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Augsburg

Auf dem Weg zur Wahl des neuen Papstes

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FortsetzungsromAn 2./3. März 2013 / Nr. 9<br />

9Als das Wetter nicht mehr<br />

so beständig blieb, wurden<br />

besonders die Kinder losgeschickt,<br />

um Früchte und Pilze zu<br />

sammeln. Die Männer mussten das<br />

eingefahrene Korn dreschen und<br />

alles für den bevorstehenden Winter<br />

richten. Ester, die Bäuerin und<br />

die Magd trockneten und verarbeiteten<br />

die gesammelten Früchte.<br />

Ursula ging am liebsten allein<br />

los, doch meistens musste sie eins<br />

der Kleinen mitnehmen. Liesel war<br />

ja noch zu ertragen, und sie war<br />

meistens auch eine Hilfe, doch die<br />

kleine Magda war mehr als nur ein<br />

Klotz am Bein. Ständig war irgend<br />

etwas, mal wollte sie nicht mehr laufen,<br />

mal musste sie Pipi, und kaum<br />

war man einige Schritte gegangen,<br />

wurde neues Jammern laut. War<br />

Magda zufrieden, beklagte sich Arnulf.<br />

Beim Beerenpflücken hielten<br />

sie eine Weile durch. Bei Früchten,<br />

die auf Bäumen wuchsen, stand<br />

Magda nur unten und jammerte<br />

oder futterte, was sie in ihr kleines<br />

Mäulchen stopfen konnte.<br />

Pilzesuchen ging mit Magda<br />

überhaupt nicht, und Liesel hatte<br />

Angst im Wald. Da Ursula aber von<br />

Ester so viel über Pilze und Kräuter<br />

gelernt hatte, durfte sie manchmal<br />

auch allein ohne störenden Anhang<br />

in den Wald. Schon hatte sie ihre<br />

eigenen Plätze, an denen sie fast<br />

immer fündig wurde, und zusammen<br />

mit den Stellen, die ihr Ester<br />

anvertraut hatte, war ihr Korb oft<br />

schneller als erwartet gefüllt mit<br />

den herrlichsten Pilzen. So gewann<br />

sie hin und wieder einige freie<br />

Stunden ganz für sich.<br />

Manchmal saß sie dann auf einer<br />

kleinen versteckten Lichtung tief<br />

im Tann, oder sie ließ ihre Beine<br />

im Wasser eines kleinen Bächleins<br />

baumeln. Sie genoss schlicht das<br />

Gefühl ihrer Freiheit. Träume oder<br />

Pläne drangen ihr nicht in die Gedanken,<br />

genausowenig wie düstere<br />

Erinnerungen an längst vergangene<br />

Tage. Sie kroch unter jungen Nadelgehölzen<br />

hindurch, immer auch<br />

auf der Suche nach noch ergiebigeren<br />

Fundorten, und freute sich<br />

über die schönsten Exemplare, als<br />

wären es persönliche Geschenke<br />

des Waldes an sie.<br />

Es war an einem dieser Spätsommertage,<br />

sie hatte eine ganze<br />

Weile auf ihrer Lichtung gesessen,<br />

die Sonne war längst über ihren<br />

höchsten Stand hinaus, und sie<br />

hatte noch Lust, weiter oben an einem<br />

kleinen Bach nach Pilzen zu<br />

sehen. Bedächtig arbeitete sie sich<br />

hangauf, aufmerksam rechts und<br />

links schauend, ob nicht hier schon<br />

die eine oder andere kastanienbraune<br />

Kappe einen schmackhaften Pilz<br />

erkennen ließ. Sie hörte bereits das<br />

Plätschern des kleinen Wasserlaufs,<br />

als sie rechts von sich einen gro-<br />

Ute, die Magd, rät Ursula,<br />

sich den Annäherungsversuchen<br />

Ludgers nicht<br />

völlig zu widersetzen –<br />

schließlich könne sie<br />

durch eine Heirat mit<br />

dem Bauerssohn einmal<br />

zur Jungbäuerin<br />

auf steigen. Vorerst aber<br />

bleibt Ursula von neuen<br />

Nachstellungen Ludgers<br />

ver schont und verlebt unbeschwerte<br />

Tage beim Pilzesuchen<br />

im Wald.<br />

ßen Steinpilz entdeckte. Vorsichtig<br />

drehte sie das wunderbare Exemplar<br />

aus dem lockeren Waldboden,<br />

und wie sie aufschaute, sah sie ein<br />

ganzes Stück weit entfernt noch ein<br />

ähnlich schönes Exemplar. Schon<br />

oft hatte sie sich gefragt, was die Pilze<br />

dazu veranlasste, an diesem oder<br />

einem anderen Ort zu wachsen,<br />

denn manchmal fand man selbst an<br />

den besten Stellen kaum etwas, und<br />

dann stand plötzlich dort, wo man<br />

noch nie fündig geworden war, ein<br />

Pilz, als hätte es ihn dort schon immer<br />

gegeben. Wenn sie das wüsste,<br />

sagte sie sich, wäre das Suchen noch<br />

viel einfacher. Aber die Pilze gaben<br />

ihr Geheimnis nicht preis, und so<br />

blieb es wundersam. Auch hier war<br />

sie so noch nie fündig geworden,<br />

und bei jedem neuen Pilz schenkte<br />

ihr der schweifende Blick eine neue<br />

Entdeckung hangaufwärts.<br />

Schließlich musste sie aber doch<br />

kurz innehalten und verschnaufen.<br />

Wie in einem Rausch war sie<br />

von Pilz zu Pilz bergauf gehastet<br />

und nun nassgeschwitzt und außer<br />

Atem. Sie richtete sich ganz auf und<br />

lauschte in den Wald. Noch immer<br />

konnte sie das Bächlein hören.<br />

Doch die Umgebung war ihr völlig<br />

fremd. So weit oben war sie noch<br />

nie gewesen. Sie folgte dem Plätschern<br />

und gelangte an den kleinen<br />

Wasserlauf. Auf der Suche nach einer<br />

Stelle, wo sie sich gut hinsetzen<br />

konnte, ging sie noch einige Schritte<br />

höher und befand sich plötzlich<br />

an einem wunderschönen Platz.<br />

Das Bächlein lief hier über einen<br />

riesigen Felsen, dessen Fläche, die<br />

etwa so groß wie der Schweinekoben<br />

sein mochte, zu einer Mulde<br />

ausgewaschen war. In dieser Mulde<br />

sammelte sich das Wasser, bevor<br />

Foto: akg-images/<br />

Erich Lessing<br />

es an einer Kante einen Durchlauf<br />

zum Weiterfließen fand.<br />

Der Anblick ließ ihr einen kleinen<br />

Laut der Freude entfahren. Sie<br />

setzte sich rasch an den Rand des<br />

Tümpels und streckte ihre Füße in<br />

das Wasser. Es war gar nicht so kalt<br />

wie erwartet. Der von der Sonne<br />

aufgeheizte Fels musste wohl auch<br />

das stehende Wasser etwas erwärmen.<br />

Sie sah vor sich hin in das<br />

klare Wasser, und auf einmal hatte<br />

sie große Lust, nicht nur die Füße<br />

zu baden. Misstrauisch sah sie sich<br />

um, spitzte ihre Ohren und lauschte<br />

so lange, bis die Gewissheit, dass<br />

sie ganz alleine hier oben sei, nicht<br />

mehr von der Hand zu weisen war.<br />

Sie zog sich ihr grobes Kleid über<br />

den Kopf, sah sich nochmals um<br />

und zog dann auch ihr Unterhemd<br />

aus. Nackt ließ sie sich in das Wasser<br />

gleiten. Es war einfach wunderbar.<br />

Sie begann sich abzuwaschen<br />

und musterte sich dabei unwillkürlich.<br />

Ihre Arme und Beine waren<br />

zur Hälfte braun, der Rest ihrer<br />

Haut war ganz hell, fast weiß.<br />

Kleine rote Punkte erinnerten am<br />

Bauch und an den Schenkeln an<br />

die juckenden Spuren von Flöhen<br />

und Mückenstichen. Im letzten<br />

Jahr war ihre Figur viel fraulicher<br />

geworden. An ihrem Oberkörper<br />

wölbten sich nun schon einige Zeit<br />

zwei feste Brüste, jede etwas größer<br />

als ihre Faust.<br />

Das Grollen eines fernen Donners<br />

ließ sie aufschrecken. Sie<br />

fürchtete sich so wie alle anderen<br />

vor Gewitter. Noch konnte sie allerdings<br />

keine Wolke in dem Fleckchen<br />

Himmel erkennen, das der<br />

Wald hier preisgab. Also ließ sie<br />

sich noch ein wenig Zeit, am Rand<br />

des Tümpels sitzend zu trocknen,<br />

bevor sie sich wieder ihre Kleider<br />

überwarf und sich auf den Heimweg<br />

machte. Dies war von nun an<br />

ihr ganz persönlicher Ort. Dieses<br />

Wissen gab ihr das Gefühl von großer<br />

Freiheit, das sich mit der ungewohnten<br />

Sauberkeit und Frische<br />

ihres ganzen Körpers vermischte.<br />

Auch wenn der Weg zum Hof lang<br />

und der volle Pilzkorb schwer waren,<br />

kam sie sich noch immer locker<br />

und beschwingt vor, als sie das<br />

Dach des Wohnhauses wieder zwischen<br />

den Baumästen erblickte.<br />

Am Abend auf ihrem Lager<br />

dachte sie darüber nach, wie sie es<br />

anstellen könnte, möglichst bald<br />

wieder in den Wald zu dürfen.<br />

Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, bis<br />

die Herbststürme und der nahende<br />

Winter auch ihren geheimen<br />

Platz ungemütlich machten. Aber<br />

sie wünschte sich nichts mehr, als<br />

noch zwei, drei Mal dort hin zu<br />

kommen, bevor die kalte Zeit sie<br />

und die anderen wieder in der Stube<br />

einsperren würde.<br />

Doch es gelang ihr in diesem<br />

Jahr nur noch einmal, bis hoch auf<br />

ihren Felsen zu kommen. Dann ließen<br />

es das Wetter und die kürzeren<br />

Tage nicht mehr zu. Häufiger Regen<br />

und kalte Winde sorgten dafür,<br />

dass man sich schon bald wieder<br />

in der Stube um das Feuer scharte.<br />

Die Fenster wurden mit Stroh verstopft<br />

oder mit dicken Tierhäuten<br />

behängt. Waren die Arbeiten draußen<br />

und im Stall getan, dämmerten<br />

alle im Halbdunkel der Stube vor<br />

sich hin und beschäftigten sich so<br />

gut es ging wieder mit Handarbeiten.<br />

Eines Tages, die Dämmerung<br />

war noch nicht hereingebrochen,<br />

aber der Tag war aufgrund tiefhängender<br />

grauer Wolken gar nicht<br />

wirklich hell gewesen, ertönte auf<br />

dem Hof eine kräftige, tiefe Stimme:<br />

„Gibt es gottesfürchtige Leute<br />

hier!? Heh! Hoh! Leben hier Christenmenschen!?“<br />

Alle ließen ihre Arbeit fallen,<br />

und zur Haustür, dem Stall und<br />

der Scheune schauten die Köpfe<br />

aller derer heraus, die zum Hof gehörten.<br />

Der Hund schlug an, und<br />

die kleine Magda begann laut zu<br />

weinen.<br />

DIE KREUZFAHRERIN<br />

Stefan Nowicki<br />

Gebunden, 384 S.<br />

Sankt Ulrich Verlag<br />

ISBN:<br />

978-386744-154-4<br />

19,95 EUR<br />

Fortsetzung folgt

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