dräum | ausgabe 4 | 12/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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Nach gefühltem Ewig-Hin-und-Her werde ich<br />
alle Hoffnung aufgebraucht finden. Dann wird<br />
es heißen: Verhungern oder Vordertür. Ich<br />
werde mich, im Angesichte meines Todes, der<br />
Schwelle nähern und den Schlüssel drehen,<br />
werde den Angstbrei schlucken und die Klinke<br />
senken. Er da draußen wird noch größer werden,<br />
sich aufplustern, um im Moment seiner<br />
Pflichtausübung möglichst groß und prächtig<br />
auszusehen, so furchteinflößend wie nur möglich.<br />
Und wo ich beginne, seines flirrenden,<br />
wabernden Wesens im Lichte meines letzten<br />
Tages gewahr zu werden, da werde ich – wie<br />
jeden Tag – um 10 Minuten nach sechs Uhr<br />
morgens von meinem Wecker aus dem Schlaf<br />
gerissen werden.<br />
Ich stehe wie jeden Tag um zehn Minuten nach<br />
sechs Uhr morgens auf. Ich setze mich an die<br />
Bettkante und wische mir den Schlaftalg von<br />
der Stirn. Ich gehe wie jeden Tag urinieren. Das<br />
Zähneputzen macht mir so wenig Spaß wie eh<br />
und je. Mein Kleiderschrank hohnlacht aus allen<br />
Fächern. Schon wieder ein Paar mit Loch.<br />
Jetzt passt auch dieses Hemd nicht mehr. Eine<br />
gute Tasse Kaffee – störrische Brösel überall,<br />
werden wohl fürs Erste liegen bleiben. Spuck<br />
nur deine Trotztropfen, bald hau ich dich sowieso<br />
raus und besorge eine neue, eine bessere.<br />
Es überfällt mich eine Ahnung aus der Nacht,<br />
verdunkelt meine Tagesplanung, dämmert mir<br />
beim Durchgehen all der Dinge, die man heute<br />
von mir erwarten wird. Ich gehe am Klo vorbei<br />
in Richtung Eingang, halte vor der Vorraumtüre<br />
inne. Ich befürchte etwas, glaube, etwas zu wissen,<br />
etwas zu sehen. Ich merke, dass ich jetzt<br />
durchaus Stuhl absetzen könnte. Ich versuche,<br />
rational zu bleiben, und öffne die Tür zum Vorraum.<br />
Zwei Wochen sind ins Land gezogen, mein<br />
Krankenstand hat sich vermutlich längst in<br />
eine Kündigung verwandelt. Ob mich sonst<br />
noch wer vermisst? Ich sitze im Wohnzimmer<br />
und starre an die Vorraumtür, die ich<br />
immer noch nicht öffnen konnte. Ich zeichne<br />
in Gedanken eine Silhouette an die dahinter<br />
liegende Eingangstür aus Sichtschutzglas.<br />
Kann Verdrängung tödlich sein? Zur Sicherheit<br />
beginne ich ein Abschiedsschreiben, eröffne<br />
mit den Worten: „Ich habe bald keine Fisolen<br />
mehr.“ Alles andere scheint mir zu pathetisch.<br />
Ich beschließe, es geht nicht mehr. Nach der<br />
letzten Tasse Kaffee ohne laktosefreier Milch<br />
entscheide ich, dem Verhungern durch die<br />
Vordertür zu trotzen. Ich nähere mich, im Einverständnis<br />
mit dem Tode, der Schwelle meiner<br />
Vorraumtür, senke die Klinke, schmecke den<br />
bitteren Angstbrei aus Aluminium und schlucke<br />
zum Nachtisch gammligen<br />
Mundgeruch. Ich öffne<br />
die Vorraumtür und gerinne<br />
wie kaltes Blut, stocke wie<br />
Mayonnaise. Ich erkenne,<br />
dass.