EFBx
Trialog_16-2015
Trialog_16-2015
You also want an ePaper? Increase the reach of your titles
YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.
TRI∆LOG 16/2015<br />
Erklärtermaßen sollte es hauptsächlich um physische<br />
Misshandlung gehen. Immerhin schreiben<br />
sie aber, seelische Misshandler seien „Folterer der<br />
besonders perfiden Art“<br />
(S.45). Der gebildete Misshandler lege Wert darauf,<br />
keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen.<br />
Der Duden übersetzt uns das Wort perfide mit<br />
„hinterlistig, tückisch“.<br />
Gibt es irgendeine wissenschaftliche Untersuchung,<br />
die belegt, dass psychische Misshandler<br />
auf diese Art misshandeln, weil sie die Spuren körperlicher<br />
Misshandlung vermeiden wollen?<br />
Falls dem so wäre,- könnte man diese Leute dann<br />
auch als geisteskrank bezeichnen?<br />
Wir haben derzeit eine Diskussion über eine Strafrechtsreform<br />
in Deutschland, ausdrücklich befördert<br />
durch den Bundesjustizminister.<br />
Da wird es u.a. darum gehen, das Merkmal „Heimtücke“<br />
als Mordmotiv aus dem Gesetz zu nehmen.<br />
Die Kritiker weisen darauf hin, dass dieses Konstrukt<br />
auf die Denkweise der Nazis zurückgehe,<br />
unter deren Herrschaft diese Gesetzesnorm geschaffen<br />
wurde.<br />
Die hätten sich einen Mörder eben nur heimtückisch<br />
vorstellen können.<br />
In der Praxis habe das dazu geführt, dass für manche<br />
Arten der Tötung, etwa wenn die jahrelang<br />
misshandelte Ehefrau ihren Peiniger und Ehemann<br />
nachts im Schlaf erstochen habe, nur das<br />
höchste Strafmaß in Frage gekommen sei.<br />
D.h., dass man in Deutschland beginnt, auch bei<br />
Tötungen die Motive differenzierter zu betrachten.<br />
Die Dämonisierung der Täter weicht einer psychologischen<br />
Sichtweise, nach der auch der Rechtsbrecher<br />
verstehbare Motive haben kann.<br />
Das differenzierte Verständnis der Tatumstände<br />
soll eine differenziertere Beurteilung und Strafmaßzumessung<br />
nach sich ziehen können.<br />
Unsere Rechtsmediziner aber unterstellen dem psychischen<br />
Misshandler Hinterlist und Tücke. Sie insinuieren,<br />
er wolle Spuren seines Tuns vermeiden.<br />
Könnte es sein, dass er auch, wie die von den Autoren<br />
beschriebenen körperlich übergriffigen Misshandler<br />
als Kind selbst misshandelt wurde, aber<br />
eben psychisch?<br />
Irgendwann sagen unsere Autoren, sie behaupteten<br />
nicht, dass Kindesmisshandler abgrundtief<br />
böse seien, aber sie bräuchten Hilfe.<br />
Da passt also vieles nicht zusammen, der Wunsch<br />
nach Bestrafung, Perfidie und Geisteskrankheit<br />
und schließlich die Hilfe.<br />
Darüber hinaus aber sind die Lösungen, die anklingen,<br />
recht zweifelhaft.<br />
Es könnten laut unseren Autoren Pflegefamilien<br />
und vielleicht sogar Adoptivfamilien für die misshandelten<br />
Kinder in Betracht kommen.<br />
Die Frage also, welch eine Unterbringungsform für<br />
ein schwer traumatisiertes Kind in Frage kommen<br />
könnte, wenn denn eine Fremdunterbringung tatsächlich<br />
durchgesetzt würde, wird nicht befriedigend<br />
erörtert.<br />
Pflegeeltern sind Laienhelfer oftmals mit eigenem<br />
Kinderwunsch, der unerfüllt geblieben ist. Bei allem<br />
Engagement, das sie zeigen, sind sie doch<br />
meist mit Kindern, die solche psychischen Problematiken<br />
aufweisen, wie das bei misshandelten<br />
Kindern leider der Fall ist, hoffnungslos überfordert.<br />
Dasselbe gilt für Adoptiveltern.<br />
An diesen Stellen wird deutlich, dass die Autoren<br />
zwar Missstände teils zu Recht anprangern, dass<br />
aber die Rezepte der Abhilfe der Nachprüfung<br />
kaum standhalten.<br />
Ein guter Sozialarbeiter in einem Jugendamt, mag<br />
er beamtet sein oder nicht, hat nämlich auch immer<br />
abzuwägen, ob er nach einer Herausnahme<br />
eine Hilfeform anbieten kann, die der kindlichen<br />
Problematik angemessen ist und die Aussicht auf<br />
Dauerhaftigkeit bieten kann.<br />
Denn vor einem hat er verständlicherweise Angst:<br />
Dass nämlich das traumatisierte Kind nach der<br />
Herausnahme aus dem Elternhaus später noch<br />
einmal herausgenommen werden muss, z.B. aus<br />
einer überforderten Pflegefamilie.<br />
Die Autoren fordern auch die Aufwertung der Kitaerziehung.<br />
Sie loben das schwedische System.<br />
Dort sei der Betreuungsschlüssel so günstig, dass<br />
Misshandlungsfälle viel eher auffallen würden. Sie<br />
bleiben uns aber die Antwort auf die naheliegende<br />
Frage schuldig, wie viele Misshandlungsfälle es in<br />
Schweden im Vergleich zu Deutschland gibt.<br />
Seite 62