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Augsburg

Bei Nigerias Christen betet die Angst mit

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13./14. April 2013 / Nr. 15 NACHRICHT UND HINTERGRUND<br />

Mehr zur Theologie der Befreiung:<br />

FREUDE ÜBER NEUEN PAPST FRANZISKUS<br />

„Unsere ganze Kirche atmet auf“<br />

Trotz der Konflikte mit Rom: Befreiungstheologen würdigen Jorge Mario Bergoglio<br />

Obdachlose vor der Kathedrale von São Paulo. Die Erzdiözese hat ein eigenes Vikariat<br />

für die Menschen auf der Straße eingerichtet. Fotos: Hart, ABr/CC-BY-SA 3.0<br />

Die katholische Kirche und die<br />

Befreiungstheologie – das war stets<br />

kein einfaches Verhältnis, sondern<br />

eines, das häufig konfliktbehaftet<br />

war. Und doch erhält Papst Franziskus<br />

gerade von Südamerikas<br />

Befreiungstheologen den lautesten<br />

Beifall. Selbst die umstrittene<br />

Symbolfigur der romfernen „Teologia<br />

da Libertação“, Leonardo<br />

Boff, zollt dem neuen „Chef“ im<br />

Vatikan Respekt.<br />

Erst recht tut das der brasilianische<br />

Bischof und Menschenrechtsaktivist<br />

Pedro Casaldáliga. „Unsere ganze<br />

Kirche atmet auf“, sagt er. „Wir sind<br />

alle tief berührt vom Geist der Evangelisierung,<br />

den der Papst ausstrahlt,<br />

und von seiner Einfachheit.“ Der<br />

Bischof, inzwischen im Ruhestand,<br />

lebt bis heute mit den Armen und<br />

Verelendeten zusammen – in einem<br />

winzigen Häuschen an einem<br />

Lehm pfad im zentralbrasilianischen<br />

Ort São Félix do Araguaia.<br />

1976 musste Casaldáliga mit ansehen,<br />

wie Militärs der brasilianischen<br />

Diktatur den Priester an seiner<br />

Seite mit ihm verwechseln, den<br />

Padre vor seinen Augen foltern und<br />

erschießen. Das Regime verleumdete<br />

Casaldáliga als „Bispo comunista“,<br />

als kommunistischen Bischof, und<br />

wollte den gebürtigen Spanier fünfmal<br />

ausweisen. Der Papst, damals<br />

Paul VI., konnte es verhindern.<br />

Die Schlichtheit des neuen Papstes,<br />

des Jesuiten Bergoglio aus Buenos<br />

Aires, seine Seelsorgearbeit und<br />

seine genaue Kenntnis der Realität<br />

in den Slums und Elendsvierteln<br />

imponieren Casaldáliga sehr. Wer<br />

die Gesellschaft verändern wolle, betont<br />

der Bischof, müsse erst einmal<br />

die Wirklichkeit kennen. Das gibt er<br />

auch jungen Menschen stets mit auf<br />

den Weg.<br />

Auch Brasiliens befreiungstheologische<br />

Jesuiten feiern ihren „Papa<br />

dos pobres“, ihren Papst der Armen.<br />

„Der hat Qualität“, sagt Padre João<br />

Batista Libanio, Professor an der Jesuitenfakultät<br />

für Philosophie und<br />

Theologie in der Millionenstadt<br />

Belo Horizonte. „Wie Casaldáliga<br />

war auch Erzbischof Bergoglio stets<br />

bei den Armen.“<br />

Praxis statt Theorie<br />

Umstrittene Symbolfigur der Befreiungstheologie:<br />

der ehemalige<br />

Franziskaner Leonardo Boff.<br />

Papst Franziskus selbst soll der<br />

Befreiungstheologie distanziert gegenüberstehen,<br />

berichteten einige<br />

Medien nach der überraschenden<br />

Wahl des Argentiniers. Professor<br />

Libanio sieht das differenzierter:<br />

Franziskus halte es mit der Praxis,<br />

nicht mit den Theoretikern, die<br />

sich auf Kritik am Kapitalismus<br />

konzentrieren.<br />

In Südamerika ist die Befreiungstheologie<br />

mit ihrer theoretischen<br />

Herangehensweise<br />

kaum noch ein Thema. Wer<br />

sich in der Erzdiözese São<br />

Paulo umsieht, kommt rasch<br />

dahinter, wieso: Warum sollte<br />

man über diese „Option für<br />

die Armen“ noch groß reden,<br />

wo sie doch im kirchlichen Alltag<br />

längst umgesetzt ist? Selbst Papst<br />

Johannes Paul II. hatte sie 1986 in<br />

einem Brief an die brasilianischen<br />

Bischöfe als „nützlich und notwendig“<br />

bezeichnet.<br />

Frei Betto, Dominikaner in São<br />

Paulo und Brasiliens meistgelesener<br />

Befreiungstheologe, belustigt regelrecht,<br />

dass selbst in Lateinamerika<br />

vielen Katholiken gar nicht bewusst<br />

ist, dass sie Tag für Tag befreiungstheologisch<br />

handeln. Nur ein paar<br />

Schritte muss Frei Betto aus seinem<br />

Kloster heraus gehen – schon stößt<br />

er auf das Heer der Obdachlosen<br />

São Paulos.<br />

Andere Seite der Medaille<br />

Das aber ist nur die eine Seite<br />

der befreiungstheologischen Medaille.<br />

Schließlich gab es da auch<br />

jene aufsehenerregenden Querelen<br />

zwischen dem brasilianischen Theologen<br />

Leonardo Boff und Kardinal<br />

Joseph Ratzinger, die sich<br />

enorm zuspitzten,<br />

als dieser Papst<br />

wurde. In seiner<br />

Heimat wird der<br />

einstige Franziskaner<br />

Boff<br />

seit den 1990er<br />

Jahren zunehmend<br />

kritisch<br />

gesehen.<br />

Die Ableh nung<br />

wuchs, nachdem<br />

Boff im Jahre 2000<br />

im Zusammenhang<br />

mit der Ausbreitung<br />

evangelikaler Wunderheilersekten<br />

in Brasilien von einer „Bereicherung“<br />

für die Kirche sprach.<br />

Er meinte damals, er sei für jede Art<br />

von Vielfalt.<br />

Boff trat 1992 aus dem Franziskanerorden<br />

aus und legte sein Priesteramt<br />

nieder. Bereits seit 1981 hatte<br />

er mit seiner Privatsekretärin Marcia<br />

Miranda zusammengelebt. Die<br />

Mutter von sechs Kindern ließ sich<br />

Ende der 80er Jahre scheiden. Als<br />

politischer Aktivist verteidigte Boff<br />

die Regierung von Präsident Lula<br />

selbst dann noch, als sie bereits tief<br />

im Korruptionssumpf steckte.<br />

Nicht einmal mehr Boffs Bruder<br />

Clodovis steht heute an seiner Seite.<br />

Den romkritischen Befreiungstheologen<br />

wirft er vor, Christus nicht<br />

länger als Fundament des Glaubens<br />

zu sehen. „Ich dachte, das würde<br />

sich mit der Zeit korrigieren. Doch<br />

das geschah nicht.“<br />

„Jesus wurde der Zutritt versperrt“,<br />

schrieb Leonardo Boff<br />

im Vorfeld des Konklaves,<br />

aus dem Jorge<br />

Mario Bergoglio als<br />

Papst hervorging.<br />

Anders seine Reaktion<br />

nach der<br />

Wahl: Der neue<br />

Papst könne als<br />

„Papa buono“,<br />

als ein guter Papst,<br />

verlorene Glaubwürdigkeit<br />

der Kirche<br />

zurückgewinnen.<br />

Klaus Hart

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