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Adventskalender 2013 mit Texten von Prälat Dr. Betram Meier

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Leben entzogen. Bis heute kommt den Treibstoffvorräten eine wichtige<br />

Bedeutung zu.<br />

Auch im Gleichnis <strong>von</strong> den klugen und den törichten Jungfrauen spielt<br />

das Öl eine zentrale Rolle. In dieser Geschichte über das Himmelreich geht es<br />

ebenfalls um eine Ölkrise – freilich in einem viel grundsätzlicheren Sinn. Als<br />

Jesus dieses Gleichnis erzählte, haben die Zuhörer sicher die Ohren gespitzt,<br />

denn die Rede <strong>von</strong> einer Hochzeit lässt bei jedem das Herz höher schlagen.<br />

Im Orient ist es Brauch, dass die Hochzeit im Haus des Bräutigams<br />

stattfindet. Dort wird oft noch bis zum letzten Moment über den endgültigen<br />

Ehevertrag gefeilscht. Die Braut muss zu Hause warten, bis der Bräutigam sie<br />

abholt, und sie schickt ihm ihre besten Freundinnen entgegen <strong>mit</strong> Fackeln, die<br />

<strong>mit</strong> Olivenöl getränkt sind. Und wenn sich die Verhandlungen hinziehen, dann<br />

kann es tatsächlich Nacht werden, bis der Bräutigam seine Braut abholen<br />

kommt.<br />

Nacht – das ist die Zeit, in der das Gleichnis spielt. Die Hochzeit wird<br />

nicht am Tag gefeiert, sondern in der Nacht. Es ist keine heiße Liebesnacht,<br />

sondern die kalte Nacht des Wartens auf den ausbleibenden Bräutigam. Wenn<br />

wir uns selbst ein wenig in diese Nacht hineinversetzen, dann spüren wir,<br />

wie es uns fröstelt beim Gedanken an die Kälte und das Dunkel, denen die<br />

Freundinnen der Braut ausgesetzt sind. Die Lampen spenden zwar äußeres<br />

Licht für die Augen, doch wie steht es um das innere Licht des Herzens? Nicht<br />

<strong>von</strong> ungefähr haben alle Jungfrauen – nicht nur die törichten! – <strong>mit</strong> dem Schlaf<br />

zu kämpfen.<br />

Es gibt nicht nur eine Nacht, die <strong>von</strong> außen zu uns kommt, sondern<br />

auch eine Nacht, die sich <strong>von</strong> innen her über uns breitet. Eine solche Nacht<br />

kann schlimmer sein als der dunkelste Tunnel und der einsamste Pfad.<br />

Diese Nacht auszuhalten ist schwer. Manche können ein Lied singen <strong>von</strong> der<br />

Nacht der Zweifel und der Depressionen, der Nacht der Ratlosigkeit und der<br />

Rastlosigkeit, der Nacht der Trostlosigkeit und der Ohnmacht. In der Nacht<br />

braucht der Mensch ein Licht. Ohne Licht ist alles tot. Ohne Licht gibt es kein<br />

Leben.<br />

So hält das Gleichnis eine tröstliche Botschaft für uns bereit: Vielleicht ist<br />

es gerade die Nacht, die uns sensibel machen kann für die wahren Lichtblicke<br />

des Lebens. Vielleicht müssen wir manch schwere Nacht gerade deshalb<br />

bestehen, um das wahre Licht in unserem Leben zu suchen und für andere ein<br />

Licht zu werden.<br />

Aus dem Licht wird Leben. In der Litanei für die Verstorbenen finden wir<br />

eine Bitte, die uns beim ersten Hinhören stutzig macht: „Von der Angst vor<br />

dem Leben: Herr und Gott, befreie uns!“ Ist das nicht paradox? Leben wollen<br />

wir doch alle!<br />

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