Kritik am Buch „The Shadow Of The Dalai Lama ... - Neues von Shi De

Artikel 1 Seite 4 von 27
Eine Segenszeremonie
traditionsgemäss viele Menschen teil. Dies ist eine Besonderheit des Kalachakra-
Systems gegenüber anderen Tantras, in denen eine Einweihung immer die
Verpflichtung zu tantrischer Praxis bedeutet. Als wünschenswerte Basis gilt eine
altruistische, liebevolle und mitfühlende Motivation.
Kalachakra ist zugleich ein Meditationssystem der höchsten Ebene des
buddhistischen Tantra, des Anuttarayoga. S. H. der Dalai Lama weist während des
Rituals darauf hin, dass die komplexen Visualisationen und Rezitationen nur von
jenen Anwesenden ausgeführt werden sollen, welche die Einweihung als
Ermächtigung zur tantrischen Praxis erhalten wollen. Dies ist nur für erfahrene
Praktizierende sinnvoll und ratsam, die über umfassende Kenntnisse buddhistischer
Grundlagen – Philosophie und Praxis – verfügen. Die tantrische Praxis stellt ein
kompliziertes Übungssystem dar, welches das Ablegen gewisser Gelübde und
Verpflichtungen erfordert und das durch spezielle Meditationstechniken eine
besonders rasche Entwicklung des Bewusstseins in den Zustand der Erleuchtung
ermöglicht.
Kritiker und Kritikerinnen werfen S. H. dem Dalai Lama vor, das Kalachakra-Tantra
sei ein sexualmagisches Ritual, mit dem Krieger und Kriegerinnen für den grossen
Kampf eines zukünftigen letzten Königs von Shambhala gegen alle Feinde des
Buddhismus rekrutiert würden. Welche Bedeutung hat der Shambhala-Mythos, der
im Kalachakra-Tantra eine zentrale Bedeutung hat, für Sie?
Wie in den meisten Religionen werden auch im Buddhismus Texte mit definitiver und
solche mit interpretativer Bedeutung unterschieden, je nachdem, ob sie wörtlich zu
verstehen sind oder einer Interpretation bedürfen. Alle zur Klasse der buddhistischen
Tantras gehörigen Texte sowie tantrische Darstellungen bedürfen jedenfalls der
Interpretation durch einen kompetenten und erfahrenen Lehrer.
Es ist richtig, dass im Tantra sexuelle und kriegerische Symbolik verwendet wird.
Zum einen wird damit auf die letztendliche Einheit von relativer und absoluter
Wirklichkeit verwiesen, deren Erleben eine höchst freudvolle Erfahrung darstellt. Zum
anderen wird der innere Kampf gegen die eigenen störenden Emotionen wie Gier,
Hass und Ignoranz als Kampf gegen äussere Feinde beschrieben.
Es ist falsch anzunehmen, dass in den Texten zu tatsächlichen sexuellen oder
kriegerischen Handlungen angeleitet wird. Es ist ebenso falsch anzunehmen, dass in
buddhistischen tantrischen Ritualen tatsächlich sexuelle oder kriegerische
Handlungen durchgeführt werden.
Ausser von Buddhisten werden tantrische Texte auch von hinduistischen und
westlichen «Autoritäten» interpretiert. Im Westen haben tantrische Richtungen
Bekanntheit erlangt, in denen in der Tat sexuelle Handlungen ausgeübt werden. Es
handelt sich dabei um sogenannte «linksseitige» Tantras, die nicht buddhistischer
Natur sind.
Im Gegensatz zu den aufgestellten Behauptungen wird für die Praxis des
buddhistischen Tantra immer wieder die Notwendigkeit einer einwandfreien
moralischen Haltung des Schülers oder der Schülerin betont, die eine grosse Anzahl
spezieller tantrischer Gelübde einzuhalten haben.