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Trialog_16-2015

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TRI∆LOG 16/2015<br />

ohne Seele. Wenn jedoch auch bei uns die stetige<br />

Beschleunigung und das Hecheln überhand zu<br />

nehmen drohen, dann ist das ein Alarmsignal von<br />

allgemeiner Bedeutung.<br />

Es geht dabei nicht um die Verteidigung von Behäbigkeit<br />

und Veränderungsresistenz.<br />

Ich jedenfalls fühle mich sehr fremd, wenn in unserer<br />

Gesellschaft Besinnung, Innehalten und Hinspüren<br />

zum Fremdkörper in einer Arbeit wie der<br />

unseren zu werden drohen.<br />

Fremd in der Beratung – Beratung weltfremd?<br />

Ich drehe die Betrachtungsweise um.<br />

Selbstreflexion ist eine wichtige Qualität in der Erziehungsberatung.<br />

Dazu gehört auch der kritische<br />

Blick auf uns selbst. Für mich hat dies geheißen,<br />

meine Anmutungen von Fremdheit nicht nur daraufhin<br />

zu befragen, wieweit sie lebens- und beziehungsfeindliche<br />

Seiten unserer heutigen Welt<br />

reflektieren, sondern auch eigene blinde Stellen in<br />

den Blick zu nehmen, bei mir selbst und in meiner<br />

Profession:<br />

• Wieweit verweisen also Erlebnisse von Fremdheit<br />

auf mangelnde Auseinandersetzung unsererseits<br />

mit Neuem? Wieweit befassen wir uns<br />

wirklich mit den Anforderungen aus einer rasant<br />

sich wandelnden Welt?<br />

• Wieweit wirken wir aktiv dabei mit, uns und andere<br />

mit Fremdem bekannt zu machen?<br />

Oder beharren wir und sagen:<br />

„Wir machen doch so gute Arbeit.“<br />

„Unsere KlientInnen sind doch so zufrieden.“<br />

Ja, aber was ist mit denen, die den Weg zu uns<br />

nicht von sich aus finden? Diese Frage war erst allmählich<br />

von außen im Rahmen der „Marktorientierung“<br />

an uns herangetragen worden. Wir müssen<br />

uns immer wieder neuen Fragen stellen etwa in folgenden<br />

Richtungen:<br />

• Auswirkungen einer veränderten Arbeitswelt mit<br />

ihrem Credo der Beschleunigung und des Mobilitätsdrucks,<br />

der Verdichtung und des Multitasking,<br />

räumlicher und zeitlicher Entgrenzungen<br />

der Erwerbsbedingungen, des „Immer-Online-<br />

Sein-Sollens“<br />

• Folgen von ‚Big Data’ und der modernen digitalen<br />

Welt samt ihren sozialen Netzwerken als<br />

neuen, virtuellen (und ganz realen) Entwicklungsräumen<br />

für moderne Kindheit und Adoleszenz<br />

• Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse<br />

und Arbeitslosigkeit als Damoklesschwert<br />

über den Familien selbst in ökonomisch günstigen<br />

Phasen<br />

• Pluralisierung der Familienformen und Polarisierung<br />

der Lebenslagen, insbesondere Eineltern-<br />

Familien geraten schnell in prekäre Armutslagen<br />

• Umbau bzw. Abbau des Wohlfahrtsstaates hin<br />

zu einer ‚marktkonformen Demokratie’?<br />

• Fortdauernde soziale Folgen der deutschen<br />

Einheit....<br />

• Zunahme von Kinder- und Familienarmut<br />

• Auswirkungen von Flucht, Vertreibung und Migration<br />

• transgenerationale Folgen von Traumatisierungen.<br />

Viele Fragen.<br />

Natürlich müssen wir als Beraterinnen und Berater<br />

nicht „alles“ gleichermaßen im Blick haben. Schon<br />

gar nicht jede und jeder einzelne von uns. Aber mir<br />

scheint, wir könnten uns insgesamt noch etwas rasanter<br />

als bisher vom individualistischen oder rein<br />

familienbezogen-systemischen Lebens- und Beratungsmodell<br />

fortentwickeln und die sozialen politökonomischen<br />

Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen<br />

unserer Lebenswelten mit in Blick<br />

nehmen.<br />

Sonst wird aus Fremdheit: Weltfremdheit.<br />

Fremd in der Beratung –<br />

Spannungsfeld „Familie“<br />

Familie ist der zentrale Bezugspunkt von Erziehungsberatung.<br />

Aber welche Familie?<br />

„Deutsche“ oder „Ausländische“? „Gestörte“ oder<br />

„Heile“? „Vollständige“, „Teil- oder „Patchwork“-Familie“?<br />

„Regenbogen- oder Fortsetzungsfamilie“?<br />

„Obdachlosen-“ oder „Eigenheimfamilie“?<br />

Alles Kategorien, die nur in Anführungszeichen zu<br />

setzen sind. Schief und viel zu allgemein. Auf die<br />

individuelle Situation kommt es an. Und dafür gibt<br />

es gottseidank Spezialisten – zum Beispiel uns.<br />

Familienorientierung ist grundgesetzlich geschützt,<br />

und doch hat nach Jahren neoliberaler, angeblich<br />

Familie fördernder Politik das Bundesverfassungsgericht<br />

in mehreren Urteilen eklatante finanzielle<br />

Benachteiligungen von Familien und – dazuhin –<br />

immer noch fortgesetzte reale Diskriminierungen<br />

Seite 16

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