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Trialog_16-2015
Trialog_16-2015
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TRI∆LOG 16/2015<br />
nicht im schützenden Schoß einer Gruppe oder<br />
einer Einzeltherapie, sondern im zerfließenden<br />
Durcheinander der organisatorischen Abläufe und<br />
äußeren Bezüge, beim verwirrenden Um- und Neuaufbau<br />
unserer Stelle... Die aktuelle Gemengelage<br />
der Veränderungsprozesse an unserer konkreten<br />
Beratungsstelle ist weiterhin besonders hoch, doch<br />
grundsätzlich aus dem Rahmen fällt sie nicht.<br />
Mit Besorgnis betrachte ich seit Längerem in meinem<br />
beruflichen Umfeld die Zunahme stressbedingter<br />
Beschwerden wie Schlafstörungen, Tinnitus<br />
und Bluthochdruck, das Auftreten von zum Teil gravierenden<br />
Erschöpfungszuständen. Ich gehe davon<br />
aus, dass sich dahinter breite Störungsfelder in<br />
der Arbeitssituation verbergen, die sicherlich auch<br />
in die Familien hineinwirken. Fließende Übergänge<br />
zum Burnout...<br />
Fremd in der Beratung: Traumatisierungen<br />
Besonders meine Arbeit mit behinderten Kindern<br />
und ihren Familien und meine Beschäftigung mit<br />
konkreten Aus- und Weiterwirkungen des Nationalsozialismus<br />
haben mich seit Langem gelehrt, den<br />
Anteil traumatischer Faktoren bei den Klientenfamilien<br />
für weitaus höher anzusetzen, als ich das früher<br />
getan hätte und als das bis heute weithin geschieht.<br />
Wenn ich beispielsweise auf die Sprechstunden eines<br />
Jahres in einer Kinderkrippe zurückblicke, so<br />
zeigte sich dort in fast jeder Beratung Traumatisches,<br />
sei es aktuell, sei es in der Vorgeschichte:<br />
Misshandlungen, sexualisierte Gewalt innerhalb<br />
und außerhalb der Familien, Kinder als Zeugen von<br />
Partnerschaftsgewalt und emotionaler Missbrauch,<br />
tragische Todesfälle, boatpeople aus Myanmar,<br />
Fluchterfahrungen und Vertreibung aus Syrien und<br />
dem ganzen Nahen Osten; massives Leiden unter<br />
den Folgen der Kriege in Ex-Jugoslawien, Schrecken<br />
und Langzeitauswirkungen ganz „normaler“<br />
Migration mit plötzlichem, manchmal mehrmaligem<br />
Herausreißen der Kinder aus ihren gewohnten Lebensbezügen...<br />
Und immer wieder dann: „Ich hätte gar nicht gedacht,<br />
dass das etwas mit den Schwierigkeiten<br />
meines Kindes zu tun haben könnte. Das ist doch<br />
so lange her.“ Oder: „Davon hat es doch nichts gemerkt,<br />
es war ja noch so klein.“<br />
Die Verleugnung traumatischer Hintergründe ist<br />
so massiv, so gesellschaftsweit, da überfällt mich<br />
immer wieder ein tiefes Gefühl von Fremdheit. In<br />
welcher Welt leben wir? Wir sehen in den Fernsehnachrichten<br />
den massenhaften Schrecken aus<br />
aller Welt, wir wissen um die Fakten des Holocaust<br />
und des Ersten und Zweiten Weltkriegs, doch dass<br />
jedes Kind, jede Mutter, jeder Vater, mit denen wir<br />
zu tun bekommen, darin ganz konkret und sehr bedeutsam<br />
verwickelt sein kann, darum machen auch<br />
wir Beraterinnen und Berater nicht selten einen Bogen.<br />
Oder: Falls wir uns dem doch zuwenden, erfahren<br />
wir vielleicht mit Erstaunen, selber beiseitegeschoben<br />
zu sein, wenn wir darüber nach außen zu<br />
berichten versuchen – Öffentlichkeitsarbeit sollte<br />
positiv orientiert, Erfolg suggerierend, kurzum: fröhlicher<br />
sein!<br />
Fremd in der Beratung – Anerkennung ist weit<br />
Ob nun Traumatisierung oder nicht, jedenfalls haben<br />
wir in unserer Beratungsarbeit, und mögen wir<br />
uns noch so ressourcenorientiert ausgerichtet haben,<br />
viel mit Dunklem zu tun.<br />
Das dürfte ein wesentlicher Grund sein, warum Anerkennung<br />
spärlich fließt. Aber gerade da wäre sie<br />
so wichtig.<br />
Fremd in der Leitung – Spagat zwischen allen<br />
Stühlen<br />
Das war ein wichtiger Punkt in meiner subjektiven<br />
Erhebungsaktion. Die Position des Leiters oder<br />
der Leiterin einer Erziehungsberatungsstelle hatte<br />
schon seit Längerem den Reiz, sich in diversen<br />
Spagaten üben zu können: zwischen Team und<br />
Träger, freier und öffentlicher Jugendhilfe, Psychologie<br />
und Sozialpädagogik, Vernetzung und Psychotherapie,<br />
Komm- und Gehstruktur, Prävention<br />
und Fallarbeit, Elternwille und Kindeswohl...<br />
Wieviel darin an kreativen Möglichkeiten steckt,<br />
brauche ich nicht auszuführen.<br />
Was die Schwierigkeiten betrifft, so beschäftigt<br />
mich besonders der Zwiespalt zwischen grundsätzlichem<br />
Kommenlassen in den Beratungen und dem<br />
„Machen“ im Sinne von „Performance“-Bringen-<br />
Müssen und der Strukturierung von Arbeitsabläufen<br />
und Angeboten der Stelle.<br />
Wie halten wir das durch? Diese Frage gilt zunehmend<br />
für alle Teammitglieder.<br />
Artisten – fremd auf dem Hochseil?<br />
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