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Trialog_16-2015
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TRI∆LOG 16/2015<br />
Dies ist der Beginn meiner Recherche.<br />
Als ich den Namen im Internet eingebe, finde ich<br />
auf der Seite vom „Archiv der sozialen Demokratie“<br />
(AdsD) unter dem Titel: Porträt Leiterin der Erziehungsberatung<br />
in Berlin Reinickendorf Leonore<br />
Jacobi vom 1.11.1965 ein kleines Foto von ihr. In<br />
heller Rüschenbluse, glatten dunklen halblangen<br />
Haaren, schaut sie offen in die Kamera. (1)<br />
Archiv der sozialen<br />
Demokratie<br />
Ich rufe eine Kollegin an,<br />
die, als ich vor 25 Jahren<br />
anfing, schon lange hier<br />
arbeitete und dann bald in<br />
Rente ging. Sie erinnert einen<br />
Zeitungsartikel, der im<br />
September 1974 zur Verabschiedung<br />
von Frau Leonore<br />
Jacobi im Nord-Berliner<br />
erschien.<br />
Zwei Wochen später hat<br />
sie bei unserem Telefongespräch<br />
den Artikel „Herz<br />
und Verstand für Kinder,<br />
Nord-Berliner<br />
20.9.1974<br />
Diplompsychologin Leonore Jacobi im Ruhestand“,<br />
vor sich. „Da steht nichts Besonderes drin“, höre ich<br />
und sie liest mir am Telefon einiges aus dem Text<br />
vor. Demnächst will sie mir den Zeitungsausschnitt<br />
schicken.<br />
Ich telefoniere mit einer Kollegin aus der<br />
Erziehungsbera tungsstelle im Wedding. Sie hatte<br />
zusammen mit einem Kollegen<br />
unserer Beratungsstelle<br />
1994 den Artikel:<br />
„Auf Spurensuche. Zur Geschichte<br />
der Erziehungsberatung“<br />
(2) veröffentlicht.<br />
Darin fand ich Interessantes<br />
über die NS-Zeit, aber<br />
keine Information über Leonore<br />
Jacobi.<br />
Eine Woche später öffne ich<br />
den Briefumschlag meiner<br />
früheren Kollegin. Vor mir<br />
liegen Zeitungsausschnitte (3) mit Texten und Fotos<br />
von Leonore Jacobi. Das Foto von ihr zeigt eine<br />
in die Kamera lächelnde Frau.<br />
Bereits am Beginn des Textes stutze ich.<br />
Leonore Jacobi ist in Aachen geboren…absolvierte<br />
dort ihr Examen als Kindergärtnerin und Jugendleiterin.<br />
…1934 kam sie nach Berlin und war 10<br />
Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut<br />
für Konstitutionsmedizin der Charité. Auf Betreiben<br />
des Leiters des Instituts legte sie das Begabtenabitur<br />
ab, um Psychologie zu studieren…. Kurz<br />
vor Kriegsende konnte sie als einzige Studentin für<br />
Psychologie ihre Prüfung ablegen. Im Herbst 1945<br />
gründete sie beim Bezirksamt Reinickendorf die<br />
erste städtische Erziehungsberatung Berlins<br />
und Deutschlands... Bekannt wurde ihr geachteter<br />
Name auch als Referentin an verschiedenen Volkshochschulen<br />
Berlins sowie durch die seit mehr als<br />
25 Jahren erfolgte Mitarbeit im „Arbeitskreis Neue<br />
Erziehung“…Mit Frau Leonore Jacobi scheidet<br />
eine Persönlichkeit aus dem öffentlichen Dienst,<br />
die nicht nur auf Bezirksebene durch praktische Arbeit<br />
und über Berlin hinaus durch wissenschaftliche<br />
Mitarbeit entscheidend dazu beigetragen hat, dass<br />
die moderne Jugendpflege nicht mehr ohne Psychologie<br />
auskommt, da mit ihr vielen Kindern und<br />
Erwachsenen echte Lebenshilfe gegeben werden<br />
kann…<br />
Fassungslos starre ich auf den Bildschirm, als ich<br />
„Institut für Konstitutionsmedizin Charité Berlin“ im<br />
Internet eingebe.<br />
Der Leiter, von dem Leonore Jacobi gefördert und<br />
unterstützt wurde, war Prof. Walther Jaensch, SS-<br />
Mitglied, nach 1945 für 2 Jahre in sowjetischen Lagern<br />
inhaftiert. Er starb1950. (4)<br />
In weiteren Artikeln und Büchern erschließt sich für<br />
mich die Tätigkeit von Leonore Jacobi am Institut<br />
für Konstitutionsmedizin. Stichworte wie „Beurteilung<br />
von Kindern mittels Kapillarmikroskopie“, Untersuchungen<br />
über „Konstitution und Durst“, „Rassenhygiene<br />
als Erziehungsideologie“ lassen mich<br />
erschaudern.<br />
Ich finde im Internet sogar einen Artikel in der „Zeitschrift<br />
für Kinderforschung“ von Leonore Jacobi mit<br />
dem Titel: „Ein Beitrag zur Früherfassung späterer<br />
Schulversager“ (1943) mit einem Nachwort von<br />
Prof. Walther Jaensch. (5)<br />
In diesem Artikel, den sie als „Jugendleiterin“ verfasste,<br />
geht es um Kopfform, Zahnstellung und<br />
Körperschema anhand von Fotos, z.T. von nackten<br />
Kindern. Die Körperkonstitution wird als Merkmal<br />
für seelische Behinderung und Aussortierung empfohlen.<br />
So wird z.B. die Schrägstellung der Augen<br />
als Hemmungszeichen auch außerhalb des Mongolismus<br />
eingeschätzt. Sie empfiehlt, Kinder schon<br />
vor Schulbeginn gezielt zu diagnostizieren, ob sie<br />
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