23.09.2015 Views

Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

16. Dezember<br />

Maria durch ein Dornwald ging<br />

4<br />

Die Wüste gehört zu den klassischen Orten im Advent. Das hängt<br />

zusammen <strong>mit</strong> biblischen Vorgaben; es spiegelt sich wider in vielen<br />

Krippendarstellungen. Das Lied, das uns heute durch den Gottesdienst<br />

begleitet, passt in diese adventliche Geographie. Um das Jahr 1600 ist es<br />

entstanden. Wir kennen weder den Dichter noch den Komponisten <strong>mit</strong><br />

Namen, doch wir wissen die Region: das Eichsfeld in Thüringen. Statt einer<br />

Wüste gibt es hier einen Dornwald.<br />

Der dornige Weg ist auch heute noch als Redewendung in unserer<br />

Sprache verankert, wenngleich er aus einer waldreicheren Zeit ohne<br />

ausgebautes Straßennetz stammt, in der dornige Wege noch zum alltäglichen<br />

Leben gehörten. Im Lied vom Dornwald singen wir nicht nur <strong>von</strong> Maria und<br />

Jesus; wir singen auch <strong>von</strong> uns: <strong>von</strong> unserem Weg durch den Dornwald einer<br />

verwundeten Welt, vom Dornwald, den wir auf unserem Lebensweg bestehen<br />

müssen.<br />

Dass eine Schwangerschaft ein dorniger Weg sein kann, müsste<br />

jetzt eigentlich eine Frau oder ein Arzt erzählen – wenigstens was die<br />

biologischen Aspekte anbelangt. Im Fall Marias und vieler anderer Frauen<br />

kommen noch weitere Dornen dazu: Verunsicherung und Misstrauen im<br />

engsten Familienkreis, das volle Spektrum zwischen peinlichem Tratsch und<br />

gesellschaftlicher Ächtung je nach Umfeld und Situierung; <strong>mit</strong>tlerweile auch<br />

bei uns wieder ins Bewusstsein gerückt: die wirtschaftlichen Sorgen und die<br />

ethische Frage, wie es denn steht, wenn ein Kind <strong>mit</strong> Behinderung das Licht<br />

der Welt erblicken soll.<br />

So ist der Dornwald nicht nur eine passende Inkulturation der Wüste<br />

in die Waldländer Europas; auch in geistlicher Hinsicht bietet der Dornwald<br />

interessante Anknüpfungspunkte. Der Dornwald setzt sich zusammen aus<br />

vielen einzelnen Pflanzen. Bin ich eine da<strong>von</strong>? Fruchtlos, trocken und starr<br />

schon seit Jahren? Machen wir anderen und uns selbst das Leben schwer,<br />

indem wir „pieksen“, Stacheln zeigen, sobald uns jemand nahe kommt, oder<br />

durch die Verbreitung einer allgemeinen Stimmung <strong>von</strong> Trostlosigkeit und<br />

Resignation? Wie wirken wir als Kirche speziell auf Kinder, Jugendliche, junge<br />

Paare, Schwangere, Alleinerziehende?<br />

Maria durch ein Dornwald ging: Es gibt Wegstrecken, die einem Dornwald<br />

gleichen, in dem man sich verletzt und sich an den Dornen, an widrigen<br />

Lebensumständen wund reißt. Da gibt es Tränen und ungelebtes Leben:<br />

88

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!