Augsburg
Auf dem Weg zur Wahl des neuen Papstes
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2./3. März 2013 / Nr. 9 mensCHen<br />
er hatte viele<br />
schutzengel<br />
Josef Häusler entging<br />
der Vernichtung durch<br />
die Nationalsozialisten<br />
Mit 80 Jahren ist er immer noch ein begeisterter Bastler: Josef Häusler schreinert Vogelhäuschen und Krippen in seiner Hobbywerkstatt<br />
im Tölzer Lebenshilfe-Wohnheim.<br />
BAD TÖLZ – Mehrmals entging er<br />
der Lebensgefahr: Am 18. Februar<br />
hat Josef Häusler seinen 80. Geburtstag<br />
gefeiert. Als 1933 geborener<br />
Mensch mit geistiger Behinderung<br />
hat er im Kloster Ursberg bei<br />
Günzburg den Euthanasie-Terror<br />
der Nationalsozialisten überlebt.<br />
Heute lebt er im Wohnheim der<br />
Tölzer Organisation „Lebenshilfe“<br />
und ist dort mit Abstand der älteste<br />
betreute Mensch.<br />
Josef stammt aus dem Böhmerwald<br />
und ist von Geburt an gehörlos.<br />
Ein Amtsarzt stellt 1941 fest: „Stark<br />
schwerhörig, gewisse Hörreste,<br />
geistig stark unterentwickelt…“ Er<br />
schlägt seine Unterbringung in einer<br />
„Anstalt für Schwachsinnige“ vor,<br />
was den Achtjährigen in Lebensgefahr<br />
bringt. Doch das Landratsamt<br />
Regen erlaubt, dass der Junge in<br />
einer Einrichtung der St. Josefskongregation<br />
in Ursberg aufgenommen<br />
wird – und schreibt im Bescheid von<br />
einem „Schulversuch zur Feststellung<br />
der Bildungsfähigkeit.“<br />
Auch wenn die Trennung seinen<br />
Eltern fast das Herz zerreißt: Dieser<br />
Schritt hat Josef vermutlich das<br />
Leben gerettet. Ab November 1941<br />
besucht er zunächst die erste Klasse<br />
der Sprechschule, erweist sich jedoch<br />
als überfordert und wechselt in<br />
die Taubstummenklasse.<br />
Mit der Machtergreifung der<br />
braunen Rassenfanatiker waren<br />
dunkle Wolken über Ursberg aufgezogen.<br />
Verzweifelt wehrte sich<br />
Im Heim der<br />
Lebenshilfe hat<br />
Josef Häusler,<br />
unterstützt<br />
von Betreuerin<br />
Bettina Stocker,<br />
ein „Ich-Buch“<br />
mit alten Fotos<br />
und Begleittexten<br />
erstellt.<br />
Fotos: Bannier<br />
das Kloster gegen den erbarmungslosen<br />
Zugriff der Behörden, konnte<br />
jedoch Zwangssterilisation (ab<br />
1934) und die Verschleppung und<br />
anschließende Ermordung behinderter<br />
Menschen (ab 1940) nicht<br />
verhindern. Die Schreckensbilanz:<br />
519 Personen aus Ursberg wurden<br />
in staatliche Anstalten zwangsverlegt,<br />
379 davon wurden durch<br />
Vergasung, Todesspritze oder Nahrungsentzug<br />
getötet. Nur 140 haben<br />
die Euthanasie überlebt.<br />
Für schützlinge gekämpft<br />
Jeder der Geretteten steht für die<br />
erbitterte Gegenwehr des Klosters<br />
oder der Angehörigen: „Ursberg<br />
selbst konnte vor Kriegsende 70 Personen<br />
zurückholen, 22 kehrten danach<br />
zu uns zurück“, sagt Schwester<br />
Canisia Maurer, die heute das Ursberger<br />
Archiv und die Gedenkstätte<br />
betreut. „Die Schwestern haben gekämpft<br />
und getan, was sie konnten.“<br />
Weitere 50 Betreute hätten sie mit<br />
nicht abgerechneten „Freiplätzen“<br />
vor dem Schlimmsten bewahren<br />
können. Über Josef Häusler erfahren<br />
wir von ihr: „Ihn schützte, dass<br />
er nicht als ‚erbkrank‘ ausgewiesen<br />
worden war, und dass wir ihn als<br />
‚schul- und bildungsfähig’ und später<br />
‚arbeitsfähig‘ darstellen konnten.“<br />
Nach Kriegsende besucht Josef<br />
weiter die Schule und ab 1948 die<br />
Werkstätten von Ursberg. 1953 zieht<br />
es ihn zu seiner Familie zurück, die<br />
nach der Vertreibung in Oberbayern<br />
ansässig wurde. Ortsnahe geeignete<br />
Fördereinrichtungen gibt es damals<br />
nicht. Ohne Beschäftigung lebt Josef<br />
bei seiner Mutter.<br />
1970 wird in Bad Tölz die Organisation<br />
„Lebenshilfe“ gegründet.<br />
Sie eröffnet eine beschützende Werkstätte.<br />
Endlich findet Josef wieder<br />
Arbeit. Als seine Mutter 1982 stirbt,<br />
weiß Josef nicht wohin. Mangels geeigneter<br />
Einrichtungen wird er im<br />
Altenpflegeheim untergebracht. Als<br />
die Lebenshilfe 1987 ein Wohnheim<br />
eröffnet, findet der 54-Jährige ein<br />
Zuhause, das seinen Bedürfnissen<br />
gerecht wird. Als er 1999 in Rente<br />
geht, richtet die Lebenshilfe auch<br />
eine Senioren-Tagesbetreuung ein.<br />
„unser sonnenschein“<br />
Als wir Josef dort besuchen, begegnen<br />
wir einem offenkundig<br />
glücklichen Menschen. „Josef ist unser<br />
Sonnenschein“, sagt Betreuerin<br />
Bettina Stocker über ihren Ältesten.<br />
„Und so liebenswürdig und hilfsbereit<br />
– auch so höflich und akkurat,<br />
das hat er bei den Klosterschwestern<br />
gelernt.“ Ganz auf seine Gebärdensprache<br />
angewiesen, führt er ein<br />
recht selbstständiges Leben, geht<br />
zum Einkaufen und hält Kontakt zu<br />
seinen Schwestern. In seiner Hobbywerkstatt<br />
schreinert er Krippen und<br />
Vogelhäuser, für die er dankbare<br />
Kunden findet.<br />
An seiner Lebensgeschichte erweist<br />
sich das segensreiche Wirken<br />
caritativer Organisationen. Die<br />
Klosterschwestern von Ursberg haben<br />
ihm einst das Leben gerettet.<br />
Die Lebenshilfe sorgt dafür, dass<br />
er in einer „neuen guten Zeit“ ein<br />
unbeschwertes Leben führen kann.<br />
Und das Schönste daran ist die<br />
Selbstverständlichkeit, dass es heute<br />
so ist.<br />
Rainer Bannier<br />
Information<br />
NS-Propaganda<br />
Mit Plakat-Aktionen und manipulierten<br />
Zahlen über Betreuungskosten<br />
haben die Nazis einen infamen<br />
Propagandafeldzug gegen „Verbrecher,<br />
Geisteskranke, Fürsorgezöglinge,<br />
Krüppel und Taubstumme“<br />
geführt. Auf Plakaten hieß es: „Jeder<br />
Kranke muß von den gesunden<br />
Volksgenossen mitgeschleppt werden“<br />
und „Dieser Pfleger, ein gesunder<br />
kraftvoller Mensch, ist nur<br />
dazu da, um diesen einen gemeingefährlichen<br />
Irren zu betreuen.“