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Gemeindezeitung Dezember 2012 - Maltatal

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Aus dem Gemeindearchiv<br />

Sagenhaftes Maltatal<br />

32<br />

„Greif an!“<br />

ruft es aus der Felswand<br />

Ganz drinnen im Maltatal lebte einmal<br />

ein junger Senner. Der war ein<br />

hochmütiger und kalter Bursch, wie<br />

man so sagt. Kein Hüterbub tat es<br />

ihm recht auf der Alm, und es gab für<br />

ihn mehr Schläge als Essen. Sein<br />

Bauer hätte ihn längst schon fortgeschickt,<br />

aber der Senn hatte etwas<br />

Unheimliches an sich, und der Bauer<br />

fürchtete, dass dann seine Kühe<br />

auf der Alm verhext würden und keine<br />

Milch mehr gäben.<br />

Einmal hatte der Senn beim Abtrieb<br />

im Herbst den Butterkübel auf der<br />

Alm vergessen. Die Bäuerin sagte:<br />

„Der Rührkübel geht mir aber ab!“<br />

Der Bauer meinte: „Jetzt kann kein<br />

Mensch mehr auf die Alm hinauf. Ist<br />

noch keiner zurückgekommen, der´s<br />

gewagt hat. Ich mach dir einen neuen<br />

Rührkübel.“<br />

Als der Senn das hörte, lachte er<br />

spöttisch. „Du bist auch so ein Trauminet,<br />

Bauer! Ich steig zur Alm auf!“<br />

Der Bauer mahnte noch ein paarmal:<br />

„Tu`s nicht, Senn! Oben gehen<br />

im Winter böse Geister um, und Unheimliches<br />

ist schon genug erzählt<br />

worden!“ Das stachelte aber den eiskalten<br />

Burschen noch mehr an. Er<br />

stieg in die Bergschuhe und schnitt<br />

sich einen langen Haselstock.<br />

„So, jetzt kann kommen, wer mag!“<br />

Der Bauer sagte noch, weil sich der<br />

Senn nicht abhalten ließ: „Nimm<br />

denn Tyras mit!“ Das war der große<br />

schwarze Haushund, der auch „Vieräugl“<br />

genannt wurde, weil er über<br />

den Augen zwei runde Flecken im<br />

Fell trug, die wie Augen aussahen.<br />

Der Bursch stieg noch am Abend<br />

gegen den Berg hinauf. Er wollte<br />

oben in der Almhütte übernachten<br />

und bedachte nicht, dass es die<br />

Thomasnacht, die erste Rauhnacht,<br />

war. Und damit der Tyras nicht vorauslief<br />

oder gar abkugelte, wo es<br />

neben dem Bergpfad so steil war,<br />

hatte er ihm einen Strick ans lederne<br />

Halsband gehängt.<br />

Sie stiegen eine Stunde und noch<br />

eine bergauf. Indessen hatte schon<br />

die Nacht alles zugedeckt. Der Wind<br />

blies eisig herab von der Höhe.<br />

Sie kamen gerade um den Moserkopf,<br />

eine senkrechte Felswand, als<br />

der Tyras die Rückenhaare aufstellte<br />

und keinen Schritt weitergehen<br />

wollte. Er knurrte und winselte, und<br />

als der Senn ihn mit dem Strick weiterzog,<br />

fletschte er die Zähne. Aber<br />

zuletzt war der Bursch doch stärker.<br />

Auf einmal wurde es auch dem Senn<br />

unheimlich. Aus der Wand hörte er<br />

eine Stimme rufen: „Greif an, greif<br />

an!“<br />

Dem Senn lief`s kalt über den Rücken.<br />

Er wollte schon umkehren –<br />

aber so leicht schreckte ihn keiner!<br />

Im nächsten Augenblick antwortete<br />

eine andere Stimme hinter dem<br />

Fels. „Ich trau mich nicht. Er hat den<br />

vieräugigen Hund mit!“<br />

Dann war`s wieder still. Nur der<br />

Wintersturm heulte und toste immer<br />

stärker. Der Hund wollte sich losreißen<br />

und um die Felswand fortstürmen.<br />

Jetzt war`s dem Senn aber<br />

doch recht, dass er den Tyras bei<br />

sich hatte. Hinterm Moserkopf fing<br />

die Almweide an. Er stapfte über die<br />

kurze Weide, auf die dunkle Almhütte<br />

zu. Er freute sich, dass er in<br />

der Hütte ein Licht anzünden konnte,<br />

damit es nicht mehr so enterisch<br />

(unheimlich) um ihn herum war.<br />

An der Brunnensäule vor der Hütte<br />

band er den Tyras mit dem Strick<br />

an. Übernachten wollte der Senn<br />

doch nicht mehr – da stieg er lieber<br />

die halbe Nacht im Finstern ins Tal<br />

ab. Er sperrte die Hüttentür auf, und<br />

jetzt war`s dem Senn gar nicht mehr<br />

darum, Licht zu machen. Sobald er<br />

den Rührkübel gefunden hatte, ging<br />

er gleich wieder aus der Hütte.<br />

Als er aber beim Almbrunnen ankam,<br />

waren zwei Hunde an der<br />

Brunnensäule angebunden. Und sie<br />

glichen sich wie ein Kreuzerstück<br />

dem anderen. Das konnte der Senn<br />

überhaupt nicht deuten. „Ist noch<br />

wer gekommen hinter mir?“ fragte er<br />

sich laut und schaute sich um. Das<br />

half ihm jetzt gar nichts bei dieser<br />

Düsternis. Er dachte: „Mein Hund<br />

wird mich wohl an der Stimme erkennen!“<br />

und er rief: „Tyras, her zu<br />

mir!“<br />

Dann horchte er, welcher sich meldete.<br />

Aber da fingen beide Hunde<br />

zu winseln an, und jeder wollte zu<br />

ihm. Sie rissen und bissen an den<br />

Stricken, dass es wohl nicht lange<br />

dauerte, bis die zwei Hunde frei waren.<br />

Sie sprangen auch mit lautem<br />

Knurren und fletschenden Zähnen<br />

aufeinander los. Einer hätte wohl<br />

den anderen zerrissen, wenn sie<br />

nicht weit genug voneinander angebunden<br />

gewesen wären.<br />

Dem Senn lief`s eiskalt über den Rücken.<br />

Wenn er den richtigen Hund<br />

losband, dann war er gerettet. Kam<br />

aber der andere frei, konnte ihn nicht<br />

einmal der Tyras schützen, wenn<br />

ihn der fremde Hund ansprang.<br />

Nun war`s soweit, dass er sich entscheiden<br />

musste, bevor der fremde<br />

Hund über ihn herfiel. Der ihm näher<br />

stand, der winselte plötzlich zutraulich.<br />

Der entferntere stand, riss knurrend<br />

am Strick.<br />

„Dann bist du wohl der Tyras!“ rief<br />

der Bursch erleichtert. Er bückte<br />

sich und band den Hund vom Brunnen<br />

los. In diesem Augenblick war<br />

die schauerliche Stimme wieder<br />

da. „Greif an, greif an!“ hetzte sie<br />

den Hund auf den Senn. Die zweite<br />

Stimme aus dem Finstern heraus<br />

heulte – oder war`s gar der schwarze<br />

Hund selber: „Jetzt fass ich ihn,<br />

weil der vieräugige Hund noch angebunden<br />

ist!“<br />

Auf einmal war der schwarze Hund,<br />

der den Senn gerade noch zutraulich<br />

angewinselt und mit dem Schweif<br />

gewedelt hatte, größer geworden<br />

als der Senn selber. Mit wildem Fletschen<br />

sprang er dem Burschen auf<br />

die Schultern und riss ihn mit seinen<br />

Krallen den Rock in lauter Fetzen.<br />

Die Stimme rief von neuem: „Greif<br />

an, greif an!“ Der wilde Hund schüttelte<br />

den Burschen mit den Zähnen<br />

wie einen Hasen, den er gejagt<br />

hatte. Die Fetzen des Senn flogen<br />

durch die Luft – dann war alles aus.<br />

Der Bauer stieg am nächsten Morgen<br />

auf die Alm und nahm einen Jäger<br />

mit. Sie fanden nichts von dem<br />

Senn, als ein paar Fetzen von seinem<br />

Janker. Sie banden den Tyras<br />

von der Brunnenstange und stiegen<br />

stumm wieder ins Tal ab.

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