blickpunkt Oktober 2015 interaktiv
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KAPITEL 1 STADTENTWICKLUNG<br />
Die Berkel:<br />
Vom Emschercharakter zum<br />
wertvollen Biotop<br />
für Mensch und Natur<br />
Regionale-Projekt BerkelStadt<br />
bietet einzigartige Chance zur Aufwertung<br />
Zu Beginn der Stadtgeschichte<br />
teilte die Berkel im 11. Jahrhundert<br />
Coesfeld in die nordöstliche<br />
St.-Lamberti- und die südwestliche<br />
St.-Jakobi-Gemeinde.<br />
Ein Fußweg zog sich entlang der<br />
heutigen Beguinenstraße. Etwa in<br />
Höhe der heutigen Gaststätte<br />
»Kaffeemühle«, an der Bernhard-von-Galen-Straße,<br />
verband<br />
die Pagenfurt die beiden Siedlungen.<br />
Im Bereich des Schloss parks<br />
dürften Coesfelds Urbewohner<br />
gelegentlich durch Schlamm<br />
gewatet sein, denn im frühen<br />
Mittelalter prägte eine Flussaue<br />
mit einer Hochwasserzone das<br />
Siedlungsbild.<br />
1197 erhielt Coesfeld das<br />
Stadtrecht. Zwei Aufgaben waren<br />
für die wachsende Stadt zu erfüllen.<br />
Es musste nach der Bauordnung<br />
von 1238 eine Stadtmauer<br />
als Wehranlage errichtet werden.<br />
Das bedeutete auch die Verlagerung<br />
der innerstädtischen Hochwasserzone<br />
vor die Stadt. Eine<br />
Kompromisslösung musste also<br />
gefunden werden, denn in der<br />
Innenstadt trieb die Berkel in<br />
Höhe des Walkenbrückentores die<br />
obere Mühle an. Eine weitere<br />
stand fluss abwärts an der Süringstraße.<br />
Erst kürzlich wurden beim<br />
Abriss eines Gebäudes Fundamentreste<br />
der Mühle aufgefunden.<br />
Doch die Wasserkraft diente<br />
nicht nur dem Mühlenantrieb.<br />
Bis ins 19. Jahrhundert hinein<br />
wuschen Frauen ihre Wäsche in<br />
der Innenstadtberkel. In einer<br />
preußischen Akte von 1864 ist<br />
von acht öffentlichen und 20 privaten<br />
Waschplätzen im innerstädtischen<br />
Berkelarm die Rede.<br />
Im Stadtbereich mündeten drei<br />
weitere Bäche: die Lilienbecke, der<br />
Hamsbach und der Münsterwegbach,<br />
so die Auffassung von Coesfelds<br />
ehemaligem Stadtarchivar<br />
Ludwig Frohne († 2007). Diese<br />
speisten gemeinsam mit dem<br />
Honigbach und der Berkel den<br />
Graben um die Stadt mit Wasser –<br />
die Umflut. Eine Schleuse am<br />
Walkenbrückentor steuerte den<br />
Wasserstand in der Innenstadtberkel.<br />
Das Mehr an Wasser floss<br />
um die Stadt herum. Im östlichen<br />
Bereich war stadtauswärts eine<br />
zweite Umflut dem Graben vorgelagert,<br />
heute in Bruch stücken<br />
noch als Fegetasche erhalten.<br />
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
hat sich der Wasserverlauf<br />
innerstädtisch kaum verändert,<br />
wohl aber seine Struktur. Der Fluss<br />
drängte sich durch ein schmales<br />
Bett zwischen angrenzenden<br />
Bebauungen, mit Ausnahme der<br />
großen Parkanlage des Jesuitenklosters,<br />
des heutigen Stadtschlosses.<br />
Für Uta Schneider, Geschäftsführerin<br />
der Regionalen 2016, hat<br />
die Berkel für Coesfeld und auch<br />
für die gesamte Region eine enorme<br />
Bedeutung: »Sie war wichtiger<br />
Transportweg für Güter, beispielsweise<br />
den Baumberger Sandstein,<br />
und darüber hinaus eine kulturhistorisch<br />
wichtige Verbindung.«<br />
Nachhaltig sind die Ahnen<br />
Coesfelds mit dem Fluss nicht umgegangen.<br />
Ein erschreckendes Bild<br />
zeichnete 1930 der damalige<br />
Münsteraner Gutachter Dr. Schumann.<br />
Er fasst die Situation in<br />
einem Satz zusammen: »Der Fluss<br />
unterhalb der Stadt ist zu einer<br />
Kläranlage für die gesamte Stadt<br />
Coesfeld geworden.« Vor allem<br />
die Stockumer Bürger, flussabwärts<br />
der Stadt, beklagten<br />
das massive Fischsterben. Die<br />
ursprüngliche Bedeutung für den<br />
lokalen Fischfang beschreibt Coesfelds<br />
Stadtarchivar Norbert Damberg:<br />
»Gerade während der Fastenzeit<br />
stellte der Fisch einen<br />
wichtigen Ersatz für das fehlende<br />
Fleisch.«<br />
Der innerstädtische Flussverlauf<br />
war durch die Industrialisierung<br />
und Besiedlung jedoch zu einem<br />
Abwasserkanal verkommen –<br />
ökologisch tot. Die Leder- und<br />
Textilindustrie ebenso wie die<br />
Schlachterei setzten dem Fluss ordentlich<br />
zu. Ungeklärte Abwässer<br />
färbten das Wasser. Berichte über<br />
die Verschmutzung der Berkel<br />
durch die Firma Vissing finden sich<br />
bereits 1854. Auch die Haushalte<br />
waren nicht gerade zimperlich.<br />
Fäkalien, Speisereste und allerlei<br />
Unrat sollten die Berkelfluten<br />
davonspülen. »Dass die Berkel<br />
zwischen der Kuchenstraße und<br />
der Schüppenstraße überbaut<br />
wurde, hatte sicherlich nicht<br />
nur ästhetische, sondern auch<br />
hygienische Gründe«, vermutet<br />
Damberg.<br />
Die fünfjährige Paula auf der Suche nach der Berkel in der Berkelgasse<br />
(Foto: Hartmut Levermann)<br />
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