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Geschockt und fas

Trauer und Trümmer Drei Monate nach dem ... - ZwygArt

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<strong>Geschockt</strong> <strong>und</strong> <strong>fas</strong><br />

Trauer <strong>und</strong> Trümmer Drei Monate nach dem verheerenden Tsunami besuchen Joseph<br />

Deiss <strong>und</strong> seine Frau Babette Banda Aceh. Der B<strong>und</strong>esrat will nebst den humanitären<br />

Einsätzen auch helfen, die Wirtschaft im indonesischen Krisengebiet wieder anzukurbeln.<br />

EINST EIN SCHIFF – JETZT EIN<br />

MONUMENT Joseph <strong>und</strong> Babette<br />

Deiss vor einem riesigen Stahlkoloss,<br />

der vom Tsunami mitten<br />

in die Stadt hineingespült wurde.<br />

Die Regierung will daraus nun<br />

ein Tsunami-Denkmal machen.


sungslos


VON CHRISTINE ZWYGART (TEXT)<br />

UND KARL-HEINZ HUG (FOTOS)<br />

Krisengebiet? Der erste Eindruck<br />

täuscht. Und zwar gewaltig. Die<br />

Strassen in Banda Aceh, der Provinzhauptstadt<br />

im Norden der indonesischen<br />

Insel Sumatra, sind belebt. Viele<br />

Menschen drängen sich um die Stände<br />

auf dem Markt. Lauthals werden Früchte,<br />

Getränke, auch Kleider angeboten. Ein<br />

buntes <strong>und</strong> fröhliches Gewühl, wie es für<br />

asiatische Städte typisch ist. Doch je<br />

näher man der Küste kommt, desto ruhiger<br />

wird es. Die Häuser <strong>und</strong> Hütten entlang<br />

der Strasse gehen über in Ruinen.<br />

Eingebrochene Dächer, eingeknickte Säulen,<br />

eingestürzte Mauern. Nur wenige<br />

Indonesier sind hier am Werk <strong>und</strong> versuchen<br />

zu reparieren. Und dann – bis zu<br />

drei Kilometer ins Landesinnere – hört<br />

das Leben auf. Hier gibt es keine Menschen<br />

mehr, keine Farben, keine Geräusche.<br />

Hier herrscht Stille. Totenstille.<br />

B<strong>und</strong>esrat Joseph Deiss, 59, <strong>und</strong><br />

seine Frau Babette, 55, stehen am Hafen<br />

von Banda Aceh. Oder besser gesagt an<br />

dem Ort, wo der Hafen einst war. Hier<br />

pulsierte die Stadt. Dies war ein belebtes<br />

Viertel, das sich rasant entwickelte <strong>und</strong><br />

immer mehr Menschen anzog.<br />

Am 26. Dezember 2004 starb in<br />

Banda Aceh jeder dritte Einwohner, als<br />

der Tsunami am frühen Morgen über den<br />

nördlichsten Teil Sumatras walzte. «Das<br />

ist unglaublich. Eine halbe Stadt wurde<br />

einfach weggefegt …», wird Joseph Deiss<br />

später sagen. Aber jetzt, wo er am Hafen<br />

steht, das Meer im Rücken, den Blick auf<br />

das endlose Trümmerfeld gerichtet,<br />

macht ihn die Zerstörung sprachlos. Das<br />

Ungesagte ist in diesem Moment ohnehin<br />

stärker als alle Worte.<br />

Es ist Zufall, was noch steht <strong>und</strong> was<br />

zerstört wurde. Und es ist Zufall, wer<br />

noch lebt <strong>und</strong> wer tot ist. Die indonesische<br />

Regierung spricht von 220000 Opfern<br />

– die meisten davon hier in Banda<br />

Aceh. So genau weiss niemand, wie viele<br />

Menschen gestorben sind. Denn eiligst<br />

wurden Massengräber ausgehoben, tote<br />

Körper eingesammelt <strong>und</strong> an r<strong>und</strong> zehn<br />

Orten vergraben. Mitten in der Stadt, wo<br />

es halt grad Platz hatte. Die Massengräber<br />

sind heute gekennzeichnet mit indonesischen<br />

Fahnen, die entlang den Feldern im<br />

Wind flattern. Langsam wächst vereinzelt<br />

Gras über die aufgeschüttete Erde, doch<br />

vergessen ist das Schicksal dieser Opfer<br />

noch lange nicht. Man hat Verständnis<br />

für Rudolf Pardede, Vize-Gouverneur der<br />

116 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE<br />

ZUFLUCHTSORT Deza-<br />

Mitarbeiterin Yunita Ningsih<br />

zeigt dem Ehepaar Deiss<br />

die Baiturrahman-Moschee.<br />

Viele Einwohner flüchteten<br />

vor dem Tsunami hierher –<br />

<strong>und</strong> überlebten.<br />

DIE SCHWEIZER OPFER<br />

DAS SEEBEBEN in Südostasien hat auch<br />

60 Schweizer das Leben gekostet, von 65 weiteren<br />

fehlt nach wie vor jede Spur. Die meisten<br />

Opfer waren als Touristen<br />

auf Phuket/Thailand,<br />

als die Welle am<br />

26. Dezember 2004<br />

die Ferieninsel überschwemmte<br />

<strong>und</strong> dort<br />

insgesamt über 8000<br />

BOTSCHAFTER Hans-<br />

Peter Erismann, Thailand.<br />

Menschen mit sich riss.<br />

In Banda Aceh gab es<br />

keine Schweizer Opfer.<br />

«Diese Katastrophe<br />

brachte aus vielen Menschen das Beste heraus,<br />

das ich je gesehen habe», sagt Hans-Peter<br />

Erismann, Schweizer Botschafter in Thailand.<br />

Die Solidarität unter den Überlebenden sei riesig<br />

– aber auch die Hilfe aus aller Welt habe<br />

ihn beeindruckt. Die forensischen Experten<br />

haben ihre Arbeiten in Phuket abgeschlossen.<br />

Nun werden die gewonnenen Daten der Leichen<br />

in die Computersysteme übertragen<br />

<strong>und</strong> mit Referenzen wie Fingerabdrücken <strong>und</strong><br />

Röntgenbildern der Zähne aus den Heimatländern<br />

der Vermissten verglichen. Dabei<br />

helfen auch sechs Polizisten aus der<br />

Schweiz. Gibt es eine Übereinstimmung mit<br />

einem vermissten Schweizer, übernimmt die<br />

Botschaft die weiteren Formalitäten. «Oft reist<br />

die Familie dann nach Thailand. Um Abschied<br />

zu nehmen oder um die Liebsten nach Hause<br />

zu holen», sagt Erismann. Die Angehörigen<br />

werden vor Ort betreut, die Einäscherung<br />

der Körper <strong>und</strong> die Überführung in die Schweiz<br />

organisiert.<br />

Auch der Wiederaufbau ist in Thailand in Gang.<br />

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte<br />

bei ihrem Besuch Anfang Jahr versprochen,<br />

drei Dörfern nördlich von Khao Lak zu helfen.<br />

«Die Schule steht schon <strong>fas</strong>t wieder. Strassen,<br />

Brücken <strong>und</strong> Häuser sind in Planung», erzählt<br />

Hans-Peter Erismann. Der B<strong>und</strong> unterstützt<br />

das Projekt mit 2,5 Millionen Franken.


MAN GLAUBTS<br />

KAUM, wenn man es<br />

nicht mit eigenen<br />

Augen gesehen hat<br />

FOTO: AFP<br />

TOTALE ZERSTÖRUNG Obwohl die Baiturrahman-Moschee drei Kilometer<br />

landeinwärts steht, war die Verwüstung nach dem Tsunami gross.<br />

20000 MENSCHEN liegen hier begraben. Nach dem Tsunami mussten<br />

sie wegen der drohenden Seuchengefahr rasch beerdigt werden.<br />

Region, wenn er Deiss bittet: «Beten Sie<br />

mit uns für unsere Opfer.»<br />

Man kann sich nicht vorstellen,<br />

dass auf dem Trümmerfeld an der Küste<br />

mal Haus an Haus gestanden hatte. Was<br />

man noch irgendwie brauchen kann,<br />

haben die Einheimischen längst geholt.<br />

Zurück blieben Steinbrocken, angeschwemmtes<br />

Holz, zerstörter Hausrat. Alles<br />

hat die gleiche braune, schlammige<br />

Farbe. Die stille Anklage hat eine gewaltige<br />

Wirkung. Die Leere macht betroffen<br />

<strong>und</strong> ist nur schwer zu ertragen. «Deshalb<br />

möchten die Menschen ihre Häuser an<br />

der Küste wieder aufbauen», sagt Yunita<br />

Ningsih, die vor Ort für die Deza arbeitet.<br />

Doch die Regierung will davon nichts<br />

wissen. Es wird noch Jahre dauern, bis<br />

klar ist, was mit dem Trümmerfeld passiert<br />

– ein Streifen entlang der Küste, der<br />

bis drei Kilometer ins Landesinnere geht.<br />

B<strong>und</strong>esrat Deiss bew<strong>und</strong>ert die<br />

Menschen hier, die sich nach dieser Katastrophe<br />

aufgerafft haben <strong>und</strong> das Leben<br />

neu anpacken. «Der Alltag funktioniert<br />

wieder. Nach der ersten humanitären Hilfe<br />

müssen wir jetzt längerfristig denken»,<br />

sagt er. Die Deza ist vor Ort <strong>und</strong> kümmert<br />

sich unter anderem darum, dass<br />

Obdachlose bei Einheimischen Unterschlupf<br />

finden. Damit kann vermieden<br />

werden, dass riesige Zeltlager entstehen.<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz ist zuständig<br />

für den Wiederaufbau von Schulen<br />

<strong>und</strong> Krankenhäusern, Ingenieure<br />

bemühen sich um die zerstörte Wasserversorgung.<br />

Und die Entwicklungorganisation<br />

Swisscontact will nun gemeinsam<br />

mit dem Seco auch die Wirtschaft im Krisengebiet<br />

wieder ankurbeln. «Es gibt Geschäfte,<br />

die keinen Besitzer mehr haben.<br />

Es gibt Geschäfte, die weggefegt wurden.<br />

Und es gibt Geschäfte, die ihren Markt<br />

verloren haben», erklärt Thomas Meier<br />

von Swisscontact. Bei all diesen Problemen<br />

will die Schweiz nun helfen.<br />

Es sind Betriebe zerstört worden, aber<br />

auch neue wirtschaftliche Märkte entstanden.<br />

Vor der Baiturrahman-Moschee<br />

in Banda Aceh versucht ein Mann, Satellitenbilder<br />

unters Volk zu bringen. Darauf<br />

sieht man die Monster-Wellen, wie<br />

sie sich vom Meer her auf die Stadt zubewegten.<br />

Ein beliebtes Andenken, wie<br />

der Verkäufer versichert. Vor allem für die<br />

Mitarbeiter der vielen Hilfsorganisationen,<br />

die sich hier ausgebreitet haben –<br />

mit dem Nebeneffekt, dass die Mieten<br />

um das Zehnfache angestiegen sind.<br />

Deza-Mitarbeiterin Yunita Ningsih<br />

zeigt Babette <strong>und</strong> Joseph Deiss die Moschee.<br />

Erzählt, wie unzählige Menschen<br />

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 117


HIER HAT KAUM<br />

JEMAND ÜBERLEBT<br />

Babette Deiss kann kaum<br />

glauben, dass dies einmal<br />

das belebte Hafenviertel<br />

Banda Acehs war.<br />

nach dem Erdbeben hierher kamen, um<br />

Schutz zu suchen. Das Wasser stieg über<br />

drei Meter, gestorben ist niemand. Anders<br />

im Spital von Banda Aceh: Das Beben<br />

erschreckte die Angestellten, <strong>und</strong> aus<br />

Angst vor weiteren Erdstössen schafften<br />

sie die Patienten mitsamt den Betten ins<br />

Freie. Dann kam die Monsterwelle.<br />

Weiter gehts nach der Moschee zu<br />

einer «Sehenswürdigkeit», die Banda<br />

Aceh vor dem Tsunami nicht besass: Der<br />

Koloss ist 50 Meter lang, 20 Meter breit<br />

<strong>und</strong> 20 Meter hoch – <strong>und</strong> steht mitten in<br />

der Stadt. Im Trockenen. Fast zwei Kilometer<br />

weit weg vom Meer. Ein Monstrum<br />

von einem Schiff! Grösser <strong>und</strong> höher als<br />

alles r<strong>und</strong>herum. «Es ist sogar einigen<br />

Menschen gelungen, sich auf das Schiff<br />

zu retten <strong>und</strong> so dem Tsunami zu entkommen»,<br />

weiss Yunita Ningsih. Jetzt<br />

überlegt sich die Stadtregierung, das<br />

Schiff dort zu belassen, wo es ist, <strong>und</strong> daraus<br />

ein Denkmal zu machen.<br />

Dabei würde es noch funktionieren!<br />

Das Schiff beherbergte nämlich bis<br />

am 26. Dezember das Stromkraftwerk der<br />

Region. «Weil die Rebellen das Kraftwerk<br />

an Land immer wieder beschossen,<br />

zügelte man es kurzerhand aufs Meer»,<br />

erklärt Georges Martin, Schweizer Botschafter<br />

in Indonesien. Banda Aceh war<br />

vor der Katastrophe jahrelang ein Sperrgebiet.<br />

Hier kämpften Rebellen in einem<br />

blutigen Bürgerkrieg, die ganze Region<br />

wurde von der Regierung isoliert.<br />

UNGESAGTES<br />

ist oft viel<br />

stärker als<br />

alle Worte<br />

WICHTIGE PARTNER<br />

BESIEGELT Deiss mit dem thailändischen<br />

Handelsminister Lim Hng Kiang.<br />

Joseph Deiss hatte seine offizielle<br />

Reise nach Indonesien schon lange vor<br />

dem katastrophalen Seebeben geplant.<br />

«Mir ist es jetzt wichtig, den Menschen<br />

hier unsere Betroffenheit zu zeigen. Deshalb<br />

habe ich mich für einen Abstecher<br />

ins Krisengebiet entschieden», erklärt der<br />

Wirtschaftsminister.<br />

Einen letzten Eindruck erhalten<br />

Joseph <strong>und</strong> Babette Deiss, als sie mit dem<br />

Flugzeug für die weitere offizielle Staatsreise<br />

Richtung Jakarta abheben. Denn<br />

erst von oben wird das ganze Ausmass der<br />

Tsunami-Verwüstungen richtig sichtbar.<br />

Wo einst die Küste war, sind heute viele<br />

kleine Inseln. Weite Teile des Landes stehen<br />

noch immer unter Wasser. «Wenn<br />

man es nicht gesehen hat», sagt B<strong>und</strong>esrat<br />

Deiss nachdenklich, «dann würde man<br />

es nicht glauben.»<br />

p<br />

SINGAPUR ist mit einem<br />

Handelsvolumen von 1,8<br />

Milliarden Franken der<br />

wichtigste Handelspartner<br />

der Schweiz in Südostasien.<br />

Ziel<br />

von B<strong>und</strong>esrat Joseph<br />

Deiss war es, mit seinem<br />

Besuch die wirtschaftlichen<br />

Beziehungen<br />

zu vertiefen. Mit Premierminister<br />

Lee Hsien<br />

Loong sprach er über<br />

Singapur <strong>und</strong> die Schweiz.<br />

«Wir haben viel gemeinsam. Hohe Bildung,<br />

gute Infrastruktur – ideale Voraussetzungen,<br />

um erfolgreich mit Firmen aus<br />

der ganzen Welt zu geschäften», sagte<br />

Deiss vor Wirtschaftsvertretern. Bei Handelsminister<br />

Lim Hng<br />

Kiang unterstrich Deiss<br />

seinen Wunsch, dass sich<br />

mehr Firmen aus Singapur<br />

in der Schweiz ansiedeln<br />

mögen: Einer der Höhepunkte<br />

des Besuches<br />

war die Eröffnung des<br />

sogenannten Swiss Business<br />

Hub. Die Institution<br />

soll Schweizer Firmen<br />

dazu ermuntern, sich in<br />

Südostasien zu etablieren<br />

– <strong>und</strong> umgekehrt. Der Hub<br />

hilft mit Informationen, Marktanalysen, er<br />

macht auf neue Märkte aufmerksam<br />

<strong>und</strong> motiviert Geschäftsleute, in den asiatischen<br />

Raum zu exportieren. Weltweit<br />

gibt es bereits 14 solche Einrichtungen.

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