Augsburg
Bei Nigerias Christen betet die Angst mit
Bei Nigerias Christen betet die Angst mit
- No tags were found...
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
FORTSETZUNGSROMAN 13./14. April 2013 / Nr. 15<br />
dem Herdfeuer<br />
stand der Tontopf, in dem<br />
15Neben<br />
sie immer Wasser mit heißen<br />
Steinen bereitete. Sie ließ die<br />
ersten Flusskiesel zischend hineingleiten<br />
und holte von den frisch gepflückten<br />
Lindenblüten eine Handvoll.<br />
Diese und etwas Minze und<br />
Kamille gab sie in ein anderes Gefäß,<br />
in dem sie, sobald das Wasser kochte,<br />
die Kräuter aufgießen wollte. Mit<br />
der Holzzange holte sie die Steine<br />
aus dem Wasser, legte sie wieder an<br />
den Rand des Feuers und gab andere<br />
Steine in den Topf. Natürlich wäre<br />
es leichter und vor allem bequemer,<br />
das Wasser in einem Kessel<br />
über dem Feuer zum Kochen zu<br />
bringen, aber Kessel aus Eisen oder<br />
Kupfer waren teuer und dem Bereiten<br />
der Eintöpfe und Suppen vorbehalten.<br />
Nachdem Ursula noch ein Holzscheit<br />
auf die Glut gelegt hatte, an<br />
dem sogleich Flammen zu züngeln<br />
begannen, wurde die Stube in ihr<br />
flackendes Licht getaucht. Zitternde<br />
Schatten huschten über die Wände,<br />
und hinter den Ziegenhäuten schien<br />
es bereits kein Licht mehr zu geben.<br />
Einzig durch die offene Tür drang<br />
der gelbe Schein der Fackel noch<br />
von draußen herein.<br />
Ursula setzte sich an den gedeckten<br />
Tisch und dachte über den vergangenen<br />
Tag nach. Wie schön es<br />
doch an ihrem Teich gewesen war.<br />
Und davor? War es recht, was Ludger<br />
und sie getan hatten? Es war<br />
aufregend gewesen und fremd. Ursula<br />
spürte, wie ihr Körper auf die<br />
Erinnerungen reagierte. Es war, als<br />
zöge sich etwas in ihrem Inneren<br />
zusammen. War das Wollust? War<br />
das Sünde? Ob Ludger sich ähnliche<br />
Gedanken machte? Sie verspürte<br />
den Drang, mit Ludger darüber<br />
zu reden. Sie wollte wissen, was er<br />
dachte, wie er zu ihr stand. Würde<br />
er sie freien? Würde der Bauer einer<br />
Vermählung zustimmen? Mit einem<br />
Seufzer ließ sie von den Gedanken<br />
ab, erhob sich und trat an<br />
das Feuer.<br />
Aus dem Eintopf hatte es leicht<br />
zu dampfen begonnen. Ursula nahm<br />
einen großen Holzlöffel und rührte<br />
die dicke Suppe aus Wurzelgemüse,<br />
Zwiebeln und Schweineknochen<br />
um. Sie hielt ihr Gesicht über den<br />
Kesselrand und sog den Dampf<br />
durch die Nase ein. Der Geruch ließ<br />
ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen,<br />
zugleich bemerkte sie aber<br />
auch, dass es nicht wirklich gut roch.<br />
Etwas muffig, abgestanden und alt.<br />
Sie überlegte, mit etwas Thymian<br />
und frischem Grün von den Zwiebeln<br />
im Garten würde es sicherlich<br />
besser. Getrockneten Thymian hatte<br />
sie ganz in ihrer Nähe. Den Zwiebellauch<br />
müsste sie aus dem Garten<br />
holen. Kurzentschlossen verließ sie<br />
das Haus.<br />
Während sie darauf wartet,<br />
dass die Bauernfamilie<br />
vom Markt zurückkehrt,<br />
bereitet Ursula<br />
das Essen vor. In Gedanken<br />
ist sie aber bei<br />
Ludger und dem, was<br />
sie getan haben. Ludger<br />
lässt sich hingegen nichts<br />
anmerken und behandelt<br />
Ursula herrisch und grob.<br />
Ob ein klärendes Gespräch Abhilfe<br />
schaffen kann?<br />
Der Hof wurde nach wie vor<br />
durch die Fackel erhellt, doch jenseits<br />
des Scheins war es bereits wirklich<br />
dunkel geworden. Ursula hinderte<br />
die Nacht nicht. Den Weg in<br />
den Garten und den Standort der<br />
einzelnen Gewächse kannte sie gut,<br />
nur wie sie im Dunkel einzelne<br />
Lauchhalme zupfen sollte, fragte sie<br />
sich jetzt. Sie ging zu der Fackel,<br />
nein, die musste sie stecken lassen,<br />
wo sie war, aber vielleicht konnte sie<br />
einen einzelnen Kienspan daraus lösen.<br />
Der würde völlig ausreichen,<br />
um zwischen den Zwiebeln die beste<br />
Halme herauszufinden. Sie hielt<br />
die Fackel mit einer Hand in ihrer<br />
Verankerung, und mit der anderen<br />
Hand prüfte sie einen Span nach<br />
dem anderen, um einen lockersitzenden<br />
zu finden.<br />
„Was machst du da?“ blaffte Ludgers<br />
Stimme über den Hof. Ursula<br />
schrak zusammen, ließ von der Fackel<br />
ab und drehte sich um. Offensichtlich<br />
wütend schritt Ludger eilig<br />
auf sie zu. „Lass die Finger von dem<br />
Licht!“<br />
„Aber ich wollte doch nur …“<br />
„Du lässt die Fackel wie sie ist, sag<br />
ich. Widersprich mir nicht!“ Ludgers<br />
Augen funkelten zornig und<br />
zugleich herausfordernd. Ursula<br />
spürte instinktiv, dass es sinnlos wäre,<br />
es jetzt auf eine Machtprobe ankommen<br />
zu lassen. Doch ganz klein<br />
beigeben konnte sie auch nicht.<br />
„Dann gibt es eben keinen frischen<br />
Lauch in der Suppe“, entfuhr<br />
es ihr schnippisch, und erhobenen<br />
Hauptes schritt sie an Ludger vorbei<br />
zurück zum Haus.<br />
Hol dir gefälligst einen Span vom<br />
Holzschober, wenn du ein Licht<br />
brauchst“, rief Ludger ihr herrisch<br />
nach. Und als Ursula nicht reagierte:<br />
Foto: akg-images/<br />
Erich Lessing<br />
„Los, wird’s bald! Geh, hol einen<br />
Span und besorg das Kraut für das<br />
Essen!“<br />
Ursula fühlte sich auf einmal wieder<br />
ganz klein. Sie senkte den Kopf<br />
und trottete zum Schuppen. Im<br />
Dunkeln tastete sie sich zum Bündel<br />
neben dem Hackstock und fingerte<br />
sich einen Span heraus. Mit hängendem<br />
Kopf überquerte sie von Ludger<br />
beobachtet den Hof, schlüpfte<br />
ins Haus und entzündete das harzgetränkte<br />
Stück Holz am Herdfeuer.<br />
Mit diesem Licht trat sie aus dem<br />
Haus und bog gleich zum Garten ab.<br />
Als sie mit einer Handvoll Zwiebellauch<br />
zurückkehrte, war Ludger<br />
nicht mehr zu sehen. Ursula ärgerte<br />
sich. Warum nur machte er das immer<br />
wieder? Er war heute so sanft<br />
mit ihr gewesen, und nun ließ er<br />
wieder den Herrn heraus. Der<br />
Drang, mit ihm zu reden, Klarheit<br />
zu gewinnen, wuchs in ihr weiter an.<br />
Sie trat ins Haus. Arnulf saß am<br />
Tisch, die Ellenbogen aufgestützt,<br />
den Kopf mit beiden Händen stützend.<br />
Er schien müde zu sein, gleichzeitig<br />
merkte man ihm aber auch<br />
die Ungeduld an. Hatte er nur Hunger,<br />
oder wartete er gespannt auf die<br />
Rückkehr der Marktgänger?<br />
Ursula zupfte den Lauch in den<br />
Kessel und rührte die brodelnde<br />
Suppe noch einmal um. Dann zog<br />
sie den Kessel von den Flammen, so<br />
dass das Feuer noch nah genug war,<br />
um die Speise warmzuhalten. Sie<br />
setzte sich zu Arnulf. Beide saßen sie<br />
schweigend da, starrten vor sich hin<br />
und lauschten auf die Geräusche<br />
um sich herum, aber besonders auf<br />
jeden Laut, der durch die offene Tür<br />
von draußen zu ihnen drang. Sie<br />
hörten das Schnauben des Viehs im<br />
Stall, das Knistern der Fackel und<br />
endlich, nachdem Arnulf bereits<br />
mehrfach die Augen zugefallen waren,<br />
das unwillige Maulen eines<br />
Ochsen, das Knarren der Wagenräder<br />
und den Ruf des Bauern: „He<br />
da! Ludger, Arnulf, auf, kommt,<br />
packt an!“<br />
Arnulf sprang auf und wischte hinaus,<br />
und auch Ursula erhob sich,<br />
rührte die Suppe schnell noch einmal<br />
um und trat dann auch aus dem<br />
Haus. Im Schein der Fackel hatte<br />
das Gefährt haltgemacht. Ludger<br />
war bereits dabei, gemeinsam mit<br />
dem Knecht den Ochsen auszuspannen.<br />
Arnulf half seinem Vater, verschiedene<br />
Säcke vom Wagen zu laden,<br />
und Ute, die dazwischen gesessen<br />
hatte, reichte Ingrid die Mädchen<br />
herunter. Magda und Liesel<br />
waren auf dem Heimweg eingeschlafen,<br />
nun waren sie aber wieder hellwach,<br />
und aus ihnen heraus sprudelten<br />
die Erlebnisse des Tages. Ursula<br />
wollte nicht tatenlos herumstehen,<br />
packte einen der Beutel und trug<br />
ihn ins Haus. Arnulf und Ute folgten<br />
ihr, und auch Ingrid trug etwas<br />
mit hinein. Die Mädchen waren<br />
bald drinnen und draußen, immer<br />
hinter Arnulf her, um ihn mit ihren<br />
Erzählungen neidisch zu machen.<br />
Arnulf achtete aber nicht auf sie.<br />
Schließlich hatten die Männer<br />
Ochs und Wagen versorgt, kamen<br />
zum Haus, und der Bauer brachte<br />
die Gören zum Schweigen. Ludger<br />
nahm die Fackel vom Brunnen und<br />
löschte sie. Im Haus setzten sich alle<br />
sogleich zu Tisch, und Ursula schöpfte<br />
die Suppe in die Holzschalen.<br />
Schweigend aßen alle, doch besonders<br />
Arnulf war eine gewisse Unruhe<br />
und Neugierde anzumerken.<br />
Auch Ludger wartete auf Neuigkeiten,<br />
und so blieben alle bis auf die<br />
Mädchen auch nach Beendigung<br />
der Mahlzeit still sitzen.<br />
Ursula begann den Tisch abzuräumen.<br />
Der Bauer räusperte sich.<br />
„Ja, der Markt war für uns gut“, setzte<br />
er an. „Der Müller hat unseren<br />
Ochsen genommen, und wir werden<br />
all unser Korn bei ihm mahlen<br />
können und bekommen noch einige<br />
Sack obendrauf. Die Holzsachen<br />
und Körbe sind wir auch losgeworden.<br />
Wir haben dafür einige junge<br />
Hühner und ein paar Gerätschaften<br />
bekommen. Das Tuch brachte bare<br />
Münze. Wir können wirklich zufrieden<br />
sein.“<br />
DIE KREUZFAHRERIN<br />
Stefan Nowicki<br />
Gebunden, 384 S.<br />
Sankt Ulrich Verlag<br />
ISBN 978-386744-154-4<br />
19,95 EUR<br />
Fortsetzung folgt