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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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Jahre 1626 zwischen anderen Manuskripten erneut ans Tageslicht hob. Nach<br />

eingehender Bearbeitung veröffentlicht er es <strong>mit</strong> der Bemerkung: „Ein uralter<br />

Gesang, gefunden unter den Schriften des Herrn Tauler, etwas verständlicher<br />

gemacht.“<br />

„Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord.“ Diese<br />

Beschreibung löst in mir weitere Assoziationen aus: Beladen sind an den<br />

Samstagen im Advent die Frauen und Männer auf den Einkaufsmeilen unserer<br />

Städte. Schwer bepackt <strong>mit</strong> Tüten und Taschen schleppen sie ihre Geschenke<br />

nach Hause, da<strong>mit</strong> an Heiligabend die Bescherung schön wird. Andere denken<br />

an die „schönen Bescherungen“, die ihnen das Leben aufgebürdet hat:<br />

wahrgenommene und unbewusste, ausgesprochene und totgeschwiegene<br />

Lasten und Sorgen. Selbstgeschnürte und <strong>von</strong> außen auferlegte Päckchen<br />

und schwere Pakete tragen wir <strong>mit</strong> uns herum. Gerade im Advent ist unser<br />

Lebensschiff schwer beladen: Ungeklärtes, Unerledigtes, Belastendes im<br />

wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Geladen bis an sein höchsten Bord, voll bis an den Rand kommt auch das<br />

Schiff daher, das wir im Lied besingen. Der gebürtige Straßburger Johannes<br />

Tauler hat sicher mehr als ein Schiff auf dem Rhein fahren sehen. Denn<br />

sowohl in Köln, wo er Philosophie und Theologie studiert hat, als auch in<br />

Basel, wo er sich gezwungenermaßen einige Jahre niederlassen musste,<br />

prägte der Rhein das Straßenbild entscheidend <strong>mit</strong>. So wird er die Schiffe<br />

beobachtet haben, die in den Hafen einliefen, beladen <strong>mit</strong> Stoffen, Silber,<br />

Gewürzen und edlen Hölzern. Dieser spannende Augenblick, wenn die<br />

Handelsschiffe anlegen, hat ihn angeregt, das Lied zu dichten.<br />

Das Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord: Wir wissen, wen der<br />

Mystiker da<strong>mit</strong> gemeint hat. Das Schiff steht für Maria, die hochschwanger<br />

ist. Sie trägt den Sohn Gottes in ihrem Leib. Der Schiffsrumpf, beladen <strong>mit</strong><br />

einer kostbaren Fracht, ist die Mutter Gottes. So ist das Lied vom Schiff<br />

eigentlich ein Marienlied. Dass Johannes Tauler das Schiff und den Mutterleib<br />

<strong>mit</strong>einander in Verbindung bringt, verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass<br />

der Priester und Dichter den größten Teil seines Wirkens in Frauenklöstern<br />

zugebracht hat. Gerade bei den Ordensschwestern konnte er <strong>mit</strong> diesem<br />

Vergleich auf offene Ohren und tiefes Verständnis im Herzen rechnen.<br />

Schon in der zweiten Strophe weitet sich die Botschaft des Liedes über<br />

die Marienverehrung hinaus. Auf einmal kommt ein ganz anderes Schiff ins<br />

Spiel: das Schiff der Kirche, das „des Vaters ewig’s Wort“ durch den Fluss der<br />

Geschichte transportiert und ins Meer der Welt trägt. Denn wo anders sollte<br />

gelten, dass die Liebe das Segel und der Mast der Heilige Geist ist, als in der<br />

Kirche?<br />

Zu Lebzeiten Taulers war dieses Schiff zu stillerer Fahrt gezwungen,<br />

deshalb singen wir nicht ohne Grund: „Das Schiff geht still im Triebe.“ Warum?<br />

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