dräum | ausgabe 4 | 12/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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Posaunenlied<br />
Verquollene Lider werden aufgeschlagen im Zwielicht des<br />
letzten Tages, im Hintergrund geben Streicher dramatisches<br />
Kommentar. Ein Vibrieren entfährt den erstarrten Kanzelsprechern,<br />
dann zerklingen sie in tausend Scherben. Am Ende des<br />
roten Teppichs knien Kinder in Tränen, knöcheltief, die Nasenglocken<br />
läuten der Welt zur Beichte. Plötzlich wird es unrund<br />
im Dorf, die Obersten und die Mittleren und sogar die Unteren<br />
wechseln vom Morgenmantel in den Frack, marschieren<br />
Reih’ und Glied die Landstraße entlang zum Gipfelkreuz, man<br />
macht einen Knicks und springt. Die Rache folgt auf den Fuß,<br />
denn im Stürzen noch sieht man haushohe Hornissen in die<br />
Lande stürmen, hinter sich eine rachsüchtige Kaltfront, die der<br />
schwülen Hitze ins Gesicht fährt und grinsend bis nach oben<br />
Blitzen türmt. Die dürren Beine brechen oberhalb der Knie,<br />
zeigen in alle Richtungen, formen Bilder des Gestern zum<br />
heutigen Tanz – im Hagel weinen die zerschundenen Leiber<br />
auf den Feldern, die Ernte ist verderbt, lasst fahren alle Hoffnung,<br />
die Posaunen schluckten sie und speien nun Verachtung<br />
über euch. Engel kreisen fahlen Blickes, stoisch, gleichgültig,<br />
unbeeindruckt, gehen, weil euer Ende sie langweilt.<br />
Die ganze Ernte ist verderbt.