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Polen und Rumänien weisen also ganz unterschiedliche<br />

Entwicklungen der Nachwende-Kinematographie<br />

auf: Während das rumänische<br />

Kino in den 1990er Jahren fast inexistent war,<br />

hatte die polnische Filmproduktion sich trotz des<br />

anfänglichen Kahlschlags im Laufe der 1990er<br />

Jahre etwas erholt. Damit vergleichen lässt sich<br />

die Lage in Tschechien; dort entzündete sich in der<br />

unmittelbaren Nachwendezeit die Debatte über die<br />

Zukunft des Films an der geplanten Privatisierung<br />

der Barrandov Film Studios; diese hatten bis 1989<br />

das Monopol zur staatlichen Filmproduktion. Der<br />

geplante Verkauf erschien vor allem den älteren<br />

Filmschaffenden als Ausverkauf ihrer Ideale, denn<br />

trotz der ideologischen Kontrolle, die die Filmindustrie<br />

bis 1989 dominierte, bedeutete Barrandov<br />

auch Stabilität und Sicherheit für die Filmemacher/<br />

innen. Während ausländische Filme, speziell aus<br />

Hollywood, den einheimischen Markt eroberten,<br />

sorgten sich tschechische Filmemacher/innen<br />

um die Authentizität ihrer Kunst. Dabei war die<br />

Diskussion um die Privatisierung von Barrandov<br />

nicht nur eine über Kunst und Kommerz, sondern<br />

sie legte auch einen Konflikt zwischen den Generationen<br />

offen – vor allem die Filmemacher/innen<br />

der älteren Generation hingen an Barrandov (Vĕra<br />

Chytilová, Jiří Menzel), während die Jüngeren, wie<br />

zum Beispiel Jan Hřebejk, Jan Svěrák, Tomáš Vorel,<br />

Petr Zelenka und Irena Pavlásková, entspannter<br />

mit der Situation umgingen und sich auf innovative<br />

Formen und Medien einließen. Dennoch:<br />

der Verkauf von Barrandov und der Verlust von<br />

hunderten Arbeitsplätzen, der darauf folgte, war,<br />

wie die Filmpublizistin Jindřiška Bláhová konstatiert,<br />

„eine der traumatischsten Erfahrungen für<br />

die [tschechische] Film-Community in den 1990er<br />

Jahren“ (Bláhová 2019: 49).<br />

Schauen wir auf die Qualität der tschechischen<br />

Filme der 1990er Jahre, so ist auch hier die<br />

Situation zunächst trostlos. Die postsozialistische<br />

tschechische Filmlandschaft lässt sich in drei<br />

Bereiche einteilen: populäres Kino, Arthaus-Kino<br />

und Debüts. Das populäre Kino wurde vor allem<br />

von Jan Svĕrák vertreten, dessen OBECNÁ ŠKOLA<br />

/ DIE VOLKSSCHULE 1991 für den Oscar als bester<br />

fremdsprachiger Film nominiert wurde und<br />

dessen Film KOLJA / KOLYA diesen Oscar dann<br />

1996 auch tatsächlich bekam – beide Filme waren<br />

konventionell in der Form, dabei aber in der<br />

Umsetzung sehr professionell. Und so spannend,<br />

dass die Zuschauer/innen sie gerne sahen: In<br />

DIE VOLKSSCHULE entspinnt sich ein Drama<br />

um einen Lehrer im Nachkriegs-Prag, der von<br />

seinen Schüler/innen verehrt und im Endeffekt<br />

gerettet wird; KOLYA ist eine warmherzige<br />

Komödie, die kurz vor der Samtenen Revolution<br />

spielt und in der es um die Scheinehe eines<br />

kaltgestellten Cellisten mit einer Russin, einen<br />

zurückgelassenen Jungen und die Bespitzelung<br />

durch die Staatssicherheit geht. Beide Filme lösen<br />

die Konflikte auf und enden harmonisch. Für<br />

das Arthaus-Kino stehen die Regisseur/innen der<br />

tschechischen Neuen Welle, die diese Tradition<br />

in den 1990er Jahren wieder aufgreifen, darunter<br />

auch Drahomíra Vihanová und Vĕra Chytilová.<br />

Erstere lässt die Nouvelle Vague-Ästhetik in ihrem<br />

Film PEVNOST / DIE FESTUNG (1994) auferstehen,<br />

letztere greift in PASTI, PASTI, PASTIČKY / GROSSE<br />

FALLEN, KLEINE FALLEN (1998) und DEDICTVÍ<br />

ANEB KURVAHOSIGUTNTAG / DAS ERBE ODER<br />

FUCKOFFJUNGSGUTNTAG (1992) typische formale<br />

Elemente aus ihren früheren Filmen auf und setzt<br />

diese ein, um die Konsumorientierung der 1990er<br />

Jahre parodistisch zu behandeln. Und die Debüts?<br />

Diese richteten sich vor allem auf gesellschaftliche<br />

Probleme: Alkoholismus, Verbrechen, Prostitution.<br />

Als Ausnahme erscheint Saša Gedeon, der in<br />

NÁVRAT IDIOTA / RÜCKKEHR DES IDIOTEN von<br />

1999 Dostojewskis Romanvorlage „Der Idiot“ in die<br />

böhmische Provinz verlegt.<br />

Im südslavischen Raum sind die Jugoslawien-<br />

Kriege natürlich das dominante Thema der<br />

Filme. Die nationalistischen Tendenzen, die sich<br />

nach 1989 in einem grausamen Krieg entluden,<br />

führten dazu, dass viele Filme sich mit der<br />

Frage nach religiös-ethnischen Zugehörigkeiten<br />

beschäftigten. Die Jugoslawien-Kriege spielen<br />

in zwei Filmen beim diesjährigen Festival eine<br />

Rolle: in Milcho Manchevskis preisgekröntem Film<br />

PRED DOZHDOT / VOR DEM REGEN, einer mazedonisch-britisch-französischen<br />

Koproduktion von<br />

1994, und in dem Dokumentarfilm des kroatischen<br />

Regisseurs Nenad Puhovski von 1997, GRAHAM I<br />

JA – ISTINITA PRIČA / GRAHAM UND ICH – EINE<br />

WAHRE GESCHICHTE, entstanden im Rahmen von<br />

FACTUM, einer kroatischen Initiative für unabhängige<br />

Dokumentarfilme. Manchevskis Protagonist<br />

ist der Fotograf Aleks, der im Westen mit dem<br />

Pulitzer-Preis ausgezeichnet wird und doch in<br />

sein mazedonisches Heimatdorf zurückkehrt. Mit<br />

dieser Rückkehr verwoben sind die Geschichten<br />

seiner englischen Geliebten Anne, der muslimischen<br />

Albanerin Zamira und des orthodoxen<br />

87 SYMPOSIUM

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