28.04.2020 Views

goEast Katalog 2020

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4<br />

HELEEN<br />

GERRITSEN<br />

FESTIVALLEITERIN<br />

Am Anfang dieses Jahres<br />

habe ich mich sehr auf das<br />

runde Jubiläum von <strong>goEast</strong><br />

gefreut. Doch als sich ab Ende<br />

Februar die Ereignisse um die<br />

Covid-19-Pandemie zunehmend<br />

überschlugen, fiel mir ein, dass<br />

auch das zehnjährige Jubiläum<br />

von <strong>goEast</strong> schon unter einem<br />

eher unglücklichen Stern stand:<br />

Damals hinderte der Ausbruch<br />

des Vulkans Eyjafjallajökull in<br />

Island viele Filmgäste daran<br />

nach Wiesbaden zu reisen. Dank<br />

der Improvisationskünste der<br />

Gästebetreuung wurden aber<br />

Lösungen gefunden und das<br />

10. <strong>goEast</strong> Filmfestival fand<br />

trotz allem in Wiesbaden statt.<br />

<strong>2020</strong> haben wir weniger Glück:<br />

Während ich dieses Grußwort<br />

schreibe sind die Grenzen zu,<br />

in vielen Ländern weltweit<br />

herrschen Ausgangssperren<br />

und das gesamte <strong>goEast</strong>-Team<br />

arbeitet aus dem Home-Office.<br />

Öffentliche Veranstaltungen<br />

werden im Mai <strong>2020</strong> nicht<br />

stattfinden.<br />

<strong>goEast</strong> steht für hochkarätige<br />

Filmkunst, aber auch für<br />

Zufallsbegegnungen mit<br />

Menschen unterschiedlichsten<br />

Hintergrunds, unterschiedlichster<br />

Altersgruppen und<br />

unterschiedlichster politischer<br />

Ansichten. Im Kino und in der<br />

Bar im Festivalzentrum wird<br />

zusammen gelacht, gefeiert und<br />

gestritten. Dass dieser Aspekt<br />

ausgerechnet zur 20. Ausgabe<br />

Covid-19 zum Opfer fällt, ist<br />

schwer zu verkraften. Dazu<br />

kommen diverse Hiobsbotschaften<br />

von Kolleg/innen und<br />

Freund/innen aus Mittel- und<br />

Osteuropa: Das Kulturbudget<br />

in Ukraine und somit auch die<br />

Filmförderung wird auf Null<br />

reduziert, das Staatsoberhaupt<br />

von Turkmenistan behauptet, es<br />

gäbe in seinem Land gar keinen<br />

Coronavirus und Viktor Orban<br />

ändert das ungarische Grundgesetz,<br />

um auf unbestimmte Zeit<br />

per Dekret zu regieren.<br />

Unser <strong>goEast</strong>-Jubiläumsfilmprogramm<br />

heißt „Europa<br />

Europa“, da wir auch schon vor<br />

der Pandemie das Europäische<br />

Haus bekräftigen und feiern<br />

wollten. Es ist jetzt unserer<br />

Meinung nach aktueller denn<br />

je, auch wenn man sich oft<br />

mehr gemeinsamen Elan aller<br />

Beteiligten erhoffen würde. Die<br />

Filme des Programms, die sich<br />

kritisch mit diversen Aspekten<br />

des europäischen Daseins<br />

auseinandersetzen, stehen<br />

während der Festivalwoche<br />

allesamt als Video-on-Demand<br />

zur Verfügung und werden von<br />

einem Online-Diskussionspanel<br />

“What Would We Do Without<br />

Europe?” begleitet.<br />

Von Anfang an war uns klar, dass<br />

<strong>goEast</strong> aber kein Online-Festival<br />

wird. Filmkunst gehört auf die<br />

große Leinwand! Deshalb haben<br />

wir uns sehr gefreut, als vom<br />

Wiesbadener exground filmfest<br />

eine Handreichung kam und<br />

uns spontan eine Partnerschaft<br />

vorgeschlagen wurde: Die 16<br />

Filme des Wettbewerbs und<br />

der Eröffnungsfilm werden<br />

im November in Anwesenheit<br />

der Filmgäste in der Caligari<br />

Filmbühne vorgeführt. Und um<br />

unserem Anspruch der Unterstützung<br />

der osteuropäischen<br />

Filmbranche gerecht zu werden,<br />

kam von Programmkoordinator<br />

Dominik Streib der Vorschlag,<br />

das Preisgeld der beiden<br />

Hauptwettbewerbe unter den<br />

Filmschaffenden einfach<br />

aufzuteilen. Gesagt, getan! Wir<br />

danken unseren Förderern, die<br />

diese Entscheidung mitgetragen<br />

haben.<br />

Was steht noch auf dem<br />

Programm? Wenn im restlichen<br />

Jahr keine Katastrophen mehr<br />

passieren, werden circa 80 von<br />

den ursprünglich 111 geplanten<br />

Filmen unserem Publikum<br />

gezeigt. Das Symposium und das<br />

Porträt von Radu Jude werden<br />

auf Ende Juli verschoben. Das<br />

Paneuropäische Picknick findet<br />

im August statt. Der Open Frame<br />

Award findet zum ersten Mal<br />

komplett virtuell statt und wird<br />

online übertragen. Das East-West<br />

Talent Lab für unsere Nachwuchsfilmemacher/innen<br />

wird<br />

komplett online stattfinden,<br />

inklusive Project Pitch.<br />

Mittel- und Osteuropa sind<br />

krisenerprobt: Die Umbruchszeit<br />

der neunziger Jahre, die auch<br />

im Mittelpunkt des diesjährigen<br />

Symposiums steht, beweist<br />

das eindrücklich. Nur ein<br />

Beispiel: Das Filmfestival in<br />

Sarajevo wurde während des<br />

Bürgerkriegs gegründet und<br />

während die Stadt beschossen<br />

wurde gingen die Menschen auf<br />

Rockkonzerte. Der postsozialistische<br />

Raum wird von Überlebenskünstler/innen<br />

bewohnt.<br />

Das heißt aber nicht, dass wir<br />

unsere Kolleg/innen dort jetzt<br />

alleine lassen dürfen. <strong>goEast</strong><br />

bietet, zusätzlich zum regulären<br />

Programm aus erstklassiger<br />

Filmkunst, in diesem bizarren<br />

Jubiläumsjahr den Sorgen und<br />

aktuellen Entwicklungen in<br />

unserer Schwerpunktregion<br />

eine Plattform. Und hoffentlich<br />

treffen wir uns bald wieder<br />

persönlich in Wiesbaden.

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