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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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und legte ihn der jungen Palme <strong>mit</strong>ten in die Krone. Danach ging er weg. Die<br />

Palme schüttelte und bog sich und versuchte, die Last abzuschütteln. Aber<br />

alles Mühen war umsonst. Da krallte sich der Baum tiefer in den Boden und<br />

stemmte sich gegen die steinerne Last. Er senkte seine Wurzeln so tief, dass<br />

sie die verborgene Wasserader der Oase erreichten, und stemmte den Stein<br />

so hoch, dass die Krone über jeden Schatten hinausreichte. Aus dem Baum<br />

wurde eine königliche Palme. Nach Jahren kam der Mann wieder zurück, um<br />

sich an dem Krüppelbaum zu erfreuen. Er suchte vergebens. Da senkte die<br />

Palme ihre Krone und sagte: „Ich muss dir danken. Deine Last hat mich stark<br />

gemacht.“<br />

Noch einmal gilt es innezuhalten. Beweglichkeit führt schnell zur Hektik.<br />

Aufmerksamkeit kann zur Selbstbespiegelung werden. Deshalb muss noch ein<br />

drittes Element hinzutreten, da<strong>mit</strong> Warten Sinn macht: die Beschaulichkeit.<br />

Freunde wissen darum, dass ihre Beziehung lebt, weil sie einander nie aus<br />

den Augen verlieren. Ist der Freund da, können sie sich nicht aneinander satt<br />

sehen. Aber auch wenn sie ihn nicht sehen, können sie seine Abwesenheit<br />

aushalten, ohne an seiner Treue und seinem Kommen zu zweifeln. Dafür<br />

braucht man weniger den Kopf als das Herz. Es geht um die Haltung<br />

eines Liebenden, der den Freund immer besser kennenlernen will. In der<br />

Offenbarung des Johannes steht der wunderbare Satz: „Ich stehe an der Tür<br />

und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde<br />

ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich <strong>mit</strong> ihm und er <strong>mit</strong> mir.“ (Offb<br />

3,20) Jesus selbst steht vor der Tür: wartend, schüchtern, leise. Denn er liebt<br />

das Laute nicht. Eine Zärtlichkeit des Werbens liegt in diesem Wort, und dieses<br />

Liebeswerben wartet auf Antwort. Unsere Welt ist so laut geworden, vielleicht<br />

auch unsere Kirchen und Klöster. Gott jedoch ist leise, unaufdringlich, im<br />

Hintergrund. Er drängt sich nicht auf.<br />

Im Blick auf den Stern, der im Advent aufgeht und uns den Weg zur<br />

Krippe zeigt, geht es darum, selbst die Beschaulichkeit neu zu entdecken<br />

und auf den größeren Stern zu schauen, der im Aufgehen ist: Jesus Christus,<br />

der in unsere Herzen einziehen und uns bewohnen will, ob wir sitzen,<br />

stehen, gehen oder liegen, Tag und Nacht. Jesus als wehrlose Liebe Gottes<br />

im Stall <strong>von</strong> Bethlehem: Er bleibt und er wartet, dass wir unseren Rhythmus<br />

unterbrechen und ihn aufsuchen, einfach um ihn anzuschauen. Dafür braucht<br />

es beschauliche Menschen: Menschen, die ein stilles, schauendes Herz haben;<br />

Menschen, die selbst ein wenig da<strong>von</strong> erfahren haben <strong>von</strong> dem, was es heißt,<br />

in der eigenen Unscheinbarkeit treu zu bleiben.<br />

Über unserem Neuanfang am 1. Advent steht der Weckruf: „Seid<br />

wachsam!“, „Lernt warten!“, den wir als <strong>Dr</strong>eiklang ausgelegt haben:<br />

Beweglichkeit, Aufmerksamkeit und Beschaulichkeit.<br />

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