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Trialog_16-2015

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TRI∆LOG 16/2015<br />

versagen würden, dann Lehrern „eine Last“ werden.<br />

Diese Kinder sollten dann in heilpädagogisch<br />

geleitete Kinderheime „verbracht“ werden. Was sich<br />

als gutgemeinte Förderung anhört, konnte während<br />

der NS-Zeit zu gefährlicher Aussonderung werden.<br />

Sie bezieht sich in ihren Ausführungen oft auf die<br />

Psychologin Hildegard Hetzer (Bühler-Hetzer-<br />

Test). Von dieser finde ich im Internet bedrückende<br />

Informationen über ihre NS-Belastung. (6)<br />

Wie konnte ein Zeitungsartikel 1974 mit diesen Inhalten<br />

erscheinen, ohne dass jemand aufhorchte?<br />

Leonore Jacobi hatte dem Autor des Artikels im<br />

Nord-Berliner diese Informationen gegeben, anscheinend<br />

ohne Sorge zu haben, dass sich jemand<br />

Gedanken darüber macht, was während der NS-<br />

Zeit an diesem Institut geschah.<br />

Im Internet finde ich, dass im März 2004 im Landesarchiv<br />

Berlin- nicht weit vom Rathaus Reinickendorf<br />

- eine Konferenz vom Institut für Geschichte der<br />

Medizin Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften<br />

Charité stattfand: „Zwischen Auslese<br />

und Ausmerzung – Kinder in der NS-Medizin“.<br />

Im Vortrag von Dr. med. Michael Kölch ging es um<br />

„Das Institut für Konstitutionsmedizin des Walther<br />

Jaensch an der Berliner Charité“.<br />

Im Internet finde ich die Dissertation (2002) von<br />

Prof.Kölch: „Theorie und Praxis der Berliner Kinderund<br />

Jugendpsychiatrie 1920-35“. (7) Ich lese, dass<br />

im Institut für Konstitutionsmedizin der Charité, das<br />

von Prof. Jaensch bis 1945 geleitet wurde, Untersuchungen<br />

und Versuche an Kindern vorgenommen<br />

wurden. Prof. Jaensch‘ Spezialgebiet war die Kapillarmikroskopie.<br />

Mit dieser Methode versuchte man,<br />

„anhand von Untersuchungen der Fingerkapillaren<br />

Aussagen über die Hirnkapillaren und damit über<br />

die geistige Verfassung und Gesamtkonstitution“<br />

zu treffen. So meinte er „angebliche Unterschiede<br />

zwischen Hilfsschülern und Normalschülern in den<br />

Kapillarformen festzustellen: erste hätten zu einem<br />

höheren Prozentsatz „minderwertige“ Kapillaren.<br />

Auch schlechte Normalschüler hätten minderwertigere<br />

Kapillaren, ebenso „notorische Sitzenbleiber…“.<br />

„Das „psychologisch-charakterologische Laboratorium“<br />

seines Instituts beschäftigte, wie er an Gustav<br />

von Bergmann schrieb, neben einer Kinderpsychologin,<br />

eine Jugendleiterin zur Erziehungsberatung.<br />

(dies war Leonore Jacobi, Zusatz v.d.H.). Der<br />

Schluß von Jaensch aus seinen Forschungsergebnissen<br />

war, dass man aufgrund der Befunde der<br />

Fingerkapillaren…von einer latenten endokrinen<br />

Störung ausging, und z.B. die Kinder mit Thyreoidin<br />

medizierte, was zu einer Intelligenzsteigerung<br />

und zu einer akzelerierten Intelligenznachreifung<br />

geführt haben soll. Damit griff Jaensch aufgrund<br />

eines unbewiesenen pathophysiologischen Konstrukts<br />

zur Therapie…<br />

Jaensch Ambulatorium verschwand nach dem<br />

Krieg, dennoch hatte es über seinen Bestand hinaus<br />

Wirkung und Bedeutung. Der langjährige Oberarzt<br />

und stellvertretende Institutsleiter von Jaensch, Dr.<br />

Schneider, arbeitete nach dem Krieg 1946 als Oberarzt<br />

an der I. Medizinischen Klinik der Charité.“(8)<br />

Frau Jacobi hatte nahtlos nach ihrer Tätigkeit an<br />

diesem Institut die Leitung der Erziehungsberatungsstelle<br />

in Berlin-Reinickendorf für 29 Jahre<br />

übernommen, an der ich jetzt schon so lange arbeite.<br />

Überraschend schickt mir unser letzter Leiter noch<br />

Informationen, die er beim Sichten von EFB-Unterlagen<br />

fand.<br />

Hierbei ist eine Broschüre zum 20jährigen Bestehen<br />

der EFB von 1965.<br />

Darin lese ich, dass die Erziehungsberatungsstelle<br />

Reinickendorf/Abteilung Jugend und Sport am<br />

10.Oktober 1945 unter der Leitung von Leonore<br />

Jacobi gegründet wurde.<br />

Zu den Aufgaben wird angegeben: „Im Vordergrund<br />

steht nach wie vor die Frage, wie seelisch auffällig<br />

gewordenen Kindern und Jugendlichen neue und<br />

gesündere Wege zur Lebensbewältigung zu weisen<br />

sind.“<br />

Unter Arbeitsbericht ist zu lesen: „... Die feste Arbeitsgruppe<br />

besteht aus der Stellenleiterin (Leonore<br />

Jacobi), einer Diplom-Psychologin, einem Sozialinspektor,<br />

einer Kindergärtnerin, die mit einer<br />

Zusatzausbildung als Spieltherapeutin (Psychagogin)<br />

fungiert und einer Verwaltungsassistentin. Bei<br />

Seite 53

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