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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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wird sich morgenländisch-würzigen Gerüchen, die aus dem Weihrauchfass<br />

emporsteigen und den Aufstieg des Gebets gen Himmel symbolisieren, nicht<br />

entziehen können. Sinnlicher Duft gehört zur festlichen Glaubensfeier.<br />

Es gibt auch die andere Erfahrung: Nicht wenige, vor allem auch junge<br />

Menschen, sind im Hinblick auf die offizielle Kirche „verduftet“, weil sie<br />

ihnen „stinkt“, weil sie manches an ihr nicht „riechen“ können. Dabei ist die<br />

Kreislaufschwäche beim Weihrauch noch harmlos. Als schwerwiegender wird<br />

der unangenehme Geruch empfunden, den manches kirchliche Dokument<br />

und die mangelnde Glaubwürdigkeit der Christen wie eine Fahne hinterlassen.<br />

Ich wage zu behaupten, dass nicht wenige Abgewanderte und Enttäuschte<br />

sehr wohl noch einen „Riecher für Gott“ haben. Könnte es sein, dass uns<br />

der geeignete Duft fehlt, auf den der Riecher anspricht? Die Kirche, unsere<br />

Gemeinden, wir persönlich brauchen mehr Sinnlichkeit, dass wir Gott <strong>mit</strong><br />

allen Sinnen loben und gleichzeitig feinfühlig sind füreinander.<br />

Diesen Duft „sensitive“ hat Maria der Kirche hinterlassen: Sie hat auf ihren<br />

Körper geachtet, ohne ihn zu vergöttern, und aufmerksam dem Grund ihrer<br />

Schwangerschaft nachgespürt. Sie hat Elisabeth unter die Arme gegriffen und<br />

sie vorher auch in den Arm genommen. Sie hat ihrem Sohn Jesus menschliche<br />

Nähe geschenkt, <strong>von</strong> der Geburt bis zum Tod, und ihm geholfen, dass er<br />

seine Mission erfüllen konnte. Ich wünsche uns den Duft „sensitive“, da<strong>mit</strong><br />

wir sinnlich, d.h. <strong>mit</strong> allen Sinnen wahrnehmen, was ist und sein darf, und<br />

sensibel, d.h. <strong>mit</strong> Fingerspitzengefühl da<strong>mit</strong> umgehen.<br />

Eine zweite Duftnote der Kirche heißt „life“: Leben. Da<strong>mit</strong> meine ich<br />

nicht, dass in der Kirche „high life“ herrschen soll. Vielmehr geht es um<br />

„Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Es gibt ein schönes Sprichwort: „Probieren<br />

geht über Studieren“. Das trifft auch zu für unseren Besuch in der göttlichen<br />

Parfümerie: Probieren muss ich den Duft, das Parfüm auflegen auf die<br />

lebendige Haut, da<strong>mit</strong> es seine Note entfalten kann. So ist es auch <strong>mit</strong> dem<br />

geistlichen Leben. Unser Glaube ist weniger Lehre als Leben. Unser Glaube<br />

ist Wagnis, weil Leben selbst Wagnis ist. Wagnis, weil keine letzten äußeren<br />

Sicherheiten gegeben werden, im Gegenteil: Wer glaubt, hat oft zu kämpfen<br />

<strong>mit</strong> Überraschungen und Miss verständnissen.<br />

Aber es ist auch das Schönste aller Wagnisse, das Wagnis des Lebens,<br />

das in der Liebe mündet. Peter Wust, ein Münsteraner Philosoph, schrieb<br />

in seinem Buch „Ungewissheit und Wagnis“: „Bei einem Minimum an<br />

Sehfähigkeit (geht es darum) ein Maximum an Liebe zu wagen“. 9 Das ist es.<br />

Wer spielt, kann verlieren. Wer nicht spielt, hat schon verloren. Doch wer das<br />

Spiel des Lebens wagt und dabei auf die Karte der Liebe setzt, hat der nicht<br />

schon gewonnen, während er noch spielt?<br />

Gottes Aussetzung in die Welt ist das Spiel seiner „barmherzigen Liebe“<br />

9 Vgl. Peter Wust, Ungewissheit und Wagnis (1937), 8. Auflage München 1986, S. 296.<br />

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