Augsburg
Bei Nigerias Christen betet die Angst mit
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13./14. April 2013 / Nr. 15 THEMA DER WOCHE<br />
che Bauern und Kaufleute, die zum<br />
Teil schon seit Jahrzehnten in der<br />
Region leben, noch immer als Fremde<br />
und Eindringlinge. Diesen „Siedlern“<br />
ist es nicht erlaubt, sich um<br />
politische Ämter zu bewerben oder<br />
sich an lokalen Wahlen zu beteiligen.<br />
Eine ähnliche Diskriminierung<br />
richtet sich gegen Muslime im Süden.<br />
Die Grenze zwischen muslimischem<br />
Norden und christlichem Süden<br />
ist zugleich eine Grenze zwischen<br />
Arm und Reich. Die zwölf<br />
Bundesstaaten im Norden sind die<br />
unterentwickeltsten Regionen des<br />
Landes. Nigeria gilt als einer der<br />
korruptesten Staaten der Welt. In<br />
dieser Symbiose von Elend, Korruption<br />
und Armut kann nicht viel gedeihen<br />
– außer Verzweiflung und<br />
radikalen Ideen. Wer hier Hass säen<br />
will, trifft auf offene Ohren und<br />
Herzen.<br />
In Sokoto – 500 Kilometer von<br />
Madala entfernt – sitzt Muhammad<br />
Sa‘ad Abubakar III. in seinem großen<br />
Arbeitszimmer. Fünf seiner Sekretäre<br />
hocken auf dem dicken Teppichboden,<br />
sie haben Unterlagen<br />
vor sich ausgebreitet. Der Sultan ist<br />
in Nigeria geistiges Oberhaupt aller<br />
Muslime. Er gilt als fortschrittlich,<br />
denn er hat nur eine Ehefrau.<br />
Der massige Mann in dem braunen<br />
Ledersessel hält in der einen<br />
Hand ein Handy und in<br />
der anderen eine Gebetskette.<br />
„Jeder<br />
Mensch ist gleich“,<br />
Ein nigerianischer Geistlicher beklagt die Gewalt gegen Christen. Im Hintergrund<br />
die Überreste eines Autobomben-Anschlags.<br />
sagt er, „egal welcher Religion er angehört.“<br />
Für seinen interreligiösen<br />
Einsatz wurde er als Kandidat für<br />
den Friedensnobelpreis 2012 gehandelt.<br />
Von einem Krieg zwischen<br />
Christen und Muslimen will auch<br />
der Sultan nichts wissen.<br />
Ob wirklich Boko Haram hinter<br />
all den Anschlägen auf Kirchen,<br />
Journalisten, Politiker, Religionsführer,<br />
Polizeistationen und Zivilisten<br />
steckt, ist längst nicht überprüfbar.<br />
Wer sprengt und mordet,<br />
kommt selten heraus. Wenn doch<br />
einmal mutmaßliche Täter inhaftiert<br />
werden, müssen diese kein Gerichtsverfahren<br />
fürchten.<br />
Boko Haram sei mittlerweile auch<br />
eine Art „Franchiseunternehmen“<br />
geworden, sagt Muhammad Sa‘ad<br />
Abubakar III. „Es gibt eine Menge<br />
Kriminelle,<br />
die rasch Boko Haram zugeordnet<br />
werden“, kritisiert er. „Wenn eine<br />
Bank ausgeraubt wird, dann heißt<br />
es: Das war Boko Haram.“<br />
Mercy Agbo erfuhr erst Stunden<br />
nach dem Anschlag während der<br />
Weihnachtsmesse, dass auch ihr<br />
Mann überlebt hat. Die Familie ist<br />
glimpflich davongekommen. Der<br />
kleinste Sohn wird später am Kopf<br />
operiert, aber er überlebt. Trümmer<br />
lassen sich beiseiteräumen, Narben<br />
verblassen. Aber was hilft gegen die<br />
Angst? „Die habe ich nicht“, sagt<br />
Agbo, hebt ihr Kinn und zeigt mit<br />
dem Finger nach oben: „Gott hat<br />
uns beschützt.“<br />
„Nur einzelne Fanatiker“<br />
Ob sie Wut auf Muslime habe?<br />
„Nein“, antwortet sie und schaut irritiert.<br />
„Es sind nur einzelne Fanatiker,<br />
die morden. Mit dem Islam hat<br />
das doch nichts zu tun.“ Mercy Agbo<br />
geht immer noch jeden Sonntag<br />
in die Kirche. Nur Weihnachten<br />
2012 war sie nicht in der St. Theresa<br />
Church. Da war sie in ihrem Geburtsort<br />
und feierte ihr zweites Le-