nur guten Willen. Es braucht enorm viel
Zeit, Geld und Know-how sowie verlässliche Partner, die das
Projekt begleiten. Wir danken unseren vielen Leserinnen
und Lesern, die unsere Crowdfunding-Kampagne unterstützt
haben, um das Projekt zu finanzieren.
Wir danken zudem folgenden Institutionen und Firmen für
die Unterstützung des „Newcomer“-Projekts: Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF),
Bildungsdirektion Wien, ORF, SPAR, Industriellenvereinigung,
Arbeiterkammer, ÖBB, BAWAG PSK sowie LUKOIL.
„Guter Journalismus schafft
Verständnis: Indem er Einblicke in das
Leben anderer vermittelt, berührt,
verbindet, Probleme und Lösungen
aufzeigt und eine Basis für die
Demokratie und das Zusammenleben
bildet. Es ist super, wenn sich junge
Menschen dafür begeistern.“
Renate Anderl
AK Präsidentin
„Als Partner des Projekts
,Newcomer‘ möchten wir
Jugendliche vor allem ermutigen
ihre Kreativität zu nutzen,
sich gesellschaftlich und
bildungspolitisch einzubringen.“
Christoph Neumayer
Generalsekretär der
Industriellenvereinigung
„Als BAWAG P.S.K. ist es uns ein Anliegen,
visionäre Projekte im Bildungsbereich zu
unterstützen. Im Rahmen des „Newcomer“-
Projekts lädt die biber-Redaktion Jugendliche
ein, einen Blick hinter die Kulissen der Medienwelt
zu werfen und selbst kreativ und gestalterisch
tätig zu sein. Es freut uns, auch heuer wieder
Partner dieses tollen Jugendprojekts zu sein.“
Enver Sirucic
CFO der BAWAG Group
/ NEWCOMER / 69
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
MEINUNG
Datenschutz-
Dilettanten
Der Lockdown ist vorbei, die
Regierung will aber trotzdem eine
Handy-App zum Nachvollziehen
der zwischenmenschlichen
Kontakte. Groß war die Aufregung
darüber. Selbsternannte Datenschutzexperten
rieten von der
Nutzung ab – meist über Facebook,
WhatsApp und Instagram.
Was diesen besorgten Bürgern
aber nicht klar ist: Facebook, die
Muttergesellschaft der drei Apps,
sammelt weit mehr Daten tagtäglich
ein, als die österreichische
„Stopp-Corona“-App es je könnte.
Außerdem bin ich mir ziemlich
sicher, dass das Rote Kreuz oder
die österreichische Regierung die
gewonnenen Daten nicht dazu
nutzen wird, dir Fitnessprodukte
oder Beauty-Blogs zu empfehlen.
Also, mal wieder eine Scheindiskussion
für die Fisch‘. Viel wichtiger
als jede App sind weiterhin
das „social distancing“ und die
Verantwortung des Einzelnen.
bezeczky@dasbiber.at
DIE JAGD BEGINNT
Der unsichtbare Jäger ist wieder auf
Safari. In „Predator Hunting Grounds“
spielen im Multiplayer vier gegen einen.
Und wer glaubt, das wäre unfair, wird
eines Besseren belehrt. Doch mit dem
richtigen menschlichen Team kann auch
die lustige Menschenhatz für den Predator
ins Auge gehen. Wichtig dabei ist
die Kommunikation und natürlich auch
das Teamplay. Predator Hunting Grounds
fängt das beklemmende Flair der Predator
Filme perfekt ein - als menschlicher
Spieler hat man ständig Panik vor dem
unsichtbaren Biest. Empfehlenswert!
ASSASSIN‘S CREED:
VALHALLA
Ubisoft hat das nächste Assassin‘s Creed
angekündigt. Diesmal spielt die ehrwürdige
Reihe im hohen Norden. Vikinger kämpfen
gegen Briten und wir sind
mittendrin. Um sich auf
das Spiel einzustimmen,
lohnt es sich, die Netflix-
Serie „Vikings“ anzuschauen.
Angekündigt für
Ende 2020 erwarten wir
gespannt weitere Informationen,
wie der Reboot
der Assassin‘s Creed
Reihe aussehen wird.
Monsterjagd auf
Google Maps
Urban Gaming verwandelt
die Stadt in ein Spielbrett.
Mithilfe von Google Street
View kann man auch
gemütlich vom Wohnzimmer
aus auf Monsterjagd
gehen. Jeden Tag wird
ein neues Monster in das
Archiv aufgenommen -
der Standort des Monsters
soll mithilfe von Hinweisen
und Street View ermittelt
werden. So kann man
Wien noch besser kennenlernen!
Weitere Infos:
https://citygames.wien/amonster-a-day-de/
© Marko Mestrovic, Ubisoft, Citygames Wien, Sony Interactive Entertainment
70 / TECHNIK /
DIE DOS & DON’TS
FÜR LEHRERINNEN
BEIM E-LEARNING
In den letzten Wochen wurde
der Unterricht an Österreichs
Schulen digital abgehalten. Eine
neue Situation für alle. Über die
Schwierigkeiten, die LehrerInnen
und Eltern beim home-schooling
empfunden haben, wurde medial
ausgiebig berichtet. Aber was
sagen eigentlich die SchülerInnen,
die von dieser Umstellung am
meisten betroffen sind? Wir haben
bei unserer Schüler-Redaktion
nachgefragt und die wichtigsten
Punkte zusammengefasst – Sollte
es zu einem neuerlichen Lockdown
kommen oder sollte der Unterricht
in Zukunft öfter digital abgehalten
werden: Was wünschen sich die
SchülerInnen von ihren Lehrkräften?
DO:
+
Alle Aufgaben und Materialien
übersichtlich auf eine digitale
Plattform stellen
+
Plattformen, die gut funktionieren:
Zoom, Studyly, Digi4school
+
Fixe Termine für die Abgaben:
Jeden Mittwoch Mathe, jeden
Freitag Englisch: So lässt sich der
Stundenplan auch zuhause gut
einhalten
+
Regelmäßiges persönliches Feedback,
das motiviert die SchülerInnen
DON’T:
–
Zoom-Calls, die länger als eine Stunde
dauern, sind sinnlos. Das bereitet nur
Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten
–
Im Hinblick auf die Matura, diesem Credo
nachzugehen: „Macht’s doch einfach
das, was wir in den letzten Jahren alles
gemacht haben.“ Die SchülerInnen wünschen
sich konkreteres Übungsmaterial
–
Ungleiche Verteilung des Arbeitsaufwands:
In „Nebenfächern“ zu viele Aufgaben
geben, was sonst nicht die Norm
ist, in den „Hauptfächern“, die oft für die
Matura relevant sind, dafür zu wenig
–
Kein genaues Feedback zu geben, oder
sich über eine Woche damit Zeit zu lassen.
Das verwirrt und verunsichert
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Wien wird 5G Hauptstadt.
Das schnellste Netz Europas.
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mit einem 20 Millionen Euro starken Investitionsprogramm. Damit kannst du auch unsere
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KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
Wir dürfen uns freuen:
Der Museumsbetrieb
erwacht in Österreich
seit Mitte Mai so
allmählich. Hier einige
Ausstellungstipps.
MEINUNG
Entzugserscheinungen
Ich muss offen gestehen: So allmählich
begann ich schwere Entzugserscheinungen
zu zeigen. Keine Museen, kein Theater,
kein Kino – nichts, nada, niente! Für mich
waren das Orte der Entspannung, die meinen
Alltag erfrischten. Und selbstverständlich
auch Teil meiner Arbeit. Ich schätze,
dass ich seit Jahren keine solche Kulturpause
einlegen musste. Das machte aus
meinem guten alten Freizeitstress einen
„Produktivitätsstress“. Plötzlich dachte ich,
ich könnte doch mal wieder den Skizzenblock
in die Hand nehmen, oder meine
Wohnung ausmisten, oder den noch ungelesenen
Bücherstapel in meinem Regal
abarbeiten. Oder einen neuen Trainingsplan
für Zuhause umsetzen, mehr Tagebuchschreiben,
meine lange Film-Watchlist
beginnen wegzugucken. Die Wahrheit ist:
ich bin kläglich gescheitert. Ging es auch
anderen so? Vielleicht erzeugte das Wegfallen
meiner Routinen einen derartigen
Unterdruck, der mich nun denken lässt, ich
hätte meine Zeit nicht ordentlich genutzt.
Es war natürlich nicht alles schlimm – ich
habe sehr wohl auch gute und wichtige
Dinge aus der „Isolation“ mitgenommen.
Noch nie habe ich Nähe so sehr zu
schätzen gelernt wie dieses Jahr. Ich will
nie wieder bei einem Treffen ein Handy in
irgendjemandes Hand sehen.
el-azar@dasbiber.at
Ab 1. Juli im Kunstraum Niederösterreich
Österreichische
Kunst von
1945–1980
Die Eröffnungsausstellung „Albertina
Modern: The Beginning“
beleuchtet österreichische Kunst
an der Schwelle zur Postmoderne.
Bis in die 1970er Jahre wurde
die Kunst als „entartet“ bezeuchnet,
kriminalisiert und verdrängt.
Präsentiert werden Arbeiten vom
Phantastischen Realismus, über
den Wiener Aktionismus, bis
hin zum gesellschaftskritischen
Realismus.
Ab 27. Mai im neuen Standort der
Albertina am Karlsplatz 5, 1010
Wien
DURST
Der Mythos vom Vampir hat
Literatur, Popkultur und Musik seit
jeher fasziniert. Der Kunstraum
Niederösterreich widmet der
mysteriösen und verführerischen
Figur die Ausstellung „Durst“ –
von Bram Stoker’s „Dracula“ bis
„Twilight“. Aber es geht nicht nur
um die verschiedenen Interpretationen
des Blutsaugers – auch
die politische, semantische und
ästhetische Dimension wird
beleuchtet.
© Christoph Liebentritt, Mosfilm, bildrecht, Walter Mussil
72 / KULTURA /
Youtube-Tipp:
Mosfilm
Falls ihr Video-On-Demand Plattformen wie Netflix oder
Amazon Prime schon so gut wie leergeguckt habt, empfehle
ich wärmstens den Youtube-Kanal des Filmkonzerns
„Mosfilm“. Dort kann man unzählige sowjetische Filmklassiker
von Sergej Eisenstein, Leonid Gajdaj oder Andrej
Tarkovskij ganz bequem streamen. Verfügbar sind oft englische
oder teilweise auch deutsche Untertitel.
… von Brot,
Wein, Autos,
Sicherheit
und Frieden
8/3 8/5
4/10 2020
Theater zuhause
Theaterhungrige müssen sich wohl noch etwas länger bis zu
den nächsten Premieren gedulden. Bis dahin haben viele Häuser
Streams von vergangenen Produktionen online zur Verfügung
gestellt. Das ist eine gute Chance, um vergangene und
verpasste Stücke noch aufzuholen.
Das OFF-Theater: „This is What Happened in The Telephone
Booth“
Edition Burgtheater: Freitags und Montags sind auf https://
www.burgtheater.at/edition-burgtheater alte Inszenierungen ab
18 Uhr 24 Stunden lang auf YouTube abrufbar.
Marina Marina Naprushkina, Jetzt! Jetzt! Alles Alles für Alle!, für Alle!, 2019, 2019,
Installationsansicht Kunsthalle Wien, Wien, 2020 2020
Wir Wir haben
wieder geöffnet!
/ KULTURA / 73
TRIP & TRAVEL
Einmal um die ganze Welt
DESTINATION:
TOBAGO
Strand-Office
statt Home-Office
Ja, ich bin immer noch am Reisen. Ja,
ich weiß, die ganze Welt ist gerade
abgeriegelt. Und ja, ich weiß auch, dass
ich selbst schuld bin, wenn ich nicht
mehr nach Hause kommen kann. Aber
ganz ehrlich: Wer wäre nicht lieber eingesperrt
auf einer
karibischen Insel als
in der Meidlinger
Wohnung? Während
die ganze Welt
kopfsteht, tanke ich
massenweise Vitamin
D und genieße
das Meer. Es könnte
wirklich schlimmer
sein.
Ich bin im Jänner
nach Trinidad und
Tobago geflogen,
einen kleinen Inselstaat
in der südlichen
Karibik. Mein
Andrea Grman
der ersten Wochen konnte ich viel
lernen. Auch als alle Touristen das
Weite suchten und es auf Tobago
nichts mehr zu tun gab, bot mir
mein Chef an, hierzubleiben und
weiterhin jeden Tag tauchen zu
gehen. Allerdings tauchen sie hier,
um Fische und Hummer zu fangen
und sich ernähren zu können, was mich
als Veganerin eine völlig neue Welt
entdecken lässt. Doch schließlich muss
ich alles probiert haben, um darüber
urteilen zu können.
Ich habe außerdem gerade mehr Kontakt
mit meiner Familie als jemals zuvor
auf meinen Reisen. Offenbar haben
die auch nichts Besseres zu tun. Dank
E-Learning und Zoom mache ich sogar
mehr für die Uni als vorher. Es geht also
deutlich mehr voran als ich dachte.
Meine restlichen Reisepläne für dieses
Jahr konnte ich natürlich streichen.
Dafür habe ich jetzt mehr Zeit, um mit
Reiseagenturen in Kontakt zu treten
und mich jeden
Tag aufs Neue zu
wundern, welche
Kuriositäten sie
diesmal auspacken.
Als legitimen
Ersatz für meinen
Flieger von Tobago
nach Miami
beispielsweise
erhielt ich einen
Trip von Spanien
in den Iran – ganze
zwei Monate
später. Mein Geld
bekomme ich
natürlich nicht
Ziel war es, mein
Dive-Master-Zertifikat
Quarantäne unter Wasser zurück. Schließlich
ist es nicht ihr
abzulegen, damit ich irgendwann
– falls mir danach ist – Tauchen zum
Beruf machen kann. Jedenfalls hatte
ich extremes Glück bei der Auswahl
Verschulden, wenn ich den von ihnen
vorgeschlagenen Ersatzflug nicht antreten
kann. Danke für nichts.
grman@dasbiber.at
meiner Tauchschule. Nicht nur während
Gewinnspiel
Die Zeit zuhause kann
man gut nutzen. Zum
Schrankausmisten,
Fensterputzen und,
ach ja, Lesen. Was
liest sich besser als
Geschichten übers
Entdecken? Rolf Potts
hat in diesem Klassiker
einige Anekdoten von
seinen unzähligen Reisen
parat, sowie viele
nützliche Tipps für alle,
die es ihm nachmachen
wollen. Vorbereiten kann man sich ja
schon mal. Schick mir ein Mail an grman@
dasbiber.at und erzähl mir deine Reisegeschichte.
Mit etwas Glück hältst du eines
von drei Exemplaren von Weltenbummeln
schon bald in deinen Händen.
KOPFKINO
FÜR ZUHAUSE
Nachdem die meisten Sommer-Reisepläne
im Ausland wohl ins Wasser gefallen sind,
können wir die Möglichkeit zumindest
nutzen, um Österreich besser kennenzulernen.
Wer sich schon einen Vorgeschmack
auf die malerischen Bergseen und ausreichend
Reise-Ideen holen will, kann das
derzeit online machen. Mit #austrianhomestories
hat die Werbung Österreich eine
einzigartige Kollektion zusammengestellt:
von Nationalparks über Museen bis hin
zu Zeitreisen in die Vergangenheit. Jeder
Winkel Österreichs wird beleuchtet. Alle
virtuellen Erlebnisse findest du unter www.
austria.info
© Christoph Liebentritt, Popp-Hackner, privat, bereitgestellt
74 / REISE /
KOLUMNE
„Viele Frauen leben
lebenslang in Quarantäne“
Robert Herbe
Ich darf am Abend nicht mit meinen
FreundInnen feiern gehen.
Ich darf niemanden daten.
Ich darf nicht ins Fitnessstudio gehen.
Ich darf nicht…
Für uns sind diese Einschränkungen durch
Covid-19 temporär, aber für viele, viele
Frauen auf dieser Welt ist das trauriger Alltag
und wird sie ihr Leben lang begleiten.
Auf diesen Gedanken hat mich eine
Frau, die mit ihrer Familie aus Syrien
geflüchtet ist, gebracht. Sie schrieb mir
auf Instagram: „Ich fand es lustig, als ich
gehört habe, dass mein Alltag Quarantäne
heißt“.
Ich dachte an die Zeit vor zehn Jahren,
als ich damals in Damaskus sehen musste, wie meine
Schwester geschlagen wurde, weil sie einen Freund
hatte, während meine Ex-Freundin und ich im Keller
unseren Gefühlen freien Lauf gelassen haben. Ich
habe damals diese verlogene Welt nicht verstanden
und keine Antworten auf meine Fragen gefunden.
Ich habe versucht, unbewusst gegen meine innere
Stimme, die dieses System verabscheut, anzukämpfen
und mich zwanghaft damit abzufinden, dass dies
„die Normalität“ sei.
Jetzt lebe ich in Österreich und setze mich bei
dem Projekt „Heroes“ aktiv für eine gleichberechtigte
Gesellschaft ein.
In meiner Arbeit stoße ich leider oft auf taube
Ohren. Jugendliche reproduzieren festgefahrene
Geschlechterrollenbilder und Denkmuster, die sie
meistens als religiöses Gebot verstehen, die in Wahrheit
jedoch mit der Religion nichts zu tun haben…
Denn ein minderwertiges Frauenbild ist kein
Monopol von muslimischen Flüchtlingen oder
Migranten. Ich erlebe es immer wieder bei bioöster-
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Poetry-Slammer,
Buch-Autor und
Flüchtling aus
Syrien. In seiner
Kolumne schreibt
er über sein Leben
in Österreich.
reichischen Jugendlichen, die solche
Aussagen vertreten wie: „Der Mann ist
von Natur aus stärker, überlegener, das
Familienoberhaupt.“
Ich selbst werde für mein Engagement
von manchen Landsleuten oder Migranten
verspottet. Denn dann heißt es, dass „Männer,
die sich für Frauenrechte einsetzen,
Schwule oder Weicheier sind.“ Tatsache ist
aber: Es erfordert viel Mut und Stärke, die
Frauen als ebenbürtige und gleichberechtigte
Individuen sehen zu können. Es ist viel
einfacher, wenn meine Frau und Schwester
ohne zu argumentieren alles machen, was
ich will. Wenn sie mir nicht auf Augenhöhe
begegnen können, werde ich nie dazu
gedrängt werden, mein Verhalten ihnen gegenüber in
Frage zu stellen.
Ich konnte diese Ungerechtigkeit gegenüber
Frauen erst verstehen, als ich sie selbst mehrmals am
eigenen Leib in Österreich erleben musste. Als ich
angekommen bin, musste ich im Asylheim bleiben,
denn als Asylwerber durfte ich nicht arbeiten. Und die
Weigerung, mich aufgrund meiner Herkunft in einem
Fußballverein in Mondsee aufzunehmen, traf ganz
hart. Ich gehe auch nicht mehr fort, denn ich kann
die Zurückweisung der Türsteher mancher Nightclubs
nicht aushalten.
Die Tatsache, dass Geflüchtete und Migranten
fortlaufend alltäglichem und institutionellem Rassismus
und Diskriminierung ausgesetzt sind, muss eindeutig
bekämpft werden. Aber wir werden nicht weit
kommen, wenn wir uns nicht zuerst mit unserem
eigenen Rassismus auseinandersetzen. Wenn wir
nicht mehr diskriminiert werden wollen, dann dürfen
wir Frauen nicht mehr diskriminieren.
/ MIT SCHARF / 75
MEIN ÖST
Österreich ist mehr als Schnitzel, Mozart und Après-Ski. Hinter
der rot-weiß-roten Fahne stecken viele Religionen, Sprachen und
Identitäten. Wir haben genauer hingeschaut und mit 25 Menschen
gesprochen, die uns von IHREM ganz persönlichen Österreich
erzählen. Von Amar Rajković, Jara Majerus und Hannah Jutz (Text)
Mein Österreich
ist meine neue
Heimat, die mir
und meiner Familie
Sicherheit und
Zukunft gibt.
Eden Weldezghi, 20, Frisörin
Mein Österreich. Ein
Land, wo das „Wir“
mehr zählt als das „Ich“.
Vielfältig, hilfsbereit
und vereint, ein Land,
in dem niemand vergessen
wird. Das ist mein
Österreich.
Derai Al-Nuaimi, 27,
Vorsitzender der
Bundesjugendvertretung
Österreich ist für mich
Heimat und Fremde
zugleich – ein innerer
Zwiespalt, der wohl nie
ganz vergehen wird. Denn
Wiens Straßen fühlen sich
so unglaublich vertraut an
und doch treffen mich in
meinem Wien schon ein
Leben lang Blicke, die mir
sagen: Hier bist du fremd.
Heute weiß ich, Heimat
ist kein Punkt auf einer
Karte, sondern das Gefühl,
angekommen zu sein.
Salma Hassan Imara, 23,
Journalistin
Österreich ist Heimat für mich, ein Land, in
dem Träume wahr werden können.
Ein Land, in dem viele Nationen und Religionen
zusammen leben können. Ich fühle mich
sicher und geborgen hier. Wir halten hier
zusammen. Das macht mein Österreich aus.
Ercan Kara, 24, Fußballer von SK Rapid
In meiner alten Heimat hat
mir gefehlt, dass man ohne
Bedenken und Angst die
eigene Meinung sagen kann
oder die Gesellschaft kritisieren
darf. Das ist Österreich
– die Freiheit zu leben und
leben zu lassen.
Aziz Merza, 32, Dolmetscher
und Student
76 / MIT SCHARF /
ERREICH
privat, Daniel Novotny, Red Ring Shots, Zoe Opratko, Michael Griefing, Dominik Ehrwald
Mit dem Begriff
Österreich an sich
verbinde ich nicht
sonderlich viel, da
jeder Mensch, der
hier lebt, Österreich
auf seine eigene Art
und Weise ausmacht.
Samirah Mohamed, 21,
Studentin soziale Arbeit
Österreich ist
mein Zuhause.
Aber ein Zuhause,
das ich mir als
Frau mit Migrationshintergrund
selbst gestalten
musste. Meine
Mutter hatte das
Glück, hier eine
neue Heimat zu
gründen, in der
wir uns entfalten
konnten.
Ich möchte die
nächsten Generationen
dazu zu
ermutigen, ihren
Träumen und
Wünschen nachzugehen
– obwohl
wir in einem Land
leben, in dem
wir noch immer
nicht vollständig
als InländerInnen
gesehen werden.
Marie Noel-Ntwa, 29,
Schauspielerin
Mein Österreich
mit all seinen sympathischen
Menschen
ist bereit
gegen das Coronavirus
zu kämpfen.
Wir schaffen
es!
Qudratullah Alizai, 27,
Angestellter beim Roten Kreuz
/ MIT SCHARF / 77
Vor 35 Jahren bin ich zum Studieren aus
Luxemburg nach Österreich gekommen – und
geblieben. Die Herkunft hat hier eine große
Bedeutung, für mich als Luxemburger, der aus
einem Land mit einem Ausländeranteil von
über 47% kommt, nicht immer nachvollziehbar.
Wenn es aber darauf ankommt – in Krisenzeiten
wie diesen ist Österreich ein Land,
wo Solidarität und Hilfsbereitschaft großgeschrieben
werden.
Jean-Paul Majerus, 56, Volksschullehrer
Aus meiner deutschen
Sozialisation betrachtet
ist Österreich ein Land
des Ungefähren, liebt die
Konjunktive, mag das Präzise
weniger und ist auch
konfliktscheu. Die Bilderbuchschönheit
der Städte,
Dörfer, Flüsse und Berge
hat was Anmutendes, kitschig
Schönes. Es kommt
mir manchmal so unwirklich
vor, dass ich versucht
bin, hinter die Kulisse zu
schauen, um das Styropor
zu entdecken. Bisher
war ich nicht erfolgreich
damit.
Kenan Güngör, 52, Soziologe
Wien ist für mich wie ein Familienmitglied. Es gehört
einfach zu einem dazu. Wenn man weg ist, fehlt es
einem und ab und zu braucht man Pause, aber man
wäre nirgends lieber als in Wien, wenn‘s kritisch wird.
Leni Charles, 30, Designerin „Kids of The Diaspora“
Österreich bedeutet
für mich Komfortzone.
Bei kleinen Seen und
Bergen fühl ich mich
geborgen, meine Familie
und Freunde sind da,
hier fühl ich mich sicher
und wohl.
Maria-Elisabeth Isidro, 24,
Community- und Project
Manager Innovation Labs
78 / MIT SCHARF /
Ich habe hier viele gleichgesinnte
Menschen mit ebenfalls
mehreren Kulturen und
Abstammungen getroffen.
Diese Österreicher haben
dazu beigetragen, mein
eigentliches Zuhause in
mir selbst zu finden. Mein
Österreich ist offenherzig,
hat Platz für viele Kulturen
und ist bunt.
Juli Atan Kasapoglu, 28,
Tanzlehrerin und Barchefin
privat, Kids of The Diaspora, Magdalena Possert, Christian Hlinak, Marko Mestrovic, Al Tamimi Abd Al Hammed, Maximilian Salzer
Österreich hat mir nicht nur eine neue Sprache
beigebracht, sondern es hat mir auch gezeigt, wie
sich „Zuhause“ anfühlen sollte, in dem mich das
Land seit acht Jahren als Zugewanderte akzeptiert.
Meine Eltern und ich sind unser Leben lang
von einem Ort zum nächsten gezogen, aber ich
habe festgestellt, dass der Umzug nach Österreich
die beste Idee war.
Csilla Stoica, 22, Barista
Ein Land wie ein altes
Kunstwerk, das vom
Staub der Bürokratie,
Regeln und Normen
verdeckt ist – nur darauf
wartend, entdeckt zu
werden.
Al Tamimi Abd Al Hammed, 27,
Case Manager bei Job Service
Tirol
Wie oft wurde mir schon nahegelegt, Österreich
zu verlassen, wenn es mir hier nicht
passe – jeder Schwarzkopf, männlich und
weiblich, kennt das. Jene, die das sagen, sind
aber nicht alle RassistInnen – viele pflegen
einfach die falsche Annahme, dass Kritik
Abneigung und Verachtung bedeutet. Dabei
ist das Gegenteil der Fall: Man kritisiert was
man schätzt, weil man möchte, dass es besser
wird, weil man seinen Platz hier kennt und im
Gegensatz zur Elterngeneration nicht einfach
nur jeden Tag überleben, sondern LEBEN
möchte.
Rami Ali, 27, Politologe und Islamwissenschaftler
Wenn ich am Bodensee
bin oder in der
Natur, fühle ich mich
am meisten zuhause.
Meine ganze Familie
und Freunde sind hier
– und wie man bei uns
im Ländle sagt: Mir
heben zem. Hier ist
immer alles geregelt
und hat seine Ordnung.
Das ist mein
Österreich.
Meri Čolić, 48, Facility
Managerin
/ MIT SCHARF / 79
Österreich ist ein Land
der Möglichkeiten.
Wenn du den Willen
hast, deine Ziele zu
erreichen, dann gibt es
in unserem Land auch
einen Weg. Genau dies
müssen wir uns beibehalten
und weiter
ausbauen.
Kazim Yilmaz, 38, Rechtsanwalt
HEIMAT: So durfte ich Österreich bezeichnen,
nachdem die ,,Wiederheimkehrfantasien"
meiner Eltern erloschen waren.
AUSGRENZUNG: Die Erfahrung, die ich
leider mit 41 immer noch machen muss
,,Na, jetzt im Ernst, woher kommen'sn wirklich?",
,,Für das, dass sie ned hier geborn san,
sprechn's aber gut Deutsch!"
VORURTEILE: habe ich immer zu spüren
bekommen. Zuerst durch mein ,,nicht-österreichisches"
Aussehen, wie auch manchmal
durch das Gefühl, das Herkunftsland meiner
Eltern rechtfertigen zu müssen.
LIEBE: empfinde ich gegenüber dem Land, in
dem ich ein freies Leben führen kann. HASS:
Das Gefühl, das ich populistischen Tendenzen
gegenüber empfinde, die mir den Punkt oben
madig machen wollen.
Dilek Strojil, 41, Volksschullehrerin
Mein Österreich ist ein sehr
hoher Lebensstandard bei
gleichzeitiger Unzufriedenheit.
Ehrlichkeit, wo es nicht
wehtut und Feigheit, wo
Ehrlichkeit Mut erfordern
würde. Österreich gibt mir
das Gefühl von Zugehörigkeit
und dann wieder von
Abgrenzung. Ohne Österreich
wäre ich nicht ich.
Österreich ist meine große
Liebe. Ich hoffe, sie liebt
mich auch.
Ashkan Noorian, 38, Kardiologe
Mein Österreich ist fair,
multikulturell und hilfsbereit.
Natürlich ist Österreich
nicht perfekt und in
einigen gesellschaftlichen
Aspekten einen Schritt
hinterher. Aber ich bin froh
hier zu leben und meinen
Beitrag zu diesem spannenden
Projekt “Österreich”
als angehender Lehrer
zu leisten.
Cem Güleç, 25, Student und
angehender Lehrer
Mein Österreich ist Mozart, aber auch Raf Camora. A
Eitrige mit an Bugl und Döner mit “scharf”. Pflichtbewusstsein
und Strawanzen. Fortschritt, aber manchmal
auch Rückstand. Berglandschaften, Wälder, aber auch
Großstadt. Burgtheater und Gemeindebau.
Armin Nadjafkhani, 24, Journalist
80 / MIT SCHARF /
In Österreich leben
wunderbar spannende
Menschen wie Gustav,
die Musiker von den
Strottern und Wanda,
Attwenger, Soap & Skin,
Bilderbuch. Ich denke,
es geht uns ganz gut
hier. Ich bin ein Flüchtlingskind
und habe auch
weniger lustige Zeiten
erlebt.
Bogdan Pascu, 51, Künstler
Ich habe Österreich als
zweite Chance für ein
besseres Leben gesehen
und diese auch genutzt.
Ich bin glücklich hier,
fühle mich integriert
und esse genauso gern
Kartoffeln wie Reis.
Emerito Isidro, 60,
Metallfacharbeiter
privat, Marko Mestrovic, Foto Schuster, Zoe Opratko, Delia Anita Tatic, Manfred Weis, Daniel Spicker
In der gleichen Straße Türkisch, Kurdisch, Bosnisch,
Serbisch zu hören und ein Schnitzel essen zu können
– ohne Konflikt, sondern mit Wiener Schmäh,
das ist mein Österreich. Mein Österreich hat so viele
verschiedene Nachnamen, weil es schön ist, dass der
Balkan am Rennweg beginnt.
Dragan Antia-Tatić, 40, Fotograf
In meinem Österreich werden Çay (Tee)
und Simit (Sesamring) auf der Kärntnerstraße
oder am Graben verkauft und
nicht nur in Favoriten oder Ottakring.
Die ZiB wird von einer Frau mit Migrationshintergrund
moderiert. Die sogenannten
„Armutssprachen“ wie BKS
und Türkisch werden auch als lebende
Fremdsprachen in Schulen angeboten.
Eser Akbaba, 40, ORF-Wetter-Moderatorin
In der aktuellen Krisensituation
haben die
Menschen bei ihren
„Hamsterkäufen“ Angst,
dass man ihnen etwas
wegnimmt, dabei sollten
sie einfach froh und
dankbar sein, dass es
ihnen in Österreich so
gut geht.
Luca Thaler, 22, Eventmanager
und Model
/ MIT SCHARF / 81
„Die Leiden des jungen Todors“
Von Todor Ovtcharov
Konspirative Theorien
über den Sinn des Lebens
Trump behauptet hartnäckig, dass das
Coronavirus in einem chinesischen
Labor hergestellt wurde. Die normalerweise
nicht so gesprächigen Geheimdienste
seines Landes meinten, dass es keine
Beweise dafür gibt, aber Trump weiß es besser als
alle anderen. Er habe auch Beweise, will sie aber
nicht öffentlich machen.
Ich hingegen glaube, dass Trumps Haare in
einem noch geheimeren chinesischen Labor hergestellt
wurden. Und das sehr erfolgreich. Denn
zuerst hat man versucht, für Putin eine Frisur
herzustellen und ist kläglich gescheitert. Ich weiß
sogar, wo dieses Labor ist, sage es euch aber
nicht, damit sich nicht alle Kahlen unter euch nach
China stürzen. Denn das erhöht das Risiko für
eine zweite Coronawelle in China. Falls die erste
überhaupt vorbei ist. Denn man weiß nie, was die
Chinesen uns sagen und was sie verheimlichen.
Es ist wie dieser alte bulgarische Witz: Stimmt es,
dass Bulgarien Computer in die USA exportiert?
Ja, es stimmt, aber es sind keine Computer, sondern
Kompott, und man exportiert nicht, sondern
importiert.
In Zeiten der Pandemie stellte sich heraus,
dass man alles, was die Wahrheit ist, nicht glauben
will und alles, was unwahr ist, Realität ist.
Könnte sich jemand vorstellen, dass ein amerikanischer
Präsident jemals Menschen raten würde,
sich Desinfektionsmittel zu spritzen? Danach
meinte er, er habe nur gescherzt. Ich würde den
Medien raten, solche gefährlichen Scherze zu
zensurieren. Mit dem gleichen „Beep“-Geräusch,
das man verwendet, um Schimpfwörter zu vertuschen.
So werden Trumps Reden wie Morsezeichen
wiedergegeben.
Der Präsident Putin wunderte sich und
empörte sich sogar, dass sein Land nicht über
genug Krankenhausbetten für die Coronakranken
verfügt. Wo hat er denn bis jetzt gelebt, wenn
sogar Menschen, die nie in Russland waren,
wissen, dass hinter den Berichten über das wunderbare
Gesundheitswesen Menschen stecken,
die zum Zwecke der Propaganda „fake news“
herstellen.
Und wenn „fake news“ zur offiziellen Politik
werden, wie will man politischen Führern glauben,
dass sie den fake news den Kampf ansagen? Wo
ist dann der Sinn der Sache? Es gibt einen anderen
alten Witz: Einer ging zum Arzt und sagte:
„Herr Doktor, ich trinke nicht, ich rauche nicht und
habe keinen Geschlechtsverkehr, werde ich noch
lange leben? „Ja“, antwortete der Arzt, „aber gibt
es überhaupt einen Sinn, dass Sie leben?“. ●
82 / MIT SCHARF /
DAS LEBEN IST
#JETZT
UND IMMER
GIBT’S DAS:
25 INDIVIDUELLE LEHRBERUFE FÜR IHR KIND?
NASICHER
Sie können sich sicher sein, dass Ihr Kind bei einer ÖBB LEHRE eine interessante Ausbildung, faires Gehalt, gute Jobchancen, genug
Freizeit und 5.000 km Freifahrt durch ganz Österreich erhält. Alle weiteren Infos auf nasicher.at
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PRÄMIEN