Grünspan
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<strong>Grünspan</strong>, grüner Löwe und Vitriol – Die Grundlage zum Stein der Weisen<br />
Die Bezeichnungen grüner Löwe oder <strong>Grünspan</strong> finden sich in vielen alchemistischen<br />
Werken. Aus dem Zusammenhang geht oft hervor, daß damit die vera prima materia zum<br />
Stein der Weisen gemeint ist. Also die wahre erste Materie, aus der durch entsprechende<br />
Bearbeitung die Grundlagen zum Stein der Weisen gewonnen werden. Diese<br />
Ausgangsmaterie wird oft auch unter dem Begriff Vitriol verdeckt. Allerdings variieren die<br />
Bedeutungsinhalte dieser Begriffe von Autor zu Autor, so daß oft schwierig zu erkennen ist,<br />
was tatsächlich darunter zu verstehen ist. Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen,<br />
Licht ins Dunkel dieses wichtigen alchemistischen Themas zu werfen. Denn erfolgreich kann<br />
nur der in der Praxis arbeiten, der diese Begriffe in ihrer differenzierten Bedeutung<br />
voneinander unterscheiden und theoretisch wie praktisch verstehen kann.<br />
Viele haben unter Vitriol (der Weisen) den gemeinen <strong>Grünspan</strong> verstanden. Sie dachten, sie<br />
bräuchten nicht lange zu kochen, um daraus den Stein der Weisen zu verfertigen. Nur haben<br />
solche in der Praxis dann länger gekocht, als sie leben konnten, oder sie haben gar vom<br />
Süppchen genossen und dürften daran erbärmlich zugrunde gegangen sein …<br />
<strong>Grünspan</strong> ist eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen und stammt von viride hispanum,<br />
spanischem Grün. Dies war der Name eines aus Spanien im Mittelalter eingeführten<br />
anorganischen grünen Farbstoffes. Damals gebräuchliche Synonyme waren: Spangrün,<br />
Kupfergrün, Kupferrost, Aciniar, Viride aeris, Flos aeris, Fiza, Viride Prassium und viele<br />
mehr. Es handelte sich dabei um grüngefärbte Kupfersalze, meist um basische Azetate, oft<br />
aber auch um Sulfat.<br />
Heute versteht man unter <strong>Grünspan</strong> einen unter Einwirkung von Luftsauerstoff und<br />
Essigdämpfen auf Kupfer oder Messing entstehenden, giftigen, grünen Überzug, der somit<br />
chemisch aus Kupfer(II)azetaten besteht. Die heutige Bedeutung weicht damit nur<br />
unwesentlich von der früheren ab.<br />
Der in der Alchemie verwendete <strong>Grünspan</strong> wurde oft mit Vitriol gleichgesetzt, hat aber mit<br />
gewöhnlichem <strong>Grünspan</strong> nichts gemein. War vielleicht das alchemistische Vitriol das<br />
Vitriolum Romanum der Apotheken? Sagten die Alchemisten doch oft, daß ihre Materie<br />
wohlfeil und einfach zu bekommen sei. Dieses ebenfalls grüne Salz, chemisch Kupfersulfat,<br />
hatte eine große Bedeutung im Mittelalter. Und weil es infolge seiner Farbe und<br />
Eigenschaften oft mit dem verwandten <strong>Grünspan</strong> verwechselt wurde, ist kaum zu erstaunen,<br />
daß viele die veram primam materiam im Vitriolum Romanum suchten. Was ist Vitriol?<br />
Das heutige Verständnis des Begriffes Vitriol bringt leider keine Aufklärung. Versteht man<br />
darunter doch in der Regel Eisensulfat oder in weiterer Bedeutung alle zweiwertigen<br />
Metallsulfate. Die Ableitung des Wortes wird aus dem lateinischen vitrum (Glas)<br />
vorgenommen. Da kristallines Eisenvitriol grünen Glasscherben ähnelt, nimmt man an, man<br />
habe den Begriff Vitriol für derartige grünliche Salze eingeführt. Daß besonders das römische<br />
Vitriol (Vitriolum Romanum) am meisten genannt wurde, hing damit zusammen, daß dieses<br />
als die beste grüne Sorte galt. Es wurde hauptsächlich zum Färben benutzt und bestand im<br />
wesentlichen aus Eisenvitriol, dem oft noch Alaun (Kaliumaluminiumsulfat) beigemengt war.<br />
Römisches Vitriol wurde in den Apotheken und in der Frankfurter Messeliste von 1582 als<br />
Pecton bezeichnet, also durch Eindunsten von natürlich vorkommenden Vitriollösungen<br />
gewonnen. Daneben wurde vielfach auch das Goslarische Vitriol oder deutsches Vitriol<br />
verwendet. Dieses enthält neben Eisenvitriol als Hauptbestandteil noch weitere Metallsulfate.
Die Sache wird damit immer komplizierter, haben wir nun doch schon eine ganze Palette von<br />
Anwärtern auf das Vitriol der Weisen. Hilfreich bei der Suche nach der geheimnisvollen<br />
Substanz ist die bewußte Beifügung «der Weisen» durch die Alchemisten. Damit bezeichnen<br />
sie deutlich, daß ihr Vitriol nicht der Vitriol der Gemeinen, sondern der der Weisen ist, somit<br />
sicher nicht identisch sein kann mit romanischem oder goslarischem Vitriol bzw. <strong>Grünspan</strong> in<br />
irgendeiner Zusammensetzung. Daraus geht ebenfalls eindeutig hervor, daß der grüne Löwe<br />
kein Eisenkupfervitriol sein kann, wie Manfred Junius in einem Kurs lehrte.<br />
Was war oder ist denn das echte Vitriol der Alchemisten? Wir werden einem Verständnis<br />
näher geführt, wenn wir zuerst einmal die Wortbedeutung differenzierter zu verstehen<br />
versuchen. Vitriol(um) ist eine Zusammenziehung der Anfangsbuchstaben des folgenden<br />
lateinischen Satzes: V–isita I–nteriora T–errae R–ectificando I–nvenies O–ccultum L–<br />
apidem (V–eram M–edicinam). Oder in einer der möglichen Übersetzungen: «Siehe in das<br />
Innere der gereinigten Erde, und du wirst finden den geheimen Stein, die wahre Medizin.»<br />
Vitriol war somit ein Deckname für die Ausgangssubstanz zum Stein der Weisen. Damit<br />
sollte auch verständlich werden, daß <strong>Grünspan</strong> oder gemeine Vitriolarten nicht das wahre<br />
Vitriol der Weisen sind. Noch deutlicher wird dies, wenn man Mahnungen ehrlicher<br />
Alchemisten ernst nimmt, die da unter anderem schrieben: «Du mußt zu unserem Werk den<br />
Vitriol der Weisen und nicht den gemeinen nehmen.»<br />
Der Begriff Vitriol steht also nicht nur synonym für den grünen Löwen der Weisen als<br />
Substanz, sondern ist auch Sinnbild für den ganzen Prozeß des operis magni. Dies illustriert<br />
eine Abbildung zum Text der Tabula Smaragdina, abgedruckt unter anderem in: ‹Geheime<br />
Figuren der Rosenkreuzer aus dem 16ten und 17ten Jahrhundert› (Altona 1785, Seite 17). Es<br />
handelt sich um eine kreisförmige Abbildung, welche den Prozeß zum Stein der Weisen<br />
vereinfacht wiedergibt, um dessen Rand sich der zitierte lateinische Satz windet. Es ist<br />
übrigens typisch für alchemistische Werke, daß derselbe Begriff vielfach für verschiedene<br />
Stoffe oder Prozeßstufen herbeigezogen und umgekehrt ein einzelner Stoff oder Prozeßschritt<br />
mit verschiedenen Namen belegt wurde. Dieses Vorgehen wählten die Alchemisten bewußt,<br />
um den Unwürdigen, wie sie sagten, den Zutritt zur Alchemie zu verwehren.<br />
Viele haben gemeint, mit Vitriol wollten die Alchemisten auf ein grünes Salz hinweisen.<br />
Daher war es nur verständlich und naheliegend, <strong>Grünspan</strong>, Kupfersalze und anderes für das<br />
Vitriol zu halten. Dahingehend weist auch der synonyme Begriff grüner Löwe für ihr Vitriol.<br />
Doch auch dies ist irreführend. Hören wir, was dazu in ‹Hermes Trismegists wahrem, altem<br />
Naturweg› zu lesen ist: «Der grüne Löwe; mit der Grüne wollen sie sein Wachstum anzeigen.<br />
Einen Löwen aber nennen sie ihn gleichnisweise, seiner Kraft und Stärke halben, weil er alles<br />
umzubringen und zu tödten vermag.»<br />
Gemeiner <strong>Grünspan</strong> oder Vitriol ist somit nicht das Vitriol der Weisen oder deren grüner<br />
Löwe, auch nicht die vera prima materia der Alchemisten.<br />
In Wahrheit ist es noch komplizierter. Denn mit Vitriol der Weisen bezeichneten die<br />
Alchemisten genau genommen nicht nur eine für das opum magnum wichtige Substanz,<br />
sondern deren zwei:<br />
Nimm einen Stoff aus der Natur, den dir die Weisen gezeigt haben, und den sie materia<br />
remota, materia cruda etc. nannten. Dabei handelt es sich um ein Mineral, daß auch heute<br />
noch recht leicht zu beschaffen ist. Arbeite dieses Mineral auf, bis du zu einem Salz gelangst,<br />
das mit dem ersten Vitriol der Weisen bezeichnet wird. Diese erste Auflösung ist meist
farblos, leicht gelblich, kann selten – je nach Herkunft der verwendeten Mineralien – auch<br />
tatsächlich grünlich bis grün gefärbt erscheinen. Die recht aufwendigen Aufarbeitungsschritte<br />
der materia remota führen zu einer Reinigung der groben Erde, daher wird von der terra<br />
rectificanda gesprochen.<br />
Dann muß man in das Innere der gereinigten Erde sehen. Eine andere Formulierung des<br />
wesentlichen Teilschrittes, der damit angezeigt werden soll, ist folgende: Kehre das Innere<br />
nach außen oder konkreter: Lerne das Vitriol durch Anwendung des Feuers in eine Flüssigkeit<br />
und ein Öl zu verwandeln. Als Produkte erhält man einen leicht flüchtigen, brennbaren Geist,<br />
der sogenannte Spiritus vini philosophici. Dieser wird mit dem gewöhnlichen Weingeist<br />
verglichen, weil er ähnliche Eigenschaften besitzt, aber philosophisch genannt wird, da er viel<br />
durchdringender ist. Ferner erhält man weitere Reaktionsprodukte, die oft als philosophischer<br />
Essig bezeichnet werden. Dazu Basilius Valentinus im Kapitel Von dem Essige: «... Ich muß<br />
dir aber dieses kündig machen/ daß diß nicht der Essig ist der Philosophen/ sondern unser<br />
Essig ist ein andere Getranck/ nehmlich die Materia selbsten/ dann der Stein der Weisen wird<br />
auß dem Azoth der Weisen gemacht/ welcher durch den gemeinen distillirten Azoth/ auch den<br />
Spiritum vini und andere Wasser mehr zuvor muß bereitet/ und in eine gewisse Ordnung<br />
gebracht werden.»<br />
Die Verarbeitung des ersten Vitriol führt somit zum philosophischen Weingeist und<br />
philosophischen Essig. Mit deren Hilfe werden darauf unterschiedliche Salze behandelt und<br />
darauf erst das zweite Vitriol der Weisen in Form eines – nun oft tatsächlich grünen – Salzes<br />
gewonnen.<br />
Die Umkehrung dieses zweiten Vitriols der Weisen enthüllt das darin inwendig verborgene<br />
Wesen in Form des philosophischen Merkurs und des philosophischen Schwefels. Der<br />
Merkur erscheint als farblose bis gelbliche, oft milchig getrübte Flüssigkeit (Lac virginis), der<br />
Schwefel als ein rubinrotes Öl, Blut des grünen Löwens oder philosophischer Schwefel<br />
genannt. Hat man damit endlich die beiden materiellen Grundfesten des großen Werkes<br />
beieinander, so ist das weitere eine reine Arbeit der Natur und nicht mehr besonders<br />
schwierig, auch wenn der anschließende Prozeß der gelinden Kochung im hermetischen<br />
Gefäß nach Zugabe des Silber- bzw. Goldfermentes noch Monate dauern mag. Am Ende wird<br />
der Stein der Weisen als Krönung der ganzen Arbeit erhalten, der zudem das Universalelixier<br />
(die wahre Medizin) der Weisen ist.<br />
Unter Beizug obiger Ausführungen wird es leichter fallen, die Texte der Alchemisten ins<br />
richtige Licht zu rücken. Möge jeder, der ernsthaft nach dem wahren Vitriol der Weisen sucht,<br />
fündig werden.<br />
Beat Krummenacher