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Augsburg

Hüter des Volkes Gottes

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FORTSETZUNGSROMAN 23./24. März 2013 / Nr. 12<br />

all den Häusern<br />

erhebt sich der Tempel<br />

12„Über<br />

Salomons. Seine Mauern<br />

sind noch mächtiger und höher als<br />

die Mauer der Stadt. Wie ein großer<br />

Berg steht er inmitten der Stadt, und<br />

jeder einzelne Stein ist ein Felsblock<br />

so groß wie ein Ochse. In der Stadt<br />

drängen sich unbeschreiblich viele<br />

Menschen. Wie Ameisen auf ihrem<br />

Haufen drängen sie sich durch die<br />

Gassen, und alle scheinen ein Ziel<br />

zu haben: den Tempel. Dort sind<br />

die Schriftgelehrten, die Gottes<br />

Wort und die Gesetze erklären, und<br />

die Priester sind den ganzen Tag damit<br />

beschäftigt, die von den Menschen<br />

gebrachten Opfertiere zu<br />

schlachten und auf den Altären Gott<br />

darzubringen. Auch Maria und Josef<br />

und Jesus gingen in den Tempel und<br />

opferten, wie es Brauch war, einige<br />

Tauben. Doch als man sich wieder<br />

auf den Heimweg machte, fehlte Jesus.<br />

Sein Nährvater und seine Mutter<br />

liefen zurück in die Stadt und<br />

suchten verzweifelt nach ihm. In all<br />

den vielen Gassen mit den unzähligen<br />

Menschen suchten sie. Und als<br />

sie schon fast aufgeben wollten und<br />

zum Tempel eilten, um Gott anzuflehen,<br />

ihnen ihren Sohn wiederzugeben,<br />

fanden sie Jesus eben dort im<br />

Tempel zwischen all den Schriftgelehrten.<br />

Da saß der Knabe und<br />

sprach mit den gelehrten Herren<br />

über Gott. Die Pharisäer und<br />

Schriftgelehrten staunten nicht<br />

schlecht über die klugen Fragen und<br />

Antworten, die aus dem Mund des<br />

Knaben kamen. Sie wussten ja nicht,<br />

dass dies Gottes Sohn selbst war.<br />

Maria und Josef fanden ihn und<br />

nahmen ihn mit sich, und als die<br />

Mutter Jesus tadelte, sagte das Jesuskind:<br />

Aber Mutter, wusstest du<br />

nicht, dass ich im Hause meines Vaters<br />

sein muss? Und Maria schwieg<br />

und bewahrte die Worte in ihrem<br />

Herzen.“<br />

Magda war in den Armen Utes<br />

eingeschlafen, und die Magd brachte<br />

die Kinder schnell zu Bett. Auch<br />

der Mönch schien langsam müde zu<br />

werden und starrte gedankenverloren<br />

in das Feuer. Schließlich seufzte<br />

er. „Ja, ja, Jerusalem. Die heilige,<br />

himmlische Stadt, wo unser Herr Jesus<br />

einherwandelte. Wo Gott selbst<br />

mit seinen Füßen das Pflaster berührte,<br />

sein Wort aus eigenem Mund<br />

verkündete und sich schließlich<br />

selbst als Opferlamm für uns Sünder<br />

hingab. Was würde ich darum geben,<br />

selbst einst dorthin zu pilgern<br />

und auf den Wegen des Herrn zu<br />

wandeln. Oh, wie segensreich muss<br />

es sein, am Grabe unseres Herrn zu<br />

beten. Aber Jerusalem ist von den<br />

Heiden besetzt. Das ganze Heilige<br />

Land soll in der Macht fremder Völker<br />

liegen. Sie nennen ihren Gott<br />

Alla und sagen, Jesus Christus, der<br />

Herr, sei nur ein Prophet gewesen<br />

Die ganze Hofgemeinschaft<br />

hängt gespannt an<br />

den Lippen des Mönchs,<br />

der sich in seiner Rolle<br />

als Wissender sichtlich<br />

gut gefällt. Nach dem<br />

Essen wendet er sich<br />

den Kindern in der Stube<br />

zu und beginnt, ihnen<br />

die Geschichte zu erzählen,<br />

wie Jesus in der großen<br />

Stadt Jerusalem verloren ging.<br />

wie alle anderen auch. Sie schänden<br />

unsere allerheiligsten Stätten und<br />

lassen keinen Pilger mehr zu ihnen.<br />

Ach, wir leben in schlimmen Zeiten.“<br />

Gähnend streckte sich der Mönch.<br />

„Gute Frau“, sprach er Ingrid an,<br />

„wo kann der Diener des Herrn sein<br />

Haupt betten, um durch die dunkle<br />

Nacht zu ruhen?“ Die Bäuerin wies<br />

ihm seinen Platz zu, wo Ursula frisches<br />

Stroh aufgeschüttet hatte und<br />

auch eine Decke aus grober Wolle<br />

bereitlag. Der Mönch erhob sich,<br />

wünschte allen eine gesegnete Nacht,<br />

und nur kurze Zeit später erfüllte<br />

sein Schnarchen den Raum. Es war<br />

spät, und alle sahen jetzt zu, ebenfalls<br />

schnell auf ihre Lager zu gelangen.<br />

Kaum hatte Ursula ihre Augen<br />

geschlossen, schlief sie ein und<br />

träumte von einer glänzenden Stadt,<br />

deren helle Mauern weit über Land<br />

die Herannahenden blendeten.<br />

Auf dem Hof des Bauern Matthes<br />

Mai 1095<br />

Der Markttag war recht bald heran,<br />

auch wenn es Liesel und Magda<br />

wie eine Ewigkeit erschien, vergingen<br />

die zwei Wochen doch sehr<br />

rasch.<br />

Bereits am Vorabend beluden die<br />

Männer den Ochsenkarren mit<br />

Flechtwerk und den Holzschnitzereien.<br />

Ein Schwein wurde aus dem<br />

Wald geholt und in einen aus Rundhölzern<br />

zusammengebundenen Käfig<br />

gesperrt. Das von der Bäuerin<br />

gewebte Tuch lag zum Mitnehmen<br />

bereit, und zu guter Letzt holte der<br />

Bauer aus der Truhe einen kleinen<br />

Lederbeutel hervor. Er entleerte den<br />

Inhalt auf den Tisch und begann die<br />

runden Metallplättchen, die der<br />

Beu tel ausspuckte, zu zählen. Die<br />

Foto: akgimages/Erich<br />

Lessing<br />

meisten von ihnen waren stumpf<br />

grau, nur ein paar schimmerten rötlich<br />

golden.<br />

Ursula wusste, dass es Geld gab<br />

und dass man damit tauschen konnte,<br />

den Wert der wenigen Münzen,<br />

die der Bauer angespart hatte, konnte<br />

sie allerdings nicht ermessen. Die<br />

beiden Mädchen sahen in den Münzen<br />

allenfalls attraktives Spielzeug,<br />

wussten aber auch, dass ihr Vater damit<br />

auf dem Markt etwas eintauschen<br />

konnte. Sie hofften auf eine<br />

Kette mit Holzperlen oder ein buntes<br />

Band.<br />

Kaum war Ursula am folgenden<br />

Morgen von ihrem Lager zum Herdfeuer<br />

geschlurft, da sprangen die<br />

beiden Mädchen schon aufgeregt<br />

um sie herum. Sie wollten helfen<br />

und alle morgendlichen Tätigkeiten<br />

beschleunigen. Es bedurfte einer<br />

strengen Zurechtweisung durch Ingrid,<br />

dass die beiden Wildfänge sich<br />

brav auf ihre Plätze hockten und<br />

zappelig abwarteten. So schnell wie<br />

an diesem Tag hatten die beiden ihren<br />

Brei noch nie gelöffelt. Aber<br />

auch Matthes, Ludger, Arnulf und<br />

der Knecht hatten sich beeilt. Sie<br />

standen als erste auf, um den Ochsen<br />

einzuspannen und den zum Verkauf<br />

vorgesehenen Ochsen einen<br />

Strick um die Hörnerwurzeln zu<br />

binden.<br />

Als Ursula und Ute mit der frisch<br />

gemolkenen Milch über den Hof<br />

kamen, stand der Karren mit einem<br />

Ochsen davor und einem dahinter<br />

schon bereit. Die Männer hoben<br />

nun gemeinsam den Käfig mit der<br />

quiekenden Sau auf den Karren, der<br />

unter dem Gewicht erheblich ächzte.<br />

Auch der Ochse schnaubte unwillig,<br />

als er das neue Gewicht in<br />

seinem Geschirr spürte. Dem behäbigen<br />

Tier waren die Umstände, die<br />

umherrennenden Mädchen und alles<br />

Drumherum nicht ganz geheuer.<br />

Es spürte die allgemeine Aufregung<br />

der Menschen und erst recht die der<br />

Sau.<br />

Schließlich war alles gerichtet.<br />

Auch das Tuch war bei den Körben<br />

verstaut, und der Zug von vier Erwachsenen<br />

und zwei Mädchen, mit<br />

dem Wagen in ihrer Mitte, setzte<br />

sich in Bewegung. Arnulf und Ursula<br />

sahen dem Gefährt noch eine<br />

Weile nach. In beiden machte sich<br />

nun doch etwas Neid breit. Da kam<br />

Ludger aus dem Haus und herrschte<br />

sie an. „He, was steht ihr da rum?<br />

Habt ihr nichts zu tun? Arnulf, sieh<br />

zu, dass du mit dem Vieh auf die<br />

Weide kommst. Los, los! Und Ursula,<br />

ich glaube, du weißt genau, was<br />

du alles zu tun hast. Also auf!“<br />

Wie Ludger doch in seiner Rolle<br />

als Herr aufging! Stolz und mit Genugtuung<br />

über seine Macht stand er<br />

da, die Daumen im Hosenbund, und<br />

versuchte, besonders ernst zu schauen.<br />

Sah man ihn so vorm Haus in der<br />

Morgensonne stehen, konnte man<br />

leicht den Eindruck gewinnen, dieser<br />

groß gewachsene, junge Bursche mit<br />

seinem blonden Flaum um das Kinn<br />

wäre der Bauer höchst persönlich.<br />

Ursula huschte rasch an ihm vorbei<br />

ins Haus. Sie wusste, beim geringsten<br />

Anlass würde Ludger mit<br />

weiteren Machtspielchen beginnen,<br />

und wollte ihm keine Möglichkeit<br />

dafür geben. Zu wertvoll war ihr der<br />

geplante Ausflug zu ihrem See. Arnulf<br />

kam ihr ungewollt zu Hilfe.<br />

Fluchend kam er hinter den beiden<br />

Kühen und dem verbliebenen Ochsen<br />

um die Ecke des Hauses gerannt.<br />

Die Rindviecher wollten anscheinend<br />

ihren beiden Artgenossen auf<br />

den Weg zum Markt folgen. Ludger<br />

sprang hinzu und stellte sich mit<br />

ausgebreiteten Armen den Tieren in<br />

den Weg. Ursula trat schnell ins<br />

Haus. Sie war sich sicher, Ludger<br />

würde Arnulf bis auf die Weide begleiten,<br />

um die Tiere nicht noch einmal<br />

ausbrechen zu lassen. Das gab<br />

ihr genug Zeit, in aller Ruhe das<br />

Haus zu richten. Mit einem Reisigbüschel<br />

fegte sie den Boden, wischte<br />

mit einem Lumpen über den Tisch,<br />

schüttelte die Strohsäcke auf und<br />

säuberte das Herdfeuer von Asche.<br />

Als alles im Haus getan war, setzte<br />

sie sich kurz auf einen Schemel.<br />

DIE KREUZFAHRERIN<br />

Stefan Nowicki<br />

Gebunden, 384 S.<br />

Sankt Ulrich Verlag<br />

ISBN:<br />

978-386744-154-4<br />

19,95 EUR<br />

Fortsetzung folgt

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