Augsburg
In Altötting für die Kranken beten
In Altötting für die Kranken beten
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9./10. Februar 2013 / Nr. 6 ORTSTERMIN<br />
Mit Flickenkleid zur Faschenacht<br />
Der „Huddelbätz“ tollt bei allen närrischen Umzügen durch die Buchener Straßen<br />
BUCHEN – Große Tafeln verhängen<br />
die Ziffern der Turmuhr. In<br />
Buchen, der kleinen Stadt im<br />
Odenwald, schlägt den Narren<br />
keine Stunde. Rund um die Uhr<br />
feiern sie so „Faschenacht“, wie<br />
die Tage vor Aschermittwoch im<br />
badischen Frankenland heißen.<br />
Närrischer Held ist der „Huddelbätz“,<br />
der an den tollen Tagen zu<br />
Hunderten durch Buchen springt.<br />
Ganze sechs „Huddelbätz“, erinnern<br />
sich die Alteingesessenen, waren<br />
es 1946, die nach dem Krieg mit<br />
Duldung der amerikanischen Besatzungsmacht<br />
die alten Bräuche neu<br />
belebten. Mehr Kostüme gab es damals<br />
nicht. Heute sind es gut 2000<br />
Bürger, die Jahr für Jahr ins bunte<br />
Flickenkleid schlüpfen, zu dem standesgemäß<br />
ein hoher, bunter Spitzhut,<br />
weiße Halskrause und Handschuhe<br />
zählen.<br />
Buchens „Faschenacht“ ist eine<br />
Mischung aus Tradition und Moderne,<br />
aus rheinischem Karneval<br />
und badisch-alemannischem Narrentreiben.<br />
Ihre Wurzeln liegen „in<br />
vorchristlicher Zeit“, so schreibt die<br />
anno 1879 gegründete „Narrhalla“<br />
auf ihrer Internet-Seite, die sich inzwischen<br />
stolz „Gesellschaft zur Erhaltung<br />
Buchener Bräuche und Sitten“<br />
nennt. Ein bisschen übertrieben<br />
ist das, zumal auch das erste schriftliche<br />
Dokument zur Fastnacht, eine<br />
Urkunde des Mainzer Kurfürsten<br />
Dietrich aus dem Jahr 1447, äußerst<br />
umstritten ist.<br />
Urkundlich einwandfrei ist fastnächtliches<br />
Treiben erstmals 1536<br />
belegt. Aus dem 19. Jahrhundert erzählen<br />
Zeitungsberichte, das Heer<br />
der Flickenkleid-Träger sei so groß<br />
gewesen, dass die Bürgerwehr hin<br />
und wieder einschreiten musste.<br />
1839 stufte das für Ordnung zuständige<br />
Bezirksamt das Huddelbätz-<br />
Kostüm gar als „wahrhaft ekelerregende<br />
Kleidung“ ein. Keiner ahnte<br />
damals, dass aus dem Arme-Leute-<br />
Kleid einmal ein Edel-Kostüm werden<br />
sollte, dessen Fertigung sich die<br />
Buchener heute hunderte Euro kosten<br />
lassen.<br />
Schon am Martinstag beginnt das<br />
närrische Treiben. Die Narren werden<br />
symbolisch geweckt und ziehen<br />
in Nachthemden und Schlafhauben<br />
zum Rathaus. Im Gepäck haben sie<br />
eine Gans für den Bürgermeister, als<br />
Pacht für das Zunfthaus, das die<br />
Karnevalsgesellschaft das Jahr über<br />
nutzt. Schließlich werden die Obernarren<br />
vereidigt. Es erklingt Buchens<br />
„National-Hymne“: „Kerl wach uff<br />
– Hinne houch“, ein bald 100 Jahre<br />
altes Lied, das auf den Blecker verweist.<br />
Diese steinerne Spottfigur aus<br />
dem Mittelalter ist das Wahrzeichen<br />
der Stadt. Sie steht heute im örtlichen<br />
Bezirksmuseum.<br />
Eine Nachbildung schleppen die<br />
Narren am Rosenmontag durch die<br />
Straßen. „Geit her, geit her“, singen<br />
die Buchener angesichts des mit<br />
angewinkelten Beinen bäuchlings<br />
Daliegenden, der seinen Hintern<br />
Richtung Himmel reckt. „Geit her,<br />
und erweischt em emol die Ehr.“<br />
Mit einem Küsschen aufs Hinterteil<br />
erweisen sie ihm schließlich<br />
ihre Refe- renz. Am<br />
Fastnachtsdonners- tag ruft ein Ausscheller<br />
die „Faschenacht“ aus, und<br />
bunte Wäschestücke kreuz und quer<br />
über den Altstadtgassen künden von<br />
den tollen Tagen. Beim abendlichen<br />
Spiel vor dem „Alten Rathaus“ wird<br />
die Fastnacht ausgegraben.<br />
Noch enger in den Gassen wird es<br />
sonntags, wenn aus dem Mühltal die<br />
sogenannten Müller einziehen. Ein<br />
närrischer Haufen ganz in Weiß, der<br />
Spreu und Brezeln unters Volk wirft.<br />
Einst galt ihre Zunft als unehrlich,<br />
weshalb ihnen die Teilnahme am<br />
Fest versagt blieb. Seitdem ziehen<br />
die Müller eine gute Stunde vor dem<br />
„Gänsmarsch“ ihre Runden,<br />
Buchens originellstem Fastnachtszug.<br />
Krachmacher führen<br />
ihn an: Spaßkapellen, die<br />
mit Topfdeckeln, Trommeln,<br />
Waschbrettern und Teufelsgeigen<br />
den Ton vorgeben.<br />
„Härle“ und „Frä -<br />
le“ heißen die<br />
Herrschaften<br />
in alter Odenwälder Festkleidung.<br />
Sie sind abends gewöhnlich in den<br />
Kneipen der Stadt zum Schnorren<br />
unterwegs, zur Ausübung des närrischen<br />
Rügerechts, bei dem jeder und<br />
jede auf die Schippe genommen<br />
werden kann. Mit dabei sind auch<br />
ein gutes Dutzend Bären samt Treiber.<br />
Die in Erbsenstroh eingebundenen<br />
Männer mit Köpfen aus Pappmaschee<br />
sind die letzten Reste<br />
dörflicher Fastnacht, zu denen die<br />
Begleiter in Frack und Zylinder so<br />
gar nicht recht passen wollen.<br />
Am Faschingsdienstag um Mitternacht<br />
schließlich wird der Huddelbätz<br />
als riesige Strohgestalt vor<br />
dem Alten Rathaus verbrannt. „Kerl<br />
schloof ei“ spielt die Stadtkapelle.<br />
Ein Abschiedslied für den Blecker,<br />
dem die närrische Trauergesellschaft<br />
manche Tränen nachweint. Falsche<br />
meist, aber auch ein paar echte.<br />
Günter Schenk<br />
Fotos: Schenk