«Sarajevo beeindruckt mich»
Die Justizministerin reist nach Bosnien und Herzegowina ... - ZwygArt
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politik<br />
hauptstadt-Bummel Ein bisschen wie<br />
Istanbul, ein bisschen wie Wien. Eveline<br />
Widmer-Schlumpf schaut sich Sarajevo an.<br />
Die Justizministerin reist nach Bosnien und Herzegowina<br />
und unterzeichnet dort zwei Abkommen. Seit zehn<br />
Monaten ist eveline widmer-schlumpf<br />
Bundesrätin – und erlebt die intensivste Zeit ihres Lebens.<br />
<strong>«Sarajevo</strong> <strong>beeindruckt</strong> <strong>mich»</strong><br />
48 schweizer illustrierte schweizer illustrierte 49
politik<br />
Bundesrats-Flieger Unsere «Air Force<br />
One» ist ein Düsenjet Cessna Citation Excel.<br />
Team-Arbeit Eveline Widmer-Schlumpf<br />
ist unterwegs mit (v. l.) Stefano<br />
Toscano (EDA), Sascha Hardegger<br />
(Information EJPD), Arnold Bolliger<br />
(BA für Polizei), Pälvi Pulli (EJPD)<br />
und Urs von Arb (BA für Migration).<br />
Mit ihrer<br />
Delegation<br />
26 Stunden in<br />
Sarajevo:<br />
«Ich kann meine<br />
Kräfte zum<br />
Glück schnell<br />
regenerieren»<br />
Eveline Widmer-Schlumpf<br />
Text christine Zwygart<br />
Fotos Kurt reichenbach<br />
kratischen Partei, der sie nun angehört.<br />
«Das alles zusammen gab einen Bruch in<br />
meinem Leben, wie ich ihn nie zuvor erlebte.»<br />
Bereut hat sie den Entscheid, das<br />
Amt anzunehmen, jedoch nie. Darüber<br />
mache sie sich keine Gedanken. «Als<br />
Maturandin besuchte ich einst die Schule<br />
in Paris. Seither lebe ich nach Edith<br />
Piafs Motto: ‹Je ne regrette rien.›»<br />
Man sieht ihr die Belastung der<br />
vergangenen Wochen nicht an. Eveline<br />
Widmer-Schlumpf ist bei ihrem Besuch<br />
in Sarajevo hellwach und interessiert.<br />
Ihr Arbeitsbesuch weckt grosses<br />
Echo bei den einheimischen Medien –<br />
schliesslich tritt nicht oft ein Regierungsmitglied<br />
die Reise nach Bosnien<br />
und Herzegowina an. Gemeinsam mit<br />
Sicherheitsminister Tarik Sadovic unterzeichnet<br />
die Justizministerin zwei Abkommen.<br />
Das eine erleichtert das Reisen<br />
zwischen den beiden Ländern – die Visa-<br />
Bisher kannte sie die Stadt nur aus<br />
Geschichtsbüchern, Fernsehberichten<br />
und Erzählungen von<br />
Kriegs-Flüchtlingen. Eveline Widmer-<br />
Schlumpf ist zum ersten Mal in Sarajevo,<br />
schlendert durch die Altstadt und lässt<br />
das Gemisch aus orientalischem und<br />
europäischem Flair auf sich wirken.<br />
«Was ich hier sehe, <strong>beeindruckt</strong> und<br />
fasziniert <strong>mich»</strong>, sagt die 52-Jährige.<br />
Bosnien und Herzegowina ist im Aufbruch<br />
und im Aufbau. 13 Jahre sind seit<br />
dem Krieg vergangen, rund 100000<br />
Menschen gelten seither offiziell als tot<br />
oder vermisst. Serben, Bosniaken und<br />
Kroaten führten gegeneinander Krieg.<br />
«Über diese ethnischen Konflikte hinweg<br />
müssen die Politiker nun einen Weg<br />
finden, der für alle gangbar ist», sagt<br />
Eveline Widmer-Schlumpf. Sie orientiert<br />
sich vor Ort über die Grenzpolizei,<br />
schaut sich die Polizei-Akademie an,<br />
besucht eine Beratungsstelle für Roma.<br />
Und spricht mit Zeljko Komsic, einem<br />
der drei Staatspräsidenten, über die Verfassung.<br />
Viel sei geleistet worden, doch<br />
es brauche noch immense Aufbauarbeit,<br />
meint die Bundesrätin. «Das ist eine<br />
riesige Herausforderung, aber auch eine<br />
wunderbare Chance.»<br />
Mit Herausforderungen kennt<br />
sie sich aus. Bestens sogar. Die Bündnerin<br />
meistert sie nicht nur – sie wächst<br />
an ihnen. Keine Hürde war bisher zu<br />
hoch, kein Stein auf ihrem Weg zu<br />
gross, keine Aufgabe zu schwierig.<br />
Eveline Widmer-Schlumpf sitzt seit<br />
gut zehn Monaten im Bundesrat und<br />
verblüfft Freund und Feind gleichermassen.<br />
Die Justizministerin wurde nach<br />
der Wahl von ihren SVP-Parteikollegen<br />
fallen gelassen, politisierte erfolgreich<br />
ohne Fraktion im Rücken, führte eben<br />
wochenlang zwei Departemente – und<br />
trotz dabei der Finanzkrise. Fehltritte?<br />
Fehlanzeige!<br />
«Seit ich im Amt bin, erlebe ich eine<br />
intensive Zeit», erzählt die Bundesrätin.<br />
Der Umzug von Chur nach Bern, der<br />
neue Job, der Alltag ohne Familie – und<br />
die Gründung der Bürgerlich-Demo-<br />
Bestimmungen werden gelockert. Das<br />
andere sorgt dafür, dass Bosnier, die sich<br />
illegal in der Schweiz aufhalten, wieder<br />
zurückgeschafft werden können. «Mit<br />
diesen Abkommen zeigen wir, dass wir<br />
unverkrampft miteinander umgehen<br />
möchten», erklärt Eveline Widmer-<br />
Schlumpf. In der Schweiz leben über<br />
40000 Menschen aus dem Balkan-Staat,<br />
weitere 25000 wurden bereits eingebürgert.<br />
Ein gutes Einvernehmen zwischen<br />
den Ländern sei also wichtig.<br />
Wer auf Visite weilt, bringt ein Geschenk<br />
aus der Heimat mit. Die Bundesrätin<br />
liess im Münstertal für den Sicherheitsminister<br />
eine Truhe aus Arvenholz<br />
zimmern, der Deckel ist mit einem Steinbock<br />
verziert. «Und gefüllt haben wir die<br />
Kiste mit Süssigkeiten.»<br />
Der Krieg ist in Sarajevo immer<br />
noch präsent. Einschusslöcher in den<br />
Häusern zeugen von der Bombardie-<br />
u<br />
kontrakt<br />
Mit Sicherheitsminister<br />
Tarik Sadovic<br />
unterzeichnet<br />
Widmer-<br />
Schlumpf ein<br />
Rückführungs-<br />
und<br />
ein Visa-<br />
Abkommen.<br />
50 schweizer illustrierte
politik<br />
Tunnel-Museum Eveline Widmer-<br />
Schlumpf im Untergrund. Der Tunnel ist nur<br />
1,5 Meter hoch und 1 Meter breit.<br />
«Wir dürfen die<br />
Vergangenheit<br />
nicht vergessen –<br />
und müssen verhindern,<br />
dass sie<br />
sich wiederholt»<br />
u rung der Stadt. Auf der einstigen<br />
Sniper-Allee, wo Scharfschützen auf der<br />
Lauer lagen, rollen heute Autos wieder<br />
ins Stadtzentrum, ohne Gefahr, beschossen<br />
zu werden. Vorbei an Bauruinen,<br />
die anklagend zwischen neuen Gebäuden<br />
stehen. Der bundesrätliche Konvoi<br />
stoppt vor einem unscheinbaren Haus.<br />
Hier erlebt Eveline Widmer-Schlumpf<br />
ein Stück Geschichte hautnah: Im Wohnzimmer<br />
führt eine Treppe in den Untergrund,<br />
der Einstieg in einen Tunnel.<br />
Der 800 Meter lange Gang verband<br />
einst das Zentrum Sarajevos mit dem<br />
nicht belagerten Gebiet auf der anderen<br />
Seite des Flughafens. Durch den Tunnel<br />
flüchteten nicht nur Menschen, sondern<br />
kamen auch Nahrungsmittel, Medikamente<br />
und Waffen in die eingekesselte<br />
Stadt. Die Bundesrätin zeigt sich betroffen,<br />
Hausbesitzer Edis Kolar erklärt:<br />
«Wir erlebten hier eine schreckliche<br />
Zeit. Die Wahrheit über den Krieg dürfen<br />
die Menschen niemals vergessen.»<br />
Das sieht die Schweizer Ministerin<br />
genauso: «Es ist wichtig, dass wir<br />
die Vergangenheit nicht vergessen –<br />
und wir müssen verhindern, dass sie<br />
sich wiederholt.»<br />
Juden, Christen, Muslime – dazu<br />
diverse Ethnien und Minderheiten.<br />
Die Bevölkerung von Bosnien und<br />
Herzegowina ist ethnisch und religiös<br />
gemischt, nur mit viel Toleranz ist ein<br />
friedliches Zusammenleben möglich. Im<br />
Zentrum von Sarajevo finden sich in<br />
einem Umkreis von 400 Metern Gotteshäuser<br />
von vier Religionen. Nebeneinander<br />
ertönen Kirchenglocken und die Gebetsrufe<br />
der Muezzins – ginge das auch<br />
in der Schweiz? «Ein Minarett ist ein religiöses,<br />
nicht ein politisches Zeichen»,<br />
sagt Eveline Widmer-Schlumpf. Allerdings<br />
seien baurechtliche Fragen in den<br />
Kantonen und Gemeinden zu berücksichtigen.<br />
Anders gewichtet die Bundesrätin<br />
die islamischen Gebetsrufe: «Das<br />
kann ich mir in unserer christlich geprägten<br />
Kultur nicht vorstellen.»<br />
26 Stunden dauert der Besuch in<br />
Sarajevo, dann gehts mit der Cessna Citation<br />
Excel wieder heim. Neue Termine<br />
und Traktanden sind geplant – und immer<br />
steht die Bundesrätin im Mittelpunkt.<br />
«Ich kann meine Kräfte zum Glück schnell<br />
regenerieren», sagt Eveline Widmer-<br />
Schlumpf. Als dreifache, berufstätige Mutter<br />
habe sie das gelernt. Eine Stunde in der<br />
Natur, ein ausgedehnter Spaziergang –<br />
dann seien die Batterien wieder voll. «Man<br />
muss abschalten können. Die Probleme im<br />
Büro nehme ich nicht mit nach Hause, und<br />
beim Arbeiten mache ich mir keine Sorgen<br />
um die Kinder.» Sie habe sich stets an diesen<br />
Grundsatz gehalten und so die Doppelbelastung<br />
gut gemeistert. Jetzt sind die<br />
drei Kinder erwachsen, dafür ist der Job<br />
umso intensiver. «Ich mag das», sagt Eveline<br />
Widmer-Schlumpf. «Mein Leben war<br />
schon immer sehr intensiv.» •