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Trialog_16-2015
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TRI∆LOG 16/2015<br />
letzter Zeit, in der Sie Fremdheitsgefühle verspürt<br />
haben. Wenn Sie eine Szene vor Ihrem<br />
inneren Auge haben, machen Sie sich bitte Gedanken<br />
zu folgenden Fragen!<br />
• Wie kam es zu meinem Befremden (Verhalten<br />
der anderen Person, eigene Erinnerungen …)?<br />
• Mit welchen anderen Gefühlen waren meine<br />
Fremdheitsgefühle verbunden?<br />
• Wie ging es in der Begegnung weiter? Was passierte<br />
mit meinen Gefühlen?<br />
• Traten meine Fremdheitsgefühle und die damit<br />
verbunden Emotionen schon zu vor (in ähnlichen<br />
Begegnungen) auf? Wie oft?<br />
• Welche Fantasien und Ideen habe ich darüber,<br />
wie dieses Befremden und die damit verbundenen<br />
Gefühle in meiner Biografie verankert sind?<br />
Das Fremde erscheint aber nicht nur als Eigenes,<br />
es entsteht auch in der Beziehung zu anderen<br />
Personen (Objekten). Der/die erste Fremde ist die<br />
(Nicht-)Mutter / die (Nicht-) Bezugsperson. Ihm / Ihr<br />
gegenüber befinden wir uns im Spannungsfeld von<br />
Angst und Entwicklung, von Bindungsbedürfnis und<br />
Explorationsbedürfnis.<br />
Ein Beispiel für dieses Spannungsfeld ist das Fremdeln,<br />
welches Oerter und Montada (1998) als „eine<br />
heftige emotionale Reaktion beim Anblick einer<br />
fremden Person“ beschreiben. Dieses Fremdeln<br />
wird auch als 8-Monats-Angst bezeichnet und passiert<br />
zu einer Zeit, in der sich die Wahrnehmung<br />
des Babies ausdifferenziert: Es kann mittlerweile<br />
zwischen vertrautem und fremdem Gesicht unterscheiden.<br />
Parallel dazu findet eine stärkere Mobilität<br />
statt. Das Baby kann krabbeln, sich aufrichten,<br />
versucht das Stehen. Physiologisch kann das Baby<br />
also stärker explorieren, wobei das Fremdeln den<br />
Aktionsradius begrenzt, das Bindungsbedürfnis<br />
aktiviert und das Baby somit vor allzu expansiver<br />
Exploration schützt.<br />
In der Subjekt- und Objektdifferenzierung ist das<br />
Objekt also immer fremd. Es ist beispielsweise der<br />
oder die Dritte in der ödipalen Konstellation, der<br />
Partner, die Partnerin, die Außenbeziehung. Es wird<br />
gebraucht, um Selbst zu werden, selbst zu sein.<br />
4. Die fremde Kultur<br />
Das Spannungsverhältnis von Bekanntem und<br />
Fremden, von Eigenem und Fremden findet sich<br />
auch in der Beziehung des Individuums zu Familie<br />
und Kultur, wobei Kultur in diesem Zusammenhang<br />
der Raum außerhalb der Familie ist. Erdheim<br />
(1992) beschreibt dies sehr schön in seinem Aufsatz<br />
„Das Eigene und das Fremde. Über die ethnische<br />
Identität“: „Die Familie ist der Ort des Aufwachsens,<br />
der Tradition, der Intimität im Guten und<br />
im Bösen, der Pietät und der Verfemung. Die Kultur<br />
ist hingegen der Ort der Innovation, der Revolution,<br />
der Öffentlichkeit und der Vernunft.“ Dabei stehen<br />
Kultur und Familie in einem Spannungsverhältnis,<br />
welches Sigmund Freud 1930 (1972) im „Unbehagen<br />
in der Kultur“ wie folgt charakterisiert: „Die Familie<br />
will das Individuum nicht frei geben. Je inniger<br />
der Zusammenhalt der Familienmitglieder ist, desto<br />
mehr sind sie geneigt, sich von den anderen abzuschließen,<br />
desto schwieriger wird ihnen der Eintritt<br />
in den größeren Lebenskreis.“ Die Kultur, die<br />
das zwischenmenschliche Zusammenleben von<br />
größeren Gruppen regelt, wird gebraucht, um aus<br />
der Familie heraustreten zu können. Dabei legt die<br />
Kultur bestimmte Regeln, wie beispielsweise das<br />
Inzesttabu fest, die diesen Prozess ermöglichen:<br />
„Das Inzesttabu treibt das Individuum gleichsam in<br />
die Fremde, welche jenseits der Grenzen der Familie<br />
anfängt“ (Erdheim 1992). In der Kultur lernt das<br />
Individuum den Umgang mit seinen Bedürfnissen<br />
(Trieben), wird also von ihnen teilweise entfremdet<br />
und kann somit zum sozialen Wesen werden. Somit<br />
wird die Kultur zu einem Raum, in dem es nicht die<br />
sofortige, spontane Bedürfniserfüllung gibt, der es<br />
aber gleichzeitig ermöglicht, kreative und schöpferische<br />
Leistungen zu vollbringen. Die eigene „fremde“<br />
Kultur verbietet und ermöglicht.<br />
In diesem Kontext ist schließlich noch die Beziehung<br />
der Kulturen untereinander spannend – wie<br />
beispielsweise eine Kultur eine andere als „fremd“<br />
definiert und welche Dynamik sich dahinter verbirgt.<br />
Doch auf diesen Aspekt soll hier aus Platzgründen<br />
nicht näher eingegangen werden.<br />
5. Der Umgang mit dem Fremden<br />
Um die durch das Fremde ausgelösten Gefühle<br />
nicht spüren zu müssen, gibt es verschiedene Möglichkeiten<br />
das Fremde zu Bannen. Ziemer (2006)<br />
beschreibt in diesem Kontext fünf Formen<br />
1. Verleugnen: Mir macht das Fremde gar nichts<br />
aus. Ich habe keine Berührungsängste.<br />
2. Vereinnahmen: Unbekanntes wird auf Vertrautes<br />
zurückgeführt: Eine möglicherweise unge-<br />
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