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Trialog_16-2015

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TRI∆LOG 16/2015<br />

Beratungsarbeit etwa des letzten Jahres mit „ausländischen<br />

Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ zurückblicke,<br />

so fällt mir zwar manches Unvertrautsein im<br />

Detail ein, doch das ließ sich meist klären oder vermindern,<br />

durch Nachfragen bei ihnen oder mit Hilfe<br />

jener beiden KollegInnen. Fremdheit als etwas, das<br />

nicht weichen will, Fremdheit als etwas Unheimliches<br />

blieb da eher nicht.<br />

Der Zürcher Kinderpsychiater Heinz Stefan Herzka<br />

spricht mir aus dem Herzen, wenn er am Ende<br />

seines Artikels über „Multikulturelle und dialogische<br />

Identitätsbildung“ folgendermaßen resümiert:<br />

„Ich vermute, dass die heftigen und oft emotional<br />

geführten Diskussionen um die Probleme der<br />

‚Ausländerkinder‘ und damit der Multi- bzw. Interkulturalität<br />

eine Art Kulisse bilden, hinter der sich<br />

die Problematik der modernen (oder postmodernen)<br />

Identitätsbildung überhaupt verbirgt. Diese<br />

aber betrifft jeden, ob fremd oder einheimisch. Die<br />

Schwierigkeiten mit dieser Identitätsbildung, die<br />

Hilflosigkeit unserer neuen Epoche und die Angst<br />

vor Identitätsverlust wird im Sinne der Systemtheorie<br />

an die Minderheit der ‚Fremden‘ delegiert<br />

bzw. auf das Minderheitsproblem verschoben und<br />

als Fremdenfeindlichkeit manifest (...) Damit sollen<br />

ethnische Unterschiede und interethnische<br />

Probleme keineswegs verwischt und verharmlost,<br />

wohl aber als eine grundsätzliche, jeden und jede<br />

betreffende Erscheinung und Entwicklungsaufgabe<br />

dargestellt werden. Denn wir haben einzusehen:<br />

„...‘Multi-Kulti‘ sind wir alle.“<br />

(Herzka 1994, S. 99)<br />

Fremd in der Beratung angesichts von „Migranten“<br />

– einmal im Jahr empfinde ich so etwas, und zwar<br />

regelmäßig und mit steigender Intensität: beim Erarbeiten<br />

der Statistik. Ist diese Familie, bei der die Eltern<br />

seit ihrer frühen Kindheit in Deutschland leben,<br />

wirklich „ausländisch“? Wieso ist dann jene Aussiedlerfamilie<br />

von neulich, die hier so „fremd“ und<br />

des Deutschen weit weniger mächtig Hilfe suchte,<br />

nicht „ausländisch“? Was ist mit jener Frau aus Polen,<br />

die einen dort lebenden „Schlesier“ geheiratet<br />

hat und daraufhin bei uns die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

erhielt, von ihm inzwischen geschieden,<br />

in zweiter Ehe mit einem Nigerianer verheiratet ist?<br />

Sie fühlt sich aber trotz ihres Passes als „Ausländerin“.<br />

Wie gehe ich damit um? Welche Kriterien<br />

haben für uns, die wir ja keine „Ausländer“-Behörde<br />

sind, Vorrang? Pass, „Blut“, Geburtsort, Dauer des<br />

Aufenthalts, Eigenverständnis der KlientInnen?<br />

Immer wieder weiß ich nicht, was ich ankreuzen<br />

soll. Selten fühle ich mich fremder in meiner<br />

Arbeit als an dieser Stelle. In welcher Welt leben<br />

wir? Fremdheit angesichts unseres Umgangs mit<br />

„Fremden“.<br />

Migrantenfamilien haben wir in der Zwischenzeit<br />

ganz besonders durch unsere gezielten Kooperationen<br />

erreicht, insbesondere mit der Bezirkssozialarbeit<br />

(Allgemeiner Sozialdienst) und den Kinderkrippen.<br />

Die über eigene Verträge mit spezieller Finanzierung<br />

geregelte Zusammenarbeit zwischen den<br />

Münchener Kinderkrippen und den Erziehungsberatungsstellen<br />

war für mich in dieser Hinsicht ein<br />

Highlight meiner EB-Arbeit. Darüber hinaus haben<br />

wir aber auch eigene Projekte für die Arbeit mit Migrantenfamilie<br />

ins Leben gerufen. Im Einzelnen habe<br />

ich über diese Punkte an anderer Stelle berichtet<br />

(Müller-Hohagen 2012).<br />

3. FREMD IN DER BERATUNG – SCHRITTE DER<br />

VERALLGEMEINERUNG<br />

Ich habe zuvor versucht, in einigen Stichpunkten<br />

konkret genug, aber möglichst nicht ausufernd einiges<br />

von dem anzuleuchten, wo ich im Verlauf<br />

meines subjektiven Forschungsprojekts Fremdheit<br />

im Zusammenhang meiner Beratungsarbeit wahrgenommen<br />

habe. Zugleich habe ich mit einigen<br />

Kolleginnen und Kollegen von anderen Stellen insoweit<br />

Rücksprache gehalten, dass ich mir sicher<br />

sein konnte, mich nicht in irgendwelche rein persönlichen<br />

Einschätzungen verloren zu haben.<br />

Im Folgenden möchte ich ein paar Schritte über<br />

diese „Materialsammlung“ hinausgehen.<br />

Fremd in der Beratung – normal in einer ‚Welt<br />

der Fremdheit’<br />

In welcher Welt leben wir eigentlich? Das war zuvor<br />

immer wieder die Frage. Es ist ein Blickwinkel,<br />

der nicht recht zusammenpasst mit dem sich selbst<br />

verordnenden Optimismus aus Medien- und Politikdiskursen.<br />

Da bricht es plötzlich ein: Dunkles taucht<br />

auf – so wie des öfteren ja auch in unseren Beratungsgesprächen.<br />

Und in diesem Licht erscheint so manche soziologische<br />

Analyse plötzlich als eigentümlich schal oder<br />

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